LGBB_012018_web
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Schöne<br />
Bücher<br />
REZENSIONEN<br />
– Von Josef Rabl –<br />
Wo soll man bei diesem 500-Seiten-Buch<br />
zu lesen anfangen?<br />
Vielleicht sollte man zuerst gar<br />
nicht lesen, sondern sich von<br />
der unendlichen Fülle von 770<br />
Bildern inspirieren lassen, von historischen Reliefdarstellungen,<br />
digitalen Rekonstruktionen, Detaildarstellungen,<br />
Plänen, Übersichtskarten, Frontispizen,<br />
Wandgemälden, Buchmalereien, Bildern<br />
von Handschriften und Archivdokumenten, Kupferstichen,<br />
Münzen, Zeichnungen, Modellen, Bildnissen,<br />
Büsten, Nachbildungen, Architekturansichten<br />
– und immer wieder die Statuengruppe<br />
des Laokoon und seiner Söhne, aus den unterschiedlichsten<br />
Perspektiven, in der Totale und im<br />
Detail und im Vergleich.<br />
Schon in den beiden Grußworten – von Sabine<br />
Kunst, der Präsidentin der HUB, und Johannes<br />
Helmrath, dem Sprecher des SFB Transformationen<br />
der Antike – fi ndet man nur Superlative: die<br />
Staue des Laokoon und seiner Söhne zähle zu den<br />
berühmtesten antiken Kunstwerken der Welt. Die<br />
Berühmtheit sei so groß, dass das Bildwerk quasi<br />
zu einem Sinnbild für die antike Bildhauerkunst<br />
geworden sei. Das Funddatum, der 12. Februar<br />
Laokoon. Auf der Suche nach einem<br />
Meisterwerk. Herausgegeben von<br />
Susanne Muth. Begleitbuch zu einer Ausstellung<br />
von Studierenden und Dozenten<br />
des Winckelmann-Instituts der Humboldt-<br />
Universität zu Berlin und des Sonderforschungsbereichs<br />
644 Transformationen der<br />
Antike. Verlag Marie Leidorf GmbH,<br />
Rahden/Westfalen 2017, 504 Seiten,<br />
ISBN-13: 978-3867570190, 39,80 €<br />
1506, gilt als Sternstunde der europäischen<br />
Kunst. Als einer der ersten eilte Michelangelo zum<br />
Fundort in der Nähe des Kolosseums. Papst Julius<br />
II. kaufte die Skulptur sofort, seither steht sie<br />
im Vatikan. Ihr Einfl uss auf die Kunstproduktion<br />
war ungeheuer: „Das Wirkungspotenzial lag sowohl<br />
in der verschlungenen Szenerie des grausamen<br />
Geschehens als vor allem in der Affektivität<br />
des Schmerzes. Das ließ sich auf Darstellungen<br />
Christi am Kreuz übertragen. Die Laokoonmanie<br />
drang schnell und dauerhaft in die DNS der europäischen<br />
Kunst ein, von Michelangelo über El<br />
Greco bis Fritz Mauthner und zahlreiche andere.<br />
Zeichnungen und Kopien aller Art und Größe ...<br />
befeuerten den Wettstreit um die rechte Ergänzung,<br />
in der es implizit um mehr ging. Es war das<br />
erste Mal, dass man eine Statue ergänzte” (S. 9).<br />
Nun ist der Laokoon in Berlin. Der „künftig die<br />
Maßstäbe setzende Katalog” dokumentiert die<br />
Ergebnisse intensiver Grundlagenforschung und<br />
„zeigt plastisch die Schichten und Phasen der<br />
Laokoondeutung qua Ergänzung und öffnet über<br />
die Transformationen, die Deutungen und Aneignungen<br />
bis in die Gegenwart dann auch einen<br />
wissenschaftlichen Zugang zum antiken Kunstwerk<br />
selbst. So werden grundsätzliche Fragen<br />
des antiken Entstehungskontexts, der Bildkonzeption,<br />
der Datierung und der Steinmetztechnik<br />
des Künstlertrios aus Rhodos neu diskutiert, die<br />
etwa die Bruchlinien der keineswegs, wie der von<br />
Plinius kolportierte Mythos wollte, aus einem<br />
Monolithen (ex uno lapide), sondern aus mindestens<br />
sieben Teilstücken zusammengefügten<br />
Statue genial kaschiert” (9).<br />
Susanne Muth, die Herausgeberin dieses Buches,<br />
konstatiert, dass die Wiederentdeckung des Laokoon<br />
1506 im Renaissance-zeitlichen Rom und<br />
ihre Überführung in den Belvedere-Palast des Antike-begeisterten<br />
Papstes Julius II. – im wahrsten<br />
Sinn zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort –<br />
einen einzigartigen Prozess der Aneignung und<br />
Transformation auf den Weg gebracht hat.<br />
„Wäre die Laokoongruppe zu einem em<br />
anderen Zeitpunkt, unter einem<br />
anderen Papst und in einem<br />
anderen kulturellen Klima wiederentdeckt<br />
worden – ihre Geschichte<br />
wäre zweifellos anders<br />
und sicherlich weniger triumphal<br />
verlaufen” (11).<br />
Die Klassische Archäologie habe<br />
sich seit einigen Jahrzehnten demonsautrativ<br />
von dem fokussierenden Blick die berühmten und zwischendurch als<br />
Meisterwerke anerkannten ,Kunstewerke’<br />
verabschiedet – und einen<br />
offeneren, historisch angemessene-eren<br />
Blick auf sämtliche überliefer-erten<br />
Objekte der materiellen Kultur<br />
der Antike gewählt, jenseits aller zu<br />
recht oder unrecht postulierten Be-<br />
wertungen künstlerischer Qualität. Mit<br />
dem Ausstellungstitel Laokoon – Auf der Suche<br />
nach einem Meisterwerk begebe man sich also<br />
auf eine problemorientierte Spurensuche. „Uns<br />
interessiert die Bewunderung des Laokoon nicht<br />
als akzeptiertes Phänomen, sondern vielmehr als<br />
historisch entstandener Prozess. Entsprechend<br />
wollen wir die Erfolgsgeschichte des als ,Meisterwerk’<br />
verstandenen Laokoon vor allem als eine<br />
Problemgeschichte beleuchten. Was macht ein<br />
Bildwerk der Antike überhaupt zu einem solch<br />
gefeierten ,Meisterwerk’? Was sind die konstitutiven<br />
Faktoren innerhalb dieser Geschichte, die<br />
dem Laokoon einen solchen Rang als ,Meisterwerk”<br />
zukommen ließen? Wie viel liegt in dem<br />
antiken Bildwerk wirklich begründet – und wo<br />
sind es von außen herangetragene Eigendynamiken,<br />
Zufälle, Missverständnisse? Wie viel Anteil<br />
an diesem Prozess hat überhaupt die Aneignung<br />
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<strong>LGBB</strong> 01 / 2018 · JAHRGANG LXII<br />
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