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3<br />

Helga Pfoertner<br />

Mahnmale, Gedenkstätten, Erinnerungsorte<br />

für die Opfer des Nationalsozialismus in München<br />

1933-1945<br />

Mit der Geschichte leben<br />

Band 2, I bis P<br />

Literareon im Herbert Utz Verlag<br />

München


Titelbild: Denkmal am Platz der Opfer des Nationalsozialismus<br />

Foto: Hubert Engelbrecht<br />

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der<br />

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische<br />

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch<br />

begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des<br />

Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Wiedergabe<br />

auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung<br />

in Datenverarbeitungsanlagen bleiben – auch bei nur<br />

auszugsweiser Verwendung – vorbehalten.<br />

Lektorat: Stefanie Siebers-Gfaller<br />

Satz und Layout: Herbert Utz<br />

ISBN 3-8316-1025-8<br />

© 2003 · Helga Pfoertner<br />

Herstellung: Books on Demand GmbH<br />

Literareon im Herbert Utz Verlag GmbH · München<br />

Tel. 089-307796-93 · www.literareon.de<br />

4


Mahnmale, Gedenkstätten, Erinnerungsorte für die<br />

Opfer des Nationalsozialismus in München<br />

1933–1945<br />

Mit der Geschichte leben<br />

Vorbemerkung<br />

Zur Trauerkultur der alten Römer gehörte, dass sie ihre Gräber am Rande großer Straßen<br />

anlegten, die die Reisenden zu verweilen gemahnten.<br />

Geschichte ist nicht nur vergangene Wirklichkeit, sondern auch das Bild, das wir uns von<br />

ihr machen. Dieses Bild entsteht in Auseinandersetzungen und Deutungsangeboten, die<br />

durch die Medien verbreitet werden. Gedenken ist öffentlich gestaltete Erinnerung. Um<br />

das kollektive Gedächtnis einer Gesellschaft aktiv zu halten und ihre Geschichte zu vermitteln,<br />

sind öffentliche Orte der Erinnerung wie Museen, Gedenkstätten, Denkmäler und<br />

Mahnmale notwendig. Denkmale regen beim Betrachter Fragen an, halten die Erinnerung<br />

wach und fördern die mentale Auseinandersetzung mit der Geschichte.<br />

Öffentliche Erinnerung ist Bestandteil der politischen Kultur. Dazu bedarf es neben Gedenkstätten<br />

am authentischen Ort ebenso Mahnmale und Denkmäler, die uns inmitten unseres<br />

Alltages begleiten und dazu auffordern: aus der Geschichte zu lernen und an die Fehler<br />

der Vergangenheit zu denken, die uns immer wieder einholen können, wenn wir uns<br />

ihnen nicht stellen und sie leugnen.<br />

Avi Primor, Vizepräsident der Universität von Tel Aviv, schloss „Die Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung“<br />

am 6. Februar in der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität mit<br />

den Worten: „Heute sollte die Lehre aus dem Widerstand der ,Weißen Rose‘ lauten: Erinnerung<br />

ist das Geheimnis der Erlösung.“ 1<br />

Diese Dokumentation gibt einen Überblick über die bisher geschaffenen Mahnmale, Gedenkstätten<br />

und Erinnerungsorte für der Opfer des Nationalsozialismus in München. Zugleich<br />

dient sie als Nachschlagewerk. Das in drei Bände aufgeteilte Informationsmaterial<br />

ist alphabetisch geordnet: Band 1: Buchstaben A bis H; Band 2: Buchstaben I bis P; Band<br />

3: Buchstaben Q bis Z.<br />

1 SZ Nr. 31 vom 7. 2. 2001: 17<br />

5


Den Anstoß zur Errichtung einer Gedenktafel oder eines Denkmales gaben meistens Bürgerinitiativen;<br />

dazu kamen Anträge von den Fraktionen der Münchner Stadtverwaltung<br />

und der Bayerischen Staatsregierung. Die Landeshauptstadt München leistete dazu im<br />

Hinblick auf Planung und Errichtung einen großen Beitrag.<br />

Das Buch kann als thematischer Stadtführer genutzt werden, da die Erreichbarkeit jedes<br />

Erinnerungsortes mit öffentlichen Verkehrsmitteln erklärt ist. Anlass und Entstehung der<br />

Erinnerungsorte, von der Initiative bis zur offiziellen Übergabe, kommen zur Sprache. Informationen<br />

über den Künstler werden gegeben, ebenso Äußerungen zu seinen Intentionen,<br />

die dem Betrachter einen Zugang zur Mahnmal-Kunst weisen. Spezielle Literaturhinweise<br />

folgen jedem Abschnitt. Der Biografie des Opfers misst diese Dokumentation einen<br />

besonderen Stellenwert bei. Politische, religiöse und weltanschauliche Motive von Widerstandskämpfern<br />

werden dargestellt und zeigen, dass der Mensch nicht unbegrenzt beeinflußbar<br />

ist. Das Ziel war, zu der betreffenden Einrichtung ein Textlesebuch zu schaffen,<br />

das sich in den Kontext der ortsgebundenen wie der allgemeinen Zeitgeschichte einfügt.<br />

Es gilt, diese Denkmäler in einen kollektiven Erinnerungsprozess einzubinden, in dem sie<br />

heute und in Zukunft als zusätzliches Medium der Geschichte genutzt werden können.<br />

Dank<br />

Am Anfang soll die Hilfe und das Entgegenkommen des Münchner Städtischen Baureferates,<br />

Hochbau I, von Herrn Baudirektor Hans Senninger gewürdigt werden. Seit kurzem<br />

wird diese Abteilung von Herrn Diplomingenieur Walter Sesemann betreut, auch ihm sei<br />

für die Hilfe gedankt.<br />

Weiterer Dank geht an die Mitarbeiter des Städtischen Bestattungsamtes, des Stadtarchivs<br />

München, der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, des<br />

Bayerischen Hauptstaatsarchivs, des Instituts für Zeitgeschichte München, der Bayerischen<br />

Staatskanzlei, der Max-Planck-Gesellschaft München und der KZ-Gedenkstätte<br />

Dachau. Dankbar erwähnen möchte ich noch Herrn Forstdirektor Gerhard Stinglwagner,<br />

Frau Dr. Marie-Luise Schultze-Jahn und Herrn Rechtsanwalt Dr. Otto Gritschneder, die<br />

für diese Dokumentation ihre privaten Photoarchive öffneten. Besonders zu würdigen ist<br />

die fotografische Leistung von Herrn Andreas Olsen, München. Mit Dank erwähnt werden<br />

müssen die Zitate der Mahnmal-Künstler, in denen sie ihre Werke erklären.<br />

Dem Herbert Utz Verlag danke ich für die Bereitschaft, diese Dokumentation zu verlegen.<br />

Ein ganz besonderes Dankeschön richte ich an meinen Mann, Herrn Dr. Hubert Engelbrecht,<br />

der mit grosser Hilfsbereitschaft, Gelassenheit und Geduld meine Arbeit während<br />

der ganzen Zeit begleitet hat.<br />

6


Dieses Werk ist Herrn Andreas Olsen (*1955 †2001) gewidmet, der durch seine fotografische<br />

Arbeit sehr zum Gelingen dieses Werkes beigetragen hat.<br />

München, im Februar 2003 Helga Pfoertner<br />

Archiv-Verzeichnis<br />

Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem (Bildnachweis)<br />

Archivum Monacense Societatis Jesu, München (Bildnachweis)<br />

argum / C. Lehsten, München (Bildnachweis)<br />

Baureferat Hochbau I, Landeshauptstadt München<br />

Baureferat Hochbau, Gestaltung öffentlicher Raum, Landeshauptstadt München<br />

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München<br />

Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, München<br />

Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte, Phillips Universität Marburg,<br />

Bildarchiv Marburg (Bildnachweis)<br />

Deutsches Theatermuseum München (Bildnachweis)<br />

Dokumentations- und Informationszentrum München, Süddeutscher Verlag, Bilderdienst,<br />

München (Bildnachweis)<br />

Dr. Otto Gritschneder, München (Bildnachweis)<br />

Ida Seele Archiv Dillingen (Bildnachweis)<br />

Institut für Zeitgeschichte München (Bildnachweis)<br />

Israelitische Kultusgemeinde München<br />

Käthe-Kollwitz-Archiv der Berliner Akademie der Künste (Bildnachweis)<br />

Wolfram Kastner, München (Bildnachweis)<br />

Kriegsarchiv München<br />

KZ-Gedenkstätte Dachau (Bildnachweis)<br />

Marktarchiv Murnau<br />

Monacensia-Abteilung der Stadtbücherei München<br />

Dr. Marie-Luise Schultze-Jahn, Bad-Tölz (Bildnachweis)<br />

Staatsarchiv München<br />

Stadtarchiv München (Bildnachweis)<br />

Städtisches Bestattungsamt München<br />

Stadtmuseum München (Bildnachweis)<br />

Gerhard K. Stinglwagner, München (Bildnachweis)<br />

7


Abkürzungen<br />

AMSJ Archivum Monacense Societatis Jesu<br />

BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv<br />

BayStA Bayerisches Staatsarchiv<br />

BPP Bayerische Politische Polizei<br />

BZA Bezirksausschuss<br />

BDM Bund Deutscher Mädchen<br />

DAW Deutsche Ausrüstungswerke<br />

DGB Deutscher Gewerkschaftsbund<br />

DP Displaced Persons<br />

FAB Freiheitsaktion Bayern<br />

FB Freistaat Bayern (Bayerische Staatsregierung)<br />

Gestapo Geheime Staatspolizei<br />

GSI Geschwister-Scholl-Institut<br />

HJ Hitlerjugend<br />

HStAM Bayerisches Hauptstaatsarchiv München<br />

IfZ Institut für Zeitgeschichte<br />

IfZ-Archiv Archiv des Instituts für Zeitgeschichte<br />

IKG Israelitische Kultusgemeinde<br />

Kapo Arbeitskommandoführer im KZ, der selbst Häftling war<br />

KKV Vereinigung der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung<br />

KL Konzentrationslager<br />

KM Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus<br />

KPD Kommunistische Partei Deutschlands<br />

KWG Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft<br />

KZ Konzentrationslager<br />

LMU Ludwig-Maximilians-Universität München<br />

MBM Miscellanea Bavarica Monacensia<br />

M Landeshauptstadt München<br />

MM Münchner Merkur<br />

MNN Münchner Neueste Nachrichten<br />

MPG Max-Planck-Gesellschaft<br />

MPG-Archiv Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft<br />

MPZ Museums-Pädagogisches Zentrum<br />

MSPD Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands<br />

NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei<br />

OKW Oberkommando der Wehrmacht<br />

OT Organisation Todt<br />

8


RSHA Reichsicherheitshauptamt<br />

SA Sturmabteilung (der NSDAP)<br />

SD Sicherheitsdienst<br />

Sipo Sicherheitspolizei<br />

SJ Societas Jesu<br />

SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands<br />

SS Schutzstaffel (der NSDAP; auch polizeiliches Kfz-Kennzeichen der SS)<br />

StadtA Mü Stadtarchiv München<br />

SV Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen<br />

TU Technische Universität München<br />

USPD Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands<br />

VfZ Vierteljahresheft für Zeitgeschichte<br />

VGH Volksgerichtshof<br />

VVN Vereinigung Verfolgter des Naziregimes e. V.<br />

ZA Zeitungsartikel<br />

9


Inhaltsverzeichnis<br />

Israelitischer Friedhof – Alt 12<br />

Israelitischer Friedhof – Neu 18<br />

Israelitisches Kranken- und Schwesternheim 25<br />

Judendeportation 29<br />

Judenpogrom von 1938 42<br />

Jüdisches Deportationslager Milbertshofen 48<br />

Jüdisches Kinderheim 56<br />

Jüdisches Museum München 62<br />

Jüdische Rechtsanwälte 68<br />

„Jüdisches Sammellager“ Berg am Laim 79<br />

Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim 84<br />

Dr. phil Erich Kästner 92<br />

Kalter Haus, Tal 19 103<br />

Paul Klee 107<br />

Walter Klingenbeck 115<br />

Waldemar von Knoeringen 120<br />

Prof. Dr. Lothar König SJ 131<br />

Annette Kolb 134<br />

Prof. Dr. Käthe Kollwitz 144<br />

Kriegsgefangene 154<br />

KZ Ehrenhain I 157<br />

KZ Ehrenhain II 160<br />

Hans Leipelt 166<br />

10


Karl Leisner Seliger Neupriester 173<br />

Freiherr Ludwig von Leonrod 181<br />

Prof. Dr. h. c. James Loeb 185<br />

Luftkriegsopfer – Neuhofener Schuttberg 192<br />

Luftkriegsopfer – Schwabinger Schuttberg 196<br />

Luftkriegsopfer – Ehrenhain 198<br />

Luftkriegsopfer – Olympiapark 200<br />

Heinrich Mann 202<br />

Thomas Mann 210<br />

Pater Rupert Mayer Seliger SJ 222<br />

Prof. Dr. Lise Meitner 234<br />

Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim 242<br />

Helmuth James Graf von Moltke 251<br />

Dr. oec. publ. Emil Muhler 257<br />

Prof. Dr. jur. Karl Neumeyer 261<br />

Wilhelm Olschewski, Willy Olschewski jun., Otto Binder 268<br />

Wilhelm Freiherr von Pechmann 272<br />

Toni Pfülf 280<br />

Platz der Freiheit 287<br />

Platz der Opfer des Nationalsozialismus 290<br />

Politische Opfer 293<br />

Polnische Kriegsopfer 296<br />

Presse 298<br />

Hermann Christoph Armando Probst 303<br />

11


12<br />

Israelitischer Friedhof – Alt<br />

„Kurz war Dein Leben, zählt man es nach Stunden, doch hast Du Freud und Leid so<br />

tief empfunden, dass reichlich Dir Dein Dasein ward bemessen. Der Zauber Deiner<br />

Seele zog jeden hin, dass der Dich lieben mußt` und wer Dich kannte,<br />

wird Dich nie vergessen.“<br />

Grabinschrift für Blanche Heilbronner (1880–1906)<br />

auf dem Alten Israelitischen Friedhof. 2<br />

Grabmal von Dr. Gustav Böhm auf dem<br />

Alten Israelitischen Friedhof<br />

Foto: A. Olsen<br />

Grabmal von Dr. Gustav Böhm auf dem<br />

Alten Israelitischen Friedhof<br />

Foto: A. Olsen


Israelitischer Friedhof – Alt<br />

Thalkirchner Straße 240, Thalkirchen<br />

Brudermühlstraße U3<br />

Eintritt nur nach Vereinbarung mit der Volkshochschule (VHS) München.<br />

Grabmal von Max Luber auf dem<br />

Alten Israelitischen Friedhof<br />

Foto: A. Olsen<br />

Namensinschrift auf dem Grabmal von Erwin Kahn<br />

(Alter Israelitischer Friedhof)<br />

Foto: A. Olsen<br />

2 Schubsky, Karl W. (1988): Jüdische Friedhöfe. In: Selig, Wolfram (Hrsg.) (1988): Synagogen und jüdische<br />

Friedhöfe: 173<br />

13


GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Der Friedhof wurde 1816 weit außerhalb der Stadt „eine Viertelstunde westwärts vom allgemeinen<br />

Gottesacker (Südfriedhof)“ 3 angelegt. Die Anlage umfasst 2,27 Hektar. Im Jahre<br />

1818 lebten in München 479 Juden und nach weiterem Zuwachs stieg die Zahl bis zum<br />

Jahre 1880 auf 4144 an. Aus diesem Grunde war ein Vergrößerung der Friedhofsanlage<br />

erforderlich. Nach Erweiterungen in den Jahren 1854, 1871 und 1881 diente sie bis heute<br />

als Begräbnisort, an dem sich circa 6000 Gräber befinden. Umgeben ist die Anlage von<br />

einer 2,5 Meter hohen, roten Ziegelsteinmauer.<br />

Der jüdische Friedhof ist eine „Stätte der Gräber“, „Stätte der Ewigkeit“, „Haus der Ewigkeit“<br />

(letzteres bedeutet im Hebräischen Friedhof). Hier findet die Beisetzung der Verstorbenen<br />

in geweihter Erde statt, mit der Bedeutung, dass ihnen dieser Ort bis in alle „Ewigkeit“<br />

gehört, das Grab kann nicht aufgelassen werden. Der nach Osten gerichtete Grabstein<br />

wird am Jahrestag des Todes aufgestellt. Besucher legen dort Steine ab; ein Brauch,<br />

der auf die Wanderung des Volkes Israel durch die Wüste zurückgeht; man bedeckte die<br />

Gräber mit Steinen, um sie zu befestigen und vor wilden Tieren zu schützen. Der Verstorbene<br />

wird 24 Stunden nach seinem Tod begraben. Die Vorbereitungen dazu finden in einem<br />

Friedhofshaus (Tahara-Haus) statt. Bei der Bestattung sprechen zehn religionsmündige<br />

Männer das jüdische Totengebet, das Kaddisch. Aus der Pflege und Anlage der Gräber<br />

darf niemand verdienen, deshalb erscheinen die jüdischen Friedhöfe im Vergleich zu<br />

den christlichen schmucklos. 4<br />

Grabmäler prominenter Personen, errichtet und entworfen von bedeutenden Münchner<br />

Künstlern, wie von dem Architekten Friedrich von Thiersch und dem Bildhauer Wilhelm<br />

von Ruemann, belegen das friedliche Zusammenleben von Juden und Christen in München.<br />

I. Gedenkstätten<br />

Grabstätten, der im Konzentrationslager Dachau Ermordeten:<br />

Böhm, Gustav Dr. jur., Rechtsanwalt, 58 Jahre<br />

*6.11.1880 Mannheim †12.11.1938 KZ Dachau<br />

Grabmal: B 33/2/3<br />

Kanzlei am Promenadeplatz. Letzte Wohnung: Schubertstraße 2. 5<br />

3 Selig, Wolfram (Hrsg.) (1988): Synagogen und jüdische Friedhöfe in München: 161<br />

4 Schmid-Goetz, Irmtraud (1997): Der jüdische Friedhof Weissensee. In: Gedenkstättenpädagogik: 81f<br />

5 StadtAM Kennkartenantrag Dr. Gustav Böhm. KZ-Gedenkstätte Dachau, Archiv, Totenbuch. In: Heusler,<br />

A. / Weger, T. (1998): „Kristallnacht“: 130<br />

14


Nach der Pogromnacht am 9./10. November 1938 wurde Dr. Gustav Böhm in das KZ<br />

Dachau verschleppt, wo er Suizid beging.<br />

Feust, Karl Dr. jur., Rechtsanwalt, 51 Jahre, B 25/4/4<br />

*1.5.1887 München †25.11.1938 KZ Dachau<br />

Grabmal: B 25/4/4<br />

Verheiratet mit Fanny (geb. Sulzbacher) *1900; sie emigrierte mit ihren drei Kindern 1939<br />

nach Großbritannien.<br />

Letzte Wohnung: Widenmayerstraße 14. 6<br />

Dr. Julius Feust war Vorstandsmitglied der Religionsgemeinschaft Ohel Jakob und Mitglied<br />

der Gemeindevertretung der IKG. Nach dem Pogrom in der „Reichskristallnacht“<br />

verschleppte man Dr. Feust in das KZ Dachau. Wie der Mithäftling Werner J. Cahnmann<br />

berichtete, sei Dr. Feust dort nachts von den Kapos ins Freie geschleppt und „mit Eimern<br />

eiskalten Wassers begossen“ worden. Er starb an den Folgen der Misshandlung. 7<br />

Haas, Bernhard, Rechtsanwalt, 37 Jahre<br />

*25.11.1871 Thalmässing †28.11.1938 KZ Dachau<br />

Grabmal: B 30/1/10<br />

Verheiratet mit Viktoria (geb. Ziegler), seit 1902 in München ansässig. Letzte Wohnung:<br />

Sandstraße 1.<br />

Gutsbesitzer, Immobilienhändler und Inhaber eines Handels mit Autoölen und Fetten. 8<br />

Kahn, Erwin, Rechtsanwalt, 31 Jahre<br />

*? †16.4.1933 KZ Dachau<br />

Grabmal: B 35/12/15<br />

Erwin Kahn war einer der Dachauer KZ-Häftlinge, der einen Tag nach der Übernahme<br />

durch die SS ermordet werden sollte. 9 Zusammen mit vier Häftlingen brachte man ihn in<br />

einen nahegelegenen Wald. Das Wachpersonal schoss auf die Häftlinge mit Maschinenpistolen;<br />

Erwin Kahn, schwer verletzt von fünf Einschüssen überlebte wenige Tage in einer<br />

Münchner Klinik. Er hatte noch die Kraft, über die Geschehnisse vom 12. April 1933<br />

zu berichten. 10<br />

6 StadtAM Kennkartenantrag Dr. Karl Feust. In: Heusler, A. / Weger, T. (1998): 131<br />

7 KZ-Gedenkstätte Dachau, Archiv, Maschinenschriftlicher Bericht von Werner J. Cahnmann, S. 3. In<br />

Heusler, Andreas / Weger, Tobias (1998): „Kristallnacht“: 131–132<br />

8 Heusler, A. / Weger, T. (1998): „Kristallnacht“: 132<br />

9 Distel, Barbara / Benz, Wolfgang (1994): Das Konzentrationslager Dachau 1933–1945: 51<br />

10 Large, David Clay (1998): Hitlers München: 306–307<br />

15


Luber, Max, Rechtsanwalt, 70 Jahre<br />

*25.1.1869 †30.11.939 KZ Dachau<br />

Grabmal: B 34/3/2<br />

Neustätter, Albert, Rechtsanwalt, 64 Jahre<br />

*5.2.1874 München †24.11.1938 KZ Dachau<br />

Grabmal: 17a/3/10<br />

Ehefrau Anna, geb. Hochfeld (*1876 †1935). Letzte Wohnung: Friedrich-Herschel-Straße 21<br />

Kaufmann, Inhaber einer Papierfabrikation, Landwehrstraße 60. 11<br />

Strauß, Alfred, Dr. jur. Rechtsanwalt, 31 Jahre<br />

*30.8.1902 München †25.5.1933 KZ Dachau<br />

Grabmal: B 14/15/2<br />

Dr. jur. Alfred Strauß war seit 1928 als Rechtsanwalt in München tätig.<br />

Kurz nach Eröffnung des Konzentrationslagers Dachau wurden die dort inhaftierten jüdischen<br />

Rechtsanwälte Erwin Kahn am 16. April 1933 und Dr. Alfred Strauß am 25. Mai<br />

1933 ermordet. Über Dr. Alfred Strauß existieren staatsanwaltliche Untersuchungen von<br />

Oberstaatsanwalt Dr. Winterberger. 12 Dieser erhebt Anklage gegen den SS-Mann und<br />

KZ-Aufseher Johann Kantschuster wegen Mordes an Rechtsanwalt Dr. Alfred Strauß.<br />

Nach Angaben des SS-Mannes hatte sich Dr. Strauß als Schutzhaftgefangener im KZ<br />

Dachau auf einem vom Lagerarzt verordneten Spaziergang außerhalb des Lagers befunden,<br />

als er von ihm selbst durch zwei Schüsse getötet wurde. 13<br />

Literatur<br />

Belošickaja, L’uba (2000): In: Werner, Constance: Kiew – München – Kiew: 30<br />

Brenner, Michael (2000): Jüdische Kultur in der Weimarer Republik. Verlag C. H. Beck, München<br />

Gedenkstättenpädagogik (1997): Handbuch für Unterricht und Exkursion. Hrsg. v. Museums-Pädagogischen<br />

Zentrum München und Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung, Dillingen. Löwen Druck,<br />

München<br />

Geschichte und Kultur der Juden in Bayern (1988): Siehe der Stein schreit aus der Mauer. Katalog zur Ausstellung<br />

des Hauses der Bayerischen Geschichte im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Tümmels<br />

Buchdruckerei, Nürnberg<br />

Geschichte und Kultur der Juden in Bayern (1988): Lebensläufe. Hrsg. v. Manfred Treml und Wolfgang Weigand<br />

unter Mitarbeit von Eyamaria Brockhoff. München<br />

11 StadtAM Kennkartenantrag, KZ-Gedenkstätte Dachau, Archiv, Totenbuch. In: Heusler, A. / Weger, T.<br />

(1998): „Kristallnacht“: 131<br />

12 Lamm, Hans (1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München: 432<br />

13 Lamm, Hans (1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in Bayern: 432<br />

16


Göppinger, Horst (1990): Juristen jüdischer Abstammung im „Dritten Reich“. Entrechtung und Verfolgung.<br />

München.<br />

Heinrichs, Helmut et al. (Hrsg.): (1993): Deutsche Juristen jüdischer Herkunft. München.<br />

Heusler, Andreas / Weger, Tobias (1998): „Kristallnacht“. Gewalt gegen die Münchner Juden im November<br />

1938. Stadtarchiv München (Hrsg.). Buchendorfer Verlag, München.<br />

Lamm, Hans (Hrsg.) (1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München. Langen Müller Verlag, München,<br />

Wien<br />

Large, David Clay (1998): Hitlers München. Aufstieg und Fall der Hauptstadt der Bewegung. C. H. Beck Verlag,<br />

München<br />

Meyer, Michael A. / Brenner, Michael (Hrsg.) (1997): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Hrsg. i.<br />

Auftrag d. Leo Baeck Instituts. 4 Bände. C. H. Beck Verlag, München<br />

Schmid-Goetz, Irmtraud (1997): Der jüdische Friedhof Weissensee. In: Gedenkstättenpädagogik (1997):<br />

Handbuch für Unterricht und Exkursion: 81f<br />

Schubsky, Karl W. (1988): Jüdische Friedhöfe. In: Selig, Wolfram (Hrsg.) (1988): Synagogen und jüdische<br />

Friedhöfe in München. Aries Verlag, München<br />

Selig, Wolfram (Hrsg.) (1988): Synagogen und jüdische Friedhöfe in München. Aries Verlag, München<br />

Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg. Jude und Demokrat. Erinnerungen eines Münchener Rechtsanwalts<br />

1883–1939. Oldenburg Verlag, München<br />

Werner, Constance (2000): Kiew – München – Kiew. Schicksale ukrainischer Zwangsarbeiter. Hrsg. v. Kulturreferat<br />

der Landeshauptstadt München in Zusammenarbeit mit dem Verein Projekt Erinnerung e. V.,<br />

Buchendorfer Verlag, München<br />

17


18<br />

Israelitischer Friedhof – Neu<br />

„Siehe der Stein schreit aus der Mauer.“<br />

Titel einer Ausstellung über die Geschichte und Kultur der Juden in Bayern, konzipiert<br />

vom Haus der Bayerischen Geschichte. 14<br />

Grabmal auf dem Neuen Israelitischen Friedhof<br />

Foto: A. Olsen<br />

Mahnmal auf dem Neuen Israelitischen<br />

Friedhof<br />

Foto: A. Olsen


Israelitischer Friedhof – Neu<br />

Garchinger Straße 37<br />

Studentenstadt U6<br />

Öffnungszeiten: November bis März: Montag – Donnerstag 8–16 Uhr, Freitag 8–15 Uhr<br />

April bis Oktober: Montag – Donnerstag 8–17 Uhr, Freitag 8–16 Uhr. Samstag und an jüdischen<br />

Feiertagen geschlossen.<br />

I. Mahnmal<br />

M (1946)<br />

II. Gräber der NS-Opfer<br />

SV (1946)<br />

SV (1952)<br />

III. Renovierung des Friedhofes<br />

M (1989)<br />

Zu I. Mahnmal<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Auf Initiative der Landeshauptstadt München wurde im Neuen Israelitischen Friedhof ein<br />

Gedenkstein für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus aufgestellt. Die Einweihung<br />

des Denkmals fand am 9. November 1946 unter der Teilnahme des Münchner Oberbürgermeisters<br />

Karl Scharnagl statt. Unter den Gästen waren auch der Staatskommissar Dr.<br />

Auerbach, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Dr. Julius Spanier, der Oberrabbiner<br />

Dr. Ohrenstein sowie Vertreter der Militärregierung, der Staatsregierung und der<br />

Landeshauptstadt München.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Neben der Friedhofshalle steht auf einem flachen quadratischen Sockel ein ungefähr vier<br />

Meter hoher Obelisk aus Sandsteinblöcken, der an den Kanten von schmalen Säulen um-<br />

14 Diese wurde im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg vom 25. Oktober 1988 bis 22. Januar 1989<br />

gezeigt.<br />

19


geben und von einer flachen Feuerschale gekrönt ist. Die Inschrift in hebräischer und lateinischer<br />

Schrift lautet:<br />

„Den Opfern der schweren Verfolgungszeit 1933–1945 zum Andenken.“<br />

Zu II. Gräber der NS-Opfer<br />

Deutsch, Erwin (siehe Band 1: S. 53–54).<br />

Grabmal: 20<br />

Engelberg, Nechmias<br />

Grabmal: 12<br />

*10.1.1857 Sieniawa †10.11.1942 Theresienstadt<br />

Eschen, Heinz (siehe Band 1: S. 93–95).<br />

Grabmal: 18/11/18<br />

Klar, Max, Dr. med. Orthopäde und Chirurg<br />

*20.12.1875 Weimar †30.11.1938 KZ Dachau<br />

Grabmal 6/6/2<br />

Der Orthopäde und Chirurg Dr. med. Max Klar führte in den Jahren von 1935 bis 1938<br />

eine Praxis in der Hermann-Ling-Straße 18; seine letzte Wohnung befand sich in der Juttastraße<br />

24. Verheiratet war er mit Sylvia, geb. Adlerstein, Tochter des Justizrates, geboren<br />

1885, gestorben am 9. Juni 1942 im KZ Ravensbrück. 15<br />

Die Familie Klar stellte im Juli 1933 ihre Münchner Wohnung dem SPD-Politiker und<br />

späteren bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner (siehe Band 1: Hoegner) als<br />

Versteck zur Verfügung und ermöglichte ihm mit ihrem PKW die Flucht aus Deutschland.<br />

16<br />

Männlein, Simon<br />

*29.3.1871 Dormitz (Kreis Forchheim) †1.12.1938 KZ Dachau<br />

Grabmal 5/2/15<br />

Versicherungsinspektor a. D., letzte Wohnung: Gedonstraße 6. 17<br />

15 StadtAM Kennkartenantrag Dr. Max Klar. – Gedenkstätte Dachau, Archiv, Totenbuch Dachau. In: Heusler,<br />

A. / Weger, T. (1998): „Kristallnacht“: 132<br />

16 Hoegner, Wilhelm (1959): Der schwierige Außenseiter: 120–121<br />

20


Mendle, Max<br />

*10.8.1873 Fischach (Kreis Augsburg) †30.11.1938 KZ Dachau<br />

Grabmal: 6/2/13<br />

Kaufmännischer Direktor, letzte Wohnung: Bauerstraße 9, verheiratet mit Marie, geb.<br />

Held (*1881 †25.11.1941 in Kaunas). 18<br />

Mendle, Marie<br />

*12.1.1881, deportiert nach Riga 1941<br />

Regensburger, Max, Dr. med., Kinderarzt<br />

*1.2.1871 Feuchtwangen †24.11.1938 KZ Dachau<br />

Grabmal: 9/8/10<br />

Approbation 1896, Sanitätsrat, bis 1938 Praxis in der Kaiserstraße 50, verheiratet mit Elise,<br />

geb. Kohn (*1875), Suizid am 14.4.1939. 19<br />

Schreiber, Adolf<br />

*4. 4.1877 Wien †2.12.1938 KZ Dachau<br />

Grabmal: 6/2/9<br />

Kaufmann, letzte Wohnung: Fraunhoferstraße 9, ledig. 20<br />

Wien, Ferdinand van<br />

*17.12.1872 Winschoten (Niederlande) †14.11.1938 KZ Dachau<br />

Grabmal: 18/15/9<br />

Kaufmann, Inhaber der Tuchhandlung Gebrüder van Wien (Prielmayerstraße 20), seit<br />

1905 in München, letzte Wohnung: Herzog-Heinrich-Straße 22, verheiratet mit Mathilde,<br />

geb. Ambrunn (*1886, Emigration am 26. September 1939 in die USA). 21<br />

17 StadtAM Kennkartenantrag Simon Männlein. – Gedenkstätte Dachau, Archiv, Totenbuch Dachau. In:<br />

Heusler, A. / Weger, T. (1998): „Kristallnacht“: 132<br />

18 StadtAM Kennkartenantrag Max Mendle. – Gedenkstätte Dachau, Archiv, Totenbuch Dachau. In: Heusler,<br />

A. / Weger, T. (1998): „Kristallnacht“: 132<br />

19 StadtAM, Kennkartenantrag. – Gedenkstätte Dachau, Archiv, Totenbuch Dachau. In: Heusler, A. /<br />

Weger, T. (1998): „Kristallnacht“: 131<br />

20 Gedenkstätte Dachau, Archiv, Totenbuch Dachau. In: Heusler, A. / Weger, T. (1998): „Kristallnacht“: 132<br />

21 Gedenkstätte Dachau, Archiv, Totenbuch Dachau. In: Heusler, A. / Weger, T. (1998): 131<br />

21


Weitere Grabinschriften erinnern an Opfer des Holocaust:<br />

„Zum Gedenken an die Eltern und Geschwister, vernichtet in Treblinka 1942.“<br />

„Durch die Shoah ausgelöscht.“<br />

„... Auch für die Eltern und Großeltern, die kein Grab haben ...“<br />

„... Zum Gedächtnis an ihren Gatten und Sohn, verschleppt und im KZ umgekommen ...“<br />

... Unsere innigst geliebten Eltern und Geschwister in den dunklen Jahren des Faschismus<br />

in Auschwitz ermordet ... 22<br />

Zu III. Renovierung des Friedhofes<br />

M (1989)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Nach einem Stadtratsbeschluss vom Juli 1985 wurde die Renovierung im Jahre 1989 begonnen.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Der Architekt Hans Grässl errichtete den neuen Israelitischen Friedhof in den Jahren 1905<br />

bis 1907. Diese Anlage, umgeben von einer hohen Steinmauer, konzipierte er für einen<br />

Zeitraum von 100 Jahren und für ungefähr 16000 Gräber – und schuf damit einen seiner<br />

schönsten Friedhöfe. Von ihm stammen auch die Anlagen des Nord-, West- und Waldfriedhofs<br />

sowie die Friedhofshalle am Ostfriedhof.<br />

Dieser Friedhof kann als historisches Symbol für die Gemeinsamkeit jüdischer und christlicher<br />

Religion in München betrachtet werden. Viele Gräber erinnern an bedeutende Persönlichkeiten.<br />

Den Gefallenen des Ersten Weltkrieges ist ein Denkmal und ein Ehrenmal<br />

gewidmet.<br />

NS-ZEIT<br />

An die zahlreichen Schicksale und Opfer der NS-Zeit erinnern außer dem großen Denkmal<br />

zahlreiche Grabmale. Erinnert werden soll aber auch an das christliche Ehepaar Karl<br />

und Katharina Schörghofer, die im Friedhofsgebäude des Neuen Israelitischen Friedhofes<br />

wohnten. Sie verhinderten den Abtransport von Grabsteinen und religiösen Gegenständen.<br />

Mit ihrer Hilfe konnten sich Verfolgte in den Friedhofsanlagen verstecken und vor<br />

22 Puvogel, U. / Stankowsky, M. (Hrsg.) (1998): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, Band<br />

1: 173<br />

22


der Deportation retten. Obwohl Karl Schörghofer mehrmals von der Gestapo verhört und<br />

festgenommen wurde, hat er immer wieder bedrohten Menschen geholfen. 23 Charlotte<br />

Knobloch, die Präsidentin der Israelischen Kultusgemeinde, würdigte die selbstlose Hilfe<br />

der Familie Schörghofer und gedenkt der Opfer: „Was mag in den sieben jungen jüdischen<br />

Menschen vorgegangen sein und wie mögen sie mit sich gekämpft haben, die sich 1944 im<br />

jüdischen Friedhof in München versteckt haben, um der Deportation zu entgehen ...“ 24<br />

In der „Allee der Gerechten“ in der Gedenkstätte „Jad Vashem“ (Jerusalem) erinnert heute<br />

noch ein 1969 gepflanzter Baum an die Zivilcourage dieses Ehepaares. 255<br />

Ausstellung<br />

25. Oktober 1988 – 22. Januar 1989: Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Siehe<br />

der Stein schreit aus der Mauer. Konzipiert vom Haus der Bayerischen Geschichte. Gezeigt<br />

im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg.<br />

Literatur<br />

Ben Chorin, Schalom (1991): Jüdische Jugendbewegung in Deutschland vor 1933 am Beispiel München. In:<br />

Junge Juden in Deutschland. Hrsg. v. Ellen Presser und Bernhard Schoßig. München<br />

Ben-Chorin, Schalom (1994): Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht. München<br />

Chronik der Stadt München 1945–1948 (1980). Bearbeitet v. Wolfram Selig unter Mitwirkung v. Ludwig Morenz<br />

und Helmuth Stahleder. Manz Verlag, Dillingen<br />

Deckname „Betti“. Jugendlicher Widerstand gegen die Nationalsozialisten in München. Ein Projekt des Kreisjugendrings<br />

München-Stadt, 1997 München<br />

De Vries, S. Ph. (1993): Jüdische Riten und Symbole. Rowohlt Verlag, Reinbek b. Hamburg<br />

Geschichte und Kultur der Juden in Bayern (1988): Siehe der Stein schreit aus der Mauer. Katalog zur Ausstellung<br />

des Hauses der Bayerischen Geschichte im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Tümmels<br />

Buchdruckerei, Nürnberg<br />

Grossmann, Kurt (1957): Zeugnisse menschlicher Tapferkeit im Dritten Reich. Karl Schörghofer, München.<br />

In: Lamm, Hans (1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München: 438–440<br />

Grossmann, Kurt R. (1961): Die unbesungenen Helden. Berlin<br />

Jacobeit, Sigrid (Hrsg.) (1995): Ravensbrückerinnen. Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten,<br />

Band 4. Edition Hentrich, Berlin<br />

Jüdisches Leben in München in zwei Jahrhunderten (1989). Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München. Buchendorfer<br />

Verlag, München<br />

Jüdisches Leben in München. (1995): Geschichtswettbewerb 1993/94. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München.<br />

Buchendorfer Verlag, München<br />

23 „Ich weiß, daß ich mein Leben gefährde ...“ Verfolgte und Retter auf dem Jüdischen Friedhof in München.<br />

In: Deckname „Betti“ (1997): 56<br />

24 „Ich weiß, daß ich mein Leben gefährde ...“ Verfolgte und Retter auf dem Jüdischen Friedhof in München.<br />

In: Deckname „Betti“ (1997): 56–57<br />

25 Weyerer, Benedikt (1996): München 1933–1949: 265<br />

23


Klein, Anton D. (o.J.): Die Judenretter aus Deutschland. Dossier Nr. 390, Yad Vashem<br />

Lamm, Hans (1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München. Langen Müller Verlag, München, Wien:<br />

460<br />

Nachama, A. / Sievenich, G. (1991): Jüdische Lebenswelten. Katalog. Berlin<br />

Ortag, Peter (1997): Jüdische Kultur und Geschichte. Ein Überblick. Sonderauflage der Bayerischen Landeszentrale<br />

für politische Bildungsarbeit. Hrsg. v. d. Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung.<br />

Universitätsdruckerei der Verlagsgesellschaft, Potsdam<br />

Puvogel, Ulrike / Stankowsky, Martin (Hrsg.) (1995): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus.<br />

Eine Dokumentation. Band 1. Bundeszentrale für politische Bildung Bonn. Edition Hentrich, Berlin<br />

Schwierz, Israel (1992): Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation. Hrsg. v. d.<br />

Bayerischen Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit. SOV Graphische Betriebe, Bamberg<br />

Selig, Wolfram (1988): Synagogen und jüdische Friedhöfe in München. Aries Verlag, München<br />

Treml, Manfred (Hrsg.) (1988): Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. 2 Bände. Augsburg<br />

Verus, Rita (1995): Erinnerungsbilder. „Bet Olam“, das Haus der Ewigkeit. In: Jüdisches Leben in München.<br />

Geschichtswettbewerb 1993/94. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München. Buchendorfer Verlag, München:<br />

207–210<br />

Weyerer, Benedikt (1996): München 1933–1949. Stadtrundgänge zur politischen Geschichte. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt<br />

München. Buchendorfer Verlag, München<br />

24


Israelitisches Kranken- und Schwesternheim<br />

„Der Holocaust war gewiss eine jüdische Tragödie. Aber er war nicht nur dies.<br />

Er war auch eine christliche Tragödie für die westliche Zivilisation,<br />

ja für die gesamte Menschheit.“<br />

So urteilte der Historiker David S. Wyman in seinem Buch<br />

Das unerwünschte Volk (1986). 26<br />

Mahnmal für das Israelitische<br />

Kranken- und Schwesternheim<br />

Foto: A. Olsen<br />

Israelitisches Kranken- und<br />

Schwesternheim, Hermann-<br />

Schmid-Straße 5, 1911<br />

Foto: Stadtarchiv München<br />

25


Israelitisches Kranken- und Schwesternheim<br />

Hermann-Schmid-Straße 5–7<br />

Goetheplatz U3/U6<br />

M (1993)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Auf Antrag der SPD-Stadträtin Dr. Ingeborg Keyser brachte im April 1989 das Baureferat<br />

der Stadt München, eine Gedenktafel am ehemaligen Standort des Israelitischen Krankenhauses,<br />

markiert durch ein ovales Gebäudeschild mit den Maßen 0,52 m × 0,40 m, an der<br />

Turnhalle der Stielerschule mit folgendem Text an:<br />

„Hier stand von 1911 bis 1942 das Israelitische Kranken- und Schwesternheim.“<br />

Bereits im Juli 1989 strebte Dr. Renate Jäckle, die Vorsitzende der „Liste der Demokratischen<br />

Ärztinnen und Ärzte“, eine bessere Gestaltung der Gedenkstätte an. In Zusammenarbeit<br />

mit dem Münchner Oberbürgermeister Georg Kronawitter, dem Baureferat und der<br />

Israelitischen Kultusgemeinde einigte man sich darauf, ein Mahnmal zu errichten. Seine<br />

Einweihung fand am 2. Juni 1993 statt.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Neben einer rudimentären Gartenzaunsäule, einem Rest der ehemaligen Einfriedung des<br />

Israelitischen Krankenhauses, befindet sich eine etwa 4 m × 4 m große gepflasterte, von<br />

Sitzbänken umgebene Fläche, in deren Mitte das Mahnmal steht. Auf dem Gehweg weist<br />

ein Pflastersteinstreifen zum Standort. Das Mahnmal besteht aus zwei sich durchdringenden<br />

Stahlplatten. Die schräg gestellte Platte (1,8 m × 1,8 m) ist mit einem tiefen Riss<br />

durchzogen und trägt die Inschrift:<br />

„Hier stand von 1911 bis 1942 das Israelitische Krankenhaus und Schwesternheim.<br />

Am 3. und 4. Juni 1942 wurden Patienten, Schwestern und Ärzte in das KZ Theresienstadt<br />

deportiert.“<br />

Diese Platte wird in der Mitte von einem quadratischen Gitter aus massiven Stäben durchbrochen.<br />

INTENTION DES KÜNSTLERS<br />

Professor Dr. Ing. Horst Auer beschreibt das von ihm geschaffene Mahnmal wie folgt:<br />

26 In: Der Spiegel Nr. 22. v. 28.5.2001: 160<br />

26


„Das Mahnmal bezieht seine intendierte Bild- und Aussagekraft aus dem Spannungsverhältnis<br />

einer geordneten, knappen Geometrie – und deren ,Störungen´.<br />

Zwei quadratische Stahlplatten erheblich unterschiedlicher Größe durchdringen einander.<br />

Die senkrecht stehende, kleinere Platte innerhalb ihrer dem Straßenraum zugeordneten<br />

Hälfte, durch eine – wiederum – quadratische Gittergestaltung partiell entmaterialisiert,<br />

wird von der größeren Platte längs deren Mittelachse diagonal durchbrochen.<br />

Das Gitterraster der vertikalen Platte soll bei dem Betrachter des Mahnmals spontane Assoziationen<br />

mit der Deportation erwecken. Der markante, durchgehende Riß durch die<br />

unter einem Winkel von 45° geneigte größere Platte steht als Versuch, die sinnlose und<br />

durch nichts zu rechtfertigende Zerstörung einer ursprünglichen Ganzheit anschaulich zu<br />

machen.“ 27<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Auf Anregung der Ärzte Dr. August Feuchtwanger (er emigrierte 1935 nach Palästina)<br />

und Dr. Joseph Marschütz entstand am 25. März 1910 durch Ankauf und Umbau der Häuser<br />

an der Hermann-Schmid-Straße 5 und 7 das Israelitische Kranken- und Schwesternheim,<br />

„wobei die Anforderungen einer zeitgemäßen klinischen und hygienischen, wie einer<br />

hochkultivierten Inneneinrichtung volle Berücksichtigung fanden“. 28 Es beherbergte<br />

bis 1933 Patienten aller Konfessionen; bekannte Münchner Ärzte benutzten es als Belegkrankenhaus.<br />

In Folge der restriktiven Maßnahmen nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten<br />

wurden Juden von städtischen und staatlichen Krankenhäusern abgewiesen,<br />

was zu gravierendem Platzmangel im Israelitischen Krankenhaus führte, zumal dieses<br />

auch Juden aus dem Regierungsbezirk Oberbayern mit zu betreuen hatte. „... die Seuche<br />

des Freitodes unter der jüdischen Bevölkerung wütete wie kaum jemals in der Geschichte.<br />

Es war keine Seltenheit, daß pro Tag acht bis zehn Selbstmordfälle im Israelitischen Krankenheim<br />

zur Aufnahme überwiesen wurden, ganz zu schweigen von der Zahl derer, bei denen<br />

die Aufnahme wegen Aussichtslosigkeit sich von selbst erübrigte“. 29<br />

Besondere Erschwernisse wie die Zuteilungsbeschränkung von Lebensmitteln und Medikamenten<br />

forderten von den Ärzten und Krankenschwestern außergewöhnlichen Einsatz.<br />

Nach dem 9. November 1938 ordnete die NS-Verwaltung die Entlassung aller nichtjüdischen<br />

Angestellten und Ärzte an. Im Juni 1942 wurde das Krankenhaus endgültig mit dem<br />

27 Schreiben an Helga Pfoertner, 27.11.1997<br />

28 Spanier, Julius Dr. (1958): Das israelitische Schwestern- und Krankenheim. In: Lamm, Hans: Vergangene<br />

Tage: 127<br />

29 Spanier, Julius Dr. (1958): Das israelitische Schwestern- und Krankenheim. In: Lamm, Hans: Vergangene<br />

Tage: 128<br />

27


Befehl zur Räumung aufgelöst. „Am 4. Juni 1942 ging der erste Transport unter dem Befehl<br />

und der Aufsicht der Gestapo und der SS ab. Etwa fünfzig Kranke, Schwerstkranke<br />

und Sterbende, begleitet von drei Schwestern und dem Chefarzt (siehe Band 3: Spanier,<br />

Julius), wurden auf Krankenbahren in einem Möbelwagen verladen, zum Südbahnhof<br />

transportiert und in bereitstehende Waggons übergeführt“. 30 Die Deportierten kamen<br />

nach Theresienstadt, ein „Durchgangslager“ zu den Vernichtungslagern im Osten, nach<br />

Treblinka und Auschwitz.<br />

Die geräumten Gebäude in der Hermann-Schmid-Straße 5–7 gingen in den Besitz der „Lebensborn<br />

e.V.“ 31 über. Beide Häuser wurden 1944 durch Bomben zerstört.<br />

Dr. Julius Spanier und seine Ehefrau Zipora kehrten als Überlebende zurück. Er leitete bis<br />

1955 als Chefarzt die Kinderklinik in der Lachnerstraße; dort erinnert eine Gedenktafel an<br />

ihn. (siehe Band 3: Spanier, Julius).<br />

Literatur<br />

Auer, Horst, Prof. Dr. Ing.: Schreiben an Helga Pfoertner vom 27.11.1997<br />

Jäckle, Renate (1988): Schicksale jüdischer und „staatsfeindlicher“ Ärztinnen und Ärzte nach 1933 in München.<br />

Dokumentation vorgelegt zum 50. Jahrestag des Erlöschens der Approbation vom 30.9.1938. Hrsg.<br />

v. d. Liste der Demokratischen Ärztinnen und Ärzte München. München<br />

Elkin, Rivka (1992): „Das Jüdische Krankenhaus muß erhalten bleiben“. Berlin 1938–1945. Das Krankenhaus<br />

der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Edition Hentrich, Berlin<br />

Hartung, Dagmar / Doetinchem, von / Winau, Rolf (Hrsg.) (1982): Zerstörte Fortschritte. Zur Geschichte des<br />

Jüdischen Krankenhauses zu Berlin 1756, 1861, 1814, 1989. Edition Hentrich, Berlin<br />

Picht, Barbara (1994): Dr. jur. Silber. In: Bokovoy, D. / Meining, S. (Hrsg.) (1994): Versagte Heimat. Verlag<br />

Peter Glas, München<br />

Scheffler, Detlev / Scheffler, Wolfgang (1992): Theresienstadt, eine tödliche Täuschung. Edition Hentrich,<br />

Berlin<br />

Schmid-Köster, Dorothee (1997): „Deutsche Mutter, bist Du bereit ...“ Alltag im Lebensborn. Berlin<br />

Spanier, Julius (1958): Das Israelitische Schwestern- und Krankenheim: 126–129. In: Lamm, Hans (1982):<br />

Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München. Langen, Müller Verlag, München, Wien<br />

30 Spanier, Julius Dr. (1958): Das israelitische Schwestern- und Krankenheim. In: Lamm, Hans: Vergangene<br />

Tage: 128<br />

31 Der Verein Lebensborn wurde 1935 von Heinrich Himmler gegründet, um „den Kinderreichtum der SS“<br />

zu unterstützen und „jede Mutter guten Blutes zu schützen“ – auch in eigenen Entbindungsheimen in<br />

besetzten Ländern. Ab 1941 kamen aus den besetzten Ländern „rassisch wertvolle“ Kinder, die zwangsweise<br />

eingedeutscht wurden. Die Zentrale war in München.<br />

28


29<br />

Judendeportation<br />

„... Am Güterbahnhof stand ein langer Zug unter Dampf. Unter wüsten<br />

Beschimpfungen wurden die Leute hineingetrieben ... Dann kam ein Bus<br />

mit bewaffneter SS und den Kindern (kleinen) aus der Antonienstraße.<br />

Auch sie mußten wir in den Zug unterbringen ...“<br />

Aus einem Bericht von Erwin Weil über die erste Deportation am 20. November 1941. 32<br />

Heinrich Picard<br />

Johanna Picard<br />

Fotos: Stadtarchiv München<br />

Gedenktafel für die erste<br />

Judendeportation aus<br />

München<br />

Foto: H. Engelbrecht


I. Gedenktafel im Fort IX von Kowno (Litauen)<br />

M (2000)<br />

II. Gedenktafel im Neuen Rathaus<br />

Marienplatz S1–8 und U3/U6<br />

M (2000)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Ein Manuskript sowie Bildmaterial aus dem Nachlass eines NS-Juristen und städtischen<br />

Beamten 33 gaben den Anlass, die Deportation von 1000 Münchner Juden in Erinnerung<br />

zu bringen. Auf Initiative des Münchner Stadtarchivs im Herbst 1995 entstand eine Gedenktafel<br />

für die erste Judendeportation.<br />

Am 20. November 2000 fand die Einweihung der Gedenktafel im Beisein des Münchner<br />

Oberbürgermeisters Christian Ude und der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde,<br />

Charlotte Knobloch, statt. Gleichzeitig stiftete die Landeshauptstadt München für die Gedenkstätte<br />

in Kowno (Kaunas) ein Mosaik (1,8 m × 1,5 m), das die Künstlerin Beate Passow<br />

entworfen hatte. Ausgeführt wurde es von den Werkstätten für Mosaik und Glasmalerei<br />

Gustav van Treeck in München. Im November 2000 konnte es im Fort IX von Kowno<br />

enthüllt werden.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Im Neuen Rathaus – Aufgang aus dem südlichen Prunkhof – befindet sich an der Wand<br />

des zweiten Treppenabsatzes eine Gedenktafel (1,22 m × 1,10 m) mit 54 Fotos von deoprtierten<br />

Münchner Bürgern jüdischer Abstammung. Darüber sind die Linien des Mosaik-<br />

Mahnmals von Kaunas gelegt, um damit einen Bezug zu diesem Ort herzustellen. Auf der<br />

darüberliegenden Glasplatte ist folgender Text angebracht:<br />

„In Trauer und Scham und entsetzt über das Schweigen der Mitwissenden gedenkt die<br />

Landeshauptstadt München der 1000 jüdischen Männer und Frauen, die am 20. November<br />

1941 von München nach Kowno deportiert und 5 Tage später an diesem Ort brutal<br />

ermordet wurden. Darunter waren auch 94 Kinder.“<br />

32 Dokument 14. In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „...verzogen, unbekannt wohin.“<br />

33 Michael Meister war dienstlich mit der sog. „Arisierung“, dem amtlichen Diebstahl jüdischer Vermögen<br />

beauftragt. Zitiert nach Bauer, Richard (2000): Ein Meister aus München. In: Stadtarchiv München<br />

(Hrsg.): „... verzogen, unbekannt wohin“: 9<br />

30


INTENTION DER KÜNSTLERIN<br />

„Das Mosaik ist eine alte, durch den Arbeitsaufwand wertvolle dauerhafte Technik. Durch<br />

das Material des Mosaiks lässt sich die Vielfalt der verschiedenen untergegangenen jüdischen<br />

Gemeinden symbolisieren, es verweist auch auf den Brauch, durch Steine auf den<br />

Grabsteinen der Toten zu gedenken. Die farbigen Glassteine sollten in verschiedenen<br />

Grauabstufungen gelegt sein. Durch schwarze Steine werden die Sprünge markiert. Die<br />

Schrift wird auch in Mosaik gelegt und ist damit gut lesbar“, so charakterisierte Beate Passow<br />

34 ihr Mahnmal in Kowno, über das Mahnmal in München schreibt sie:<br />

„Die Glasscheibe zeigt ein Foto der Gedenktafel in Kowno sowie Porträts jüdischer Bürger<br />

aus München, die deportiert wurden. So ist das Verbrechen, das in Kowno geschah,<br />

in angemessener Weise auch in München präsent.“<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Den Deportationen der jüdischen Mitbürger war eine Reihe antisemitischer Maßnahmen<br />

vorausgegangen. Anfangs waren es „Einzelaktionen“ gegen jüdische Bürger am 5. März<br />

1933, danach folgte der Boykott aller jüdischen Geschäfte in Deutschland am 1. April desselben<br />

Jahres. Zusammen mit den Nürnberger Gesetzen vom 15. September 1935 und dem<br />

staatlich organisierten Pogrom am 9. November 1938 zielten weitere Verordnungen und<br />

„Aktionen“ auf die Deportation, den Raub von Hab und Gut der Juden und später auf deren<br />

Ermordung und „Vernichtung durch Arbeit“ hin. Sie mußten seit September 1941 den<br />

so genannten „Judenstern“ tragen. Dann wurde ihnen die Benutzung öffentlicher Telefone<br />

und später der Kauf von Zeitungen verboten. Seit November 1941 beschlagnahmten die<br />

Nationalsozialisten das Vermögen der ausgewanderten Juden. Die Enteignung ging so<br />

weit, dass man die Deportation offiziell als „Auswanderung“ bezeichnete, um so „legal“<br />

an den jüdischen Besitz zu kommen. Auch für die Deportation wählten die NS-Ideologen<br />

den zynisch-euphemistischen Begriff „Umsiedlung“. Zur Beruhigung sagte man ihnen,<br />

dass sie zum Arbeitsdienst nach Polen umgesiedelt werden. Vor den meisten deutschen<br />

Juden lag ein langer Leidensweg, sie starben in Ghettos, in Erschießungsgräben und in den<br />

Gaskammern.<br />

Ein vom 31. Juli 1941 datiertes Schreiben des Reichsmarschalls Hermann Göring an den<br />

Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes Reinhard Heydrich lautete: „In<br />

Ergänzung der Ihnen bereits mit Erlaß vom 24. Januar 1939 übertragenen Aufgabe, die<br />

Judenfrage in Form der Auswanderung oder Evakuierung einer den Zeitverhältnissen entsprechend<br />

möglichst günstigen Lösung zuzuführen, beauftrage ich Sie hiermit, alle erfor-<br />

34 Schreiben an das Städtische Baureferat München, Hochbau I, 1998<br />

31


derlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht zu<br />

treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflußgebiet von Europa ...<br />

Ich beauftrage sie weiter, mir in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen,<br />

sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung<br />

der Judenfrage vorzulegen.“ 35<br />

Nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wurde nach dem Einmarsch der<br />

deutschen Reichsarmee mit der so genannten „Endlösung“ begonnen. Bereits ein Jahr zuvor<br />

trieb man die polnischen Juden in Ghettos zusammen und brachte sie unter dem Vorwand<br />

einer Umsiedlung zu Erschießungsstätten und in die ersten beiden Vernichtungslager<br />

Chelmno und Belzec.<br />

Ein Augenzeuge berichtet über die Erschießung der Juden in Dubno: „Als ich am 5. Oktober<br />

1942 das Baubüro in Dubno besuchte, erzählte mir mein Polier Hubert Moennikes<br />

aus Hamburg-Harburg ..., daß in der Nähe der Baustelle in drei großen Gruben von je 30<br />

Meter Länge und drei Meter Tiefe Juden aus Dubno erschossen worden seien. Man hätte<br />

täglich 1500 Menschen getötet. Alle vor der Aktion in Dubno noch vorhandenen etwa<br />

5000 Juden sollten liquidiert werden ... Die von den Lastwagen abgestiegenen Menschen,<br />

Männer, Frauen und Kinder jeden Alters, mußten sich auf Aufforderung eines SS-Mannes,<br />

der in der Hand eine Reit- oder Hundepeitsche hielt, ausziehen und ihre Kleidung nach<br />

Schuhen, Ober- und Unterkleidern getrennt an bestimmte Stellen ablegen ... Da rief schon<br />

der SS-Mann an der Grube seinen Kameraden etwas zu. Dieser teilte ungefähr 20 Personen<br />

ab und wies sie an, hinter den Erdhügel zu gehen ... Ich ging um den Erdhügel herum<br />

und stand vor einem riesigen Grab. Dicht aneinandergepreßt lagen die Menschen so aufeinander,<br />

daß nur die Köpfe zu sehen waren ... Die vollständig nackten Menschen gingen<br />

an einer Treppe, die in die Lehmwand der Grube eingegraben war, hinab, rutschten über<br />

die Köpfe der Liegenden hinweg, bis zu der Stelle, die der SS-Mann anwies ... Dann hörte<br />

ich eine Reihe Schüsse.“ 36 In die auf diese Art freigewordenen Ghettos kamen die deportierten<br />

Juden aus dem „Altreich“. Ein Tagebuchbericht von Joseph Goebbels am 27. März<br />

1942 gibt Auskunft über das mörderische Vorgehen: „... Die in den Städten des Generalgouvernements<br />

frei werdenden Ghettos werden jetzt mit den aus dem Reich abgeschobenen<br />

Juden gefüllt, und hier soll sich dann nach einer gewissen Zeit der Prozeß erneuern."<br />

37<br />

35 Zitiert in: Schoenberner, Gerhard (1992): Der gelbe Stern: 145<br />

36 Eidesstattliche Erklärung des Bauingenieurs Hermann Friedrich Gräbe in Wiesbaden am 10. November<br />

1945. In: Schoenberner, Gerhard (1992): Der Gelbe Stern: 120<br />

37 Zitiert in: Schoenberner, Gerhard (1992): Der gelbe Stern: 114<br />

32


DEPORTATION DER MÜNCHNER JUDEN<br />

Am 15. Oktober 1941 begannen die Deportationen aus dem „Altreich“. 20 000 Juden aus<br />

Berlin, Köln, Frankfurt am Main, Hamburg, Düsseldorf, Wien und Prag zusammen mit<br />

5000 Zigeunern aus dem Burgenland wurden Opfer dieser Mordaktion. 38 Wie aus dem<br />

Dokument 5 des Stadtarchivs München 39 hervorgeht, erhielt die Staatspolizei-Leitstelle<br />

München vom Chef der Ordnungspolizei einen Eilbrief mit dem Datum vom 24. Oktober<br />

1941, der über die „Evakuierung von Juden aus dem Altreich und dem Protektorat“ informiert:<br />

„1. In der Zeit vom 1. November – 4. Dezember 1941 werden durch die Sicherheitspolizei<br />

aus dem Altreich, der Ostmark und dem Protektorat Böhmen und Mähren 50 000<br />

Juden nach dem Osten in die Gegend von Riga und Minsk abgeschoben. Die Aussiedlungen<br />

erfolgen in Transportzügen der Reichsbahn zu je 1000 Personen. Die Transportzüge<br />

werden in Berlin, Hamburg, Hannover, Dortmund, Münster, Düsseldorf, Köln, Frankfurt/<br />

M., Kassel, Stuttgart, Nürnberg, München, Wien, Breslau, Prag und Brünn zusammengestellt.“<br />

40<br />

In München erhielt der Leiter der Israelitischen Kultusgemeinde Julius Hechinger<br />

(*25.10.1895 in München, deportiert am 11.7.1942 nach Theresienstadt) 41 den Befehl,<br />

1000 Personen für die „Evakuierung“ zu benennen. Dr. Julius Spanier (siehe Band 3: Spanier,<br />

Julius) hatte die Aufgabe „festzustellen, ob die betroffenen Personen vom gesundheitlichen<br />

Standpunkt aus transportfähig waren ... Die Aufstellung solcher Listen hing<br />

auch von Gefühlsmomenten ab. Es war von der Vorstandschaft sicher nicht leicht, Menschen<br />

für die Transporte zu bestimmen. Es hat keiner von uns gewußt, wo diese hingehen,<br />

und was mit ihnen geschieht.“ 42 Die zur Deportation bestimmten Personen hatten ihre<br />

Wohnungen zu räumen; in diese zogen ausgewählte „Arier“ ein. 43 Die Mitnahme von maximal<br />

50 Kilogramm Gepäck war Vorschrift. Außerdem erhielten die Betroffenen eine<br />

schriftliche Anweisung, die den Raub im nachhinein dokumentierte. „Jeder Transportteilnehmer<br />

hat 50,– RM in bar mitzunehmen. Überschießende Beträge, Wertpapiere bzw.<br />

38 Longerich, Peter (1989): Politik der Vernichtung: 448f., 705<br />

39 In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt wohin“: o. S.<br />

40 Institut für Zeitgeschichte München. In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt<br />

wohin“. Dokument 5<br />

41 Heusler, Andreas (2000): Fahrt in den Tod. In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt<br />

wohin“: 22<br />

42 Staatsarchiv München, Spruchkammerakt Theodor Koroncyk, Aussage von Julius Spanier während des<br />

Spruchkammerverfahrens vom 29./30.10.1947. Heusler, Andreas (2000): Fahrt in den Tod. In: Stadtarchiv<br />

München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt wohin“: 17<br />

43 Aktenmaterial dazu im Stadtarchiv München, Wohnungsamt 58 und Rechtsamt 490 sowie Anschlussbericht<br />

der Arisierungsstelle des Gauleiters, Stadtarchiv München, Nachlass Meister, Dokument Nr. 22.<br />

Heusler, Andreas (2000): Fahrt in den Tod. In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt<br />

wohin“: 23<br />

33


Depotscheine, sonstige Bankauszüge u. dgl. sind in einem Umschlag mitzunehmen, der<br />

mit Namen und Inhaltsverzeichnis versehen ist. Außerdem ist das beiliegende Vermögensverzeichnis<br />

nach dem Stand vom 10.11.1941 in allen Teilen genau auszufüllen, zu unterschreiben<br />

und in einen besonderen, mit Namen versehenen, nicht verschlossenen Umschlag<br />

mitzubringen. Persönlichen Dokumente aller Art, Ausweispapiere, einschließlich<br />

Kennkarte und Pass, Lebensmittelkarten, sind ebenfalls mitzunehmen.“ 44<br />

Wie aus einer Studie des Historikers Wolfgang Benz hervorgeht, riet die Münchner Gestapo<br />

den zur Deportation bestimmten, „möglichst viel Geld und Wertsachen mitzunehmen,<br />

die dann beim Appell in Milbertshofen konfisziert wurden.“ 45 Die Verzweiflung der<br />

Menschen kommt im Abschiedsbrief der Schwestern Elsa Balbier und Karoline Adler im<br />

November 1941 zum Ausdruck: „Meine liebe gute Frau Küffner! Nun ist leider das Gefürchtete<br />

eingetreten. Am 19. ds. geht unser Transport ab, unbestimmt wohin. Ist das nicht<br />

schrecklich? Heute früh ist schon Polizei aufgezogen, Sie können sich das alles nicht vorstellen.“<br />

46 Im Jüdischen Deportationslager Milbertshofen (siehe Band 2: Jüdisches Deportationslager)<br />

waren die zur Zwangsumsiedlung Bestimmten untergebracht. 80 Prozent<br />

der Jugendlichen der jüdischen Lehrwerkstatt, die zuletzt in der ehemaligen Synagoge in<br />

der Reichenbachstraße 27 untergebracht waren, gehörten zu den Opfern der ersten<br />

Münchner Deportation. 477<br />

DER WEG IN DEN TOD<br />

Am Morgen des 20. November 1941 gelangten die Deportierten nach längerem Fußmarsch<br />

von der Knorrstraße zum Bahnhof Milbertshofen. Dies belegt der 1998 vom<br />

Münchner Stadtarchiv übernommene Nachlass eines städtischen Beamten, der unter der<br />

vom Stadtarchiv veröffentlichten Bilddokumentation „...verzogen, unbekannt wohin“<br />

(von Elisabeth Angermair) zu sehen ist. Der Augenzeuge Erwin Weil berichtete: „... Am<br />

Güterbahnhof stand ein langer Zug unter Dampf. Unter wüsten Beschimpfungen wurden<br />

die Leute hineingetrieben. Als es anfing hell zu werden, schrie man uns zu, das Gepäck<br />

rauszuwerfen, damit die Leute schneller reingepfercht werden konnten ...“ 48 Dieser Zug<br />

44 In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt wohin“. Die erste Deportation von<br />

Münchner Juden im November 1941: Dokumente 8: o. S.<br />

45 Benz, Wolfgang (1990): Herrschaft und Gesellschaft im nationalsozialistischen Staat: 176. Auch in:<br />

Miesbeck, Peter (1993): Die Tagebücher der Elisabeth Block: 119<br />

46 Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt wohin“. Die erste Deportation von<br />

Münchner Juden im November 1941: Dokument 9: o. S.<br />

47 Heinemann, Herbert (1995): Die jüdische Lehrwerkstatt in München 1932–1942. In: Jüdisches Leben in<br />

München. Geschichtswettbewerb der Landeshauptstadt München 1993/94: 104–107<br />

48 Bericht von Erwin Weil. In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt wohin“. Die<br />

erste Deportation von Münchner Juden im November 1941: Dokument 14: o. S.<br />

34


kam nach drei Tagen in Kowno an. 49 Dann folgte ein Fußmarsch in das sechs Kilometer<br />

nordwestlich der Stadt Kowno gelegene Fort IX. 50 Hier kamen die Deportierten an einem<br />

von der Reichswehr errichteten Ghetto vorbei, in dem sich auch Ganor Solly, ein Überlebender<br />

des Holocaust, befand. Ganor sah „im grauen Licht der Morgendämmerung eine<br />

endlose Kolonne Menschen den Berg hinaufgehen in Richtung Fort IX ... Bewaffnete Litauer<br />

säumten beide Seiten der Straße, so weit das Auge sehen konnte, bereit, jeden zu erschießen,<br />

der zu fliehen versuchte ... Die Kolonne war so lang, daß der Todesmarsch vom<br />

