England - Bioland
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Tierhaltung<br />
Schweine<br />
Schweinemast ohne Kastration<br />
Die EU-Bioverordnung wird in wenigen Jahren die betäubungslose Kastration der Ferkel<br />
verbieten. Eine Alternative heißt Ebermast. Ein Beispiel aus <strong>England</strong>, wo die Bioferkel<br />
grundsätzlich nicht kastriert werden dürfen.<br />
Helen Browning mit einer ihrer berühmten Saddleback-Sauen<br />
<strong>England</strong>, die Lowlands in Schottland<br />
und Wales, das wussten schon die<br />
Angelsachsen, sind klimatisch gesegnet,<br />
zumindest was Tierhaltung betrifft.<br />
„Good livestock grazing and wine<br />
growing“ schrieb der Benediktinermönch<br />
Bede, geboren 673, über das „neu entdeckte“<br />
<strong>England</strong>. Das Klima ist seither<br />
eher milder geworden, es gibt keinen Winter<br />
mehr, der das Wort auch nur annähernd<br />
verdient – allerdings auch keinen<br />
Sommer, würde der Kontinentaleuropäer<br />
hinzufügen, und dieses gemäßigte Klima<br />
macht die Freilandhaltung an 365 Tagen<br />
von Schweinen, Geflügel und Rindern zu<br />
einem Muss für die artgerechte Tierhaltung.<br />
Über die Hälfte aller Eier kommt<br />
mittlerweile aus Freilandhaltung. Bio<br />
oder besser „organic“ kann nicht hinter<br />
der normalen Freilandhaltung zurückbleiben<br />
und deshalb gehen die Bio-Richtlinien<br />
hier deutlich weiter als der EU-<br />
Standard. Der Flächenbedarf ist größer<br />
(zum Beispiel UK 10 m 2 pro Legehenne,<br />
EU 4 m 2 ) und bei den Schweinen muss si-<br />
chergestellt sein, dass die Tiere auch im<br />
Freiland leben und nicht nur ein paar<br />
Ausgänge aus dem Stall haben. Deshalb<br />
findet die Bio-Schweinemast, nicht nur<br />
die Sauenhaltung, hier in der Regel in<br />
ganzjähriger Freilandhaltung statt.<br />
Im Pub bei Helen<br />
Ein Besuch auf der Farm von Helen<br />
Browning kann die täglichen praktischen<br />
Vor- und Nachteile dieser 365-Tage-Freilandhaltung<br />
besser beleuchten. Mit ihrer<br />
Eigenmarke „Helen Browning’s totally<br />
organic“ ist die Unternehmerin im Vereinigten<br />
Königreich bekannt, aber auch,<br />
weil sie Farming Director bei der Soil<br />
Association ist, die, ähnlich wie <strong>Bioland</strong>,<br />
eine führende Rolle im <strong>Bioland</strong>bau spielt.<br />
Ihre Farm in Süd-<strong>England</strong> lohnt aber auch<br />
deshalb den Besuch, weil der hofeigene<br />
Pub und der Bioladen immer auch für eine<br />
kulinarische Berichterstattung gut sind.<br />
Aber zunächst zum „Field Trip“ mit Tim<br />
Finney und Chris Neale. Chris ist zusammen<br />
mit Helen für die 200 Muttersauen<br />
H. Browning<br />
auf dem 550 ha großen Biohof zuständig.<br />
Der Hof ist von der Anglikanischen Kirche<br />
gepachtet, und Helen hat ihn seit den<br />
80-iger Jahren konsequent auf Bio umgestellt.<br />
Im Gegensatz zu anderen großen<br />
Biohöfen fließt kein Geld, das nicht mit<br />
der Landwirtschaft verdient wurde, in das<br />
Projekt. Neben Helens Lieblingsbetriebszweig,<br />
der Schweinehaltung, gibt es 140<br />
Milchkühe, Kälbermast, 1.000 Legehennen<br />
und Ackerbau.<br />
Die Sauen sind Saddleback (Angler Sattelschwein),<br />
