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"Der Seemann auf dem Wellenbrecher" Frankfurter Neue Presse 04.10.2014

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<strong>Frankfurter</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Presse</strong> <strong>04.10.2014</strong> Von Stefan Fritschi<br />

<strong>Der</strong> <strong>Seemann</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Wellenbrecher<br />

Jürgen Vieth war im G-Block nicht nur als Einpeitscher angesehen<br />

<strong>Der</strong> Mann mit der Mütze: Stimmungsmacher Jürgen Vieth.<br />

Er war der Mann mit der Mütze unter den Eintracht-Fans. Mit einem Elbsegler <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Kopf peitschte<br />

Jürgen Vieth <strong>auf</strong> einem Wellenbrecher im alten G-Block ein. <strong>Seemann</strong>, wie sie ihn alle nannten, war in<br />

den 80er und frühen 90er Jahren nicht nur ein Kultfan wie der Mönchengladbacher Trommler Manolo. Er<br />

sah sich zu<strong>dem</strong> als eine Art Sozialarbeiter ...<br />

Auch wenn es in der Bundesliga zu Beginn der 1980er nicht gerade nach Wunsch lief für die Kicker der<br />

<strong>Frankfurter</strong> Eintracht, geizten sie wenigstens nicht mit Toren. Sehr zur Freude der rot-schwarz-weißen<br />

Anhängerschaft. Denn <strong>auf</strong> den intensiven Torjubel folgte ein Ritual, das schnell zum Markenzeichen<br />

wurde in der bundesrepublikanischen Fanlandschaft: „Erbarme, zu spät, die Hesse komme“, skandierten<br />

zwei, drei Tausend in <strong>dem</strong> langgezogenen Block und <strong>auf</strong> der mächtigen Gegengeraden im Waldstadion.<br />

Die hessische Mundart-Combo Rodgau Monotones, die Schöpfer der modernen hessischen<br />

Nationalhymne, legte freilich ein wenig mehr Wert <strong>auf</strong> Melodik denn <strong>auf</strong> Wucht.<br />

Doch die war angesagt, als die Eintracht in einem Heimspiel vor über drei Jahrzehnten –<br />

Jürgen „<strong>Seemann</strong>“ Vieth weiß leider nicht mehr welches – in arger Bedrängnis war. „Das Spiel stand <strong>auf</strong><br />

der Kippe. Wir haben gedacht, jetzt müssen wir etwas machen“, erinnert sich der 51-Jährige. Seine<br />

Kumpane vom Fanclub Black & White wuchteten ihn <strong>auf</strong> einen Wellenbrecher im Block G – und die<br />

Unterstützung klappte <strong>auf</strong> einmal bestens. „Beim nächsten Heimspiel haben die Fans gerufen ,<strong>Seemann</strong>,<br />

<strong>Seemann</strong>’, und dann bin ich wieder hoch <strong>auf</strong> den Wellenbrecher“, sagt er.<br />

So gerne Jürgen Vieth immer wieder in die Rolle des Einpeitschers schlüpfte, es war teils schon wie ein<br />

Tanz <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Seil. Oft habe er <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Wellenbrecher gestanden und nicht selten mächtig geschwankt,<br />

wenn es darum ging, der Mannschaft <strong>auf</strong> die Sprünge zu helfen.<br />

Jürgen Vieths Bekanntheitsgrad in der Fanszene wuchs rasch. „Es ging über das Einpeitschen hinaus. Ich<br />

wurde dadurch auch Ansprechpartner für die jüngeren Fans, wenn es mal Probleme gab“, sagt Vieth. Da<br />

kann man sich schon mal als Sozialarbeiter fühlen. Doch nicht nur SGE-Fans, die vielleicht eine<br />

Meinungsverschiedenheit oder ein bisschen mehr mit Ordnern hatten, wollten bisweilen etwas von ihm.<br />

„Das nahm groteske Züge an. Ich habe es sogar bis ins ZDF geschafft. Die Monotones haben einen<br />