Tagesanbruch bis mittags dauerte.“ 51 Im Fort IX waren sie zwei Tage in Arrestzellen eingesperrt.<br />

DIE ERMORDUNG<br />

Am 25. November 1941 holte die „Einsatzgruppe 3“ 52 die Gefangenen in Gruppen von 80<br />

Personen aus dem Fort und kommandierten sie in Richtung der Gräben. „Unmittelbar bei<br />

den Gräben schlugen sie auf die Opfer ein, sobald diese weglaufen wollten. Die meisten<br />

Opfer wurden erschossen, nachdem sie in die Gräben gefallen waren. Die Schüsse wurden<br />

mit Maschinengewehren abgefeuert, die auf dem bewaldeten Hügel bei den Gräben postiert<br />

waren. Diejenigen die nicht rannten oder in die andere Richtung rannten, wurden an<br />

Ort und Stelle von denjenigen Litauern und Deutschen erschossen, die sie vorher in Gruppen<br />

zusammengestellt hatten.“ 53<br />

Ein weiterer Augenzeuge der Massenmorde in Osteuropa war der Bauingenieur Hermann<br />

Friedrich Gräbe 54 , der in der ukrainischen Stadt Dubno das Geschehen sah und später berichtete:<br />

„Eine achtköpfige Familie stand beisammen: Eine alte Frau hielt das Kleinkind<br />

und versuchte es zum Lachen zu bringen, der Vater tröstete einen weinenden Zehnjährigen,<br />

zeigte mit dem Finger zum Himmel und streichelte ihm über den Kopf und schien ihm<br />

etwas zu erklären.“ 55 Die Erschießungskommandos ließen die Nackten in die Grube hin-<br />

49 Heusler, Andreas (2000): Fahrt in den Tod. In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt<br />

wohin“. Die erste Deportation von Münchner Juden im November 1941: 18<br />

50 Es gehörte zu einer im 19. Jahrhundert von Zar Nikolaus I. errichteten Festungsanlage.<br />

51 Ganor, Solly (1997): Das andere Leben. Kindheit im Holocaust: 107–108<br />

52 „Im Polenfeldzug waren dies mobile, den fünf Armeen der Provinz Posen zugeordnete Einheiten der<br />

Sicherheitspolizei mit der Aufgabe, im jeweiligen Operationsgebiet hinter der Front einen Vernichtungskrieg<br />

gegen die polnische Oberschicht und die Juden zu führen.“ In: Schmitz-Berning, Cornelia (1998):<br />

Vokabular des Nationalsozialismus: 172<br />

53 Bericht des Augenzeugen Kulish, zitiert in Porat: 382. Heusler, Andreas (2000): Fahrt in den Tod. In:<br />

Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): ... verzogen, unbekannt wohin: 19<br />

54 Gräbe rettete Hunderten Juden in der Ukraine das Leben. Dafür wurde er in Jad Vaschem mit dem Pflanzen<br />

eines Namensbaumes an der „Allee der Gerechten“, 1965 geehrt.<br />

55 Hermann Friedrich Gräbe, zitiert in: Der Spiegel Nr. 30 v. 23.7.2001: Einer gegen die SS; von Christian<br />

Habbe: 132<br />

35


absteigen. „Sie legten sich vor die toten oder angeschossenen Menschen, einige streichelten<br />

die noch Lebenden und sprachen leise auf sie ein.“ 56 Gräbe sah, wie der SS-Mann<br />

schoss, „wie die Körper zuckten oder die Köpfe schon still auf den vor ihnen liegenden<br />

Körpern lagen.“ 57<br />

Von München aus gingen insgesamt 44 Deportationszüge mit insgesamt 3666 Opfern. Sie<br />

gelangten nach Kowno, Piaski, Theresienstadt und Auschwitz. 58 Lediglich für zwei Transporte<br />

(vom 20. November 1941 nach Kaunas und vom 4. April 1942 nach Piaski) existieren<br />

Deportationslisten; sie befinden sich im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München.<br />

59<br />

Der englische Historiker Professor Peter Longerich vertritt die Ansicht, dass die Nazis bereits<br />

mit dem Kriegsbeginn „konzeptionell von der Verfolgung zur physischen Vernichtung<br />

übergingen. Je weiter sie den Krieg ausdehnten, desto mehr radikalisierten sie ihre<br />

,Judenpolitik´. Für sie bildeten Krieg und Genozid eine Einheit ... Tatsächlich bestand der<br />

Holocaust aus einer nahezu ganz Europa umfassenden, über Jahre anhaltenden Serie von<br />

Massakern, von unvorstellbaren Grausamkeiten und Leid, verübt von Hunderttausenden<br />

– teilweise hoch motivierten – Tätern und Helfern und beobachtet von einer noch weitaus<br />

größeren Anzahl Augenzeugen.“ 60<br />

Einzelne Schicksale<br />

Adler, Karoline<br />

*15.5.1902 München †25.11.1941 Kowno<br />

„Karoline Adler arbeitete in den 20er und 30er Jahren als Bürokraft und Privatsekretärin.<br />

Wegen der „Arisierung“ ihrer Wohnung musste sie 1940 von der Unertlstraße 4 in<br />

eine „Judenwohnung“ in der Giselastraße 6 umziehen. Im September veranlasste die Arisierungsstelle<br />

des Gauleiters ihren Umzug in das Barackenlager an der Knorrstraße 148.<br />

Im November 1941 wurde sie für den Transport nach Kaunas eingeteilt (Stadtarchiv München).“<br />

61<br />

56 Hermann Friedrich Gräbe, zitiert in: Der Spiegel Nr. 30 v. 23.7.2001: 132<br />

57 Hermann Friedrich Gräbe, zitiert in: Der Spiegel Nr. 30 v. 23.7.2001: 132<br />

58 Ophir, Baruch Z. / Wiesemann, Falk (1979): Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918–1945: 60<br />

59 Dokumente im Institut für Zeitgeschichte (FA 208, FA 209). Auch in Heusler, Andreas (2000): Fahrt in<br />

den Tod. In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt wohin: 14<br />

60 Longerich, Peter (2001): Der ungeschriebene Befehl. In: Der Spiegel Nr. 33 v. 13.8.2001: 138<br />

61 Dokument 10. Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt wohin.“ Die erste Deportation<br />

von Münchner Juden im November 1941.<br />

36


Balbier, Elsa<br />

*21.2.1899 München †25.11.1941 Kowno<br />

„Elsa Balbier (geb. Adler), von Beruf Kindergärtnerin, lebte seit 1935 mit ihrer Schwester<br />

Karoline Adler in einem gemeinsamen Haushalt, zuerst in der Unertlstraße 4, seit März<br />

1940 in einer „Judenwohnung“ in der Giselastraße 6. Zusammen mit Karoline Adler<br />

musste sie diese Wohnung aufgeben und in den „Judensiedlung Milbertshofen“ umziehen.<br />

Auch Elsa Balbier wurde für den Transport nach Kaunas am 20. November 1941 eingeteilt<br />

(Stadtarchiv München).“ 62<br />

Blechner, Mina<br />

*5.10.1888 Nybelz (Polen) †25.11.1941 Kowno<br />

Die aus Osteuropa stammende jüdische Familie Blechner siedelte sich zwischen 1910 und<br />

1914 in der Münchner Isarvorstadt, Klenzestraße 62, später 65, an. 63 Mina Blechners Ehemann<br />

Mordechai – er nannte sich später Markus – war Inhaber der „Firma Blechner & Co.,<br />

Großhandel mit Schuhwaren“, der laut Verordnung vom 1. Januar 1939 gezwungen war,<br />

seine Firma abzumelden; dies geschah am 21. Januar. 64 Die Familie erhielt mit Hilfe Verwandter<br />

Ausreisepapiere in die Schweiz. Ihre begonnene Ausreise im August 1939 endete<br />

jedoch an der Schweizer Grenze, wo sie zurückgewiesen wurden. 65 Zurück in München,<br />

floh der Sohn Salo Blechner nach Berlin; der Vater Markus Blechner kam in das KZ Buchenwald,<br />

wo er am 14. November 1939 starb. 66 Für die allein in München lebende Mutter<br />

Mina Blechner begann ein langer Leidensweg, der nach der Einweisung in das „Jüdische<br />

Deportationslager“ in Milbertshofen (siehe Band 2: Jüdisches Deportationslager) mit ihrer<br />

Ermordnung in Kowno endete. 67<br />

Familie Koppel (nach Zeugnissen des überlebenden Sohnes Alfred (Al) Koppel, der heute<br />

in Fort Collin (USA) lebt. 68 )<br />

62 Dokument 11. Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt wohin“. Die erste Deportation<br />

von Münchner Juden im November 1941.<br />

63 Seidel, Doris (2001): Zeitweilige Heimat – Die Blechners in München 1910 bis 1939. In: Heusler,<br />

Andreas (Hrsg.) (2001): Ich lebe! Das ist ein Wunder: 27<br />

64 Hoffmann, Alexa-Romana / Hoffmann, Diana-Patricia (2001): „Mein einziger Wunsch ist mit lb Salo<br />

zusammen und mit alle meine lb Kinder!“ – Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung von Mina<br />

Blechner. In: Heusler, Andreas (Hrsg.) (2001): Ich lebe! Das ist ein Wunder: 53<br />

65 Hoffmann, Alexa-Romana / Hoffmann, Diana-Patricia (2001) In: Heusler, Andreas (Hrsg.) (2001): 56<br />

66 Hoffmann, Alexa-Romana / Hoffmann, Diana-Patricia (2001) In: Heusler, Andreas (Hrsg.) (2001): 61<br />

67 Institut für Zeitgeschichte München, Archiv, Fa 208, Kopie der Liste vom 15.11.1941. In: Hoffmann,<br />

Alexa-Romana / Hoffmann, Diana-Patricia (2001) In: Heusler, Andreas (Hrsg.) (2001): 75<br />

68 Koppel, Al (2000): Zuerst an der Reihe. Das Schicksal meiner Familie. In: Stadtarchiv München (Hrsg.)<br />

(2000): „... verzogen, unbekannt wohin“: 37–43<br />

37


Die Familie Koppel war seit über 250 Jahren in Hamburg ansässig. Im Jahre 1931 zog die<br />

Familie „nach München, der Heimatstadt meiner Mutter, wo mein Vater den Lebensunterhalt<br />

als Importkaufmann für Lebensmittel verdiente.“ Nach dem Judenpogrom verbrachte<br />

der Vater „etwa sechs Wochen im KZ Dachau.“ Vergeblich versuchte die Familie,<br />

Ausreisevisa zu bekommen. „Dann wurde mein Vater ein Jahr später in das berüchtigte<br />

Gefängnis Stadelheim geworfen, wo er einige Wochen lang schmachtete ... Nach seiner<br />

Freilassung war er gezwungen, Deutschland in kürzester Zeit zu verlassen.“ Seine Angehörigen,<br />

die Mutter mit sechs Kindern, mussten in Deutschland zurückbleiben. Für zwei<br />

Söhne (Walter und Al Koppel), die inzwischen in Berlin bei Verwandten lebten, konnten<br />

Visa besorgt werden. Sie gelangten im Juli 1941 zu ihrem Vater nach New York. Zurück<br />

in München blieben: die Mutter Karola Koppel, 38 Jahre, mit den Kindern Günther, 17<br />

Jahre, Hans, 5 Jahre, Ruth Koppel, 4 Jahre und Judis Koppel, 2 Jahre. 69 Am 20. November<br />

1941 kamen sie vom „Jüdischen Deportationslager“ in Milbertshofen mit dem Zug nach<br />

Kowno, wo sie am 25. November 1941 im Fort IX ermordet wurden.<br />

Dr. Paul Wassermann<br />

*3.3.1887 München †25.11.1941 Kowno<br />

Der in München geborene Sohn von Franz und Amalie Wassermann (geb. Fechheimer)<br />

besuchte das Luitpold Gymnasium in München; hier studierte er Chemie und promovierte<br />

1910 in diesem Fach. Wassermann trat 1920 in den Freiwilligenkorps von Franz Ritter<br />

von Epp ein. Er war Vorsitzender der akademischen Unterrichtskurse für Arbeiter und<br />

zweiter Vorsitzender des Heimat- und Königbundes. Der unverheiratete Wassermann<br />

wohnte zuletzt bei seiner Schwester Ida und seinem Schwager in Schwabing. Er stand am<br />

20. November 1941 auf der Deportationsliste nach Kowno und wurde dort fünf Tage später<br />

ermordet. 70<br />

Ausstellungen<br />

1994: Versagte Heimat. Jüdisches Leben in Münchens Isarvorstadt 1914–1945. Gezeigt<br />

in der Bibliothek des Deutschen Museums, München.<br />

25. Februar – 6. April 1997: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–<br />

1944. Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Gezeigt in der Galerie des<br />

Neuen Rathauses, München.<br />

69 Foto von Karola Koppel und ihren vier Kindern. Koppel, Al (2000): Zuerst an der Reihe. Das Schicksal<br />

meiner Familie. In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt wohin“: 40–41<br />

70 Bokovoy, Douglas / Meining, Stefan (1994): Versagte Heimat: 273<br />

38


8. Februar – 26. Februar 1999: Und immer noch sehe ich ihre Gesichter ... Fotografien<br />

jüdischer Lebenswelten von Polen vor der Schoa. Konzipiert von der Gesellschaft zur Förderung<br />

jüdischer Kultur und Tradition e. V., in Zusammenarbeit mit der Shalom Foundation<br />

Warschau und dem Jüdischen Museum der Stadt Frankfurt a. M.; mit Unterstützung<br />

des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus und der Landeshauptstadt<br />

München. Gezeigt im Neuen Rathaus von München.<br />

8. September – 5. Oktober 1999: Das kurze Leben einer Jüdin Felice Schragenheim.<br />

Eine Ausstellung zur Deutschen Geschichte.“ Konzipiert vom Kulturreferat der Landeshauptstadt<br />

München. Gezeigt im Foyer zum Carl-Orff-Saal im Gasteig, München.<br />

13. März – 30. April 2000: „Schicksal (un)bekannt. Idee und Realisation von Wolfram<br />

Kastner. Gezeigt in der Münchner Evangelisch-Lutherischen Christuskirche und in der<br />

KZ-Gedenkstätte Dachau. Gefördert durch die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern,<br />

die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und das Kulturreferat der<br />

Landeshauptstadt München, Stiftung Erinnerung.<br />

23. November 2000 – Februar 2001: ... verzogen, unbekannt wohin. Die erste Deportation<br />

von Münchner Juden im November 1941. Konzipiert vom Stadtarchiv München. Gezeigt<br />

im Neuen Rathaus von München.<br />

19. Juli 2001 – 24. Januar 2002: Ich lebe! Das ist ein Wunder. Eine Ausstellung des Stadtarchivs<br />

München und der Abteilung für Jüdische Geschichte und Kultur des historischen<br />

Seminars, Ludwig-Maximilians-Universität München. Gezeigt im Jüdischen Museum<br />

München, Reichenbachstraße 27 / Rückgebäude.<br />

8. Oktober - 24. November 2002: Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges.<br />

Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Gezeigt im<br />

Stadtmuseum von München.<br />

Literatur<br />

Adler, Hans Günther (1955): Theresienstadt 1941–1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Verlag J. C.<br />

B. Mohr, Tübingen<br />

Adler, Hans Günther (1958): Die verheimlichte Wahrheit. Theresienstädter Dokumente. Verlag J. C. B. Mohr,<br />

Tübingen<br />

Adler, Hans Günther (1974): Der verwaltete Mensch. Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland.<br />

Verlag J. C. B. Mohr, Tübingen<br />

Arendt, Hannah (1955): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Frankfurt a. M.<br />

Barkai, Avraham (1988): Vom Boykott zur „Entjudung“. Der wirtschaftliche Existenzkampf der Juden im<br />

Dritten Reich. Fischer TB, Frankfurt a. M.<br />

Behrend, Rosenfeld / Luckner, Gertrud (Hrsg.) (1970): Lebenszeichen aus Piaski. Briefe Deportierter aus dem<br />

Distrikt Lublin 1940–1943. München<br />

39


Benz, Wolfgang (Hrsg.) (1989): Die Juden in Deutschland 1933–1945. Leben unter nationalsozialistischer<br />

Herrschaft. C. H. Beck Verlag, München<br />

Benz, Wolfgang (1988): Deportation und Ermordung. In: Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Hrsg.<br />

v. Manfred Treml und Josef Kirmeier. Kastner & Callwey, München: 498<br />

Bokovoy, Douglas / Meining, Stefan (1994): Versagte Heimat. Jüdisches Leben in Münchens Isarvorstadt<br />

1914–1945. Eine Veröffentlichung der Forschungsstelle deutsch-jüdischer Zeitgeschichte e. V., Verlag<br />

Dr. Peter Glas, München<br />

Bracher, Karl Dietrich (1969): Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur und Folgen des Nationalsozialismus.<br />

Ullstein Tb, Köln<br />

Breitmann, Richard (1996): Der Architekt der „Endlösung“. Himmler und die Vernichtung der europäischen<br />

Juden.<br />

Browning, Christopher (2001): Judenmord. NS-Politik, Zwangsarbeit und das Verhalten der Täter. S. Fischer<br />

Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Ganor, Solly (1997): Das andere Leben. Kindheit im Holocaust. Fischer Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Habbe, Christian (2001): Einer gegen die SS. In: Der Spiegel Nr. 30 v. 23.7.2001: 132–134<br />

Hanke, Peter (1967): Zur Geschichte der Juden in München zwischen 1933 und 1945: 337f<br />

Haus der Wannsee-Konferenz. Dauerausstellung, Katalogbroschüre o.J., Druckhaus Hentrich, Berlin<br />

Heusler, Andreas (2000): Fahrt in den Tod. Der Mord an den Münchner Juden in Kaunas (Litauen) am 25.<br />

November 1941. In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „...verzogen, unbekannt wohin“: 13–14<br />

Heusler, Andreas (Hrsg.) (2001): Ich lebe! Das ist ein Wunder. Schicksal einer Münchner Familie während<br />

des Holocaust. Eine Veröffentlichung d. Stadtarchivs München. Buchendorfer Verlag, München<br />

Hiob, Hanne / Koller, Gerd (Hrsg.) (1998): „Wir verreisen ...“ in die Vernichtung. Aufbau Taschen Verlag,<br />

Berlin<br />

Hockerts, Hans Günter (1993): Enteignung und „Entmietung“ Münchner Wohnraums. In: „München – Hauptstadt<br />

der Bewegung“. Ein Projekt des Münchner Stadtmuseums. Klinkhardt & Biermann, München: 409–<br />

410<br />

Hoffmann, Alexa-Romana / Hoffmann, Diana-Patricia (2001): „Mein einziger Wunsch ist mit den lb Salo zusammen<br />

und mit alle meine lb Kinder!“ – Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung von Mina Blechner.<br />

In: Heusler, Andreas (Hrsg.) (2001): Ich lebe! Das ist eine Wunder: 48–83<br />

Holzmann, Helene (2000): „Dies Kind soll leben“. Die Aufzeichnungen der Helene Holzmann 1941–1944.<br />

Schoeffling & Co., Frankfurt a. M.<br />

Kaiser, Reinhard / Holzmann, Margarete (Hrsg.) (2000): „Dies Kind soll leben“. Aufzeichnungen der Helene<br />

Holzmann 1941–1944. Schöffling & Co., Frankfurt a. M.<br />

Jüdisches Leben in München. Lesebuch zur Geschichte des Münchner Alltags. Geschichtswettbewerb 1993/<br />

94. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München. Buchendorfer Verlag, München<br />

Kaplan, Marion (2000): Der Mut zum Überleben. Jüdische Frauen und ihre Familien in Nazideutschland. Aufbau<br />

Verlag, Berlin<br />

Koppel, Al (2000): Zuerst an der Reihe. Das Schicksal meiner Familie. In: Stadtarchiv München (Hrsg.)<br />

(2000): „...verzogen, unbekannt wohin“: 37–43<br />

Leuner, Heinz David (1997): Gerettet vor dem Holocaust. Menschen die halfen. Herbig Verlag, München<br />

Longerich, Peter (1998): Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung.<br />

Piper Verlag, München, Zürich<br />

Longerich, Peter (2001): Der ungeschriebene Befehl. In: Der Spiegel Nr. 33 v. 13.8.2001: 132–138<br />

Matthäus, Jürgen (1996): Jenseits der Grenze. Die ersten Massenerschießungen von Juden in Litauen (Juni-<br />

August 1941). In: Zeitschrift f. Geschichtswissenschaft 44: 101–126<br />

Matthäus, Jürgen (1999): Das Ghetto in Kaunas und die „Endlösung“ in Litauen. In: Benz, W. /Meiss, M.<br />

(Hrsg.): Judenmord in Litauen. Studien u. Dokumente. Berlin<br />

Neumann, Franz (1984): Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933–1945. Fischer Tb,<br />

Frankfurt a. M.<br />

40


Rürup, Reinhard (1975): Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur „Judenfrage“ der bürgerlichen Gesellschaft.<br />

Fischer Tb, Frankfurt a. M.<br />

Scheffler, Wolfgang (1992): Abgewandert nach Osten. Die Bevölkerungsstatistik der Reichsvereinigung der<br />

Juden in Deutschland 1941–1945. Eine Dokumentation. Edition Hentrich, Berlin<br />

Schmitz-Berning, Cornelia (1998): Vokabular des Nationalsozialismus. Verlag Walter de Gruyter, Berlin,<br />

New York<br />

Schneider, Peter (2000): „Und wenn wir nur eine Stunde gewinnen ...“. Wie ein jüdischer Musiker die Nazi-<br />

Jahre überlebte.<br />

Schoenberner, Gerhard (1988): Zeugen sagen aus. Berichte über die Judenverfolgung im Dritten Reich. Berlin<br />

(DDR)<br />

Schoenberner, Gerhard (1992): Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933–1945. Fischer Tb,<br />

Frankfurt a. M.<br />

Seidel, Doris (2001): Zeitweilige Heimat – Die Blechners in München 1910 bis 1939. In: Heusler, Andreas<br />

(Hrsg.) (2001): Ich lebe! Das ist ein Wunder: 25–47<br />

Selig, Wolfram (1994): Judenverfolgung in München 1933 bis 1944. In: „München – Hauptstadt der Bewegung“.<br />

Ein Projekt des Münchner Stadtmuseums. Klinkhardt & Biermann, München: 402–406<br />

Sommer-Lefkovits, Elisabeth (1998): Ihr seid auch hier in dieser Hölle? Lebensbericht 1944–1945. Pendo<br />

Verlag, Zürich, München<br />

Spiegel, Paul (2001): Wieder zu Hause? Erinnerungen. Ullstein Verlag, Berlin<br />

Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „...verzogen, unbekannt wohin“. Die erste Deportation von Münchner<br />

Juden im November 1941. Pendo Verlag, Zürich, München<br />

Wiesemann, Falk (1975): Die Vorgeschichte der nationalsozialistischen Machtübernahme in Bayern 1932/33.<br />

Berlin<br />

41


42<br />

Judenpogrom von 1938<br />

„Aber jeder Deutsche konnte miterleben, was jüdische Mitbürger erleiden mussten, von<br />

kalter Gleichgültigkeit über versteckte Intoleranz bis zu offenem Hass.“<br />

Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker<br />

vor dem Bundestag am 8. Mai 1985. 71<br />

Gedenktafel im Alten Rathaus<br />

Foto: H. Pfoertner<br />

71 In: Bulletin der Bundesregierung Nr. 52 vom 9.5.1985: 441. Auch in: Information zur politischen Bildung,<br />

Nr. 270, 1. Quartal 2001: 41


Gedenktafel<br />

Altes Rathaus, Altstadt<br />

Marienplatz U3/U6 und S1-S8<br />

M (2000)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Dr. Hans-Jochen Vogel, Altoberbürgermeister von München und Vorsitzender des Vereins<br />

„Gegen Vergessen und für Demokratie“, initiierte am 4. April 2000 eine Gedenktafel,<br />

die in München im Alten Rathaus an Planung und Durchführung der antisemitischen Ausschreitungen<br />

und Verbrechen erinnern sollte. Sie wurde vom Münchner Oberbürgermeister<br />

Christian Ude im Beisein der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München,<br />

Charlotte Knobloch am 23. November 2000 enthüllt.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Im Foyer, am Beginn des Treppenaufgangs zum Rathaussaal im Alten Münchner Rathaus,<br />

befindet sich die Gedenktafel (Maße 1,23 m × 1,03 m) mit folgendem Text:<br />

„Dieser Tanzsaal des Alten Rathauses war jahrhundertelang Schauplatz bürgerlicher und<br />

stadtherrlicher Zusammenkünfte und Feste. Das nationalsozialistische Regime missbrauchte<br />

diesen Ort für die Planung antisemitischer Verbrechen. Im Verlauf einer Parteifeier<br />

am Abend des 9. November 1939 wurden die seit Tagen in vielen Städten des Reiches<br />

angezettelten antijüdischen Ausschreitungen hier zu einem deutschlandweiten Pogrom<br />

ausgeweitet. Als ,Reichskristallnacht´ war dieses Pogrom Vorstufe der Vernichtung des<br />

europäischen Judentums.“<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Die Gedenktafel schuf der Münchner Bildhauer Toni Preis.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

An der Stelle des ehemaligen Talburgtores errichtete der Architekt, Steinmetz und Baumeister<br />

Jörg von Halspach, der auch die Frauenkirche erbaute, zwischen 1470 und 1480<br />

das Alte Rathaus, das ursprünglich Tanzhaus hieß. Es diente den Zusammenkünften der<br />

Ratsherren ebenso wie den Adeligen, Patriziern und Bürgern der Stadt. In dem großen<br />

Saal befanden sich seit 1480 die berühmten, von Erasmus Grasser geschaffenen Moriskentänzer,<br />

die heute im „Moriskensaal“ des Münchner Stadtmuseums zu sehen sind. Der<br />

Historiker und Stadtarchivleiter Dr. Michael Schattenhofer hat in seinem Werk Das Alte<br />

43


Rathaus in München eine Auswahl von Veranstaltungen verzeichnet, die im großen Saal<br />

des Alten Rathauses zwischen 1819 bis 1932 stattgefunden haben 72 ; so z. B.: Am 11. Oktober<br />

1829 „Erste Verteilung der Dienstbotenmedaillen“; 12. August 1860 „Festbankett<br />

anläßlich der Eröffnung der Bahnlinie Wien- Salzburg-München“; 14. Oktober 1862<br />

„Abendfest zu Ehren des 2. Deutschen Handelstages, zu dem sich an die 400 Vertreter des<br />

deutschen Handelsstandes eingefunden hatten“; 2. August 1872 „Festbankett zur 400-<br />

Jahr-Feier der Universität“; 22. Februar 1907 „Vortrag des Baurats Hans Grässel über<br />

Grabdenkmäler anläßlich der Eröffnung des Waldfriedhofs“; 11. November 1906 „Festmahl<br />

anlässlich der Grundsteinlegung zum Deutschen Museum am 13. November in Gegenwart<br />

Kaiser Wilhelm II. und der Kaiserin Augusta Victoria“; 9. September 1907 „Eröffnung<br />

des 16. Internationalen Friedenskongresses von Bertha Suttner“; 26. Oktober<br />

1909 „3. Generalversammlung des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht. Dr. Anita<br />

Augspurg wird mit 60 von 77 Stimmen zur 1. Vorsitzenden gewählt“; 11. November<br />

1932 „Geburtstagsfeier für Gerhart Hauptmann (70. Geburtstag) mit Darbietungen von<br />

Karl Valentin, Liesl Karlstadt und Käte Tellheim.“<br />

Aufruf zum reichsweiten Pogrom gegen Juden<br />

In Deutschland gab es noch bis ins 19 Jahrhundert mehrere Pogromwellen: 1819, 1830,<br />

1848 und 1872–1875. Der Ort, von dem 1938 der große reichsweite Pogrom ausging, war<br />

der Festsaal des Alten Rathauses in München. Hier traf sich am 9. November 1938 die<br />

Führerschaft der NSDAP zu einem „geselligen Beisammensein“. Danach war die Teilnahme<br />

an der Vereidigung der SS an der Feldherrnhalle vorgesehen. 73<br />

Der Vorwand für das geplante Pogrom war der Tod des deutschen Legationssekretärs<br />

Ernst von Rath in Paris. Er war zwei Tage zuvor von dem 17-jährigen polnischen Juden<br />

Herschel Grynspan bei einem Attentat verwundet worden. Grynspan protestierte damit,<br />

als er erfuhr, dass man seine Eltern und Geschwister zusammen mit 1700 anderen „polnischen“<br />

Juden in Deutschland am 27. und 28. Oktober verhaftet und nach Polen deportiert<br />

hatte.<br />

Im Oktober 1938 hatten die NS-Organe wie Gestapo und SS alle „jüdischen Gewerbebetriebe“<br />

reichsweit aufgelistet. Ebenso war die Zerstörung und Verwüstung der jüdischen<br />

Gotteshäuser und Einrichtungen geplant und vorbereitet. In der Nacht vom 9. zum 10. November<br />

sind in München circa 1000 jüdische Männer in Haft genommen oder verschleppt<br />

worden, die meisten kamen als so genannte „Aktionshäftlinge“ in das KZ Dachau. Von<br />

der Zerstörung der „jüdischen Gewerbebetriebe“ waren in München 42 jüdische Geschäfte<br />

betroffen. 74 Es kam zur Zerstörung der Schaufenster, zu Plünderungen, Verwüstung<br />

72 Schattenhofer, Michael (1972): Das alte Rathaus in München: 377–388<br />

73 StadtA Mü BuR 458/3<br />

44


von Einrichtungen und Ausraubung der Geschäfte. Zur gleichen Zeit legten SA-Leute in<br />

Zivil Feuer in Münchner Synagogen, nachdem sie gewaltsam eingedrungen waren. Sie<br />

verwüsteten die Einrichtung und die Devotionalien der jüdischen Gotteshäuser (Siehe<br />

Band 3: Synagogen). Betroffen waren hauptsächlich die Synagogen in der Reichenbachstraße<br />

und in der Herzog-Rudolf-Straße, die durch den Brand völlig zerstört wurden und<br />

abgerissen werden mussten.<br />

Über die Zerstörung der Geschäftsstelle der Israelitischen Kultusgemeinde in der Lindwurmstraße<br />

berichtete der damalige Präsident Alfred Neumeyer: „Unser Verwaltungsgebäude<br />

an der Lindwurmstraße wurde in jener Nacht vollkommen verwüstet. Es wurden<br />

Schreibmaschinen, Geld und das ganze Gestühl verschleppt, und die überaus wertvolle<br />

Bibliothek weggenommen. Einige untergeordnete SS-Organe nahmen mit mir an Ort und<br />

Stelle unter höhnischen Bemerkungen ein Protokoll auf und stellen in Abrede, mitgewirkt<br />

zu haben oder die Täter zu kennen. Tatsächlich war die Zerstörung von der einschlägigen<br />

Ortsgruppe der SA durchgeführt. Ich mußte das Protokoll schriftlich anerkennen und auf<br />

jede Entschädigung gegenüber der Gestapo verzichten ... Wir hörten, daß das Anwesen<br />

bereits einem gewerblichen Unternehmen überlassen war.“ 75<br />

Die so genannte „Reichskristallnacht“ war ein staatlich sanktioniertes Programm und bildete<br />

bis zu diesem Zeitpunkt einen Höhepunkt der Gewaltmaßnahmen gegen Juden.<br />

Judenverfolgungen von HJ-Führern<br />

Der Münchner Historiker Dr. Andreas Heusler stieß beim Studium einschlägiger Akten<br />

des Instituts für Zeitgeschichte der Außenstelle Berlin auf eine Besonderheit des Münchner<br />

Pogroms: Die „Sühnegeldaktion“. Die Idee hatte einer der ranghöchsten HJ-Führer,<br />

der nach der Veranstaltung im Alten Rathaussaal zur Tat schritt: Man zwang vermögende<br />

Juden, „Sühnegeld“ zu zahlen. 76 Bei diesem erpresserischen Raubzug wurden insgesamt<br />

127 800 Reichsmark erbeutet. 77<br />

Ausstellungen<br />

28. Oktober – 19. November 1988: Dachau ist somit judenfrei ... Vor 60 Jahren<br />

„Reichskristallnacht“. 10. November 1938. Gezeigt im Foyer des Dachauer Rathauses.<br />

25. Oktober 1988 – 22. Januar 1989: Siehe der Stein schreit aus der Mauer. Geschichte<br />

74 BayHStA Reichsstatthalter 823 vom 10.11.1938. Weger, Tobias (1998): In: Heusler, A. / Weger, T.<br />

(1998): „Kristallnacht“: 52<br />

75 Neumeyer 1941–1944, Blatt 214ff. Weger, T. (1998): In: „Kristallnacht“: 75<br />

76 Heusler, A. (1998): In: „Kristallnacht“: 95 ff<br />

77 Heusler, A. (1998): In: „Kristallnacht“: 107<br />

45


und Kultur der Juden in Bayern. Gezeigt im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg.<br />

Konzipiert vom Haus der Bayerischen Geschichte.<br />

September – November 1998: Kristallnacht. Gewalt gegen Münchner Juden im November<br />

1938. Gezeigt im Alten Münchner Rathaus. Konzipiert vom Stadtarchiv München.<br />

8. November – 15. November 1998: Zum Gedenken an den 9. November 1938. Die<br />

„Reichskristallnacht“ in München. Veranstaltungsreihe der Landeshauptstadt München<br />

unter Mitarbeit von Vereinen, Instituten und Organisationen.<br />

8. Juni – 6. Juli 1999: Deutsche Jüdische Soldaten. Von der Epoche der Emanzipation<br />

bis zum Zeitalter der Weltkriege. Konzipiert vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt<br />

Potsdam, in Zusammenarbeit mit dem Moses Mendelsohn Zentrum Potsdam und dem<br />

Centrum Judaicum, Berlin. Gezeigt im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München, Schönfeldstraße<br />

5.<br />

18. Oktober – 30. November 2000: Vom Mittelalter in die Neuzeit. Jüdische Städtebilder<br />

(Frankfurt, Prag und Amsterdam). Die Geschichte der Wissenschaft des Judentums. Konzipiert<br />

von der Hochschule für Jüdische Studien, Heidelberg. Gezeigt im Bayer. Hauptstaatsarchiv<br />

München, Schönfeldstraße 5.<br />

Literatur<br />

Bokovoy, Douglas / Meining, Stefan (Hrsg.) (1994): Versagte Heimat. Jüdisches Leben in Münchens Isarvorstadt<br />

1914–1945. Verlag Dr. Peter Glas, München<br />

Friedländer, Saul (1998): Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Verfolgung 1933–1939. C. H. Beck<br />

Verlag, München<br />

Gidal, Nachum T. (1997): Die Juden in Deutschland. Von der Römerzeit bis zur Weimarer Republik. Könemann<br />

Verlagsgesellschaft, Köln<br />

Graml, Hermann (1988): Reichskristallnacht. Antisemitismus und Judenverfolgung im Dritten Reich. dtv<br />

4519, München<br />

Graml, Hermann (1993): Rassismus und Lebensraum. Völkermord im Zweiten Weltkrieg. In: Bracher, Karl<br />

Dietrich et al. (Hrsg.): Deutschland 1933–1945: 440–451<br />

Haus der Bayerischen Geschichte (Hrsg.) (1988): Siehe der Stein schreit aus der Mauer. Geschichte und Kultur<br />

der Juden in Bayern. Katalog zur Ausstellung vom Germanischen Nationalmuseum und vom Haus der<br />

Bayerischen Geschichte. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg.<br />

Heusler, Andreas / Weger, Tobias (1998): „Kristallnacht“. Gewalt gegen die Münchner Juden im November<br />

1938. Eine Veröffentlichung des Stadtarchivs München. Buchendorfer Verlag, München<br />

Hilberg, Raul (1991): Die Vernichtung der europäischen Juden. 3 Bände. Fischer Tb Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Kaul, Friedrich Karl (1956): Der Fall des Herschel Grynspan. Berlin<br />

Kraft, Friedrich (Hrsg.) (1988): Kristallnacht in Bayern. Judenpogrom am 9.11.1938. Eine Dokumentation.<br />

München<br />

Krauss, Marita (1997): Familiengeschichte als Zeitgeschichte. Die jüdischen Familien Bernheimer, Feuchtwanger<br />

und Rosenfeld im Nationalsozialismus und Nachkriegszeit. In: Archiv für Familiengeschichtsforschung<br />

Band Nr. 9, 1997: 162–176<br />

46


„München – Hauptstadt der Bewegung“. Ein Projekt des Münchner Stadtmuseums. Ausstellungskatalog.<br />

Klinkhardt & Biermann, München<br />

Neumeyer, Alfred: Erinnerungen. Avigdor 1941–1944 (masch. Manuskript, in: Kopie im StadtA Mü)<br />

Ophir, Z. Baruch / Wiesemann, Falk (1997): Geschichte und Zerstörung der jüdischen Gemeinde in München.<br />

In: Lamm, Hans (Hrsg.) (1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München. Langen Müller Verlag,<br />

München, Wien: 462–489<br />

Pätzold, Kurt / Runge, Irene (1988): Pogromnacht 1939. Berlin (Ost)<br />

Pehle, Walter H. (1988): Der Judenpogrom 1939. Von der „Reichskristallnacht“ zum Völkermord. Frankfurt<br />

a. M.<br />

Schattenhofer, Michael (1972): Das Alte Rathaus in München. Seine bauliche Entwicklung und seine stadtgeschichtliche<br />

Bedeutung. Süddeutscher Verlag, München<br />

Spiegel, Paul (2001): Wieder zu Hause? Erinnerungen. Ullstein Verlag, Berlin<br />

Strasser, Marguerite (1987): Ein jüdisches Mädchen erlebt die NS-Herrschaft in München. In: Verdunkeltes<br />

München. Lesebuch zur Geschichte des Münchner Alltags. Geschichtswettbewerb 1985/86. Buchendorfer<br />

Verlag, München: 14–2<br />

47


Jüdisches Deportationslager Milbertshofen<br />

„... Somit nehme ich von Ihnen Abschied. An ein Wiedersehen glaube ich<br />

offengestanden nicht mehr ...“<br />

Aus dem Abschiedsbrief des Rechtsanwalts und Schriftstellers<br />

Fritz Schnell vom 10. Juli 1942. 78<br />

78 Brief aus dem Barackenlager an der Knorrstraße. Stadtarchiv München. Der 1872 in Augsburg geborene<br />

Rechtsanwalt und Schriftsteller Fritz Schnell wurde am 23. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo<br />

er am 1. Februar 1943 starb. Zitiert nach Dokument 6. In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen,<br />

unbekannt wohin“. Die erste Deportation von Münchner Juden im November 1941.<br />

48<br />

Mahnmal für das Jüdische<br />

Deportationslager<br />

Foto: A. Olsen<br />

Beim Aufbau des Jüdischen<br />

Deportationslagers in Milbertshofen<br />

Foto: Stadtarchiv München


Jüdisches Deportationslager Milbertshofen<br />

Knorrstraße148/Ecke Troppauerstraße, Milbertshofen<br />

Am Hart U2<br />

M (1982)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Anlässlich einer Bürgerversammlung des Bezirksausschusses 27 (BA 27, heute BA 11) im<br />

Stadtbezirk Milbertshofen-Hart am 30. Oktober 1980, stellte Herr Otto Schmidl den Antrag,<br />

zur Erinnerung an das ehemalige Barackenlager für jüdische Bürger eine Gedenktafel<br />

zu schaffen. Das Gelände des früheren Lagergrundstückes wurde überwiegend in ein<br />

Gewerbegebiet umgewandelt; mit Ausnahme eines 14 Meter breiten, in städtischem Eigentum<br />

befindlichen Geländestreifens, der sich für die Aufstellung eines Denkmals eignete.<br />

Dieses wurde am 15. November 1982 vom Münchner Oberbürgermeister Georg Kronawitter<br />

im Beisein des Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Dr. Hans Lamm<br />

und des bayerischen Justizministers Dr. Engelhard eingeweiht.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Am Ort des ehemaligen Barackenlagers, des so genannten „Judenlagers Milbertshofen“,<br />

befindet sich eine Bronzeplastik, deren Form an einen abgestorbenen Baum erinnert. Er<br />

weist symbolisch auf das Leben der hier zwangsweise festgehaltenen Menschen hin, das<br />

zerstört und vernichtet wurde. Die etwa drei Meter hohe, in gepflastertem Boden eingelassene<br />

Plastik, ist von Rasen umsäumt. Der Stamm der Plastik trägt folgende Inschrift:<br />

„Für viele Jüdische Mitbürger begann in den Jahren 1941/43 der Leidensweg in die<br />

Vernichtungslager mit ihrer Einweisung in das Münchner Sammellager hier an der<br />

Knorrstraße 148.“<br />

Wegen U-Bahn-Bauarbeiten war das Mahnmal ab 1988 vorübergehend auf dem Neuen Israelitischen<br />

Friedhof untergebracht. Anlässlich der Einweihung des U-Bahnhofes „Am<br />

Hart“ wurde am 20. November 1993 im Untergrundbereich, Aufgang zur Troppauerstraße,<br />

ein Hinweisschild „Denkmal jüdisches Deportationslager 1941/43 Milbertshofen“ angebracht.<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Das Mahnmal wurde von Professor Robert Lippl gestaltet.<br />

49


GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Ab Mai 1939 waren sämtliche jüdischen Männer im Alter bis 55 Jahren und Frauen bis zu<br />

50 Jahren zur Zwangsarbeit verpflichtet. Der Tageslohn betrug 0,50 Reichsmark.<br />

Seit dem 17. März 1941 mussten unter einem streng bewachten Baukommando jüdische<br />

Zwangsarbeiter auf einem 14 500 m² großen Grundstück südlich der Troppauerstraße –<br />

Ecke Knorrstraße in Milbertshofen ein Barackenlager aufbauen. Die Baracken standen zuvor<br />

in Oberach am Tegernseee und an der Fahrstraße am Wallberg; dort dienten sie seit<br />

1935 der SA als Unterkunft. 79 Zur Zwangsarbeit verpflichtete Juden mussten sie dort abbrechen<br />

und in Milbertshofen wieder aufbauen. Sie hatten in einer Erklärung zu bestätigen,<br />

dass sie diese Arbeit zum eigenen Nutzen, freiwillig und unter Verzicht auf Entlohnung<br />

ausführten. Das von einem Stacheldrahtzaun umgebene Ghetto mit der offiziellen<br />

Bezeichnung „Judensiedlung Milbertshofen“ war mit 18 Baracken für 1100 Personen geplant.<br />

Die folgenden Zwangsmaßnahmen bezeichneten die Behörden als „Evakuierung“.<br />

Bereits am 11. Oktober 1941 waren in diesem Ghetto 412 Männer und 38 Frauen untergebracht.<br />

80 Die zur Zwangsarbeit verpflichteten Lagerinsassen mussten die im ganzen Stadtgebiet<br />

verstreuten Arbeitsstellen zu Fuß erreichen – das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln<br />

war ihnen bereits verboten – das bedeutete zusätzliche Strapazen zur offiziellen<br />

Arbeitszeit von 7.30 Uhr bis 17 Uhr. Durch die Zwangsumsiedlung der Münchener Juden<br />

wurden etwa 300 Wohnungen frei, die man im Wohnungsamt vorrangig an verdiente Parteigenossen<br />

vergab. Über die Behandlung der Gefangenen im Lager berichtet der damals<br />

zehnjährige Ernst Grube: So kam nachts die Gestapo, um Julius Hechinger, der bei der Zusammenstellung<br />

der Transporte behilflich war „mit dem Wasserschlauch durchs Lager zu<br />

treiben ... Ein anderes Mal mußte er mit bloßen Händen die Latrine reinigen ... Manchmal<br />

trieben die Gestapo ihn und andere Juden durch das Lager, bis alle vor Erschöpfung zusammenbrachen.“<br />

81<br />

79 Dokument der „Arisierungsstelle“: Tätigkeits- und Abschlußbericht zum 30. Juni 1943. In: Stadtarchiv<br />

München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt wohin“: Dokument 22<br />

80 Ophir, B. / Wiesemann, F. (1958): Geschichte und Zerstörung der jüdischen Gemeinde in München<br />

1918–1945. In: Lamm, Hans (Hrsg.) (1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München: 483<br />

81 Grube, Ernst (1993): „Den Stern, den tragt Ihr nicht!“ In: Dachauer Hefte 9/1993. Die Verfolgung von<br />

Kindern und Jugendlichen: 7<br />

50


Einzelne Schicksale<br />

Carry Brachvogel<br />

*16.6.1862 München †20.11.1942 Theresienstadt<br />

Die Literatin Carry Brachvogel war Mitbegründerin des Schriftstellerinnenvereins in<br />

München und bis 1933 dessen Vorsitzende. Sie lebte fast drei Jahrzehnte in der Herzogstraße<br />

55/I und wurde zusammen mit ihrem Bruder, dem entlassenen Universitätsprofessor<br />

Siegmund Hellmann, nach Milbertshofen deportiert. 82 Die Münchner Autorin Gerty<br />

Spies kam am gleichen Tag, dem 22. Juli 1942, von diesem Lager aus „mit unbekanntem<br />

Ziel“, wie es im Amtsdeutsch hieß, nach Theresienstadt 83 . Sie schrieb darüber: „Vom Lager<br />

Milbertshofen aus, wo man uns eine Nacht festgehalten und unser Gepäck um die<br />

Hälfte des Gewichts erleichtert hatte, fuhr uns ein geschlossenener Möbelwagen zur Bahn<br />

... Anderntags kamen wir in Bauschowitz (Tschechoslowakei) an. Es rieselte vom Himmel<br />

und im Schlamm, unterm Regen lagen Alte und Kranke noch vom Transport, der vor uns<br />

gekommen war – und warteten, daß man sie holte. Wir gingen zu Fuß nach Theresienstadt<br />

... (sechs Kilometer; d. Verf.) Nachdem man unser Handgepäck ausgeraubt hatte, wurden<br />

wir durch den Ort geführt. Unbegreiflich! Wo war das Altersheim und das Wohnheim, von<br />

dem man uns versprochen hatte? Wo waren die sauberen Häuser, wo jeder sein eigenes<br />

wohl eingerichtetes Zimmer haben sollte?... Man brachte uns ins Quartier. Aber hier<br />

konnte man doch nicht leben! Es war ein Schuppen in einem Hinterhof. Im Hof kochte ein<br />

übelriechender Komposthaufen in der glühenden Mittagssonne. Im Schuppen war nichts.<br />

Kein Möbelstück, kein Ofen, kein Herd – nur der Fußboden, das Dach und die Fetzen, die<br />

von den Wänden hingen. Hier begann unser Dasein im Lager.“ 84 Die Verhältnisse in diesem<br />

Lager führten rasch zum Tod der 78-jährigen Carry Brachvogel: Sie starb drei Monate<br />

später, am 20. November 1942. 85<br />

82 Heuer, Renate (1988): Carry Brachvogel (1864–1942), Schriftstellerin. In: Geschichte und Kultur der<br />

Juden in Bayern. Lebensläufe: 215<br />

83 Ghetto und KZ, das in einer Festungsanlage aus dem 18. Jahrhundert untergebracht war. Es existierte<br />

vom November 1941 bis zur Befreiung am 8. Mai 1945. Zuerst war es ein Internierungslager für Juden<br />

aus Böhmen und Mähren; seit 1942 kamen dorthin auch alte gebrechliche Juden (über 65 Jahre) aus<br />

Deutschland und Weltkriegsteilnehmer mit ihren Ehefrauen. Theresienstadt war ein Durchgangslager auf<br />

dem Weg in die Vernichtungslager im Osten. Insgesamt wurden 141 000 Juden nach Theresienstadt<br />

deportiert; 42 345 kamen aus Deutschland. Aus München kamen mit 24 Transporten zwischen Mai und<br />

August 1942 1200 Juden nach Theresienstadt. Insgesamt kamen aus München 1555 nach Theresienstadt.<br />

Nur 297 von ihnen überlebten. (Enzyklopädie des Holocaust: 969, Benz, W. (1990): 758)<br />

84 Spies, Gerty (1984): Drei Jahre Theresienstadt: 34<br />

85 Heuer, Renate (1988): Carry Brachvogel (1864–1842), Schriftstellerin. In: Geschichte und Kultur der<br />

Juden in Bayern. Lebensläufe: 215<br />

51


Die Familie Block 86<br />

Friedrich Block<br />

*12.3.1892 Hannover †? 1942<br />

Mirjam Block, geb. Frensdorff<br />

*28.7.1896 Hannover †? 1942<br />

Elisabeth Block<br />

*12.2.1923 Niedernburg †? 1942<br />

Gertrud Block<br />

*28.10.1927 Niedernburg †? 1942<br />

Johannes Arno Block<br />

*23.11.1928 Niedernburg †? 1942<br />

Dem Schicksal einer oberbayerischen jüdischen Familie kann am Beispiel der Familie<br />

Block 87 , die in Niedernburg lebte, nachgespürt werden. Im März 1942 wurde diese Familie<br />

zum Umzug in das „Judensiedlung“ genannte Sammel- und Deportationslager gezwungen.<br />

Die vom Haus der Bayerischen Geschichte und dem Historischen Verein Rosenheim<br />

herausgegebenen Tagebücher der Elisabeth Block geben ein Bild über die persönliche Geschichte<br />

dieser Familie, deren Lebensspuren mit der Einweisung in das „Judenlager Milbertshofen“<br />

und der anschließenden Deportation am 3. April 1942 in das Ghetto nach Piaski<br />

im Distrikt Lublin 88 enden.<br />

Elisabeth Block führte ihr Tagebuch im Alter zwischen zehn und neunzehn Jahren, vom<br />

12. März 1933 bis zum 8. März 1942. 89 Sie vertraute vor ihrer erzwungenen Ausreise die<br />

Tagebücher einer langjährigen Haushälterin und treuen Freundin Kathi Geidobler an, die<br />

sie sorgsam aufbewahrte. 90<br />

Im so genannten „Judenlager Milbertshofen“ waren zeitweise 1376 Menschen 91 isoliert<br />

und von der ständigen Gefahr der Deportation bedroht: Dieses Ghetto diente als Sammellager<br />

für die Transporte nach Riga, Kowno, Piaski, Theresienstadt und in die Todeslager.<br />

(Das bewachte Lagergebiet durfte nur mit Erlaubnis verlassen werden).<br />

Das Lager in Milbertshofen wurde am 19. August 1942 aufgelöst, die hier noch lebenden<br />

86 Dokument 28. In: Erinnerungszeichen. Die Tagebücher der Elisabeth Block: 347<br />

87 Familie Block aus Niedernburg/ Obb.: Vater, Friedrich geb. 12.3.1892, Mutter, Miriam geb. 28.7.1896,<br />

Kinder: Elisabeth geb.12.2.1923, Gertrud geb.28.10.1927, Arno geb. 23.11.1928. Dokumente 28. In:<br />

Erinnerungszeichen. Die Tagebücher der Elisabeth Block: 347<br />

88 Ziel der Deportationen waren die Vernichtungslager Sobibor, Belzec, Lublin. In: Hilberg, Raul (1982):<br />

Die Vernichtung der europäischen Juden: 956, 509<br />

89 Miesbeck, Peter (1993): Die Tagebücher der Elisabeth Block: 103<br />

90 Miesbeck, Peter (1993): In: Erinnerungszeichen. Die Tagebücher von Elisabeth Block: 47<br />

91 Enzyklopädie des Holocaust: 969<br />

52


16 Menschen kamen in die „Heimanlage für Juden Berg am Laim“ (siehe Band 2: “Jüdisches<br />

Sammellager“ Berg am Laim). Das Barackenlager erwarb die BMW AG, um hier<br />

ihre ausländischen Arbeiter unterzubringen. 92<br />

Über den finanziellen Wert des arisierten Besitzes der in Piaski im Distrikt Lublin Ermordeten<br />

gibt das folgende Dokument Auskunft:<br />

„Dem Großdeutschen Reich wurden im Zug der Aktion ,Reinhardt‘ Lublin in der Zeit vom<br />

1. April 1942 bis einschließlich 15. Dezember 1943 nachstehende Geld- und Sachwerte<br />

(in RM) zugeführt:<br />

Abgelieferte Geldmittel (Zloti- und RM-Noten) 73.852.080,74<br />

Edelmetalle 8.973.651,60<br />

Devisen in Noten 4.521.224,13<br />

Devisen in gemünztem Gold 1.736.554,12<br />

Juwelen und sonstige Werte 43.662.450,00<br />

Spinnstoffe 46.000.000,00<br />

Gesamt 178.745.960,59<br />

Vorläufiger Abschlußbericht der Aktion ,Reinhardt‘ vom 5. Januar 1944“. 93<br />

In einem heute aufgefundenen Dokument über die Opfer des „Einsatzes Reinhardt“, die<br />

in einem Funkspruch vom britischen Geheimdienst am 11. Januar 1943 aufgefangen wurden<br />

sind die Opfer aus den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor, Treblinka und dem Großghetto<br />

Lublin und Lemberg aufgeführt: von Mitte März bis 31. Dezember 1942 waren es<br />

1 274 166. 94<br />

Vor 1933 hatte die jüdische Gemeinde in München 10 000 Mitglieder. Im März 1946 lebten<br />

in München nur noch 746 Mitglieder der jüdischen Gemeinde. 95 Von München aus<br />

sind insgesamt 2991 966 Jüdinnen und Juden deportiert worden. Wenige überlebten den<br />

Holocaust.<br />

92 Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... Verzogen, unbekannt wohin“. Die erste Deportation von<br />

Münchner Juden im November 1941: Abb. 3 und 4 (Stadtarchiv München)<br />

93 Schoenberner, Gerhard (1992): Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933–1945: 82<br />

94 Witte, Peter (2002): „... zusammen 1 274 166“. In Die Zeit Nr. 3 v. 10.1.2002: 82<br />

95 Bauer, Richard et al. (Hrsg.) (1986): München. Schicksal einer Großstadt: 139<br />

96 Ophir, B. / Wiesemann, F. (1958): Geschichte und Zerstörung der jüdischen Gemeinde in München<br />

1918–1945. In: Lamm, Hans (Hrsg.) (1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München: 488<br />

53


Ausstellungen<br />

7. – 26. Februar 1999: Und immer noch sehe ich ihre Gesichter. Fotografien jüdischer<br />

Lebenswelten in Polen vor der Schoa. Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und<br />

Tradition e. V. in Zusammenarbeit mit der Shalom Foundation Warschau und dem Jüdischen<br />

Museum Frankfurt a. M. mit Unterstützung des Bayerischen Staatsministeriums für<br />

Unterricht und Kultus, des Polnischen Ministeriums für Kultur und Kunst und der Landeshauptstadt<br />

München. Gezeigt im Neuen Rathaus von München.<br />

18. Oktober – 30. November 1999: Vom Mittelalter in die Neuzeit. Jüdische Städtebilder<br />

mit Sonderteil: Die Geschichte der Wissenschaft des Judentums. Präsentiert von der Gesellschaft<br />

zu Förderung jüdischer Kultur und Tradition e. V. und dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv.<br />

Gezeigt im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München, Schönfeldstraße 5.<br />

24. Oktober – 14. November 1999: Bilder aus dem Waschauer Ghetto. Zeichnungen<br />

von Teofila Reich-Ranicki. Gezeigt im Alten Rathaus von München.<br />

13. März – 30. April 2000: Schicksal (un)bekannt. Kunst- und Ausstellungsprojekt von<br />

Wolfram Kastner. Gezeigt in der Evangelischen Christus Kirche München.<br />

23. November – 23. Dezember 2000: ... verzogen, unbekannt wohin. Die erste Deportation<br />

von Münchner Juden im November 1941. Vom Stadtarchiv und der Landeshauptstadt<br />

München. Gezeigt im Neuen Rathaus, München.<br />

14. Februar – 11. März 2001: Oneg Schabbat. Dokumente aus dem Warschauer Ghetto.<br />

Vom Jüdischen Historischen Institut Warschau. Gezeigt in der Bayerischen Staatskanzlei<br />

am Franz-Josef-Strauß-Ring 1.<br />

19. Juli 2001 – 24. Januar 2002: Ich lebe! Das ist ein Wunder. Eine Ausstellung des Stadtarchivs<br />

München und der Abteilung für Jüdische Geschichte und Kultur dem Historischen<br />

Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München. Gezeigt im Jüdischen Museum<br />

München.<br />

Literatur<br />

Angermair, Elisabeth (2000): Letzte Station Milbertshofen. Fotografische Zeugnisse der Deportation und ihre<br />

Überlieferung. In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „...verzogen, unbekannt wohin“: 25–36<br />

Bauer, Richard / Stölzl, Christoph / Broszat, Martin / Prinz, Friedrich (Hrsg.) (1986): München. Schicksal einer<br />

Großstadt 1900–1950. Verlag Albert Langen, Georg Müller, München, Wien<br />

Bauer, Richard (2000): Ein Meister aus München. In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): “...verzogen, unbekannt<br />

wohin“: 9–10<br />

Behrend-Rosenfeld, Else (1988): Ich stand nicht allein. Leben einer Jüdin in Deutschland 1933–1944. Beck<br />

Verlag, München<br />

54


Benz, Wolfgang (1990): Herrschaft und Gesellschaft im nationalsozialistischen Staat. Studien zur Struktur-<br />

und Mentalitätsgeschichte. Frankfurt a. M.<br />

Brentzel, Marianne (1996): Nesthäkchen kommt ins KZ. Annäherung an Else Ury 1877–1943. Fischer Verlag,<br />

Frankfurt a. M.<br />

Gutmann, Israel (Hrsg.) (1993): Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen<br />

Juden. Band 2. Piper Verlag, München, Zürich<br />

Heuer, Renate (1988): Carry Brachvogel (1886–1942), Schriftstellerin. In: Geschichte und Kultur der Juden<br />

in Bayern. Lebensläufe: 211–216<br />

Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Lebensläufe. (1988) Hrsg. v. Manfred Treml und Wolf Weigand<br />

unter Mitarbeit von Evamaria Brockhoff. Veröffentlichung zur Bayerischen Kultur u. Geschichte, Band<br />

17. Kastner & Callwey, München<br />

Gleibs, Yvonne (1981): Juden im kulturellen und wissenschaftlichen Leben Münchens in der zweiten Hälfte<br />

des 19. Jahrhunderts. München. Miscellanea Bavarica Monacensia Band 76: 109–115<br />

Hanke, Peter (1967): Zur Geschichte der Juden in München 1933–1945. Neue Schriftenreihe des Stadtarchivs,<br />

München Heft 3: 282f<br />

Haus der Bayerischen Geschichte u. Historischer Verein Rosenheim (Hrsg.) (1993): Erinnerungszeichen. Die<br />

Tagebücher der Elisabeth Block. Mit Beiträgen v. Peter Miesbach u. Walter Treml. Quellen und Darstellungen<br />

zur Geschichte der Stadt und des Landkreises Rosenheim, Band 12. Wendelstein Druck, Rosenheim<br />

Heuer, Renate (1988): Carry Brachvogel (1864–1942), Schriftstellerin. In: Geschichte und Kultur der Juden<br />

in Bayern, Band 18, Lebensläufe. Hrsg. v. Manfred Treml et al., Kastner & Callwey, München<br />

Hilberg, Raul (1990): Die Vernichtung der europäischen Juden. Die Gesamtgeschichte des Holocaust. 3 Bände.<br />

Frankfurt a. M.<br />

Hiob, Hanne / Koller, Gerd (Hrsg.) (2000): „Wir verreisen ...“ in die Vernichtung. Briefe 1937–1944. Aufbau<br />

Taschen Verlag, Berlin<br />

Kaplan, Marion (2000): Der Mut zum Überleben. Jüdische Frauen und ihre Familien in Nazideutschland. Aufbau<br />

Verlag, Berlin<br />

Kastner, Wolfram (Hrsg.) (2000): Schicksal (un)bekannt. Begleitbuch zur Ausstellung in der Münchner Christus<br />

Kirche. Eigenverlag, München<br />

Klemperer, Viktor (1995): Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933–1941, Band 1. Aufbau<br />

Verlag, Berlin: 684ff<br />

Miesbeck, Peter (1993): Die Tagebücher der Elisabeth Block. Das Schicksal einer jüdischen Familie aus Oberbayern.<br />

In: Dachauer Hefte 9/1993. Die Verfolgung von Kindern und Jugendlichen. Hrsg. v. Wolfgang<br />

Benz u. Barbara Distel. Verlag Dachauer Hefte, Dachau: 102–122<br />

Ophir, Baruch Z. / Wiesemann, Falk (1958): Geschichte und Zerstörung der jüdischen Gemeinde in München<br />

1918–1945. In: Lamm, Hans (1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München. Langen Müller Verlag,<br />

München, Wien: 462–494<br />

Schoenberner, Gerhard (1992): Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933–1945. Fischer Verlag,<br />

Frankfurt a. M<br />

Schoenberner, Gerhard (2000): Zeugen sagen aus. Berichte und Dokumente über die Judenverfolgung im<br />

„Dritten Reich“. Aufbau Taschen Verlag, Berlin<br />

Spies, Gerty (1984): Drei Jahre Theresienstadt. München<br />

Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „...verzogen, unbekannt wohin“. Die erste Deportation von Münchner<br />

Juden im November 1941. Pendo Verlag, Zürich, München<br />

Wiedenmann, Ursula (1988): Elsa Porges-Bernstein (1866–1949), Schriftstellerin. In: Geschichte und Kultur<br />

der Juden in Bayern, Band 18. Lebensläufe. Hrsg. v. Manfred Treml et al., Kastner & Callwey, München:<br />

217–224 Witte, Peter (2002): „... zusammen 1 274 166“. Der Funkspruch des SS-Sturmbannführers Hermann<br />

Höfle liefert ein Schlüsseldokument des Holocaust. In: Die Zeit Nr. 3 v. 10.1.2002<br />

55


56<br />

Jüdisches Kinderheim<br />

„Ohne eine heitere und vollwertige Kindheit verkümmert das ganze spätere Leben.<br />

Das Kind wird nicht erst Mensch, es ist schon einer.“<br />

Janusz Korczak 97<br />

„Aber ihre Leistung (von Elisabeth und Luise Merzbacher) dauert fort in den vielen,<br />

denen sie den Weg ins Leben zu ebnen geholfen haben.“ 98<br />

Henny Seidemann vor dem Jüdischen Kinderheim, 1937<br />

Foto: H. Seidemann (privat)<br />

Jüdisches Kinderheim in der Antonienstraße 7<br />

Foto: Ida Seele Archiv, Dillingen<br />

97 Tjaden, Katrin (2001): Die Steine weinten. Überleben und Tod des Janusz Korczak. In: Schulfunk und<br />

Schulfernsehen, Heft 9, Mai 2001. Auch in: Biewend, Edith (1974): Lieben ohne Illusion: 5. Janusz<br />

Korczak (Pseudonym von Henryk Goldszmit), 1878 oder 1879–1942, war Arzt, sozialkritischer Schriftsteller<br />

und Pädagoge. Korczak fühlte sich als Waisenhausleiter seinen Kindern verpflichtet. Als alle Vermittlungsversuche<br />

nichts halfen, ging er mit 200 Kinder aus dem Warschauer Ghetto am 5. August 1942<br />

zur Deportation nach Treblinka, wo alle ermordet wurden.