ursprünglich waren es 100 Prozent<br />
Saddleback, heute sind Kreuzungen<br />
mit Large White, Durock und Landrasse<br />
hinzugekommen. Die Eber sind alle Large<br />
White, bis auf zwei bis drei zur Nachzucht<br />
der Saddleback. Künstliche Besamung<br />
wird routinemäßig nicht eingesetzt. Das<br />
Futter wird derzeit in 90-prozentiger Bio-<br />
Qualität zugekauft. Das hofeigene Getreide<br />
wird als Brotgetreide vermarktet, manchmal<br />
auch als Futtergetreide an die Mühle,<br />
sodass sich hier ein Kreis teilweise<br />
schließt. Ab 2011 schreibt der Standard<br />
der Soil Association allerdings 50 Prozent<br />
Futter vom eigenen Hof oder von vertraglich<br />
gebundenen Nachbarbetrieben vor.<br />
Diese Änderung dürfte kein Problem für<br />
Helens Betrieb sein, allerdings heißt das,<br />
weniger Bio-Brotgetreide zu guten Preisen<br />
zu verkaufen. Es werden vier Futtermischungen<br />
eingesetzt, für trockene Sauen<br />
und laktierende Sauen, Eber, Grower<br />
(Ferkel bis ca. 80 kg) und Finisher (bis<br />
100 kg). Typische Futterrationen für laktierende<br />
Sauen enthalten 3,5 Prozent Öl,<br />
16,5 Prozent Protein und 7,0 Prozent<br />
Rohfaser. Für Grower/Finisher sind es<br />
3,7, 19,0 und 7,0 Prozent.<br />
Nach Geschlechtern getrennte<br />
Mastgruppen<br />
Die Geschlechter werden nach acht Wochen<br />
zugleich mit dem Absetzen getrennt.<br />
„All stress at once“ nennt Pig-Manager<br />
Chris Neale diese Methode. Danach wer-<br />
bioland 01/2009<br />
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den männliche und weibliche Mastschweine<br />
auf demselben Feld mit demselben<br />
Futter gemästet, allerdings in getrennten<br />
Gruppen und durch einen kleinen Elektrozaun<br />
abgeteilt. Die letzten zwei bis drei<br />
Wochen verbringen die Mastschweine in<br />
drei großen Tiefstreuboxen im Stall, haben<br />
aber auch hier „Freigang“ und Außenfütterung.<br />
Diese letzten mehr kontrollierten<br />
Lebenswochen machen das Verladen und<br />
die kontinuierliche Marktbeschickung wesentlich<br />
einfacher. Die weiblichen Mastschweine<br />
werden fünf bis sechs Monate<br />
alt bis zur Schlachtung, die männlichen<br />
fünfeinhalb bis sechs Monate. Ebergeruch<br />
im Fleisch kommt nach Tim Finneys Aussagen<br />
bei lediglich zwei Prozent der Eber<br />
vor, ist aber kein Problem in der Verarbeitung.<br />
Eberkämpfe sind kaum ein Problem.<br />
Die Sauen werden in Gruppen von vier bis<br />
sechs Tieren gehalten und nach vier Wochen<br />
werden die Zäune zwischen den<br />
Hütten herausgenommen, sodass die<br />
Eber sich schon lange kennen.<br />
Auf Helens Betrieb werden die Schweine<br />
auf verschiedenen Feldern gehalten: Sauen<br />
mit Ferkeln, trockene Sauen und Mastschweine.<br />
Die Tiere bleiben drei bis vier<br />
Monate auf einem Stück Land, dann wandern<br />
die Hütten und die Elektrozäune auf<br />
den bisher ungenutzten Teil des Feldes.<br />
Die vorherige Nutzung ist Kleegras für<br />
die Milchkühe; nach den Schweinen folgen<br />
Getreide und weitere Fruchtfolgeglieder.<br />
Nach vier Jahren können wieder Schweine<br />
auf das Feld.<br />
Schwanzkupieren, Zähnekneifen, Nasenringe,<br />
Eisenspritzen oder Kastrieren, all<br />
diese Maßnahmen sind nach den Richtlinien<br />