Trailer zu ,Die Hesse komme!’ <strong>auf</strong>genommen.“ <strong>Der</strong> <strong>Seemann</strong> aus <strong>dem</strong> Fanblock durfte da nicht fehlen.<br />

Sein Markenzeichen, der Elbsegler, den Seemänner trugen und tragen und weswegen er so genannt wird,<br />

weckte Begehrlichkeiten. Auch wenn er heute darüber lacht, seinerzeit hätte er gerne <strong>auf</strong> solche<br />

Zwischenfälle verzichtet. „Bei Auswärtsspielen in Kaiserslautern und Karlsruhe bin ich angegriffen<br />

worden. Die wollten mir die Mütze wegnehmen“, erzählt er. Bei solchen brisanten Fahrten brauchte Vieth<br />

eine Art Leibgarde, damit der Elbsegler mit der drapierten Eintracht-Kordel nicht in Gefahr geriet.


Und <strong>auf</strong> die Jungs von Black & White konnte er sich verlassen: „Es war gewiss nicht der zartbesaitetste<br />

Fanclub.“<br />

1979 ging dieser EFC an den Start. Jürgen Vieth gehörte zu den 20 Gründungsmitgliedern. Und der<br />

gebürtige Bornheimer, der längst in Sachsenhausen heimisch geworden ist, fungierte zwischen 1981 und<br />

1989 als „Präsi“. „Die Atmosphäre im G-Block war klasse. Nicht wegen der Stimmung, das<br />

Zusammengehörigkeitsgefühl war intensiv“, so <strong>Seemann</strong>. Als Achtjähriger, bei seinem ersten<br />

Stadionbesuch, ging es gleich in die Fanzone. „Im G-Block habe ich unten angefangen. Jedes Jahr habe<br />

ich mich eine Stufe höher gestellt.“ Und später bildete Vieth mit <strong>dem</strong> Fan-Club Black & White einen<br />

Fixpunkt im G-Block.<br />

„Mitte der 80er“, erinnert sich Vieth, „gehörten 230 Leute <strong>dem</strong> Fanclub an. Es waren auch ältere dabei,<br />

aber den Zul<strong>auf</strong> gab’s durch die Jüngeren.“ Im Gegensatz zu den führenden Stadtteil-Fanclubs<br />

Sossenheim, Nied und Bockenheim seien die Jungs von Black & White aus ganz Frankfurt gekommen.<br />

Heutzutage gehörten <strong>dem</strong> Fanclub noch „120 bis 140 Mitglieder“ an.<br />

Eine aktive Rolle hat Jürgen Vieth in diesem nicht mehr inne. Zwar ist er weiterhin Dauerkarteninhaber –<br />

inzwischen sitzt er <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Haupttribünenunterrang –, doch in die Ferne schweift der <strong>Seemann</strong> nur noch<br />

selten. „Seit Anfang der 90er kann ich aus beruflichen Gründen nicht mehr regelmäßig fahren“, sagt<br />

Vieth. In Porto war er aber dabei – und machte auch den weiten Marsch von der Innenstadt über die<br />

Autobahn bis zum Stadion Dragão mit. „Und das in meinem Alter.“<br />

Jürgen Vieth ist damals in die Gastronomie eingestiegen. Im Sachsenhäuser Ausgehviertel betrieb er eine<br />

Kneipe. Auch wenn es das „Gaslicht“ nicht mehr gibt: Inzwischen sind es sechs Lokalitäten unter seiner<br />

Obhut. „Und alle sind sehr Eintracht-affin.“ In einer sei auch Heribert Bruchhagen Stammgast. Ob im<br />

„Eisernen Hahn“, „Öfchen“, „Oberbayern“ oder bei der „Frau Rauscher“ in der Klappergass: Irgendwo<br />

dort ist Jürgen Vieth anzutreffen, hält mit seinen Gästen einen Plausch. Eine Eintracht-Mütze trägt der<br />

<strong>Seemann</strong> noch gerne – auch wenn es nicht mehr der Elbsegler mit der Kordel ist.

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