Jüdisches Kinderheim<br />

Antonienstraße 6, Schwabing<br />

Dietlindenstraße U6<br />

M (2002)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Janne Weinzierl, Mitglied der SPD-Fraktion im Bezirksausschuss 12, Schwabing-Freimann,<br />

stellte am 12. Dezember 1998 den Antrag zur Anbringung einer Gedenktafel oder<br />

eines Gedenksteins zur Erinnerung an das ehemalige Jüdische Kinderheim. Am Standort<br />

des ehemaligen jüdischen Kinderheimes befindet sich heute ein Wohnhaus. Deshalb errichtete<br />

man die Gedenkstätte am gegenüberliegenden Haus; auf dem Gelände der Berufsoberschule<br />

für Sozialwesen, Antonienstraße 6.<br />

Die Einweihung fand am 16. April 2002 statt.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Der geplante Entwurf sieht eine Umgestaltung des Vorgartens vor. Um von außen eine<br />

freie Sicht auf die Gedenkstätte zu haben, werden die hölzernen Zaunlatten durch Sichtscheiben<br />

ersetzt. Im Hof sollen quadratische, mit Steinen gefüllte Eisenbecken stehen. Auf<br />

dem Gehsteig wird das Kinderspiel „Himmel und Hölle“ in den Boden eingelassen. 99 Zur<br />

Ausführung kam jedoch der Entwurf des Künstlers Hermann Kleinknecht.<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Das Denkmal schuf Hermann Kleinknecht<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Im Jahr 1904 beschlossen Elisabeth und Luise Merzbacher, beide aus einer liberalen jüdischen<br />

Familie stammend, einen privaten Kindergarten zu gründen. Infolge der Pogrome<br />

in Russland war eine große Anzahl bedürftiger Familien nach München gekommen. Anfangs<br />

brachten die Merzbachers die Kinder in ihrer eigenen Wohnung unter. Später wurden<br />

weitere Zimmer und Wohnungen angemietet, um Kindergarten und Hort unterzubringen.<br />

Elisabeth Merzbacher 100 war Mitbegründerin des Vereins „Israelitische Jugendhilfe<br />

e. V.“ Es kam zur offiziellen Errichtung eines Kindergartens, der von der Stadt München,<br />

98 (1958): Jüdische Jugendfürsorge in München, 1904–1943. In: Lamm, Hans (Hrsg.) (1982): Vergangene<br />

Tage. Jüdische Kultur in München: 121<br />

99 In: Münchner Merkur Nr. 27 v. 2.2.2001: Himmel und Hölle in der Antonienstraße (hab)<br />

57


von Spendern und Freunden unterstützt wurde. So konnte sich nach zehn Jahren die ursprüngliche<br />

Kapazität, entsprechend einer Drei-Zimmer-Wohnung (Baaderstraße 5) mit<br />

Platz für 30 Kinder, auf eine Größe erhöhen, die einer Anzahl von 150 Kindern entsprach.<br />

101<br />

Das neue Heim in der Antonienstraße<br />

1925 konnte das Haus in der Antonienstraße 7 gekauft werden. „Das neue Heim, in einem<br />

schönen Garten gelegen, bestand aus 20 Räumen. Die Inneneinrichtung übernahm der<br />

Schwesternbund der München-Loge. In vorbildlicher Weise, mit größter Umsicht wurde<br />

die Sammlung der Einrichtungsgegenstände, der Wäsche und was sonst nötig war, von<br />

Frau Dr. Baerwald (Ehefrau des Rabbiners Leo Baerwald) organisiert. Die München-<br />

Loge stiftete einen Betraum, der sehr geschmackvoll ausgestattet war und in dem an den<br />

Freitag-Abenden und an Feiertagen Gottesdienst abgehalten wurde.“ 102 Am 29. März<br />

1926 war das Heim bezugsfertig, die Kinder konnten einziehen. Aufgenommen wurden<br />

Waisenkinder, uneheliche oder im Elternhaus gefährdete Kinder, dazu kamen gerade aus<br />

der Schule entlassene Kinder, die hier in Haushaltsführung und Kinderpflege ausgebildet<br />

wurden. Dem Heim war eine Säuglingsstation, eine Kleinkinderstation und eine Abteilung<br />

für Schulkinder angeschlossen. Der Kindergarten durfte nur von jüdischen Kindern besucht<br />

werden.<br />

Henny Seidemann erinnert sich an ihre Zeit im Antonienheim<br />

Ihr Tagesablauf und die spezielle Ausbildung zur Hausarbeit regelten ein genauer Plan. So<br />

mussten die Jugendlichen auch in der Küche, die unterteilt war in Großküche und Familienküche,<br />

lernen. Ebenso war die Arbeit in der Wäscherei geregelt. Hier war die Lehrerin<br />

Klara Mayer zuständig, die als 47-jährige am 4. April 1942 in das Ghetto nach Piaski<br />

kam. 103 Besonders zuverlässige Jugendliche – zu denen Henny Seidemann gehörte – wurden<br />

im Kindergarten eingesetzt und in der Säuglingspflege ausgebildet. In der Zeit ihres<br />

Aufenthaltes war Alice Bendix dort Heimleiterin, eine nach Henny Seidemann „zuverlässige<br />

und korrekte Leiterin“, die mit „Disziplin“ 104 ihre Aufgabe erfüllte.<br />

Die 1922 in Berlin geborene Henny Seidemann stammt aus einer angesehenen, im religi-<br />

100 (1861 München-1966 Washington). Verheiratet mit Dr. jur. Wilhelm Kitzinger (1870–1945), der im<br />

November 1938 einen Monat im KZ Dachau verbrachte. Das Ehepaar konnte 1939 nach Israel ausreisen.<br />

Seit 1947 lebte Elisabeth Kitzinger in Washington, wo sie 1966 starb.<br />

101 Kitzinger, Elisabeth (1958): Jüdische Jugendfürsorge in München, 1904–1943. In: Lamm, Hans (Hrsg.)<br />

(1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München: 121<br />

102 Kitzinger, Elisabeth (1958): Jüdische Jugendfürsorge in München, 1904–1943: 123–124<br />

103 Zitiert nach der Ausstellung: „Jüdisches Kinderheim in der Antonienstraße“ v. d. Berufsoberschule für<br />

Sozialwesen, erarbeitet v. Dagmar Kann u. Beate Folgner<br />

104 Interview mit Henny Seidemann, geführt von Helga Pfoertner am 19. August 2001<br />

58


ösen Bereich liberalen jüdischen Kaufmannsfamilie. Sie begann in der Schule die Schikanen<br />

bereits als Elfjährige zu spüren. Auch erlebte sie die Ausgrenzung aller jüdischen<br />

Menschen in verantwortungsvoller Position wie Juristen und Ärzte, die als Beamte im<br />

April 1933 ihre Kündigung erhielten. 105 1935 emigrierte die Familie nach Barcelona (Spanien)<br />

zu Verwandten. Dort bekam die Familie Seidemann im Herbst 1936 vom deutschen<br />

Konsulat die Aufforderung, dass wegen der Kriegsgefahren (Bürgerkrieg seit 1936), Kinder,<br />

Jugendliche und Senioren nach Deutschland zurückzukehren hätten. Henny Seidemann<br />

wurde deshalb alleine nach Deutschland geschickt. Am Münchner Bahnhof erwarteten<br />

sie bereits Leute der Gestapo, die sie vier Tage im Wittelsbacher Palais als vermeintliche<br />

Spionin verhörten. Danach kam sie in das streng orthodox geführte jüdische Kinderheim<br />

in der Antonienstraße. Am 8. Juni 1938 war sie Augenzeugin beim Abriss der Hauptsynagoge<br />

in der Maxburgstraße (siehe Band 1: Hauptsynagoge). Nach zweijährigen<br />

Heimaufenthalt konnte Henny mit Hilfe von Verwandten über die Schweiz zurück nach<br />

Spanien zu ihren Eltern zurückkehren. Große Unterstützung während ihrer Münchner Zeit<br />

bekam sie von der Direktorin des Kinderheims Elisabeth Kitzinger, die „ihre schützende<br />

Hand“ 106 über sie hielt.<br />

Henny Seidemann kehrte 1957 wieder nach Deutschland zurück und engagierte sich für<br />

verschiedene jüdische Organisationen. Sie erhielt für ihr offizielles Engagement folgende<br />

Auszeichnungen: 1987 das Bundesverdienstkreuz am Bande, 1992 das Bundesverdienstkreuz<br />

Erster Klasse und 1993 die Medaille „München leuchtet“. Seit 1983 wirkte sie als<br />

Vorsitzende der „Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit“, als Ehrenvorsitzende<br />

seit 1992. Bis heute setzt sich Henny Seidemann für die Aussöhnung zwischen den<br />

Religionen ein.<br />

Die Heimleiterinnen und das Personal des Antonienheimes<br />

Von 1928 bis 1932 leitete Hilde Rosenberg das Heim. Ab 1933 bis zur Auflösung 1942<br />

hatte Alice Bendix die Heimleitung inne. Die ärztliche Leitung übernahm Dr. Ludwig<br />

Kaumheimer. Zum Personal gehörten: Merry Gaber: geboren 29. August 1920 in Dresden.<br />

Im Antonienheim war sie von Januar 1933 bis April 1942 tätig. Nach ihrem Umzug in die<br />

„Judensiedlung Milbertshofen“, wo sie bis Juni 1942 blieb, folgte die Einweisung in die<br />

„Heimanlage“ Berg am Laim bis März 1943. Von hier wurde sie nach Auschwitz deportiert.<br />

107<br />

105 Nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933“ konnten jüdische<br />

Beamte entlassen oder in den vorzeitigen Ruhestand versetzt werden. Vgl. Münch, Ingo von (Hrsg.)<br />

(1994): Gesetze des NS-Staates: 36f<br />

106 Interview mit Henny Seidemann, geführt von Helga Pfoertner am 19. August 2001<br />

107 Zitiert nach der Ausstellung: „Jüdisches Kinderheim in der Antonienstraße“ v. d. Berufsoberschule für<br />

Sozialwesen, erarbeitet v. Dagmar Kann u. Beate Folgner<br />

59


Die erste Deportation von Münchner Juden<br />

Vom Betreuungspersonal des Antonienheims kamen folgende Personen auf die erste Deportation<br />

am 20. November 1941: Isabella Pmogar (*4.2.1929 München), Johanna Roth<br />

(*9.4.1891 München), Elisabeth Löb (*7.5.1888 Mannheim), Elisabeth Mann<br />

(*23.8.1895 Mannheim) und der Schreinerlehrling Josef Stettner (*5.2.1925 München).<br />

108 Sie wurden fünf Tage später in Kowno ermordet.<br />

Auflösung des Antonienheimes<br />

Bereits 1938 verlangte das Stadtjugendamt die Auflösung des Kinderheimes. Dies konnte<br />

bis zum Frühjahr 1942 hinausgezögert werden. Mit 13 Kindern übersiedelten die Betreuerinnen<br />

Alice Bendix und Hedwig Jakobi im April desselben Jahres in die „Heimanlage<br />

für Juden“ in Berg am Laim. Beide kamen zusammen mit 113 Deportierten auf den Transport<br />

am 13. März 1943 nach Auschwitz, wo sie am 16./17. März in den Gaskammern des<br />

KZ Auschwitz-Birkenau ermordet wurden. 109 Das Schicksal der Kinderheimleiterin Alice<br />

Bendix, kann mit dem aufopfernden Handeln des Waisenhausleiters Janusz Korczak im<br />

Warschauer Ghetto verglichen werden. Beide gingen sie den letzten Weg mit ihren<br />

Schützlingen.<br />

Das Gebäude des aufgelösten Antonienheims kam auf Befehl des Reichsicherheitshauptamtes<br />

in Berlin in den Besitz des SS-Vereins „Lebensborn e. V.“. Das im Krieg beschädigte<br />

Haus wurde später abgerissen. Heute befinden sich dort Wohngebäude.<br />

Ausstellungen<br />

Februar – 26. Februar 2001: Jüdisches Kinderheim in der Antonienstraße. Konzipiert<br />

als Wanderausstellung von den Schülerinnen der 13. Klasse der Berufsoberschule für Sozialwesen,<br />

Dagmar Kann und Beate Folgner. Berufsoberschule für Sozialwesen, Antonienstraße<br />

6.<br />

28. Februar – 28. März 2001: Dieselbe Ausstellung wurde im Münchner Maximilians-<br />

Gymnasium in der Karl-Theodor-Straße 9 gezeigt.<br />

Film<br />

November 1999: Kindertransport in eine fremde Welt. Dokumentarfilm von Mark Jo-<br />

108 Zitiert nach der Ausstellung: „Jüdisches Kinderheim in der Antonienstraße“ v. d. Berufsoberschule für<br />

Sozialwesen, Antonienstraße 6<br />

109 Ophir, Baruch Z. / Wiesemann, Falk (1958): Geschichte und Zerstörung der jüdischen Gemeinde in München<br />

1918–1945. In: Lamm, Hans (Hrsg.) (1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München: 485<br />

60


nathan Harris.<br />

Literatur<br />

Berger, Manfred (1995): Elisabeth Kitzinger (1881–1966) und die jüdische Wohlfahrtsarbeit in München<br />

(1904–1943). In: Jüdisches Leben in München. Geschichtswettbewerb 1993/94. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt<br />

München. Buchendorfer Verlag, München: 57–63<br />

Epstein, Helen (1987): Die Kinder des Holocaust: Gespräche mit Söhnen und Töchtern von Überlebenden.<br />

München<br />

Grube, Ernst (1993): „Den Stern, den tragt ihr nicht“. Kindheitserinnerungen an die Judenverfolgung in München.<br />

In: Dachauer Hefte 9/1993: Die Verfolgung von Kindern und Jugendlichen. Hrsg. v. Wolfgang Benz<br />

und Barbara Distel. Dachau: 3–13<br />

Grube, Ernst (1995): „Du Jud´, schleich dich!“ Kindheit in München 1932 bis 1945. In: Jüdisches Leben in<br />

München. Lesebuch zum Geschichtswettbewerb 1993/94. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München. Buchendorfer<br />

Verlag, München<br />

Kitzinger, Elisabeth (1958): Jüdische Jugendfürsorge in München, 1904–1943. In: Lamm, Hans (Hrsg.)<br />

(1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München. Langen Müller, München, Wien<br />

Kössel, Ina (1995): Bildungs- und Sozialeinrichtungen für jüdische Kinder und Jugendliche in München bis<br />

1943. In: Jüdisches Leben in München. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München. Buchendorfer Verlag,<br />

München: 64–75<br />

Kohlenberger-Müller, H. (1990): Elisabeth Kitzinger und der Münchner Verein Israelitischer Jugendhilfe. In:<br />

Brehmer, I. (Hrsg.) (1990): Mütterlichkeit und Profession. Pfaffenweiler<br />

Lifton, J. B. (1990): Der König der Kinder. Das Leben von Januscz Korczak. Stuttgart<br />

Ruch, Martin (1992): Familie Cohn. Offenburg<br />

Ophir, Baruch Z. / Wiesemann, Falk (1958): Geschichte und Zerstörung der jüdischen Gemeinde in München<br />

1918–1945. In: Lamm, Hans (Hrsg.) (1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München. Langen<br />

Müller, München, Wien<br />

Pelzer, Wolfgang (1987): Janusz Korczak. Eine Biographie. Rowohlts Monographien. Reinbek b. Hamburg<br />

Seidemann, Henny: Interview, geführt von Helga Pfoertner am 18. Februar u. 19. August 2001<br />

61


62<br />

Jüdisches Museum München<br />

„Jetzt beginnt endlich die Teamarbeit.“<br />

Richard Grimm 110<br />

Im Jüdischen Museum München<br />

Foto: H. Pfoertner<br />

110 Süddeutsche Zeitung v. 22.12.1998. Zitiert in: Kallweit, Doreen (2000): Die Geschichte des Jüdischen<br />

Museums München: 29


Jüdisches Museum München<br />

Reichenbachstraße 27, Rückgebäude, Isarvorstadt<br />

Fraunhoferstraße U1/U2/U8<br />

Privat (1989)<br />

M (1998)<br />

Öffnungszeiten: Dienstag bis Donnerstag 14–18 Uhr, Mittwoch 9–12 Uhr.<br />

Tel.: (089) 20 00 96 93<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Der Münchner Galerist Richard Grimm gründete im Januar 1989 in Eigeninitiative das Jüdische<br />

Museum München in der Maximilianstraße 36. Er wollte damit „einen Platz schaffen,<br />

wo Menschen ohne Schwellenangst Einstieg finden in die jüdische Kultur, und ein Forum<br />

für Vergangenheit und Gegenwart der Juden. Ich will an die gemeinsame Geschichte<br />

von Deutschen und Juden erinnern und an das Furchtbare, das hier geschehen ist.“ 111 Anfang<br />

November 1998 erfolgte der Umzug des Museums in die Räume der Israelitischen<br />

Kultusgemeinde. Es gelangte damit unter die Obhut des Münchner Stadtmuseums und unter<br />

die Verwaltung der Landeshauptstadt München. Am 21. Dezember 1998 fand im Beisein<br />

der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch und des Kulturreferenten<br />

Professor Dr. Julian Nida-Rümelin, die Eröffnung statt.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Das Jüdische Museum befindet sich im Rückgebäude der Israelitischen Kultusgemeinde,<br />

Reichenbachstraße 27. Gezeigt werden Dokumente und Exponate zur jüdischen Kultur<br />

und Geschichte. Dazu gehört die Kapsel im Schlussstein der Münchner Hauptsynagoge<br />

(siehe Band 1: Hauptsynagoge) von 1887. Wechselnde Ausstellungen informieren über<br />

Historie, Religion und Brauchtum. Geleitet und betreut wird das Museum von seinem<br />

Gründer Richard Grimm, der den Besuchern während der Öffnungszeiten als Berater zur<br />

Seite steht.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

In München waren bereits einige Jahrzehnte nach der Stadtgründung (um 1170) Juden ansässig.<br />

Die erste Synagoge wurde 1381 in der „Judengasse“, im Bereich des heutigen Marienhofs<br />

errichtet. Die wechselvolle Geschichte der Juden in München ist von Pogromen<br />

(1285, 1345, 1349, 1413, 1442) und der Ausweisungspolitik der bayerischen Landesherrn<br />

111 Puvogel, U. / Stankowski, M. (1995): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus: 174<br />

63


gekennzeichnet. Nach der Vertreibung von 1442 gab es in München keine jüdische Gemeinde<br />

mehr. Dies blieb so bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. 112 Erst Jahrzehnte später<br />

war die Eingliederung der Juden in das bürgerliche Leben vollzogen. Das so genannte „Judenedikt“<br />

führte zu einer reichsweiten Regelung des Status der Juden und leitete deren<br />

rechtliche Gleichstellung ein. So erlaubte das Edikt die Gründung einer jüdischen Gemeinde<br />

pro Ort, was in München zur Gründung der Israelitischen Kultusgemeinde führte.<br />

Zu Beginn des Jahres 1815 konnte ein Friedhof angelegt und der Bau einer Synagoge begonnen<br />

werden. Die erste Synagoge erbaute Jean Baptist Métivier (1781–1853) im Jahre<br />

1826 an der Westenriederstraße.<br />

Mit der Zuwanderung der Juden aus Osteuropa vergrößerte sich die jüdische Gemeinde<br />

Münchens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und machte den Bau der Hauptsynagoge<br />

(1884–1887, siehe Band 1: Hauptsynagoge) notwendig. Volle Gleichberechtigung<br />

in Gesellschaft und Staat erreichte die jüdische Gemeinde erst in den Jahren 1869 und<br />

1871. 113 Kurz danach fand im Beisein des bayerischen Prinzregenten Luitpold die Einweihung<br />

der Münchner Hauptsynagoge statt. In der Zeit bis zur nationalsozialistischen<br />

Machtergreifung konnten sich die jüdischen Mitbürger assimilieren und ein reges religiöses<br />

Leben führen. Der Anteil der jüdischen Bevölkerung in München war trotz der Zunahme<br />

der Immigranten zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Vergleich zur Gesamtbevölkerung<br />

gering: Ihr Anteil lag im Jahre 1910 bei 1,9 Prozent. 114<br />

Im Jahre 1933 hatte München 1,2 Prozent jüdische Einwohner. 115<br />

Die „Entfernung“ der Juden war von Anfang an ein geplantes Ziel der nationalsozialistischen<br />

Politik. Die NS-Gesetzgebung, der nationalsozialistische Rassebegriff und der verbreitete<br />

Antisemitismus hatten die Ausgrenzung, Vertreibung und schließlich den Massenmord<br />

zur Folge. Die Juden wurden entrechtet, enteignet, deportiert oder in die Emigration<br />

gezwungen. Viele entzogen sich der Deportation durch Suizid.<br />

Das Jüdische Museum München<br />

Einer der Initiatoren des Jüdischen Museums war der damalige Präsident der Israelitischen<br />

Kultusgemeinde, Dr. Hans Lamm. Er strebte einen Bau auf der Grünfläche der ehemaligen<br />

Hauptsynagoge an der Herzog-Max-Straße an. Hier sollte ein „Haus der offenen<br />

112 Baerwald, Leo (1982): Juden und jüdische Gemeinden in München vom 12. bis 20. Jahrhundert. In:<br />

Lamm, Hans (Hrsg.): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München: 19–30<br />

113 Selig, Wolfram (Hrsg.) (1988): Synagogen und Jüdische Friedhöfe: 58<br />

114 Ophir, Baruch Z. / Wiesemann, Falk (1979): Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918–1945: 33<br />

115 16 Statistik des Deutschen Reiches, Band 451, Heft 5, Berlin 1936, S. 10. In: Heusler, A. / Weger, T.<br />

(1998): „Kristallnacht“: 17<br />

64


Türe des Judentums“, Bildungs- und Kunstzentrum mit Bibliothek, Vortragssaal, Ausstellungsräumen<br />

und Literatencafé errichtet werden. 116 Dieser Bau konnte jedoch wegen<br />

Platzmangels und rechtlicher Gründe nicht durchgeführt werden. 117 Der Galerist Richard<br />

Grimm führte fort, was sein Mentor Hans Lamm begann, „weil er ein Mann war, ... der<br />

mit seiner ganzen Person für die Versöhnung eingetreten ist.“ 118 Er initiierte das 1989 gegründete<br />

Jüdische Museum, das zuerst in einer Zweizimmerwohnung (etwa 30m²) untergebracht<br />

war.<br />

Zu den Aufgaben des Jüdischen Museums gehört die Darstellung jüdischer Kultur, Tradition<br />

und Geschichte.<br />

Das Konzept sieht wechselnde Ausstellungen vor (siehe Aufstellung). Die Resonanz war<br />

durchaus positiv: bis Februar 1992 konnten 22 500, bis Januar 1997 100 000 Besucher gezählt<br />

werden. 119 Die Landeshauptstadt München unterstützt seit 1995 den Bau eines Jüdischen<br />

Museums am Jakobsplatz, was anlässlich einer Gedenkfeier am 9. November 1995<br />

der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude mit folgenden Worten bekräftigte: „Wir<br />

glauben, daß die Juden in München nicht nur eine Geschichte, sondern auch eine Zukunft<br />

haben. Und deshalb wird die Stadt alles daran setzen, daß ein Jüdisches Museum auf ihre<br />

Bedeutung in der Vergangenheit hinweist, und daß ein Gemeindezentrum entsteht, in dem<br />

sich das gegenwärtige Leben entfalten kann.“ 120 Im Juli 2001 fiel die Entscheidung, den<br />

Entwurf des Saarbrücker Architektenteams Wandel, Hoefer und Lorch für ein Jüdisches<br />

Zentrum samt Jüdischem Museum auf dem Jakobsplatz zu verwirklichen.<br />

Um die Ausstellungsfläche des Jüdischen Museums zu vergrößern, beschloss der Museumsleiter<br />

Richard Grimm im Januar 1998, ein Gartenhaus (240 m²) anzumieten. Der Umzug<br />

erfolgte im März desselben Jahres. Die damit verbundenen Kosten zogen einen finanziellen<br />

Engpass nach sich. Als alle Rettungsmaßnahmen versagten, beschloss die Israelitische<br />

Kultusgemeinde, Räume in ihrem Gemeindezentrum in der Reichenbachstraße 27<br />

zur Verfügung zu stellen. Seit dem Umzug dorthin im November 1998 ist die Landeshauptstadt<br />

München Träger des Jüdischen Museums; das Münchner Stadtmuseum übernahm<br />

die Beratung. Die vier Ausstellungsräume (120 m²) werden von dem Museumsgründer<br />

Richard Grimm betreut. 121<br />

116 Kallweit, Doreen (2000): Die Geschichte des Jüdischen Museums München: 6<br />

117 Kallweit, Doreen (2000): Die Geschichte des Jüdischen Museums München: 6<br />

118 Süddeutsche Zeitung v. 9.3.1989. In: Kallweit, Doreen (2000): Die Geschichte des Jüdischen Museums<br />

München: 4<br />

119 Kallweit, Doreen (2000): Die Geschichte des Jüdischen Museums München: 12 u. 17<br />

120 Süddeutsche Zeitung v. 16./17.12.1995. In: Kallweit, Doreen (2000): Die Geschichte des Jüdischen<br />

Museums München: 23<br />

121 Kallweit, Doreen (2000): Die Geschichte des Jüdischen Museums München: 29<br />

65


Ausstellungen (bis 1999, zitiert nach Kallweit)<br />

Ein bescheidener Anfang. Eröffnungsausstellung (1989)<br />

„Jüdische Postkarten“<br />

„E. M. Lilien – Zeichnungen“<br />

Schüler in Bayern malen zum Versöhnungstag (Jom Kippur). Ausstellung<br />

ausgewählter Bilder<br />

„Raoul Wallenberg – er rettete hunderttausend Juden das Leben“<br />

Alltag in Jerusalem. Fotografien von Sonia Gidal. In Zusammenarbeit mit der<br />

Literaturhandlung<br />

Das Buch Esther – Purim. Zeichnungen von David Bennett. In Zusammenarbeit mit der<br />

Literaturhandlung<br />

Teddy Kolleck – Bürgermeister von Jerusalem. Ein Porträt<br />

Münchner Synagogen – ein historischer Rückblick. In Zusammenarbeit mit dem<br />

Stadtarchiv München<br />

„6 000 001 – Holzschnitte Moshe Hoffmann (1938–1983)“<br />

Das Ghetto in Venedig. Photographien von Edmund Höfer. In Zusammenarbeit mit der<br />

Literaturhandlung<br />

Varian Fry – Marseille 1940/41. Rettung deutscher Emigranten. In Zusammenarbeit mit<br />

Jörg Bundschuh und der Literaturhandlung<br />

Juden in Indien. Fotografien von Frédéric Brenner<br />

Der Davidstern. Zeichen der Schmach, Symbol der Hoffnung<br />

Jüdische Zeremonien. Kupferstiche von Bernard Picart (1673–1733)<br />

Schalom ben-Chorin, Jerusalem. Ein Porträt von Sonia Gidal<br />

„Fluchtpunkt Schanghai 1938–1945“<br />

„60 Jahre Aufbau“<br />

Ein Leben aufs Neue – Jüdische „Displaced Persons” auf deutschem Boden 1945–<br />

1948. In Zusammenarbeit mit dem Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main und der<br />

Literaturhandlung<br />

Vertreibung – Deportation – Vernichtung. Lebensskizzen jüdischer Bürger in<br />

München während der NS-Zeit. Eine Ausstellung des Stadtarchivs München vom<br />

November 1995 – März 1996<br />

Wir sind eine Familie. (Nicht-)Alltägliches im Shoul-Eisenberg-Seniorenheim der<br />

Israelitischen Kultusgemeinde München. Photographien von Catharina Hess. Mit<br />

Unterstützung des Kulturreferats der Landeshauptstadt München, des Vereins<br />

„Freunde des Jüdischen Museums e.V.“ und José Moskovits, Buenos Aires<br />

Jüdisches Leben in München. Die Anfangsjahre 1945. In Zusammenarbeit mit dem<br />

Jugend- und Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München<br />

Kristallnacht – Gewalt gegen die Münchner Juden vom November 1998 – März 1999<br />

66


Beth ha – Knesseth, Ort der Zusammenkunft. Zur Geschichte der Münchner<br />

Synagogen, ihrer Rabbiner und Kantoren im Jüdischen Museum München. Eine<br />

Ausstellung des Stadtarchivs München vom 2. Dezember 1999 – 31. Mai 2000<br />

David Ludwig Bloch. München – Schanghai – New York. Eine Ausstellung zum 90.<br />

Geburtstag des Künstlers vom 19. Juli – 14. Dezember 2000<br />

Jüdisches. Eine Fotoausstellung von Peter Loewy in Zusammenarbeit mit dem<br />

Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München vom 22. Februar – 14. Juni<br />

2001 München<br />

Ich lebe! Das ist ein Wunder. Das Schicksal einer Münchner Familie während des<br />

Holocaust. Eine Ausstellung des Stadtarchivs München und der Abteilung für Jüdische<br />

Geschichte und Kultur, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München vom 19. Juli 2001 – 24. Januar 2002<br />

Where I Was. Eine Fotoausstellung von Erich Hartmann. Gezeigt in München und New<br />

York. 23. Mai - 12. September 2002<br />

Die Rosenthals - Der Aufstieg einer jüdischen Antiquarsfamilie zu Weltruhm. 23.<br />

Oktober 2002 - 23. Oktober 2003<br />

Literatur<br />

Beth ha – Knesseth, Ort der Zusammenkunft. Zur Geschichte der Münchner Synagogen, ihrer Rabbiner und<br />

Kantoren. Stadtarchiv München (Hrsg.) (1999). Buchendorfer Verlag, München<br />

Hartmann, Erich (2002): Where I Was. Persönliche Fotografien. Otto Müller Verlag, Salzburg<br />

Heusler, Andreas (1995): Vertreibung. Deportation. Vernichtung. Jüdische Schicksale in München<br />

Heusler, Andreas / Weger, Tobias (1998): „Kristallnacht“. Gewalt gegen die Münchner Juden im November<br />

1938. Stadtarchiv München (Hrsg). Buchendorfer Verlag, München<br />

Heusler, Andreas (Hrsg.) (2001): „Ich lebe! Das ist ein Wunder“. Schicksal einer Münchner Familie während<br />

des Holocaust. Mit einem Vorwort von Michael Brenner. Hrsg. v. Stadtarchiv München. Buchendorfer<br />

Verlag, München<br />

Kallweit, Doreen (2000): Die Geschichte des Jüdischen Museums München. Hauptseminar-Arbeit im Fach<br />

Neuere und Neueste Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für jüdische Geschichte<br />

und Kultur, Prof. Dr. Michael Brenner. Unveröffentl. Manuskript<br />

Selig, Wolfram (Hrsg.) (1988): Synagogen und jüdische Friedhöfe in München. Aries Verlag, München<br />

Stahleder, Helmut (1988): Die Münchner Juden im Mittelalter und ihre Kultstätten. In: Selig, Wolfram (Hrsg.)<br />

(1988): Synagogen und jüdische Friedhöfe in München: 11–34<br />

Ophir, Baruch Z. / Wiesemann, Falk (1979): Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918–1945. Verlag Langen<br />

Müller, München, Wien<br />

Puvogel, Ulrike / Stankowski, Martin (1995): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation.<br />

Band 1, Bundeszentrale für politische Bildung Bonn. Edition Hentrich, Bonn<br />

67


68<br />

Jüdische Rechtsanwälte<br />

„Das ist das höchste Unrecht, das sich in der Form des Rechts vollzieht.“<br />

Plato<br />

Dr. Elisabeth Kohn<br />

Foto: Stadtarchiv München<br />

Ausstellung „Anwalt ohne<br />

Recht“ im Lichthof des<br />

Justizpalasts<br />

Foto: H. Pfoertner


Gedenktafel<br />

Prielmayerstraße 7, Justizpalast, Altstadt<br />

Karlsplatz-/Stachus S1–S8<br />

M (1998)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Am 30. November 1998 enthüllte der bayerische Justizminister Alfred Sauter im Beisein<br />

der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Charlotte Knobloch zu Ehren der vor<br />

60 Jahren entrechteten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte eine Gedenktafel.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Die Gedenktafel befindet sich in einer Wandnische nahe der Eingangstüre. Auf einer Plexiglastafel<br />

(0,40 m × 0,60 m) steht in weißer Schrift folgender Text:<br />

„Die Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München gedenkt den<br />

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus<br />

1933 bis 1945 als Juden verfolgt und entrechtet wurden. Sie ehrt ihr Andenken<br />

durch die Aufzeichnung ihrer Namen zum 60. Jahrestag ihrer Vertreibung aus der Anwaltschaft<br />

am 30. November 1938. (RGBl I 1938, 1403).<br />

Paul Adler – Paul Adler – Siegfried Adler – Leopold Ambrunn – Hans Auerbach – Alfred<br />

Bacherach – Julius Baer – Fritz Ballin – Alfred Bauer – Max Bauer – Hans Baumann –<br />

Robert Bee – Richard Bellmann – Leo Benario – Ernst Berg – Georg Franz Bergmann –<br />

Hans Bernstein – Franz Berolzheimer – Hans Berolzheimer – Richard Berolzheimer –<br />

Adolf Bing – Adolf Bloch – Eduard Bloch – Hans Bloch – Karl Blumenstein – Richard<br />

Boscowitz – Gustav Böhm – Heinrich Buff – Fritz Dispeker – Siegfried Dispeker – Ludwig<br />

Dreifuß – Eugen Drey – Alex Dinkelsbühler – Josef Eilbott – Oskar Einstein – Max Ellinger<br />

– Albert Engel – Theodor Erlanger – Wilhelm Esslinger – Otto Feldheim – Ludwig<br />

Feuchtwanger – Max Feuchtwanger – Sigbert Feuchtwanger – Karl Feust – Martin<br />

Flaschner – Justin Fleischmann – Fritz Forchheimer – Emil Fränkel – Heinrich Frankenburger<br />

– Leopold Frei – Friedrich Freudenreich – Martin Friedenreich – Max Friedländer<br />

– Hans Fröhlich – Max Gardé – Arthur Gern – Hermann Gerstle – Oskar Gerstle –<br />

Ludwig Goldmann – Albert Goldschmidt – Friedrich Goldschmidt – Jakob Goldschmidt<br />

– Ernst Gottscho – Friedrich Guggenheim – Eugen Gunz – Josef Gunzenhäuser – Stefan<br />

Gutmann – Salomon Hähnlein – Isidor Harburger – Ludwig Haymann – Julius Heilbronner<br />

– Herbert Heinemann – Robert Held – Felix Herzfelder – Franz Herfelder – Max<br />

Hirschberg – Siegfried Holzer – Konrad Homberger – Herbert Jacobi – Alfred Jacoby –<br />

Hugo Jacoby – Siegfried Jacoby – Ferdinand Kahn – Fritz Kahn – Maximilian Kahn –<br />

69


Willy Kahn – Wilhelm Jakob Kahn – Albert Kann – Heinrich Kastor – Ignatz Katz – Adolf<br />

Kaufmann – Wilhelm Kitzinger – Fritz Klopfer – Sally Koblenzer – Arthur Königsberger<br />

– Felix Königsberger – Elisabeth Kohn – Jakob Kohnstamm – Emil Krämer – August<br />

Kronbacher – Ludwig Kurzmann – Emil Landecker – Willy Lederer – Leo Lemle – Wilhelm<br />

Levinger – Ludwig Levy – Benno Löffel – Julius Robert Löwenfeld – Philipp Löwenfeld<br />

– Karl Löwenstein – Siegfried Löwentritt – Arthur Luchs – Adolf Lustig – Max Mahler<br />

– Oskar Maron – Adolf Mayer – Arthur Mayer – Eugen Meyer – Hans Erich Mohr – David<br />

Mosbacher – Kurt Mosbacher –Sigmund Neu – Ary Neuburger – Fritz Siegfried Neuburger<br />

– Wilhelm Neuburger – Siegfried Neuland – Robert Neumark – Albert Oppenheimer<br />

– Ernst Oppenheimer – Siegfried Oppenheimer – Max Pereles – Alfred Perlmutter – Max<br />

Prager – Hermann Raff – Meinhold Rau – Ludwig Regensteiner – Franz Reinach – Heinrich<br />

Reinach – Fritz Reis – Walter Rheinheimer – Heinrich Rheinstrom – Leopold Rieser<br />

– Alfred Rosenberg – Paul Rosenberg – Julius Rosenbusch – Erich Rostousky – Hugo<br />

Rothschild – Moritz Schlesinger – Eugen Schmidt – Josef Schnaier – Friedrich Schnell –<br />

Adolf Schülein – Benno Schülein – Fritz Schulmann – Robert Schulmann – Felix Schwarz<br />

– Ernst Seidenberger – Reinhold Seligmann – Anna Selo – Alfred Selz – Julius Siegel –<br />

Michael Siegel – Fritz Silber – Emil Silbermann – Hans Silberschmidt – Josef Sinn – Karl<br />

Sonnenthal – Sigmund Steinharter – Kurt Steinmeier – Walter Steppacher – Adolf Stern –<br />

Alfred Strauß – Eugen Strauß – Elias Strauß – Hans Taub – Robert Theilhaber – Herbert<br />

Thomé – Arthur Teutsch – Robert Teutsch – Alfred Toussaint – Fritz Vogel – Alfred<br />

Wachsmann – Hans Weil – Josef Weil – Leo Weil – David Weiler – Leopold Weinmann –<br />

Arnold Weisbach – Jakob Weisbart – Jakob Weitzfelder – Alfred Werner – Simon Wertheimer<br />

– Robert Wetzler – Siegbert van Wein – Richard Wolf – Felix Zedermann<br />

München, den 30. November 1998.“<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Der Justizpalast kam auf das ehemalige Gelände des Herzoggartens und des Clemens-<br />

Schlösschens, das zuletzt als Soldatenunterkunft diente und 1890 dem Neubau weichen<br />

musste. Dieser entstand während der Amtszeit des Prinzregenten Luitpold in den Jahren<br />

1890–1897 nach den Plänen des Architekten und Professors der Baukunst an der Technischen<br />

Hochschule München, Friedrich Ritter von Thiersch (1852–1952). Der Bau zählt<br />

kunsthistorisch zu einem der bedeutendsten Bauten des ausgehenden Historismus. Der<br />

prächtige viergeschossige Monumentalbau wird von einer Eisen-Glas-Kuppel überragt<br />

und ist mit reichem Figurenschmuck ausgestattet. Das freistehende Gebäude entwickelt<br />

nach Osten zum Lenbachplatz einen vorgewölbten Gebäudeteil mit ausgeprägter Plastik.<br />

Dieser reichhaltige Figurenschmuck setzt sich im südlichen Mittelbau fort. Dort befindet<br />

sich über den Mittelfenstern im Giebelfeld eine Figurengruppe, die Unschuld, Gerechtig-<br />

70


keit und Laster symbolisieren. Im Zentralbau befinden sich ein groß angelegter Lichthof,<br />

Bibliotheks-, Repräsentations- und Schwurgerichtssaal. Hier fanden in der NS-Zeit Prozesse<br />

vor dem Volksgerichtshof statt. Durch Bomben entstanden im Dezember 1944 und<br />

im Januar 1945 erhebliche Gebäudeschäden.<br />

Der Wiederaufbau nach dem Krieg erfolgte in den 60er Jahren weitgehend nach den Plänen<br />

des Architekten Friedrich von Thiersch. Diese Arbeit konnte Ende 1988, nach vorausgegangener<br />

Innenrenovierung (1977–1982), mit der Sanierung der Fassaden abgeschlossen<br />

werden. Der Justizpalast war für die gesamte Münchner Justiz konzipiert. Heute beherbergt<br />

das Haus das Bayerische Staatsministerium der Justiz und Teile des Landgerichts<br />

München I.<br />

Jüdische Anwälte in Deutschland nach 1933<br />

Der Vorsitzende des NS-Juristenbundes und bayerische Justizminister beabsichtigte, wie<br />

sein preußischer Kollege Kerrl, die Entfernung aller Juden aus der Justiz. So hatten die<br />

Justizminister der Länder am 1. April 1933 alle jüdischen Richter, Staats- und Amtsanwälte<br />

beurlaubt. Richter „nichtarischer Abstammung“ konnten ohne nähere Begründung<br />

aus „dienstlichen Notwendigkeiten“ versetzt oder in den „vorzeitigen Ruhestand“ entlassen<br />

werden. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April<br />

1933“ hatte nach einem „Erlaß des Preußischen Justizministers zur Entfernung jüdischer<br />

Richter und Rechtsanwälte“ geführt. Gleichzeitig galt das Verbot, die Gerichtsgebäude<br />

weiterhin zu betreten. Im Oberlandesgerichtsbezirk München verloren aufgrund dieses<br />

Gesetzes 50 Amtspersonen, einschließlich der beiden Anwältinnen Dr. Elisabeth Kohn<br />

(siehe S. 74-75) und Anna Selo (*1896 – ?), ihre Zulassung.<br />

Anfang 1933 waren im Oberlandesgerichtsbezirk 225 jüdische Rechtsanwälte zugelassen.<br />

Der Anwaltskammer München gehörten 208 Anwälte jüdischer Herkunft an. 205 von ihnen<br />

waren in München zugelassen. 122<br />

In Berlin war etwa die Hälfte der Anwälte vom Erlass am 7. April 1933 betroffen. Die<br />

Gleichschaltung der Justiz führte dazu, dass sich die richterlichen Berufsverbände in den<br />

„Bund nationalsozialistischer Deutscher Juristen“ einzugliedern hatten. Bis zum 30. Mai<br />

1933 war die Gleichschaltung der gesamten Richtervereine vollzogen. 123 Im Berliner Kriminalgericht<br />

Moabit war es so genannten „Berichterstattern kommunistischer Richtung“<br />

und „Juristen jüdischer Abstammung“ verboten, das Gerichtsgebäude zu betreten. Bei<br />

Nichtbefolgung drohte eine Klage wegen Hausfriedensbruch. 124<br />

122 Dr. Reinhard Weber, in der Wanderausstellung „Anwalt ohne Recht“.<br />

123 Ortner, Helmut (1993): Der Hinrichter. Roland Freisler – Mörder im Dienste Hitlers: 75–77<br />

124 Haber, Fritz: (1995): Briefe an Richard Willstätter: 23<br />

71


Der Münchner Rechtsanwalt Dr. Michael Siegel (*1882 †1979) hatte sich Anfang April<br />

1933 für einen in „Schutzhaft“ genommenen Klienten im Polizeipräsidium eingesetzt. Als<br />

Strafe dafür schnitt ihm die SS die Hosenbeine ab und trieb ihn barfuß durch die Kaufingerstraße.<br />

Dabei musste er ein Schild mit folgender Aufschrift tragen: „Ich werde mich nie<br />

wieder bei der Polizei beschweren!“ Siegel gelang noch 1940 die Flucht nach Peru, wo er<br />

1979 verstorben ist.<br />

Judenpogrom<br />

In einem Fernschreiben aus Berlin vom 9. November 1938 / Nr. 234 404 forderte man alle<br />

Staatspolizei-Stellen und Leitstellen unter der Ziffer 3 auf, die Festnahmen von etwa<br />

20000 bis 30000 Juden vorzubereiten; vor allem „sind vermögende Juden auszuwählen.“<br />

125 In München wurden in diesem Zusammenhang etwa 1000 jüdische Männer festgenommen,<br />

unter ihnen befanden sich 60 der bereits 1933 entrechteten jüdischen Rechtsanwälte,<br />

die trotzdem ihren Beruf weiter ausgeübt hatten (siehe Band 2: Gräber der NS-<br />

Opfer auf dem Alten Israelitischen Friedhof). Auf dem Transport in das KZ Dachau kam<br />

Leopold Rieser ums Leben. Dr. Gustav Böhm nahm sich dort das Leben, Dr. Karl Feust<br />

starb an den im KZ erlittenen Misshandlungen. Mit der Verordnung Reichsgesetzblatt<br />

(RGB)1 I 1938, 1403 vom 30. November 1938 schloss man die in der Anwaltschaft zugelassenen<br />

Rechtsanwälte von der Rechtsanwaltskammer aus. Von dieser Regelung konnten<br />

die so genannten Altanwälte mit einer Zulassung vor dem 1. August 1914 befreit werden,<br />

ebenso die Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs. Im Oberlandesgerichtsbezirk München<br />

waren davon etwa 200 zugelassene und 55 bereits entlassene Rechtsanwälte betroffen,<br />

was einem Gesamtanteil von 38 Prozent entspricht. 126<br />

In München entfernte man aus den amtlichen Listen zuerst die jüdischen Rechtsanwälte,<br />

die der SPD angehörten. Zu ihnen zählte auch Max Hirschberg, der am 10. März 1933 für<br />

fünfeinhalb Monate festgenommen wurde. 127 Er konnte im April 1934 nach Italien emigrieren.<br />

Einzelne Beispiele<br />

Dr. Otto Feldheim (3.10.1884 Bamberg – ?)<br />

Er hatte gemeinsam mit Hugo Rothschild und Anton Doll eine Kanzlei in der Müllerstraße<br />

54/I. Seine Wohnung befand sich in der Frauenlobstraße 24. Er war verheiratet mit Alice<br />

Rosenthal; zusammen hatten sie eine Tochter. 1938 wurde ihm die Zulassung entzogen.<br />

125 Schoenberner, Gerhard (1992): Der gelbe Stern: 21<br />

126 Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg. Jude und Demokrat: 28<br />

127 Freisleder: Süddeutsche Zeitung Nr. 100 v. 9.9.1998. Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 278 ff<br />

72


Dr. Otto Feldheim emigrierte im April 1939 nach New York. 128<br />

Dr. Ludwig Feuchtwanger (1885–1947)<br />

Der Bruder des Schriftstellers Lion Feuchtwanger (siehe Band 1: Feuchtwanger) arbeitete<br />

von 1915–1933 als Rechtsanwalt in München und von 1914 bis 1936 als Lektor; 1915<br />

wurde er Direktor des Verlags Duncker und Humblot. 1939 emigrierte Feuchtwanger nach<br />

England (Winchester). Sein Nachlass befindet sich im Leo-Baeck-Institut, New York. 129<br />

Dr. jur. Karl Feust (1887–1938)<br />

Der Münchner Rechtsanwalt war nach dem Pogrom in das KZ Dachau eingeliefert worden<br />

und ist dort an den Folgen seiner Misshandlung gestorben 130 (siehe Band 2: Israelitischer<br />

Friedhof).<br />

Martin Friedenreich (1887–1962)<br />

Er war seit 1924 Rechtsanwalt in München. 1935 emigrierte er nach Paris. Nach 1945 erhielt<br />

er in München die Wiederzulassung. 131<br />

Dr. jur. Max Friedlaender (1873–1956)<br />

Seit 1899 Rechtsanwalt in München. 132 Er gehörte zu den angesehensten deutschen Juristen,<br />

war Mitbegründer des Bayerischen Anwaltsvereins und viele Jahre Vorstandsmitglied<br />

der Münchner Anwaltskammer. 133 Er flüchtete am 11. November 1938 über die Schweiz<br />

nach England.<br />

Dr. jur. Hans David Fröhlich (1895–1980)<br />

Seit 1924 Rechtsanwalt in München. Er meldete sich 1936 nach Mailand ab und übersiedelte<br />

1939 zusammen mit seiner Ehefrau Margarete Fröhlich, geb. Jacoby (*1898) in die<br />

USA. 134<br />

Dr. Arthur Gern (1884–1941)<br />

Sein Studium absolvierte er in München und Berlin. Im Ersten Weltkrieg diente er als<br />

Leutnant der Reserve. Gemeinsam mit Theodor Stern hatte er eine Kanzlei in der Reichenbachstraße<br />

1/II und wohnte in der Fraunhoferstraße 4. Dr. Gern war mit Elisabeth Ehrlich<br />

verheiratet und hatte drei Söhne: Ernst, Helmut und Karl. Sein Spezialgebiet war das<br />

128 Bokovoy, Douglas / Meining, Stefan (1994): Versagte Heimat: 270<br />

129 Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 42<br />

130 StAM, AG München NR 1938/3930 u. Polizeidirektion München 12306. In: Weber, Reinhard (1998):<br />

Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 290<br />

131 Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 283<br />

132 Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: 78. In: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft (1993): 555–569<br />

133 Haas, E. (1993). In: Heusler, A. / Weger, T. (1998): „Kristallnacht“: 111<br />

134 Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 307<br />

73


Grundbuchrecht. Er wurde am 20. November 1941 deportiert und am 25. November in<br />

Kaunas ermordet. 135<br />

Friedrich Goldschmidt (1871 Ludwigshafen – 1938 München)<br />

Der Justizrat nahm sich am 4. Dezember 1938 mit einer Überdosis Veronal das Leben. 136<br />

Dr. jur. Felix Herzfelder (1863 Speyer – 1944 Istanbul)<br />

Der Geheimrat emigrierte mit seiner Ehefrau Emma, geb. Oberndoerfer (*9.5.1873) nach<br />

Istanbul und starb dort im Oktober 1944. 137<br />

Dr. Max Hirschberg (13.11.1883 München – 21.6.1964 New York)<br />

Rechtsanwalt in München seit 1919. Er emigrierte 1934 über die Schweiz nach Italien und<br />

1939 weiter in die USA. 138<br />

Dr. jur. Hugo Jacoby (1869–1935)<br />

Seit 1896 Rechtsanwalt in München.<br />

Dr. jur. Siegfried Jacoby (1865–1935)<br />

Seit 1893 Rechtsanwalt in München. 139<br />

Adolf Kaufmann (1883–1933)<br />

Rechtsanwalt in München seit 1911 und Mitglied der SPD. Er war in den zwanziger Jahren<br />

geschäftsführender Direktor der Münchner Kammerspiele, emigrierte 1933 nach Wien<br />

und ist dort verstorben. 140<br />

Sally Koblenzer (1876–1953)<br />

Seit 1903 Rechtsanwalt in München. 1938 verlor er die Zulassung aus rassischen Gründen<br />

und emigrierte deshalb nach England. 141<br />

Dr. jur. Elisabeth Kohn (11.2.1902 München – 25.11.1941 Kowno)<br />

Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums in München studierte Elisabeth Kohn<br />

als eine der wenigen Frauen an der Universität München Rechtswissenschaften. Nach der<br />

Promotion am 24. Juli 1924 entschied sie sich für den höheren Justiz-Verwaltungsdienst.<br />

Seit dem 7. November 1928 war sie als Rechtsanwältin bei den Landgerichten München I<br />

135 Bokovoy, Douglas / Meining, Stefan (1994): Versagte Heimat: 271<br />

136 Zitiert nach: Heusler, A. / Weger, T. (1998): „Kristallnacht“: 141<br />

137 Zit. nach: Heusler, A. / Weger, T. (1998): „Kristallnacht“: 110f<br />

138 Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 278ff<br />

139 Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 78<br />

140 Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 136<br />

141 StAM, Polizeidirektion München 14604 u. Oberlandesgericht (OLG) München 704 In: Weber, Reinhard<br />

(1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 78<br />

74


und II und beim Oberlandesgericht München zugelassen. 142 Elisabeth Kohn war Mitarbeiterin<br />

in der Anwaltskanzlei bei Dr. Max Hirschberg und Philipp Löwenfeld. Nach dem Berufsverbot<br />

1933 erfolgte am 5. August 1933 die Aufhebung ihrer Zulassung. Danach war sie<br />

als Fürsorgerin bei der Israelitischen Kultusgemeinde tätig. 143 Im sozialen Bereich engagierte<br />

sich Dr. Elisabeth Kohn für die „Liga der Menschenrechte“ und im politischen Bereich<br />

für die SPD. Ihrer Schwester und Mutter zuliebe verzichtete sie auf die Emigration. 144<br />

Ihre Schwester, Marie Luise Kohn (25.1.1904 München – 25.11.1941 Kowno),<br />

Malerin, Graphikerin und Bühnenbildnerin mit dem Künstlernamen „Maria Luiko“, arbeitete<br />

für das Marionettentheater im Jüdischen Kulturbund. Der Historiker Schalom Ben<br />

Chorin beschrieb sie „als überaus sensible junge Frau mit verträumten großen schwarzen<br />

Augen.“ 145 1924 entwarf sie Dekoration und Masken zu Franz Werfels Paulus unter den<br />

Juden.<br />

Am 20. November 1941 wurde Elisabeth Kohn zusammen mit ihrer Schwester Marie Luise<br />

und ihrer Mutter Olga deportiert und am 25. November 1941 in Kowno (siehe Band 2:<br />

Judendeportation) ermordet. 146<br />

Dr. Willy Lederer (24.10.1885 – 12. 4.1940)<br />

Der Münchner Rechtsanwalt, der seit 1933 Wohnung und Kanzlei in der Ruffinistraße 23<br />

hatte, setzte seinem Leben selbst ein Ende. 147<br />

Philipp Löwenfeld (1887–1963)<br />

Er war Rechtsanwalt in München, engagierter Sozialdemokrat und mit Wilhelm Hoegner<br />

(siehe Band 1: Hoegner) befreundet. Emigrierte 1933 in die Schweiz und von dort 1938<br />

nach USA. Seine unveröffentlichten Erinnerungen befinden sich im Leo-Baeck-Institut,<br />

New York. 148<br />

Karl Löwenstein (1891–1973)<br />

Der Jurist und Politologe war von 1919 bis 1933 als Rechtsanwalt in München tätig und<br />

dozierte von 1931 bis 1933 an der Universität München. 1933 emigrierte Karl Löwenstein<br />

in die USA und wurde dort Professor in Yale und Amherst. 1945/46 war er Mitarbeiter der<br />

amerikanischen Militärregierung in Deutschland (OMGUS). 1956/57 übernahm Karl Lö-<br />

142 Pförtner, Jasmin (2000): Spurensuche. In: Kastner, Wolfram (Hrsg.) (2000): Schicksal (un)bekannt: 36<br />

143 Pförtner, Jasmin (2000): Spurensuche. In: Kastner, Wolfram (Hrsg.) (2000): Schicksal (un)bekannt: 36<br />

144 Pförtner, Jasmin (2000): Spurensuche. In: Kastner, Wolfram (Hrsg.) (2000): Schicksal (un)bekannt: 37<br />

145 Ben Chorin, Schalom (1982): Jugend an der Isar. In: Lamm, Hans (1982): Vergangene Tage: 297–298<br />

146 Pförtner, Jasmin (2000): Spurensuche. In: Kastner, Wolfram (Hrsg.) (2000): Schicksal (un)bekannt: 34–<br />

37. Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 56. Zitiert in: Löwenthal, Ernst G.<br />

(Hrsg.) (1965): Bewährung im Untergang. Ein Gedenkbuch: 103–105<br />

147 Ulrich, Herta / Baumann, Günther (1993): Jüdische Schicksale aus Neuhausen: 153<br />

148 Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat:131<br />

75


wenstein eine Gastprofessur in München. 14950<br />

Dr. jur. Fritz Neuburger (1884–1945)<br />

Rechtsanwalt in München. 150<br />

Dr. jur. Siegfried Oppenheimer (20.2.1893 München – 25.11.1941 Kowno) 151<br />

Dr. jur. Ludwig Regensteiner (1893–1976)<br />

Der seit 1919 in München tätige Rechtsanwalt meldete sich 1940 in die Dominikanische<br />

Republik ab. 152<br />

Dr. jur. Walter Rheinheimer (6.7.1906 Pirmasens – 25.11.1941 Kowno)<br />

Er wohnte von 1940 bis 1941 in der Müllerstraße 14b und wurde am 20. November 1941<br />

nach Kaunas deportiert. 153<br />

Prof. Dr. jur. Heinrich Rheinstrom (1884–1960)<br />

Der Rechtsanwalt und Notar in München hatte bis 1933 zusätzlich eine Honorarprofessur<br />

für Finanzwirtschaft und Steuerrecht an der Technischen Hochschule München inne. Von<br />

1933 bis 1936 führte er Kanzleien in Paris und London und übte von 1936 bis 1939 eine<br />

Lehrtätigkeit in Paris aus. 1937 erfolgte seine Ausbürgerung aus rassischen Gründen. Er<br />

emigrierte 1939 in die USA. Verheiratet war er mit Clairisse Niedermeier (*1891). 154 Professor<br />

Rheinstrom war Rechtsberater des Kunstsammlers und Mäzens Dr. James Loeb<br />

(siehe Band 2: Loeb).<br />

Hugo Rothschild (15.2.1875 München – 13.2.1945 KZ Dachau)<br />

Gemeinsam mit Otto Feldheim und Anton Doll hatte er eine Kanzlei in der Müllerstraße<br />

54/1. Stock. Er war verheiratet mit Emma Boltshauser und hatte zwei Kinder: Erna und<br />

Fritz Erich. 1931 ist Rothschild aus dem Judentum ausgetreten. Er starb im KZ Dachau. 155<br />

Dr. jur. Fritz Silber (1.8.1899 München – 1983 München)<br />

Gemeinsam mit Felix Schnauth hatte er eine Kanzlei am Frauenplatz 10/3. Stock, wo er<br />

auch von 1929 bis 1933 wohnte. Von 1933 bis 1935 lebte Fritz Silber in der Müllerstraße<br />

3/2. Stock. Er war verheiratet mit Ella Gundersheimer und hatte drei Kinder: Walter Erich,<br />

Ernst Gerhard und Manfred. Im Ersten Weltkrieg diente er im Ersten Infanterieregiment<br />

149 Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 264<br />

150 Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 70<br />

151 Deportationsliste in der Ausstellung: „... verzogen, unbekannt wohin“. November 2000 im Neuen Rathaus<br />

München<br />

152 Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 137<br />

153 Bokovoy, Douglas / Meining, Stefan (1994): Versagte Heimat: 271<br />

154 Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 84, 76<br />

155 Bokovoy, Douglas / Meining, Stefan (1994): Versagte Heimat: 271<br />

76


München. Silber emigrierte im Juni 1941 mit seiner Familie nach New York. 156<br />

Dr. jur. Alfred Strauß (30.8.1902 München – 24.5.1933 KZ Dachau)<br />

Er war seit 1928 als Rechtsanwalt in München tätig. Am 24. Mai 1933 wurde er im KZ<br />

Dachau ermordet. (siehe Band 2: Israelitischer Friedhof - Alt) 157<br />

Dr. Robert Theilhaber (14.10.1881 Bamberg – ?1942 Auschwitz)<br />

Robert Theilhaber lebte sei 1888 in München. Seit 24. März 1933 wohnte er in der Löfftzstraße<br />

5/3. Stock. Als Rechtsanwalt hatte er eine Kanzlei am Promenadeplatz 10/2.<br />

Stock. Er emigrierte am 1. August 1939 nach Paris. Von dort kam er 1940 in ein Internierungslager<br />

in Südfrankreich und danach in das Vernichtungslager Auschwitz, wo er ermordet<br />

wurde. Seine in München zurückgebliebenen Eltern, Dr. Adolf Theilhaber und<br />

Therese, geborene Cohen, waren unter den Deportierten vom 20. November 1941, die am<br />

25. November 1941 in Kowno ermordet wurden. 158<br />

Alfred Werner (1891–1965)<br />

Der seit 1919 als Rechtsanwalt in München tätige A. Werner emigrierte 1933 nach Frankreich<br />

und von dort nach England und Palästina. Nach seiner Rückkehr 1953 war er Rechtsanwalt<br />

in Düsseldorf. 159<br />

Ausstellungen<br />

13. März – 30. April 2000: Schicksal (un)bekannt. Ein Kunst- und Ausstellungsprojekt<br />

konzipiert von Wolfram Kastner. Gezeigt in der Münchner Christuskirche und vom 7. Mai<br />

– 31. Mai 2000 in der KZ-Gedenkstätte Dachau.<br />

23. November – 24. Dezember 2000: ... verzogen, unbekannt wohin. Die erste Deportation<br />

Münchner Juden im November 1941. Konzipiert vom Stadtarchiv München und der<br />

Landeshauptstadt München. Gezeigt im Neuen Rathaus München.<br />

4. Oktober – 2. November 2001: Anwalt ohne Recht. Schicksale jüdischer Anwälte in<br />

Deutschland nach 1933. Dokumentation einer Ausgrenzung. Eine Wanderausstellung<br />

des Deutschen Juristentages e. V. und der Bundesrechtsanwaltskammer. Gezeigt von der<br />

Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München im Justizpalast Mün-<br />

156 Picht, Barbara (1994): Lebenswege: 273; vgl. auch Dr. jur. Fritz Silber. In: Bokovoy, D. / Meining, S.<br />

(Hrsg.): Versagte Heimat: 293–302<br />

157 Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 290. In: Heinrich, R. (1979): 100 Jahre<br />

Rechtsanwaltskammer in München: 119. In: Göppinger, H. (1990): Juristen jüdischer Abstammung im<br />

„Dritten Reich“: 62 f<br />

158 Pförtner, Jasmin (2000): Spurensuche. In: Kastner, Wolfram (2000): Schicksal (un)bekannt: 56<br />

159 Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat: 148<br />

77


chen (Lichthof), Prielmayerstraße 7. Die Ausstellung hatte bis zum Frühjahr 2001 Station<br />

gemacht in Heidelberg, Darmstadt und Bochum. Bis Anfang des Jahres 2003 wird die<br />

Ausstellung u. a. in folgenden Städten gezeigt: Freiburg, Schwerin, Nürnberg, München,<br />

Ravensburg, Köln, Celle, Stuttgart, Mainz, Erfurt, Potsdam, Kiel und Hamburg.<br />

Literatur<br />

Benz, Wolfgang (1993): Von der Entrechtung zur Verfolgung und Vernichtung. In: Heinrichs, H. C. / Franzki,<br />

H. / Schmalz, K. / Stolleis, M. (Hrsg.) (1993): Deutsche Juristen jüdischer Herkunft. C. H. Beck Verlag,<br />

München<br />

Bokovoy, Douglas / Meining, Stefan (1994): Versagte Heimat. Jüdisches Leben in Münchens Isarvorstadt<br />

1914–1945. Eine Veröffentlichung der Forschungsstelle deutsch-jüdischer Zeitgeschichte e. V. Verlag Dr.<br />

Peter Glas, München<br />

Göppinger, Horst (1990): Juristen jüdischer Abstammung im „Dritten Reich“. Entrechtung und Verfolgung.<br />

München<br />

Grosshut, Friedrich S. (1962): Staatsnot, Recht und Gewalt. Nürnberg<br />

Gruchmann, Lothar (1988): Justiz im Dritten Reich. 1933–1940. München<br />

Haber, Fritz (1995): Briefe an Richard Willstätter 1910–1934. Hrsg. v. Petra Werner und Angelika Irmscher.<br />

Verlag f. Wissenschaft u. Regionalgeschichte, Dr. Michael Engel, Berlin<br />

Heinrich, Robert (1979): 100 Jahre Rechtsanwaltskammer in München. Festschrift. München<br />

Heinrichs, H. C. / Franzki H. / Schmalz, K. / Stolleis, M. (Hrsg.) (1993): Deutsche Juristen jüdischer Herkunft.<br />

C. H. Beck Verlag, München<br />

Heusler, Andreas / Weger, Tobias (1998): „Kristallnacht“. Gewalt gegen die Münchner Juden im November<br />

1938. Buchendorfer Verlag, München<br />

Kastner, Wolfram (Hrsg.) (2000): Schicksal (un)bekannt. Ein Kunst- und Ausstellungsprojekt. München,<br />

Dachau. Eigenverlag<br />

Krach, Tillmann (1991): Jüdische Rechtsanwälte in Preußen. Über die Bedeutung der freien Advokatur und<br />

ihre Zerstörung durch den Nationalsozialismus. Berlin<br />

Ladwig-Winters, Simone (1998): Anwalt ohne Recht. Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach<br />

1933. Hrsg. v. d. Rechtsanwaltskammer Berlin. be.bra verlag, Berlin-Brandenburg<br />

Löwenthal, Ernst G.(Hrsg.) (1965): Bewährung im Untergang. Ein Gedenkbuch. Stuttgart<br />

Ophir, Z. Baruch / Wiesemann, Falk (1979): Geschichte und Zerstörung der jüdischen Gemeinde in München<br />

1918–1945. In: Lamm, Hans (Hrsg.) (1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München. Langen<br />

Müller Verlag, München, Wien: 473<br />

Ortner, Helmut (1993): Der Hinrichter. Roland Freisler. Mörder im Dienste Hitlers. Zsolnay Verlag, Wien<br />

Pförtner, Jasmin (2000): Spurensuche. In: Schicksal (un)bekannt. Ein Kunst- und Ausstellungsprojekt. München,<br />

Dachau. Eigenverlag<br />

Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt wohin“. Die erste Deportation von Münchner<br />

Juden im November 1941. Pendo Verlag, Zürich, München<br />

Weber, Reinhard (1998): Max Hirschberg: Jude und Demokrat. Erinnerungen eines Münchner Rechtsanwalts<br />

1883–1939. Biographische Quellen zur Zeitgeschichte. Band 20. Hrsg. im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte<br />

München von Werner Röder und Udo Wengst. Oldenburg Verlag, München<br />

Werner, Alfred (1958): Jüdische Juristen in München. In: Lamm, Hans (1982): Vergangene Tage. Jüdische<br />

Kultur in München. Langen Müller Verlag, München, Wien: 323–327<br />

Wiesemann, Falk (1975): Die Vorgeschichte der nationalsozialistischen Machtergreifung in Bayern 1932/33.<br />

Berlin<br />

78


„Jüdisches Sammellager“ Berg am Laim<br />

79<br />

Mahnmal für das<br />

„Jüdische<br />

Sammellager“<br />

Foto: A. Olsen


Mahnmal<br />

Clemens-August-Straße, Berg am Laim<br />

Michaelibad U2, Bus 137<br />

M (1987)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Oberstudienrat Erich Kasberger, vom nahe des Mahnmals gelegenen Michaeli-Gymnasiums,<br />

erstellte 1985 mit einer 10. Klasse eine erste Dokumentation über die „Heimanlage<br />

für Juden Berg am Laim“. Dies geschah im Rahmen eines Geschichtswettbewerbes der<br />

Landeshauptstadt München zum Thema „Nationalsozialistische Gewaltherrschaft und<br />

ihre Folgen“. Mit der Unterstützung des Bezirksausschuss-Vorsitzenden Hermann Weinhauser<br />

ging an die Landeshauptstadt München am 28. Mai 1985 der Antrag, eine Gedenktafel<br />

bzw. ein Mahnmal anzubringen. Der Entwurf des Bildhauers Nikolaus Gerhart wurde<br />

aus drei weiteren eingereichten Vorschlägen ausgewählt. Die Einweihung fand am 7.<br />

Juli 1987 durch den zweiten Münchner Bürgermeister Dr. Klaus Hahnzog statt.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Das Portal aus Naturstein blieb erhalten, als in den achtziger Jahren der Nordflügel des alten<br />

Klostergebäudes abgebrochen wurde. Es war Bestandteil der „Heimanlage für Juden<br />

Berg am Laim“, die als Sammelstelle für die zur Deportation bestimmten Juden galt. Hier<br />

war der Startpunkt des grausamen Weges, den sie gezwungen wurden zu gehen. Das<br />

Mahnmal symbolisiert die ausweglose Situation, der die Menschen damals ausgesetzt waren.<br />

Heute ist das Portal durch einen schweren, in der unteren Hälfte quer zum Durchgang<br />

perforierten Granitquader (1,5 m × 1,9 × 1,0 m) verstellt; sein enormes Gewicht soll das<br />

brutale Ausmaß des NS-Verbrechens verdeutlichen.<br />

Auf der Vorderseite des Blockes wurden der Davidstern und die Jahreszahlen 1941–1943<br />

eingraviert. Eine daneben angebrachte Bronzetafel weist auf das Mahnmal hin: „Als Mahnung<br />

und zur Erinnerung an das Sammellager für jüdische Bürger in den Jahren 1941–<br />

1943.“ so die Inschrift.<br />

Ergänzend dazu wurde in der Nähe eine Gedenktafel zur Erinnerung an Dr. Else Behrend-<br />

Rosenfeld (siehe Band 1: Behrend-Rosenfeld) angebracht.<br />

INTENTION DES KÜNSTLERS<br />

Nikolaus Gerhart interpretiert das von ihm geschaffene Mahnmal in einem Schreiben vom<br />

11. Mai 1986: Der Steinbogen des Tores, der bereits Bestandteil des Mahnmales ist, kann<br />

80


so nicht genutzt werden, „denn er war Zeuge vom Ein- und Ausgehen hilfloser, todahnender<br />

Menschen. Der Durchgang wird von einem vorgestellten Granitblock unpassierbar<br />

gemacht.“ Der durch den Block verlaufende „Hohlraum läßt somit eine Verbindung vom<br />

Steinblock zum freistehenden Portal erkennen“. 160<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Nach der seit dem Frühjahr 1941 bestehenden „Judensiedlung Milbertshofen“ wurde im<br />

Juli desselben Jahres im Klosterbau der Barmherzigen Schwestern vom Hl. Vinzenz und<br />

Hl. Paul in Berg am Laim, St. Michael-Straße 16, auf zwei Etagen eine so genannte „Heimanlage<br />

für Juden“ eingerichtet. In 38 Zimmern konnten 275 bis 300 Personen untergebracht<br />

werden. Am 31. Dezember 1941 betrug die Belegzahl in der „Heimanlage“ 222<br />

Personen. 161 Die Kosten für Unterbringung und Verpflegung hatten die Insassen selbst zu<br />

tragen, für die Ausstattung musste die Israelitische Gemeinde München aufkommen. Else<br />

Behrend-Rosenfeld, die zuvor zur Zwangsarbeit in einer Flachsfabrik in Lohhof verpflichtet<br />

war, übernahm im Auftrag der Israelitischen Kultusgemeinde die Wirtschaftsführung<br />

des Heimes. Obwohl den Klosterschwestern von der Gestapo, die das Heim kontrollierte,<br />

jeder Kontakt mit den neuen Bewohnern untersagt war, zeichneten sie sich durch Hilfsbereitschaft<br />

und Solidarität den verfolgten Menschen gegenüber aus. „Wir alle sind hier<br />

draußen wie von einem Druck befreit, der in der Stadt ständig auf uns lag ... die stets gleichen<br />

freundlichen Gesichter der Nonnen, ... und das wohlwollende Bewußtsein, von ihnen<br />

nicht gehaßt und verachtet, sondern mit schwesterlicher Zuneigung betrachtet zu werden,<br />

bedeutet eine große Entlastung“ 162 , so schrieb Else Behrend-Rosenfeld. Doch weiterer<br />

Zuzug bis zur Vollbelegung mit 320 Personen und immer neue Repressalien erschwerten<br />

die Lebensumstände erheblich. „Wir bekamen Bescheid, daß von jedem Insassen pro Tag<br />

fünfzig Pfennig für das Wohnen zu zahlen seien. ... Das ganze Mietgeld muß jeden Freitag<br />

mit der genauen Aufstellung der Insassenzahl in die Widenmayerstraße gebracht werden,<br />

zusammen mit dem Küchenzettel für die kommende Woche, den ich zu machen habe.“ 163<br />

Am 6. November 1941 setzten die Vorbereitungen für die ersten Transporte von deutschen<br />

Juden nach Riga, Minsk und Kowno ein; sie führten direkt in den Tod. Vom ersten Transport<br />

von München aus, am 20. November 1941 mit 999 Personen nach Riga 164 , gab es keine<br />

Überlebenden. „– Und von keinem von allen, die deportiert wurden, ist je wieder eine<br />

Nachricht gekommen,“ bezeugte Else Behrend-Rosenfeld, die viele persönliche Schick-<br />