der Soil Association nicht erlaubt und<br />
unterbleiben.<br />
Stallhaltung kaum üblich<br />
Der Standard der Soil Association schreibt<br />
vor, dass die Tiere höchstens 20 Prozent<br />
ihrer Lebenszeit im Stall verbringen dürfen.<br />
Auch „British Quality Pig“ (BQP), eine<br />
große Firma, die konventionell „free-range“<br />
und Bio nach OFF (Organic Food Federation)<br />
Richtlinien produziert und den exklusiven<br />
Supermarkt Waitrose beliefert, lässt<br />
weibliche und nicht-kastrierte männliche<br />
Schweine 365 Tage im Freiland mästen.<br />
Hier werden männliche und weibliche<br />
Tiere oft nicht getrennt.<br />
Die Hauptprobleme in Helens oder BQPs<br />
System sind die hohen Futter- und Arbeitskosten<br />
für die Betreuung der Tiere. Tierarztrechungen<br />
sind minimal. Die Mortalität<br />
liegt bei 7 Prozent, 19 lebende Ferkel pro<br />
Sau und Jahr werden aufgezogen. Das<br />
System hat sich bewährt und läuft seit<br />
Jahren rund mit gutem Erfolg.<br />
M. Phelps<br />
Schweine als touristische<br />
Attraktion<br />
Die Vermarktung hat der Betrieb schon<br />
lange in professionelle eigene Hände genommen.<br />
Katrin Hochberg ist für das<br />
„Business Development“ zuständig. Tim<br />
Finney ist „Managing Director“, beide mit<br />
eleganten Visitenkarten, schließlich sind<br />
die Hauptkunden die großen Supermarktketten<br />
Tesco und Sainsbury’s und die Eigenmarke<br />
will gepflegt werden. Allerdings<br />
wird das Marketing zunehmend diversifiziert:<br />
2.000 direkte Hauslieferungen, Event<br />
Catering, der Bioladen und der Pub sind<br />
in den letzten Jahren hinzugekommen.<br />
Lokaler Tourismus und „Event camping<br />
with pig watching“ sind weitere Ideen.<br />
Kein Wunder, dass der Betrieb 20 Vollzeitund<br />
11 Teilzeitarbeitskräfte beschäftigt.<br />
365 Tage Freiland zum<br />
Nachmachen?<br />
Ob Soil Association oder OFF, alle sind<br />
sich einig, dass sich die zusätzliche Arbeit<br />
für das Wohlbefinden der Schweine lohnt<br />
und sind „less amused“ über billige EU-<br />
Bio-Schweinefleischimporte. Tim Finney<br />
kennt die Bio-Schweinehaltungssysteme<br />
in den meisten EU-Ländern und gibt zu,<br />
dass jedes Land aus kulturellen Gründen<br />
einen anderen Schwerpunkt setzt. In UK<br />
ist eben „365-freerange“ wichtiger als zum<br />
Beispiel 100 Prozent Biofutter oder Futter<br />
vom eigenen Betrieb. Die Erfahrungen in<br />
<strong>England</strong> zeigen, dass dieses System in anderen<br />
Teilen Europas mit ähnlichem Klima<br />
jederzeit möglich ist, falls die Verbraucher<br />
höhere Tierhaltungsstandards fordern.<br />
Lieber weniger Fleisch essen, dafür aber<br />
ethisch und ökologisch mit dem höchsten<br />
Standard ist die Philosophie.<br />
Zu guter Letzt das kulinarische Verdikt:<br />
Helens Pub „The Royal Oak“ für den<br />
„countryside trip“ beim nächsten Londonbesuch<br />
unbedingt einplanen!<br />
Dr. Ulrich Schmutz,<br />
International Research Department,<br />
Garden Organic Ryton, Warwickshire,<br />
E-Mail: uschmutz@gardenorganic.org.uk<br />
Weitere Informationen: www.soilassociation.org,<br />
www.helenbrowningorganics.co.uk,<br />
www.orgfoodfed.com<br />
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