Zukunft Geist 2016
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Durch meine Praktika in der Internationalen<br />
Handelskammer in São Paulo in Brasilien<br />
und in Bonn bei der Botschaft von<br />
Bolivien wurde mir dann auch bestätigt,<br />
dass es Tätigkeiten gibt, die ich mit meiner<br />
Ausbildung sehr gut ausüben kann.<br />
Ich hatte dadurch stets das Gefühl, sehr<br />
breit und sehr gut aufgestellt zu sein und<br />
damit auch immer eine <strong>Zukunft</strong>sperspektive<br />
zu haben.<br />
Was unterscheidet Ihrer Meinung<br />
nach Absolventen eines geisteswissenschaftlichen<br />
Studiums von denen<br />
anderer Studiengänge?<br />
Ich glaube nicht, dass <strong>Geist</strong>eswissenschaftler<br />
es nötig haben, sich im direkten<br />
Vergleich mit wirtschaftswissenschaftlichen<br />
Studierenden klein zu machen. Sie<br />
bringen einfach andere Qualifikationen<br />
mit. Der BWL-Studierende bringt Steuerkenntnisse<br />
mit, hat aber vielleicht Defizite<br />
darin, Wissen in einen breiteren Kontext<br />
zu setzen. Studierende der <strong>Geist</strong>eswissenschaften<br />
dagegen besitzen gute Sprachund<br />
Kulturkenntnisse, müssen aber eventuell<br />
im Bereich ökonomisches Denken<br />
noch dazu lernen. Das Charakteristische<br />
eines geisteswissenschaftlichen Studiums<br />
ist das Thema ‚ganzheitliches Denken‘.<br />
Dinge werden stets hinterfragt und in<br />
einen größeren Zusammenhang gesetzt.<br />
Ich selbst setze diese geisteswissenschaftliche<br />
Brille im Arbeitsalltag sehr häufig<br />
auf. Zum Beispiel wenn es um das Thema<br />
Kostenkontrolle geht. Dann schaue ich<br />
nicht nur, ob sich die Entsendung rein<br />
rechnerisch gelohnt hat, sondern auch,<br />
ob sich der entsandte Mitarbeiter dabei<br />
persönlich weiterentwickelt hat. Diese<br />
Kombination aus Wirtschaftswissenschaften<br />
und <strong>Geist</strong>eswissenschaften hat mich<br />
sehr gut auf meine heutigen Aufgaben<br />
vorbereitet.<br />
Welchen Tipp würden Sie jungen Studieninteressierten<br />
oder Studierenden<br />
bezüglich eines geisteswissenschaftlichen<br />
Studiums und der Berufswahl<br />
geben?<br />
Das eine ist, dass man wirklich das studieren<br />
sollte, was man studieren möchte –<br />
unabhängig davon, ob man sich im ersten<br />
Semester schon die Frage stellt, was man<br />
am Ende des Studiums damit für einen<br />
Beruf erlangen müsste. Ich habe erlebt,<br />
dass Kommilitonen etwas studiert haben,<br />
nur weil sie sich damit große Berufschancen<br />
erhofften und damit am Ende dann<br />
kreuzunglücklich waren. Man sollte den<br />
Mut haben zu tun,<br />
was man selber als<br />
Berufung empfindet,<br />
und dann wird man<br />
damit schon einen<br />
passenden Beruf<br />
finden. Weil man,<br />
wenn man etwas<br />
gerne tut, das auch<br />
immer gut macht.<br />
Und wenn man<br />
etwas gut macht,<br />
dann wird man auch<br />
darin seinen Weg<br />
finden. Praktika sind<br />
eine gute Chance,<br />
Berufsfelder kennenzulernen<br />
und sich<br />
darin auszuprobieren.<br />
Viele Germanisten<br />
sind am Ende<br />
vielleicht in der<br />
Marketingabteilung,<br />
weil sie herausragende<br />
Texte schreiben.<br />
Dafür hätte man auch Marketing<br />
studieren können. Aber das sind dann<br />
zwei Wege, die zum gleichen Ziel führen<br />
können. Man sollte sich auch selber überlegen,<br />
wo die eigenen Stäken und auch<br />
Schwächen liegen und ein eigenes Profil<br />
herausbilden.<br />
Heutzutage fordern viele Stellenausschreibungen<br />
schon erste Berufsoder<br />
Praxiserfahrung durch Praktika<br />
oder Studentenjobs. Haben Sie einen<br />
Insider-Tipp als Personalerin, worauf<br />
in einer Bewerbung noch geachtet<br />
wird?<br />
Ich hatte damals mit den zwei Praktika,<br />
einem Auslandssemester und Jobben<br />
während des Studiums schon überdurchschnittliche<br />
Erfahrungen in der Arbeitswelt<br />
gemacht. Wenn ich mir heute die<br />
Bewerbungen anschaue, die ich auf den<br />
Tisch bekomme, ist das, was mich damals<br />
ausgezeichnet hat, fast schon der Standard.<br />
Wenn ich einstelle oder diese Entscheidung<br />
mit treffe, bevorzuge ich auch<br />
Bewerber, die schon die entsprechenden<br />