160 Brief vom 11.5.1986 an das Städt. Baureferat, Hochbau I der Landeshauptstadt München.<br />

161 Dokument: 20. Zitiert in: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt wohin“, o. S.<br />

162 Behrend-Rosenfeld, Else Dr. (1988): Ich stand nicht allein: 114<br />

163 Behrend-Rosenfeld, Else Dr. (1988): Ich stand nicht allein: 119<br />

164 Wegen Überfüllung des dortigen Ghettos wurde der Transport nach Kowno umgeleitet.<br />

81


sale beschrieben hat. In der „Heimanlage für Juden“ waren 83 Personen für die erste Deportation<br />

bestimmt: „Jeder sollte für drei Tage Proviant bekommen, an Gepäck durfte jeder<br />

fünfzig Kilogramm mitnehmen, verteilt auf je einen Koffer, einen Rucksack oder eine<br />

Reisetasche und eine Deckenrolle. Keiner der Beteiligten durfte bis zum Abtransport ins<br />

Sammellager das Heim verlassen.“ 165<br />

In einem Brief des Rabbiners und Heimbewohners Bruno Finkelscherer vom 30. November<br />

1942 an den Oberlandesgerichtsrat Alfred Neumeyer sind 171 Heiminsassen genannt.<br />

166 An Finkelscherers Schicksal, der seit 1940 die Stellung des Gemeinderabbiners<br />

Leo Baerwald 167 übernommen hatte, kann die Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung<br />

Münchner Juden exemplarisch aufgezeigt werden. Zuerst musste er aus der elterlichen<br />

Wohnung in der Arcostraße 3 in das Schulhaus Herzog-Rudolf-Straße umziehen und von<br />

dort in die „Heimanlage Berg am Laim“. 168 Da er seit Juli 1942 Zwangsarbeit leistete und<br />

nebenher die Beerdigung verstorbener Gemeindemitglieder auf dem Neuen Israelitischen<br />

Friedhof vornahm, hatte er den sieben Kilometer langen Weg dorthin zu Fuß zurückzulegen,<br />

da Juden keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen durften. 169 Bruno Finkelscherer<br />

kam am 13. März 1943 in das KZ-Auschwitz 170 und musste trotz eines Beinbruchs in einem<br />

Brunnenkommando arbeiten; er starb am 5. April 1943.<br />

Bei der Auflösung des „Judenlagers Milbertshofen“ wurden am 19. August 1942 die letzten<br />

16 Insassen in die so genannte „Heimanlage Berg am Laim“ gebracht, die noch bis zum 1.<br />

März 1943 existierte. Die dort verbliebenen Heiminsassen (circa 40 Personen) kamen dann<br />

in das Gemeindehaus der Israelitischen Kultusgemeinde in der Lindwurmstraße 125.<br />

Ein weiteres Sammellager befand sich auf dem Gelände der Flachsröste Lohhof bei Unterschleißheim.<br />

Dort waren in einer Holzbaracke 80 jüdische Zwangsarbeiterinnen bis<br />

zum 23. Oktober 1942 untergebracht. Nach der Auflösung des Lagers kamen 60 polnische<br />

Jüdinnen zur Firma Christian Dierig AG nach Augsburg. 171<br />

165 Behrend-Rosenfeld, Else (1988): Ich stand nicht allein: 125<br />

166 Finkelscherer, Bruno. In: Lamm, Hans (1982): Vergangene Tage: 459<br />

167 (1883–1970) lebte von 1898 bis 1940 in München wo er seit 1911 Rabbiner war.<br />

168 Finkelscherer, Bruno. In: Lamm, Hans (1982): Vergangene Tage: 461<br />

169 Löwenthal, E. G. (1965): 48. Auch in: Weger, Tobias (1999): Die Synagoge in der Lindwurmstraße: 200<br />

170 StadtAM Verzeichnis der am 13.3.1943 nach Auschwitz deportierten Personen (erstellt von der IKG<br />

München, 1951).Weger, Tobias (1999): Die Synagoge in der Lindwurmstraße. In: Stadtarchiv München<br />

(Hrsg.) (1999): Beth ha-Knesseth: 200<br />

171 Dokument: 21. In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (2000): „... verzogen, unbekannt wohin“. Die erste<br />

Deportation von Münchner Juden im November 1941.<br />

82


Ausstellung<br />

14. Februar – 11. März 2001: Oneg Schabbat. Dokumente über das Warschauer Ghetto<br />

des Jüdischen Historischen Instituts Warschau. Konzipiert von der Gesellschaft zur Förderung<br />

jüdischer Kultur in München. Gezeigt in der Bayer. Staatskanzlei am Franz-Josef-<br />

Strauß-Ring 1, München.<br />

Literatur<br />

Behrend-Rosenfeld, Else (1988): Ich stand nicht allein. Leben einer Jüdin in Deutschland 1933–1944. C. H.<br />

Beck Verlag, München<br />

Gerhard, Nikolaus (1986): Brief vom 11.5.1986 an das Städt. Baureferat Hochbau I der Landeshauptstadt<br />

München<br />

Heusler, Andreas (1995): Vertreibung. Deportation. Vernichtung. Jüdische Schicksale in München 1933–<br />

1945. Hrsg. v. Stadtarchiv München. München<br />

Jüdisches Leben in München. Lesebuch zur Geschichte des Münchner Alltags. Geschichtswettbewerb 1993/<br />

94. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München. Buchendorfer Verlag, München<br />

Kasberger, Erich (1993): „... zur Erinnerung und als Mahnung“. Die Errichtung eines Mahnmals in München<br />

Berg am Laim. In: Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (Hrsg.) (1993): Didaktische Arbeit in KZ-<br />

Gedenkstätten. Erfahrungen und Perspektiven. Druckhaus Coburg: 37–42<br />

Landeshauptstadt München (Hrsg.) (1987): Verdunkeltes München. Die Gewaltherrschaft und ihre Folgen.<br />

Geschichtswettbewerb 1985/86. Buchendorfer Verlag, München<br />

Löwenthal, E. G. (1965): Bewährung im Untergang. Ein Gedenkbuch. Stuttgart<br />

Ophir, Baruch Z. / Wiesemann, Falk (1958): Geschichte und Zerstörung der jüdischen Gemeinde in München<br />

1918–1945. In: Lamm, Hans (1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München. Langen, Müller Verlag,<br />

München, Wien: 462–494<br />

Stadtarchiv München (Hrsg.) (1999): Beth ha-Knesseth – Ort der Zusammenkunft. Zur Geschichte der<br />

Münchner Synagogen, ihrer Rabbiner und Kantoren. Buchendorfer Verlag, München.<br />

Weger, Tobias (1999): Die Synagoge in der Lindwurmstraße 125. In: Stadtarchiv München (Hrsg.) (1999):<br />

Beth ha-Knesseth. Ort der Zusammenkunft: 196–200<br />

83


Mahnmal in der<br />

Justizvollzugsanstalt<br />

München-Stadelheim<br />

Foto: A. Olsen<br />

Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim<br />

„Noch gestern hat er vier zum Strick verdammt,<br />

und heute liegt er tot in den Ruinen,<br />

wird keinen mehr zu Strang und Beil bedienen,<br />

ein Haufen Trümmer ist sein ganzes Amt.“<br />

Albrecht Haushofer 172<br />

84


Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim<br />

Stadelheimer Straße 12, Giesing<br />

Schwanseestraße (Endstation) Tram 27<br />

M (1963, 1970, 1973)<br />

In der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim (JVA) gibt es vier Gedenkstätten mit<br />

folgenden Gründungsjahren:<br />

I. 1963: Gedächtnisstätte in der Kapelle der Anstaltskirche<br />

II. 2. Juli 1970: Gedenkraum in der Kapelle der Anstaltskirche<br />

III. 1973: Mahnmal, integriert in die erweiterte Gefängnisanlage<br />

IV. 1973: Erinnerungsort zur Hinrichtungsstätte in der JVA München-Stadelheim<br />

Die Gedenkstätten I, II und IV sind für Besucher nicht öffentlich zugänglich.<br />

Zu I. 1963: Gedächtnisstätte in der Kapelle der Anstaltskirche<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Im Vorraum der Anstaltskirche der JVA München-Stadelheim befinden sich Kruzifix und<br />

Betstuhl aus den ehemaligen Todeszellen.<br />

Zu II. 2. Juli 1970: Gedenkraum in der Kapelle der Anstaltskirche<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Die Gedächtnisstätte in der Kapelle wurde zu einem Gedenkraum erweitert, der mit einer<br />

Wandinschrift an die Opfer mit folgender Aufschrift erinnert: „Den Opfern der Gewaltherrschaft<br />

von 1933–1945 zum Gedenken.“<br />

172 Albrecht Haushofer (1904–1945) war Professor für Geographie und Geopolitik in Berlin, der einem<br />

Kreis Intellektueller gegen den Nationalsozialismus angehörte und Kontakte zu der Widerstandsgruppe<br />

vom 20. Juli pflegte. Er kam nach dem Zusammenbruch des militärischen Widerstands in Haft und wurde<br />

in den letzten Kriegstagen erschossen. Während seiner Haftzeit entstanden Texte, die er Moabiter Sonette<br />

nannte, aus dem auch der zitierte Ausschnitt stammt. Zitiert aus seinem Gedicht Nemesis, das auf den<br />

Tod des Blutrichters Freisler anspielt.<br />

85


Zu III. 1973: Mahnmal, integriert in die erweiterte Gefängnisanlage<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Im Rahmen eines Neubaues der JVA Stadelheim wurde die Gedenkstätte 173 in die erweiterte<br />

Gefängnisanlage integriert. Der Freisinger Bildhauer Wilhelm Breitsameder übernahm<br />

die Gestaltung dieses Mahnmals.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Das Mahnmal befindet sich nicht am authentischen Ort der ehemaligen Hinrichtungsstätte;<br />

diese lag neben den Garagen mit einem davor befindlichen Raum, von dem aus die Gefangenen<br />

zur Hinrichtung geführt wurden.<br />

Bereits der Weg zum Mahnmal über einen fensterlosen, mit Eisengittern gesicherten, engen<br />

Gang, vermittelt das Gefühl des Gefangenseins. Der darauf folgende, im Grundriss<br />

quadratische, nach oben offene Raum (6 m × 6 m) ist mit drei Meter hohen Betonmauern<br />

umgeben. Symbolisiert liegen darauf Galgen und Guillotine aus Bronze gegossen. Aus<br />

dem Boden ragt ein Richtblock, der die Inschrift mit hervorgehobener Schrift trägt: „Den<br />

Opfern der Gewaltherrschaft von 1933–1945.“<br />

INTENTION DES KÜNSTLERS<br />

Wilhelm Breitsameder, akademischer Bildhauer schrieb am 18. Februar 1998: „Die den<br />

Opfern der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus gewidmete Gedenkstätte versucht,<br />

Brutalität und Unmenschlichkeit dieses Terrorregimes einerseits sowie Verlorenheit und<br />

Hoffnungslosigkeit der wegen ihrer Überzeugung verfolgten Widerstandskämpfer andererseits<br />

zum Ausdruck zu bringen. Die Staatsgewalt wurde denen zum Gefängnis, die sich<br />

ihr aus Gewissensgründen widersetzten. Freilich: Das Gefängnis ist nach oben hin offen<br />

– Symbol für die Freiheit und Würde des Menschen, für jenes Residuum, das wir Gewissen<br />

nennen, und das auch durch äußerste Gewalt nicht gebrochen wird.“ 174<br />

173 Der Urkundentext des entsprechenden Mahnmals in der Gedenkstätte Berlin-Plötzensee von 1952 lautet:<br />

„An dieser Stelle sind in den Jahren der Hitlerdiktatur von 1933–1945 Hunderte von Menschen wegen<br />

ihres Kampfes gegen die Diktatur für die Menschenrechte und politische Freiheit durch Justizmord ums<br />

Leben gekommen. Unter diesen befanden sich Angehörige aller Gesellschaftsschichten und fast aller<br />

Nationen ...“ In: Oleschinski, Brigitte (1995): Gedenkstätte Plötzensee: 4<br />

174 Schreiben von Wilhelm Breitsameder an Helga Pfoertner.<br />

86


Zu IV. 1973:<br />

Erinnerungsort zur Hinrichtungsstätte in der JVA München-Stadelheim<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Im Zuge der Erweiterungsbauten der JVA München-Stadelheim entstand über der ehemaligen<br />

Hinrichtungsstätte ein Neubau. Der ehemalige Ort ist mit einer in die Wand eingelassenen<br />

Kachel (10 cm × 10 cm) mit einem markanten durchgehenden Kreuz gekennzeichnet.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Das „Ermächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933, dem der Reichstag mit Ausnahme der<br />

SPD zustimmte – die Mandate der KPD waren zuvor für ungültig erklärt worden – übertrug<br />

der Regierung das Recht der Gesetzgebung ohne parlamentarische Zustimmung. Dieses<br />

Gesetz kann als Grundlage der nationalsozialistischen Gesetzgebung angesehen werden.<br />

Damit vollzog sich der legale Umbruch von der Demokratie zur Diktatur. Die Grundrechte<br />

wie Freiheit der Person und freie Meinungsäußerung galten nicht mehr. Die Hauptziele<br />

der Nationalsozialisten waren: Sicherung und Ausweitung der Macht, Wiederaufrüstung<br />

und territoriale Expansion. Das NS-Regime entwickelte mit dem neu eingerichteten<br />

System der Konzentrationslager und dem Strafvollzug ein politisches Instrument der Unterdrückung<br />

und Ausgrenzung. In der Öffentlichkeit wurden die Gefangenen als „Berufsverbrecher“<br />

und „Volksfeinde“ diffamiert. Ab 1933 war das Strafgefängnis in München-<br />

Stadelheim die zentrale Haft- und Untersuchungsanstalt für so genannte politisch Kriminelle<br />

aus ganz Bayern – für Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschafter und Regimegegner.<br />

Die Strafjustiz spielte bei der Durchführung der nationalsozialistischen Diktatur eine besondere<br />

Rolle. Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) konnte seit dem 26. April 1933 ohne<br />

gerichtliche Anordnung und auf unbestimmte Zeit Verhaftungen anordnen und die Opfer<br />

im KZ festsetzen; dies wurde auch „Schutzhaft“ genannt. Die Bildung des Volksgerichtshofs<br />

(VGH) erfolgte mit einem Gesetz vom 29. April 1934 und wurde zur „Aburteilung<br />

von Hochverrats- und Landesverratssachen“ eingesetzt. 175 Von ihm, „dem gefürchteten<br />

Terrorinstrument staatlicher Unrechtssprechung“, gingen 5234 Todesurteile 176 aus, von<br />

denen ungefähr 1400 in München-Stadelheim vollstreckt wurden. Strafbestände wie<br />

Hochverrat, Brandstiftung und Sabotage, konnten mit dem Tode bestraft werden. Seit dem<br />

29. März 1933 galt das „Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe“, die Voll-<br />

175 Münch, Ingo von (Hrsg.) (1994): Gesetze des NS-Staates: 99<br />

176 Boberach, Heinz (1991): Inventar archivalischer Quellen des NS-Staates: 228<br />

87


streckung konnte durch den Strang erfolgen. 177 Damit war die Todesstrafe gesetzlich verankert<br />

und ein bevorzugtes Mittel, staatliche Härte zu demonstrieren und besonders mit<br />

politischen Gegnern abzurechnen. In der Weimarer Republik war zuvor die Vollstreckung<br />

der Todesurteile wegen ihrer besonderen ethischen Problematik minimiert worden; innerhalb<br />

von 14 Jahren waren von 1184 ausgesprochenen Urteilen nur 184 vollstreckt worden.<br />

Die seit dem 21. März 1933 eingesetzten Sondergerichte konnten alle politischen und unpolitischen<br />

Delikte nach dem Kriegssonderstrafrecht anklagen. 178 Verschärft verfolgt<br />

wurden Angriffe auf Staat und Partei nach dem so genannten „Heimtückegesetz“ von<br />

1934. Demnach konnten auch geringfügige Vergehen – vom politischen Witz bis zum<br />

Missbrauch der Uniform – mit schweren Strafen belegt werden. „In besonders schweren<br />

Fällen kann auf Todesstrafe erkannt werden.“ 179 Mit Kriegsbeginn entstanden weitere<br />

Gesetze, wie z.B. die „Verordnung gegen Volksschädlinge“ vom 5. September 1939 180 ,<br />

die auch für die besetzten Gebiete galten. Die als „Nacht- und Nebel-Erlass“ genannte<br />

Maßnahme vom 7. Dezember 1941 sollte Widerstandsbewegungen in den besetzten westeuropäischen<br />

Ländern niederhalten. Ziel dieses Erlasses war, die Bevölkerung an der Beteiligung<br />

an Untergrundaktionen zu hindern. Deshalb konnten die Militärgerichte gegen<br />

Untergrundaktionisten die Todesstrafe verhängen. Dieser Erlass galt in Frankreich, Belgien<br />

und den Niederlanden. Die Mehrzahl der verhängten Todesurteile wurden in Köln vollstreckt,<br />

gefolgt von Brandenburg, Dortmund und München-Stadelheim.<br />

Vollzug der Todesstrafe<br />

Nach der Machtergreifung wurde die Vollstreckung der Todesurteile durch den Strang<br />

und, – zur Abschreckung – wieder mit dem Handbeil vollzogen. Wegen der ansteigenden<br />

Zahl der Hinrichtungen 181 setzte man im Reichsgebiet seit dem 28. Oktober 1936 die Guillotine<br />

ein. Es gab insgesamt vierzehn Hinrichtungsstätten; München-Stadelheim war für<br />

die Gerichtsbezirke München, Bamberg, Nürnberg und für den Bereich der Sondergerichte<br />

Eger, Salzburg und Innsbruck zuständig. Drei hauptamtliche Scharfrichter, die mit der<br />

zusammenlegbaren, in Kisten verpackten Guillotine ihr blutiges „Handwerk“ ausführten,<br />

waren hierfür eingesetzt. 182 Ihr Jahresgehalt betrug 3000,– Reichsmark und 60 bis 65<br />

Reichsmark Vergütung pro Hinrichtung. Am Abend vor der Hinrichtung musste die bevorstehende<br />

Vollstreckung des Urteils dem Kandidaten im Beisein von Justizbeamten<br />

177 Münch, Ingo von (Hrsg.) (1994): Gesetze des NS-Staates: 90<br />

178 Boberach, Heinz (1991): Inventar archivalischer Quellen des NS-Staates: 229<br />

179 Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen. Vom<br />

Dezember 1934. In: Münch, Ingo von (Hrsg.) (1994): Gesetze des NS-Staates: 73<br />

180 Reichsgesetzblatt I S. 1679. In: Münch, Ingo von (Hrsg) (1994): Gesetze des NS-Staates: 96<br />

181 1933: 64, 1934: 79, 1935: 94. (Von 1933 bis 1935 ein Anstieg um ca. 50 Prozent) In: Oleschinski, Brigitte<br />

(1995): Gedenkstätte Plötzensee: 16<br />

88


mitgeteilt werden. Darauf folgte die Überführung in die so genannte „Todeszelle“, wo ihn<br />

ein Anstaltsgeistlicher besuchen durfte. In München-Stadelheim übernahmen die Geistlichen<br />

Karl Alt und Ferdinand Brinkmann diese Aufgabe. Die Vollstreckungen fanden<br />

meistens am frühen Morgen statt. Der Gefangene wurde zur Hinrichtungsstätte geführt,<br />

wo man ihm das Urteil verlas; der Henker vollzog dann die Tötung. Die Hinrichtung wurde<br />

genau protokolliert und dauerte nur wenige Sekunden. Die Kosten für Haftaufenthalt,<br />

Hinrichtung und Vergütung des Scharfrichters hatten die Angehörigen des Opfers zu begleichen.<br />

Die Bestattung fand auf dem nahe gelegenen Friedhof Perlacher Forst statt. Es<br />

gab aber auch Überführungen der Leichname zu den medizinischen Instituten der Universitäten<br />

München und Würzburg.<br />

SCHLUSSBETRACHTUNG<br />

In einem Essay Betrachtungen zur Todesstrafe schrieb der französische Philosoph,<br />

Schriftsteller und Journalist Albert Camus (1913–1960) über die Todesstrafe: „Gewiß sie<br />

ist eine Strafe, eine entsetzliche physische und moralische Qual. Exemplarisch ist sie jedoch<br />

nur in einer Hinsicht: der Sittenverderbnis. Sie bestraft, aber sie verhütet nichts, ja,<br />

sie ist viel eher dazu angetan, Mordgelüste wachzurufen. Es ist als gäbe es sie nicht, außer<br />

für den, der sie erleidet, zunächst seelisch während Monaten und Jahren, und dann körperlich<br />

in jener verzweifelten und gewalttätigen Stunde, da er in zwei Stücke gehauen<br />

wird, ohne gleich das Leben zu verlieren. Wir wollen sie bei ihrem Namen nennen, einen<br />

Namen der ihr an Ermangelung eines anderen Adels wenigstens den der Wahrheit verleihen<br />

wird, wir wollen sie als das erkennen, was sie ihrem Wesen nach ist: Rache. – “ 183<br />

Für Camus bedeutete die Todesstrafe Mord. Ihm zufolge verwandelt der Staat damit einen<br />

Menschen in eine Sache – angeblich höheren Zwecken zuliebe.<br />

Der in Cambridge lehrende Historiker Richard J. Evans kam in seinem neuesten Werk<br />

über die deutsche Geschichte der Todesstrafe von 1532 bis 1987 zu dem Schluss, dass die<br />

Todesstrafe weltweit geächtet werden sollte, „da sie die menschliche Würde nicht fördert,<br />

sondern herabsetze und mit ihr den Staat, in dem sich die menschliche Gesellschaft organisiert<br />

hat." 184<br />

182 Über den Scharfrichter in München-Stadelheim J. Reichhart erschien am 18. Dezember 1948 im Berliner<br />

„Nachtexpreß“ folgende Nachricht: „Der sechsundfünfzigjährige Scharfrichter Johann Reichart, der bis<br />

1945 insgesamt rund 2500 Hinrichtungen durchgeführt hat, wurde gestern im Wiederaufnahmeverfahren<br />

von einer Münchner Spruchkammer in die Gruppe der Belasteten eingereiht. Reichhart wird auf zwei<br />

Jahre in ein Arbeitslager eingewiesen, wobei ihm die bisherige Haft von 18 Monaten abgerechnet wird.“<br />

Zitiert in: Poelchau, Harald (1987): Die letzten Stunden: 30. In der Zeit vom 1.2.–29.2.1944 bekamen er<br />

und seine Gehilfen für 25 Hinrichtungen insgesamt 3836,– RM ausgezahlt. In: Weisenborn, G. (1974):<br />

Der lautlose Aufstand: 253<br />

183 Camus Albert (1960): Fragen der Zeit. Auszug aus dem Essay „Betrachtungen zur Todesstrafe. In: Die<br />

Zeit Nr. 22 v. 23.5.2001: 13<br />

89


Literatur<br />

Alt, Karl (1994): Überschreiten von Grenzen. Strafgefängnis München-Stadelheim zwischen 1934 und 1945:<br />

Der evangelische Seelsorger und Zeitzeuge Karl Alt begleitet die zum Tode Verurteilten bis zur Hinrichtung<br />

(Texte, Briefe, Gespräche), überarbeitete Neuauflage nach der Originalausgabe: Karl, Alt, Todeskandidaten<br />

(1946). Hrsg. v. Werner Reuter. Verlag Ökologie & Pädagogik, München<br />

Angermund, Ralph (1993): „Recht ist, was dem Volke nutzt.“ Zum Niedergang von Recht und Justiz im Dritten<br />

Reich. In: Bracher, Karl Dietrich / Funke, Manfred / Jakobsen, Hans-Adolf (Hrsg.) (1993): Deutschland<br />

1933–1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Bundeszentrale für politische Bildung,<br />

Bonn: 57–75<br />

Barring, L. (1998): Die Todesstrafe in der Geschichte der Menschheit.<br />

Boberach, Heinz (Hrsg.) (1975): Richterbriefe. Boppard<br />

Bracher, Karl Dietrich / Funke, Manfred / Jakobsen, Hans-Adolf (Hrsg.) (1993): Deutschland 1933–1945.<br />

Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn<br />

Breitsameder, Wilhelm: Schreiben v. 18.2.1998 an Helga Pfoertner<br />

Camus, Albert (1960): Fragen der Zeit. Deutsch von Guido Meister. Rowohlt Verlag, Reinbek<br />

Dachs, Johann (1996): Tod durch das Fallbeil. Der deutsche Scharfrichter Johann Reichhart (1893–1972).<br />

Mittelbayerische Druckerei und Verlagsgesellschaft, Regensburg<br />

Dreßen, Willi (1990): Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung der NS-Verbrechen<br />

in Ludwigsburg. In: Dachauer Hefte Nr. 6/ 1990: 85–93<br />

Dreßen, Willi (1998): Blinde Justiz – NS-Justizverbrechen vor Gericht. In: Weber, J. / Piazolo, M. (Hrsg)<br />

(1998): Justiz im Zwielicht. Günter Olzog Verlag, München: 77–96<br />

Eiber, Ludwig (1993): Polizei, Justiz, Verfolgung in München 1933–1945. In: München – „Hauptstadt der Bewegung“.<br />

Ein Projekt des Münchner Stadtmuseums. Ausstellungskatalog. Klinkhardt & Biermann, München:<br />

235–244<br />

Evans, Richard J. (2001): Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532 –1987.<br />

Kindler Verlag, Berlin, und Hamburger Edition, Hamburg<br />

Giordano, Ralph (1999): Perfekte Morde. In: Die Zeit, Nr. 37. v. 9.9.1999<br />

Gritschneder, Otto (1998): Furchtbare Richter. Verbrecherische Todesurteile deutscher Kriegsgerichte.<br />

Beck`sche Reihe Nr. 1272, München<br />

Gruchmann, Lothar (1988): Justiz im Dritten Reich 1933–1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära<br />

Gürtner. München<br />

Gruchmann, Lothar (1997): Die bayerische Justiz im politischen Machtkampf 1933/34. Ihr Scheitern bei der<br />

Strafverfolgung von Mordfällen in Dachau. In: Broszat, Martin / Fröhlich, Elke (Hrsg.): Bayern in der NS-<br />

Zeit, Band II, Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt. München u.a. : 415–428<br />

Haushofer, Albrecht (1976): Moabiter Sonette. Deutscher Taschenbuch Verlag, München<br />

Herbert, Ulrich (1996): Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–<br />

1989. Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger, Bonn<br />

Hoffmann, Hasso (2000): Gerechtigkeit ist keine Illusion. Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie.<br />

Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt<br />

Jahntz, Bernhard (1998): Diener des Unrechts: Funktionen und Selbstverständnis der NS-Strafjustiz. In: Weber,<br />

J. und Piazolo, M. (Hrsg.) (1998): Justiz im Zwielicht. Günter Olzog Verlag, München: 39–64<br />

Koch, Hansjoachim (1987): Volksgerichtshof. Politische Justiz im Dritten Reich. München<br />

Müller, Ingo (1989): Furchtbare Juristen: Unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz. C. H. Beck, München<br />

Münch, Ingo von (Hrsg.) (1994): Gesetze des NS-Staates. Dokumente eines Unrechtssystems. UTB Wissenschaft,<br />

Verlag F. Schöningh, Paderborn<br />

184 Ullrich, Volker (2001): Theater des Grauens. In: Die Zeit Nr. 20 v. 10.5.2001: 46<br />

90


Oleschinski, Brigitte (1995): Gedenkstätte Plötzensee. Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin (Hrsg).<br />

Berlin<br />

Ortner, Helmut (1993): Der Hinrichter. Roland Freisler – Mörder im Dienste Hitlers. Zsolnay Verlag, Wien<br />

Pfoertner, Helga (1997): Gedenkstätte Plötzensee. In: Gedenkstättenpädagogik. Handbuch für Unterricht und<br />

Exkursion. Hrsg. v. Museums-Pädagogischen Zentrum München und der Akademie für Lehrerfortbildung<br />

und Personalführung Dillingen. Löwen Druck, München: 68–72<br />

Poelchau, Harald (1982): Pfarrer am Schafott der Nazis: Der authentische Bericht des Mannes, der über 1000<br />

Opfer des Hitler-Regimes auf ihren Gang zum Henker begleitete. Hrsg. v. Werner Maser. Rastatt<br />

Poelchau, Harald (1987): Die letzten Stunden. Erinnerungen eines Gefängnispfarrers. Verlag Volk und Welt,<br />

Berlin<br />

Vieregg, Hildegard (1993): „Menschen seid wachsam.“ Mahnmale und Gedenkstätten für die Opfer der NS-<br />

Gewaltherrschaft 1933–1945. MPZ-Themenhefte zur Zeitgeschichte. Löwen Druck, München: 36–38<br />

Weber, Jürgen / Piazolo, Michael (Hrsg.) (1998): Justiz im Zwielicht. Ihre Rolle in Diktaturen und die Antwort<br />

des Rechtsstaates. Akademiebeiträge zur politischen Bildung, Akademie für politische Bildung, Tutzing.<br />

Günter Olzog Verlag, München<br />

Weisenborn, Günther (1974): Der lautlose Aufstand. Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen<br />

Volkes 1933–1945. Rowohlt-Verlag, Hamburg<br />

91


Kästner, Erich Dr. phil.<br />

*23.2.1889 Dresden †29.7.1974 München<br />

92<br />

„Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es.“<br />

Erich Kästner<br />

Erich Kästner, 1959<br />

Foto: Stadtarchiv München<br />

Gedenktafel für Erich Kästner<br />

in der Fuchsstraße 2<br />

Foto: H. Engelbrecht


I. Gedenktafel, Fuchsstraße 2, Schwabing<br />

Münchner Freiheit U3/U6<br />

M (1998)<br />

II. Bronzebüste, Staatsgalerie Moderner Kunst, Lehel<br />

Odeonsplatz U2–U6 und Bus 53<br />

M (1959)<br />

III. Grabstätte auf dem Friedhof St. Georg, Bogenhausen: Sekt. 4a<br />

M (1974)<br />

IV. Erich-Kästner-Straße, Schwabing-West (4)<br />

M (1977)<br />

V. Erich-Kästner-Realschule, Petrarcastraße 1, 80933 München, Hasenbergl<br />

Hasenbergl U2<br />

M (1979)<br />

Zu I. Gedenktafel, Fuchsstraße 2, Schwabing<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Im Zusammenhang mit der Ehrung bekannter Personen, die sich durch ihr Schaffen für die<br />

Stadt München verdient gemacht haben, beschloss die Landeshauptstadt München im Jahre<br />

1988, eine Gedenktafel für Erich Kästner zu schaffen. Die Enthüllung dieser Gedenktafel<br />

am 17. November 1998 übernahm der Kulturreferent Professor Julian Nida-Rümelin.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Eine Bronzetafel mit den Maßen 45 cm × 65 cm, die das Porträt von Erich Kästner zeigt,<br />

trägt folgende Inschrift: „In diesem Haus wohnte von 1946–1953 der Schriftsteller Erich<br />

Kästner.“ Heute befindet sich hier ein Studentinnenheim des Bildungszentrums Aurach.<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Die Gedenktafel schuf der Münchner Bildhauer Toni Preis.<br />

93


Zu II. Bronzebüste in der Staatsgalerie Moderner Kunst, Lehel<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Die Bronzebüste schuf der Münchner Bildhauer Theodor Frayer. Sie wurde anlässlich<br />

Erich Kästners 60. Geburtstages von der Landeshauptstadt München erworben und ist seit<br />

März 1959 in der Staatsgemäldesammlung im Haus der Kunst verwahrt.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Kästner, der sich selbst als „Moralisten“ und „politischen Dichter“ einstufte, wird von<br />

dem Literaturhistoriker Heinz Kamnitzer als „satirischer Berichterstatter in Versen, als<br />

lakonischer Lyriker des 20. Jahrhunderts, dem jedes Pathos nicht nur fremd, sondern widerwärtig“<br />

gewesen ist, dargestellt. 185 Erich Kästner wurde am 23. Februar 1899 als einziger<br />

Sohn der Eheleute Ida (geb. Augustin) und Emil Kästner in Dresden geboren. Die<br />

Mutter war Hausfrau und Heimarbeiterin, der Vater Sattler in der industriellen Fertigung.<br />

In dem 1982 erschienenen Buch von Werner Schneyder wird auf die Abstammung Erich<br />

Kästners eingegangen: Demnach soll Kästner der leibliche Sohn des jüdischen Hausarztes<br />

der Familie, Dr. Zimmermann, gewesen sein; dieser emigrierte vor Kriegsbeginn nach<br />

Brasilien. Dies wurde von Friedel Siebert, der Mutter des leiblichen Sohnes Thomas von<br />

Erich Kästner, bestätigt. 186<br />

Erich Kästner wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Der Verdienst des Vaters lag unter<br />

dem Existenzminimum. Deshalb arbeitete die Mutter als Friseuse, um die soziale und<br />

finanzielle Lage der Familie zu bessern. Zusätzlich wurde noch ein Zimmer der Wohnung<br />

vermietet; Ida Kästner achtete darauf, dass die Untermieter Lehrer waren. Denn<br />

dies war der Beruf, den die Mutter für ihren Sohn ausgewählt hatte. Sie machte ihren<br />

Sohn zur zentralen Figur ihres Lebens. Vater Emil blieb in dieser engen Mutter-Sohn-<br />

Beziehung außen vor. Schon sehr früh interessierte sich Kästner für Bücher, ebenso begeistert<br />

turnte er. Seine Schulzeit war von Anfang an mit Erfolg gekrönt, der auf seinem<br />

starken Wissensdrang und Bildungswillen gründete. Zuhause half er seiner Mutter; er<br />

war ein verständiges und einsichtiges Kind. Über den Sanitätsrat Dr. Zimmermann sagte<br />

Erich Kästner später: „Er kannte mich, seit dem ich auf der Welt war.“ 187 Zimmermann<br />

half wohl auch bei finanziellen Problemen. Gemäß dem Wunsch der Mutter, den Lehrerberuf<br />

zu ergreifen, wurde Kästner ab Ostern 1913 Schüler des Lehrerseminars in Dresden.<br />

Doch der hier vorherrschende Drill und militärische Ton behagte ihm nicht. Bei<br />

185 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 254<br />

186 Schneyder, Werner (1982): Erich Kästner. Ein brauchbarer Autor: 20<br />

187 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 28<br />

94


Kriegsbeginn war er 15 Jahre alt und erlebt schon die Gestellungsbefehle an seine Mitschüler.<br />

Ihn traf es im Juli 1917:<br />

“Wir hatten Angst vor diesem Krieg.<br />

Dann zog man uns ein.<br />

Wir hatten Angst. Und hofften gar,<br />

es spräche einer halt!<br />

Wir waren damals achtzehn Jahr,<br />

und das ist nicht sehr alt.“ 188<br />

Es folgte die Militärausbildung. Die böswilligen Schikanen seiner Vorgesetzten hatten<br />

seinen körperlich-seelischen Zusammenbruch und schließlich seine vorzeitige Entlassung<br />

zu Folge; er kehrte zurück zu den Eltern nach Dresden. Doch mochte er die begonnene<br />

Ausbildung am Lehrerseminar nicht weiterführen; statt dessen erreichte er die Zustimmung<br />

der Mutter, auf das König-Georg-Gymnasium wechseln zu dürfen. Wegen seiner<br />

hervorragenden Leistungen erhielt Kästner das „Goldene Stipendium der Stadt Dresden“<br />

mit der Bedingung, in einer sächsischen Stadt zu studieren. In Leipzig begann er das Studium<br />

der Germanistik und der Theaterwissenschaft. Um sein weiteres Studium zu finanzieren,<br />

nahm er Tätigkeiten als Hilfsbuchhalter und Verkäufer an. Durch eine Glosse im<br />

„Leipziger Tagblatt“ wurde der Verlagsdirektor Richard Katz auf ihn aufmerksam und bot<br />

ihm eine Redakteurstelle an. Das finanziell so abgesicherte Studium konnte er erfolgreich<br />

am 25. Oktober 1924 abschließen. Kästner schrieb für verschiedenen Leipziger Magazine<br />

und auch für die in ganz Deutschland bekannte Familienzeitschrift „Beyers für alle“; hier<br />

erschienen einige seiner Gedichte, die der Zeichner Erich Ohser illustrierte. Mit letzterem,<br />

der den Künstlernamen „e.o. plauen“ führte, und mit Erich Knauf begann in diesen Jahren<br />

eine lebenslange Freundschaft. 189 Politische Satiren entstanden unter dem Pseudonym<br />

„Flint“ für das linksbürgerlich-pazifistische Blatt „Drachen“, bei dem u.a. Joseph Roth<br />

und Joachim Ringelnatz mitarbeiteten. 190 Einfluss auf seine literarische Arbeit nahmen in<br />

dieser Zeit der Kunst- und Literaturkritiker Hans Natonek und der Publizist Max Krell, die<br />

ihn förderten und ihm uneigennützig Kontakte vermittelten. 191<br />

Der 26-jährige Kästner erfüllte sich einen lange gehegten Wunsch: die Promotion zum Dr.<br />

phil. Sein Doktorvater Professor Wittkowski bewertete die Arbeit „als hoch über den<br />

Durchschnitt unserer germanischen Dissertationen stehend ein.“ 192 Kästners Tätigkeit in<br />

188 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 39<br />

189 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 66<br />

190 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 68<br />

191 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 71<br />

192 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 73<br />

95


der Redaktion der „Neuen Leipziger Zeitung“ wurde wegen eines zweideutigen Gedichtes<br />

– Abendlied eines Kammervirtuosen – gekündigt. Erich Ohser, der das Gedicht illustriert<br />

hatte, verlor ebenfalls seine Stelle. Im Herbst 1927 zog Kästner nach Berlin. Dort erhielt<br />

er von dem Leipziger Verleger Curt Weller erstmals ein Angebot, einen Gedichtband herauszugeben.<br />

Der gewählte Titel: Herz auf Taille, mit Zeichnungen von Erich Ohser. Der<br />

Band enthielt 49 ausgewählte Gedichte und fand Anklang, so dass die erste Auflage mit<br />

2000 Exemplaren bald verkauft war.<br />

Mitarbeiter der Berliner „Weltbühne“<br />

Der Schriftsteller Hermann Kesten berichtete über das erste Zusammentreffen mit Kästner<br />

bei der Witwe von Siegfried Jakobsohn, die die Absicht hatte, „... ihren Mitarbeitern<br />

Ideen für neue Artikel einzublasen.“ 193 „Ziemlich verloren stand ich bei meinem ersten<br />

Besuch im Salon der Weltbühnenwitwe herum, zwischen lauter Redakteuren und Mitarbeitern,<br />

Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, Walter Mehring, Heinz Pol, Ernst Toller, Arnold<br />

Zweig, Lion Feuchtwanger, Werner Hegemann, Alfred Polgar und vielen bekannten<br />

Unbekannten, als der eben der Universität entronnene Rudolf Arnheim, ein jugendfrischer<br />

Redakteur der Weltbühne zu mir sagte: ,Sie wollen sicher Erich Kästner kennenlernen!´<br />

Ich schüttelte die Hand eines hübschen adretten jungen Mannes, der mich mit einem<br />

freundlich verschmitzten Lächeln begrüßte. Sogleich begannen wir ein langes Gespräch<br />

und unsere Freundschaft.“ 194<br />

Erich Kästner, der Kinderbuchautor<br />

Bei einem so genannten „Weltbühnentee“ regte Edith Jacobsohn, Chefredakteurin und zugleich<br />

Besitzerin des Kinderbuchverlages Williams & Co. Erich Kästner an, ein Kinderbuch<br />

zu schreiben. Seine angemeldeten folgenden Zweifel zerstreute sie mit folgenden<br />

Worten: „In Ihren Kurzgeschichten kommen häufig Kinder vor, davon verstehen Sie eine<br />

ganze Menge. Es ist nur noch ein Schritt. Schreiben sie einmal nicht über Kinder, sondern<br />

auch für Kinder!“ 195 Bereits im Herbst 1928 war der Kinderroman Emil und die Detektive,<br />

illustriert von Walter Trier, fertig. Dieser Roman, ein Kinderbuch-Bestseller, wurde mehrfach<br />

verfilmt, für Rundfunk und Bühne bearbeitet und in dreißig Sprachen übersetzt. Der<br />

Erfolg seiner Jugend- und Kinderbücher lag in der klaren, präzisen und verständlichen<br />

Sprache. Kästner, der nach dem Wunsch der Mutter Pädagoge werden sollte, wurde es nun<br />

auch in seinen Kinderbüchern, die zeigen, dass er an den Wert der Erziehung glaubte. Sei-<br />

193 Kesten, Hermann (1958): Freundschaftlicher Steckbrief für Erich Kästner. In: Süddeutsche Zeitung Nr.<br />

238 v. 4. 8. 1958. StadtA Mü ZA Personen<br />

194 Kesten, Hermann (1958): Freundschaftlicher Steckbrief für Erich Kästner. In: Süddeutsche Zeitung Nr.<br />

238 v. 4. 8. 1958. StadtA Mü ZA Personen<br />

195 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 104<br />

96


ne Überzeugung von der Macht der Erziehung und ihren Möglichkeiten stellte er in seinen<br />

Geschichten dar, um die Diskrepanz zwischen der Erwachsenen- und der Kinderwelt auszugleichen.<br />

Kästner erwartete von einem Kinderbuchautor, er solle „der Jugend die Sterne<br />

zeigen und deuten, den Zauber der Heimat und Glanz der Ferne heraufbeschwören und<br />

den Kompaß des Gewissens in die Hand drücken.“ 196 In diesen Jahren entstehen Theaterstücke,<br />

Bühnenwerke, Gedichte, der Roman Fabian (1931) und Kinderbücher.<br />

Beim Appell im Juli 1932, der die Forderungen der demonstrierenden Arbeiter und die<br />

Vorschläge der KPD unterstützte, war er einer der Unterzeichnenden. Prominente deutsche<br />

Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler wie Albert Einstein, Heinrich Mann,<br />

Ernst Toller, Arnold Zweig, Theodor Plievier, Käthe Kollwitz und viele andere waren der<br />

Meinung, dass alle den Nationalsozialismus ablehnenden Kräfte in den Parteien (der SPD<br />

und KPD) und in den Arbeiterorganisationen gemeinsam in der Lage wären, den Faschismus<br />

abzuwehren und erfolgreich parlamentarisch auszuschalten.<br />

Machtwechsel in Deutschland<br />

Kästner befand sich auf einer Urlaubsreise in der Schweiz, als am 27. Februar 1933 der<br />

Berliner Reichstag brannte. In Zürich kamen Flüchtlinge aus Deutschland an, die sich vor<br />

dem Zugriff der Nazis retten konnten. Die offiziellen Meldungen, wonach Kommunisten<br />

den Reichstag angezündet hätten, deutete er als innenpolitisch geplante Gewaltmaßnahme,<br />

um den Angriff auf politische Feinde als bloße Selbstverteidigung hinzustellen. 197<br />

Trotz aller Mahnungen und Warnungen konnte ihn niemand dazu bewegen, unter diesen<br />

Umständen nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren. Welche Gründe hatte der politische<br />

Schriftsteller und Moralist Erich Kästner? Hermann Kesten, der im März 1933 nach<br />

Paris emigrierte, berichtete von einem Gespräch, das er kurz vor seiner Abreise mit Kästner<br />

führte: „Er erwiderte, er wolle bleiben, seiner Mutter wegen und um Augenzeuge der<br />

kommenden Gräuel zu sein, er wolle den Roman der Nazidiktatur schreiben, und er wolle<br />

dabeigewesen sein, als ihr künftiger Ankläger.“ 198<br />

Schon in den ersten Monaten der Gewaltherrschaft war er Zeuge von Verhaftungen und<br />

Festnahmen. Die Schriftsteller Carl von Ossietzky, Erich Knauf und Hans Otto waren bereits<br />

in „Schutzhaft“. Zunächst wusste er nicht, dass auch er bereits auf der Liste der „unerwünschten<br />

Autoren“ stand, die im Februar und März „reichseinheitlich“ im Auftrag des<br />

Propagandaministeriums zusammengestellt war, um die „unerwünschten Autoren für<br />

Druck und Bibliotheken auszuschalten“ und die Verbrennung der „marxistischen“ und<br />

„jüdischen“ Bücher vorzubereiten. Alle Werke Erich Kästners waren verboten, außer Emil<br />

196 Kästner, Erich (1977): Gesammelte Werke in sieben Bänden, Band 5: 512<br />

197 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 261<br />

198 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 262<br />

97


und die Detektive. Am 10. Mai 1933 erlebte er die Bücherverbrennung vor der Berliner<br />

Staatsoper unter den Linden als Zuschauer mit. Während in Deutschland Kästners Bücher<br />

verboten waren, erhielt er die offizielle Erlaubnis, im Ausland zu publizieren. In dieser Situation<br />

konnte er weder für noch gegen das Dritte Reich schreiben. In dieser Zeit waren<br />

im Ausland folgende Titel erschienen: Das fliegende Klassenzimmer (1933), Drei Männer<br />

im Schnee, Emil und die drei Zwillinge (1934), Die verschwundene Miniatur (1935), Doktor<br />

Erich Kästners Hausapotheke (1936), Georg und die Zwischenfälle, Till Eulenspiegel<br />

(1938). 199 Die Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Ruth Klüger bezeichnete die<br />

in den ersten Jahren der NS-Herrschaft entstandenen Bücher als „sehr gekonnte Kitschromane<br />

für Erwachsene“. 200 Kästner selbst rechtfertigte diese Bücher als „humoristische<br />

Romane“, die er „unter Kontrolle“ geschrieben habe. 201 Wie konnte Kästner in dieser von<br />

Schrecken und Gewalt gezeichneten Zeit aufheiternde Unterhaltungsliteratur hervorbringen?<br />

War es Realitätsflucht? Friedrich Dürrenmatt erklärte dies so: „Versagen, ein Sichflüchten<br />

in die Welt der Kinder – wirklich? Gibt es nur die Position des Helden, ist jede<br />

andere Position Feigheit? Im Griff der Gewalt herrscht eine andere Dialektik. Auch Negieren<br />

kann tödlich sein, stellt eine der Geheimwaffen des Geistes dar, nicht nur der Protest.“<br />

202 Auch Kästners Kinderromane kamen laut Ruth Klüger in die Kritik, denn sie<br />

„sind im Grunde sentimentale Bücher, die den gängigen Vorstellungen ihrer Entstehungszeit<br />

entsprechen. Sie sind oft unehrlich in ihrer Darstellung menschlicher Beziehungen,<br />

und was sie an ,Ethik´ enthalten, ist primitiv“. Interessant erschienen ihr die „äußerst witzigen<br />

Formulierungen, aber pädagogisch sind die anfechtbar.“ Sie seien aber „ausgezeichnete<br />

Unterhaltungsliteratur, d. h. sie reizen zum Weiterlesen und sind durchgehend<br />

amüsant“. 203 Was ihren Erfolg begründete, so Ruth Klüger.<br />

Vorerst konnte Kästner sein Leben durch die im Ausland verkauften Bücher, bis zu der<br />

Verordnung vom 23. November 1933 finanzieren. Diese Verordnung, die von der Gestapo<br />

an den Deutschen Bankenverband gerichtet war, lautete: „... die Konten von vierundvierzig<br />

Schriftstellern – es war eine namentliche Aufstellung beigefügt – zu sperren. Auf der<br />

Liste der Personen, deren Vermögen polizeilich beschlagnahmt war, standen unter anderem<br />

Bertolt Brecht, Max Brod, Leonhard Frank, Joseph Roth, Ernst Ottwalt, Anna Seghers,<br />

Oskar Maria Graf, Erich Kästner, Hermann Kesten, Erich Weinert, Arnold<br />

Zweig.“ 204 Bei seiner ersten Verhaftung wurde Kästner vorgeworfen, von Prag aus gegen<br />

199 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 271<br />

200 Klüger, Ruth (1996): Korrupte Moral. Kästners Kinderbücher: 64<br />

201 Kästner, Erich (1977): Gesammelte Werke in sieben Bänden, Band 3: 8. In: Klüger, Ruth (1996): Korrupte<br />

Moral: 64<br />

202 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 278<br />

203 Klüger, Ruth (1996): Korrupte Moral. Kästners Kinderbücher: 80<br />

204 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 280<br />

98


das NS-Regime geschrieben zu haben. Dies konnte er glaubhaft widerlegen. 205 Im Juni<br />

1937 wurde bei ihm eine Hausdurchsuchung vorgenommen und er musste ein dreistündiges<br />

Verhör im Polizeipräsidium am Alexanderplatz durchstehen. Seine Lebensgefährtin<br />

Luiselotte Enderle berichtete in ihrer Biographie über die gesundheitlichen Folgen, Magenkrankheit<br />

und Herzattacken, die sich bei Kästner nach dieser Maßnahme einstellten.<br />

Mit seinem Freund Walter Trier 206 , der als Emigrant in Österreich lebte, hatte er ein neues<br />

Buch geplant. Im August 1937 trafen sie sich, um u. a. an den Salzburger Festspielen teilzunehmen.<br />

Die ersten Aufzeichnungen mit dem Titel Der kleine Grenzverkehr oder Georg<br />

und die Zwischenfälle entstanden. Walter Trier hielt dazu in farbigen Bildern die Ansichten<br />

Salzburgs fest. In Salzburg traf er mit zwei Mitarbeitern der „Weltbühne“ zusammen<br />

und den im Exil tätigen Autoren Walter Mehring und Ödön von Horvath. Kästner berichtete<br />

ihnen über die aktuellen politischen und kulturellen Ereignisse in Deutschland.<br />

Die Frage Ödön von Horvaths, „Wollen Sie denn wirklich nach Deutschland zurück? Ich<br />

hätte davor zuviel Angst!“ 207 , ließ keinen Zweifel an dem Entschluss zu seiner Rückkehr<br />

aufkommen.<br />

Die so genannte „Reichskristallnacht“ erlebte Kästner in Berlin auf der nächtlichen Heimfahrt<br />

von seinem Stammcafé, am 9. November 1938, so: „Es klang als würden Dutzende<br />

von Waggons voller Glas umgekippt. Ich blickte aus dem Taxi und sah, links wie rechts,<br />

vor etwa jedem fünften Haus einen Mann stehen, der, mächtig ausholend mit einer langen<br />

Eisenstange ein Schaufenster einschlug ... Außer diesen Männern, die schwarze Breeches,<br />

Reitstiefeln und Ziviljackets trugen, war weit und breit kein Mensch zu entdecken ...“ 208<br />

Die neuen Machthaber brauchen einen Drehbuchautor<br />

Anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Filmproduktionsgesellschaft UFA erhielt Kästner<br />

den Auftrag, das Drehbuch zum Film Münchhausen zu schreiben. Im Anschluss daran entstand<br />

das Manuskript zur Verfilmung Der kleine Grenzverkehr und Das doppelte Lottchen.<br />

Während der Dreharbeiten zum Kleinen Grenzverkehr widerrief die Reichskulturkammer<br />

am 25. Juli 1942 Kästners Sondergenehmigung als Schriftsteller tätig zu sein. Kästner hatte<br />

für den Staat einen anspruchsvollen Film zustande gebracht und wurde nun nicht mehr gebraucht.<br />

Der Film Münchhausen lief in den Kinos, ohne dass sein Name genannt wurde.<br />

Am 15. Januar 1944 wurde Kästners Wohnung durch Brandbomben zerstört. Er zog zu der<br />

Journalistin Luiselotte Enderle. Seine Musterung zum Volkssturm beschrieb er in seinem<br />

205 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 281<br />

206 Emigrierte über England nach Kanada, wo er im Juli 1951 starb.<br />

207 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 308<br />

208 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 311<br />

99


Tagebuch am 2. März 1945: „Der Stabsarzt fragte mich, während ich nackt und stramm<br />

vor ihm stand, nach Namen und Beruf. Er sagt dann: ,so, der Kästner sind Sie!´ Die Bemerkung<br />

verhieß nichts Gutes. Als ich dann aber von dem uralten Musterungsmajor, den<br />

ein Monokel zierte, erfuhr, daß ich für militärisch untauglich befunden und ausgemustert<br />

worden sei, wußte ich, daß mir der Arzt sehr gewogen sein mußte. Wie man Freunde hat,<br />

die einem nicht mehr kennen wollen, hat man, zum Ausgleich, andere, die man selber nicht<br />

kennt.“ 209 In den letzten Kriegsmonaten kam Kästner mit Unterstützung des UFA-Produktionsleiters<br />

Eberhard Schmidt auf abenteuerliche Weise nach Mayerhofen in Tirol, wo<br />

er bis zum Einmarsch der Amerikaner am 8. Mai 1945 geblieben ist.<br />

In München<br />

Ende Juni 1945 nahm Kästner in München Kontakte zu Schauspielern und dem Intendanten<br />

Otto Falckenberg auf. Die Jahre des erzwungenen Schweigens waren vorbei. Als Redaktionsleiter<br />

der „Neuen Zeitung“ trat er für einen demokratischen Neuaufbau ein und<br />

bot Intellektuellen und Schriftstellern ein Forum. Er gründete die Kabaretts „Die Schaubude“<br />

(1945) und „Die kleine Freiheit“ (1951).<br />

Warum hat Kästner die Dokumentation der Ereignisse, die er als authentischer Zeuge der<br />

Nachwelt hinterlassen wollte, nicht geschrieben? „... das ist schwer zu sagen. Vielleicht<br />

haben die aktuellen Verpflichtungen, die er erfüllen mußte, ihn zu stark belastet,“ so der<br />

Autor Heinz Stephan. 210<br />

In seinem Haus im Herzogpark feierte er am 23. Februar 1974 seinen 75. Geburtstag. Nach<br />

schwerer Krankheit stirbt Erich Kästner am 29. Juli 1974 in München.<br />

Ausstellung<br />

2. Juli - 31. Oktober 1999: Erich Kästner zum 100. Geburtstag. Gezeigt im Münchner<br />

Stadtmuseum.<br />

Ehrungen<br />

1956 Literaturpreis der Stadt München.<br />

1957 Georg-Büchner-Preis.<br />

1960 Hans-Christian-Andersen-Preis.<br />

1966 „Goldener Igel“. Humoristenpreis der bulgarischen Jugendzeitung<br />

„Narodna Mladesch“.<br />

209 Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk: 338<br />

210 Stephan, Heinz (1974): In: Theater Rundschau 20 (1974) Nr. 9. StadtA Mü ZA Personen<br />

100


1968 Literaturpreis der Deutschen Freimaurer.<br />

1969 Ehrenmitglied der Wilhelm-Busch-Gesellschaft.<br />

1970 Kultureller Ehrenpreis der Stadt München.<br />

1974 Goldene Ehrenmünze der Stadt München.<br />

115 Schulen in Deutschland tragen seinen Namen.<br />

Stiftung<br />

1999 Das „Erich-Kästner-Kinderdorf“ in Oberschwarzach (Unterfranken) erhielt das<br />

gesamte Mobiliar des Hauses von Erich Kästner in München. 211<br />

Literatur<br />

Bemmann, Helga (1994): Erich Kästner. Leben und Werk. Ullstein, Frankfurt a. M., Berlin<br />

Chiu, Charles S. (1996): „Zwischen Eros und Tod – Ungewöhnliche Liebesgeschichten“. Verlag Carl Ueberreuter,<br />

Wien<br />

Ebbert, Birgit (1994): Erziehung zur Menschlichkeit und Demokratie.<br />

Enderle, Luiselotte (1993): Erich Kästner. Rowohlts Bildmongraphien, Reinbek bei Hamburg<br />

Ganz, Dagmar (1977): Erich Kästners Kinderbücher im Verhältnis zu seiner Literatur für Erwachsene. In:<br />

Lypp, Maria (Hrsg.) (1977): Literatur für Kinder. Studien über ihr Verhältnis zur Gesamtliteratur. Zeitschrift<br />

für Literaturwissenschaft und Linguistik, Beiheft 7<br />

Görtz, Franz Josef / Sarkowicz, Hans (1998): Erich Kästner. Piper Verlag, München<br />

Görtz, Franz Josef (Hrsg.) (1998): Erich Kästner. Werke in neun Bänden. Hanser Verlag, München<br />

Hanuscheck, Sven (1998): Keiner blickt dir hinter das Gesicht. Hanser Verlag, München<br />

Kästner, Erich / Lemke Horst (1993): Die Schildbürger. Dressler Verlag, Hamburg<br />

Kästner, Erich (1946): Bei Durchsicht meiner Bücher. Rowohlt Verlag, Stuttgart<br />

Kästner, Erich (1962): Erich Kästner-Buch. Bertelsmann Lesering, Gütersloh<br />

Kästner, Erich (1965): Gesammelte Werke in sieben Bänden. 3. Aufl., Atrium Verlag, Zürich<br />

Kästner, Erich (1965): Aus meiner Kindheit. Matthiesen Verlag, Lübeck<br />

Kästner, Erich (1972): Friedrich der Große und die deutsche Literatur. Kohlhammer Verlag, Stuttgart<br />

Kästner, Erich (1975): Aus einer kleinen Versfabrik. dtv, München<br />

Kästner, Erich /1975): „Was nicht in euren Lesebüchern steht.“ Hrsg. v. Wilhelm Rausch. Fischer Tb-Verlag<br />

Nr. 875, Frankfurt a. M.<br />

Kästner, Erich (1976): Auswahl. Dressler Verlag, Berlin<br />

Kästner, Erich (1977): Briefe aus dem Tessin. Die Arche, Zürich<br />

Kästner, Erich (1977): Als ich ein kleiner Junge war. Dressler Verlag, Hamburg<br />

Kästner, Erich (1983): Dreizehn Monate. Droemer, Knaur, München<br />

Kästner, Erich (1985): Emil und die Detektive. Emil und die drei Zwillinge. Deutscher Bücherbund, Stuttgart<br />

Kästner, Erich (1985): Erich Kästner erzählt. Betz Verlag, München<br />

Kästner, Erich (1986): Erich Kästner erzählt die wunderbaren Reisen und Abenteuer zu Wasser und zu Lande<br />

des Freiherrn von Hamburg. Dressler Verlag, Hamburg<br />

Kästner, Erich (1988): Don Quichotte. O. Maier Verlag, Ravensburg<br />

211 Otzelberger, Manfred (1999): In Süddeutsche Zeitung Nr. 44 v. 23.2.1999<br />

101


Kästner, Erich (1989): Fabian. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt a. M.<br />

Kästner, Erich (1990): Gedichte. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt a. M.<br />

Kästner, Erich (1990): Doktor Kästners lyrische Hausapotheke. Atrium Verlag, Zürich<br />

Kästner, Erich (1999): Möblierte Melancholie. Gedichte, Ansprachen, Interviews von und mit Erich Kästner.<br />

Der Hör-Verlag, 71 Min.<br />

Kästner, Erich (1975): Das große Erich-Kästner-Buch. Hrsg. v. Sylvia List. Piper Verlag, München, Zürich<br />

Kästner, Erich (1933): Das fliegende Klassenzimmer; (1934) Drei Männer im Schnee; (1934) Emil und die<br />

drei Zwillinge; (1935) Die verschwundene Miniatur; (1936) Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke;<br />

(1938) Georg und die Zwischenfälle. Späterer Titel: Der kleine Grenzverkehr; (1938) Till Eulenspiegel;<br />

(1939) Die Doppelgänger. Romanfragment; (1940) Chauvelin oder lang lebe der König!; (1940) Das<br />

Haus der Erinnerung; (1940) Das lebenslängliche Kind. Unter dem Pseudonym Robert Neuner nach dem<br />

Roman „Drei Männer im Schnee“ entstanden; Münchhausen. Drehbuch; Der kleine Grenzverkehr; Das<br />

doppelte Lottchen; (1943) Zu treuen Händen<br />

Kästner, Erich / Trier, Walter (2000): Der gestiefelte Kater. Atrium Verlag, Zürich<br />

Kästner, Erich (2001): Mein liebes Muttchen, Du! Dein oller Junge. Knaus Verlag<br />

Klüger, Ruth (1996): Korrupte Moral: Erich Kästners Kinderbücher. In: Klüger, Ruth (1996): Frauen lesen<br />

anders. Essays. Deutscher Taschenbuch Verlag, München: 63–82<br />

Kordon, Klaus (1995): Die Zeit ist kaputt. Die Lebensgeschichte des Erich Kästner. Beltz & Gelberg, Weinheim<br />

Plauen, e.o. (1997): Vater und Sohn. Bildgeschichten. Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart<br />

Schikorsky, Isa (1998): Erich Kästner. Deutscher Taschenbuch Verlag, München<br />

Schneyder, Werner (1982): Erich Kästner. Ein brauchbarer Autor. Kindlers Literarische Portraits. Kindler<br />

Verlag, München<br />

Wegner, Manfred (Hrsg.) (1999): „Die Zeit fährt Auto“. Erich Kästner zum 100. Geburtstag. DBL Berlin u.<br />

Münchner Stadtmuseum<br />

102


103<br />

Kalter Haus, Tal 19<br />

„... Ich bin schon seit einer Woche hier, aber ich kann mich nicht erholen, die letzten<br />

Monate waren eine ständige Qual für mich, erst recht die Zeit seit dem 9.11.<br />

Ich bin im größten Regen und Wind zwei Tage und zwei Nächte rumgeirrt<br />

(an der Grenze), konnte aber nicht rein ...<br />

Nun bin ich endlich hier, möchte aber so schnell wie möglich nach Amerika.“<br />

Brief vom 15. Dezember 1938 von Eda Kalter in Amsterdam<br />

an ihren Sohn in Amerika. 212<br />

Namensinschrift auf der Grabstätte<br />

der Familie Kalter<br />

(Neuer Israelitischer Friedhof)<br />

Foto: H. Engelbrecht<br />

Kalter Haus im Tal 19<br />

Foto H. Engelbrecht<br />

212 Zitiert nach: Zuber, Elfi (1997): Das Stammhaus steht im Tal. In: Münchner Stadtanzeiger Nr. 18: 14


I. Gedenktafel Kalterhaus<br />

Tal 19<br />

Sendlinger Tor S1–S8, U2/U3 und U6/U8<br />

II. Grabstätten auf dem Neuen Israelitischen Friedhof, Sekt. 12<br />

Garchinger Straße 37<br />

Studentenstadt U6<br />

Familie Kalter<br />

Kalter, Ernestine Eda<br />

*6.3.1885 München †2.11.1942 Auschwitz<br />

Kalter, Max<br />

*1906 München †1987 New York<br />

Kalter, Ludwig<br />

*4.5.1909 München †22.10.1995 München<br />

Zu I. Gedenktafel Kalterhaus<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Am Haus im Tal 19 und am Eingang zum Haus in der Dürnbräugasse befindet sich ein<br />

blaues, mit weißen Linien eingerahmtes Schild mit der Aufschrift: „Kalter Haus, Goldene<br />

19, Tal 19“.<br />

Zu II. Grabstätten auf dem Neuen Israelitischen Friedhof<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Die Grabinschrift für das Ehepaar Kalter lautet: „Jakob Kalter geb. 15. Nov. 1879, gest.<br />

20. Jan. 1925. Es heißt nicht sterben, lebt man im Herzen der Menschen weiter, die man<br />

verlassen mußte. Ernestine Eda Kalter, geb. Nagel, geb. 6. März 1885, gest. 2. Nov. 1942.<br />

Ein Opfer der Verfolgungszeit. Ihr Vorbild, ihre Liebe und Arbeit leben weiter.“<br />

Die Grabinschrift für Ludwig Kalter lautet: „Zum ewigen Gedenken an einen großen<br />

Wohltäter und Humanisten, Ludwig Kalter geb. 4.5.1909 in München, gest. 22.10.1995.<br />

Du warst die Liebe und das Licht, das selbst im Tode nicht erlischt. Wir werden nie aufhören<br />

dich zu lieben, als wärst du niemals von uns geschieden.“<br />

104


GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Der jüdische Geschäftsmann Pinkus Kalter hatte ein Geschäft für Herren- und Knabenkleidung<br />

in Rzeszow in Polen gegründet. 213 1895 erfolgte die Verlegung des Geschäfts<br />

nach München, in das Haus im Tal Nr. 19, weitere Filialen gab es in der Sendlingerstraße.<br />

1901 überschrieb Kalter das bekannte und populäre Herrenbekleidungsgeschäft<br />

„Goldene 19“ seinem Sohn Jakob. Geschickt verstand dieser, die Hausnummer „19“<br />

werbewirksam einzusetzen; so betrug der Höchstpreis für ein Kleidungsstück 19<br />

Reichsmark. Jakob Kalter und Ernestine Eda Nagel heirateten im Jahre 1905. Ihre Kinder<br />

waren: Max (*1906), Ludwig (*1909), Luise (*1910), Lene (*1913) und Sophie<br />

(*1915). 214 Jakob Kalter war im Ersten Weltkrieg eingesetzt, während seine Frau das<br />

Geschäft weiterführte. Gesundheitlich angeschlagen kehrte er aus dem Krieg zurück<br />

und starb 1925 im Alter von nur 45 Jahren. Das 40-jährige Firmenjubiläum wurde 1935<br />

noch mit einer großen Feier begangen. Die antijüdischen Maßnahmen führten jedoch<br />

bereits dazu, dass der älteste Sohn Max 1937 nach New York in die USA emigrierte.<br />

Ludwig Kalter konnte noch vor dem Pogrom 1938 ausreisen. Die Fensterscheiben des<br />

Geschäftes im Tal 19 wurden in der Pogromnacht eingeschlagen. Mutter Eda Kalter begab<br />

sich am 9. November 1938 auf die Flucht. Sie gelangte mit ihrer jüngsten Tochter<br />

Sophie nach Amsterdam, wo sie in einem Versteck lebte. In ihren verzweifelten Briefen<br />

an ihren Sohn richtete sie den dringenden Wunsch: „... ich möchte aber so schnell wie<br />

möglich nach Amerika.“ 215<br />

Vom November 1938 bis Juli 1942 lebte Eda Kalter illegal in Amsterdam, bis sie von einem<br />

holländischen Nachbarn denunziert wurde. Sie erhielt für den 15. Juli 1942 eine amtliche<br />

Vorladung in die Gestapoleitstelle 216 ; dort stellte man sie unter Arrest. Ihr Sohn Max<br />

Kalter hat später bei seinen Nachforschungen herausgefunden, dass seine Mutter nach<br />

Auschwitz deportiert und dort am 2. November 1942 ermordet wurde. 217<br />

Firmengeschichte und Lebensgeschichte von Max und Ludwig Kalter<br />

Das „Kalterhaus im Tal 19“ wechselte nach dem Pogrom 1938 zur Firma „Gustav Lenkeit<br />

& Co.“ Die Rückerstattung des Anwesens Tal 19 an die Überlebenden Max und Ludwig<br />

Kalter fand am 25. Januar 1949 statt. 218<br />

213 Zuber, Elfi (1997): Das Stammhaus steht im Tal: 14<br />

214 Zuber, Elfi (1997): Das Stammhaus steht im Tal: 14<br />

215 Zuber, Elfi (1997): Das Stammhaus steht im Tal: 14<br />

216 Zuber, Elfi (1997): Das Stammhaus steht im Tal: 14<br />

217 Zuber, Elfi (1997): Das Stammhaus steht im Tal: 14<br />

218 Zuber, Elfi (1997): Das Stammhaus steht im Tal: 14<br />

105


Max Kalter hatte die höhere Handelsschule besucht, absolvierte eine Ausbildung im<br />

Bankwesen und besuchte Textilschulen in Cottbus, Berlin und Düsseldorf. Bis zur Emigration<br />

