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Zukunft Geist 2016

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ZUKUNFT GEIST<br />

VON IT BIS JAZZ – DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />

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© CSTRSK | pixabay.com<br />

kaum möglich. Um Geld zu verdienen,<br />

bin ich erst einmal freiberuflich als Dozentin<br />

an einem Bildungswerk eingestiegen.<br />

Dort habe ich für sehr heterogen zusammengesetzte<br />

und teilweise sozial recht<br />

schwierige Gruppen Bewerbungstrainings<br />

durchgeführt. Dadurch habe ich mir eine<br />

ganze Menge Durchsetzungsvermögen<br />

erworben. Verschwendete Zeit war das<br />

also mit Sicherheit nicht. Und mich selbst<br />

habe ich nebenbei natürlich auch trainiert.<br />

Als mir dann die richtige Stellenanzeige<br />

über den Weg lief, hat es gleich<br />

geklappt.<br />

Sie sind also von Plan B zu Plan A<br />

zurückgekehrt?<br />

Genau. Es hat sich gelohnt, dass ich das<br />

eigentliche Ziel nie aus den Augen verloren<br />

habe. Als ich die Ausschreibung las,<br />

dachte ich, das bin genau ich. Auch wenn<br />

man diesem Gefühl wahrscheinlich nicht<br />

immer Glauben schenken sollte, hat es<br />

Während eines Studiums<br />

der <strong>Geist</strong>eswissenschaften<br />

entwickelt man einen<br />

sehr weiten Horizont und<br />

einen breit gefächerten Blick.<br />

in meinem Fall einfach zugetroffen. Im<br />

Vorstellungsgespräch habe ich dann zum<br />

ersten Mal festgestellt, dass es tatsächlich<br />

Stellen gibt, die genau zu dem passen,<br />

was ich studiert habe. Das war wie eine<br />

Offenbarung – für mich ein ganz entscheidender<br />

Schlüsselmoment.<br />

Soundfile zum Sichtbarmachen akustischer Signale<br />

Wie darf ich mir Ihre tägliche Arbeit<br />

als Senior Quality Assurance Engineer<br />

vorstellen?<br />

Meine Arbeit ist die einer Test-Designerin.<br />

Ich beschäftige mich mit Sprachdialogsystemen,<br />

also mit der Kommunikation von<br />

Mensch und Maschine. Die Kund*innen<br />

meiner Firma kommen unter anderem<br />

aus der Telekommunikation, aus dem<br />

Finanzbereich oder aus dem behördlichen<br />

Sektor. Eine häufige Anforderung<br />

besteht darin, automatengesteuerte<br />

Servicezentralen zu entwickeln bzw. die<br />

entsprechende Software zu überprüfen<br />

oder auszubauen. In Abstimmung mit<br />

den jeweiligen Auftraggeber*innen wird<br />

dafür von einem Kollegen oder einer Kollegin<br />

zunächst ein Pseudo-Code verfasst,<br />

der sowohl alle technischen Anforderungen<br />

an die Software als auch den tatsächlichen<br />

Gesprächsablauf zwischen Mensch<br />

und Maschine beschreibt. Darauf aufbauend<br />

wird dann von einem Entwickler<br />

die eigentliche Software programmiert.<br />

Mir als Test-Designerin dient der Pseudo-Code<br />

als Grundlage für die Erstellung<br />

meiner Testfälle, mit denen ich die Software<br />

schließlich überprüfe. Dazu gehören<br />

sowohl die Entwicklung einer Test-Spezifikation<br />

als auch die tatsächliche Durchführung<br />

der Tests mit anschließender<br />

Ergebnisauswertung.<br />

Wie hat Sie Ihr Studium auf diese<br />

Arbeit vorbereitet?<br />

Das Handwerkszeug, das ich heute nutze,<br />

habe ich tatsächlich zu einem nicht unwesentlichen<br />

Teil aus meinem Studium mitgebracht.<br />

Mit Sprachaufnahmen und<br />

deren statistischer Auswertung haben<br />

wir an der Uni ganz intensiv gearbeitet.<br />

Das ging durchaus manchmal in Richtung<br />

Programmierung und hat mich sehr gut<br />

auf das vorbereitet, was ich heute mache.<br />

Hinzu kommt, dass man als <strong>Geist</strong>eswissenschaftler*in<br />