Praktika gemacht haben. Der Vorteil ist,<br />
dass diese Bewerber dann schon wissen,<br />
was sie erwartet und dass die Stelle das<br />
Richtige für sie ist. Aber ich schaue auch<br />
immer auf das Gesamtbild. Ich möchte<br />
einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin<br />
haben, der/die in mein Team passt, eine<br />
reife Persönlichkeit ist und weiß, was er/<br />
sie tut. Wenn er/sie mir das belegen kann,<br />
ist das schon eine hervorragende Qualifikation.<br />
Dann spielt das Studienfach, das<br />
Alter oder ein Zickzack im Lebenslauf<br />
auch nur eine untergeordnete Rolle. Das<br />
reine Fachwissen bringen wir den Leuten<br />
dann bei. Ich habe mir mein Steuerwissen<br />
auch erst in den letzten mittlerweile 8<br />
Jahren angeeignet, die ich hier bin. Fließendes<br />
Englisch ist jedoch eine notwendige<br />
Voraussetzung für einen Jobeinstieg<br />
bei uns.<br />
Für viele Studierende stellt sich nach<br />
dem Bachelor die Frage: Master ja<br />
oder nein? Welche Empfehlung würden<br />
Sie Studierenden der <strong>Geist</strong>eswissenschaften<br />
geben?<br />
Ich glaube, es ist eine ganz persönliche<br />
Frage, ob man sich selber mit dem Bachelor<br />
als fertig ausgebildet empfindet oder<br />
ob man sich noch weiter bilden möchte.<br />
Aber die Frage ist auch, ob man sich noch<br />
einmal auf ein Studium konzentrieren<br />
mag. Wir stellen sowohl Master als auch<br />
Bachelor ein. Es gibt zum Teil in Unternehmen<br />
– so wie bei uns – geförderte<br />
Masterprogramme, wenn man im Berufsleben<br />
merkt, man möchte oder muss, um<br />
weiter aufzusteigen, noch einen Master<br />
machen. Es ist auch die Frage, welche<br />
weiteren Abschlüsse für den Beruf wichtig<br />
sind. Bei uns ist beispielsweise oft ein<br />
Steuerberater-Examen wichtiger als ein<br />
Masterabschluss. Wenn Bachelor-Bewerber<br />
keine Spezialisierung haben, tun sie<br />
sich manchmal schwerer zu entscheiden,<br />
was sie wollen. Wer sich noch nicht sicher<br />
ist, wohin der Weg gehen soll, für den ist<br />
der Master gar nicht so schlecht. Man<br />
sollte die Studienzeit auch etwas genießen<br />
und nutzen, um sich auszuprobieren<br />
und Lebenserfahrungen zu sammeln, sei<br />
es durch ehrenamtliches Engagement,<br />
Praktika, Auslandsstudium oder Work &<br />
Travel.<br />
Sie haben ein Semester in Lissabon<br />
studiert. Hilft Ihnen diese Erfahrung<br />
auch heute in Ihrem jetzigen Beruf,<br />
wo Sie sich um die Belange von Entsandten<br />
kümmern, die mit einem<br />
anderen kulturellen Hintergrund<br />
alleine in ein fremdes Land kommen?<br />
Es war spannend ganz auf sich alleine<br />
gestellt in einer fremden Stadt zu sein.<br />
Ich habe noch nie in so kurzer Zeit so viel<br />
gelernt. Durch diese Erfahrung kann ich<br />
heute sehr gut nach empfinden, welche<br />
Fragen, Sorgen und Probleme die nach<br />
Deutschland Entsandten haben. Es tut<br />
gut, sich selber auch mal fremd zu fühlen.<br />
In Gesprächen mit den Assignees<br />
Man sollte den Mut<br />
haben zu tun, was<br />
man selber als<br />
Berufung empfindet,<br />
und dann wird<br />
man damit schon<br />
einen passenden<br />
Beruf finden.<br />
oder entsprechenden Abteilungsleitern<br />
in den Unternehmen merke ich, dass es<br />
gleich eine Augenhöhe schafft. Damals<br />
den Sprung in eiskaltes Wasser gewagt<br />
zu haben, das hat mich persönlich weiter<br />
gebracht und irgendwie hat es auch bis<br />
heute meine Passion für dieses Beratungsthema<br />
aufrechterhalten. Es erfüllt mich,<br />
tagtäglich mit den unterschiedlichsten<br />
Auslandsfällen zu tun zu haben.<br />
Das klingt nach Zufriedenheit. Sind<br />
Sie hier mit Ihrer Position im Entsende-Management<br />
beruflich angekommen?<br />
Ich bin auf jeden Fall angekommen. Also<br />
ich will nicht ausschließen, dass, wenn<br />
ich mal in Rente bin, ich auch noch mal<br />
eine Reisegruppe durch Bolivien begleiten<br />
würde. Das sollte man nie ausschließen.<br />
Aber was mein Berufsleben betrifft,<br />
würde ich sagen, bin ich im Entsende-Management<br />
auf jeden Fall da angekommen,<br />
wo ich mich wirklich 100%ig wiederfinde.<br />
© anmide | pixabay.com