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soziologie heute Dezember 2011

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12 <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> <strong>Dezember</strong> <strong>2011</strong><br />

„Wie soll dieser ‚Aufruf zum Ungehorsam‘ für das<br />

mittlere Management risikolos funktionieren?”<br />

Foto: toetschinger group<br />

und Mitarbeitern einen neuen Spaß<br />

an der Arbeit auszulösen.<br />

<strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong>: Sie empfehlen organisatorischer<br />

Praxis, für produktive<br />

Störungen empfänglich zu werden.<br />

Die Normativität einer an Rationalität<br />

und Innovation orientierten Betriebswirtschaftslehre<br />

duldet aber<br />

kaum Abweichung. Also Störung ja,<br />

aber nur in homöopathischer Dosis?<br />

Baecker: Ja, das scheint mir ganz<br />

entscheidend zu sein. Wir haben es<br />

ja seit dem leider vielfach vergessenen<br />

großen Vordenker Erich Gutenberg<br />

mit einer Betriebswirtschaftslehre<br />

zu tun, die nicht zu Unrecht<br />

so heißt, lehrt sie doch die Bewirtschaftung<br />

einer Organisation als<br />

‚Betrieb‘. Gutenberg wusste noch<br />

um die damit eingeklammerte, aber<br />

nicht etwa vernichtete Komplexität<br />

der Organisation. Und jeder ‚gute‘<br />

Manager <strong>heute</strong> macht wieder neu<br />

die Erfahrung, dass man eine Organisation<br />

nur dann als Betrieb bewirtschaften<br />

kann, wenn man sich sehr<br />

genau überlegt und in jedem Einzelfall<br />

auch ein enormes Gespür dafür<br />

entwickelt, welche Komplexität von<br />

Produktleidenschaften, Karriereabsichten,<br />

persönlichem Ehrgeiz und<br />

Konfliktbereitschaften jeweils zunächst<br />

genährt werden muss, um sie<br />

dann erst einklammern zu können<br />

und einem aus der ‚Wirtschaft‘ bezogenen<br />

Kalkül von Kosten und Nutzen,<br />

Gewinn und Verlust zu unterwerfen.<br />

Ein ‚guter‘ Manager muss daher sowohl<br />

die Zumutung des wirtschaftlichen<br />

Kalküls für die Organisation als<br />

auch die Übergriffe der Organisation<br />

auf den Betrieb zu dosieren wissen,<br />

um jeweils eine produktive Spannung<br />

aufrechterhalten zu können.<br />

<strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong>: Wie soll dieser „Aufruf<br />

zum Ungehorsam“ für das mittlere<br />

Management ohne das Risiko<br />

gefeuert zu werden, funktionieren?<br />

Müsste etwa durch entsprechende<br />

externe Beratung auf executive-Ebene<br />

angesetzt werden?<br />

Baecker: Ist das ein Aufruf zum Ungehorsam?<br />

Ja, vielleicht haben Sie<br />

Recht. Aber wenn, dann ist es ein<br />

Aufruf zu einem Ungehorsam, wie<br />

ihn Niklas Luhmann in seinem Buch<br />

‚Funktion und Folgen formaler Organisation‘<br />

einmal in die Formulierung<br />

der ‚brauchbaren Illegalität‘<br />

gebracht hat. Jeder Mitarbeiter einer<br />

Organisation gleichgültig auf<br />

welcher Ebene weiß, dass die sehr<br />

widersprüchlichen Anforderungen<br />

an eine effiziente und effektive Organisation<br />

nur erfüllt werden können,<br />

wenn man laufend Ineffizienzen und<br />

eine Ineffektivität pflegt, die einmal<br />

‚informelle Organisation‘ und ‚organizational<br />

slack‘ hieß, tatsächlich<br />

aber die Nährflüssigkeit ist, in der<br />

die ach so rationale Organisation<br />

in Wahrheit schwimmt. Die externe<br />

Beratung kann natürlich versuchen,<br />

davon abzulenken, je nachdem, mit<br />

welchem Auftrag sie in der Organisation<br />

antritt. Aber wenn sie überhaupt<br />

irgendetwas ausrichten will, muss<br />

sie das Spiel schon mitspielen.<br />

<strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong>: Welcher methodische<br />

Zugang zur Implementierung<br />

produktiver Störungen in NGO’s,<br />

Betrieben, Regierungen für Organisationen<br />

der nächsten Gesellschaft<br />

entspricht besser: Heterarchie<br />

Bottom-Up zu entwickeln oder Top-<br />

Down quasi zu „ver-un-ordnen“?<br />

Baecker: Für jede Art von Organisation<br />

empfehlen sich weder Top-downnoch<br />

Bottom-Up-Strukturen, sondern<br />

nur Middle-Out-Strukturen. Die<br />

entscheidende Frage ist immer die<br />

Frage danach, wer in welchem Zentrum<br />

der Verknüpfung von Lieferanten-<br />

und Kundenbeziehungen steht,<br />

um Relevanzen sortieren und Prioritäten<br />

setzen zu können, die sich<br />

auf den ‚Märkten‘ flussaufwärts und<br />

flussabwärts beobachten lassen und<br />

im Rahmen dieser Beobachtung bewähren<br />

lassen. Das sieht nur für Hierarchen<br />

ungeordnet aus. In Wahrheit<br />

ist es eine fraktale Form der nichtlinearen<br />

Selbstorganisation, die nicht<br />

umsonst in der Literatur auch mit<br />

dem Stichwort der ‚Holakratie‘ beschrieben<br />

wird. Hier wird nicht mehr<br />

nach dem ‚Ganzen‘ der Organisation<br />

gefragt, sondern danach, wie man jeden<br />

Teil der Organisation zu einem<br />

Ganzen machen kann, das seine Entscheidungen<br />

treffen kann, während<br />

ein scharfes Bewusstsein der Abhängigkeit<br />

von allen anderen Teilen immer<br />

mitläuft. Wenn sich diese Art der<br />

heterarchischen Netzwerkorganisation<br />

inklusive ihrer zahlreichen hierarchischen<br />

Knoten bewährt, dann<br />

bekommen wir es mit Unternehmen,<br />

Behörden, Kirchen, Armeen, Universitäten,<br />

Theatern und NGOs zu tun,<br />

die es zwar immer noch nötig haben,<br />

eine Spitze auszudifferenzieren, die<br />

für den Bedarf von Kapitalmarkt, politischer<br />

Aufsicht und Öffentlichkeit<br />

die gesellschaftliche Verantwortung<br />

dieser Organisationen symbolisiert,<br />

diesen Bedarf jedoch gleichzeitig in<br />

allen Untereinheiten der Organisati-<br />

„Für jede Art von Organisation empfehlen<br />

sich weder Top-down- noch Bottom-Up-<br />

Strukturen, sondern nur Middle-Out-Struk-<br />

turen.“<br />

Foto: toetschinger group<br />

on reflektiert, bearbeitet und in Produktangebote<br />

umsetzt. Die hier zu<br />

lösende Aufgabe ist seit Jahrzehnten<br />

bekannt. Sie besteht nicht darin, einen<br />

neuen Bund zwischen Arbeit und<br />

Kapital zu schmieden, sondern sie<br />

besteht darin, zwischen Arbeit, Kapital<br />

und Personal jene losen Kopplungen<br />

aufrechtzuerhalten, die sowohl<br />

für analytische Zugriffe als auch für<br />

bewegliche (‚flexible‘) Rekombinationen<br />

genutzt werden können.

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