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Magazin für Stadtkultur Schlachthof / Lagerhaus Gedichte – WORT KUNST LYRIK

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12<br />

halbzeitwissen<br />

Für Stadtkultur<br />

Benjamin Moldenhauer<br />

Brasch – Das Wünschen und das Fürchten<br />

Durch die Herzwand<br />

Viewer’s<br />

corner<br />

Ein Film über einen Menschen, der schreibt, ist ein<br />

heikles Unterfangen. Meist gibt es nicht allzu viel<br />

zu sehen. Hier ist es anders: Der Regisseur Christoph<br />

Rüter hat seinen Freund Thomas Brasch in den<br />

letzten Jahren seines Lebens mit der Kamera begleitet.<br />

Brasch darf sich selbst ins Bild setzen und er<br />

tut das auf berührende, kompromisslose Weise.<br />

Entstanden ist die Dokumentation ›Das Wünschen<br />

und das Fürchten‹.<br />

›Kaum ein Schriftsteller von seinem Kaliber ist so<br />

schnell in Vergessenheit geraten‹, schrieb der Literaturkritiker<br />

Thomas Hummitzsch 2012, elf Jahre nach<br />

Braschs Tod. Wiederzuentdecken gibt es viel: Gedichte<br />

(versammelt vor einigen Jahren in dem Band ›Die<br />

nennen das Schrei‹), wortgewaltige Shakespeare-Übersetzungen,<br />

vier heute vergessene Spielfilme, einen<br />

Klotz von einem letzten Roman (›Mädchenmörder<br />

Brunke‹) – und eben diesen Film, in dem Thomas<br />

Brasch sich zugleich inszeniert und denkbar offen zeigt.<br />

Immer wieder taucht die ›Einschließungsfurcht‹<br />

in seinen Texten auf, sagt Brasch, in den Räumen, die<br />

sie beschreiben. Und wenn man das mitteilen kann,<br />

öffentlich, dann ist das Glück. Rüter hat das Material<br />

– eigene Aufnahmen, aber auch Szenen, die Brasch<br />

selbst von sich mit der Kamera gemacht hat – so kompiliert,<br />

dass keine psychologisierende Künstlerbiographie<br />

entstanden ist. Das, was vielleicht einen biographischen<br />

Ursprung der Furcht bildet – der SED-Vater, der den<br />

dissidenten Sohn in den Knast bringt, die Fluchterfahrung<br />

der jüdischen Eltern – taucht auf, immer wieder.<br />

Brasch liest Peter Weiss‘ Text über Auschwitz vor<br />

der Kamera, ›Meine Ortschaft‹, und besteht darauf,<br />

nach oben zu schauen, nicht mit gesenktem Blick.<br />

Gut geht es dem Menschen nicht, der in seiner<br />

Literatur aufscheinen lässt, was Menschen einander<br />

antun. Um die, die andere in das Loch ziehen, in dem<br />

sie selber sitzen, geht es häufig in diesen Texten. Die<br />

ersten zwei Zeilen aus Braschs Gedicht ›WER WOHNT<br />

WO‹: ›Und wen sie nicht gelebt haben / den sterben<br />

sie noch heute.‹ Brasch stolpert besoffen durchs<br />

Zimmer, mit der Kamera in der Hand, dazu läuft<br />

›Drunk Tank‹ von den Tindersticks. Brasch setzt sich in<br />

den engen Lichtschacht seiner neuen, letzten Wohnung<br />

neben dem Berliner Ensemble und sagt, das ist der<br />

schönste Raum.<br />

All diese Szenen suggerieren, dass man etwas<br />

über den Menschen Thomas Brasch erfährt. Die Bilder<br />

allerdings zielen nicht auf Authentizität, es ist immer<br />

Theater, aber dieser Gestus sich so zu zeigen, dieses<br />

Sichsozeigenwollen – fragil und starrsinnig – ist das<br />

eigentlich Berührende an diesem Film. ›Das Wünschen<br />

und das Fürchten‹ ist von Anfang an vom Ende her<br />

gedacht. 2001 stirbt Thomas Brasch im Alter von<br />

56 Jahren, nach versteckten Herzinfarkten und nachdem<br />

ein Arzt ihm versehentlich in die Herzwand<br />

gebohrt hat.<br />

Brasch – Das Wünschen und das Fürchten<br />

(Deutschland 2011, Regie: Christoph Rüter)<br />

Foto: Marina lilienthal

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