Ringier Jahrbericht 2017
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<strong>Ringier</strong> <strong>2017</strong> (66)<br />
Epilog<br />
Eine der grossen sprachlichen Perversionen unserer Zeit ist der Begriff «soziale<br />
Medien». Das adjektivisch verwendete Fremdwort «sozial» bezieht sich immer auf<br />
eine Gruppe; eine Gruppe wiederum besteht aus Individuen, die eine unmittelbare<br />
Beziehung zueinander pflegen; aus diesen Menschen entsteht Gesellschaft.<br />
Soziale Medien sind das Gegenteil von Gesellschaft; sie lösen die Gesellschaft<br />
auf in lauter Einzelne, in Milliarden von Einzelnen; mit der Bezeichnung «sozial»<br />
wird Gesellschaft suggeriert; doch diese Gruppe von Menschen ist nicht menschlich,<br />
sie ist virtuell, also unwirklich.<br />
Der richtige Begriff für die sozialen Medien wie Facebook, Twitter, Instagram wäre:<br />
asozial. Asozial bedeutet ausserhalb der Gesellschaft stehend, ohne Gesellschaft<br />
existieren, der Gesellschaft feindlich sein.<br />
Es ist also kein Wunder, dass die Gesellschaft diese digitale, virtuelle Wirklichkeit<br />
mehr und mehr als Abzockersystem von Daten erlebt, das sich durch den Begriff<br />
«Gratismedien» attraktiv zu machen versucht – eine weitere sprachliche Perversion.<br />
Zudem entpuppt sich das verführerische Netz als Parallelwelt, als Gegenwelt<br />
voller Fake-News, Beschimpfungen, Denunziationen; als Müllhalde kommunikativen<br />
Verhaltens.<br />
Was einst in der Welt der Gedanken gefangen blieb, allenfalls am Stammtisch ins<br />
Freie fand, aber selbst dort schon abgemildert, das fliesst heute ungefiltert in die<br />
Kloake der asozialen Medien, die unsere soziale Wirklichkeit, unsere menschliche<br />
Gesellschaft vergiften.<br />
Wie aber kann die Gesellschaft ihre wirkliche Wirklichkeit gegen die verbal gewalttätige<br />
digitale Wirklichkeit verteidigen? Durch das Festhalten an den Medien der<br />
sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit: Zeitungen und Zeitschriften, Medien also, die<br />
anzufassen sind, abfärben, einen Duft haben und sich zerknüllen lassen. Diese<br />
Medien stehen für die freie und demokratische Ordnung, für die offene westliche<br />
Gesellschaft. Sie haben diese Gesellschaft hervorgebracht. Sie sichern sie. Und<br />
sie entwickeln sie weiter, garantieren den menschlichen Fortschritt.<br />
Warum das so ist? Weil Handeln in Demokratie und Rechtsstaat der ständigen und<br />
akribischen Überprüfung bedarf. Der grosse österreichisch-britische Demokratiephilosoph<br />
Sir Carl Popper spricht von der «Falsifizierbarkeit» allen Tuns in dieser<br />
Gesellschaft: Was sich als falsch erweist, muss verändert werden. Voraussetzung<br />
dafür ist ein unablässiges Überdenken des gesellschaftlichen Fortschreitens: die<br />
Bedachtsamkeit der Gesellschaft im Umgang mit sich selbst.<br />
Zeitungen und Zeitschriften sind bedachtsame Medien. Sie zähmen die Zeit, weil<br />
sie über die Themen, denen sie sich widmen, schlafen müssen, Zeitungen min-