Übersetzung eines LeMonfe Artikels vom.Januar 2018 zurvGsrnisonkirche.pdf
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LeMonde 09.01.<strong>2018</strong> „Querelle de clocher a Potsdam“<br />
von Thomas Wieder<br />
STREIT UM KIRCHTURM IN POTSDAM<br />
Die Rekonstruktion der Garnisonkirche, deren Geschichte eng mit der Nazizeit verbunden ist, erregt<br />
aufschlussreiche oppositionelle Diskussionen zu Geschichtsfragmenten Deutschlands.<br />
Ein Gottesdienst inmitten von Baggern an einem kühlen Sonntag im Herbst. An diesem 29.Oktober<br />
2017, feiern ungefähr vierhundert Personen den Beginn des Wiederaufbaus der Garnisonkirche im<br />
Herzen von Potsdam, der Landeshauptstadt Brandenburgs, etwa 30 km südwestlich von Berlin.<br />
Aber sie sind nicht allein: kaum hatte die religiöse Zeremonie begonnen, treten etwa einhundert<br />
Gegner des Projektes, mit Trillerpfeifen und Transparenten in den Händen, auf den Plan. "Kein<br />
Denkmal für die Feinde der Demokratie!", "Kein Wallfahrtsort für Nazis!" sind zu lesen. "Schande<br />
Ihnen!" wird von den Demonstranten während der Zeremonie skandiert. Diese wird abgehalten von<br />
Bischof Wolfgang Huber, dem ehemaligen Präsidenten der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD),<br />
die 22 Millionen Protestanten vereint.<br />
Warum eine solche Empörung? Wie kann man erklären, das der Wiederaufbau dieser Kirche, die<br />
zwischen 1733 und 1735 auf Befehl Friedrich I von Preußen gebaut, dann im zweiten Weltkrieg durch<br />
Britische Bombardements im April 1945 weitgehend zerstört und deren letzte Spuren Ende der<br />
1960er Jahre von den ostdeutschen Behörden getilgt wurden, eine solche Aufregung hervorruft? Die<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte gar: "Der streitbarste Wiederaufbau Deutschlands?".<br />
Um das zu verstehen, muss man zurückgehen zum 21. März 1933. An diesem Tag begibt sich Adolf<br />
Hitler, seit weniger als zwei Monaten Kanzler, in Begleitung des Reichspräsidenten, dem greisen<br />
Marschall Paul von Hindenburg zur feierlichen Eröffnungssitzung des neu gewählten Reichstages. Die<br />
Wahl des Datums ist nicht zufällig: es ist der 21. März 1871, auf den Tag genau vor 72 Jahren, das<br />
Bismarck die erste Reichstagssitzung eröffnete. Auch die Wahl des Ortes ist nicht unbedacht: diese<br />
Kirche wählend, in der sich die Grabstätten von Friedrich I. und seinem Sohn Friedrich dem Großen<br />
(Friedrich II.) befinden, will Hitler seinen Anspruch verdeutlichen, dass er der Erbe der Monarchie ist,<br />
welche Preußen zu einer historischen Größe aufgebaut hat. Eine höchst symbolische Geste, die <strong>vom</strong><br />
Militär verächtlich mit den Worten es handle sich nur um einen "kleinen österreichischen Gefreiten"<br />
abgetan wird.<br />
WIEDERAUFBAU... UND TILGUNG<br />
Die Inszenierung der Zeremonie damals wird Joseph Goebbels, Minister für Propaganda, anvertraut.<br />
In seinem Tagebuch notiert er diesen "unvergesslichen und historischen Tag in Potsdam" in folgender<br />
lebhafter Episode: "Ein unerhörtes Tohuwabohu. Wir sind fast erstickt zwischen der St. Nikolaus<br />
Kirche und der Garnisonkirche. Hindenburg trifft zusammen mit Hitler ein. Der alte Herr wirkt wie ein<br />
Marmordenkmal. Er liest seine Erklärung. Knapp, herrisch. Dann ergreift Hitler das Wort. Seine beste<br />
Rede. Am Ende sind alle ergriffen. Tränen steigen mir in die Augen. So schreibt man Geschichte. Als<br />
sich der Alter Herr dem Sarg Friedrich des Großen nähert, donnern die Kanonen. Draußen hallen ><br />
Trompeter. (...) eine unvergleichliche Trunkenheit (...) Größe vergangener Zeiten."<br />
Carsten Linke ist als Mitglied des Bürgerbündnisses „Potsdam ohne Garnisonkirche“<br />
selbstverständlich gekommen, um im Oktober gegen den Beginn der Arbeiten zu demonstrieren.