1937 war er im elterlichen Herrenbekleidungsgeschäft tätig. In New York gründete<br />

er ein Damenspezialgeschäft. 1981 wurde Max Kalter vom Bürgermeister der Stadt New<br />

York zum Mitglied der „Majors Task Force for the Erection of a Holocaust Memorial in<br />

New York“ ernannt. 219 Er starb 1987 in New York.<br />

Ludwig Kalter kehrte nach Kriegsende wieder nach München zurück. Hier setzte er sich<br />

für die Deutsche Suchthilfe ein und gründete als ehrenamtlicher Alleingesellschafter von<br />

„Daytop“, „Phönix“ und „Seca“ etwa 40 Kliniken. Kalter war erster Vorsitzender des<br />

Fachverbandes „Freier Einrichtungen in der Suchtarbeit“ (FES) und der Telefonnotrufe.<br />

„Einen Telefonnotruf brachte er in den Räumen seines Hauses Tal 19 unter.“ 220 Nach seinem<br />

Tod hob der Gründer der Suchthilfe Dr. Ulrich Johannes Osterhues die Verdienste<br />

des Wohltäters und Mentors Ludwig Kalter hervor: „Die Suchthilfe in Deutschland hatte<br />

einen bedeutenden Mentor, ich habe einen väterlichen Freund verloren. Ludwig Kalter<br />

hat Spuren in seinem Leben hinterlassen – Spuren auf guten Wegen. Er liebte die großen<br />

Worte nicht ... Fakt ist, dass Daytop und Phönix ohne Ludwig Kalter niemals so erfolgreich<br />

geworden wären. Sein Anliegen war jedoch nicht der große Erfolg an sich, sondern<br />

die erfolgreiche Hilfe für Menschen in Not ... Er führte ein erfülltes und beispielgebendes<br />

Leben ...“ 221<br />

Literatur<br />

Kalter, Max (1980): Hundert Jahre Ostjuden in München 1880–1980. In: Lamm, Hans (1982): Vergangene<br />

Tage. Jüdische Kultur in München. Langen Müller Verlag, München, Wien: 394–399<br />

Selig, Wolfram (1993): Judenverfolgung in München 1933–1941. In: „München – Hauptstadt der Bewegung.“<br />

Ein Projekt des Münchner Stadtmuseums. Ausstellungskatalog. Klinkhardt & Biermann, München:<br />

398–410<br />

Zuber, Elfi (1997): Die Geschichte der jüdischen Familie Kalter. In: drogen-report 18 (1997) Nr. 3/1997: 30–<br />

31<br />

Zuber, Elfi (1997): Das Stammhaus steht im Tal. Die tragische Geschichte der Kaufmannsfamilie Kalter. In:<br />

Münchner Stadtanzeiger Nr. 18. v. 30. April 1997: 14<br />

219 Lamm, Hans (1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München: 502<br />

220 Zuber, Elfi (1997): Das Stammhaus steht im Tal: 14<br />

221 Zitiert nach Zuber, Elfi (1997): Das Stammhaus steht im Tal: 14<br />

106


Klee, Paul<br />

*18.12.1879 Münchenbuchsee bei Bern †29.6.1940 Muralto-Locarno<br />

Gedenktafel in der Feilitzschstraße 3<br />

Foto H. Pfoertner<br />

222 Giedion-Welcker, Carola (1991): Paul Klee: 64<br />

„Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“<br />

Paul Klee, Vortrag in Jena, 1924 222<br />

Paul Klee<br />

Foto: Süddeutscher Verlag<br />

107


I. Paul-Klee-Straße, Parkstadt Solln<br />

M (1964)<br />

II. Gedenktafel<br />

Feilitzschstraße 3, Schwabing<br />

Münchner Freiheit U3/U6 und Bus 36<br />

M (1975)<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

An der Fassade des Hauses Feilitzschstraße 3 befindet sich eine Gedenktafel für Paul Klee<br />

mit folgendem Text. „Der Maler und Graphiker Paul Klee hatte in diesem Haus sein Atelier<br />

von 1908–1919.“<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Die Gedenktafel schuf der Münchner Bildhauer Eugen Weiß.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Jugendjahre 1879–1898<br />

Paul Klee kam als zweites Kind der Eheleute Ida (geb. Frick) und Hans Klee am 18. Dezember<br />

1879 in Münchenbuchsee im Kanton Bern (Schweiz) auf die Welt. Seine Mutter stammte<br />

aus Basel, der Vater aus Thüringen, der als Musikpädagoge in Bern am Lehrerseminar in<br />

Hochwill tätig war und dieses bis ins hohe Alter betreute. Schon früh zeigte sich Pauls zeichnerisches<br />

Talent, das seine Mutter förderte. Auf Wunsch des Vaters kam der Sohn an das<br />

literarische Gymnasium in Bern, wo ihn die griechische Sprache und Literatur neben der<br />

französischen fesselte und lebenslang begeisterte. Bei seinen Mitschülern war er wegen seiner<br />

kecken Karikaturen sehr beliebt; besonders bestaunt aber wurde sein Geigenspiel, das<br />

Paul Klee meisterhaft beherrschte und das ihm schon bald einen Platz im städtischen Orchester<br />

sicherte. Die Wahl, ob er sich für eine Zukunft als Musiker oder Zeichner und Maler<br />

entscheiden sollte, fiel ihm daher nicht leicht. Klee entschied sich fürs Malen. Die Musik begleitete<br />

ihn jedoch sein ganzes Leben lang und spielte für seine Kunst eine wichtige Rolle.<br />

Kunststudien in München und Bern 1898–1914<br />

Um sich auf das Kunststudium vorzubereiten, lernte Klee zunächst in einer privaten<br />

Münchner Zeichenschule bei Heinrich Knirr. Im Oktober 1900 bekam er die Zulassung an<br />

die Münchner Akademie und trat in die Klasse von Franz von Stuck ein, wo auch Wassily<br />

108


Kandinsky studierte. Klee kehrte nach Bern zurück. Es folgten Studienreisen nach Italien.<br />

1905 unternahm Klee mit dem Schweizer Maler Louis Moilliet ein Reise nach Paris, wo<br />

ihn die Werke älterer Meister beeindruckten. Die Werke französischer Impressionisten<br />

(Cézanne, Daumier, Toulouse-Lautrec, Ensor) lernte er durch verschiedene Ausstellungen<br />

in München kennen. Hier hatte er sich nach seiner Heirat (1906) mit der Pianistin Lily<br />

Stumpf niedergelassen. In dieser Zeit erarbeitete er sich seine künstlerischen Grundlagen<br />

und äußerte sich dazu in einem Tagebucheintrag von 1909: „Wenn bei meinen Sachen<br />

manchmal ein primitiver Eindruck entsteht, so erklärt sich diese Primitivität aus meiner<br />

Disziplin, auf wenige Stufen zu reduzieren. Sie ist nur Sparsamkeit als letzte professionelle<br />

Erkenntnis, also das Gegenteil von wirklicher Primitivität.“<br />

1911 fand in der Galerie Thannhauser in München die erste Paul-Klee-Ausstellung statt.<br />

Seit dieser Zeit listete Klee alle seine Werke bis zu seinem Lebensende auf. Im gleichen<br />

Jahr machte er die Bekanntschaft mit dem Kreis des „Blauen Reiters“. Neben Wassily<br />

Kandinsky lernte er August Macke, Alexej von Jawlensky, Franz Marc, Gabriele Münter,<br />

Marianne von Werefkin, Alfred Kubin und Heinrich Campendonk kennen. Vom 12. Februar<br />

bis April 1912 nahm er an der zweiten Ausstellung der neu gegründeten Künstlergruppe<br />

in der Münchner Galerie Goltz teil, die aus der Redaktion des Almanachs mit dem<br />

Namen „Blauer Reiter“ hervorgegangen war, und die nur auf grafische Arbeiten spezialisiert<br />

war. Während eines Aufenthalts in Paris besuchte er Robert Delaunay, einem Hauptvertreter<br />

des Orphismus 223 und Karl Hofer, einen Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Er begegnete<br />

in Paris den Werken von Henri Matisse, Pablo Picasso und Henri Rousseau. Seit<br />

1914 wirkte er als Mitbegründer der „Neuen Münchner Sezession“. Im April desselben<br />

Jahres unternahmen Klee, August Macke und Louis Moilliet eine Reise nach Tunis und<br />

Kairouan. Während dieser Reise entdeckte Klee seinen Weg zur Farbe über die Technik<br />

der Aquarellmalerei. Gleichzeitig fand er zu einer reduzierten Bildsprache. Angeregt<br />

durch Robert Delaunays Fensterbilder setzte er geometrische Farbflächen ein, die zusammen<br />

mit reinen Farbkontrasten Stimmung und Farbklang erzeugten.<br />

Die Zeit des Ersten Weltkrieges 1914–1918<br />

Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges trennten sich die Wege der Künstler: Wassily<br />

Kandinsky, Alexej Jawlensky und Marianne von Werefkin mussten als russische Staatsbürger<br />

Deutschland verlassen. Franz Marc und August Macke melden sich als Kriegsfreiwillige<br />

und wurden im Frankreichfeldzug eingesetzt. August Macke, Klees engster<br />

Freund, fiel am 26. September 1914 in der Champagne. Franz Marc wurde am 4. März<br />

1916 während eines Erkundungsritts vor Verdun bei einem Granateinschlag tödlich verletzt.<br />

Paul Klee erhielt seine Einberufung zum Militärdienst am gleichen Tag wie die<br />

223 Eine Kunstrichtung, die die Farbe als wichtigstes Ausdrucksmittel bildnerischer Gestaltung erklärt.<br />

109


Nachricht vom Tod seines Künstlerfreundes Franz Marc, beides am 11. März 1916. Nach<br />

der Rekruten-Ausbildung in Landshut kam er im August 1916 zur Werftkompanie der<br />

Fliegerersatz-Abteilung in Schleißheim, wo er Reparatur-, Anstreicharbeiten wie die<br />

Tarnanstriche von Flugzeugen und handwerkliche Hilfsarbeiten verrichtete sowie den<br />

Transport von Flugzeugen begleitete. Von der Flugwerft in Schleißheim kam er in die neu<br />

gegründete Fliegerschule von Gersthofen bei Augsburg, wo er bis über das Kriegsende hinaus<br />

in der Kassenverwaltung des Flugplatzes eingesetzt war. Neben seinem Militärdienst<br />

fand Klee Gelegenheit, weiter künstlerisch zu arbeiten.<br />

Lehrtätigkeit am Bauhaus 1921–1931<br />

Im November 1920 erhielt Paul Klee vom Gründer des Staatlichen Bauhauses 224 in Weimar,<br />

dem Architekten Walter Gropius, einen Ruf an sein Haus. Klee folgte der Berufung und leitete<br />

seit 1921 verschiedene Werkstätten, hielt Kurse in Gestaltungslehre und lehrte Aktzeichnen.<br />

Zugleich war er schriftstellerisch tätig und verfasste kunsttheoretische Werke.<br />

Über seine gestalterischen Ziele gab er in einem Jenaer Vortrag (1924) Auskunft: „Wollte<br />

ich den Menschen geben, so ,wie er ist´, dann brauchte ich zu dieser Gestaltung ein so verwirrendes<br />

Liniendurcheinander, daß von einer elementaren Darstellung nicht die Rede sein<br />

könnte, sondern eine Trübung bis zur Unkenntlichkeit einträte. Außerdem will ich den Menschen<br />

auch gar nicht geben wie er ist, sondern nur so, wie er auch sein könnte“.<br />

Er nahm an Ausstellungen in München (1920), Wiesbaden und Berlin (1922) teil. Im Jahr<br />

der Übersiedelung des Bauhauses nach Dessau (1925), beteiligte er sich in Paris an der<br />

ersten Gruppenausstellung der Surrealisten. In seiner kunsttheoretischen Schrift Wege des<br />

Naturstudiums (1923) definiert er zugleich die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft:<br />

„Der heutige Künstler ist mehr als eine verfeinerte Kamera, er ist komplizierter, reicher,<br />

räumlicher. Er ist Geschöpf auf der Erde und Geschöpf innerhalb des Ganzen, das heißt<br />

Geschöpf auf einem Stern unter Sternen.“ 225<br />

1931 löste Klee den Vertrag mit dem Staatlichen Bauhaus in Dessau und übernahm eine<br />

Professur an der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf.<br />

Die erzwungene Emigration 1933<br />

Die Nationalsozialisten griffen das künstlerische Schaffen Paul Klees heftig an. Es folgte<br />

bereits am 1. April 1933 seine Entlassung aus dem Lehramt an der Düsseldorfer Akademie<br />

224 1919 von Walter Gropius gegründet. Architektur, bildende Kunst und Kunsthandwerk sollten zusammengeführt<br />

werden, um die Einheit zwischen den visuellen Künsten und dem Handwerk wiederherzustellen.<br />

An dieser Schule waren herausragende Künstler der Zeit versammelt. Das Bauhaus wurde 1933 von den<br />

Nationalsozialisten geschlossen.<br />

225 Giedion-Welcker, Carola (1991): Paul Klee: 64. Auch in: Klee, Paul (1923): Wege des Naturstudiums:<br />

110


der Künste. Diese hoffnungslose Situation führte dazu, dass Klee sich in das erzwungene<br />

Exil nach Bern begab. Klee emigrierte am 23. Dezember 1933 mit seiner Familie. Seine<br />

persönliche Meinung dazu lautete: „Meine Herren, es riecht in Europa bedenklich nach<br />

Leichen.“ 226 Seine Entlassung aus dem Lehramt an der Akademie in Düsseldorf wurde in<br />

der nationalsozialistischen Zeitung „Deutsche Kulturwacht“ als wichtige Etappe zur Befreiung<br />

der von „artfremden Elementen geknebelten deutschen Kunst“ bejubelt.<br />

Lebensjahre im Schweizer Exil von 1933–1940<br />

Im Jahre 1934 hatte Klee seine erste große Ausstellung in England in der Mayor Gallery,<br />

London. Die in Deutschland von Will Grohmann veröffentlichten Paul Klee Handzeichnungen<br />

1921–1930 konfiszierte die Geheime Staatspolizei. Mehr als hundert seiner Werke,<br />

die bis dahin von deutschen Museen erworben waren, wurden beschlagnahmt und aus<br />

den Museen entfernt – als „entartet“ diffamiert.<br />

In der am 19. Juli 1937 eröffneten Ausstellung „Entartete Kunst“ 227 im alten Galeriegebäude<br />

der Hofgartenarkaden der Residenz in München waren 17 Werke von Paul Klee<br />

ausgestellt. Zu diesen gehörte Der goldene Fisch, 1925. Die ausgestellten Werke erhielten<br />

von den Nationalsozialisten beleidigende Titel wie „Verwirrung“ und „Krankheit“. Im<br />

Begleitheft zur Ausstellung war Klees Aquarell Die Heilige vom Inneren Licht abgebildet<br />

und mit der Arbeit eines Schizophrenen verglichen worden. Weitere Ausführungen rückten<br />

Klees Kunst in die Nähe des seelisch-krankhaften. 228 Insgesamt wurden 102 seiner<br />

Werke in deutschen Museen beschlagnahmt. 229<br />

Paul Klee führte ein völlig zurückgezogenes, der Meditation und Arbeit gewidmetes Leben.<br />

In Bern entstand ein umfangreiches Werk in großer stilistischer und inhaltlicher Vielfalt.<br />

Seine Künstlerfreunde Pablo Picasso, George Braque, Ernst Ludwig Kirchner und<br />

Wassily Kandinsky – mit letzterem verband ihn seit der Bauhauszeit eine enge Freundschaft<br />

– besuchten ihn in seinem Schweizer Exil. Im Jahre 1937 während der Berner Kandinsky-Ausstellung<br />

kamen die Freunde noch einmal zusammen. Klees geplante Reise<br />

nach Paris kam wegen seines schlechten Gesundheitsstandes nicht mehr zustande. Klee<br />

litt an der unheilbaren Krankheit Sklerodermie. Sein bildnerisches Werk dieser Jahre war<br />

erfüllt von seelischer Erlösung sowie vom nahenden Tod geprägt. Klee „erlebte und ahnte<br />

226 Giedion-Welcker, Carola (1991): Paul Klee: 95<br />

227 Die Nationalsozialisten übertrugen den Vorwurf einer krankhaften „Entartung“ auf die moderne Kunst<br />

mit allen Stilrichtungen bis hin zur Abstraktion. In der Münchner Ausstellung waren Werke von 113 verfemten<br />

Künstlern vertreten.<br />

228 Der so genannten Säuberungsaktion fielen 17 000 Kunstwerke (Ernst Piper, 1983) zum Opfer. Zur Devisenbeschaffung<br />

sind die Werke am 30. Juni 1939 in Luzern (Schweiz) versteigert worden. Damit konnte<br />

eine Vielzahl gerettet werden.<br />

229 Beispiele Kunst in der Verfolgung, hrsg. v. Norbert Berghof. Neckar-Verlag, Villingen<br />

111


den Tod wie das Leben in tausendfältigen Gesichtern.“ 230 Er schuf Serien mit dem Thema<br />

Engel und widmete sich damit dem Übergang des Menschen zu einem himmlischen Wesen.<br />

Damit wird Klees Streben, das die Sehnsucht des Menschen nach einer zeitlos-geistigen<br />

Existenz verkörpert, offenbart.<br />

Am 29. Juni 1940 starb Paul Klee in einer Klinik in Muralto-Locarno in der Schweiz.<br />

Auf seinem Grabstein ist ein Zitat aus seinem Tagebuch eingraviert: „Diesseitig bin ich<br />

gar nicht fassbar, denn ich wohne grad so gut bei den Toten wie bei den Ungeborenen,<br />

etwas näher der Schöpfung als üblich und noch lange nicht nahe genug. Denn ich wohne<br />

gerade so gut bei den Toten wie bei den Ungeborenen. Etwas näher dem Herzen als üblich.<br />

Und noch lange nicht nahe genug.“<br />

Ausstellungen<br />

1954: Paul-Klee-Ausstellung. Gezeigt im Haus der Kunst, München.<br />

1962: Entartete Kunst – Bildersturm vor 25 Jahren. Gezeigt im Haus der Kunst,<br />

München.<br />

1970: Paul Klee 1897–1940. Gezeigt im Haus der Kunst, München.<br />

1979/80: Paul Klee. Das Frühwerk 1883–1922. Gezeigt von der Städtischen Galerie im<br />

Lenbachhaus, München.<br />

1988: Paul Klee. Die Sammlung Berggruen. Gezeigt im Metropolitan Museum, New<br />

York und im Musée National d´Art Moderne Paris und in der Kunsthalle Tübingen.<br />

8. Mai – 30. September 1997: Paul Klee in Schleißheim. Und ich flog. Gezeigt im<br />

Deutschen Museum, Flugwerft Schleißheim, Sonderausstellung.<br />

7. September 1997 – 11. Januar 1998: Deutschlandbilder. Kunst aus einem geteilten<br />

Land. Gezeigt im Martin-Gropius-Bau, Berlin.<br />

30. Juli – 7. November 1999: Paul Klee und seine Weggefährten. Gezeigt im<br />

Schlossmuseum Murnau a. Staffelsee.<br />

8. Februar - 4. März 2003: Paul Klee 1933. In Zusammenarbeit mit der Berner Paul-Klee-<br />

Stiftung, gezeigt von der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München.<br />

Literatur<br />

Benz-Zauner, Margareta (1984): Werkanalytische Untersuchungen zu den Tunesien-Aquarellen Paul Klees.<br />

Frankfurt a. M.<br />

Busch, Günter (1969): Entartete Kunst. Geschichte und Moral. Societäts-Verlag, Frankfurt a. M.<br />

230 Giedion-Welcker, Carola (1991): Paul Klee: 97<br />

112


Deutsches Museum München (Hrsg.) (1997): Paul Klee in Schleißheim. Und ich flog. Konzept u. Aufbau v.<br />

Benz-Zauner, Margareta / Cichowski, Sabine / Heinzerling, Werner / Holzer, Hans / Filchner, Gerhard.<br />

Bruckmann Verlag, München<br />

Dückers, Alexander (1997): Zu Paul Klees späten Werkfolgen. In: Gillen, Eckhart (Hrsg.) (1997): Deutschlandbilder.<br />

Kunst aus einem geteilten Land: 76<br />

Frey, Stefan / Kersten, Wolfgang / Klee, Alexander (Hrsg.) (2001): Klee-Studien. Beiträge zur internationalen<br />

Paul-Klee-Forschung und Edition historischer Quellen. Band 1. ZIP-Verlag, Zürich<br />

Geelhaar, Jürgen (1974): Paul Klee, Leben und Werk. Köln<br />

Giedion-Welcker, Carola (1991): Paul Klee mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt, Reinbek b.<br />

Hamburg<br />

Gillen, Eckhart (Hrsg.) (1997): Deutschlandbilder. Kunst aus einem geteilten Land. Katalog zur zentralen<br />

Ausstellung. Du Mont Verlag, Köln<br />

Giordano, Mario (2001): Der Mann mit der Zwitschermaschine – Augenreise mit Paul Klee. Aufbau Verlag,<br />

Berlin<br />

Glaesemer, Jürgen (1976): Paul Klee. Die farbigen Werke im Kunstmuseum Bern. Bern<br />

Glaesemer, Jürgen / Huggler, Max (Hrsg.) (1977): Der pädagogische Nachlaß von Paul Klee. Bern<br />

Glaesemer, Jürgen (1987): Paul Klee und die deutsche Romantik. In: Paul Klee. Leben und Werk. Ausstellungskatalog<br />

hrsg. v. d. Paul-Klee-Stiftung, dem Kunstmuseum Bern und dem Museum of Modern Art,<br />

New York<br />

Haftmann, Werner (1950): Paul Klees Wege des bildnerischen Denkens. Prestel Verlag, München<br />

Hausenstein, Wilhelm (1921): Kairuan oder die Geschichte vom Maler Klee und von der Kunst dieses Zeitalters.<br />

München<br />

Helfenstein, Josef / Frey, Stefan (1990): Paul Klee. Das Schaffen im Todesjahr. Katalog zur Ausstellung im<br />

Kunstmuseum Bern. Bern<br />

Hoppe-Sailer, Richard (1993): Paul Klee. Ad Parnassum. Eine Kunst-Monographie. Insel Tb, Frankfurt a. M.<br />

Kandinsky, Wassily / Marc, Franz (Hrsg.) (1979): Der blaue Reiter. Neuausgabe von Klaus Lankheit. München<br />

Kersten, Wolfgang (1986): Paul Klees Beziehung zum „Blauen Reiter“. In: Der Blaue Reiter. Kunstmuseum<br />

Bern (Katalog), Bern<br />

Kersten, Wolfgang (1990): „Übermut“. Allegorie der künstlerischen Existenz. Rowohlt, Reinbek b. Hamburg<br />

Kersten, Wolfgang (Hrsg.) (2000): Das „Skizzenbuch Bürgi“, 1924/25. ZIP-Verlag, Zürich<br />

Klee, Felix (Hrsg.) (1960): Paul Klee. Leben und Werk in Dokumenten. Ausgewählt aus den nachgelassenen<br />

Aufzeichnungen und den unveröffentlichten Briefen. Zürich<br />

Klee, Felix (Hrsg.) (1979): Paul Klee. Briefe an die Familie. 2 Bände. Köln<br />

Klee, Paul (1970): Unendliche Naturgeschichte. Prinzipielle Ordnung der bildnerischen Mittel verbunden mit<br />

Naturstudium und konstruktiven Kompositionswegen. Schriften zur Form- und Gestaltungslehre. Teil 2.<br />

Hrsg. u. bearb. v. Jürg Spiller. Basel, Stuttgart<br />

Klee, Paul (1970): Paul Klee 1879–1940. Hrsg. v. Jürg Spiller u.a., München Haus der Kunst (Katalog), München<br />

Klee, Paul (1971): Das bildnerische Denken. Teil 1. Schriften zur Form- und Gestaltungslehre. Hrsg. u. bearb.<br />

v. Jürg Spiller. Basel, Stuttgart<br />

Klee, Paul (1979): Paul Klee. Das Frühwerk 1883–1922. Hrsg. v. Armin von Zweite. Städtische Galerie im<br />

Lenbachhaus (Katalog), München<br />

Klee, Paul (1980): Gedichte und Zeichnungen. Hrsg. v. Felix Klee. Basel<br />

Klee, Paul (1988): Tagebücher 1898–1918. Hrsg. v. der Paul-Klee-Stiftung und dem Kunstmuseum Bern, bearbeitet<br />

v. Wolfgang Kersten. Stuttgart, Teufen<br />

Lanchner, Carloyn (Hrsg.) (1987): Paul Klee. Museum of Modern Art, New York. Ausstellungskatalog. New<br />

York<br />

Moe, Ole Henrik (Hrsg.) (1986): Paul Klee und die Musik. Schirn Kunsthalle, Frankfurt a. M.<br />

113


Osterwald, Tillmann (1990): Paul Klee. Späte Werke. Württembergischer Kunstverein, Stuttgart<br />

Petsch, Joachim (1994): Kunst im Dritten Reich. Architektur, Plastik, Malerei, Alltagsästhetik. Vista Point<br />

Verlag, Köln<br />

Partsch, Susanna (1990): Paul Klee 1879–1940. Köln<br />

Rewald, Sabine (1988): The Berggruen Klee Collection in the Metropolitan Museum of Art (Sammlungskatalog),<br />

New York<br />

Roethel, Hans Konrad (1971): Paul Klee in München. Bern<br />

Schlossmuseum Murnau (Hrsg.) (1999): Paul Klee und seine Weggefährten. Bearb. v. Brigitte Salmen. Rieß-<br />

Druck, Benediktbeuren<br />

Schuster, Peter-Klaus (Hrsg.) (1987): Dokumentation zum nationalsozialistischen Bildersturm am Bestand<br />

der Staatsgalerie moderner Kunst in München. Verlag Klein u. Volbert, München<br />

Schuster, Peter-Klaus (1987): Nationalsozialismus und „Entartete Kunst“. Dokumentation zum nationalsozialistischen<br />

Bildersturm am Bestand der Staatsgalerie moderner Kunst in München. Prestel Verlag, München<br />

Staatsgalerie Stuttgart (Hrsg.) (1979): Klee und Kandinsky. Erinnerung an eine Künstlerfreundschaft anlässlich<br />

Klees 100. Geburtstag (Katalog), Stuttgart<br />

Verdi, Richard (1984): Klee and Nature. London<br />

Verdi, Richard (1985): The Late Klee. German Art in the 20th Century. Richard Verdi. London<br />

Werckmeister, Otto Karl (1981): Versuche über Paul Klee. Frankfurt a. M.<br />

Werckmeister, Otto Karl (1987): Von der Revolution zum Exil. In: Paul Klee. Leben und Werk. Ausstellungskatalog<br />

hrsg. v. d. Paul-Klee-Stiftung, dem Kunstmuseum Bern und dem Museum of Modern Art, New<br />

York<br />

Werckmeister, Otto Karl (1989): The Making of Paul Klee´s Career 1914–1920. Chicago<br />

Zweite, Armin von (Hrsg.) (1979): Paul Klee. Das Frühwerk 1883–1922. Städtische Galerie im Lenbachhaus,<br />

München. Ausstellungskatalog. München<br />

114


Grabmal von Walter Klingenbeck (Waldfriedhof)<br />

Foto: Andreas Olsen<br />

Klingenbeck, Walter<br />

*30.3.1924 München †5.8.1943 München-Stadelheim<br />

„Ich weiß, wofür ich mein Leben lasse“.<br />

Aus seinem Abschiedsbrief am 5. August 1943. 231<br />

Walter Klingenbeck<br />

Foto: IfZ München, Archiv<br />

231 32 Hartrumpf-Böck, Gerhard (1997): Etwas tun – Die Wahrheit verbreiten! In: Deckname „Betti“: 71<br />

115


I. Walter-Klingenbeck-Schule<br />

Staatliche Realschule Taufkirchen, Köglweg 104, 82024 Taufkirchen<br />

KM (1995)<br />

II. Grabstätte im Westfriedhof: 39/4/21<br />

III. Walter-Klingenbeck-Weg, Maxvorstadt<br />

M (1998)<br />

Universität U3/U6<br />

IV. Walter-Klingenbeck-Saal, Dachau<br />

Jugendbegegnungszentrum Dachau (1998)<br />

Zu I. Walter-Klingenbeck-Schule<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Initiatoren der Namengebung war der Realschulkonrektor Franz Pacher (†1996) und der<br />

Realschuldirektor Bernd Schmitz. Die offizielle Verleihung durch das Bayerische Staatsministerium<br />

für Unterricht, Kultus und Wissenschaft fand am 30. März 1995 statt.<br />

DENKMAL<br />

Auf einer von innen beleuchteten Bildsäule in der Schulaula wird mit Fotos, Dokumenten<br />

und Texten an Walter Klingenbeck und seine Freunde erinnert. Am 27. Januar 1997, dem<br />

Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus, wurde im Rahmen einer Feierstunde im<br />

Beisein von Angehörigen Walter Klingenbecks die Bildsäule enthüllt.<br />

SCHULINTERNE SCHRIFTEN<br />

Der Jahresbericht 1996 gibt auf den Seiten 1 bis 16 Auskunft über den Namenspatron.<br />

Im Jahresbericht 1997 findet man auf den Seiten 45 bis 48 einen Beitrag zur Gedenkfeier<br />

und zur Einweihung der Bildsäule.<br />

116


Zu II. Walter-Klingenbeck-Weg, Maxvorstadt<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Die Mitglieder der „Aktion Maxvorstadt“ richteten an den Bezirksausschuss 3, (Maxvorstadt)<br />

am 1. März 1997 den Antrag, einen Erinnerungsort für Walter Klingenbeck zu<br />

schaffen. Diese Initiative führte am 24. Januar 1998 zur Einweihung des Walter-Klingenbeck-Weges<br />

zwischen der Kaulbach- und Ludwigstraße, nördlich der Bayerischen Staatsbibliothek.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Dieser Weg befindet sich in der Nähe der Kirchengemeinde St. Ludwig, der Klingenbeck<br />

in der katholischen Jungschar bis zu ihrer Auflösung durch die Nazis angehörte. Ebenso<br />

befindet sich der Weg in der Nähe seiner ehemaligen Wohnung in der Amalienstraße 44,<br />

Rückgebäude.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Walter Klingenbeck stammte aus einer streng katholischen Familie, die sich nicht davon<br />

abbringen ließ, die Rundfunksendungen des Radio Vatikan zu hören. Bereits seit August<br />

1933 waren von der Reichsregierung zu Propagadazwecken spezielle preisgünstige Radiogeräte<br />

(sog. „Volksempfänger“) zu einem Preis von 76 Reichsmark erhältlich, was durch<br />

staatliche Subventionen möglich wurde. Die Geräte waren so konstruiert, dass die Frequenzen<br />

von Auslandssendern nicht mehr empfangen werden konnten. Durch diese Einschränkung<br />

avancierte das Radio zum wichtigsten Instrument der nationalsozialistischen<br />

Medienpolitik. 232 Zusammen mit seinem Vater gelang es Walter Klingenbeck dennoch,<br />

Radio Vatikan zu hören, wo sie von den Maßnahmen der Nationalsozialisten gegen die katholische<br />

Kirche erfuhren. Mit der „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen<br />

vom 1.9.1939“ konnte das Abhören ausländischer Sender mit dem Tode bestraft werden.<br />

Klingenbeck ließ sich davon aber nicht beirren. Er empfing BBC London, Radio<br />

Moskau, Gustav Siegfried 1 und weihte seinen Freund Hans Haberl ein, der wiederum seinen<br />

Zimmergenossen Erwin Eidel einbezog.<br />

Es kam zu Treffen und Erfahrungsaustausch mit Hans Haberl und Erwin Eidel in der Firma<br />

für Meß- und Nachrichtentechnik Rohde & Schwarz, wo Klingenbeck als Schaltmechanikerlehrling<br />

arbeitete. Dort lernte er auch den Praktikanten Daniel von Recklinghausen<br />

kennen, der sich in der Hochfrequenz- und Rundfunktechnik gut auskannte. In einer<br />

232 Der Staatliche Rundfunk stand unter der Leitung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda.<br />

117


ersten gemeinsamen Aktion brachten sie das „Victory“-Zeichen heimlich an öffentlichen<br />

Stellen an. Sie zeichneten das „V“ mit schwarzer Ölfarbe im Stadtteil Bogenhausen auf<br />

Verkehrszeichen und Häuserwände. Angeregt von einem Aufruf des BBC London führten<br />

sie auch die nächste Aktion aus. Diesmal verstreuten sie Flugblätter mit dem Titel „Hitler<br />

kann den Krieg nie gewinnen, er kann ihn nur verlängern“. Die Gruppe kam auf die originelle<br />

Idee, die Flugblätter von einem ferngesteuerten Flugzeug aus zu verteilen. Erwin Eidel<br />

sollte dieses Flugzeug konstruieren. Der Erfindungsreichtum beflügelte die jungen<br />

Männer zum Bau eines eigenen Senders. Über diesen wollten sie die Nachrichten ausländischer<br />

Sender, mit Kommentaren und Musik versehen, über den Äther verbreiten. Zur Erschwerung<br />

der Ortung wechselten sie ständig die Sendestationen. Die Vorbereitungen zur<br />

Ausführung des Vorhabens waren noch im Gange, als Walter Klingenbeck denunziert und<br />

am 26. Januar 1942 festgenommen wurde. Einen Tag später erfolgte die Verhaftung Daniel<br />

von Recklinghausens, kurz danach die von Hans Haberl und Erwin Eidel. Bis zum<br />

Prozess ließ man die Inhaftierten im Ungewissen. Klingenbeck, von Recklinghausen und<br />

Haberl wurden zum Tode verurteilt, Eidel erhielt eine achtjährige Zuchthausstrafe. Für die<br />

drei Todeskandidaten begann nun eine fast einjährige seelische Tortur im Gefängnis München-Stadelheim.<br />

Am 2. August 1943 erfuhren von Recklinghausen und Haberl, dass ihre<br />

Gnadengesuche angenommen wurden und ihre Todesstrafe in acht Jahre Zuchthaus umgewandelt<br />

worden sei. Klingenbeck sagte man, dass seine Hinrichtung am 5. August 1943<br />

um 11 Uhr erfolgen wird. An seinen Freund Haberl schrieb er seine letzten Worte: „Lieber<br />

Jonny! Vorhin habe ich von Deiner Begnadigung erfahren. Gratuliere! Mein Gesuch ist<br />

allerdings abgelehnt. Ergo geht´s dahin. Nimm´s net tragisch. Du bist ja durch. Das ist<br />

schon viel wert. Ich habe soeben die Sakramente empfangen und bin jetzt ganz gefaßt.<br />

Wenn Du etwas für mich tun willst, bete ein paar Vaterunser. Lebe wohl, Walter.“ 233<br />

Aus seinen Abschiedsbriefen geht klar hervor, dass Klingenbeck von der Richtigkeit seines<br />

Handelns überzeugt war und wusste, in welche Gefahr er sich begeben hatte.<br />

Ausstellungen<br />

1997 – 1998: Deckname „Betti“. Jugendlicher Widerstand und Opposition gegen die<br />

Nationalsozialisten in München oder: Plädoyer für „Junge Demokratie“. Ein Projekt<br />

des Kreisjugendrings München-Stadt und DGB-Jugend München. In Zusammenarbeit mit<br />

dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Eine Wanderausstellung, gezeigt in Instituten<br />

und Schulen in Bayern.<br />

9. Oktober – 8. November 1998: Widerstand, Verweigerung und Protest gegen das<br />

233 Hartrumpf-Böck, Gerhard (1997): Etwas tun – Die Wahrheit verbreiten! In Deckname „Betti“:71<br />

118


NS-Regime in München. Konzipiert vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München.<br />

Gezeigt im Neuen Rathaus von München.<br />

Film<br />

Bundesfilmpreis 1982 „Von Richtern und anderen Sympathisanten“. Eine Dokumentation<br />

von A. Engstfeld. VHS, 62 Minuten.<br />

Literatur<br />

Baumeister, Martin (1993): Der Münchner Katholizismus. Die „Hauptstadt der Bewegung“ – eine katholische<br />

Metropole. In: München – „Hauptstadt der Bewegung“: 418–423<br />

Benz, Wolfgang / Distel, Barbara (Hrsg) (1991): Dachauer Hefte. Heft 7 (1991): Solidarität und Widerstand.<br />

Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Im Auftrag des<br />

Comité de Dachau, Brüssel. Verlag Dachauer Hefte, Dachau<br />

Detjen, Marion (1998): „Zum Staatsfeind ernannt“. Widerstand, Resistenz und Verweigerung gegen das nationalsozialistische<br />

Regime in München. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München. Buchendorfer Verlag,<br />

München<br />

Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin (Hrsg.) (1990): Sektion 18: Jugendopposition. Widerstand junger<br />

Christen. Berlin<br />

Harttrumpf, Gerhard (1997): Etwas tun – Die Wahrheit verbreiten! In: Deckname „Betti“: 70–73<br />

Jahnke, Karl-Heinz (1985): Jugend im Widerstand 1933–1945. Frankfurt a. M.<br />

Klönne, Arno (1993): Jugend im Dritten Reich. In: Bracher / Funke / Jacobson: Deutschland 1933–1945: 218–<br />

239<br />

Klönne, Arno (1981): Jugendprotest und Jugendopposition im NS-Staat. München. In: Broszat, M. et al.<br />

(Hrsg.) (1981): Bayern in der NS-Zeit. Band 4. München: 527ff<br />

Malvezzi, Piero / Pirelli, Giovanni (Hrsg.) (1955): Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen<br />

Widerstand. Steinberg-Verlag, Zürich<br />

Roth, Harald (Hrsg.) (1997): Widerstand. Jugend gegen Nazis. Otto Maier Verlag, Ravensburg<br />

Schwaiger, Georg / Pfister, Peter (1999): Blutzeugen der Erzdiözese München und Freising. Schnell & Steiner,<br />

Regensburg<br />

Ühlein, Erhard (1953–54) Briefe an Walter Hammer. In: Sammlung Hammer ED 106, Band 52. Institut für<br />

Zeitgeschichte München, Archiv<br />

Vier Jungen für Deutschland. In: Heute. Eine neue Illustrierte Zeitschrift Nr. 21 v. 1.10.1946<br />

Zarusky, Jürgen (1991): „... nur eine Wachstumskrankheit?“ Jugendwiderstand in Hamburg und München. In:<br />

Dachauer Hefte 7 (1991): Solidarität und Widerstand: 210–229<br />

119


Knoeringen, Waldemar von<br />

*6.10.1906 Rechetsberg b. Weilheim in Oberbayern<br />

†7.7.1971 Höhenried bei Bernried am Starnberger See<br />

„Ich hab mir die Nazis genau betrachtet und die Überzeugung gewonnen, daß diese<br />

Partei alles andere vertritt, nur nicht den Freiheits- und Lebenswillen der Entrechteten,<br />

wenn man sich auch noch so sozialistisch aufspielt ...<br />

Ich wollte nicht hetzen, aber meine Empörung gegen Diktatur und Faschismus, die<br />

schrie ich hinaus, so laut ich nur konnte.“<br />

Auszug aus einem Brief von Waldemar<br />

von Knoeringens an seinen Großvater vom 5. September 1932. 234<br />

Waldemar von Knoeringen<br />

Foto: Stadtarchiv München<br />

Grabmal von Waldemar von Knoeringen<br />

auf dem Waldfriedhof<br />

Foto H. Engelbrecht<br />

234 Knoeringen, Waldemar von (1981): Reden und Aufsätze: 13 u. 15<br />

120


I. Grabmal, Waldfriedhof Sektion 90<br />

1971<br />

II. Von-Knoeringen-Straße, Neuperlach<br />

M (1973)<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Der Landesvorsitzende der Bayerischen SPD, Dr. Helmut Rothemund zählte Waldemar<br />

von Knoeringen „zu den bedeutendsten Männern der bayerischen Sozialdemokratie und<br />

zu den profiliertesten Persönlichkeiten der bayerischen Politik der Nachkriegsjahre.“ 235<br />

Karl Ludwig Waldemar von Knoeringen war das erste und einzige Kind des Ehepaars Clemens<br />

von Knoeringen und Magdalena (geb. Schuster), das am 6. Oktober 1906 auf Gut<br />

Rechetsberg in Huglfing bei Weilheim auf die Welt kam. Ein Jahr später zog die Familie<br />

nach Aising bei Rosenheim. Zwei Jahre lang besuchte er das Rosenheimer Ignaz-Günther-<br />

Gymnasium. Nach dem Besuch der Handelsschule absolvierte er eine Lehre im Büro, um<br />

dann als Kanzlei-Assistent bei der Ortskrankenkasse in Rosenheim zu arbeiten. 236 Sein Interesse<br />

galt schon früh den Naturwissenschaften. Nächtelang beobachtete er mit dem Spiegelteleskop<br />

seines Vaters die Gestirne. Den geistigen Zugang bot indes die väterliche Bibliothek.<br />

Beeindruckt haben von Knoeringen die Schriften des Naturforschers Ernst Haeckel<br />

Welträtsel und die Autobiographie von Bruno H. Bürgel Vom Arbeiter zum Astronomen.<br />

237 Doch allmählich fand er zu seinem eigentlichen Streben. Waldemar von Knoeringen<br />

widmete sich den „den großen Fragen der Menschheit“. So kam es, dass „nicht mehr<br />

die Sterne“ sondern „der Mensch in den Mittelpunkt meiner Welt trat.“ 238 Der 17-Jährige<br />

von Knoeringen schloss sich dem Touristenverein „Die Naturfreunde“ an. Nach dem Tod<br />

des nur 45-jährigen Vaters geriet die Familie in wirtschaftliche Not. Waldemar von Knoeringen<br />

trat im Oktober 1926 239 in die Sozialdemokratische Partei in Rosenheim ein. Um<br />

beruflich voran zu kommen, konnte von Knoeringen mit der finanziellen Unterstützung<br />

seines Großvaters Karl Schuster in Bamberg eine höhere Schulbildung in München absolvieren.<br />

Neben der Ausbildung zum Bibliothekar bereitete er sich auf das Abitur vor. Ende<br />

der Zwanziger Jahre empfand von Knoeringen bereits, dass der Wahlsieg der Nationalis-<br />

235 Rothemund, Helmut (1981): Vorwort. In: Waldemar von Knoeringen (1981): Reden und Aufsätze: 7<br />

236 Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar von Knoeringen: 26<br />

237 Dieser populäre Roman erschien 1919. In: Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar von Knoeringen: 26<br />

238 Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar von Knoeringen: 27<br />

239 Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar von Knoeringen: 29<br />

121


ten eine Bedrohung der Weimarer Republik darstellte. In seinen Reden machte er auf die<br />

Notwendigkeit einer umfassenden Bildung der Arbeiter aufmerksam, um eine weitere<br />

Ausbreitung des Nationalsozialismus zu verhindern. In einem Brief an seinen Großvater<br />

bringt er dies zur Sprache: „... Mir war es klar, eine Diktatur dieses Hitlers wäre eine namenlose<br />

Schande für ein Land Fichtes, Schillers, Goethes, Kants, wäre eine Vernichtung<br />

der Freiheit der deutschen Wissenschaft und des Geistes, wäre ein Triumph der Barbarei<br />

und des Scheingeistes. Und so stieg in mir die Verpflichtung auf, meine Kraft einzusetzen,<br />

um die Abwehrfront gegen diese Barbarei der Neuzeit zu stärken ...“ 240 Er ordnete die Nationalsozialisten<br />

richtig ein und wusste, dass er nicht in Deutschland bleiben konnte, falls<br />

diese an die Macht kämen. Dies lies er seinen Großvater am 5. September 1932 in einem<br />

Brief wissen: „... denn in einer Nacht der langen Messer werden die Naziwürger an meiner<br />

Tür nicht vorübergehen.“ 241<br />

NS-Zeit<br />

Am 23. März 1933 lehnte die Sozialdemokratische Partei in Anbetracht der bereits verfolgten<br />

Parteimitglieder vor dem Reichstag das Ermächtigungsgesetz ab. Der Parteivorsitzende<br />

Otto Wels hatte in seinem Bekenntnis zur Demokratie betont, dass „kein Ermächtigungsgesetz“<br />

den Nationalsozialisten die Macht gebe „Ideen, die ewig und unzerstörbar<br />

sind, zu vernichten.“ 242 Nach dem endgültigen Verbot aller Parteien emigrierte der SPD-<br />

Parteivorstand nach Prag. Von dort wurden in allen Deutschlands angrenzenden Nachbarländern<br />

(Tschechoslowakei, Schweiz, Frankreich, Belgien, Holland) SPD-Grenzsekretariate<br />

eingerichtet. Für das Grenzsekretariat Südbayern war Waldemar von Knoeringen zuständig.<br />

In Bayern existierten dreizehn illegale, „unabhängig von einander arbeitende<br />

Gruppen“. 243 Nach Kriegsbeginn war der Kontakt zwischen den illegalen Inlandsverbänden<br />

und den Grenzsekretariaten unterbrochen. So blieb für die Verständigung einzig der<br />

konspirative Briefverkehr. Dazu kam ein in England stationierter „Sender der europäischen<br />

Revolution“ (SER), deren Leiter von Knoeringen war. In Deutschland konnte die<br />

verbotene SPD bis zur ihrer Zerschlagung 1942 durch die Gestapo wirken. 244<br />

Flucht und Versteck<br />

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten musste von Knoeringen fliehen, um sein<br />

Leben zu retten. Zuerst hielt er sich bei seinem Parteigenossen Hans Lenk in Wörgl in Tirol<br />

(Österreich) auf. Mitte Mai 1933 machte er illegal in München Station, um die Reichs-<br />

240 Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar von Knoeringen: 35<br />

241 Knoeringen, Waldemar von (1981): Reden und Aufsätze: 15<br />

242 Knoeringen, Waldemar von (1981): Reden und Aufsätze: 130<br />

243 Knoeringen, Waldemar von (1981): Reden und Aufsätze: 135<br />

244 Knoeringen, Waldemar von (1982): Reden und Aufsätze: 136<br />

122


tagsabgeordnete Toni Pfülf (siehe Band 2: Pfülf) zur Flucht in die Schweiz zu bewegen. 245<br />

Juliane Astner, die Verlobte Waldemar von Knoeringens, kam im Juni 1933 vorübergehend<br />

in „Schutzhaft“. Ende September gelang ihr die Flucht über die grüne Grenze nach<br />

Österreich 246 , wo sie in Wörgl mit ihrem Verlobten zusammentraf. Seitdem begleitete sie<br />

ihn während der Zeit im Exil. Von Knoeringens nächster Aufenthalt war Wien, wo er ein<br />

dreiviertel Jahr verbrachte. Seit Herbst 1933 hielt er Kontakt mit der in Bayern aktiven<br />

Gruppe „Neu Beginnen“, zu der auch Hermann Frieb gehörte (siehe Band 1: Frieb). Während<br />

der Februarkämpfe in Österreich (1934) konnte sich von Knoeringen verstecken, bis<br />

ihm die Flucht in die Tschechoslowakei gelang. Hier setzte ihn der Parteivorstand der „Sopade“<br />

247 als Grenzsekretär ein. In einen Brief an Wilhelm Hoegner (siehe Band 1: Hoegner)<br />

berichtete er Folgendes: „Ich ging in den Böhmerwald in einen Ort, der mir die Möglichkeit<br />

gab, die Verbindungen mit drüben wieder aufzunehmen, Nýrsko (Neuern) ist 6 Kilometer<br />

von der deutschen Grenze entfernt. Ich habe von hier aus wieder zu arbeiten begonnen<br />

und habe rege Verbindungen.“ 248 Hier lebt er unter dem Pseudonym Walter Kerber,<br />

sein Deckname gegenüber der Partei lautete „Michel“. Seine konspirative Arbeit, sowohl<br />

für den Parteivorstand der „Sopade“ in Prag und als auch für seine Verbindung zu<br />

„Neu Beginnen“ in Oberbayern und Schwaben, machte komplizierte Methoden der Geheimhaltung<br />

notwendig. Am 16. Januar 1935 heirateten Juliane Astner 249 und Waldemar<br />

von Knoeringen.<br />

Aufgaben der Grenzsekretäre<br />

Zu den Aufgaben der Grenzsekretäre gehörte das Verteilen des „Neuen Vorwärts“, der seit<br />

Herbst 1933 erscheinenden Zeitung, die von der „Sopade“ in Prag herausgegeben wurde.<br />

Auf Seidenpapier und in Kleinstdruck hergestellt, eignete sie sich für den Schmuggel.<br />

Dazu kamen Flugblätter, Klebezettel und Tarnbroschüren, die „... in unauffällig aussehenden<br />

Probepackungen bekannter Nahrungsmittelfirmen, in Shampoo, Rasierseife oder<br />

Tee verborgen, als Groschenromane ...“ 250 verborgen waren und von Knoeringens Gehilfen<br />

Josef Denk und Johann Lenk über die Grenze nach Deutschland gebracht wurden. Im<br />

Austausch brachten die Grenzgänger Berichte aus Deutschland mit. Die so genannten mo-<br />

245 Interview von Hartmut Mehringer mit Emil Holzapfel v. 23.2.1965. In: Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar<br />

von Knoeringen: 56<br />

246 Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar von Knoeringen: 64<br />

247 So nannte sich die emigrierte Sozialdemokratische Partei Deutschlands.<br />

248 Brief von Waldemar von Knoeringen an Wilhelm Hoegner v. 17.4.1934. In: IfZ Archiv ED 120/6. Zitiert<br />

in Mehringer, Hartmut (1989): 80<br />

249 Juliane von Knoeringen (20.5.1906 – 5.2.1973). In: Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar von Knoeringen:<br />

80 u. 384<br />

250 Edinger, Lewis J. (1960): Sozialdemokratie und Nationalsozialismus: 45. In: Mehringer, Hartmut (1989):<br />

Waldemar von Knoeringen: 86<br />

123


natlich zusammengefassten Deutschland-Berichte informierten über die Verhältnisse unter<br />

dem NS-Regime und seiner Mediendiktatur. Um die internationale Öffentlichkeit zu<br />

informieren, gab es seit 1937 englische und französische Ausgaben der Deutschland-Berichte.<br />

Diese in Prag hergestellten Schriften fanden ihre Verteiler bei den Mitgliedern der<br />

Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) in Südbayern, deren Bezirksleiter Eugen Nerdinger<br />

und der SAJ-Funktionär Josef (Bebo) Wager die Verbreitung der illegalen Literatur übernahmen.<br />

251 1934 kam es zu einem Treffen von Nerdinger und Wager bei Waldemar von<br />

Knoeringen in der Tschechoslowakei.<br />

Als die tschechischen Behörden die deutschen Emigranten aus den Grenzgebieten verdrängten,<br />

wechselte von Knoeringen ins böhmisch-mährische Hochland nach Budweis,<br />

wo er etwa ein Jahr verbrachte, um danach nach Prag zu siedeln. 252 In Folge des Münchner<br />

Abkommens vom 30. September 1938 entschloss sich die SPD-Parteiführung, den Standort<br />

und Stützpunkt Prag aufzugeben und in Paris eine Niederlassung zu gründen. Von<br />

Knoeringen war für den neuen Stützpunkt der Exil-Organisation von „Neu-Beginnen“ in<br />

Paris zuständig. Nach einem knappen Jahr entstanden wegen Kenntnis von den Kriegsvorbereitungen<br />

Pläne, das Büro von „Neu Beginnen“ nach London zu verlegen. Infolge dessen<br />

reiste von Knoeringen im August 1939 nach England.<br />

Der Sender der Europäischen Revolution (SER)<br />

Der SER in Großbritannien war ein Medium, das von deutschen Sozialisten genutzt wurde,<br />

um ihre politischen Ansichten in Nazi-Deutschland zu verbreiten. Über zwei Jahre<br />

(1940–1942) lang war es möglich, mittels dieses Senders über den Kriegsverlauf aus ihrer<br />

Sicht zu informieren. Waldemar von Knoeringen nahm dabei eine leitende Funktion ein.<br />

Die Hörer sollten davon überzeugt werden, dass Hitler den Krieg nicht gewinnen könne;<br />

hieß es in einer Sendung am 14. April 1941: „Darum bringt Hitler nicht das Ende des<br />

Kriegs, sondern der Krieg bringt das Ende Hitlers!“ 253 Als alle Radiobeiträge zensiert<br />

werden sollten, entschloss sich von Knoeringen, die Sendungen einzustellen. 254 In<br />

Deutschland kam es unterdessen durch Ermittlungen der Gestapo zur Zerschlagung der<br />

aktiven illegalen Gruppe von „Neu Beginnen“. Hermann Frieb (siehe Band 1: Frieb) und<br />

Bebo Wager verurteilte der Volksgerichtshof im Mai 1943 zum Tode.<br />

Einsatz für britische Behörden in Nordafrika<br />

251 Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar von Knoeringen: 102–103<br />

252 Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar von Knoeringen: 139<br />

253 Archiv der sozialen Demokratie, Nachlass Waldemar von Knoeringen 249A. Zitiert in: Mehringer, Hartmut<br />

(1989): Waldemar von Knoeringen: 221<br />

254 Aussage Waldemars von Knoeringen im Hedler Prozess. Zitiert in: Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar<br />

von Knoeringen: 226<br />

124


Britische und amerikanische Truppen hatten in Nordafrika die Oberhand gewonnen, nachdem<br />

deutsche und italienische Streitkräfte kapitulierten. Für die psychologisch-politische<br />

Betreuung zahlreicher deutscher Kriegsgefangener fehlte der britischen Regierung Personal.<br />

Waldemar von Knoeringen und einige seiner politischen Freunde fanden sich bereit<br />

zu helfen. Die Reise über Gibraltar nach Algier fand im Februar 1943 statt. 255 Hier bekamen<br />

sie die Aufgabe, in den Lagern deutsche Gefangene mit antifaschistischer Einstellung<br />

zu finden. Dabei machte von Knoeringen enttäuschende Erfahrungen, da die Kriegsgefangenen<br />

ablehnend und feindselig eingestellt waren. 256 Im Sommer 1944 trat von Knoeringen<br />

die Rückreise nach London an. Auch hier war er mit den von der britischen Regierung<br />

eingeführten „Reeducation-Aufgaben“ betraut. Henry Faulk 257 und Hartmut Mehringer 258<br />

informierten über die Hintergründe des Scheiterns dieser Idee.<br />

„Training Centre Wilton Park“<br />

Am 17. Januar 1946 konnten die im Auftrag des Political Intelligence Department (PID)<br />

eingerichteten Kurse im Trainings Centre Wilton Park beginnen. Hier sollte die begonnene<br />

Umerziehung der Kriegsgefangenen von besonders ausgebildeten Referenten ergänzt<br />

und verbessert werden. Waldemar von Knoeringen war am Aufbau dieses Schulungslagers<br />

beteiligt und leitete politisch-aufklärerische Kurse. Er hatte dafür ein Manuskript mit<br />

zwölf Vorlesungen unter dem Titel Deutsche Geschichte im neuen Licht verfasst. 259 Von<br />

Knoeringen wirkte vom Januar bis April 1946 im „Training Centre Wilton Park“.<br />

Rückkehr nach Deutschland<br />

Waldemar von Knoeringen wollte in seine Heimat zurückkehren, weil er die Überzeugung<br />

hatte: „Heimkommen und das Schicksal mit ihnen teilen und alles geben, was noch übrig<br />

geblieben ist nach den langen Jahren in der Fremde.“ 260 Als Unbelasteter war er Kandidat<br />

für verschiedene Aufgaben und politische Ämter. In München erfuhr er vom gewaltsamen<br />

Tod seiner politischen Freunde Hermann Frieb und Bebo Wager. Während seiner<br />

politischen Tätigkeit fühlte er sich weiterhin verpflichtet, die Erinnerung an sie wachzuhalten.<br />

Auf Veranlassung des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner<br />

(siehe Band 1: Hoegner), kehrte Waldemar von Knoeringen im April 1946 in seine<br />

255 Interview von Hartmut Mehringer mit Fritz Heine am 16.4.1983. In: Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar<br />

von Knoeringen: 240<br />

256 Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar von Knoeringen: 242<br />

257 In: Die deutschen Kriegsgefangenen in Großbritannien. Reeducation. Band IX/2<br />

258 Waldemar von Knoeringen: 245–248<br />

259 0Dieses Manuskript ist Eigentum von Heinrich Kröller. Auch in: Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar<br />

von Knoeringen: 255–257<br />

260 Waldemar von Knoeringen in einem Brief an Willi Müller (Karl Frank) v. 3.3.1946. In: Mehringer, Hartmut<br />

(1989): Waldemar von Knoeringen: 270<br />

125


Heimat nach Aising zurück. Kurze Zeit später wurde er von den SPD-Delegierten der<br />

Stadt und des Landkreises Rosenheim einstimmig als Kandidat nominiert; so erhielt er einen<br />

Sitz in der verfassungsgebenden Landesversammlung.<br />

Ein Amt für politische Erziehung<br />

Waldemar von Knoeringen überreichte dem damaligen Ministerpräsidenten Wilhelm<br />

Hoegner am 3. Juli 1946 eine Denkschrift zu einem Amt für politische Erziehung. Nach<br />

von Knoeringens Vorstellungen sollten darin drei Abteilungen enthalten sein: „eine Forschungsabteilung,<br />

deren Aufgabe vor allem in der Erfassung von politisch-pädagogisch<br />

geeigneten Persönlichkeiten und Gruppen, in der Auswertung von Presse und Rundfunk<br />

und in der Beschaffung von Informationen über ähnliche Ansätze außerhalb Deutschlands<br />

bestehe; eine zweite Abteilung, die sich um die Planung und Durchführung sowie um die<br />

Propagierung von Bildungsveranstaltungen zu kümmern und den Kontakt zur Militärregierung<br />

zu halten habe; eine dritte Abteilung für wissenschaftliche Beratung und Auswertung<br />

einschlägiger Literatur und zur Kontaktpflege mit der Wissenschaft sowie zur Vorbereitung<br />

eines ,Training Centre´ für politische Bildung.“ 261 Weil das angestrebte Unternehmen<br />

zunächst auf staatlicher Ebene gescheitert war, wurde statt dessen eine Politische<br />

Bildungszentrale der SPD eingerichtet. Die Verwirklichung von Knoeringens Konzept<br />

nahm weitere Jahre in Anspruch, bis im November 1955 die Regierung unter Ministerpräsident<br />

Wilhelm Hoegner die „Bayerische Zentrale für Heimatdienst“ gründete. Diese<br />

wurde 1964 in die heutige „Landeszentrale für Politische Bildung“ umbenannt. 262<br />

Gründung der Georg-von-Vollmar-Schule in Kochel am See 263<br />

Als Leiter der politischen Bildungszentrale der SPD (seit September 1946) erkannte Waldemar<br />

von Knoeringen, dass es in dieser Zeit um eine entscheidende historische Weichenstellung<br />

gehe. Dabei gehe es jetzt um „die Erhaltung der menschlichen Freiheit und die<br />

soziale Gerechtigkeit in einer zwangsläufig gelenkten Wirtschaft“, um die „Synthese zwischen<br />

einer notwendig gewordenen Planung, ohne die wir in Anarchie versinken müßten,<br />

und der Erhaltung der Freiheit, ohne die ein wahres Menschentum unmöglich ist.“ 264 Ei-<br />

261 Eine in Details abweichende deutsche Version vom 1.7.1946 findet sich bei den Unterlagen zur späteren<br />

Gründung der Bayerischen Landeszentrale für Politische Bildung, sowie im Nachlass Wilhelm Hoegner,<br />

IfZ ED 120/203. Auch in: Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar von Knoeringen: 291–292<br />

262 Unterlagen in der Registratur der Bayerischen Landeszentrale für Politische Bildung. In: Mehringer,<br />

Hartmut (1989): Waldemar von Knoeringen: 294<br />

263 Der Namenspatron Georg von Vollmar (1850–1922) war eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der<br />

SPD in Bayern vor dem Ersten Weltkrieg und ein Vertreter der „königlich-bayerischen Sozialdemokraten“.<br />

Als einer der ersten Sozialdemokraten im Bayerischen Landtag (1893)vertrat er einen demokratischen<br />

Sozialismus und war maßgeblich am Aufbau der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands<br />

beteiligt. Seit 1915 lebte er in seinem Landhaus Soyensaß am Walchensee. Seine Grabstätte befindet sich<br />

auf dem Münchner Waldfriedhof, Sekt. 90.<br />

126


nes seiner Hauptanliegen war eine umfassende politische Bildung des Volkes. Als er von<br />

der Bayerischen Staatskanzlei eine Ministerialstelle angeboten bekam, lehnte er diese ab,<br />

da er befürchtete, seine Erziehungs- und Bildungsarbeit nicht weiter fortführen zu können.<br />

265<br />

Auf der Suche nach einem Gebäude für ein Schulungszentrum war von Knoeringen auf<br />

das Schloss Aspenstein am Kochelsee (Oberbayern, Landkreis Bad-Tölz) aufmerksam geworden.<br />

Dieses Schloss war ursprünglich Eigentum der Adelsfamilie von Dessauer. Während<br />

der NS-Zeit gelangte es in den Besitz des Reichsjugendführers Baldur von Schirach.<br />

Nach 1945 diente es der amerikanischen Luftwaffe und wurde dann Eigentum der Sozialdemokratischen<br />

Partei. Nach dem Umbau des Schlosses in ein Bildungszentrum konnte<br />

am 25. Juli 1948 mit dem Schulungsbetrieb begonnen werden. Es trägt seit 1949 den Namen<br />

„Georg-von-Vollmar-Schule“. Als freie Hochschule für politische und soziale Demokratie<br />

erfolgte später die Umbenennung in „Georg-von-Vollmar-Akademie“. 266 Von<br />

Knoeringen war als Schulleiter für das Programm, die Auswahl die Referenten und den<br />

Kursbetrieb verantwortlich.<br />

Im Jahre 1946/47 übernahm Waldemar von Knoeringen die stellvertretende Leitung der<br />

Landtagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei in Bayern; seit 1950 war er Vorsitzender<br />

der SPD-Landtagsfraktion und seit 1952 Mitglied des bayerischen Landtags. Als Leiter<br />

der Bildungskommission im Bayerischen Landtag strebte von Knoeringen in seinem<br />

Bildungsplan ein Bündnis zwischen Wissenschaft und Politik an. So konnte nach einem<br />

Bayerischen Landesgesetz von 1957 die „Akademie für politische Bildung“ in Tutzing gegründet<br />

werden. 1958 erhielt von Knoeringen den Posten des stellvertretenden Vorsitzenden<br />

der SPD-Bundespartei. Um sich auf die Grundlagen- und Bildungsarbeit und auf die<br />

Gesellschafts- und Kulturpolitik zu konzentrieren, verzichtete von Knoeringen 1963 auf<br />

die Kandidatur des Landesvorsitzenden der SPD. In seiner Rede stellte er dies dar: „Seit<br />

37 Jahren gehöre ich dieser Partei an. Begeistert von ihren Ideen bin ich als Zwanzigjähriger<br />

zu ihr gestoßen ... 36 Jahre habe ich ihr in verantwortlichen Funktionen dienen dürfen.<br />

Ich kenne die Stürme der vorfaschistischen Zeit und ich hatte die Ehre – die höchste,<br />

die mir zuteil wurde – in den zwölf Jahren der Illegalität der Grenzsekretär unserer Partei<br />

in Bayern zu sein ... Ich kenne die Partei. Sie war, sie ist mein Leben und gerade darum<br />

will ich einen Schritt zurücktreten aus der vordersten Reihe. Was ich in der Vergangenheit<br />

mit Leidenschaft verfolgt habe, aber nur nebenher tun konnte, möchte ich nun mit ganzer<br />

Kraft betreiben. Es ist der Arbeitsbereich Kultur- und Gesellschaftspolitik ... Wenn ich die<br />

264 Knoeringen, Waldemar von: Der Weg in die Sozialdemokratie. Auch in: Mehringer, Hartmut (1989):<br />

Waldemar von Knoeringen: 335<br />

265 Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar von Knoeringen: 310–311<br />

266 Arbeitsbericht 1948. In: Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar von Knoeringen: 337<br />

127


Unterstützung der Partei dabei finde ... werden sich auch die Früchte dieser Arbeit zeigen.“<br />

267<br />

Waldemar von Knoeringen setzte beharrlich darauf, seine Erkenntnis zu verbreiten, dass<br />

sozialdemokratische Politik nicht allein den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt,<br />

sondern den Menschen in den Mittelpunkt aller Politik stellen sollte. Schon damals<br />

(1968) befasste er sich mit höchst aktuellen Fragestellungen wie der „Bedrohung des biologischen,<br />

klimatischen und landschaftlichen Gleichgewichts“, den „soziokulturellen Problemen<br />

der Arbeitszeitverkürzung“ und der Frage der „sozialen und wirtschaftlichen Integration“<br />

von Gastarbeitern.“ 268<br />

Waldemar von Knoeringen trat mit seiner Person für den humanen Sozialismus ein und<br />

stellte seine Persönlichkeit in den Dienst der Sozialdemokratischen Partei. Bereits in jungen<br />

Jahren wusste er: „Ich aber finde keinen Sinn in einem Leben, das nur auf persönliches<br />

Wohl und Glück eingerichtet ist. Ich bedauere die Menschen, die in ärmlicher Sorge<br />

nur darauf bedacht sind, daß sie in der Gesellschaft nicht ,anecken´. Diese bürgerliche<br />

Halbbildung, dieses schöne und doch scheinheilige Getue hat schon viel Unheil angerichtet<br />

und verbirgt seine Hohlheit auch nicht hinter schönen Kleidern und modernen Moden.“<br />

269<br />

Im Alter von 64 Jahren starb Waldemar von Knoeringen am 2. Juli 1971 an Herzversagen.<br />

Seine Aufsätze, Texte und Beiträge sind nicht nur geschichtliche Dokumente, sondern<br />

„Waldemar von Knoeringen hat uns auch heute noch viel zu sagen.“ 270<br />

Ehrungen<br />

Waldemar-von-Knoeringen-Preis: Verliehen am 4. Juni 1983 in Kochel an Karl Anders.<br />

1984 verliehen an Professor Richard Löwenthal.<br />

Ausstellung<br />

9. Oktober – 26. November 1998: Widerstand, Verweigerung und Protest gegen das<br />

NS-Regime in München. Projekt des Kulturreferats und der Landeshauptstadt München;<br />

konzipiert von Marion Detjen und Peter Dorsch. Gezeigt im Neuen Münchner Rathaus.<br />

267 Werner, Emil (1982): Im Dienste der Demokratie: 185f. Auch in: Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar<br />

von Knoeringen: 383–384<br />

268 Knoeringen, Waldemar von (1968): Geplante Zukunft. München. Auch in: Mehringer, Hartmut (1989):<br />

Waldemar von Knoeringen: 384<br />

269 Knoeringen, Waldemar von (1981): Reden und Aufsätze: 16<br />

270 Rothemund, Helmut (1981): Vorwort. In: Waldemar von Knoeringen (1981): Reden und Aufsätze: 10<br />

128


Tagung<br />

6.–7. Juli 2001: Mobilisierung der Demokratie. Tagung anlässlich des 30. Todestages<br />

von Waldemar von Knoeringen. Ein Zukunftsthema in Erinnerung an Waldemar von<br />

Knoeringen in der Akademie für politische Bildung Tutzing.<br />

Sendung im Bayerischen Rundfunk<br />

1. Mai 1977: Waldemar von Knoeringen. Zusammengestellt von Heike Bretschneider.<br />

Literatur<br />

Asgodom, Sabine (Hrsg.) (1983): „Halt´s Maul – sonst kommst nach Dachau!“ Männer und Frauen der Arbeiterbewegung<br />

berichten über Widerstand und Verfolgung unter dem Nationalsozialismus. Köln<br />

