Regiearbeiten 1998 – 2007 Jens Dierkes-Kuper - Gräfin Tamara
Regiearbeiten 1998 – 2007 Jens Dierkes-Kuper - Gräfin Tamara
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Mit Jutta Lefmann als Grace Duncan steht und fällt das<br />
Stück. Als immer nur ansatzweise funktionierende Mut-<br />
ter, Ehefrau und Gastgeberin stöckelt sie geziert über die<br />
Bühne, kanzelt Freundinnen und Familie ab und übertönt<br />
stimmlich die Familienmitglieder, wann immer sie will. Als<br />
betrunkene Grace, die zum Schluss mit wirrem Haar und<br />
teilweise klarem Verstand die Zusammenhänge erahnt,<br />
jagt Jutta Lefmanns Ausdruckskraft den Zuschauern Schau-<br />
er über den Rücken. Henning Strübbe hat mit der Rol-<br />
le des Todd den Part dessen, der zwischen Familie und<br />
Realität steht. Er überwindet unmenschliche Grenzen auf<br />
seinem Weg in die persönliche Freiheit, die letztlich auch<br />
ihn in den Tod führt. Wann immer er agiert, beherrscht er<br />
durch seine überzeugende Mimik und Gestik Familienmit-<br />
glieder und Publikum: Henning Strübbe ist in seiner Rolle<br />
über alle Klischees hinausgewachsen, erzeugt Gänsehaut,<br />
Angst - und Begeisterung. Viele „Vorhänge“ und Standing<br />
Ovations gab es nach dieser Premiere. Das Pterodactylus-<br />
Erlebnis im Ibbenbürener Bürgerhaus gibt es noch öfter:<br />
heute Abend, am 24., 25. und 31. März sowie am 1., 6., 7.<br />
und 8. April.<br />
Ibbenbürener Volkszeitung, 25.März 2001<br />
Eine Steigerung des Schwarzen Humors<br />
Pterodaktylus vom Quasi So-Theater/<br />
Bitterböse und schaurig-schöne Theaterunterhaltung lb-<br />
benbüren. Schade eigentlich, dass es keine Steigerung zu<br />
,Schwarz‘ gibt. Gäbe es nämlich eine Farbe, die im Symbol-<br />
gehalt noch dunkler und böser ist, dann gäbe es auch eine<br />
Steigerung von ,Schwarzem Humor‘. Da es aber nun mal<br />
nur ein ,Schwarz‘ gibt, ist das neue Stück des Quasi So-<br />
Theaters eine extrem ,Schwarze Komödie‘. Am Mittwocha-<br />
bend feierte „Pterodaktylus - Auf Leben und Tod“ im Bür-<br />
gerhaus Premiere. Wie bei jedem Stück der faszinierenden<br />
Theatertruppe der Volkshochschule zog auch „Pterodakty-<br />
lus“ die Zuschauer schon in den ersten Minuten in seinen<br />
Bann. Schonungslos, brutal aber dennoch unterhaltend<br />
und schaurigschön: Dem derben Charme des Stückes von<br />
Nicky Silver konnte sich niemand entziehen. <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong><br />
hatte das „Familienhöllenfeuerwerk“ für das Ibbenbürener<br />
Publikum in Szene gesetzt. Er verzichtete dabei auf jegliche<br />
Requisite. Schonungslos wird der Blick des Zuschauers auf<br />
die Charaktere und ihre Realitätsfl uchten gelenkt. Diese<br />
Unmittelbarkeit zu Schauspielern und Story wird bei „Pte-<br />
rodaktylus“ noch verstärkt durch die ungewöhnliche aber<br />
wirkungsvolle Platzierung von Publikum und Mitwirkenden.<br />
Ist die Geschichte nun absurd oder traurig-schaurig-wahr?<br />
Im Bürgerhaus wurde ein spezieller Raum für das Stück<br />
geschaffen. Die Zuschauer sitzen direkt bei den Akteuren<br />
auf der Bühne. So bietet sich ihnen keine Gelegenheit,<br />
sich als Betrachter zu fühlen. Das Publikum wird direkt<br />
konfrontiert mit den: abnormen und gefühlskalten Hand-<br />
lungsträgern. Über drei Stunden zieht sich der sarkastische<br />
Epos von Aids, Tod, Gefühlskälte und Realitätsverdrängung<br />
hin. Doch diese Zeit vergeht bei „Pterodaktylus“ wie im<br />
Fluge. Die Mannen des Quasi So-Theaters haben einmal<br />
mehr eine mitreißende aber auch schockierende Inszenie-<br />
rung auf die Beine gestellt. Vor allem Henning Strübbe als<br />
aidskranker Todd Duncan zieht jeden mit einer atembe-<br />
raubenden Schauspielleistung in seinen Bann. Henriette<br />
Mudrack als Todds Schwester Emma überzeugt in der Rol-<br />
le der naiven, wirklichkeitsfl iehenden Tochter aus gutem<br />
Haus. Jutta Lefmann gibt eine faszinierende Verkörperung<br />
der alkoholkranken, oberfl ächlichen Mutter Grace Duncan.<br />
Ein überzeugender Michael Kneisel als Vater Arthur Dun-<br />
can vervollständigt das verkorkste Familienverhältnis: Als<br />
Bankchef ist ihm die Arbeit wichtiger als seine Familie, und<br />
nur zu seiner Tochter Emma pfl egt er eine Liebe, die star-<br />
ke Züge von Kindesmissbrauch trägt.<br />
Last but not least: Peter Tombrink als Verlobter Tommy<br />
von Töchterchen Emma. Er ist als Kind im Waisenhaus von<br />
Priestern missbraucht worden, wird von Todd verführt und<br />
erkennt so seine homosexuellen Neigungen. Als Emma ih-<br />
ren Bruder und Tommy kurz vor der Hochzeit in fl agranti<br />
erwischt, begeht sie Selbstmord - mit der Pistole, die ihr<br />
Todd als Hochzeitsgeschenk gegeben hat. Und was heißt<br />
nun Pterodaktylus? Pterodaktylen waren Flugsaurier. Todd<br />
fi ndet im Garten das Skelett eines Sauriers (allerdings<br />
ein Tyrannosaurus Rex) und philosophiert über die Grün-<br />
de ihres Aussterbens. Es könnte an der Kälte der Eiszeit<br />
gelegen haben. Hat diese Gefühlskälte und die Unfähig-<br />
keit, die Wahrheit zu akzeptieren, auch zum Aussterben<br />
der Duncans geführt? „Pterodaktylus“ sollte sich auf jeden<br />
Fall niemand entgehen lassen: Unverblümt, offen und fern<br />
ab jeglicher Konventionen räumt das Quasi So-Theater auf<br />
mit oberfächlicher Lala-Unterhaltung, die vor Tabuthemen<br />
zurückschreckt. Eine super Performance!<br />
Westfälische Nachrichten, 23. März 2001