Dieser 54Jährige, der im Herbst 1989 Gründungsmitglied der Grünen Partei der DDR war, protestiert<br />
„dieses Projekt ist extrem ideologisch" und widerstrebt damit seiner Überzeugung als Antimilitarist<br />
und Demokrat. Hört man ihm zu, so ist nicht nur die Geschichte der Kirche selbst problematisch,<br />
sondern auch die Geschichte des Wiederaufbaus, der gegen Ende der 1980er Jahre von Max Klaar,<br />
einem Offizier der extremen Rechten, angestrebt wurde. Dieser betrieb mehr als zwei Jahrzehnte<br />
intensive Lobbyarbeit in den kommunalen und Kreis-Behörden um seine Initiative solide fundiert zu<br />
lancieren.<br />
Wieland Eschenburg, Sprecher der Stiftung für die Garnisonkirche, weist die Vorwürfe in vollem<br />
Umfang zurück. "Unsere Stiftung ist 2008 ins Leben gerufen worden" erinnert er. "Wir haben<br />
keinerlei Verbindung zu Max Klaar. Sein Projekt war reaktionär und nationalistisch. Wir wollen im<br />
Gegenteil dazu die neue Kirche zu einem Ort des Friedens und der Versöhnung machen. Er erinnert<br />
wie zum Beweis seiner guten Absicht an das Nagelkreuz, welches in der provisorischen Kapelle am<br />
Rande der Baustelle, ausgestellt ist. Dieses Objekt kommt aus der englischen Coventry Cathedral, die<br />
während der Bombardements der deutschen Luftwaffe im November 1940 zerstört wurde. Herrn<br />
Eschenberg zufolge soll dieses Kreuz Teil der Ausstellung zur Geschichte werden, welche im<br />
zukünftigen Gebäude vorgesehen ist - "ohne die problematischen Momente zu verstecken"<br />
verspricht er- und ein Zeichen dafür zu setzen dass dieses Projekt keine "ideologische<br />
Zweideutigkeit" mit sich bringt.<br />
Der pensionierte Geschichtslehrer Günter Schlamp ist Autor <strong>eines</strong> Blog zur ehemaligen DDR,<br />
Brandenburg und Potsdam, wo er seit 2006 lebt. Der Wiederaufbau der Garnisonkirche, erscheine<br />
ihm so rechtmäßiger, als wäre er mit dem Wiederaufbauplan kurz nach der Wiedervereinigung<br />
entworfen worden, um dem Stadtzentrum sein Erscheinungsbild wie vor 1945 zurück zu geben. Nach<br />
dem Wiederaufbau des Schlosses, seit 2014 dem Sitz des Brandenburgischen Parlamentes, und dem<br />
Palast Barberini, in dem 2016 ein wichtiges Kunstmuseum eröffnet wurde, stellt dieses wieder<br />
errichtete Gebäude ein "neues Stück des Puzzles" dar. "Man darf darin kein Symbol der<br />
Wiederauferstehung des Nationalismus, Preußentums oder Militarismus sehen" bekräftigt er. Es<br />
verhilft zu einer schönen Stadt. Ein Projekt, in dem man, neben der ästhetischen, auch eine<br />
wirtschaftliche Bedeutung sehen kann, insofern, dass dadurch die touristische Attraktivität Potsdams<br />
erheblich verbessert wird.<br />
In jedem Fall ist diese Rehabilitation Potsdams wie zu früheren Zeiten, als es Residenzort der<br />
preußischen Könige war, nicht nur eine Restaurierung. Es ist auch ein Löschen: des Potsdam der<br />
Jahre 1945 bis 1990, anders gesagt der kommunistischen Ära, darunter mehrerer symbolträchtiger<br />
Gebäude zu Lasten der Stadtplanung.<br />
Der Wiederaufbau der Kirche und ihres monumentalen 90 Meter hohen Turmes ist aus diesem<br />
Blickwinkel betrachtet überaus symbolträchtig, weil er begleitet wird von der Zerstörung des<br />
Rechenzentrum, <strong>eines</strong> 5000 m² großen Gebäudes <strong>vom</strong> Ende der 1960er Jahre. Zu kommunistischen<br />
Zeiten als Bürogebäude genutzt, beherbergt es heute Werkstätten und Studios von Künstlern.<br />
Um die Gemüter zu beruhigen beschloss der Stadtrat Potsdams Ende 2017 den etwa 200 betroffenen<br />
Künstlern ein Moratorium zu gewähren, dass der Abriss nicht vor 2023 durchgeführt wird. Für<br />
Carsten Linke ändert dies im Grund der Sache nichts: „Das Symbol ist sehr stark: man verherrlicht das<br />
preußische Deutschland und profitiert dabei <strong>vom</strong> Verschwinden der Spuren des kommunistischen<br />