Boberach, Heiz (1965): Die Quellenlage zur Erforschung des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus.<br />

In: Stand und Problematik der Erforschung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus.<br />

Bonn, Bad-Godesberg: 84–112<br />

Bretschneider, Heike (1968): Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in München 1933–1945. München<br />

Broszat, Martin et al. (Hrsg.) (1983): Bayern in der NS-Zeit. Band 1–4. München, Wien<br />

Edinger, Lewis J. (1960): Sozialdemokratie und Nationalsozialismus. Der Parteivorstand der SPD im Exil<br />

1933–1945. Hannover, Frankfurt a. M.<br />

Detjen, Marion (1998): „Zum Staatsfeind ernannt“. Widerstand, Resistenz und Verweigerung gegen das NS-<br />

Regime in München. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München. Buchendorfer Verlag, München<br />

Faulk, Henry (1970): Die deutschen Kriegsgefangenen in Großbritannien (= Zur Geschichte der deutschen<br />

Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs, Band IX/2) München<br />

Felder, Josef (1982): Mein Weg. Buchdrucker – Journalist – SPD-Politiker. In: Abgeordneter des Deutschen<br />

Bundestags. Aufzeichnungen und Erinnerungen. Band 1. Boppard a. Rhein<br />

Grebing, Helga (1970): Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Ein Überblick. München<br />

Grebing, Helga (Hrsg.) (1984): Entscheidung für die SPD. Briefe und Aufzeichnungen linker Sozialisten<br />

1944–1949. München<br />

Grebing, Helga (1985): Was wird aus Deutschland nach dem Krieg? Perspektiven linkssozialistischer Emigranten<br />

für den Neubau Deutschlands nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur. In:<br />

Exilforschung 3/1985: 31–42<br />

Kraus, Elisabeth (1993): Das sozialistische Arbeitermilieu. Zur Soziologie des sozialistischen Arbeitermilieus<br />

in München. In: München – „Hauptstadt der Bewegung“. Ein Projekt des Münchner Stadtmuseums.<br />

Klinkhardt & Biermann, München: 425–432<br />

Knoeringen, Waldemar von (Hrsg.) (1966): Mobilisierung der Demokratie. Ein Beitrag zur Demokratiereform.<br />

Olzog Verlag<br />

Knoeringen, Waldemar von / Lohmar, Ulrich (Hrsg.) (1968): Was bleibt vom Sozialismus. Schriftenreihe<br />

„Mobilisierung der Demokratie“. Verlag für Literatur u. Zeitgeschehen, Hannover<br />

Knoeringen, Waldemar von (1981): Reden und Aufsätze. Zusammengestellt von Emil Werner. Hrsg. v. SPD-<br />

Landesverband Bayern. Druckhaus Bayreuth, Bayreuth<br />

Knoeringen, Waldemar von (1981): Anthropologische Orientierung der Politik. In: Knoeringen, Waldemar<br />

von / Lohmar, Ulrich (Hrsg.) (1981): Was bleibt vom Sozialismus? Verlag für Literatur und Zeitgeschehen,<br />

Hannover: 93–107<br />

129


Kronawitter, Hildegard (1988): Wirtschaftskonzeption und Wirtschaftspolitik der Sozialdemokratie in Bayern.<br />

München, New York, London, Paris<br />

Löwenthal, Richard / von zur Mühlen, Patrik (Hrsg.) (1982): Widerstand und Verweigerung in Deutschland<br />

1933–1945. Dietz Verlag, Bonn<br />

Löwenthal, Richard (1984): Die Haltung der Sozialdemokratie zur Zukunft. Rede anlässlich der Verleihung<br />

des Waldemar-von-Knoeringen-Preises 1984. In: Georg-von-Vollmar-Akademie (Hrsg.): Waldemar-von-<br />

Knoeringen-Preis 1984. München<br />

Mehringer, Hartmut (1983): Die bayerische Sozialdemokratie bis zum Ende des NS-Regimes. Vorgeschichte,<br />

Verfolgung und Widerstand. In: Bayern in der NS-Zeit, hrsg. v. Martin Broszat u. Hartmut Mehringer.<br />

München, Wien: 287–432<br />

Mehringer, Hartmut (1989): Waldemar von Knoeringen. Eine politische Biographie. Der Weg vom revolutionären<br />

Sozialismus zu sozialen Demokratie. Hrsg. v. Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung u. d.<br />

Institut für Zeitgeschichte München. Schriftenreihe der Georg-von-Vollmar-Akademie. Band 2. K. G.<br />

Saur Verlag, München<br />

Nerdinger, Eugen (1965): Die unterliegen nicht, die für eine große Sache sterben! Augsburg<br />

Nerdinger, Eugen (1979): Flamme unter Asche. Augsburg<br />

Nerdinger, Eugen (1984): Brüder zum Licht empor. Ein Beitrag zur Geschichte der Augsburger Arbeiterbewegung.<br />

Hirmer Verlag, Augsburg<br />

Seebacher-Brandt, Brigitte (1984): Biedermann und Patriot. Erich Ollenhauer – ein sozialdemokratisches Leben.<br />

Diss. phil. FU Berlin. Rheinbreitbach<br />

Sontheimer, Kurt (1979): Die verunsicherte Republik. Die Bundesrepublik nach 30 Jahren. München<br />

Sontheimer, Kurt (1979): Die Bundesrepublik und ihre Bürger. In: Scheel, Walter (Hrsg.): Nach dreißig Jahren.<br />

Die Bundesrepublik Deutschland – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Stuttgart<br />

Vollmar, Georg von (1891): Vom Optimismus. Aufsätze. In: Münchner Post v. 1.–4.8.1891<br />

Werner, Emil (1980): Im Dienste der Demokratie. Die bayerische Sozialdemokratie nach der Wiedergründung<br />

1945. München<br />

Werner, Emil (1985): Waldemar von Knoeringen 1906–1971. München<br />

Wiesemann, Falk (1971): Die Vorgeschichte der nationalsozialistischen Machtübernahme in Bayern 1932/<br />

1933. Berlin<br />

zur Mühlen, Patrik von (1982): Sozialdemokraten gegen Hitler. In: Widerstand und Verweigerung in Deutschland<br />

1933–1945. Hrsg. v. Richard Löwenthal und Patrik von zur Mühlen. Dietz Verlag, Bonn: 57–75<br />

130


König, Lothar Prof. Dr. SJ<br />

*3.1.1906 Stuttgart †5.5.1946 München<br />

„Wiederherstellung des Bewußtseins von naturgegebenen, von jeder staatlichen und<br />

politischen Ordnung unabhängigen Menschenrechten, deren Beschneidung<br />

oder Vergewaltigung den Menschen zerstört<br />

und jedem gemeinschaftlichen Leben Sinn und Berechtigung nimmt.“<br />

So formulierte Pater Alfred Delp SJ die Ziele des „Kreisauer Kreises.“ 271<br />

Gedenktafel am<br />

Berchmanskolleg<br />

Foto: H. Engelbrecht<br />

Pater Lothar König SJ<br />

Foto: Archivum Monacense SJ<br />

271 Delp, Alfred (1985): Gesammelte Schriften, Band IV: 380. Auch in: Roon, Ger van (1998): Widerstand<br />

im Dritten Reich: 152<br />

131


Gedenktafel<br />

Berchmanskolleg, Kaulbachstraße 31a, Schwabing<br />

Giselastraße U3/U6<br />

Katholische Kirche 1996<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Am Eingang zum Berchmanskolleg steht auf einer Gedenktafel folgender Text: „Dieses<br />

Haus war unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus ein Zentrum des katholischen<br />

Widerstands. Hier trafen sich mit dem Jesuitenprovinzial Augustinus Rösch die Patres<br />

– Rupert Mayer – Lothar König – Alfred Delp. Hier fanden 1942–1943 mit Helmuth<br />

Graf Moltke geheime Treffen des Kreisauer Kreises statt. Alle riskierten ihr Leben, viele<br />

verloren es.“<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Rolle im Widerstand „Kreisauer Kreis“<br />

Der Jesuitenpater Dr. Lothar König (Professor für Kosmologie) übernahm als engster<br />

Mitarbeiter von Augustinus Rösch die Rolle eines Kuriers. Mit seinen zahlreichen Reisen<br />

sorgte er für ausreichenden Informationsfluss und zeitliche Abstimmung der Aktivitäten<br />

in den Widerstandskreisen. So schrieb er in seinen Taschenkalender über den<br />

Zeitraum des Jahres 1941 „Fahrtkilometer Januar bis zum 4.12.1941: 77 000 km“. Er<br />

übernahm dabei die Übermittlung von Nachrichten und Dokumenten, traf sich persönlich<br />

mit James Graf von Moltke, Eugen Gerstenmeier und anderen Vertretern der Widerstandsgruppen<br />

in Bayern. Wie in den Schriften der Historiker Ger van Roons und<br />

Roman Bleisteins aufgezeigt wurde, hatten Pater König und Pater Rösch wesentlichen<br />

Anteil daran, dass die Mehrzahl der Bischöfe stärker und auch öffentlich ihre Stimme<br />

gegen den Nationalsozialismus erhoben. Er war in den Attentatsplan gegen Hitler eingeweiht<br />

und diesen voll bejaht.<br />

Ebenso wie Rösch (siehe Band 3: Rösch) wurde Lothar König nach dem gescheiterten<br />

Attentat vom 20. Juli 1944 steckbrieflich gesucht. Der Verhaftung im Pullacher Berchmanskolleg<br />

(hier war bis 1969 die Philosophische Hochschule der Jesuiten) konnte er in<br />

letzter Sekunde entgehen. Er fand dort im Kohlenkeller ein sicheres Versteck, in dem er<br />

trotz einer schweren Krankheit und dank der Hilfe des Mitbruders Max Manall überlebte.<br />

Lothar König starb am 5. Mai 1946 an den Auswirkungen der unmenschlichen Lebensbedingungen<br />

während der Verfolgung.<br />

132


Literatur<br />

Bleistein, Roman (1982–1985): Alfred Delp. Gesammelte Werke. 4 Bände. München<br />

Bleistein, Roman (1986): Lothar König ein Jesuit im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. In: Stimmen<br />

der Zeit Nr. 204: 313ff<br />

Bleistein, Roman (1987): Dossier: Kreisauer Kreis. Dokumente aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus.<br />

Aus dem Nachlass von Lothar König S. J. Knecht Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Bleistein, Roman (1993): Die Jesuiten und der Kreisauer Kreis in München. In: München – „Hauptstadt der<br />

Bewegung“. Ein Projekt des Münchner Stadtmuseums. Klinkhardt & Biermann, München: 436–437<br />

Bleistein, Roman (1993/94): Topographie des Widerstands in München – Weiße Rose – Kreisauer Kreis.<br />

Hochschule für Philosophie München<br />

Delp, Alfred (1955): Kämpfer, Beter, Zeuge. Letzte Beiträge von Freunden. Morus Verlag, Berlin<br />

Delp, Alfred (1985): Im Angesicht des Todes. Gesammelte Schriften, Band 4. Knecht Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Delp, Alfred / Bleistein, Roman (1992): Gesammelte Schriften. Knecht Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Oswald, Julius / Bleistein, Roman (2000): Schule des Denkens. 75 Jahre Philosophische Fakultät der Jesuiten<br />

in Pullach und München. Verlag Kohlhammer, Stuttgart<br />

Roon, Ger van (1967): Neuordnung im Widerstand. Der Kreisauer Kreis innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung.<br />

C. H. Beck Verlag, München<br />

Roon, Ger van (1986): Der Kreisauer Kreis im Ausland. In: Politik und Zeitgeschichte, Band 50/86: 31–46<br />

Roon, Ger van (1988): Der Kreisauer Kreis zwischen Widerstand und Umbruch. Beiträge zum Widerstand<br />

1933–1945, Heft 26. Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin. Felgentreff & Goebel, Berlin<br />

Roon, Ger van (1998): Widerstand im Dritten Reich. Ein Überblick. Beck´sche Reihe Band 19: 141–158<br />

Schoenhoven, Klaus (1983): Der politische Katholizismus in Byern unter der NS-Herrschaft 1933–1945. In:<br />

Bayern in der NS-Zeit, Band 5. München<br />

Schwaiger, Georg / Pfister, Peter (1999): Blutzeugen der Erzdiözese München und Freising. Schnell & Steiner,<br />

Regensburg<br />

Winterhager, Wilhelm Ernst (1985): Der Kreisauer Kreis. Porträt einer Widerstandsgruppe. Begleitband zu<br />

einer Ausstellung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Mainz<br />

Winterhager, Wilhelm Ernst (1987): Politischer Weitblick und moralische Konsequenz. Der Kreisauer Kreis<br />

in seiner Bedeutung für die deutsche Zeitgeschichte. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Heft<br />

38: 402–417<br />

133


Kolb, Annette<br />

*3.2.1870 München †3.12.1967 München<br />

„Ihre Bücher gehören zu den wichtigsten gesellschaftskritischen Zeugnissen unserer<br />

Literatur seit Fontane, sie enthalten wahrhafte politische, auch völkerpsychologische<br />

Einsichten jenseits der beliebten, bequemen und meistens pharisäerhaft wertenden<br />

oder abwertenden Klischees.“<br />

Max Rychner, der Schweizer Literaturhistoriker über Annette Kolb 272<br />

Grabmal von Annette Kolb<br />

(Bogenhausener Friedhof)<br />

Foto: H. Pfoertner<br />

Annette Kolb<br />

Foto: Stadtarchiv München<br />

272 Bauschinger, Sigrid (Hrsg.) (1993): Ich habe etwas zu sagen: 183<br />

134


I. Grabmal<br />

Friedhof St. Georg, Kirchplatz 1, Bogenhausen<br />

Max-Weber-Platz U4/U5 und Tram 18<br />

M (1967)<br />

II. Annette-Kolb-Anger, Neuperlach<br />

M (1971)<br />

III. Gedenktafel<br />

Händelstraße1, Bogenhausen<br />

Max-Weber-Platz U4/U4 und Tram 18<br />

M (1985)<br />

Zu III. Gedenktafel<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Die Landeshauptstadt München veranlasste im Januar 1981 die Anbringung einer Gedenktafel<br />

für die Schriftstellerin Annette Kolb. Die Gedenktafel wurde am 1. Juli 1985<br />

vom zweiten Münchner Bürgermeister Dr. Klaus Hahnzog enthüllt.<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Die Gedenktafel hat Professor Dr. Ing. Horst Auer gestaltet.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Anne Mathilde, genannt Annette, wurde als drittes Kind von Sophie (geb. Danvin) und<br />

Max Kolb am 3. Februar 1870 in München in der Sophienstraße 7 geboren. Sie ist das<br />

drittjüngste von sechs, das Säuglingsalter überlebenden Kindern. Die in Paris geborene<br />

Mutter stammte aus der Familie des bekannten französischen Landschaftsmalers Félix<br />

Danvin und Constance Amélie Lambert Danvin, die am Pariser Konservatorium als Pianistin<br />

ausgebildet worden war. Der Vater Max Kolb war „als illegitimer Sohn einer Zofe<br />

der Königin Therese von Bayern und eines unbekannten Adeligen“ 273 in München geboren.<br />

Zum Gartenarchitekten ausgebildet, erhielt er vom Hofe der Wittelsbacher den Auftrag,<br />

die Gartenanlagen zur Weltausstellung in Paris zu gestalten. Hier lernten sich die El-<br />

273 Werner, Charlotte (2000): Annette Kolb: 10–11<br />

135


tern von Annette Kolb kennen, wo auch die Vermählung stattfand. Als Max Kolb vom König<br />

Maximilian II. von Bayern die Ernennung zum Inspektor des Botanischen Gartens in<br />

München erhielt, siedelte das junge Paar in die Residenzstadt. Sophie Kolb stimmte einen<br />

Umzug nach München zu, wollte ihn aber zeitlich begrenzen. Hier schuf sie einen Salon,<br />

in dem bedeutende Persönlichkeiten aus Europa verkehrten; insbesondere pflegte sie<br />

Freundschaft mit dem Hofkonzertmeister Hans von Bülow und dessen Gattin Cosima, die<br />

spätere Ehefrau von Richard Wagner. Mit ihren beiden älteren Schwestern Louise (*1865)<br />

und Germaine (*1867) verband Annette Kolb eine innige Beziehung.<br />

Im Alter von sechs Jahren bekam sie eine Freistelle in der von den Salesianern geleiteten<br />

Klosterschule Thurnfeld bei Hall in Tirol. Dies war der Dank des Klosters dafür, dass Max<br />

Kolb den Klostergarten gestaltet hatte. 274 Nach sechsjähriger Schulzeit kehrte Annette auf<br />

eigenen Wunsch nach München zurück. Hier besuchte sie die Privatschule von Therese<br />

Ascher. Sie erhielt zusätzlich musikalische Ausbildung und berichtete über diese Jahre:<br />

„Ich hatte am Speicher oben ein Zimmer mit sechs kleinen Fenstern und einen Flügel.<br />

Man gab mir gute Lehrer für das Klavier. Ich spielte als Kind sehr gut, und es wurde schon<br />

daran gedacht, daß ich vielleicht Pianistin werden würde ... Ich war keine wirkliche Pianistin,<br />

und darum ließ ich es auch sein. Aber ich spielte zu meinem Vergnügen.“ 275<br />

In dem geselligen Haus, das die Mutter pflegte, lernte Annette viele hochgestellte Persönlichkeiten<br />

kennen. Zu ihrem Bekanntenkreis gehörte der Bildhauer Adolf von Hildebrand,<br />

die Familie des Malers Friedrich von Kaulbach und die des „Malerfürsten“ Franz von Lenbach.<br />

So unterhielt die Familie Kolb auch Kontakt zu der Familie des angesehenen Mathematikprofessors<br />

Pringsheim. Seine Tochter – die spätere Katia Mann – sagte dazu, dass<br />

sie Annette Kolb kannte, lange bevor sie Thomas Mann begegnete. 276 Auch besuchten Diplomaten<br />

aus Frankreich und Großbritannien das Kolb‘sche Haus.<br />

Der Weg zur Schriftstellerin<br />

Erste schriftstellerische Versuche unternahm Annette Kolb 1899 mit kurzen Aufsätzen,<br />

die sie in verschiedenen Zeitschriften publizierte. Die Inhalte bezogen sich auf die politische<br />

und gesellschaftspolitische Situation Europas sowie auf bedeutende französische<br />

Künstler, Diplomaten und Intellektuelle. Dabei war eines ihrer Hauptanliegen die Vermittlung<br />

zwischen Deutschland und Frankreich. In einem Selbstporträt nahm sie dazu<br />

Stellung: „... und als ich aufwuchs, da lag mir immer mehr am Herzen, daß die Franzosen<br />

und die Deutschen sich so liebten, wie ich die beiden zusammen liebte, denn ich habe zu<br />

beiden in gleichem Maße gehört.“ 277<br />

274 Werner, Charlotte (2000): Annette Kolb: 18<br />

275 Bauschinger, Sigrid (Hrsg.) (1993): Ich habe etwas zu sagen: 111<br />

276 Mann, Katia (1994): Meine ungeschriebenen Memoiren: 14<br />

136


1905 erschien in der „Neuen Rundschau“ in Berlin der Text Torso. Unterstützt von ihrem<br />

wichtigsten Förderer, dem Schriftsteller Franz Blei (1871–1942), der Novellist, zeitkritischer<br />

Essayist und Herausgeber der Zeitschrift „Hyperion“ war, übersetzte sie Gilbert<br />

Keith Chestertons Roman Orthodoxie für die gleichnamige Zeitschrift. Über Annette<br />

Kolb hielt Blei in Glanz und Elend berühmter Frauen und in dem Großen Bestarium der<br />

modernen Literatur Folgendes fest: „Annette hat den Typus einer Frau als Vorläuferin<br />

vorweggenommen und lebendig hingestellt, wie wir ihn als geläufigen Typus für einmal in<br />

dreißig Jahren erhoffen ... Ja, die große Vorläuferin dieses erlösten und erlösenden Frauentypus<br />

ist die Annette.“ 278<br />

Der Durchbruch als Autorin gelang Annette Kolb 1912 mit dem Roman Das Exemplar,<br />

der zuerst in der „Neuen Rundschau“ veröffentlicht wurde. Ein Jahr später erschien dieser<br />

Roman als Buch beim Samuel Fischer Verlag in Berlin. Die Schriftstellerin Luise Rinser<br />

äußerte sich dazu in der „Züricher Woche“: „Wer Annette Kolb kennenlernen will, tut gut<br />

ihren frühen Roman „Das Exemplar“ zu lesen. Denn die Heldin dieses Romans ist Mariclée,<br />

ist Annette Kolb; alle ihre spätere Erfahrung ist in diesem Buch vorweggenommen.<br />

Ein Meisterstück der Selbstdarstellung, aus einer großen Distanz zu sich selber entstanden,<br />

voll gescheiter und melancholischer Selbstironie, voller Humor und Witz, und nicht<br />

zu vergessen; ein bezaubernder und eigentümlicher Liebesroman.“ 279 1914 erschien ein<br />

Band im Leipziger Verlag der Weißen Bücher unter dem Titel Wege und Umwege, den<br />

Franz Blei redigiert hatte.<br />

Erster Weltkrieg<br />

Mit der Kriegserklärung an Frankreich am 3. August 1914 marschierten die Deutschen gegen<br />

das Land, das Annette Kolb so verehrte. Sie konnte ihre Verzweiflung darüber nicht<br />

verbergen und drückte in einem Brief an den Schriftsteller Alfred Walter Heymel (1878–<br />

1914) ihre Stimmung mit folgenden Worten aus: „... ich beneide die Toten.“ 280 War Annette<br />

Kolb anfangs von einem deutschen Patriotismus ergriffen, so wandelte sie sich zur<br />

radikalen Pazifistin. Als ihr Freund Walter Heymel am 26. November 1914 im Alter von<br />

36 Jahren gefallen war, begehrte sie gegen dieses sinnlose „Heldentod“-Sterben auf. Mit<br />

einem Vortrag in Dresden am 25. Januar 1915 löste Annette Kolb eine deutsche Pressekampagne<br />

aus, als sie sich für die Gründung der „Internationalen Rundschau“, einer Zeitschrift<br />

pazifistischer Richtung, aussprach. Ihr Engagement für politischen Frieden hatte<br />

277 Bauschinger, Sigrid (Hrsg.) (1993): Ich habe etwas zu sagen: 87<br />

278 Blei, Franz (1927): Glanz und Elend berühmter Frauen. In: Bauschinger, Sigrid (Hrsg.) (1993): Ich habe<br />

etwas zu sagen: 78<br />

279 Weltwoche Zürich v. 12.8.1955, Fragmentarisches über Annette Kolb. In: Werner, Charlotte (2000):<br />

Annette Kolb: 96<br />

280 Bauschinger, Sigrid (Hrsg.) (1993): Ich habe etwas zusagen: 90<br />

137


für sie behördliche Überwachung und schließlich polizeiliche Briefsperre und Reiseverbot<br />

zur Folge. 281 Von ihrem Freund, dem Diplomaten Richard von Kühlmann vermittelt, erhielt<br />

Annette Kolb vom späteren Reichsaußenminister Walter Rathenau einen neuen Pass,<br />

der ihr die Ausreise ermöglichte. Über ihre Ankunft in der Schweiz schrieb sie in<br />

Zarastro: „Am 1. Februar 1917 kam ich gegen Abend definitiv nach Bern. Trotz dieser so<br />

unvermittelt aufblitzenden Vision wurde die Mutlosigkeit, gegen die ich anzukämpfen hatte,<br />

immer drückender, und geradezu trostlos gestaltete sich meine Einfahrt in die Bahnhofshalle.“<br />

282 In Bern verbrachte sie die folgenden drei Jahre. Hier traf sie René Schickle,<br />

den Schriftsteller, Journalisten und Herausgeber der „Weißen Blätter“. Ihm gefiel Kolbs<br />

Einsatz für die Völkerverständigung, außerdem fühlte er sich persönlich mit ihr verbunden,<br />

da er ebenfalls eine französische Mutter und einen deutschen Vater hatte. Während<br />

des in Bern stattfindenden „Internationalen Arbeiter- und Sozialistenkongresses“ im Februar<br />

1919 lernte sie den Politiker Kurt Eisner (siehe Band 1: Eisner) kennen, der sie sehr<br />

beeindruckte. Nach seinem gewaltsamen Tod durch den Mörder Graf von Arco kam sie in<br />

Zarastro darauf zurück: „Wir aber, die in Bern Zeugen der ungeheuren Wirkung seines<br />

Auftretens waren, welche Werbekraft für Deutschland er dort entfaltete, welch stürmische<br />

Sympathien für Deutschland er dort erweckte, oh welch bitterlichen Eindruck machte es<br />

auf uns, in München nicht etwa die Züge dieses heldenhaften Vorläufers, nein, das unbesonnene<br />

Leutnantsgesicht seines Mörders in den Auslagen vorzufinden, dessen hirnloses<br />

und unheilvolles Verbrechen die Schrecken der Räteregierung und alle Gräuel, die von<br />

links und dann von rechts daraus erfolgten, verursachte. Mag ein Herr Studiosus die<br />

Frei(spruch)kugel gegen mich drehen, dafür, daß in diesem wahrscheinlich viel gelesenen<br />

Buch die Wahrheit steht.“ 283<br />

Nach Kriegsende erkundete Annette Kolb auf Reisen in Europa die kulturellen Veränderungen,<br />

die inzwischen stattgefunden hatten. Besonders verfolgte sie die Entwicklung in<br />

Frankreich hinsichtlich Politik und Literatur. Ebenso galt ihr Interesse dem literarischen<br />

Schaffen der Weimarer Republik in Deutschland. In Berlin bemühten sie die Verleger der<br />

„Neuen Weltbühne“ und des „Berliner Tagblattes“ um ihre Beiträge. Hier traf sie den<br />

Kunstmäzen und Sammler Harry Graf Kessler (1867–1937) und den belgischen Architekten<br />

Henry van den Velde (1863–1957).<br />

Ihr Wunsch nach einem eigenen Heim entstand, als sich ihre guten Bekannten René und<br />

Anna Schickle in Badenweiler in ihrem neu erbauten Haus niederließen. So konnte sie<br />

1923 dort in der Nachbarschaft dieses Ehepaares in ihr eigenes Haus einziehen.<br />

281 Dokumente 69, 70 und 71 in: Bauschinger, Sigrid (Hrsg.) (1993): Ich habe etwas zu sagen: 94–95<br />

282 Kolb, Annette (1921): Zarastro: 11. Auch in: Werner, Charlotte (2000): Annette Kolb: 103<br />

283 Kolb, Annette (1921): Zarastro. Auch in: Werner, Charlotte (2000): Annette Kolb: 106–107<br />

138


Kolbs nächster Roman ist ihrer vielbewunderten, jedoch jung verstorbenen ältesten<br />

Schwester Louise gewidmet und handelt von der Münchner Vorkriegszeit. Ihr Selbstbildnis<br />

darin ist ein jungenhaftes Mädchen mit dem Namen „Mathias“. Nach dem Erscheinen<br />

dieses Romans mit dem Titel Daphne Herbst erhielt sie vom Schriftsteller Jakob Wassermann<br />

eine positive Resonanz. 284 Vom Rowohlt Verlag in Berlin erhielt Annette Kolb den<br />

Auftrag, den damaligen französischen Ministerpräsidenten Aristide Briand in einem Werk<br />

zu würdigen. Der Versuch über Briand erschien 1929. Er hatte sich nach Kriegsende um<br />

eine deutsch-französische Annäherung bemüht und durch sein Mitwirken an Verträgen<br />

Deutschland den Wiedereintritt in den Völkerbund ermöglicht. Von deutscher Seite unterstützte<br />

ihn der Politiker und Nationalökonom Gustav Stresemann. Briand und Stresemann<br />

erhielten 1926 dafür den Friedensnobelpreis. 285<br />

In kulturhistorischen Aufsätzen folgten Berichte über die Städte Paris, Berlin, München<br />

und Wien. In der Kleinen Fanfare sind die Charakteristika der Städte aufgezeichnet.1932<br />

erschienen Aufsätze Annette Kolbs im Beschwerdebuch.<br />

NS-Zeit<br />

Als die Schriftstellerin aus dem Beschwerdebuch am 5. Februar 1933 beim Kölner Rundfunk<br />

vorlas, flogen einige kleine Stinkbomben ins Aufnahmestudio. 286 Dennoch hoffte sie<br />

noch immer auf einen politischen Wandel. Der Schriftsteller Manfred Hausmann machte<br />

sie jedoch darauf aufmerksam, dass das neue Regime kein Recht auf freie Meinungsäußerung<br />

gewähre. Damit konnte sich Kolb nicht arrangieren und sie entschloss sich, sofort zu<br />

emigrieren. Am 21. Februar 1933 verließ sie ihr Haus in Badenweiler und fuhr über die<br />

Schweizer Grenze nach Basel. Sie ahnte das nahende Unglück. „Nun mit einem Male<br />

dämmte der Gedanke an das namenlose Unglück, das ich über Deutschland verhängt sah,<br />

jede Genugtuung zurück.“ 287<br />

In dieser Zeit entstand der autobiographische Roman Die Schaukel, in dem ausgehend<br />

vom Brand des Münchner Glaspalastes die Geschichte einer deutsch-französischen Familie<br />

– ihrer Familie – dargestellt wird. Eltern und Geschwistern schuf sie damit literarische<br />

Ebenbilder.<br />

Unter Vermittlung des ebenfalls emigrierten Bankiers und sozialdemokratischen Politikers<br />

Hugo Simon konnte Annette Kolb in Paris eine Wohnung beziehen. 1936 erhielt sie<br />

die ersehnte Staatsangehörigkeit ihres „Mutterlandes“. 288 Doch war auch dieser Aufent-<br />

284 Werner, Charlotte (2000): Annette Kolb: 146<br />

285 Bauschinger, Sigrid (Hrsg.) (1993): Ich habe etwas zu sagen: 108<br />

286 Kolb, Annette (1960): Memento: 10. In: Werner, Charlotte (2000): Annette Kolb: 169<br />

287 Kolb, Annette (1960): Memento: 16. In: Werner Charlotte (2000): Annette Kolb: 10<br />

139


halt nicht von Dauer: Als die deutschen Truppen im Anmarsch waren, organisierte Annette<br />

Kolb ihre Emigration nach Amerika. Der bereits in New York lebende Schriftsteller<br />

Hermann Kesten erhielt ihre Hilferufe, als sie bereits in Lissabon auf ihre Abreise wartete.<br />

In diesen Tagen fühlte sie sich von Europa vergessen und verlassen. „Niemand schreibt<br />

mir nur ein Sterbenswort.“ 289 Im April 1940 konnte sie dann nach New York abfliegen.<br />

Im Gepäck hatte sie ihr in Barcelona beendetes Manuskript Franz Schubert. Sein Leben.<br />

Mit der Veröffentlichung dieses Buches konnte sie in New York ihren Lebensunterhalt bestreiten.<br />

Der Sohn von Thomas Mann – Klaus Mann – gehörte zu denen, die Annette Kolb<br />

im Exil halfen. In einer von Klaus Mann gegründeten Zeitschrift „Decision“ erschien ein<br />

Aufsatz von ihr unter dem Titel La Débacle. Hier kam ihre politische Einstellung zu Hitler-Deutschland<br />

zum Ausdruck. „Wenn ich heute sage, es gibt Nazis in allen Ländern, wer<br />

könnte mir da widersprechen? Aus verschiedenen psychologischen und politischen Gründen<br />

trägt Deutschland die schreckliche Verantwortung, diese Seuche über die Welt gebracht<br />

zu haben, aber an der Verantwortung für ihre wachsende Verbreitung haben alle<br />

Teil.“ 290 Im amerikanischen Exil versuchte sie der öffentlichen Meinung entgegenzuwirken,<br />

die Nationalsozialismus mit den Deutschen gleichsetzte. Annette Kolb hörte nicht<br />

auf, an das deutsche Volk zu appellieren und zum Widerstand aufzufordern: „... Schleppt<br />

eure Tyrannen vor die Tribunale, bevor es zu spät ist. Sie wollen nicht, daß die Welt zwischen<br />

ihnen und euch unterscheidet. Und das ist die größte Gefahr, vor der ihr steht.“ 291<br />

Auch bemühte sie sich um ihre in Nizza zurückgebliebene und gefährdete Freundin Lotte<br />

Kronheim und ihre Mutter, die auf die Ausreise warteten. Alle Bemühungen kamen zu<br />

spät. Am 20. Januar 1944 wurden sie aus dem Lager Drancy nach Auschwitz deportiert. 292<br />

Rückkehr nach Europa<br />

In Amerika stellte Annette Kolb fest, „habe sie bemerkt, wie europäisch sie sei.“ 293 Sie<br />

kehrte trotz aller Mahnungen am 25. Oktober 1945 über Irland nach Paris zurück. Das<br />

Ausmaß der kriegerischen Zerstörung sah Annette Kolb, als sie im September 1946 nach<br />

München kam, um an der Beerdigung ihrer Schwester Franziska teilzunehmen. Ihren<br />

Kommentar zur Ruinenstadt beendete sie mit folgenden Worten: „Man hätte auf mich hören<br />

sollen, dann wäre alles nicht so gekommen wie es gekommen ist.“ 294 1963 begrüßte<br />

288 Bauschinger, Sigrid (Hrsg.) (1993): Ich habe etwas zu sagen: 135<br />

289 Annette Kolb: Brief an von der Mühl, in Monacensia Archiv 81.820/14. Auch in Werner, Charlotte<br />

(2000): Annette Kolb: 229<br />

290 Annette Kolb in: Decision, Vol. 2, 1941, Nos. 5–6 Münchner Stadtbibliothek, Handschriftenabteilung. In:<br />

Bauschinger, Sigrid (Hrsg.) (1993): Ich habe etwas zu sagen: 171<br />

291 Annette Kolb: Typoskript Münchner Stadtbibliothek, Handschriftenabteilung. In: Bauschinger, Sigrid<br />

(Hrsg.) (1993): Ich habe etwas zu sagen: 174–175<br />

292 Bauschinger, Sigrid (Hrsg.) (1993): Ich habe etwas zu sagen: 172–173<br />

293 Werner, Charlotte (2000): Annette Kolb: 237<br />

140


sie die deutsch-französische Versöhnung mit der Unterzeichnung des Freundschaftsvertrags<br />

und war erfreut über den freundlichen Empfang des Staatsmannes General de Gaulle<br />

in München. Mit großer Freude sah sie die Ernennung von Wilhelm Hausenstein (siehe<br />

Band 1: Hausenstein) zum Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Paris. Annette<br />

Kolb hatte Hausenstein 1903 in München kennen gelernt; mit ihm und seiner Familie verband<br />

sie eine lebenslange Freundschaft.<br />

Rückkehr nach München<br />

Auf Drängen vieler Freunde zog Annette Kolb am 16. Mai 1961 in eine Münchner Wohnung<br />

in der Händelstraße 1 ein. Hier verbrachte sie ihre letzten Lebensjahre. In den 1964<br />

erschienen Essays Zeitbilder stellte sie an ihre Schriftstellerfreunde die Frage: „wann wird<br />

einer von den unseren in einem kleinen Auto unser schönes Bayernland, seine Gebirgswelt,<br />

kreuz und quer befahren und sich wieder weiden an den verstreuten Kapellen, den<br />

Kirchen, den Fassaden, den Schildern, den Wirtshäusern, den Gärten?“ 295<br />

Im März 1967 unternahm Annette Kolb eine lange ersehnte Reise nach Israel, die sie<br />

selbst als den letzten Wunsch ihres Lebens bezeichnete. Die 96-Jährige starb am 3. Dezember<br />

1967 in ihrer Geburtsstadt München. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof von<br />

St. Georg in Bogenhausen.<br />

Anlässlich einer Ansprache nach der Verleihung des Goethepreises 1955 hatte die Schriftstellerin<br />

gesagt: „Diesen Ausruf: ,Wie gut ist es, daß der Mensch sterbe´, habe ich nicht<br />

zu meinem Wahlspruch gewählt, sondern er bemächtigte sich schon sehr früh meiner, um<br />

nie von mir zu lassen, als ein wachsender Akkord, aufseufzend, beschwichtigend, beschwingend,<br />

tröstend, aufrichtend, erdröhnend.“ 296<br />

Annette Kolb war Kultur- und Gesellschaftskritikerin, die mit scharfem Blick die politische<br />

Szene beobachtete und kommentierte. Sie äußerte sich zu den Fragen der Zeit, wie<br />

zu den Veränderungen im Leben der Frau und zu sozialen Veränderungen. Mit großer<br />

Weitsicht dachte sie stets über Nationalgrenzen hinaus und erkannte die Notwendigkeit<br />

zur Völkerversöhnung und Verständigung, insbesondere zwischen Frankreich und<br />

Deutschland. Hier fühlte sich Annette Kolb dazu berufen, die Rolle einer Vermittlerin zu<br />

übernehmen; sah sie doch in der Bewältigung dieser Frage die Voraussetzung für das zukünftige<br />

Europa. Ihre Ablehnung gegen den Nationalismus hatte seine Wurzel in der Erkenntnis,<br />

dass die Welt mit der Vielfalt der Völker nicht auf diese eine Dimension reduzierbar<br />

ist. In der Auseinandersetzung mit der deutschen, französischen, italienischen und<br />

294 Süddeutsche Zeitung v. 17.9.1946: In: Werner, Charlotte (2000): Annette Kolb: 238<br />

295 Kolb, Annette (1964): 1907–1964 Zeitbilder: 203<br />

296 Kolb, Annette (1964): 1907–1964 Zeitbilder: 203<br />

141


englischen Kultur, Politik und Gesellschaft kam sie zu der Überzeugung, dass es besser<br />

wäre, „nicht mehr nach dem Schema der Nationalitäten zu denken“ 297 , da dieses Denken<br />

den Nationalismus einseitig fördere.<br />

Ausstellung<br />

24. September – 29. Oktober 1993: Ich habe etwas zu sagen: Annette Kolb 1870–1967.<br />

Ausstellung anlässlich des 150-jährigen Bestehens der Münchner Stadtbibliothek. Gezeigt<br />

in der Münchner Stadtbibliothek, Am Gasteig.<br />

Rundfunk<br />

1964 Porträt über Annette Kolb im Westdeutschen Rundfunk.<br />

Film<br />

1983 Die Schaukel. Regie Percy Adlon. Die Rolle des Mathias übernahm Anja Jaenicke,<br />

Madame Lautenschlag spielte Christine Kaufmann.<br />

Ehrungen<br />

1919 Bronzebüste, gestaltet von Georg Kolbe, Kunstmuseum Bern<br />

1931 Gerhard-Hauptmann-Preis<br />

1949 Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz<br />

1950 Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste<br />

1951 Kunstpreis für Literatur der Landeshauptstadt München für das Jahr 1950<br />

1955 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt a. M.;<br />

Ehrenbürgerbrief der Gemeinde Badenweiler<br />

1958 Mitglied der Légion d’honneur<br />

1959 Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland<br />

1961 Chevallier des la Légion d’honneur; Bayerischer Verdienstorden;<br />

Literaturpreis der Stadt Köln<br />

1965 Bronzebüste, modelliert vom österreichischen Professors<br />

Ernst Andreas Rauch (1901–1990)<br />

1966 Pour lé mérite für Wissenschaft und Künste. Großes Verdienstkreuz<br />

mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland<br />

1967 Bronzebüste (Privatbesitz), gestaltet von Professor Hans Wimmer<br />

297 Kolb, Annette: England, Irland, Shakespeare. Typoskript, Münchner Stadtbibliothek, Handschriftenabteilung.<br />

In: Bauschinger, Sigrid (Hrsg.) (1993): Ich habe etwas zu sagen: 18<br />

142


Literatur<br />

Bauschinger, Sigrid (Hrsg.) (1993): Ich habe etwas zu sagen: Annette Kolb 1870–1967. Katalog zur Ausstellung<br />

der Münchner Stadtbibliothek. Eugen Diederichs Verlag, München<br />

Bauschinger, Sigrid / Cocalis, Susan L. (Hrsg.) (1993): Wider den Faschismus. Exilliteratur als Geschichte.<br />

Verlag Francke, Tübingen, Basel<br />

Benyoetz, Elazar (1970): Annette Kolb und Israel. Lothar Stiehm Verlag, Heidelberg<br />

Benyoetz, Elazar (1993): Aufklärung findet immer im Dunkeln statt: Drei Briefe, Annette Kolb und die Juden<br />

betreffend. In: Bauschinger, Sigrid (Hrsg.) (1993): Ich habe etwas zu sagen: 27–38<br />

Bermann-Fischer, Gottfried (1967): Bedroht – Bewahrt. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Bermann-Fischer, Gottfried / Bermann-Fischer, Brigitte (1990): Briefwechsel mit Autoren. S. Fischer Verlag,<br />

Frankfurt a. M.<br />

Betraux, Pierre (2001): Un Normalien à Berlin. Lettres franco-allemandes 1927–1933. Edutées, annotées et<br />

commentées par Manfred Bock, Gilbert Krebs et Hansgerd Schulte. Publications de l´Institut d´ Allemand.<br />

Université de la Sorbonne Nouvelle. Paris<br />

Blei, Franz (1911): Gott und die Frauen. Ein Traktat. Georg Müller Verlag, Leipzig<br />

Blei, Franz (1927): Glanz und Elend berühmter Frauen. Rowohlt Verlag, Berlin<br />

Fetzer, John (1993): Die musikalische Muse und Annette Kolb. In: Bauschinger, Sigrid (Hrsg.) (1993): Ich<br />

habe etwas zu sagen: 19–26<br />

Kolb, Annette (1899): Kurze Aufsätze. Putze Verlag, München<br />

Kolb, Annette (1906): Sieben Studien. L´Ame aux deux patries. Jaffe Verlag, München; Die Schaukel. Wiener<br />

Rundschau 5; (1913) Das Exemplar. Roman. S. Fischer Verlag, Berlin; (1916) Briefe einer Deutsch-Französin.<br />

Reiss Verlag, Berlin; (1918) Die Last. Rascher Verlag, Zürich; (1919) Wege und Umwege. 2. u. 3.<br />

Aufl., Hyperion Verlag, Berlin; (1921) Zarasto. Westliche Tage. S. Fischer Verlag, Berlin; (1928) Daphne<br />

Herbst. Roman. S. Fischer Verlag, Berlin; (1929) Versuch über Briand. Rowohlt Verlag, Berlin; (1930)<br />

Kleine Fanfare. Rowohlt Verlag, Berlin; (1932) Beschwerdebuch. Rowohlt Verlag, Berlin; (1937) Mozart.<br />

Sein Leben. Bermann-Fischer Verlag, Wien; (1940) Glückliche Reise. Bermann-Fischer Verlag,<br />

Stockholm; (1947) König Ludwig II. von Bayern und Richard Wagner. Querido Verlag, Amsterdam;<br />

(1953) Beschwerdebuch. Kiepenhauer & Witsch Verlag, Köln, Berlin; (1954) Blätter in den Wind. S. Fischer<br />

Verlag, Frankfurt a. M.; (1960) Memento. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M.; (1968) Daphne Herbst.<br />

In: Die Romane: Das Exemplar. Daphne Herbst. Die Schaukel. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M.; (1983)<br />

König Ludwig II. von Bayern u. Richard Wagner. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M.; (1984) Mozart. Sein<br />

Leben. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M; (1964) Zeitbilder 1907–1964. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.<br />

M.; (1987) Schubert. Sein Leben. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Kolb, Annette / Schickle, René (1987): Briefe im Exil 1933–1940. In Zusammenarbeit m. Heidemarie Gruppe,<br />

hrsg. v. Hans Bender. Die Mainzer Reihe, Band 65. Verlag Hase & Koehler, Mainz<br />

Lemp, Richard (1970): Annette Kolb. Leben und Werk einer Europäerin. Verlag Hase & Koehler, Mainz<br />

Mann, Katia (1994): Meine ungeschriebenen Memoiren. Fischer Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Saint-Gille, Anne-Marie (1993): Die Deutsch-Französin und die Politik. In: Bauschinger, Sigrid (Hrsg.)<br />

(1993): Ich habe etwas zu sagen. Annette Kolb 1870–1967: 44–49<br />

Spalek, John M. / Strelka, Joseph (Hrsg.) (1989): Deutschsprachige Exilliteratur. Seit 1933. Band 2. Verlag<br />

Francke, Bern<br />

Werner, Charlotte Marlo (2000): Annette Kolb. Biographie einer literarischen Stimme Europas. Ulrike Helmer<br />

Verlag, Königstein, Taunus<br />

143


Kollwitz, Käthe, Prof. Dr.<br />

*8.7.1867 Königsberg (heute Kaliningrad)<br />

†22.4.1945 Moritzburg, Landkreis Meißen<br />

„Meine Kunst ist keine Atelierkunst, sondern eine Kunst, die lebendige Wurzeln hat.“<br />

Käthe Kollwitz 298<br />

„So etwas von Stille um mich. – Das muß alles erlebt werden!“<br />

Käthe Kollwitz, November 1936 299<br />

Käthe Kollwitz, 1929<br />

Foto: Süddeutscher Verlag<br />

298 Pels-Leusden, Hans (Hrsg.) (o. J.): Käthe-Kollwitz-Museum Berlin<br />

144


I. Städtisches Käthe-Kollwitz-Gymnasium, Nymphenburg<br />

Nibelungenstraße 51a, 80639 München<br />

Rotkreuzplatz U1 und Romanplatz Tram 17<br />

M (1968)<br />

II. Kollwitzstraße, Milbertshofen<br />

M (1947)<br />

Zu I. Städtisches Käthe-Kollwitz-Gymnasium<br />

M (1968)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Der Initiator Oberstudiendirektor Hauenstein beantragte im Jahre 1967 die Namensänderung.<br />

Die offizielle Umbenennung der Schule, die bis dahin „Louise-Schröder-Gymnasium<br />

II“ hieß, erfolgte im Jahre 1968.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

In der Eingangshalle des Hauses A (Ostseite) befindet sich eine Kopie eines Selbstbildnisses<br />

von Käthe Kollwitz.<br />

SCHULINTERNE SCHRIFTEN<br />

Walter, Paul (Hrsg.) (1979): Käthe Kollwitz. Leben, Zeitumstände und Werk der Künstlerin.<br />

Hrsg. v. einer SMV-Arbeitsgruppe des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums München.<br />

Verlag Th. Kriesl, Geretsried<br />

Walter, Paul (Hrsg.) (1992): 25 Jahre Käthe-Kollwitz-Gymnasium 1967–1992. Jahresbericht<br />

1991/92. Festschrift zur Feier am 20./21./22. Oktober 1992. Hudak-Druck, München-Moosach<br />

SCHULVERANSTALTUNGEN<br />

Veranstaltungen, Jahresberichte, Ausstellungen, Gedenkreden und Aufsätze erinnern an<br />

Leben und Werk der Künstlerin.<br />

299 Fischer, Hannelore (1995). In: Lammert, Angela (Hrsg.) (1994): Ateliergemeinschaft Klosterstraße Berlin<br />

1933–1945: 8<br />

145


GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Käthe Kollwitz war das fünfte Kind von Carl und Katharina Schmidt, geborene Rupp. Der<br />

Vater hatte in Königsberg ein Maurergeschäft eröffnet, nachdem er seine juristische Laufbahn<br />

aufgeben musste, da er der verbotenen „Freien Gemeinde“ angehörte. Käthes künstlerische<br />

Begabung wurde von der Familie früh entdeckt und durch privaten Zeichenunterricht<br />

bei einem Königsberger Kupferstecher gefördert. Schon früh entwickelte sich ihre<br />

tiefe Sympathie für die Menschen, die Sujets in ihrem späteren umfangreichen Werk werden<br />

sollen. Mit Begeisterung verfolgte und beobachtete sie das lebhafte Treiben im Königsberger<br />

Hafengelände. Gemeinsam mit ihrer Mutter und Schwester unternahm sie Reisen,<br />

um die Kunst zu entdecken. In München fand ihre erste Begegnung mit Werken Alter<br />

Meister in der Alten Pinakothek statt. In dieser Zeit lernte sie den Schriftsteller Gerhard<br />

Hauptmann in Berlin kennen. Da sie als Mädchen die Kunstschule ihrer Heimatstadt nicht<br />

besuchen durfte, wechselte sie an die Berliner Künstlerinnenschule unter der Leitung des<br />

Schweizers Karl Stauffer-Bern und dessen Freund Max Klinger. Hier wird ihr Zeichentalent<br />

erkannt und gefördert. Bereits in diesen Jahren entstanden Arbeiten, die sich mit dem<br />

individuellen Leid der Armen befassten. In München setzte sie ihr Studium bei Ludwig<br />

Herterich (1856–1932) fort. In dieser Zeit (1888/87) wohnte sie in der Georgenstraße 8<br />

(heute 25). 300 Sie kam auf Wunsch ihres Vaters hierher, der die Heirat mit dem Medizinstudenten<br />

Karl Kollwitz verhindern wollte. In dieser Zeit wendete sie sich vor allem der<br />

Tonmalerei zu; Vorbilder waren die frühen Werke Wilhelm Leibls und Max Liebermanns.<br />

Unter ihren Studienkolleginnen fand Käthe Anerkennung mit einer Darstellung zum Thema<br />

„Kampf“. Über ihre Erfahrung in München berichtete sie: „Wieder hatte ich großes<br />

Glück mit dem Lehrer Ludwig Herterich. Er wies mich zwar nicht so konsequent auf die<br />

Zeichnung hin, sondern nahm mich in seine Malklasse auf. Das Leben, das mich umgab,<br />

war aufregend und beglückend. Ich las zufällig von Max Klinger die Broschüre „Malerei<br />

in der Zeichnung“. Da merkte ich: ich bin ja gar keine Malerin. Aber Herterich konnte<br />

die Augen ausgezeichnet schulen, ich habe in München wirklich sehen gelernt.“ 301<br />

Käthe kehrte nach Berlin zurück und verlobte sich mit ihrem Jugendfreund Karl Kollwitz,<br />

der in Berlin sein Praktikum als Arzt absolvierte. „Das Leben hatte dort, verglichen mit<br />

München, etwas Brausendes. Vielleicht wäre ich untergegangen in jenem Lebensstrudel,<br />

vielleicht hätte er furchtbar auf mich gewirkt. Jedenfalls im Jahr darauf, 1890, war ich wieder<br />

in Königsberg.“ 302 Hier widmete sie sich mit tiefer Sympathie der Darstellung von Menschen;<br />

sie zeichnete sie in Markthallen, Kellerlokalen, auf Straßen und bei der Arbeit. So war<br />

Käthe Kollwitz schon als junges Mädchen vom Sujet des arbeitenden Menschen fasziniert.<br />

300 Das Haus wurde am 13.7.1944 durch Bomben zerstört. In: StadtA Mü<br />

301 Krahmer, Catherine (1986): Käthe Kollwitz: 28<br />

302 Krahmer, Catherine (1986): Käthe Kollwitz: 28<br />

146


Später erklärte sie, warum sie künstlerische Darstellungen aus diesem Themenbereichen<br />

vorzog: „... weil die aus dieser Sphäre gewählten Motive mir einfach bedingungslos gaben,<br />

was ich als schön empfand. Schön war für mich der Königsberger Lastträger, schön waren<br />

die polnischen Jimkies auf ihren Witinnen, schön war die Großzügigkeit der Bewegung im<br />

Volke. Ohne jeden Reiz waren mir Menschen aus dem bürgerlichen Leben ... Dagegen einen<br />

großen Wurf hatte das Proletariat. Erst viel später ... erfaßte mich mit ganzer Stärke des<br />

Schicksal des Proletariats und aller seiner Nebenerscheinungen.“ 303<br />

Am 13. Juni 1891 heiratete sie nach siebenjähriger Verlobungszeit Karl Kollwitz und siedelte<br />

ganz nach Berlin über, wo ihr Mann im Stadtteil Prenzlauer Berg eine Arztpraxis eröffnete.<br />

In ihrer künstlerischen Arbeit wurde Käthe Kollwitz von ihrem Mann unterstützt. Oft begleitete<br />

sie ihren Mann, der als Armenarzt arbeitete. Das Elend, das sie sah, kam in ihren Kunstwerken<br />

zum Ausdruck. Ihr erster Sohn Hans wurde 1892 geboren, Sohn Peter kam 1896 zur<br />

Welt. Von 1900 bis 1903 wirkte sie als Lehrerin an der Berliner Künstlerinnenschule.<br />

In ihrem Werk widmete sich Käthe Kollwitz nun ganz der Graphik. Dabei entdeckte sie<br />

die kraftvolle Präsenz dieser bildnerischen Technik, die sie zu leidenschaftlicher Expressivität<br />

steigert. Nach dem Besuch der Uraufführung von Gerhard Hauptmanns Die Weber<br />

– das Stück handelt vom Aufstand der schlesischen Weber im Jahre 1844 – begann sie den<br />

Zyklus Ein Weberaufstand. Dieser Zyklus setzt Gefühl und Moral, Empörung und Appell<br />

in eine körperliche Sprache um. In der Aktfolge Not, Tod, Beratung, Weberzug und Sturm<br />

kamen die durch das soziale Elend mobilisierten letzten Kräfte der Arbeiterklasse zum<br />

Ausdruck. Ein geschichtliches Ereignis erhielt damit einen symbolhaften Bezug zur Gegenwart,<br />

da es nun auf die Klassenkampfsituation im kaiserlichen Deutschland anspielte.<br />

Mit diesem Werk, das erstmals auf der Großen Berliner Kunstausstellung gezeigt wurde,<br />

gelang ihr der künstlerische Durchbruch. Der Lohn, die Verleihung einer Medaille von der<br />

Berliner Akademie der Künste, wurde ihr vom Kaiser Wilhelm II. mit der Begründung<br />

verweigert: „Das käme ja einer Herabwürdigung jeder hohen Auszeichnung gleich. Orden<br />

und Auszeichnungen gehören auf die Brust verdienter Männer.“ 304<br />

In einem zweiten grafischen Werk Der Bauernkrieg-Zyklus beschäftigte sich Kollwitz mit<br />

dem Bauernkrieg. Diese in den Jahren 1902–1908 entstandenen großformatigen Radierungen<br />

zählen zweifellos zu ihren besten Werken.<br />

Als Mitglied der „Berliner Secession“ (deren Vorsitzender Max Liebermann war), einer<br />

Gegenströmung zum traditionellen Kunstbetrieb der Jahrhundertwende, traf Käthe Kollwitz<br />

mit jungen Künstlern zusammen. Ihre erste Studienreise (1904) führte sie nach Paris,<br />

um sich in der Bildhauerklasse der Akadémie Julian Grundkenntnisse im plastischen Ar-<br />

303 Kollwitz, Tagebücher: 741. In: Fischer, Hannelore (Hrsg.) (1995): Käthe Kollwitz: 35–36<br />

304 Kollwitz, Tagebücher: 738. Auch in: Fischer, Hannelore (Hrsg.) (1995): Käthe Kollwitz: 37<br />

147


eiten zu erwerben. Sie besuchte auch die berühmten Bildhauer Auguste Rodin und Théophile<br />

Alexandre Steinlein in ihren Ateliers. Vom März bis Juni 1907 unternahm sie durch<br />

den von Max Klinger gestifteten „Villa-Romana-Preis“ eine fünfmonatige Reise, die sie<br />

nach Florenz und Rom führte. Ihre Mitarbeit an der Wochenzeitschrift „Simplicissimus“<br />

(gegründet von dem Verleger Albert Langen; erschienen von 1896 bis 1944 in München)<br />

begann im Jahre 1907 und dauerte bis 1909. Sie schuf in dieser Zeit sozialkritische Blätter,<br />

dabei sind die Szenen genau erfasst und machten jeden Kommentar überflüssig. 305<br />

Ein einschneidendes Erlebnis im Leben von Käthe Kollwitz war der Tod ihres 18-jährigen<br />

Sohnes Peter, der als Kriegsfreiwilliger am 22. Oktober 1914 in Flandern fiel. Fünf Wochen<br />

danach fasste sie den Entschluss, ein Denkmal für ihn zu schaffen. 306 Ihre Tagebucheintragungen<br />

aus dieser Zeit zeigen, wie sich Käthe Kollwitz zur Kriegsgegnerin wandelte.<br />

Anlässlich ihres 50. Geburtstags ehrte sie der Philosoph Paul Cassirer mit einer großen<br />

Jubiläumsausstellung. Damit war Käthe Kollwitz berühmt. Die Preußische Akademie der<br />

Künste nahm sie im Jahre 1919 als erste Frau in der Akademie der Künste auf; einige Monate<br />

später erhielt sie den Professorentitel. Die damit verbundene finanzielle Sicherheit<br />

und ein eigenes Atelier in der Akademie entlasteten ihren Mann, der bisher für ihren Lebensunterhalt<br />

sorgte. Zwischen 1922 und 1923 schuf Kollwitz die erste Holzschnittfolge<br />

Krieg, die eine treffende Anklage gegen die Schrecken des Krieges darstellt.<br />

Das Denkmal für ihren Sohn Peter stellte Käthe Kollwitz Ende des Jahres 1931 fertig: es<br />

ist Symbol für die grenzenlose Trauer der Eltern und es ist zugleich ein vollendetes Meisterwerk.<br />

Es ist in Zusammenarbeit mit zwei Bildhauern entstanden: „Wir arbeiten einträchtig<br />

zusammen, der Bildhauer und ich. Er mit dem Meißel und ich immer noch am<br />

Gips, hier und dort, vor allem noch am Kopf“ (der Mutterfigur). 307 Die Steinfiguren kamen<br />

am 2. Juni 1932 in die Vorhalle der Nationalgalerie. Zwei kniende Plastiken, die in<br />

ihrer Haltung nichts anderes als Schmerz, Leid und Trauer in ungeheurer Intensität ausdrücken.<br />

In ihren Tagebuchaufzeichnungen vom 13. Oktober 1925 nahm sie die Gestaltung<br />

dieses in Stein gegossenen tiefen Gefühls vorweg: „Die Mutter soll knien und über<br />

die vielen Gräber blicken. Die Arme breitet sie aus über alle ihre Söhne. Der Vater auch<br />

kniend. Er hat die Hände in den Schoß zusammengepreßt.“ 308 Das Elterndenkmal kam im<br />

Juli 1932 nach Belgien und befindet sich dort seit 1955 am Eingang des Soldatenfriedhofs<br />

von Roggenvelde. 1954 entstanden unter Leitung des Bildhauers Ewald Mataré Kopien,<br />

die seit 1959 als Bronzeabguss in der Ruine der Kölner Sankt Alban-Kirche stehen.<br />

305 Krahmer, Catherine (1986): Käthe Kollwitz: 59<br />

306 Krahmer, Catherine (1986): Käthe Kollwitz: 76<br />

307 Bonus-Jeep, Beate (1948): Sechzig Jahre Freundschaft mit Käthe Kollwitz. In: Krahmer, Catherine<br />

(1986): Käthe Kollwitz: 77<br />

308 9 Krahmer, Catherine (1986): Käthe Kollwitz: 78<br />

148


Gemeinsam mit Albert Einstein, Heinrich Mann, Arnold Zweig und anderen beteiligte<br />

sich Käthe Kollwitz am 18. Juli 1932 angesichts der bevorstehenden Reichstagswahlen an<br />

einem Aufruf zur Einigung der KPD und SPD. Wenige Tage nach Hitlers Machtergreifung<br />

erhielt sie zusammen mit Heinrich Mann die Aufforderung, aus der Preußischen<br />

Akademie der Künste auszutreten. Für die neuen Machthaber gehörte Käthe Kollwitz wegen<br />

der Darstellung sozialer Missstände und wegen ihrer pazifistischen Einstellung zu den<br />

Gegnern. Die international angesehene Künstlerin, die sich auf der Seite der Friedensstifter<br />

befand, zwang man zur „inneren Emigration“. Gleichzeitig verlor sie ihr Amt als Leiterin<br />

der Meisterklasse Grafik an der Akademie und damit ihr Atelier. Ihre Werke entfernte<br />

man aus den öffentlichen Sammlungen. Die 66-jährige Künstlerin fand daraufhin im<br />

Atelierhaus Klosterstraße in Berlin Ersatz. Die geplante umfangreiche Retrospektive anlässlich<br />

ihres 70. Geburtstages im Jahre 1937 in der Berliner Galerie Nierendorf durfte wegen<br />

eines Ausstellungsverbotes – seit 1936 unterlag ihr Werk einer offiziellen Zensur –<br />

nicht stattfinden. Daraufhin schrieb sie an ihre Freundin Beate: „Da ich bereits meine<br />

Graphiken schön geordnet für Nierendorf ... zusammen hatte, hab ich sie jetzt in mein Atelier<br />

bringen lassen und hänge da die Wand voll. Ich liebe es sonst gar nicht, meine eigenen<br />

Arbeiten aufzuhängen, aber dies ergibt eine andere Art Ausstellung. Ein Überblick, wenn<br />

auch sehr lückenhaft über die vierzig Jahre meiner Arbeit.“ 309 In den Jahren 1934–1937<br />

schuf Kollwitz acht Lithographien der Folge Tod.<br />

In der am 19. Juli 1937 eröffneten Münchner Schandausstellung „Entartete Kunst“ war die<br />

1897 entstandene Lithographie von Käthe Kollwitz Not aus dem Zyklus Ein Weberaufstand<br />

ausgestellt. Aus mehreren Museen wurden ihre Holzschnitte und Radierungen beschlagnahmt<br />

– insgesamt 31 Arbeiten. Der Künstler Werner Heldt (1904–1954), der sie<br />

im Atelierhaus Klosterstraße kennen gelernt hatte, schrieb über eine Begegnung mit Käthe<br />

Kollwitz: „Man kann sich keine größere Schlichtheit, Stille, ja fast Schüchternheit vorstellen.<br />

Im Atelier von Hilde Plate feierten wir ihren 70. Geburtstag. Nachher führte sie<br />

uns in ihr Atelier und zeigte uns ihr jüngstes Werk. Man sah ein junges Weib kauern und<br />

mit schützender Gebärde ihre Kinder an sich drücken („Mutter mit Zwillingen“). Niemals<br />

habe ich einen Menschen gekannt, der, ohne selbst ein Wort zu sprechen, durch seine bloße<br />

Gegenwart einen solchen Eindruck machte. Das war das Wunder einer ganz großen<br />

Mütterlichkeit. Man mußte sie einfach liebhaben. Uns Jüngeren hat sie in den Zeiten der<br />

Unterdrückung Trost und Hoffnung gegeben, sie, die selber verfolgt und beleidigt wurde.“<br />

310<br />

309 Bonus-Jeep, Beate (1948): Sechzig Jahre Freundschaft mit Käthe Kollwitz. In: Lammert, Angela (Hrsg.)<br />

(1994): Ateliergemeinschaft Klosterstraße Berlin 1933–1945: 8<br />

310 Kollwitz, Käthe (1966): Briefe der Freundschaft: 186. In: Lammert, Angela (Hrsg.) (1994): Ateliergemeinschaft<br />

Klosterstraße Berlin 1933–1945: 210<br />

149


1938 erhielt sie von einer Klientin Frau Levy den Auftrag, ein Grabmal für ihren verstorbenen<br />

Mann zu schaffen. Für die jüdische Frau brachte sie ihr Mitgefühl zum Ausdruck:<br />

„Ich habe wiederholt an sie gedacht, liebe Frau Levy, nicht nur zur Grabstätte gingen die<br />

Gedanken, sondern zu Ihnen. Glauben Sie mir, wir litten alle gemeinsam tief. Schmerz und<br />

Scham fühlen wir. Und Empörung.“ 311<br />

Mit dem Künstler Ernst Barlach verband Kollwitz eine enge Freundschaft. Von ihm erhielt<br />

sie Anregungen zu eigenen Holzschnitten und bildhauerischen Arbeiten. Barlach<br />

(1870–1938) hat Käthe Kollwitz mit seiner schwebenden Figur im Güstrower Dom ein<br />

Denkmal gesetzt, diese trägt die Gesichtszüge der Künstlerin. Als Barlach im Oktober<br />

1938 starb, verfasste Käthe Kollwitz einen Nachruf: „... worauf der starke Eindruck beruht,<br />

den Barlachs Arbeiten von jeher auf mich machen, so glaube ich, ist es dies, wie er<br />

selbst einmal formuliert hat: ,es ist außen wie innen ... – Seine Arbeit ist außen wie innen,<br />

Form und Inhalt decken sich aufs genaueste.“ 312<br />

Ihr Ehemann, Dr. Karl Kollwitz, der aus gesundheitlichen Gründen seine Praxis aufgab,<br />

starb nach langer Krankheit am 19. Juli 1940. Käthe Kollwitz, 73-jährig, musste ihr Atelier<br />

in der Klosterstraße aufgeben und verlagerte es in ihre Wohnung in die Weißenburger Straße<br />

24 (heute Kollwitzstraße). Die Rekrutierung Minderjähriger zum „Volkssturm“ kommentierte<br />

die Künstlerin nun mit dem Werk Saatfrüchte sollen nicht zermalen werden. Wegen<br />

der immer häufigeren Bombenangriffe auf Berlin zog Käthe Kollwitz zur Bildhauerin Margret<br />

Böning nach Nordhausen. Die 78-jährige musste ihre Wohnung, in der sie über 50 Jahre<br />

gelebt hatte, verlassen. Eine Bombe zerstörte das Haus; viele Bilder und Druckwerke der<br />

Künstlerin wurden dabei vernichtet. Ein weiterer Umzug wurde im Juli 1944 nötig, da Nordhausen<br />

ebenfalls nicht mehr sicher schien. Durch Vermittlung des Prinzen Ernst Heinrich<br />

von Sachsen übersiedelte sie auf den „Rüdenhof“ in Moritzburg bei Dresden.<br />

Dort starb Käthe Kollwitz am 22. April 1945, 78-jährig. Vorerst wurde sie in Moritzburg<br />

beerdigt; später kam ihre Urne in das Familiengrab auf den Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfeld.<br />

Dort steht auf dem von ihr selbst geschaffenen Grabrelief, an dem sie seit 1935/<br />

36 gearbeitet hatte, das Goethe-Zitat: „Ruht im Frieden seiner Hände“. In ihrem Tagebuch<br />

schrieb Käthe Kollwitz: „Aus niedergedrückter Stimmung und dem Gefühl, doch<br />

nichts mehr zu sagen zu haben in meiner Arbeit, tauchte wieder der frühere Wunsch auf,<br />

ein Relief für unser Grab zu machen. Nun hab ich es begonnen. Ich bin eigentlich verwundert<br />

darüber, daß die Grabmalkunst so gar nicht gepflegt wird. Man bracht nur einmal<br />

anzufangen, sich damit beschäftigen, so strömen einem geradezu die Motive entgegen.“ 313<br />

311 Kollwitz, Käthe (1966): Briefe der Freundschaft: 86. In: Krahmer Catherine (1986): Käthe Kollwitz: 122<br />

312 Jansen, Elmar: Auguste Rodin: 52. In: Krahmer, Catherine (1986): Käthe Kollwitz: 123<br />

313 Krahmer, Catherine (1986): Käthe Kollwitz: 121<br />

150


Die große Spannweite des künstlerischen Schaffens von Käthe Kollwitz umfasste alle Facetten<br />

des menschlichen Seins und seiner steten Auseinandersetzung mit dem Leben. Dabei<br />

deutete sie nicht nur auf die dunklen Seiten des Lebens wie Not, Hunger, Krieg und<br />