geradezu prädestiniert<br />

ist, eine gute, differenzierte Qualitätssicherung<br />

durchzuführen. Denn ohne sich<br />

einen kritischen Blick erworben zu haben,<br />

kommt man aus der Philosophischen<br />

Fakultät nicht raus.<br />

Können Sie auch von Schwierigkeiten<br />

berichten?<br />

In Bezug auf meine Tätigkeit fällt mir da<br />

wenig ein. Das hängt vor allem damit<br />

zusammen, dass ich von meinem Arbeitgeber<br />

sehr gut eingearbeitet worden bin<br />

und die Chemie von Anfang an gestimmt<br />

hat. Am Ende lernt man jeden Job erst im<br />

Job. Das kann man nicht häufig genug<br />

sagen und das gilt für jedes Berufsfeld,<br />

auch fernab der <strong>Geist</strong>eswissenschaften.<br />

Vieles muss man sich einfach zutrauen<br />

– dann ist der wichtigste Schritt schon<br />

getan.<br />

Wie sehen Sie Ihre Perspektiven?<br />

Ich fühle mich sehr wohl in der IT-Branche<br />

und bin auch ein bisschen stolz, es als<br />

Frau, vor allem als <strong>Geist</strong>eswissenschaftlerin,<br />

hierhin geschafft zu haben. Da ich<br />

auch hin und wieder neue Kolleg*innen<br />

einarbeiten kann, werde ich auch immer<br />

mal ein wenig als Pädagogin tätig und<br />

kann damit diesem Teil meiner Laufbahn<br />

ebenfalls gerecht werden. Das ist eine<br />

wunderbare Gelegenheit, mir selbst zu<br />

vergegenwärtigen, was ich inzwischen<br />

alles gelernt und zu vermitteln habe.<br />

Trotzdem zeichnet es nun mal <strong>Geist</strong>eswissenschaftler*innen<br />

insbesondere aus, sich<br />

und alles andere regelmäßig zu hinterfragen,<br />

neue Perspektiven zu entdecken und<br />

neuen Ideen offen gegenüber zu stehen.<br />

Das sollte man sich auch im Arbeitsleben<br />

erhalten. Zurzeit bin ich inhaltlich aber<br />

ganz und gar am richtigen Ort.<br />

Wenn Sie heute nochmal mit dem Abi<br />

in der Tasche vor der Frage nach den<br />

richtigen Studienfächern stehen würden:<br />

Würden Sie alles wieder genauso<br />

machen?<br />

Aus meiner heutigen Perspektive ist alles<br />

genau so gelaufen, wie es hätte laufen<br />

müssen. Als gebürtige Norddeutsche habe<br />

ich aus meinem Studium in Köln auch das<br />

Motto „Et hätt noch emmer joot jejange“<br />

mitgenommen. Egal wie schlimm es kam,<br />

gerade auch während der bitteren Phase<br />

der Arbeitslosigkeit: Etwas Positives habe<br />

ich aus allen Erfahrungen ziehen können.<br />

Sicherlich wäre das ein oder andere<br />

zusätzliche Praktikum hilfreich gewesen,<br />

aber es ist auch nicht falsch, sich auf<br />

© Björn Weisgerber<br />

sein Studium zu konzentrieren. Während<br />

eines Studiums der <strong>Geist</strong>eswissenschaften<br />

entwickelt man ohnehin einen sehr weiten<br />

Horizont und einen breit gefächerten<br />

Blick. Dessen positive Wirkung im Hinblick<br />

auf spätere Arbeitsmöglichkeiten<br />

sollte man nicht unterschätzen. Wichtig<br />

war außerdem, dass meine Familie mich<br />

immer unterstützt hat, obwohl meine<br />

Eltern sich als Nichtakademiker eigentlich<br />

kaum vorstellen konnten, was ich mit<br />

meinem Studium machen kann. Heute<br />

kann ich sagen: Es lohnt sich. Man muss<br />

einfach dranbleiben und sein Ziel nicht<br />

aus den Augen verlieren.<br />

Was möchten Sie heutigen Studienanfänger*innen<br />

mit auf den Weg<br />

geben?<br />

Zu erkennen, was einem liegt, ist eine<br />

wundervolle Entdeckung, aus der man viel<br />

Energie ziehen kann. Das sollte man nutzen.<br />

Wenn man etwas wirklich aus Überzeugung<br />

und mit Begeisterung macht,<br />

dann liefert man auch die gewünschten<br />

Resultate. Das merken auch die Arbeitgeber*innen.<br />

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