Deutschland, indem man die Künstler ausquartiert. Dies sind zwei Konzepte des öffentlichen und<br />
sozialen Raums, die nicht miteinander vereinbar sind. Möchte man eine Museumsstadt, die alternd
und schrumpelnd von ihrem Erbe zehrt, oder möchte man eine aktive, dynamische Stadt, die auf die<br />
heutige Schöpfungskraft vertraut!“<br />
„DOPPELTES SYMPTOM“<br />
Der ehemalige Geschichtslehrer Günter Schlamp sieht in den Beschuldigungen politische Spielchen<br />
der Gegner des Projektes: „Die Wahrheit ist, dass diese Leute dort die Wiedervereinigung nicht<br />
akzeptiert haben. Sie präsentieren sich als die großen Demokraten und beschuldigen ihre<br />
Opponenten abscheuliche Nationalisten zu sein, aber sie finden nichts gegen die Tatsache<br />
einzuwenden, dass die Fassade ihres geliebten Rechenzentrums ein Mosaik hatte, das die<br />
Raumpolitik der Sowjetunion verehrte. Sie messen mit unterschiedlichen moralischen Maßstäben.“<br />
Ihm zu Folge ist diese „Resistance“ vor allem eine identitäre Bewegung. Seit der Wiedervereinigung<br />
hat die Stadt, in der heute 170.000 Einwohner leben, viele Westdeutsche aufgenommen, die sich von<br />
ihrer angenehmen Atmosphäre und der Nähe Berlins angezogen fühlten.<br />
Nun haben diese neuen Einwohner, welche oft wohlhabend sind, die Politik der Renovierung des<br />
Zentrums großzügig unterstützt. „Für diejenigen, die schon vorher da waren und besonders für die<br />
extreme Linke, die in Potsdam sehr aktiv ist, ist es eine unzumutbare Form des Neo-Kolonialismus<br />
der Westdeutschen“ erklärt Herr Schlamp.<br />
Manfred Gailus, Professor an der TU Berlin und Experte in evangelischer Geschichte und Geschichte<br />
des Dritten Reichs, betrachtet mit großem Interesse, das was er als „echten Kulturkampf“<br />
bezeichnet. Obwohl er es ablehnt sich unter die Gegner des Wiederaufbaus zu mischen, urteilt er mit<br />
Strenge über die Argumente deren Befürworter. „Man kann keine ästhetischen Argumente bringen<br />
und so tun als ob dieser Ort keine Geschichte hätte“ schätzt der Historiker, der auch daran erinnert,<br />
dass die Garnisonkirche im 19. Jhd. „das Bündnis zwischen Macht (Thron) und Glauben (Altar)<br />
symbolisierte“ bevor sie zum Treffpunkt der Nationalisten der Weimarer Republik (1919-1933)<br />
avancierte und dann zu „einem Wallfahrtsort der Nazis“ während des Dritten Reiches wurde. „Die<br />
Befürworter dieses Projektes sprechen sich dafür aus, dass sie den Frieden fördern wollen. Ich glaube<br />
ihnen das gern, aber warum müssen sie dafür diesen Ort wählen?“ fragt er sich.<br />
Für Herrn Gailus ist der Wiederaufbau der Garnisonkirche in jedem Fall ein „doppeltes Symptom“.<br />
Zum einen zunächst der Willen zur „Rückeroberung“ im Auftrag der protestantischen Kirche in dieser<br />
Region Deutschlands, die von einer aktiven politischen Entchristlichung zur Zeit des Kommunismus<br />
geprägt ist. Das zweite Symptom ist dasjenige des sicherlich wiedergefunden „Nationalstolz“.<br />
Sicher klagt der Historiker die Initiatoren des Projektes nicht als rückwärtsgerichtete Nationalisten<br />
an. Aber in einem Land, wo –wie in anderen Teilen der ehemaligen DDR – die äußerst rechts<br />
agierende Alternative für Deutschland (AfD) mehr als 20 % der Stimmen bei der letzten<br />
Bundestagswahl am 24. September 2017 geholt hat, fragt er sich „Falls die AfD <strong>eines</strong> Tages in<br />
Brandenburg an die Macht kommen sollte, was wird dann passieren? Für Führer, die die „Kultur der<br />
Erinnerung/der Reue“ beenden wollen, ist ein solcher Ort ein wahr gewordener Traum. Und dies ist<br />
ein vollkommen anderer Geist/Wind, als jener, der momentan in dieser Kirche schwebt/weht.“ Und<br />
der Historiker zitiert aus dem Zauberlehrling von Goethe: „Herr, die Not ist groß: Die Geister, die ich<br />
rief, werd ich nun nicht los.“<br />
<strong>Übersetzung</strong>: U. Schmieder