Tod, sondern auch auf die kleinen Freuden menschlicher Zuneigung, der Hoffnung und<br />

menschlichen Glücks. Käthe Kollwitz hat sich selbstbewusst und mit intensiver Lebenskraft<br />

der Wirklichkeit gestellt. Ihr origineller Stil ist zeitlos und hat bis heute nichts von<br />

seiner Aussagekraft verloren.<br />

Die Schriftstellerin Ilse Reicke, die Käthe Kollwitz persönlich kannte, war von ihrer Person<br />

tief beeindruckt „wie ein Felsenhaupt inmitten flüchtiger, schillernder, plaudernder<br />

Wellen: so bedingungslos, wahrhaftig, so unerschütterlich in sich selbst ruhend, so echt,<br />

so stark, so ganz gelassene Kraft.“ 314<br />

Ehrungen<br />

1899 Kleine Goldene Medaille in Dresden<br />

1907 Villa-Romana-Preis<br />

1919 Erstes weibliches Mitglied der Preußischen Akademie der Künste,<br />

Professorentitel<br />

1929 Orden „Pour le mérite“<br />

1928–1933 Leiterin des Meisterateliers für Graphik an der Preußischen Akademie<br />

der Künste, Berlin<br />

Archiv, Gedenk- und Forschungsstätten<br />

Käthe-Kollwitz-Archiv der Berliner Akademie der Künste<br />

1995Gedenkstätte auf dem „Rüdenhof“ in Moritzburg<br />

Ausstellungen<br />

1926: Ausstellung in Moskau.<br />

1932: Ausstellung in Moskau und Leningrad anlässlich ihres 65. Geburtstages.<br />

1938: Exhibition of 20th Century German Art. Gezeigt in London.<br />

Oktober – November 1945: Käthe Kollwitz-Gedächtnisausstellung. Berlin.<br />

1946: Käthe Kollwitz zum Gedächtnis. Augustiner Museum in Freiburg im Breisgau.<br />

1952/53: Käthe Kollwitz. Gezeigt in der Staatlichen Graphischen Sammlung München.<br />

1953: Käthe Kollwitz – Zeichnungen, Graphik, Plastik. Gezeigt im Museum der Villa<br />

Stuck, München.<br />

314 Ilse Reicke, 1961 zitiert in: Krahmer, Catherine (1986): Käthe Kollwitz: 150<br />

151


1960: Käthe Kollwitz Graphik und Zeichnungen aus dem Dresdner<br />

Kupferstichkabinett. Gezeigt im Dresdner Albertinum.<br />

1967: Käthe Kollwitz zum 100. Geburtstag. Gezeigt im Haus der Kunst, München.<br />

1967: Käthe Kollwitz in ihrer Zeit. Ernst-Barlach-Haus Hamburg. „Die Zeichnerin<br />

Käthe Kollwitz.“ Gezeigt in den Graphischen Sammlungen der Staatsgalerie Stuttgart.<br />

1967/68: Käthe Kollwitz. Gezeigt in der Akademie der Künste, Berlin.<br />

1967/68: Käthe Kollwitz und Ernst Barlach. Gezeigt in London und New York.<br />

1969: Mostra di Käthe Kollwitz. Gezeigt in Venedig.<br />

1971/72: Käthe Kollwitz. Gezeigt in Tel Aviv und Jerusalem.<br />

1973: Käthe Kollwitz. Zeichnungen. Gezeigt im Wallraf-Richartz-Museum Köln.<br />

1973/74: Ausstellung Käthe Kollwitz. Gezeigt in Frankfurt a. M., Stuttgart und Berlin.<br />

1977: Käthe Kollwitz. Gezeigt im Museum der Villa Stuck, München.<br />

1985: Käthe Kollwitz-Sammlung der Kreissparkasse Köln. Köln.<br />

20. April – 18. Juni 1995: Käthe Kollwitz, Meisterwerke Zeichnung. Gezeigt im Käthe-<br />

Kollwitz-Museum, Köln.<br />

8. August – 31. Oktober 1999 : Käthe Kollwitz. Gezeigt im Olaf-Gulbransson-Museum<br />

Tegernsee.<br />

12. Mai – 8. Juli 2001: Paula Modersohn-Becker, Käthe Kollwitz. Zwei Künstlerinnen<br />

zu Beginn der Moderne. Gezeigt im Käthe Kollwitz Museum Köln.<br />

16. Juni – 12. August 2001: Käthe Kollwitz – Ernst Barlach. Begegnung. Gezeigt im<br />

Ernst-Barlach-Museum, Wedel.<br />

Museen<br />

Käthe-Kollwitz-Museum Berlin / Charlottenburg, Fasanenstraße 24 und<br />

Käthe-Kollwitz-Museum Köln, Neumarkt 18–24<br />

Denkmal in Berlin<br />

1993 schuf der Berliner Bildhauer Harald Haacke die vierfach vergrößerte Replik der Käthe<br />

Kollwitz Figur Pietá, 1937, Mutter mit totem Sohn für die Neue Wache in Berlin, die<br />

in die „Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg<br />

und Gewaltherrschaft“ integriert wurde.<br />

Literatur<br />

Bauer, Arnold (1967): Käthe Kollwitz. Berlin<br />

Bohnke-Kollwitz, Jutta (Hrsg.) (1989): Käthe Kollwitz. Die Tagebücher. Berlin<br />

Bohnke-Kollwitz, Jutta (Hrsg.) (1992): Käthe Kollwitz. Briefe an den Sohn 1904–1945. Berlin<br />

152


Bonus, Arthur (1925): Das Käthe-Kollwitz-Werk. Dresden. Erweiterte Ausgabe, 1930, Dresden<br />

Bonus-Jeep, Beate (1948): Sechzig Jahre Freundschaft mit Käthe Kollwitz. Darmstadt<br />

Dreimal Deutschland (1981): Lenbach, Liebermann, Kollwitz. Hamburg<br />

Fischer, Hannelore (Hrsg.) (1995): Käthe Kollwitz: Meisterwerke der Zeichnung. Käthe-Kollwitz-Museum<br />

Köln und DuMont Buchverlag, Köln<br />

Jentsch, Ralph (Hrsg.) (1979): Käthe Kollwitz, Radierungen – Lithographien – Holzschnitte. Eßlingen<br />

Käthe-Kollwitz-Gymnasium (Hrsg.) (1979): Käthe Kollwitz. Leben, Zeitumstände und Werk der Künstlerin.<br />

Hrsg. v. einer SMV-Arbeitsgruppe des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums München<br />

Käthe Kollwitz. In: Thieme, U. / Becker, F. (Hrsg.) (1927): Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler. Band<br />

21, Leipzig<br />

Kleberger, Ilse (1987): Käthe Kollwitz – Eine Gabe ist eine Aufgabe. München<br />

Kollwitz, Hans (Hrsg.) (1948): Käthe Kollwitz. Tagebücher und Briefe. Berlin<br />

Kollwitz, Hans (Hrsg.) (1968): Ich sah die Welt mit liebevollen Blicken. Ein Leben mit Selbstzeugnissen. Aus<br />

Tagebüchern. Wiesbaden<br />

Kollwitz, Käthe (1952): Ich will wirken in dieser Zeit. Auswahl von Tagebüchern und Briefen. Ullstein Verlag,<br />

München<br />

Kollwitz, Käthe (1955): Aus Tagebüchern und Briefen. Auswahl v. Horst Wandrey. Berlin<br />

Kollwitz, Käthe (1955): The Diary and Letters of Käthe Kollwitz. Chicago<br />

Kollwitz, Käthe (1966): Briefe der Freundschaft und Begegnungen. München<br />

Kollwitz, Käthe (1967): Briefe an Dr. Heinrich Becker. Bielefeld<br />

Kollwitz, Käthe (1989): Eine Gabe ist eine Aufgabe. Erika Klopp-Verlag, Berlin<br />

Kollwitz, Käthe (1992): Briefe an den Sohn. 1904-1945. Siedler Verlag, Berlin<br />

Kollwitz, Käthe (1992): Die Tagebücher. Siedler Verlag, Berlin<br />

Krahmer, Catherine (1981): Käthe Kollwitz. Rororo Bildmonographien, Band 294. Reinbek b. Hamburg<br />

Koerber, Lenka von (1959): Erlebtes mit Käthe Kollwitz. Darmstadt<br />

Lammert, Angela (Hrsg.) (1994): Ateliergemeinschaft Klosterstraße Berlin 1933–1945. Künstler in der Zeit des<br />

Nationalsozialismus. Edition Hentrich, Berlin<br />

Nagel, Otto (1964): Käthe Kollwitz. In: Frauen der ganzen Welt. Berlin DDR, Band 9: 28/29<br />

Nagel, Otto (1965): Die Selbstbildnisse der Käthe Kollwitz. Berlin<br />

Nagel, Otto / Timm, Werner (1972): Käthe Kollwitz. Die Handzeichnungen. Berlin<br />

Pels-Leusden, Hans (Hrsg.) (o. J.): Käthe-Kollwitz-Museum Berlin. Studio Pels-Leusden, Berlin<br />

Robels, Hella (1973): Käthe Kollwitz. Zeichnungen. Vorwort zum Katalog einer Ausstellung im Wallraf-<br />

Richartz-Museum Köln. Köln<br />

Schad, Martha (1998): Käthe Kollwitz. In: Schad, Martha (1998): Frauen, die die Welt bewegten. Pattloch Verlag,<br />

Augsburg: 126–129<br />

Schmidt-Linsenhoff, Victoria (1987): Käthe Kollwitz (1867–1945) „Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden“.<br />

Wider den Krieg. Große Pazifisten von Immanuel Kant bis Heinrich Böll. Hrsg. v. Christiane Rajewsky<br />

und Dieter Riesenberger. Beck´sche Reihe 322, München<br />

Schulz-Hoffmann, Carla (Hrsg.) (1977): Simplicissimus. Eine satirische Zeitschrift. München 1896–1944. Katalog<br />

zur Ausstellung im Haus der Kunst München v. 119.11.1977–15.1.1978. Karl Thiemig Verlag, München:<br />

283, 464<br />

Thieme, U. / Becker, F. (Hrsg.) (1927): Eintrag zu Käthe Kollwitz in: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler.<br />

Band 21, Leipzig<br />

Timm, Werner (1975): Zeichnungen von Käthe Kollwitz. In: Dialog 75. Positionen und Tendenzen. Berlin, DDR<br />

Timmer, Werner (Hrsg.) (1993): Käthe Kollwitz. Meisterwerke. Schirmer / Mosel, München<br />

153


154<br />

Kriegsgefangene<br />

„Rußland, den 11.1.43 Liebe Mutter! Leider kann ich Dir heute auch keine bessere<br />

Nachricht geben. Jetzt erst weiß ich, was Hunger ist und wie weh er tut. Schon Wochen<br />

lang muß ich am Tag mit 1½ Schnitten Brot und eimem halben Kochgeschirr Wassersuppe<br />

auskommen ... Keine Zeilen, keine Päckchen habe ich seit dem 18. Nov. ... mehr<br />

von Dir erhalten. Aber ich weiß, daß es nicht Deine Schuld ist, ich weiß auch, daß Du<br />

immer an mich denkst. Gut ist es, daß Du mich nicht in dem Elend siehst ... Im festen<br />

Glauben an eine baldige Änderung grüßt und küßt Dich Dein Sohn Hans.“<br />

Auszug aus einem Brief von der Ostfront. 315<br />

Mahnmal für die<br />

nicht zurückgekehrten<br />

Kriegsgefangenen<br />

Foto: H. Engelbrecht


Mahnmal<br />

Durchgang im Alten Rathaus, Altstadt<br />

Marienplatz S1–S8 und U3/U6<br />

M (1954)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Zur Erinnerung an die noch nicht zurückgekehrten Kriegsgefangenen Münchens initiierten<br />

die Stadträte ein Mahnmal, das am 10. Oktober 1954 von Oberbürgermeister Thomas<br />

Wimmer eingeweiht werden konnte.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Drei trauernde Frauengestalten sind auf einer Muschelkalkplatte (Blaubank) eingemeißelt.<br />

Die Inschrift lautet: „Wir warten auf die Heimkehr unserer Kriegsgefangenen. Ihre<br />

Leiden bleiben unvergessen. Stadt München.“<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Dieses Mahnmal schuf der Münchner Bildhauer Professor Franz-Josef Mikorey.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Der Münchner Oberbürgermeister Thomas Wimmer erinnerte bei der Einweihung des<br />

Mahnmals die Deutschen an ihre Verpflichtung, alles zu tun, um in der Zukunft solche<br />

„mörderischen Kriege“ zu vermeiden. 316<br />

LITERATUR<br />

„Abends, wenn wir essen, fehlt uns immer einer.“ (2000): Kinder schreiben an die Väter 1939–1945. Rowohlt<br />

Verlag, Berlin<br />

Dönhoff, Friedrich / Barenberg, Jasper (1998): Ich war bestimmt kein Held. Die Lebensgeschichte von Tönnies<br />

Hellmann. Rowohlt Verlag, Reinbek b. Hamburg<br />

Golovchansky, Anatoly / Osipov, Valentin / Prokopenko, Anatoly et al. (Hrsg.) (1993): „Ich will raus aus diesem<br />

Wahnsinn“. Deutsche Briefe von der Ostfront 1941–1945. Aus sowjetischen Archiven. Rowohlt Tb<br />

Verlag Nr. 9325, Reinbek b. Hamburg<br />

Hiemer, Alfred (1997): Zurück aus der Kriegsgefangenschaft. In: Münchner Nachkriegsjahre. Lesebuch zur<br />

Geschichte des Münchner Alltags. Geschichtswettbewerb 1995/96. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München.<br />

Buchendorfer Verlag, München: 161–166<br />

315 Die von der Roten Armee während des Zweiten Weltkrieges beschlagnahmten Briefe stammen aus sowjetischen<br />

Archiven. Zitiert nach Golovchansky, A. et al. (Hrsg.) (1993): „Ich will raus aus diesem Wahnsinn“:<br />

207–208<br />

316 Süddeutsche Zeitung Nr. 235 v. 11.10.1954. In: StadtA Mü ZA Denkmäler<br />

155


Hilger, Andreas (2000): Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion 1941–1956. Kriegsgefangenenpolitik,<br />

Lageralltag und Erinnerung. Klartext Verlag, Essen<br />

Kaminsky, Annette (Hrsg.) (2000): Heimkehr 1948. Geschichte und Schicksale deutscher Kriegsgefangener.<br />

C. H. Beck Verlag, München<br />

Kurz, Georg (1994): 3002 Tage Russland, Erinnerungen an meine Kriegs- und Gefangenenjahre. Gerhard<br />

Hess Verlag, Ulm-Kisslegg<br />

Lindenauer, Hans (1997): Wieder daheim. In: Münchner Nachkriegsjahre. Lesebuch zur Geschichte des<br />

Münchner Alltags. Geschichtswettbewerb 1995/95. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München. Buchendorfer<br />

Verlag, München: 148–150<br />

Overmann, Rüdiger (2000): Soldaten hinter Stacheldraht. Deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs.<br />

Propyläen Verlag, München<br />

Streit, Christian (1997): Die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen 1941–1945. J. H. W. Dietz Verlag,<br />

Bonn<br />

Streit, Christian (2000): Zweierlei Leid. Andreas Hilgers Studie über die deutschen Kriegsgefangenen in der<br />

Sowjetunion. In: Die Zeit Nr. 48 v. 23.11.2000: 70<br />

156


157<br />

KZ Ehrenhain I<br />

„Die Zeit der physischen und psychischen Anpassung an das Lager war besonders<br />

schwer. Die meisten Häftlinge starben während der ersten drei Monate.“<br />

Stanislav Zamecnik war vom 22. Februar 1941<br />

bis 29. April 1945 Häftling im KZ Dachau. 317<br />

Gedenkstein im KZ Ehrenhain I<br />

Foto: Andreas Olsen<br />

KZ Ehrenhain I<br />

Foto: Andreas Olsen<br />

317 (geb. 12.11.1922). Zitiert in: Benz, W. / Distel, B. (Hrsg.) (1988): Dachauer Hefte 4/1988: 129


KZ Ehrenhain I<br />

Friedhof Perlacher Forst, Gräberfeld 58–61, Giesing<br />

Stadelheimer Straße 240<br />

Schwanseestraße Tram 27<br />

SV (1950)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Die Landeshauptstadt München ließ nach dem Stadtratsbeschluss vom 7. Februar 1950<br />

eine Grabstätte für die circa 4000 in den Kellerräumen des Krematoriums Ostfriedhof vorgefundenen<br />

Urnen errichten. Am 10. September 1950 fand im Beisein von Vertretern der<br />

Staatsregierung und der Stadtverwaltung die Einweihung mit einer Ansprache des Münchner<br />

Oberbürgermeisters Thomas Wimmer statt.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

In der 2800 Quadratmeter großen, mit Linden bepflanzten Anlage sind 3996 Urnen bestattet.<br />

Kreuzförmig angelegte Wege laufen in der Mitte der Anlage auf einen Brunnen (2,5<br />

m × 4,3 m) zu, dessen Einfassung folgender Text ziert: „Den Toten zur Ehre, den Lebenden<br />

zur steten Mahnung. Anno MCML.“<br />

Auf dem Boden des Brunnens stellt ein Mosaik das Tor zum Jenseits mit dem Stern der<br />

Hoffnung dar.<br />

44 Gräberfelder, von dem jedes 90 Urnen enthält, sind mit Steinplatten (0,6 m × 0,6 m)<br />

versehen. Den Eingang zum Ehrenhain markiert ein Gedenkstein (0,43 m × 0,80 m × 0,52<br />

m), der folgende Auskunft gibt: „Hier ruhen 4092 Opfer nationalsozialistischer Willkür<br />

zur letzten Ruhe bestattet“.<br />

INFORMATION ÜBER DIE KÜNSTLER<br />

Der Ehrenhain ist unter der Leitung des Münchner Professors Karl Knappe in Zusammenarbeit<br />

mit den Architekten H. Grill und F. Fredrich vom Münchner Städtischen Baureferat<br />

Hochbau I entstanden.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Der Friedhof Perlacher Forst wurde am 1. Februar 1931 eröffnet. „Der Friedhof, der der<br />

größte Münchens ist, ist ordentlicher Begräbnisort für die Stadtteile rechts der Isar und<br />

für die Pfarreien St. Peter, Hl. Geist, St. Maximilian und St. Lukas.“ 318<br />

158


Die Asche der Toten stammt zumeist von Opfern aus dem Konzentrationslager Dachau,<br />

die in das Krematorium im Ostfriedhof gebracht wurden. Dazu kommen die Opfer, die im<br />

Zusammenhang mit der Euthanasie (siehe Band 1: Euthanasie) in den Tötungsanstalten<br />

Hartheim, Sonnenstein, Fürstenberg, Grafeneck und Steyr in den Gaskammern ermordet<br />

wurden. Unter den Toten sind Deutsche, Franzosen, Holländer, Österreicher, Polen, Russen<br />

und Tschechen. Ihre Bestattung fand im Jahre 1950 statt. Die Namensliste befindet<br />

sich im Archiv der Bayerischen Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen.<br />

Literatur<br />

Alt, Karl (1946): Todeskandidaten. Erlebnisse eines Seelsorgers. Neubau Verlag A. Groß, München<br />

Alt, Karl / Reuter, Werner (Hrsg.) (1994): Überschreiten von Grenzen. Strafgefängnis München-Stadelheim.<br />

Verlag Ökologie & Pädagogik, München<br />

Benz, Wolfgang / Distel, Barbara (Hrsg.): Dachauer Hefte. Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen<br />

Konzentrationslager. (1985) Heft 1, Die Befreiung; (1986) Heft 2, Sklavenarbeit im<br />

KZ Dachau; (1987) Heft 3, Frauen – Verfolgung und Widerstand; (1988) Heft 4, Medizin im NS-Staat –<br />

Täter, Opfer, Handlanger; (1989) Heft 5, Die vergessenen Lager; (1990) Heft 6, Erinnern oder Verweigern.<br />

Das schwierige Thema Nationalsozialismus; (1991) Heft 7, Solidarität und Widerstand; (1992) Heft<br />

8, Überleben und Spätfolgen; (1993) Heft 9, Die Verfolgung von Kindern und Jugendlichen; (1994) Heft<br />

10, Täter und Opfer; (1995) Heft 11, Orte der Erinnerung 1945–1995; (1996) Heft 12, Konzentrationslager:<br />

Lebenswelten und Umfeld; (1997) Heft 13, Gericht und Gerechtigkeit; (1998) Heft 14, Verfolgung<br />

als Gruppenschicksal; (1999) Heft 15, KZ-Außenlager. Geschichte und Erinnerung; (2000) Heft 16,<br />

Zwangsarbeit; (2001) Heft 17, Öffentlichkeit und das KZ. Was wusste die Bevölkerung; (2002) Heft 18,<br />

Terror und Kunst.<br />

Kupfer-Koberwitz, Edgar (1960): Die Mächtigen und die Hilflosen. Als Häftling in Dachau. 2 Bände. Stuttgart<br />

Kupfer-Koberwitz, Edgar (1997): Dachauer Tagebücher. Die Aufzeichnungen des Häftlings 24814. Kindler<br />

Verlag, München<br />

Richardi, Hans-Günther (1983): Schule der Gewalt. Das Konzentrationslager Dachau 1933–1945. C. H. Beck<br />

Verlag, München<br />

Rost, Nico (1981): Goethe in Dachau. Hamburg<br />

Rovan, Joseph (1989): Geschichten aus Dachau. Stuttgart<br />

Sigel, Robert (1992): Im Interesse der Gerechtigkeit. Die Dachauer Kriegsverbrecherprozesse 1945–1948.<br />

Frankfurt a. M.<br />

318 Münchner Post Nr. 24 v. 30.1.1931: 6<br />

159


160<br />

KZ Ehrenhain II<br />

„Ich bin ganz ruhig. Ich bin zum Tode verurteilt, ich muss sterben, aber ich habe alles<br />

getan, was ich tun musste, vor allem die Spuren meiner Arbeit verwischt. Lebt wohl,<br />

meine lieben Freunde und Kameraden! Leb wohl, jüdisches Volk! Lasst nicht zu, dass<br />

solch eine Katastrophe je wieder geschieht!“<br />

Gela Seksztajn am 1. August 1942. Künstlerin, circa 33 Jahre alt, geboren in Warschau. 319<br />

Gedenkstein der Grabanlage für<br />

politische Opfer (KZ Ehrenhain II)<br />

Foto: Andreas Olsen


KZ Ehrenhain II<br />

Friedhof Perlacher Forst, Gräberfeld 77, Giesing<br />

Stadelheimer Straße 240<br />

Schwanseestraße Tram 27<br />

SV (1954)<br />

SV (1996)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Der Münchner Oberbürgermeister Karl Scharnagl sprach sich anlässlich einer Gedenkveranstaltung<br />

zum Volkstrauertag 1945 für die Errichtung einer Grabanlage für die im Strafgefängnis<br />

München-Stadelheim Hingerichteten aus. Nach dem Münchner Stadtratsbeschluss<br />

vom 22. Juni 1954 entstand diese Grabstätte für politische Opfer, die aus Reihengräbern<br />

umgebettet wurden. Die Namensliste befindet sich im Archiv der Bayerischen<br />

Verwaltung Staatlicher Schlösser, Gärten und Seen.<br />

Die Beisetzung der Opfer fand im Jahre 1954 statt. Die Grabstätte erhielt die Bezeichnung<br />

KZ Ehrenhain II, sie befindet sich in unmittelbarer Nähe zum KZ Ehrenhain I (siehe Band<br />

2: KZ-Ehrenhain).<br />

Die Gedenktafeln und das einem Sarkophag ähnelnde Grabmal in der Mitte der Anlage<br />

entstanden auf Initiative von Dr. Marie Luise Schultze-Jahn; sie war eine Vertraute des<br />

Widerstandskämpfers Hans Leipelt (siehe Band 2: Leipelt), der hier begraben liegt. Die<br />

Einweihung fand am 18. Juli 1996 statt.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Die von einer Hecke begrenzte Grabanlage (1575m²) mit 93 Reihengräbern ist in der Mitte<br />

durch einen Betonquader (2,67 m × 0,60 m × 0,28 m) gekennzeichnet. Auf diesem sind<br />

vier Stahlplatten (0,3 m × 0,42 m) mit eingraviertem Text angebracht: „Hier ruhen 94 Opfer<br />

der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, sie wurden aus politischen Gründen in<br />

der Zeit zwischen 1942–1945 im Gefängnis Stadelheim ermordet.“ (1. Platte)<br />

Es folgen zwei Tafeln mit den Namen der Opfer.<br />

„Viele von ihnen waren Mitglieder von Widerstandsgruppen. Hans C. Leipelt gehörte zum<br />

studentischen Widerstandskreis „Weiße Rose“ und wurde am 29. Januar 1945 enthauptet.“<br />

(4. Platte)<br />

319 Das Dokument, gefunden in den Geheimarchiven des Warschauer Ghetto, ist in jiddischer Sprache abgefasst.<br />

Zitiert nach: Malvezzi, Piero / Pirelli, Giovanni (Hrsg.) (1955): Letzte Briefe zum Tode Verurteilter<br />

aus dem europäischen Widerstand: 467<br />

161


INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Den Gedenkstein gestaltete der Architekt Ulrich Hartmann von der Bayerischen Verwaltung<br />

Staatlicher Schlösser, Gärten und Seen.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Die meist aus politischen Gründen im Gefängnis München-Stadelheim Hingerichteten<br />

waren Gegner des Nationalsozialismus, die sich z. T. in Widerstandsgruppen organisierten.<br />

Sie wurden von der NS-Justiz wegen „Hochverrat“, „Landesverrat“, „Feindbegünstigung“<br />

und „Rundfunkverbrechen“ 320 zum Tode verurteilt. Unter ihnen befanden sich in<br />

der Mehrzahl Tschechen, etliche Deutsche, Österreicher und Polen. 321<br />

Die Situation in der Tschechoslowakei<br />

Nach der militärischen Besetzung von Böhmen, Mähren und Tschechisch-Schlesien erhielt<br />

das neu errichtete Protektorat Böhmen und Mähren einen Reichsprotektor (März<br />

1939). Nach dem Muster Deutschlands traten die allgemeinen NS-Gesetze und die so genannten<br />

„Rassen-Gesetze“ in Kraft. Zur gleichen Zeit, zwischen März und April 1939,<br />

formierte sich eine tschechische Geheimtruppe. Im folgenden Jahr entstanden die Widerstandsorganisationen<br />

der Tschechischen Kommunistischen Partei und ein Zentralkomitee<br />

des inneren Widerstandes. Nach dem Attentat tschechischer Patrioten auf den Reichsprotektor<br />

Reinhard Heydrich vollzog das NS-Regime schreckliche Vergeltungsmaßnahmen.<br />

Bereits in der ersten Woche danach fand die Aburteilung und Hinrichtung von 1800 „Politischen“<br />

statt. 322 Die Zivilbevölkerung wurde ebenfalls in die Vergeltungsmaßnahmen<br />

einbezogen, da die Gestapo vermutete, dass die Attentäter in dem Dorf Lidice Unterschlupf<br />

gefunden hätten. Das Dorf ist zerstört worden, 184 Männer und 7 Frauen fanden<br />

durch Erschießen den Tod. 203 Frauen und 104 Waisenkinder kamen in das Konzentrationslager<br />

Theresienstadt. 323<br />

320 Bezeichnung für das Abhören ausländischer Sender. Beispiel: der englische Sender BBC übertrug seit<br />

April 1939 täglich deutschsprachige Programme.<br />

321 Namensliste ist bei der Bayerischen Verwaltung Staatlicher Schlösser, Gärten und Seen (Schloss Nymphenburg<br />

16, 80638 München) einsehbar.<br />

322 Malvezzi, Piero / Pirelli, Giovanni (Hrsg.) (1955): Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen<br />

Widerstand: 487<br />

323 Malvezzi, Piero / Pirelli, Giovanni (Hrsg.) (1955): Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen<br />

Widerstand: 487<br />

162


Einzelne Schicksale:<br />

Famfulk, Frantisek<br />

*28.9.1912 Litomysl (Mähren) †28.9.1944 München-Stadelheim<br />

Frantisek Famfulk, von Beruf Maler, war während der Besetzung durch deutsche Truppen<br />

seit März 1939 in einer kommunistischen Untergrundorganisation aktiv. Nach seiner Verhaftung<br />

am 20. April 1944 kam er vom Gefängnis Pardubice, Prag über Theresienstadt<br />

nach München, wo er am 26. September 1944 verurteilt und hingerichtet wurde. 324 Ein<br />

Auszug aus seinem letzten Brief an seine Frau und sein Kind:<br />

„München-Stadelheim, den 26.9.1944<br />

Meine geliebte Anicka und mein lieber Stanicek!<br />

In den letzten Augenblicken meines Lebens nehme ich Abschied von Euch, und dabei<br />

strömt mir das Herz über von einer Liebe, die ich Euch oft verschwiegen habe, die aber<br />

immer gross war, wie die Liebe eines Arbeiters zu seiner lieben Familie sein soll.“ 325<br />

Dolak, Jaroslav<br />

*24.5.1910 †31.8.1942 München-Stadelheim<br />

Jaroslav Dolak, von Beruf Buchdrucker, war seit seiner Jugend Mitglied der tschechoslowakischen<br />

kommunistischen Partei. Nach der Besetzung durch deutsche Truppen wirkte<br />

er im Geheimen für seine Partei tätig. Am 31. Mai 1940 wurde er verhaftet und kam in das<br />

Prager Gefängnis „Pankrac“, später nach Theresienstadt, München und Berlin. Von dort<br />

überführte man ihn nach München-Stadelheim, wo er am 31. August 1942 mit zwölf weiteren<br />

Gruppenmitgliedern hingerichtet wurde. 326<br />

Der 32-Jährige nahm mit folgenden Worten von seiner Frau Abschied: „ ,Sei glücklich in<br />

deinem Leben und ruhig in deinen Träumen, vergiss alles, mein Kind, denn den Himmel<br />

gibt es nicht, und die Hölle gibt es nicht, und auf der Erde werden wir uns nicht wiedersehen.´<br />

Ich kann keine besseren Worte finden als diese Dichterworte. Ich küsse dich, ich<br />

küsse dich, meine tapfere, kluge Frau. Dein Jaroslav Dolak.“ 327<br />

324 Malvezzi, Piero / Pirelli, Giovanni (Hrsg.) (1955): Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen<br />

Widerstand: 520<br />

325 Malvezzi, Piero / Pirelli, Giovanni (Hrsg.) (1955): Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen<br />

Widerstand: 520<br />

326 Malvezzi, Piero / Pirelli, Giovanni (Hrsg.) (1955): Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen<br />

Widerstand: 495<br />

327 Malvezzi, Piero / Pirelli, Giovanni (Hrsg.) (1955): Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen<br />

Widerstand: 496<br />

163


Hartwimmer, Hans und Olschewski, Wilhelm und Willi<br />

*31.7.1902 Braunschweig †31.10.1944 München-Stadelheim<br />

Hartwimmer war als 20-jähriger dem reaktionären Freikorps- und Wehrverband „Bund<br />

Oberland“ beigetreten, der die Weimarer Republik bekämpfte. Später setzte er sich von<br />

den rechts-orientierten Parteien ab und engagierte sich in der KPD. Das Programm der damaligen<br />

KPD war eine „Nationale und soziale Befreiung des deutschen Volkes.“ Seit<br />

1931 engagierte sich Hartwimmer aktiv in dem Arbeitskreis der Widerstandsgruppe um<br />

Beppo Römer, der die Zeitschrift „Aufbruch“ herausbrachte. Nach seiner erstmaligen<br />

Verhaftung lautete die Anklage vom 15. April 1935 „Vorbereitung zum Hochverrat“.<br />

Hartwimmer wurde wegen mangelnder Beweise freigesprochen, kam aber bis Ende 1937<br />

in das KZ Dachau. Nach seiner Haftentlassung nahm er Kontakt zum Kreis um Olschewski<br />

(siehe Band 2: Olschewski), einem KPD-Funktionär, auf. Die kommunistische<br />

Untergrundorganisation in Berlin um Robert Uhrig (1903–1944) und Beppo Römer<br />

(1892–1944) nahm Verbindung mit der Münchner Gruppe auf, um Ziele und Vorgehensweisen<br />

wie Flugblattaktionen und Sabotageakte zu koordinieren.<br />

Die Hartwimmer/Olschewski-Gruppe erhoffte sich von gezielten Sabotageakten – Waffen-<br />

und Sprengstofflager waren vorhanden – im Bereich der Rohstoff- und Energieversorgung<br />

eine erhebliche Schwächung der Wirtschafts- und Rüstungskapazität der Machthaber.<br />

Das Ziel war der Umsturz mit einem darauf folgenden kommunistischen Staat auf<br />

nationaler Grundlage. 328 Anfang 1942 hatte die Gruppe eine so genannte Generallinie für<br />

das ganze Reich erarbeitet mit dem Ziel, durch Zusammenarbeit von Bürgertum, Wirtschaft<br />

und Militär den Sturz des NS-Regimes herbeizuführen.<br />

Auflösung, Verhaftung, Prozesse<br />

Im Februar 1942 gelang es der Gestapo die Berliner Uhrig-Gruppe und die Münchner<br />

Hartwimmer/Olschewski-Gruppe aufzudecken. Am 18. April 1943 wurde Hans Hartwimmer<br />

vor dem Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung fand am 31. Oktober<br />

1944 im Strafgefängnis München-Stadelheim statt. Der Sohn von Wilhelm Olschewski<br />

wurde zwei Tage später zum Tode verurteilt. Hartwimmers Grabstätte befindet sich im KZ<br />

Ehrenhain für politische Opfer, Sektion 65.<br />

Reisinger, Johann (Hans)<br />

*8.2.1897 Oberschleißheim †30.10.1944 München-Stadelheim<br />

In München hatte Johann Reisinger als gelernter Maschinenschlosser eine Stelle als Museumswärter<br />

im Deutschen Museum. Dort lernte er Simon Hutzler (1889–1943) kennen,<br />

328 Bretschneider, Heike (1968): Widerstand gegen den Nationalsozialismus in München 1933–1945: 81<br />

164


der zur kommunistischen Widerstandsgruppe Hartwimmer/Olschewski (siehe Band 2: Olschewski)<br />

gehörte. Wegen Verbreitung kommunistischer Schriften war Hans Reisinger in<br />

den Jahren 1934, 1936 und 1943 angeklagt. Vom 29. April 1936 bis 24. November 1938<br />

war er im KZ Dachau inhaftiert. 329 Nach der Entdeckung der Berliner Uhrig-Gruppe, die<br />

seit 1940 mit der Münchner Hartwimmer/Olschewski-Gruppe Kontakt pflegte, kam es zur<br />

wiederholten Festnahme von Hans Reisinger. Der Prozess vor dem Volksgerichtshof am<br />

30. April 1944 endete mit dem Todesurteil wegen „Hochverrats“ für Reisinger, das am 30.<br />

Oktober 1944 in München-Stadelheim vollstreckt wurde.<br />

Ausstellung<br />

9. Oktober – 26. November 1998: Widerstand, Verweigerung und Protest gegen das<br />

NS-Regime in München. Gezeigt vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München in<br />

der Ausstellungshalle im Neuen Rathaus.<br />

Literatur<br />

Alt, Karl (1946): Todeskandidaten. Erlebnisse eines Seelsorgers. Neubau Verlag, A. Groß, München<br />

Alt, Karl / Reuter, Werner (Hrsg.) (1994): Überschreiten von Grenzen. Strafgefängnis München-Stadelheim.<br />

Verlag Ökologie & Pädagogik, München<br />

Bretschneider, Heike (1968): Widerstand gegen den Nationalsozialismus in München 1933–1945. Miscellanea<br />

Bavarica Monacensia, Band 4. München<br />

Detjen, Marion (1998): „Zum Staatsfeind ernannt ...“. Widerstand, Resistenz und Verweigerung gegen das<br />

NS-Regime in München. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München. Buchendorfer Verlag, München<br />

Deutsche Kommunistische Partei München (Hrsg.) (1998): Die wieder gefundene Liste. Porträts von Münchner<br />

Kommunistinnen und Kommunisten, die im antifaschistischen Widerstandskampf ihr Leben ließen.<br />

Entdeckt von Resi Huber. Verlag Otto Barck, München<br />

Gritschneder, Otto (1998): Furchtbare Richter. Verbrecherische Todesurteile deutscher Kriegsgerichte. Verlag<br />

C. H. Beck, München<br />

Letzte Briefe tschechoslowakischer Widerstandskämpfer (1950). Dietz Verlag, Berlin<br />

Malvezzi, Piero / Pirelli, Giovanni (Hrsg.) (1955): Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen<br />

Widerstand. „Und die Flamme soll euch nicht versengen“. Mit einem Vorwort von Thomas Mann. Steinberg-Verlag,<br />

Zürich<br />

Schlüter, Holger (1995): Die Urteilspraxis des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs. Berlin<br />

Schreibmayr, Erich (1989): Wer? Wann? Wo? Persönlichkeiten in Münchner Friedhöfen. Verlag Erich<br />

Schreibmayr, München<br />

Stuiber, Irene (1999): Die internationale Dimension des Terrors. Spuren von Widerstand und Verfolgung auf<br />

dem Münchner Friedhof am Perlacher Forst. Unveröffentlichtes Manuskript<br />

Wagner, Walter (1974): Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat. Stuttgart<br />

329 In: Deutsche Kommunistische Partei München (Hrsg.) (1998): Die wieder gefundene Liste: 82<br />

165


166<br />

Leipelt, Hans<br />

*21.7.1921 Wien<br />

†29.1.1945 München-Stadelheim<br />

„Hans hat die Folgen der Nürnberger Gesetze für seine Familie als persönliche Verletzung<br />

und Entwürdigung empfunden. Deshalb haßte er die Nationalsozialisten, das trieb<br />

ihn in den Widerstand.“<br />

Marie-Luise Jahn 330<br />

Hans Leipelt<br />

Fotos: Dr. M.-.L. Schultze-Jahn, Archiv<br />

330 Schultze-Jahn, Marie-Luise (1991): Hans Leipelt – ein Kapitel Münchner Hochschule im Nationalsozialismus:<br />

67–68


I. Grabstätte Friedhof Perlacher Forst 85/118, Giesing<br />

SV (1945)<br />

Schwanseestraße Tram 27<br />

II. Gedenktafel im Lichthof der Universität, II. Stock, „Weiße Rose“<br />

Universität U3/U6<br />

M u. LMU (1946)<br />

III. Mahnmal im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität, Schwabing,<br />

„Weiße Rose“<br />

Universität U3/U6<br />

M u. LMU (1958)<br />

IV. Hans-Leipelt-Straße, Studentenstadt, Freimann<br />

M (1963)<br />

V. Bodendenkmal am Haupteingang der Ludwig-Maximilians-Universität, Schwabing,<br />

„Weiße Rose“<br />

Universität U3/U6<br />

M (1988)<br />

VI. Gedenktafel, Justizpalast, „Weiße Rose“<br />

Prielmayerstraße 7<br />

Karlsplatz/Stachus S1–S8 und Tram 19/20/27<br />

M (1993)<br />

VII. Grabtafel, KZ Ehrenhain II, Friedhof Perlacher Forst 85/118, Giesing<br />

Schwanseestraße Tram 27<br />

SV 1996<br />

167


VIII. Denkraum in der Ludwig-Maximilians-Universität, „Weiße Rose“<br />

Universität U3/U6<br />

M, LMU u. Weiße Rose Stiftung (1997)<br />

IX. Hans-Leipelt-Seminarraum<br />

KM (1999)<br />

Pharmazeutisches Institut der Ludwig-Maximilians-Universität, Großhadern (Butenandtstraße)<br />

Zu VII. Grabtafel, KZ Ehrenhain II, Friedhof Perlacher Forst 85/118, Giesing<br />

SV (1996)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Auf Initiative von Dr. Marie-Luise Schultze-Jahn, einer ehemaligen Studienkollegin von<br />

Hans Leipelt, wurde auf dem Denkmal für politische Opfer im KZ Ehrenhain II des Friedhofs<br />

am Perlacher Forst im Jahre 1996 eine Grabtafel angebracht.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Auf einem Betonsockel (2,67 m × 0,6 m × 0,28 m) mit Sarkophag-Habitus sind die Namen<br />

von 93 Opfern auf Stahlplatten eingraviert. Eine dieser Platten (30 cm × 42 cm) trägt folgende<br />

Inschrift:<br />

„Viele von ihnen waren Mitglieder von Widerstandsgruppen.<br />

Hans Leipelt gehörte zum studentischen Widerstandskreis ,Weiße Rose´ und wurde am 29.<br />

Januar 1945 enthauptet.“<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Hans Leipelt wurde in Wien geboren. Seine Mutter, Dr. Katharina Leipelt (geb. Baron)<br />

stammte aus einer österreichisch-böhmischen, jüdischen Familie und war promovierte<br />

Chemikerin. Der Vater, Diplom-Ingenieur Conrad Leipelt, kam aus Schlesien. Die Familie<br />

siedelte nach Hamburg-Wilhelmsburg über, wo Conrad Leipelt in einem bedeutenden<br />

Unternehmen eine leitende Stellung übernahm. Hans Leipelt wuchs zusammen mit seiner<br />

vier Jahre jüngeren Schwester Maria in einem Elternhaus auf, das besonders durch seine<br />

„hochintelligente, äußerst liebenswerte und sehr musikalische“ 331 Mutter geprägt war.<br />

168


Die zu Hause gepflegte Offenheit wurde Hans schon früh zum Verhängnis: wegen einer<br />

kritischen Äußerung musste er 1935 die Schule wechseln. Der 17-jährige Leipelt absolvierte<br />

schon im Frühjahr 1938 die Matura. Nach der freiwilligen Teilnahme am Reichsarbeitsdienst<br />

erhielt er für seinen Einsatz am Bau des Westwalls ein Ehrenabzeichen. Nach<br />

der Einberufung in die Wehrmacht wurde er an der Front in Frankreich und Polen eingesetzt.<br />

Für seine Tapferkeit bekam er wiederum Auszeichnungen, so das Eiserne Kreuz 2.<br />

Klasse und das Panzerkampfabzeichen in Bronze. 332<br />

Zu den Leidtragenden der „1. Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zum Schutze des<br />

Deutschen Blutes und der Deutschen Ehre vom 14. November 1935“ gehörte die Familie<br />

Leipelt. Die Mutter wurde zur „Privilegierten Volljüdin“, Hans und Maria zu „Mischlingen<br />

1. Grades“ erklärt. Bei der Einverleibung Österreichs durch das Deutsche Reich im<br />

März 1938 nahm sich Leipelts jüdischer Onkel das Leben. Seine Großeltern flohen in die<br />

Tschechoslowakei. Nach dem Tod des Großvaters holte Conrad Leipelt die Großmutter<br />

nach Hamburg-Wilhelmsburg, weil er sie dort sicherer wähnte. 333<br />

Auf Grund des geheimen Führererlasses vom August 1940 wurde Hans Leipelt als „Halbjude“<br />

aus der Wehrmacht entlassen. Weitere Schwierigkeiten brachte die Immatrikulation<br />

für das Chemiestudium an der Hamburger Universität mit sich, da bereits die Zulassung<br />

so genannter „jüdischer Mischlinge“ durch Erlass vom 5. Januar 1940 verboten war. Wohl<br />

durch Vermittlung seines Vaters konnte er in Hamburg sein Studium beginnen. Hier traf<br />

er auf Gleichgesinnte, die das nationalsozialistische Regime ablehnten. „Zu ihnen gehörten<br />

Karl Ludwig Schneider (Absolvent der Lichtwark-Schule), Heinz Kucharski (Student<br />

der Philosophie, Ethnologie und Orientalistik), seine Freundin, die Medizinstudentin<br />

Margaretha Rothe (Universitätsklinik Eppendorf), die Musikstudentin Dorle Zill sowie<br />

der Philologiestudent Howard Beinhoff.“ 334 Wegen der sich verschlechternden Studienbedingungen<br />

in Hamburg setzte er mit Beginn des Wintersemesters 1940/41 sein Chemiestudium<br />

in München fort. Er fand Aufnahme bei Professor Heinrich Wieland (Nachfolger<br />

des freiwillig aus dem Amt geschiedenen Richard Willstätter (siehe Band 3: Willstätter),<br />

der in seinem Institut etwa einem Dutzend „Halbjuden“ das Studium ermöglichte. „Die<br />

Gäste des Geheimrates bekamen ihre abgelegten Examina mit dem Zusatz schriftlich bescheinigt,<br />

,man werde das später regeln.´“ 335 Wieland nahm sich vor, „irgend etwas dagegen<br />

zu unternehmen, etwas, das er auch die ganze Zeit durchhalten könnte. Da sei ihm<br />

331 Möller, Klaus (1986): Hans Leipelt und die Weiße Rose: 4<br />

332 Möller, Klaus (1986): Hans Leipelt und die Weiße Rose: 5<br />

333 Möller, Klaus (1986): Hans Leipelt und die Weiße Rose: 5<br />

334 Möller, Klaus (1986): Hans Leipelt und die Weiße Rose: 5<br />

335 Freise, Gerda (1988): Der Nobelpreisträger Heinrich Wieland. In: Schultze-Jahn, M.-L. (1994): Hans<br />

Leipelt: 3<br />

169


eben dies eingefallen: Den Antisemitismus und später die Nürnberger Gesetze einfach zu<br />

ignorieren.“ 336<br />

Hans Leipelts Familie erfuhr weiteres Leid: Seine jüngere Schwester Maria musste 1942<br />

die öffentliche Schule verlassen. Am 19. Juli 1942 wurde seine 76-jährige Großmutter<br />

nach Theresienstadt deportiert; sie starb dort nach kurzer Zeit. Als im gleichen Jahr sein<br />

„arischer“ Vater starb, verlor die Familie ihren letzten juristischen Schutz. „Mit ungeheurer<br />

Willenskraft, die ständige Aktivität bedeutete, hat Hans Leipelt versucht, sein schweres<br />

Schicksal zu ertragen.“ 337 In dieser aussichtslosen Lage wandte sich seine Mutter an einen<br />

Schweizer Kommilitonen ihres Sohnes, der ihr helfen sollte, ihre 15-jährige Tochter ins<br />

Ausland zu bringen. 338 Am Chemischen Institut von Professor Wieland schloss sich Leipelt<br />

inzwischen einem Freundeskreis an, zu dem Marie-Luise Jahn, Wolfgang Erlenbach,<br />

Valentin Freise, Liselotte Dreyfeldt, Ernst Holzer und Miriam David gehörten. Sie propagierten<br />

unzensierte Literatur, Kunst und Musik. Leipelt hörte ausländische Sender und gab<br />

die Informationen weiter. Einige Tage nach der Hinrichtung der Geschwister Scholl (siehe<br />

Band 1: Geschwister Scholl) und Christoph Probst (siehe Band 2: Probst) hielt er das<br />

sechste Flugblatt in den Händen, das er gemeinsam mit seiner Vertrauten Marie-Luise<br />

Jahn vervielfältigte und unter dem Titel „Und ihr Geist lebt trotzdem weiter“ verbreitete.<br />

Zu Ostern 1943 brachten sie das Flugblatt nach Hamburg, wo es seine Freunde weiter verteilten.<br />

Sie planten auch Sabotageaktionen. „In München erfuhren wir von einem Institutsangestellten,<br />

daß die Angehörigen von Prof. Kurt Huber .... keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente<br />

haben. So veranstalteten wir eine Sammelaktion unter Münchner und<br />

Hamburger Freunden. Den Erlös konnten wir der Familie von Prof. Huber anonym zukommen<br />

lassen. Durch Denunziation erhielt die Gestapo Kunde von dieser Sammelaktion.“<br />

339<br />

Hans Leipelt wurde am 8. Oktober 1943 gefasst, Marie-Luise Jahn zehn Tage später; seine<br />

Hamburger und Münchner Freunde (circa 40 Personen) in den darauf folgenden Monaten.<br />

Seine Schwester wurde am 9. November 1943 in Haft gesetzt, die jüdische Mutter festgenommen.<br />

Dr. Katharina Leipelt starb unter noch ungeklärten Umständen im Gestapogefängnis<br />

Fuhlsbüttel. Der Prozess gegen Leipelt und seine Münchner Mitangeklagten fand<br />

am 13. Oktober 1944 vor dem Zweiten Senat des VGH in Donauwörth statt. Dieser tagte<br />

in der Kleinstadt Donauwörth, um einerseits Schutz vor den massiven alliierten Bombenangriffen<br />

auf München zu haben, und andererseits zu verschleiern, dass die „Weiße Rose“<br />

336 Chemiker im Gespräch: Erinnerungen an Heinrich Wieland. In: Chemie in unserer Zeit. Jg. 11 (1977) Nr.<br />

5: 144. Auch in: Vieregg, Hildegard (1993): Wächst Gras darüber?: 208.<br />

337 Möller, Klaus (1988): Hans Leipelt und die Weiße Rose: 8<br />

338 Forster, Otto (1994): Hans Leipelt, o. S.<br />

339 Schultze-Jahn, M.-L. (1994): Hans Leipelt: 5<br />

170


Nachfolger gefunden hatte. Professor Wieland ließ seine „Schützlinge“ auch in dieser<br />

Lage nicht in Stich. Er hielt Kontakt „zu den Angehörigen, erkundigte sich nach Rechtsanwälten,<br />

war auch in einem Fall bereit, die Anwaltskosten zu tragen; er schickte auch<br />

Lebensmittelpäckchen an die Inhaftierten.“ 340<br />

Hans Leipelt wurde zum Tode verurteilt. Alle Quellen bestätigten, dass Leipelt versuchte,<br />

seine Mitangeklagten zu entlasten. So erfuhr Marie-Luise Schultze-Jahn von ihrem Verteidiger,<br />

Rechtsanwalt Dr. Kartini, dass ihm Leipelts Verhalten „als tiefer persönlicher<br />

Eindruck bei jener Hauptverhandlung beim VGH geblieben ist: ... er hat mich in einer persönlichen<br />

Rücksprache auf dem Gang des Gerichtsgebäudes, die wir trotz der damaligen<br />

Gestapo-Überwachung organisieren konnten, beschworen, unter allen Umständen zu versuchen,<br />

Ihnen (M.-L. Jahn) zu helfen, und, wenn es irgend ginge, ihn zu belasten.“ 341 Tatsächlich<br />

wurde die am 22. Juli 1944 in Berlin beantragte Todesstrafe für Marie-Luise<br />

Jahn 342 in eine zwölfjährige Zuchthausstrafe umgewandelt; ihre Befreiung erfolgte am 8.<br />

Mai 1945 im Gefängnis Aichach.<br />

Der 23-jährige Leipelt befand sich drei Monate mit Heinrich Hamm im so genannten<br />

„Haus des Todes“ im Gefängnis München-Stadelheim. Sein letzter Tag war am 29. Januar<br />

1945. Hans Leipelt verabschiedete sich von seinem Zellennachbarn: „ ,Heinrich, ich danke<br />

dir für allen Trost und Zuspruch in den letzten Monaten. An Gott glaubst du ja nicht,<br />

so wollen wir uns dann auch nicht Wiedersehen sagen, aber laß uns noch einmal Lebewohl<br />

sagen.´ Wir drückten uns zum letzten Mal die Hand. Taumelnd falle ich auf meine<br />

Pritsche. Da schlägt die Uhr viermal. Ich drücke die Daumen fest in die Ohren, damit ich<br />

das Beil nicht fallen höre.“ 343<br />

Seine Beisetzung fand am 3. Februar 1945 auf dem Friedhof Perlacher Forst statt.<br />

Die Kostenrechnung für Hinrichtung und Bestattung erhielt Leipelts Tante in Wien.<br />

Ehrungen, Namenspatronage<br />

1994: Hans-Leipelt-Schule (Staatliche Fachoberschule) in Donauwörth.<br />

29. Januar 2000: Denkstunde am Grab von Hans Leipelt anlässlich des 55. Todestags im<br />

Beisein von Dr. Marie-Luise Schultze-Jahn.<br />

340 Freise, Gerda (1988): Ein Beispiel für Zivilcourage in der Zeit des Nationalsozialismus: 3<br />

341 Rechtsanwalt Dr. Kartini: Brief vom 17.5.1972 an M.-L. Jahn. In: Schultze-Jahn, M.-L. (1994): Hans<br />

Leipelt: 6<br />

342 Anklageschrift -11J118/44- Institut für Marxismus-Leninismus Berlin, Zentralarchiv der SED: 54. Auch<br />

in: Dr. M.-L. Schultze-Jahn, Privatarchiv<br />

343 Hamm, Heinrich (1965): Der letzte Zweig der „Weißen Rose“. In: Die Tat v. 30.1.1965<br />

171


Literatur<br />

Bottin, Angela (1992): Enge Zeit. Spuren Vertriebener und Verfolgter der Hamburger Universität. Hamburger<br />

Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, Band 11. Hamburg<br />

Die Weiße Rose (1998): Hans Leipelt. Begleitheft zur Wanderausstellung „Weiße Rose“. München<br />

Forster, Otto (1994): Hans Leipelt. Unveröffentlichtes Manuskript<br />

Freise, Valentin (1946): Der Todesweg eines Kämpfers. Hans Leipelt – ein Kapitel Hochschule. In: Süddeutsche<br />

Zeitung v. 8.3.1946<br />

Freise, Gerda (1988): Der Nobelpreisträger Heinrich Wieland. Ein Beispiel für Zivilcourage in der Zeit des<br />

Nationalsozialismus. Vortrag am 14.11.1988 in Pforzheim. Unveröffentlichtes Manuskript<br />

Hamm, Hans (1965): Mit Hans Leipelt in der Todeszelle. In: Die Tat v. 30.1.1965.<br />

Hamm-Brücher, Hildegard (1997): „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit“. Die „Weiße Rose“ und unsere<br />

Zeit. Aufbau Verlag, Berlin<br />

Hédiard, J.(1993): „Und ihr Geist lebt trotzdem weiter!“. In: Deckname Betti. Jugendlicher Widerstand und<br />

Opposition gegen die Nationalsozialisten in München. Ein Projekt des Kreisjugendrings München und der<br />

Landeshauptstadt München (1997): 52–55.<br />

Möller, Klaus (1986): Hans Leipelt und die Weiße Rose. Vortrag, gehalten am 24.2.1986 an der Freien Akademie<br />

der Künste Hamburg. Unveröffentlichtes Manuskript<br />

Schultze-Jahn, Marie-Luise (1991): Hans Leipelt – ein Kapitel Münchener Hochschule im Nationalsozialismus.<br />

Unveröffentlichtes Manuskript<br />

Schultze-Jahn, Marie-Luise (1993): Rede zum 50jährigen Gedenken der Weißen Rose. Manuskript<br />

Schultze-Jahn, Marie-Luise (1994): Hans Leipelt – ein Kapitel Münchner Hochschule im Nationalsozialismus.<br />

In: Siefken, Hinrich / Vieregg, Hildegard (Hrsg.) (1993): Student Resistance to National Socialism.<br />

Arbeiter, Christen, Jugendliche, Eliten. Forschungsergebnisse und Erfahrungsberichte. University of Nottingham,<br />

Nottingham: 67–76<br />

Tuckova, A. (1995): Cousine Hans Leipelts erinnert sich. In: Elbe Extra, vom 8.2.1995, im Privatarchiv v. Dr.<br />

M.-L. Schultze-Jahn<br />

Weiße Rose Stiftung (zusammengestellt) (1990): Die „Weiße Rose“. Der Widerstand von Studenten gegen<br />

Hitler 1942/43. Verlag G. J. Manz, München<br />

Wünsche, Frederic (2000): Marie-Luise Schultze-Jahn. Ein Leben für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit im<br />

Zeichen der „Weißen Rose“. Ein Beitrag zum Bertini-Preis 1999. Heisenberg-Gymnasium Hamburg<br />

172


Leisner, Karl Seliger Neupriester<br />

*28.2.1915 Rees, Niederrhein †12.8.1945 Planegg<br />

„An Hitler aber glaube ich nicht.“<br />

Titel des biographischen Romans von Pfarrer Klaus-Peter Vosen<br />

„Für die Jugend hat er sein Leben geopfert.“<br />

Pater Otto Pies SJ brachte die erste Biographie über Karl Leisner heraus. 344<br />

Bronzebüste von Karl Leisner<br />

Foto: H. Engelbrecht<br />

173<br />

Karl Leisner, 1944<br />

Foto: Mit freundlicher Genehmigung des<br />

Internationalen Karl-Leisner-Kreises, Kleve


I. Karl-Leisner-Gedenkraum<br />

Katholische Kirche (1945)<br />

Waldsanatorium der Barmherzigen Schwestern, heute Alten- und Pflegeheim Sanatoriumstraße,<br />

Krailling.<br />

Planegg S6, Bus 967<br />

II. Büste von Karl Leisner<br />

Katholische Kirche und Gemeinde (1997)<br />

Waldsanatorium, Sanatoriumstraße, Krailling<br />

Planegg S6, Bus 967<br />

III. Karl-Leisner-Weg<br />

Planegg-Krailling (1996)<br />

Zu II: Büste von Karl Leisner<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Der Münchner Weihbischof Engelbert Siebler hat die Errichtung des Denkmals initiiert.<br />

Die Einweihung fand am 12. August 1997 in seinem Beisein statt, zusammen mit dem<br />

Bürgermeister Dieter Haager und dem Präsidenten des Internationalen Leisner Kreises<br />

Hans-Karl-Seeger.<br />

Kurzbeschreibung<br />

Die Bronzebüste (0,5m hoch) steht in einem kleinen Ehrenhain (Maße ca. 7 m x 5 m) auf<br />

einem Travertinsockel (1,40 m hoch) mit quadratischem Querschnitt (0,4 m x 0,4 m) und<br />

trägt folgende Inschrift: „Seliger Karl Leisner, Priester, Märtyrer *1915 in Rees †1945<br />

im Waldsanatorium. Seligsprechung 1996 von Papst Johannes Paul II.“<br />

Diese wird von zwei kleineren, analog gestalteten Säulen flankiert. Die Inschrift auf der<br />

linken Säule lautet:<br />

„Du armes Europa, zurück zu Deinem Herrn Jesus Christus! 16. Juni 1945.“<br />

344 war vom 2. August 1941 – 27. März 1945 im KZ Dachau aufgrund seines Protestes gegen die Aufhebung<br />

eines Jesuitenklosters. Zitiert in: Pies, Otto (1971): Karl Leisner. In: Weiler, Eugen (1971): Die Geistlichen<br />

im KZ Dachau: 969<br />

174


Die auf der rechten lautet:<br />

„Viktor in vinculis (Sieger in Fesseln). Segne auch Höchster meine Feinde! 25. Juli<br />

1945.“<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER / DIE KÜNSTLERIN<br />

Die Bronzebüste schuf der Künstler Dr. Joseph Alexander Henselmann. Den Platz gestaltete<br />

die Landschaftsarchitektin Adelheid Schönborn.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Karl erblickte am 28. Februar 1915 als erstes Kind des Gerichtssekretärs Wilhelm Leisner<br />

und seiner Ehefrau Amalie, geb. Falkenstein, das Licht der Welt. Seine Geschwister waren:<br />

Willi (*1916), Maria (*1917), Paula (*1919) und Elisabeth (*1923). In Kleve besuchte<br />

Karl von 1921-1925 die Volksschule und trat in das dortige Gymnasium ein. Im<br />

gleichen Jahr begann der Zwölfjährige seine Tätigkeit im katholischen Jungkreuzbund als<br />

Schriftführer. 1928 engagierte sich Leisner für die Neugründung der Jugendgruppe „Katholischer<br />

Wandervogel“. Dieses außergewöhnliche Engagement hatte später seine Ernennung<br />

zum Bezirksjungscharführer in Kleve zur Folge. Auch diese anspruchsvolle Aufgabe<br />

mit der Übernahme von Verantwortung einer Jugendgruppe konnte er neben den üblichen<br />

Schülerpflichten bewältigen.<br />

Nach erfolgreichem Schulabschluss (Abitur 1934) entschloss er sich zum Studium der<br />

Theologie, um Priester zu werden. Auch in dieser Zeit setzte er die Jugendgruppenarbeit<br />

fort, was zu seiner Ernennung zum Diözesanjugendführer in der Diözese Münster durch<br />

Bischof von Galen führte. Karl Leisner hatte sich bereits früh ein klares politisches Urteil<br />

über die Zeit nach der Machtergreifung gebildet. Dies führte bereits 1936 dazu, dass die<br />

Gestapo eine Akte über ihn anlegte und seine Post kontrollierte.<br />

Vom 1. April bis 23. Oktober 1937 absolvierte Leisner den Reichsarbeitsdienst in Sachsen<br />

und in Emsland. Kurz darauf beschlagnahmte die Gestapo seine seit 1927 geführten Tagebücher.<br />

345<br />

Das Studium der Theologie setzte Leisner in Münster fort. In dieser Zeit erschüttern ihn<br />

innere Zweifel: soll er sich zur Ehe entscheiden oder zum Priestertum? Am 4. März 1939<br />

hielt er vor der Subdiakonsweihe in seinem Tagebuch fest: „Es war ein tödlicher Kampf.<br />

Aber ich bin zum Priestertum berufen – und diesem Beruf opfere ich alles.“ 346 Am 25.<br />

März 1939 erhielt er die Diakonsweihe. Die kurz danach diagnostizierte Lungentuberku-<br />

345 Riße, Klaus (1996): Karl Leisner (1915-1945): Text zur Ausstellung: 3<br />

346 Zitiert in: St. Christophorus Wolfsburg: der selige Karl Leisner: 1<br />

175


lose führte zur Unterbrechung der Vorbereitungen zur Priesterweihe, da ein Sanatoriumsaufenthalt<br />

nötig war. Er kam in das „Fürstabt Gerbert Haus“ in St. Blasien im Schwarzwald.<br />

Der 24-jährige Student hatte sich die Lungentuberkulose beim Moorkommando im<br />

Reichsarbeitsdienst zugezogen, wo er monatelang im Sumpf stand und schweren Dienst<br />

leisten musste. 347 Seine Genesung in der Heilanstalt machte Fortschritte und eine baldige<br />

Entlassung stand in Aussicht.<br />

Beginn des Leidensweges<br />

Als die Nachricht vom fehlgeschlagenen Attentat von Georg Elser (siehe Band 1: Elser) auf<br />

Hitler bekanntgegeben wurde, äußerte sich Leisner, der Hitler „radikal ablehnte“ (Johann<br />

Krein), gegenüber seinen beiden Zimmerkameraden Johann Krein und Kaplan Stein. Er<br />

kommentierte das missglückte Attentat: „Schade, dass er (Hitler) nicht dabeigewesen<br />

ist.“ 348 Ein anderer Mitpatient zwang Johann Krein dazu, die Worte Leisners vor einem<br />

Ortsgruppenleiter zu wiederholen. 349 Doch bevor Leisner abgeführt werden konnte, musste<br />

der Chefarzt des Sanatoriums seine Haftfähigkeit bestätigen, was dieser tat. Am 9. November<br />

1939 wurde Karl Leisner in St. Blasien verhaftet und kam in Schutzhaft ins Gefängnis<br />

Freiburg. Während dieser Zeit notiert er in sein Tagebuch am 11. November 1939: „Gott,<br />

ich danke Dir für die Tage der schweren Krankheit und jetzt wieder für die Tage der Unfreiheit<br />

und Gefangenschaft. Alles hat seinen Sinn, Du meinst es überaus gut mit mir.“ 350 Von<br />

dort verlegte man ihn am 5. Februar 1940 ins Gefängnis nach Mannheim. Nach einem Monat<br />

fand seine Überstellung in das KZ Sachsenhausen statt.<br />

Trotz der äußeren unliebsamen Bedingungen blieb der Häftling Karl Leisner seinem Lebens-<br />

und Glaubensprinzip treu. Über diese Zeit schrieb der Geistliche Otto Pies: „Im Lager<br />

machte Karl sich bald überall beliebt. Sein sonniges, immer frohes Wesen und seine<br />

Hilfsbereitschaft öffneten ihm Türen und Herzen. Auch mit den Kameraden von der SPD<br />

und KPD verstand er gut auszukommen. Er hatte überall Freunde.“ 351 Die KZ-Wärter<br />

hatten es jedoch auf die Priester abgesehen und behandelten diese besonders schlecht.<br />

Über seine Ankunft im KZ Buchenwald berichtete der französische Geistliche Henoque:<br />

„Ich wurde von einer Gruppe von SS-Leuten angefallen, die meine Soutane abrissen, unter<br />

höhnischem Grinsen mein Brevier zertraten.“ 352 Auch war in allen Konzentrationslagern<br />

die Ausübung jeder Religion unter Todesstrafe verboten.<br />

347 Pies, Otto (1971): Karl Leisner. In: Weiler, Eugen (1971): Die Geistlichen im KZ Dachau: 967<br />

348 Riße, Klaus (1996): Karl Leisner (1915-1945): Text zur Ausstellung: 6<br />

349 Pies, Otto (1971): Karl Leisner. In: Weiler, Eugen (1971): Die Geistlichen im KZ Dachau: 967<br />

350 Zitiert in: St. Christophorus Wolfsburg: 2<br />

351 Pies, Otto (1971): Karl Leisner. In: Weiler, Eugen (1971): Die Geistlichen im KZ Dachau: 968<br />

352 Konzentrationslager Dokument F 321 für den internationalen Militärgerichtshof Nürnberg: 61<br />

176


Seit Dezember 1940 zog man die in Gefängnissen und anderen Konzentrationslagern festgehaltenen<br />

Geistlichen im Konzentrationslager Dachau zusammen. Hier wurden sie zuerst<br />

in den Blöcken 26, 28 und 30 festgehalten. Eine Stube im Block 26 diente als eine von der<br />

Kommandantur genehmigte Kapelle. Diese Blöcke umgab ein Stacheldrahtzaun und durften<br />

unter strengster Strafandrohung von anderen nicht betreten werden. Zunächst erhielten<br />

diese geistlichen Gefangenen Privilegien: pro Tag ein viertel Liter Wein und die gleiche<br />

Menge Kakao. Außerdem waren alle Geistlichen von körperlicher Zwangsarbeit freigestellt.<br />

Von diesen Vergünstigungen waren aber seit dem 19. September 1941 alle polnischen<br />

Geistlichen ausgeschlossen, die auch die Kapelle im Priesterblock nicht mehr betreten<br />

durften. Auch für die deutschen Geistlichen endete die Wein- und Kakaozuteilung am<br />

11. Februar 1942; darauf folgte am 1. Mai desselben Jahres die Aufhebung der Freistellung<br />

von körperlicher Arbeit. 353 „Wenn auch amtlich mitgeteilt wurde, daß die Geistlichen<br />

zu leichter Gartenarbeit herangezogen würden, so ist doch ganz unbestreitbar, daß<br />

die Kommandos „Plantage“ und „Liebhof“ die schwersten und am meisten gefürchteten<br />

waren. In diesen Kommandos waren die Geistlichen fast ausschließlich beschäftigt. Die<br />

300 toten Priester aus dem Jahre 1942 sind zum größten Teil auf Kosten dieser Kommandos<br />

zu buchen.“ 354 Kaplan Theodor Brasse, der zwei Jahre im KZ Dachau inhaftiert war,<br />

berichtete ausführlich über das Gemeinschaftsleben und die Lebensumstände seiner Leidensgenossen:<br />

Zur täglichen Arbeit waren die meisten auf der „Plantage“, wo Heilkräuter,<br />

Gewürze, aber auch Drogen angebaut wurden. Hier musste bei Wind und Wetter in kniender<br />

Haltung schwerste Gartenarbeit geleistet werden. Die Verpflegung bestand aus einer<br />

Tagesration von 350g Brot (morgens), 1 Liter Rüben- oder Weißkohlsuppe (mittags) und<br />

1 Liter Suppe (abends).<br />

Im Konzentrationslager Dachau 355<br />

Am 12. Dezember 1940 kam Karl Leisner mit weiteren Priestern in das KZ Dachau. Hier<br />

bekam er die Häftlingsnummer 22356. Er lag auf einer Holzpritsche, eingeengt mit circa<br />

200 Mitgefangenen im „Priesterblock“. Im März 1942 musste er infolge seiner Lungenkrankheit,<br />

die nach den Entbehrungen in der Haft wieder auftrat, ins Krankenrevier, wo<br />

120 bis 150 Kranke und Sterbende, zusammengepfercht und dem Tode nahe, untergebracht<br />

waren. Doch auch hier hatte der stets heitere Gelassenheit Ausstrahlende für jeden<br />

etwas übrig, „jeder kam gerne zu ihm, kaum konnte er zur notwendigen Ruhe kommen,<br />

weil er ständig Besuch bekam. Und alle verstand er, ob es ein Pole war oder ein junger<br />

353 Brasse, Theodor (1971): Die Priester im KZ Dachau. In: Weiler, Eugen (1971): Die Geistlichen im KZ<br />

Dachau: 1112-1113<br />

354 Brasse, Theodor (1971): Die Priester im KZ Dachau. In: Weiler, Eugen (1971): Die Geistlichen im KZ<br />

Dachau: 1113<br />

355 Hier waren insgesamt 2796 Geistliche aus 20 Nationen inhaftiert. In: Weiler, Eugen (1971): Die Geistlichen<br />

in Dachau. Geistliche in Dachau nach Nationen (nach Bornefeld): 45<br />

177


Russe war, er wußte, was der Leidensgefährte erzählen oder sagen wollte. Immer teilte er<br />

das wenige, das er hatte. Geben war ihm Notwendigkeit und Freude. Wenn man ihm Vorhaltungen<br />

darüber machte, daß er alles wegschenkte, wies er mit spitzbübischem Lächeln<br />

nach, daß Gott ihm doppelt wiedergebe, was er verschenke, darum sei er so großherzig<br />

und gut.“ 356 Dreimal konnte er wieder in die Priesterbaracke zurückkehren mit der Hoffnung,<br />

geheilt zu sein. Unter seinem Kopfkissen versteckt bewahrte er das heilige Sakrament<br />

auf, um „heimlich die Sterbenden mit dem Brot des Lebens zu stärken und vielen anderen<br />

die heilige Kommunion zu schenken.“ 357<br />

Die Willkür und Brutalität der KZ-Aufseher kannte keine Grenzen: Am Karfreitag führten<br />

sie 60 Gefangene aus dem „Priesterblock“ zum Baumhängen. Dies war für die meisten das<br />

Todesurteil. Die so Gequälten waren auf Dauer arbeitsunfähig kamen nach einer Selektion<br />

durch eine Ärztekommission auf die so genannten „Invalidentransporte“ nach Schloss<br />

Hartheim bei Linz, wo sie in Gaskammern ermordet wurden 358 (siehe Band 1: „Euthanasie“-Opfer)<br />

.<br />

Karl Leisner empfing am 17. Dezember 1944 von dem Mitgefangenen französischen Bischof<br />

Gabriel Piquet, 359 der seit dem 6. September desselben Jahres im Konzentrationslager<br />

Dachau festgehalten war, im geheimen die Priesterweihe. In der eigens im Priesterblock eingerichteten<br />

Notkapelle durfte Leisner am 26. Dezember 1944 die Primiz feiern, „dabei ließ<br />

Christus ihn seine unmittelbare Nähe und die Liebe und Größe seines Herzens wissen und<br />

spüren. Später hat Karl immer daran gedacht und sich gesehnt nach dem Altar.“ 360<br />

Auf seine Befreiung musste er noch bis zum 29. April 1945 warten, als die US-Armee das<br />

Konzentrationslager Dachau befreite. Leisner wusste selber genau, dass „jeder Tag noch<br />

im Lager an meinem Leben zehre.“ 361 Am 4. Mai 1945 erwirkten der Jesuitenpater Otto<br />

Pies zusammen mit dem Dachauer Pfarrer Pfanzelt Leisners Entlassung aus dem unter<br />

Quarantäne stehenden Lager. Der schwerkranke Karl Leisner kam in die Lungenheilanstalt<br />

der Barmherzigen Schwestern nach Planegg. Am 23. Juli 1945 schrieb er in sein Tagebuch:<br />

„Wir armen Kzler! Sie wollten unsere Seele töten. O Gott, ich danke Dir für die<br />

Errettung ins Reich der Liebe und Menschenwürde. Herr, gib, daß ich immer mehr Dich<br />

356 Pies, Otto (1971): Karl Leisner. In: Weiler, Eugen (1971): Die Geistlichen in Dachau: 968<br />

357 Pies, Otto (1971): Karl Leisner. In: Weiler, Eugen (1971): Die Geistlichen in Dachau: 969<br />

358 Im Jahr 1942 kamen 3166 Häftlinge nach Schloss Hartheim. In: Konzentrationslager Dachau 1933-1945:<br />

157<br />

359 Am 28.5.1944 in Clermont-Ferrand wegen Widerstandes verhaftet. Er kam am 24. April 1945 mit über<br />

100 anderen nach Tirol, wo er befreit wurde. (Weiler, 1971: 521)<br />

360 Pies, Otto (1971): Karl Leisner. In: Weiler, Eugen (1971): Die Geistlichen im KZ Dachau: 969<br />

361 Steinbock, Johann (1948): Das Ende von Dachau. In: Weiler, Eugen (1971). Die Geistlichen im KZ<br />

Dachau: 1099<br />

178


liebe. Liebe und Sühne! Ich danke Dir für alles. Verzeih mir meine Schwäche!“ 362<br />

Der 30-jährige Priester starb am 12. August 1945. Seine Beisetzung erfolgte am 20. August<br />

1945 auf den Friedhof in Kleve. Im Jahre 1966 wurde Leisner in der Märtyerkrypta<br />

des Domes in Xanten zur letzten Ruhe gebettet.<br />

Ehrungen<br />

1973 Gründung des „Freundeskreises Karl Leisner“<br />

1975 Gründung des „Internationalen Karl-Leisner-Kreises“<br />

1977 Einleitung des Seligsprechungsprozesses<br />

1980 Genehmigung des Seligsprechungsprozesses<br />

1988 8. Oktober: Papst Johannes Paul II. empfiehlt in Straßburg 42 000 Jugendlichen aus<br />

ganz Europa Karl Leisner und den Franzosen Marcel Callo als Vorbilder<br />

1996 23. Juni: Seligsprechung gemeinsam mit Domprobst Bernhard Lichtenberg durch<br />

Papst Johannes Paul II. im Olympiastadion von Berlin<br />

Ausstellung<br />

1996 Karl Leisner (1915-1945) Menschentreue – Glaubensfreude – Hoffnungszeichen.<br />

Wanderausstellung vom Bischöflichen Generalvikariat Münster.<br />

Rundfunk<br />

Bayerischer Rundfunk: Sendung am 12.11.1999 von Michael Weberpals und Friedrich<br />

Schloffer Priesterweihe im Konzentrationslager.<br />

Literatur<br />

Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau<br />

Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (1998): Band 14, Verlag Traugott Bautz. Spalten 1185-1187<br />

Brasse, Theodor (1971): Die Prieser im KZ Dachau – Ihr Gemeinschaftsleben und Wirken daselbst. In: Weiler,<br />

Eugen (1971): Die Geistlichen in Dachau sowie anderen Konzentrationslagern und Gefängnissen:<br />

1112-1121<br />

Feldmann, Christian (1996): Wer glaubt, muss widerstehen. Bernhard Lichtenberg – Karl Leisner. Herder<br />

Verlag, Freiburg, Basel, Wien<br />

Goldhagen, Daniel Jonah (2002): Die katholische Kirche und der Holocaust. Siedler Verlag, Berlin<br />

Gotto, Klaus / Repgen, Konrad (Hrsg.) (1990): Die Katholiken und das Dritte Reich. Mainz<br />

362 Zitiert in: St. Christophorus Wolfsburg: Der selige Karl Leisner: 2<br />

179


Haas, Wilhelm (1977): „Christus meine Leidenschaft“. Karl Leisner. Sein Leben in Bildern und Dokumenten.<br />

Kevelaer<br />

Haas, Wilhelm (Hrsg.) (1979): Mit Christus leben. Gedanken für jeden Tag. Kevelear<br />

Heckens, Josef (Hrsg.) (1996): Rote Rosen und Stacheldraht: der selige Märtyrer Karl Leisner. Kevelaer<br />

Holzapfel, Theo (Hrsg.) (1996): Ein Zeuge des Glaubens in dunkler Zeit: Karl Leisner 1915-1945. Münster<br />

Konzentrationslager Dachau 1933-1945. Hrsg. v. Comité International de Dachau (1998). Lipp<br />

Verlag, München<br />

Leisner, Karl (2000): Karl Leisners letztes Tagebuch. Hrsg. v. Hans K. Seeger. Münster<br />

Lejeune, René von (1999): Wie Gold im Feuer geläutert. Karl Leisner (1919-1945). Parvis Verlag, Maria heute.<br />

Hauteville / Schweiz<br />

Lettmann, R. (1996): Flagge zeigen – Gegen den Strom schwimmen. In: L`Osservatore Romano (Deutsche<br />

Ausgabe) 26. Jg. Nr. 25.,21. Juni, 1,4<br />

Mertens, Mathias (1988): Priesterweihe hinter Stacheldraht. Gaesdonker Blätter<br />

Mussinghoff, H. (1996): Leidenschaft für Christus und den Nächsten – Karl Leisner, ein Leben für die Jugend.<br />

In: L`Osservatore Romano (Deutsche Ausgabe) 26. Jg. Nr. 25, 21. Juni, 9<br />

Pies, Otto (1961): Geweihte Hände in Fesseln. Priesterweihe im KZ. Kevelaer<br />

Pies, Otto (1962): Stephanus heute. Karl Leisner. Priester und Opfer des KZ. Kevelaer<br />

Pies, Otto (1971): Karl Leisner. In: Weiler, Eugen (1971): Die Geistlichen in Dachau sowie anderen Konzentrationslagern<br />

und Gefängnissen. Missionsdruckerei St. Gabriel, Mödling: 967-969<br />

Riße, Klaus (1996): Karl Leisner (1915-1945) Menschentreue – Glaubensfreude –Hoffnungszeichen. Vortrag<br />

zur Wanderausstellung<br />

Roon, Ger van (1998): Widerstand im Dritten Reich. Beck`sche Reihe, München<br />

Schmiedl, Joachim (1996): Leben für die Jugend. Vallendar-Schönstatt<br />

Schmiedl, Joachim (1999): Mit letzter Konsequenz: Karl Leisner 1915-1945. Münster<br />

Seeger, Hans-Karl (Hrsg.) (2001): Karl Leisners letztes Tagebuch. Kevelaer<br />

Steinbock, Johann (1948): Das Ende von Dachau. In: Weiler Eugen (1971): Die Geistlichen in Dachau sowie<br />

anderen Konzentrationslagern und Gefängnissen. Missionsdruckerei St. Gabriel, Mödling: 1069-1105<br />

Sterzinsky, G. C. (1996): Zeugen des Glaubens und Boten der Versöhnung. Zur Seligsprechung von Bernhard<br />

Lichtenberg und Karl Leisner am 23. Juni im Olympiastadion von Berlin. I: L`Osservatore Romano (Deutsche<br />

Ausgabe) 26. Jg. Nr. 24, 14. Juni, 9-10<br />

Thoma, Emil (1971): Wie dieser Bericht in Dachau vorbereitet wurde. In: Weiler, Eugen (1971): Die Geistlichen<br />

in Dachau sowie in anderen Konzentrationslagern und Gefängnissen: 21-36<br />

Vosen, Klaus-Peter (2000): An Hitler aber glaube ich nicht. Karl Leisner - ein Lebensweg. Köln<br />

Weiler, Eugen (1971): Die Geistlichen in Dachau sowie anderen Konzentrationslagern und Gefängnissen. Nachlass<br />

von Pfarrer Emil Thomas. Erw. u. hrsg. v. Eugen Weiler. Missionsdruckerei St. Gabriel, Mödling<br />

180


Leonrod, Ludwig Freiherr von<br />

*17.9.1906 †28.8.1944 Berlin-Plötzensee<br />

„Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen schweben,<br />

das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken,<br />

allein in der Tat ist die Freiheit.“<br />

Dietrich Bonhoeffer schrieb dieses Gedicht mit dem Titel Stationen auf dem<br />

Weg zur Freiheit mit dem Untertitel Tat nach dem gescheiterten Putsch vom 20. Juli 1944<br />

im Berliner Gefängnis Tegel. 363<br />

363 Bethge, Eberhard u. Renate (Hrsg.) (1984): Letzte Briefe im Widerstand: 125<br />

181<br />

Freiherr Ludwig von Leonrod<br />

vor dem VGH in Berlin<br />

Foto: Institut für Zeitgeschichte<br />

München, Archiv


I. Leonrodstraße, Neuhausen<br />

M (1906)<br />

II. Leonrodplatz, Neuhausen<br />

M (1927)<br />

III. Gedenktafel<br />

St. Georg, Bogenhausener Kirchplatz 1, Bogenhausen<br />

Max-Weber-Platz U4/U5 und Tram 18<br />

Kath. Kirche (1946)<br />

Zu III. Gedenktafel<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Für die im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 ermordeten Widerstandskämpfer Ludwig<br />

Freiherr von Leonrod, Pater Alfred Delp, Dr. Hermann Wehrle und Franz Sperr errichtete<br />

die katholische Kirche eine Gedenktafel, die am 31. Oktober 1946 eingeweiht und<br />

enthüllt wurde.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

An der westlichen Kirchenmauer von St. Georg befindet sich die durch ein Kreuz in vier<br />

Teile gegliederte Gedenktafel. Eine der vier Segmente ist Ludwig Freiherr von Leonrod<br />

mit folgender Inschrift gewidmet:<br />

„Selig der Mann, der in der Prüfung stand hält. Denn wenn er sich bewährt hat, wird er<br />

die Krone des Lebens empfangen. Jak.1, 12. Ludwig Freiherr von Leonrod, geboren 17.<br />

September 1906. Hingerichtet 25. Aug. 1944. Im Kampf mit den Mächten der Finsternis<br />

fiel er für seinen Glauben, seine Freunde, sein Vaterland.“<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Die Gedenktafel schuf der Architekt Hansjakob Lill.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Ludwig Freiherr von Leonrod stammte aus einer Familie, die traditionell ihre männlichen<br />

182


Mitglieder militärisch ausbilden ließ. Während der Ausbildung zum Berufssoldaten lernte<br />

von Leonrod Claus Graf von Stauffenberg (siehe Band 3: Stauffenberg) beim 17. Reiterregiment<br />

in Bamberg kennen. Im Juli 1933 erfolgte seine Ernennung zum Oberleutnant,<br />

was mit dem Führereid verbunden war. Mit Kriegsbeginn leistete er Frontdienst und erhielt<br />

zahlreiche Auszeichnungen. Eine schwere Verwundung brachte Anfang 1942 eine<br />

Versetzung nach München mit sich. Von Leonrod heiratete im Frühjahr 1943 und bezog<br />

mit seiner Frau eine Wohnung in der Möhlstraße (Bogenhausen). Von Stauffenberg weihte<br />

von Leonrod Ende 1943 in die Attentatspläne ein und erhielt seine Zusage zur Unterstützung.<br />

Ein Problem dabei war für von Leonrod der geleistete Eid: „... als gläubiger Katholik<br />

sei ich auf Grund der Ausführungen über die politische und militärische Lage schon<br />

gewissenmäßig verpflichtet, entgegen diesem Eid zu handeln. Trotzdem hatte ich auf meiner<br />

Heimreise (...) Gewissensqualen, ob die Handlungsweise richtig sei und ich nicht in<br />

einem Zustand der Sünde stehe, da ich von dem geplanten Attentat auf den Führer Kenntnis<br />

hatte.“ 364<br />

Der strenggläubige Katholik Freiherr Ludwig von Leonrod suchte wegen diesem Gewissenskonflikt<br />

seinen Beichtvater Kaplan J. Wehrle in St. Georg in Bogenhausen auf, um zu<br />

erfahren, ob bereits das Wissen über ein geplantes Attentat auf den Führer Sünde sei. Kaplan<br />

Wehrle verneinte dies, riet jedoch nach der kirchlichen Lehrmeinung vom Tyrannenmord<br />

ab. Von Stauffenberg hatte von Leonrod beim geplanten Umsturz als Verbindungsoffizier<br />

für Berlin vorgesehen. Zur Zeit des Umsturzversuchs war von Leonrod auf einem<br />

Lehrgang für höhere Adjutanten in Potsdam-Krampnitz. Dort wurde er am 21. Juli 1944<br />

verhaftet. In seinem Gnadengesuch versuchte er, seine Entscheidung zum Widerstand Kaplan<br />

Wehrle anzulasten: „Wahrscheinlich hätte schon ein anderer Beichtvater genügt.<br />

Mein Unglück ist eben, daß ich an diesen geraten war.“ 365 Nach einer Gegenüberstellung<br />

vor dem von Roland Freisler geleiteten VGH mit Kaplan Wehrle sagte er: „Wehrle habe<br />

gesagt, er brauche nicht zu beichten, denn ,Wissen um ein solches Attentat sei keine Sünde.‘“<br />

366 Nach Meinung Freislers hatte von Leonrod die Attentatspläne unterstützt und war<br />

als Verschwörer und Verräter zum Tode zu verurteilen. Am 26. August 1944 wurde von<br />

Leonrod mit dem Fallbeil hingerichtet. Im Zuge der Sippenhaft 367 kam die Witwe Monika<br />

364 Morschhäuser, Franz J. (1994): Hermann Joseph Wehrle (1899–1944). Zeuge des Glaubens in bedrängter<br />

Zeit: 175. In: Detjen, Marion (1998): „Zum Staatsfeind erklärt“: 187<br />

365 Gritschneder, Otto: Von NS-Schergen erhängt: 18. Auch in: Vieregg, Hildegard (1993): Wächst Gras darüber?:<br />

195<br />

366 Urteil des VGH. AZ 1 L 321/44 O J 14/444gRs.: 8, IfZ-Archiv München. In: Vieregg (1993): 193<br />

367 Die Sippenhaft wurde am 21.11.1944 von den Nazis verhängt. Durch sie konnten Angehörige eines<br />

Täters für dessen „Delikte“ strafbar gemacht werden. Gestapochef Heinrich Müller ordnete ein einheitliches<br />

Verfahren für alle Sippenhäftlinge an. „Unter Sippe ist zu verstehen: Ehegatte, Kinder, Geschwister,<br />

Eltern und sonstige Verwandte, wenn letztere nachteilig bekannt sind.“ BAK, R58 1027, fol. 326. In:<br />

Hett / Tuchel (Hrsg.) (1994): 384<br />

183


Freifrau von Leonrod auch wegen Nichtanzeige ihres Ehemanns in Haft und noch am 18.<br />

April 1945 vor den VGH. Sie hat überlebt. 368<br />

Ausstellung<br />

9. Oktober – 8. November 1998: Widerstand, Resistenz und Verweigerung gegen das<br />

NS-Regime in München. Konzipiert vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München.<br />

Wissenschaftliche Leitung: Marion Detjen und Peter Dorsch. Gezeigt in der Kassenhalle<br />

des Münchner Neuen Rathauses.<br />

Literatur<br />

Bethge, Eberhard u. Renate (Hrsg.) (1984): Letzte Briefe im Widerstand. Aus dem Kreis der Familie Bonhoeffer.<br />

Kaiser Verlag, München<br />

Detjen, Marion (1998): „Zum Staatsfeind ernannt“. Widerstand, Resistenz und Verweigerung gegen das NS-<br />

Regime in München. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München. Buchendorfer Verlag, München<br />

Gritschneder, Otto (1985): Von NS-Schergen erhängt. In: Münchner Stadtanzeiger Nr. 90 v. 22.2.1985<br />

Gritschneder, Otto (1986): Roland Freisler liefert Kaplan Wehrle dem Henker aus. In: Gritschneder, Otto<br />

(1986): Weitere Randbemerkungen. Selbstverlag Otto Gritschneder, München: 304-318<br />

Hett, Ulrike / Tuchel, Johannes (1994): Die Reaktionen des NS-Staates auf den Umsturzversuch vom 20. Juli<br />

1944. In: Steinbach, Peter / Tuchel, Johannes (Hrsg.) (1994): Widerstand gegen den Nationalsozialismus.<br />

Sonderauflage d. Bayerischen Landeszentrale f. politische Bildungsarbeit. Bonn: 377–389<br />

Maier, Hans (1993): Christlicher Widerstand im Dritten Reich. In: Siefken, Hinrich / Vieregg, Hildegard<br />

(Hrsg.): Resistance to National Socialism: Arbeiter, Christen, Jugendliche, Eliten: 21–38<br />

Vieregg, Hildegard (1993): Wächst Gras darüber? München: Hochburg des Nationalsozialismus und Zentrum<br />

des Widerstands. Universitätsdruckerei u. Verlag Dr. C. Wolf & Sohn, München<br />

368 Vieregg, Hildegard (1993): Wächst Gras darüber?: 195<br />

184


Loeb, James, Prof. Dr.h.c.<br />

*6.8.1867 New York †27.5.1933 Murnau-Hochried<br />

„Nur wenige Menschen in dieser denkmallosen Zeit haben eine schönere und dauerhafte<br />

Erinnerung hinterlassen als James Loeb, der in dieser Woche starb ... Mag auch<br />

das Zeitalter der Förderer mit dem 18. Jahrhundert versunken sein, – es ist, wie das Leben<br />

James Loebs zeigt, noch immer ein Raum für ein zwar weniger brillantes, jedoch<br />

keineswegs unbedeutendes Mäzenatentum ...“<br />

The Times, 2. Juni 1933 369<br />

Stiftertafel im Marie-<br />

Antonie-Haus<br />

Foto: H. Engelbrecht<br />

James Loeb<br />

Foto: Stadtarchiv München<br />

Gedenktafel für James Loeb<br />

Maria-Josepha-Straße 8<br />

Foto: A. Olsen<br />

185


I. Gedenktafel, Maria-Josepha-Str. 8, Schwabing<br />

Giselastr. U3/U6<br />

M (1990)<br />

II. James-Loeb-Straße, Schwabing<br />

M (1983)<br />

III. James-Loeb-Gedenktafel, Kraepelinstr. 2-10<br />

Deutsches Forschungsinstitut für Psychiatrie (1928)<br />

IV. Stiftertafel im Marie-Antonie-Haus, Studentinnen-Wohnheim, Kaulbachstr. 49<br />

Giselastr. U3/U6<br />

Privat (1930)<br />

Zu I. Gedenktafel, Maria-Josepha-Str. 8, Schwabing<br />

M (1990)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Auf Initiative von Brigitte Pflug wurde im Jahre 1989 eine Gedenktafel für James Loeb<br />

geplant. Einige Jahre zuvor hatte sich die Stadträtin Cäcilie Götschel (CSU) bereits erfolgreich<br />

für eine James-Loeb-Straße (1983 in Schwabing) eingesetzt. Die Gedenktafel wurde<br />

am 1. August 1990 vom Münchner Oberbürgermeister Christian Ude enthüllt.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Dieses Haus ließ sich James Loeb in den Jahren 1909-1911 vom Architekten Carl Sattler<br />

errichteten. Hier lebte er bis zu seinem Umzug 1922 nach Murnau. An der mit antiken Motiven<br />

geschmückten Fassade befindet sich die Gedenktafel mit folgender Inschrift:<br />

„James Loeb 1867-1933 Förderer von Kunst und Wissenschaft und Stifter bedeutender<br />

sozialer Einrichtungen lebte in diesem Hause.“<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Der Münchner Bildhauer Toni Preis schuf diese Gedenktafel.<br />

369 Hamdorf, Friedrich Wilhelm (1983): James Loeb. Mäzen von Beruf: o. S.<br />

186


Zu IV. Stiftertafel im Marie-Antonie-Haus, Studentinnen-Wohnh., Kaulbachstr. 49<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

In der Eingangshalle befindet sich eine in die Mauer eingelassene Gedenktafel (1,45 m x<br />

1 m) aus poliertem Solnhofener Kalk mit eingemeißelter Inschrift:<br />

„Der Bau dieses Hauses wurde ermöglicht durch die Stiftung eines gütigen Menschen. Es<br />

soll den Studentinnen der Münchner Hochschulen ein gemütliches Daheim sein sowie eine<br />

Stätte edlen Strebens und guter Kameradschaft. Zu Ehren der Gemahlin des Stifters trägt<br />

das Haus den Namen „Marie-Antonie-Haus“. Sie selbst hat durch eine besondere Stiftung<br />

die Ausschmückung des Hauses ermöglicht und seine Wohnlichkeit erhöht. In Dankbarkeit<br />

sei ferner der gütigen Stifter gedacht, die ausserdem zur Verwirklichung des Studentinnenwohnheimes<br />

beigetragen haben: Frau Geheimrat Duisburg u. Frau von Veltheim;<br />

Herr u. Frau Ministerpräsident Dr. Held; Geheimrat Dr. Caro; Albert Fürst von Thurn<br />

und Taxis; Direktor Dr. Hess; Staatsminister Dr. Goldenberger; Akademikerinnen-Bund<br />

München; Frau Professor Sattler; F. W. Lafrentz, New-York; Quarter-Collection, New-<br />

York; Mr and Mrs. Rudolf Erbslöh, New-York; Mrs. Louis Stern, Californien; Mrs. E. S.<br />

Heller, Californien; Mr. and Mrs. Wunderlich, New-York; Frauen der Dozenten der Universität;<br />

Frau Professor von Klenze; Frau Geheimrat Dantscher; Frau Geheimrat<br />

Berthold; Mrs. Emory E. Cochran, New-York; Mount Holy Coke College, U.S.A.; Vassar<br />

College, U.S.A.; Frau Professor M. Mueller, Wellesley-College, U.S.A.; Frauengruppe<br />

München des Bundes der Auslandsdeutschen; Mrs. J. H. Schiff, New-York; Herr und Frau<br />

Hambuechen; Theodore Spiering.“<br />

Die beschriftete Gedenktafel ist ober- und unterhalb mit grün-grauem Mosaik verziert.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

James Loeb erblickte als zweites Kind von Solomon Loeb und Betty (geb. Gallenberg) in<br />

New York das Licht der Welt. Die Mutter war eine in Paris und Mannheim ausgebildete<br />

Pianistin. Sein Vater war 1829 in Worms geboren. Einer jüdischen Kaufmannsfamilie entstammend,<br />

wanderte er nach Amerika aus und gründete dort ein eigenes Bankunternehmen,<br />

Kuhn, Loeb & Co. „Wohlstand, verbunden mit dem sozialen Prestige wie der Nüchternheit<br />

des Bankiersberufes, bestimmen das Familienleben.“ 370<br />

James Loeb studierte an der Harvard-University Wirtschaftsgeschichte, Nationalökonomie,<br />

Handelsrecht, Geschichte und Altphilologie. 371 Er schloss sein Studium der Altertumswissenschaften<br />

mit dem Bachelor of Art ab. Auf Wunsch des Vaters begann er die<br />

370 Hamdorf, Friedrich Wilhelm (1983): James Loeb. Mäzen von Beruf: o. S.<br />

187


Arbeit im väterlichen Bankhaus und avancierte nach sechsjähriger „Lehre“ zum Teilhaber.<br />

1901 schied Loeb 1901 aus dem Familienunternehmen aus. Danach widmete er sich<br />

seinen wissenschaftlichen Interessen und vergrößerte seine Antikensammlung durch Ankäufe.<br />

Vier Jahre später entschloss sich Loeb zur Übersiedlung nach Europa.<br />

Ein psychisches Leiden veranlasste Loeb, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auf der<br />

Suche nach einer führenden Kapazität fand er den bekannten Psychiater Emil Kraepelin<br />

(1856-1926) in München. Am 14. November 1906 bezog Loeb eine Wohnung in der Konradstraße<br />

12, später wohnte er in der Konradstraße 14 in München. Ein Jahr später erwarb<br />

Loeb das Anwesen an der Maria-Josepha-Straße 8, wo ihm Carl Sattler sein Münchner<br />

Domizil errichtete. Inspiriert vom französischen Gelehrten Salomon Reinach entschloss<br />

sich Loeb zur Herausgabe einer „umfassenden Bibliothek“ griechischer und lateinischer<br />

Texte und deren Übersetzung, der Loeb Classical Library. In dieser umfangreichen Publikationsreihe<br />

sollten alle literarischen Texte der griechischen und römischen Antike als<br />

wissenschaftliche Ausgaben aufgelegt werden: in Originalsprache und englischer Übersetzung.<br />

Loeb gründete dafür eine Stiftung, die bis heute mit Sitzen in Harvard und London<br />

besteht und insgesamt über 490 Bände herausgegeben hat. 372<br />

In Hochried bei Murnau erbaute der Mäzen und Wissenschaftler mit seinem Architekten<br />

Carl Sattler ein Landhaus (1911-1913), das er im Jahre 1912 bezog. Loeb heiratete 1921<br />

Marie Antonie Hambuechen, die seine Verwalterin und persönliche Vertraute seit seiner<br />

Übersiedlung nach München war. Im selben Jahr erwarb er das Grundstück am Bavariaring<br />

46, um sich von Carl Sattler ein Mietshaus errichten zu lassen; hier war das mit seiner<br />

Hilfe gegründete „Deutsche Forschungsinstitut für Psychiatrie“ untergebracht. 373 Dieses<br />

Haus beherbergt heute die Maria-Theresia-Klinik.<br />

Durch die Initiative seiner Frau Marie Antonie entstand in der Kaulbachstraße 49 ein Studentinnen-Wohnheim,<br />

genannt „Marie-Antonie-Haus“. Es wurde 1929 von seinem Architekten<br />

Carl Sattler errichtet und besteht noch heute. Seine Ernennung zum Ehrenbürger<br />

der Universität München erfolgte 1925. „In Würdigung seiner außerordentlichen Förderung<br />

der wissenschaftlichen Forschung in München und der steten Hilfsbereitschaft, die<br />

er der Stadt München gegenüber bekundet hat“, erhielt er die goldene Ehrenmünze verliehen.<br />

Dieses vom Bildhauer Theodor Georgii gestaltete Kunstwerk befindet sich heute<br />

in der Staatlichen Münzsammlung München.<br />

371 Burgmair, Wolfgang / Weber, Mathias M. (1997): „... daß er sich nirgends wohler als in Murnau fühle ...“.<br />

In: Jahrbuch des Historischen Vereins Murnau (Hrsg.): 78<br />

372 Stewart, Zeph (2000): Gründung und Geschichte der Loeb Classical Library. In: Schlossmuseum des<br />

Marktes Murnau (Hrsg.): 104<br />

373 Scherer, Benedikt M. (2000): James Loeb und sein Architekt Carl Sattler. In: Schlossmuseum des Marktes<br />

Murnau (Hrsg.): James Loeb 1967-1933. Kunstsammler und Mäzen: 127-142<br />

188


Ein schwerer Schicksalsschlag war für Loeb der Tod seiner Frau Marie Antonie am 28.<br />

Januar 1933. Die politischen Ereignisse – die Machtergreifung und deren Auswirkungen<br />

– veranlassten Loeb, Verbindung mit seinem Rechtsberater Professor Dr. Heinrich Rheinstrom<br />

(siehe Band 2: Jüdische Rechtsanwälte) aufzunehmen, der bereits in die Schweiz<br />

emigriert war. Im April 1933 reiste er mit seinem Stiefsohn Joseph Wilhelm Hambuechen<br />

in die Schweiz. Dort erlitt er kurz vor der Rückfahrt einen „cerebralen Insult mit Halbseitenlähmung.“<br />

374<br />

Am 27. Mai 1933 starb James Loeb in Murnau-Hochried. Seine Urne ist im Park des<br />

Landsitzes beigesetzt. In seinem Testament überließ er seine Sammlungen antiker Kunstwerke,<br />

die er durch wissenschaftliche Publikationen und Kataloge bekannt gemacht hatte,<br />

der Staatlichen Antikensammlung München. Die umfangreiche „Sammlung James Loeb“<br />

hat die Kriegsjahre unversehrt überstanden und ist seit 1967 in der neu eingerichteten<br />

Staatlichen Antikensammlung am Königsplatz zu sehen, wo sie in die kunstgeschichtliche<br />

Abteilung des Museums eingegliedert wurde. 375 Einen Teil der umfangreichen Bibliothek<br />

von Loeb bekam das archäologische Institut in München.<br />

James Loeb kann nicht als direktes Opfer des nationalsozialistischen Gewaltherrschaft<br />

gelten, er stellt jedoch einen Grenzfall dar. Seine Einschätzung der politischen Lage wird<br />

an seinem Testament deutlich.<br />

Ausstellungen<br />

1983: James Loeb Mäzen von Beruf. Die „Sammlung James Loeb“. Gezeigt in der<br />

Staatlichen Antikensammlung am Königsplatz, München, anlässlich seines 50. Todestages<br />

im Jahre 1983<br />

7. April – 9. Juli 2000: James Loeb 1867-1933. Kunstsammler und Mäzen. Sonderausstellung<br />

im Schlossmuseum der Marktgemeinde Murnau am Staffelsee; Oberbayern<br />

Stiftungen von James Loeb<br />

1902 „Charles-Eliot-Norton-Stipendium“, Harvard.<br />

1905 „Institute of Musical Art“, New York.<br />

1910 „Loeb Classical Library“ mit Sitz in Harvard und London.<br />

1917 Gründung der „Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie“ in München.<br />

374 Burgmair, Wolfgang / Weber, Mathias M. (1997): „... daß er sich nirgends wohler als in Murnau fühle ...“.<br />

In: Jahrbuch des Historischen Vereins Murnau (Hrsg.): 112<br />

375 Hamdorf, Friedrich Wilhelm (1983): James Loeb Mäzen von Beruf: o. S.<br />

189


1924 Neubau für die „Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie“ am Bavariaring 46 in<br />

München.<br />

1928 Neubau für die „Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie“ in der Kraepelinstraße<br />

2-10 in München; heute „Max-Planck-Institut für psychologische Forschung“.<br />

1929 „Marie-Antonie-Haus“: Studentinnen-Wohnheim in der Kaulbachstraße 19 in München.<br />

1932 Krankenhaus der Marktgemeinde Murnau.<br />

Ehrungen und Namenspatronagen<br />

1922 Ehrendoktorwürde der philosophischen Fakultät der Universität München.<br />

1925 Ehrendoktorwürde der Universität Cambridge (England).<br />

1925 Ehrenbürger der Münchener Universität.<br />

1927 Ehrenmedaille zum 60. Geburtstag (Geschenk seiner Freunde) von Theodor Georgii,<br />

Goldene Schale von der Landeshauptstadt München. 376<br />

1929 Ehrenmitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft.<br />

1930 Goldene Ehrenmünze der Stadt München.<br />

1932 Ehrenbürger der Marktgemeinde Murnau, James-Loeb-Straße in Murnau.<br />

2001 James-Loeb-Schule (Grundschule) in Murnau<br />

Literatur<br />

Birmingham, Stephen (1969): In unseren Kreisen. Berlin 1969<br />

Burgmair, Wolfgang / Weber, Mathias M.: „... daß er sich nirgends wohler als in Murnau fühle ...“ James Loeb<br />

als Förderer der Wissenschaft und philantropischer Mäzen. In: Jahrbuch des Historischen Vereins Murnau<br />

(Hrsg.) (1997) M. + A. Fischer, Weilheim: 76-128<br />

Burgmair, Wolfgang / Weber, Mathias M. (2000): „... Ein Lichtstrahl in das trübe Dunkel ...“. James Loeb als<br />

Wissenschaftsmäzen der psychiatrischen Forschung. In: Schlossmuseum der Marktgemeinde Murnau<br />

(Hrsg.) (2000): James Loeb 1867-1933. Kunstsammler und Mäzen: 107-126<br />

Festschrift für James Loeb zum sechzigsten Geburtstag, gewidmet von seinen archäologischen Freunden in<br />

Deutschland und Amerika (1930) u. a. mit Beiträgen zu Ausstellungsobjekten der Sammlung Loeb<br />

Hall, Max (1993): Renewal of a Classic. „The James Loeb Classical Library“ with 477 volumen in print, prepares<br />

for the 21st century. In: Harvard Magazine Sept/Okt. 1993: 48-52<br />

Hamdorf, Friedrich Wilhelm (1983): Sammlung James Loeb. Staatliche Antikensammlung u. Glyptothek,<br />

München<br />

Hamdorf, Friedrich W. (2000): James Loebs archäologische Studien. In: Schlossmuseum der Marktgemeinde<br />

Murnau (Hrsg.) (2000): James Loeb 1867-1933. Kunstsammler und Mäzen: 147-190<br />

Hamdorf, Friedrich W. (Hrsg.) (1996): Hauch des Prometheus – Meisterwerke in Ton. Staatl. Antikensammlungen<br />

München. Verlag Staatssammlungen, München<br />

Loeb, James (1929): Our Father. München 1929. Selbstverlag<br />

376 StadtA Mü ZA Personen. In: Salmen, Brigitte (2000): James Loeb. Leben und Wirken. In: Schlossmuseum<br />

des Marktes Murnau (Hrsg.): 63<br />

190


Salmen, Brigitte (2000): James Loeb – Leben und Wirken. In: Schlossmuseum der Marktgemeinde Murnau<br />

(Hrsg.) (2000): James Loeb 1867-1933. Kunstsammler und Mäzen: 17-72<br />

Schlossmuseum der Marktgemeinde Murnau (Hrsg.) (2000): James Loeb 1867-1933 Kunstsammler und Mäzen.<br />

Bearbeitet von Brigitte Salmen. Katalog zur Sonderausstellung im Schlossmuseum Murnau vom 7.4.-<br />

9.7.2000. Rieß-Druck, Benediktbeuern<br />

Mc Ewan, Dorothea (2000): Facetten einer Freundschaft. Aby Warburg und James Loeb. Verwandte, Freunde,<br />

Wissenschaftler, Mäzene. In: Schlossmuseum Murnau (Hrsg.) (2000): James Loeb Kunstsammler und<br />

Mäzen: 75-98<br />

Sieveking, Johannes (1930): Aus der Antikensammlung von Dr. James Loeb, Murnau. In: Pantheon Band 6:<br />

323-325<br />

Sieveking, Johannes (1935): Das Vermächtnis James Loeb an die Münchner Antikensammlungen. In: Pantheon<br />

Band 8: 53-58<br />

Stuart, Zeph (2000): Gründung und Geschichte der Loeb Classical Library. In: Schlossmuseum der Marktgemeinde<br />

Murnau (Hrsg.) (2000): James Loeb 1867-1933. Kunstsammler und Mäzen: 99-106<br />

Warburg, Aby (2001): Tagebuch der kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg. Akademie-Verlag, Berlin<br />

Weber, Mathias M. (1991): „Ein Forschungsinstitut für Psychiatrie ...“ In: Sudhoffs Archiv, Band 75. München<br />

Wünsche Raimund (1983): Mäzene. In memoriam James Loeb. In: Pantheon Band 39: 282-283<br />

Wünsche, Raimund (1984): James Loeb und sein Vermächtnis in den Antikensammlungen. In: Museumskunde,<br />

Band 49. Staatliche Antikensammlung, München: 55-61<br />

Zahn, Robert (1931): Hellenistischer Goldschmuck I. Diadem in der Sammlung des Herrn Dr. phil. h. c. James<br />

Loeb zu Murnau am Staffelsee. In: Antike Denkmäler, Band IV (1931): 69ff<br />

191


Luftkriegsopfer – Neuhofener Schuttberg<br />

„Ein Bombenteppich nach dem andern rauscht aus hellem Himmel todesnah heran –<br />

Wie todesnah berechnet ihre Bahn, wer eingegittert ihrem Brausen lauscht.“<br />

Albrecht Haushofer 377<br />

Gedenkstätte auf dem<br />

Neuhofener Schuttberg<br />

Foto: H. Engelbrecht<br />

192<br />

Neuhofener Schuttberg, 5.7.1950, Blick<br />

auf die Stadt gegen Nordosten<br />

Foto: Stadtarchiv München


Gedenkstätte<br />

Neuhofener Schuttberg, Sendling<br />

Mittersendling S7/S27<br />

M (1957)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Die Gedenkstätte wurde auf Initiative der Landeshauptstadt München 1957 errichtet.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Der Künstler Josef Wiedemann konzipierte die einem Rundtempel ähnelnde Gedenkstätte.<br />

Sie besteht in ihrem Zentrum aus einer von Professor Hans Wimmer gestalteten, flachen<br />

Nagelfluh-Brunnenschale (Durchmesser 2 m) mit kleinem Springbrunnen, die von<br />

acht, äquidistant und symmetrisch auf einen Kreisumfang postierten, 4,5 m hohen weißen<br />

Travertin-Rundsäulen eingefasst ist. Sie tragen ein mittelsteiles Dachgewölbe, das sich<br />

aus acht, mit Holzschindeln abgedeckten Sektoren aufbaut. Die Spitze des Dachgewölbes<br />

krönt eine vergoldete Kupferkugel. Die circa 10 Meter nördlich dieser Gedenkstätte in den<br />

Boden eingelassene und von Pflastersteinen gerahmte Gedenktafel (1,3 m × 0,9 m), geschaffen<br />

vom Bildhauer Blasius Gerg, trägt folgende Inschrift:<br />

„Die Anlage steht auf Schuttmassen des Bombenkrieges. Sie ist der Erinnerung an die<br />

6000 Münchner gewidmet, die im 2. Weltkrieg den Bomben zum Opfer gefallen sind.“<br />

INFORMATION ÜBER DIE KÜNSTLER<br />

Die Gedenkstätte ist ein Gesamtkunstwerk von Josef Wiedemann, Professor Hans Wimmer<br />

und Blasius Gerg.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Die Eskalation des Bombenkrieges gegen Deutschland begann mit der deutschen Westoffensive.<br />

Zuvor waren die weite Anflugsroute nach Süddeutschland und die deutsche Flak<br />

ein hohes Risiko für englische Bombenangriffe. Die Situation änderte sich, nachdem der<br />

deutsche Russlandfeldzug gescheitert war und die alliierten Bomber technisch verbessert<br />

worden waren. Ab 1943 kam es zu systematischen Angriffen auf alle Großstädte des Deutschen<br />

Reichs. Unterstützt von Verbänden der „United States Army Air Forces“ (USAAF)<br />

fielen die Bomben auf Hauptverkehrswege, Industrieanlagen, Bahnhöfe, Kasernen und<br />

377 A. Haushofer: Moabiter Sonetten, Gedicht Bombenregen: 17<br />

193


Wohngebiete. Golo Mann schilderte die Schrecken dieser Angriffe gegen Ende des Zweiten<br />

Weltkrieges: „Dort lebte das Volk jetzt zwischen zwei Schrecken, den feindlichen<br />

Bomben aus der Luft und den Volksgerichtshöfen, mit deren Todesurteilen der Führer seine<br />

,deutschen Menschen´ heimsuchte ...“ 378<br />

Die Luftschutzmaßnahmen reichten in München für die Zivilbevölkerung bei weitem<br />

nicht aus. Deshalb erfolgten seit dem 20. März 1943 Evakuierungen und „Landverschickungen“<br />

im Raum Oberbayern. München mied die von Berlin bestimmten Ausweichgebiete<br />

in den Reichsgauen Salzburg bzw. Steiermark und brachte die Stadtbewohner in abseits<br />

gelegenen Dörfern und Kleinstädten Oberbayerns unter. 379 Bis zum Kriegsende<br />

mussten – bei einer Gesamtbevölkerung von 820000 vor Kriegsausbruch – circa 400000<br />

Personen aus München evakuiert werden. 380<br />

Nach der alliierten Landung (D-Day) am 6. Juni 1944 an der Normandieküste verkürzten<br />

sich die Anflugzeiten der Bomberstaffeln; damit erhöhte sich die Häufigkeit der Angriffe<br />

der „fliegenden Festungen“. Zum schwersten Bombardement kam es Ende April 1944, bei<br />

dem Phosphor- und Stabbrandbomben München in eine Feuerhölle verwandelten.<br />

Die Alliierten zerstörten weite Teile Münchens. In der Altstadt waren 90 Prozent der Gebäude<br />

betroffen. Baudenkmäler und Kunstschätze – ein großer Teil des Münchner Kulturwertes<br />

– lagen in Schutt und Asche.<br />

Nach Kriegsende lagen zehn Millionen Kubikmeter Bauschutt im Stadtgebiet. Über seine<br />

Entsorgung berichtet die Chronik von München am 31. August 1945:<br />

„Das Stadtgebiet ist von einem Kleinbahnnetz von fast 50 Kilometer Länge durchzogen.<br />

Täglich fahren 14 Dampfzüge mit Kipploren aus, die von 12 Greifbaggern mit Bombenschutt<br />

beladen werden. Die Militärregierung hat außerdem 140 Lastwagen zur Verfügung<br />

gestellt. 150000 cbm Schutt sind bereits abgefahren, täglich werden 2000 weitere cbm beseitigt.<br />

Als nächstes sollen Häuserruinen beseitigt werden, bei denen Einsturzgefahr besteht.<br />

Nach Neuhofen kommt der Schutt aus dem Marienplatz-, Rindermarkt- und Färbergrabengebiet.<br />

Er wird über eine Zwischenkippe, die im Bereich der Hotter- und Damenstiftstraße<br />

ist, nach Neuhofen verladen.“ 381<br />

Die Kleinbahn („Bockerlbahn“) verkehrte zwischen dem Sendlinger-Tor-Platz und Neuhofen.<br />

Hier befand sich eine der vier großen Deponien, auf denen der Bauschutt gelagert<br />

378 Mann, Golo (1968): Deutsche Geschichte 1919–1945: 226<br />

379 Bauer, Richard (1987): Fliegeralarm: 20<br />

380 Bauer, Richard (1987): Fliegeralarm: 25<br />

381 Chronik der Stadt München 1945–1949 v. 6.8.1946: 187<br />

194


wurde. Weitere Ablageplätze gab es am Pullacher Platz (hier entstand später ein Sportstadion),<br />

am Luitpoldpark und auf dem Oberwiesenfeld, dem späteren Olympiagelände.<br />

Ausstellung<br />

1984: Trümmerzeit in München. Kultur und Gesellschaft einer deutschen Großstadt im Aufbruch<br />

1945–1949. Gezeigt von der Landeshauptstadt München im Münchner Stadtmuseum.<br />

Literatur<br />

Bauer, Richard / Stölzl, Christoph / Broszat, Martin / Prinz, Friedrich (Hrsg.) (1986): München. Schicksal einer<br />

Großstadt 1900–1950. Verlag Langen Müller, München, Wien<br />

Bauer, Richard (1987): Fliegeralarm. Luftangriffe auf München 1940–1945. Hugendubel Verlag, München<br />

Bauer, Richard (1988): Ruinen-Jahre. Bilder aus dem zerstörten München 1945–1949. Hugendubel Verlag,<br />

München<br />

Berthold, Eva / Matern, Norbert (1990): München im Bombenkrieg. Droste Verlag, Düsseldorf<br />

Chronik der Stadt München 1945–1948 (1980). Bearbeitet von Wolfram Selig, Ludwig Morenz, Helmut Stahleder.<br />

Stadtarchiv München, hrsg. v. Michael Schattenhofer. Manz AG Verlag, Dillingen<br />

Friedrich, Jörg (2002): Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945. Propyläen Verlag, München<br />

Hausenstein, Wilhelm (1958): Liebe zu München. Prestel Verlag, München<br />

Hausenstein, Wilhelm (1967): Licht unterm Horizont. Tagebücher von 1942 bis 1946. Prestel Verlag, München<br />

Mann, Golo (1968): Deutsche Geschichte 1919–1945. Frankfurt a. M.<br />

Richardi, Hans-Günter (1992): Bomber über München. Der Luftkrieg 1939 bis 1945, dargestellt am Beispiel<br />

der „Hauptstadt der Bewegung“. W. Ludwig Verlag, München<br />

Trümmerzeit in München (1984): Kultur und Gesellschaft einer deutschen Großstadt im Aufbruch 1945–<br />

1949. Hrsg. von Friedrich Prinz. Katalog zur Ausstellung im Münchner Stadtmuseum. C. H. Beck Verlag,<br />

München<br />

Schreibmayr, Erich (1989): Wer? Wann? Wo? Persönlichkeiten auf Münchner Friedhöfen. Verlag Erich<br />

Schreibmayr, München<br />

195


Luftkriegsopfer – Schwabinger Schuttberg<br />

„Die Europa zu terrorisieren schienen, lebten selber unter gleichem Terror.“<br />

Golo Mann 382<br />

Kruzifix auf dem Schuttberg im Luitpoldpark<br />

Foto: H. Pfoertner<br />

Kruzifix mit Inschrift<br />

Schwabinger Schuttberg<br />

Luitpoldpark, Schwabing<br />

Scheidplatz U2/U3/U8 und Tram 12<br />

M (1958)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Auf Veranlassung der Landeshauptstadt München wurde nach Abschluss der Landschaftsund<br />

Freizeitparkgestaltung im Jahre 1958 auf dem Schwabinger Schuttberg im Luitpoldpark<br />

ein Bronzekreuz mit Inschrift errichtet. Die Namengebung seit Juni 1959 – „Schwabinger<br />

Schuttberg“ – geht auf den Wunsch der Münchner Bürger zurück. Sie konnten sich mit Vorschlägen<br />

wie „Kreuzberg“, „Ruinenberg“ oder „Luitpoldhügel“ nicht anfreunden.<br />

382 Mann, Golo (1968): Deutsche Geschichte 1919–1945: 226<br />

196


KURZBESCHREIBUNG<br />

Auf dem Gipfel des Schuttberges befindet sich ein in Bronze gegossenes Kruzifix mit folgender<br />

Inschrift: „Betet und gedenket all’ der unter den Bergen von Trümmern Verstorbenen. O<br />

Herr gib ihnen die ewige Ruhe. Das Kreuz ist geweiht. 3.5.1958.“ Eine Tafel am Weg kurz vor<br />

dem Gipfel des Berges trägt die Inschrift: „Dieser Berg entstand aus dem Trümmern der im<br />

Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstörten Münchner Häuser. Die bei den Luftangriffen umgekommenen<br />

Bewohner sind auf den städtischen Friedhöfen bestattet.“<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Das Kreuz schuf Herbert Altmann.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Der Luitpoldpark ist im Jahre 1911 vom Prinzregenten Luitpold (1821–1912) errichtetet<br />

worden. An der Südseite steht ein 17 Meter hoher Obelisk, von dem axial ein Hain mit 90<br />

Linden ausgeht. An der westlichen Parkseite steht das „Bamberger Haus“: Ein Bürgerhaus<br />

im genuesischen Barockstil, das in den Jahren 1707–1713 in Bamberg von Welsch und<br />

Dienzenhofer geschaffen wurde. 383 Der Luitpoldpark erstreckt sich über eine Fläche von<br />

33 Hektar. Am nördlichen Ende des Parks entstand der etwa 40 Meter hohe Schuttberg,<br />

eine der vier großen Deponien für den Bombenschutt aus der Innenstadt.<br />

Noch heute sind Spuren der ehemaligen Lorenbahn auf der Nordseite des Berges zu erkennen.<br />

Der botanisch gut gepflegte „Schwabinger Schuttberg“ bietet einen weiten Blick<br />

über die Stadt und ihr Land und ist nun ein Symbol für Versöhnung.<br />

Ausstellung<br />

1984: Trümmerzeit in München. Kultur und Gesellschaft einer deutschen Großstadt im<br />

Aufbruch 1945–1949. Von der Landeshauptstadt München. Gezeigt im Münchner Stadtmuseum.<br />

Literatur<br />

(siehe Band 2, Luftkriegsopfer – Neuhofener Schuttberg)<br />

383 Im Jahre 1900 kamen die Fassadenteile dieses Hauses nach München; 1911 wurde es im Luitpoldpark<br />

wieder errichtet.<br />

197


Ehrenhain mit Denkmal<br />

Nordfriedhof, Ungererstraße 130, Gräberfeld 144 mit 149<br />

Nordfriedhof U6<br />

M (1950)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Denkmal auf dem Nordfriedhof<br />

Foto: H. Engelbrecht<br />

198<br />

Luftkriegsopfer – Ehrenhain<br />

Auf Antrag der Landeshauptstadt München entstand auf dem Neuen Teil des Nordfriedhofs<br />

ein Ehrenhain für die Münchner Opfer des Bombenkrieges. Die Einweihung fand am<br />

31. Oktober 1950 statt.


KURZBESCHREIBUNG<br />

Diese Grabanlage (8855 m²) wurde für die Opfer der Luftangriffe vom 7. Dezember 1944<br />

bis 7. Januar 1945 384 geschaffen, die am 28. Januar 1945 an diesen Ort umgebettet wurden.<br />

Sie umfasst 1940 Einzelgräber und ein Sammelgrab. Ein Weg führt zu einer Bronzestele<br />

(1,2 Meter breit, circa 5 Meter hoch) mit christlicher Symbolik. Der Ehrenhain ist<br />

von einer Hecke umgeben. Im Boden eingelassene Keramiktafeln (0,10 m × 0,10 m) tragen<br />

die Namen und Lebensdaten der Toten. Das Gräberfeld ist mit Formsteinen verziert.<br />

Die Inschrift auf der pfeilförmig endenden Stele lautet:<br />

„Tiefe des Reichtums der Weisheit und Erkenntnis Gottes. Wie unbeschreiblich sind seine<br />

Gerichte, wie unerforschlich seine Werke.“<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Denkmal und Ehrenhain schuf der Münchner Professor Hans Wimmer.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Der Nordfriedhof ging aus einem Gemeindefriedhof hervor, der seit 1884 zu Schwabing<br />

gehörte; seine Fläche betrug 1897 etwa 26 Hektar. Der Architekt Hans von Grässel schuf<br />

die Anlage in Anlehnung an italienische und byzantinische Vorlagen. Seit 1920 ist dieser<br />

Friedhof um circa zwölf Hektar nach Osten und Norden erweitert worden.<br />

Die Anlage für die Luftkriegsopfer besteht seit 1945. Hier ruhen 2099 Tote, davon 159<br />

Unbekannte. „Bei 74 Fliegerangriffen zwischen 4.6.1940 und 26.4.1945 wurden 6632<br />

Personen getötet, 15 800 verwundet. Auf das Stadtgebiet fielen 450 Luftminen, 61 000<br />

Sprengbomben, 142 000 Flüssigkeitsbrandbomben und 3 316 000 Stabbrandbomben.<br />

Rund 300 000 Einwohner wurden obdachlos, 81 500 Wohnungen zerstört. Die historische<br />

Altstadt wurde zu 90% zerbombt, 50% der gesamten Bausubstanz der Stadt wurden vernichtet.“<br />

385<br />

Innerhalb des Münchner Stadtgebietes fanden während des Zweiten Weltkriegs „6242<br />

Bürger und Bürgerinnen bei 66 Luftangriffen den Tod.“ 386<br />

Literatur<br />

(siehe Band 2, Luftkriegsopfer – Neuhofener Schuttberg)<br />

384 Chronik der Stadt München 1945–1949: 27<br />

385 Chronik der Stadt München 1945–1948: 27. Auch in: Schreibmayr, Erich (1989): 453<br />

386 Bauer, Richard (1988): Ruinenjahre: 45<br />

199


I. Kruzifix<br />

M (1960)<br />

II. Gedenktafel<br />

M (1999)<br />

Luftkriegsopfer – Olympiapark<br />

200<br />

Kruzifix im Olympiapark<br />

Foto H. Pfoertner


Zu I. Kruzifix<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Olympiaparks wurde die Gedenkstätte am<br />

5. August 1960 hier errichtet.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Ein Kruzifix am südöstlichen Ausläufer des Olympiaberges erinnert an die Luftkriegsopfer.<br />

Zu II. Gedenktafel<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Am Weg kurz vor dem Gipfel des Berges befindet sich eine Tafel mit folgender Inschrift:<br />

„Dieser Berg entstand aus den Trümmern der im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstörten<br />

Münchner Häuser.“<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Auf dem heutigen Olympiagelände erstreckte sich ursprünglich das „Obere Wiesenfeld“<br />

vom Maßmannbergl (Ecke Dachauer-/Maßmannstraße) nach Nordosten. Vom Jahre 1794<br />

bis zum späten 19. Jahrhundert diente das Gelände zwischen Dachauer- und Milbertshofener<br />

Straße als „Artillerie- und Exerzierplatz“. Im Jahre 1909 landete hier der erste Zeppelin.<br />

In den Jahren 1925 bis 1939 befanden sich auf dem Oberwiesenfeld Hallen und<br />

Rollfeld des Münchner Verkehrsflughafens.<br />

Der 290 Meter hohe Olympiaturm ist in den Jahren 1965 bis 1968 errichtet worden. Von<br />

1968–1972 wurde durch Stauung des Nymphenburger Kanals ein künstlicher See geschaffen.<br />

Am Fuße des aus Bombenschutt bestehenden Olympiabergs entstand eine abwechslungsreich<br />

gegliederte Sport- und Erholungslandschaft, die mit dem Olympiastadion, der<br />

Sport- und Schwimmhalle und dem verbindenden Zeltdach ein architektonisches Denkmal<br />

bildet.<br />

Literatur<br />

(siehe Band 2, Luftkriegsopfer – Neuhofener Schuttberg)<br />

201


Mann, Heinrich<br />

*27.3.1871 Lübeck †12.3.1950 Santa Monica, Kalifornien<br />

„Das Dritte Reich wird scheitern an seiner Unfähigkeit und an seiner Abhängigkeit.<br />

Dann aber käme ein ungemein blutiger Abschnitt der deutschen Geschichte. Das Reich<br />

der falschen Deutschen und falschen Sozialisten wird gewiß unter Blutvergießen<br />

errichtet werden, aber das ist noch nichts, gegen das Blut,<br />

das fließen wird bei seinem Sturz.“ 387<br />

Heinrich Mann<br />

Foto: Süddeutscher Verlag<br />

387 Heinrich Mann. „Die deutsche Entscheidung“ v. 13.12.1931. In: Schröter, Klaus (1998): Heinrich<br />

Mann: 113<br />

202<br />

Gedenktafel für Heinrich Mann,<br />

Leopoldstraße 59<br />

Foto: A. Olsen


I. Heinrich-Mann-Allee, Herzogpark<br />

M (1956)<br />

II. Gedenktafel, Leopoldstraße 59, Schwabing<br />

M (1985)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Von 1914 bis 1928 lebte Heinrich Mann, der seit 1896 in München ansässig war, mit seiner<br />

Familie im dritten Stock des Hauses Leopoldstraße 59. Mit dieser Gedenktafel ehrte<br />

die Landeshauptstadt München den im Schatten seines berühmten Bruders Thomas stehenden<br />

– aber deshalb nicht weniger bedeutenden – Heinrich Mann.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

An der südlichen Hausseite befindet sich eine Steintafel mit der Inschrift:<br />

„Der Schriftsteller Heinrich Mann lebte in diesem Haus 1914–1928.“<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Die Gedenktafel schuf Horst Auer<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Als erstes Kind von Thomas Johann Heinrich Mann und seiner Frau Julia (geb. da Silva-<br />

Bruhns) wurde Heinrich Mann am 27. März 1871 in Lübeck geboren. In der wohlhabenden<br />

Patrizierfamilie kamen die Kinder durch die vielseitig gebildete Großmutter und Mutter sehr<br />

früh mit Literatur und Musik in Kontakt. Heinrich und seine Geschwister Thomas (*1875),<br />

Julia (*1877), Carla (*1881) und Viktor (*1890) erhielten ihren Neigungen entsprechende<br />

Förderungen. Ein frühes autobiographisches Dokument ist das Tagebuch des 13-jährigen<br />

Heinrich, wo er über eine Reise nach Petersburg im Jahre 1884 berichtet. Das Gymnasium<br />

schloss er 18-jährig in der Unterprima ab. Dem Vater, der den Ältesten gerne als seinen<br />

Nachfolger im Handelshaus gesehen hätte, blieb die Neigung seines Sohnes nicht verborgen.<br />

Um den väterlichen Vorstellungen noch gerecht zu werden, entschloss sich Heinrich kompromissbereit<br />

für eine Buchhandelslehre in Dresden, die er nach einem knappen Jahr abbrach.<br />

Anschließend war er Volontär im S. Fischer Verlag Berlin. Diese Tätigkeit musste er<br />

aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Der Vater, der am 13. Oktober 1891 gestorben war,<br />

verfügte in seinem Testament die Liquidierung der Firma und bestimmte, dass die Erbteile<br />

des bedeutenden Erlöses auf seine Frau und Kinder übergehen sollten. Damit war Heinrich<br />

Mann finanziell unabhängig und konnte als freier Schriftsteller leben.<br />

203


Sein erster Roman In einer Familie erschien 1894. Die Verbindung mit dem jüngeren Bruder<br />

Thomas vertiefte sich bei gemeinsamen Reisen und Aufenthalten in Italien zwischen<br />

den Jahren 1895 bis 1905. Heinrich Mann war vom April 1895 bis März 1896 der Herausgeber<br />

der konservativen Zeitschrift „Das Zwanzigste Jahrhundert. Blätter für deutsche Art<br />

und Wohlfahrt“. Durch seine Mitarbeit bei der konservativen Zeitschrift lernte er „die gefährlichen<br />

Meinungen einer imperialistischen Bourgeoise kennen und bald durchschauen.“<br />

388 Während der gemeinsamen Zeit mit seinem jüngeren Bruder Thomas in Italien löste<br />

er sich von seinen frühen autobiographisch-psychologischen Studien. Er begann, die<br />

Umwelt mit ihren sozialen Schichten und gesellschaftlichen Erscheinungen analytisch zu<br />

erfassen und darzustellen. Über diese persönliche Entwicklung äußerte er sich später:<br />

„1897 in Rom, Via Argentina 34, überfiel mich das Talent, ich wußte nicht, was ich tat.<br />

Ich glaubte einen Bleistiftentwurf zu machen, schrieb aber den beinahe fertigen Roman.<br />

Mein Talent ist in Rom geboren, nach dreijähriger Wirkung der Stadt.“ 389 Wechselnde<br />

Aufenthalte in München, Berlin und diversen Städten Italiens folgten. Im Roman Zwischen<br />

den Rassen griff Heinrich Mann auf die Kindheitserinnerungen seiner Mutter zurück.<br />

In Berlin lernte er die Schauspielerin Maria Kanová kennen, die er zwei Jahre später<br />

heiratete. Im Jahre 1914 siedelten beide nach München über.<br />

Das Zerwürfnis mit dem Bruder Thomas hatte seine Ursache in dessen deutschnationaler<br />

Kriegsbegeisterung. Als dessen Gedanken im Kriege erschienen, nahm der Bruder Heinrich<br />

„... die Trennung vor von denen, die er trotz allem für seinesgleichen gehalten hatte.“<br />

390 Sein zwischen 1907–1914 entstandener Roman Der Untertan, sein erfolgreichstes<br />

Werk, erschien als Fortsetzungsroman in der illustrierten Wochenschrift „Zeit im Bild“.<br />

Der Roman ist eine brillant angelegte Analyse der Zusammenhänge zwischen Autoritätshörigkeit<br />

und gesellschaftlichen Strukturen im Kaiserreich. Nach Kriegsbeginn musste die<br />

Veröffentlichung in der Wochenschrift abgebrochen werden; der Roman erschien erst<br />

1918, aber da mit großem Erfolg. 1916 kam die Tochter Leonie zur Welt. In den Kriegsjahren<br />

verkehrte Heinrich Mann mit Gleichgesinnten im Münchner Café Luitpold. Er traf<br />

dort die Schriftsteller Frank Wedekind, Kurt Martens, Gustav Meyrink, Erich Mühsam,<br />

Joachim Friedenthal und Lion Feuchtwanger. Nach der Ermordung des bayerischen Ministerpräsidenten<br />

Kurt Eisners hielt er auf seinen Freund am 16. März 1919 eine Gedenkrede:<br />

„... Wer so unwandelbar in der Leidenschaft der Wahrheit und eben darum so mild<br />

im Menschlichen ist, verdient den ehrenvollen Namen eines Zivilisationsliteraten. Dies<br />

war Kurt Eisner.“ 391 Eisner (siehe Band 1: S. 79–81) war für Heinrich Mann der Idealfall<br />

388 Schröter, Klaus (1998): Heinrich Mann: 38<br />

389 Brief an Karl Lemke, 29.1.1947. In: Schröter, Klaus (1998): Heinrich Mann: 43<br />

390 Schröter, Klaus (1998): Heinrich Mann: 81<br />

391 Huch, Ricarda (1990): Der Mord an Kurt Eisner. In: Schwab, Hans-Rüdiger (Hrsg.) (1990): München.<br />

Dichter sehen eine Stadt: 207<br />

204


eines Menschen, bei dem Geist und Tat vollständig harmonierten. 392 Ein 1917 unternommener<br />

Versöhnungsversuch mit seinem jüngeren Bruder Thomas scheiterte. Weitere fünf<br />

Jahre sollte es dauern, bis Thomas Mann durch die Ereignisse der Revolution, der Ausrufung<br />

der Republik und des rechtsextremen Terrors im Deutschen Reich eine Wendung zu<br />

politischer Liberalität vollzog und sich damit den bürgerlich-demokratischen Prinzipien<br />

des älteren Bruders näherte. In den Jahren der Weimarer Republik wurde Heinrich Mann,<br />

bisher Vertreter der literarischen Avantgarde, Repräsentant einer politischen Bewegung.<br />

393 Wie er zu seinem Beruf als Schriftsteller stand, beschrieb Heinrich Mann mit folgenden<br />

Worten: „Literatur ist niemals nur Kunst, eine bei ihrem Entstehen schon überzeitliche<br />

Dichtung gibt es nicht. Sie kann so kindlich nicht geliebt werden wie Musik. Denn<br />

sie ist Gewissen – das aus der Welt hervorgehobene und vor sie hingestellte Gewissen. Es<br />

wirkt und handelt immer.“ 394<br />

Im Jahre 1926 erfolgte Heinrich Manns Aufnahme und Mitgliedschaft in der Preußischen<br />

Akademie der Künste, Sektion Dichtkunst. Nach der Trennung von seiner Frau Maria zog<br />

Heinrich Mann nach Berlin, dem kulturellen Zentrum Deutschlands. In seinem politischen<br />

Denken waren auch die internationalen Beziehungen wichtig; verstärkt setzte er sich für<br />

die Aussöhnung mit Frankreich ein. Sein Ziel galt der Völkerverständigung und einem<br />

vereinten Europa.<br />

Im Berliner Lessing-Theater lernte er bei Proben zu einer Komödie von Ernst Toller (siehe<br />

Band 3: Toller) und Walter Hasenclever die Schauspielerin Trude Hesterberg kennen. Sie<br />

bat ihn, Professor Unrat zur Verfilmung freizugeben. Regisseur Josef von Sternberg besetzte<br />

die Hauptrolle mit Marlene Dietrich. Der Film mit dem Titel Der blaue Engel wurde<br />

ein bedeutender Erfolg (Premiere war im Frühjahr 1930): „Mein Kopf, und die Beine von<br />

Marlene Dietrich (Der blaue Engel),“ 395 so fasste Heinrich Mann das Geheimnis des Gelingens<br />

zusammen. Ein gesellschaftlicher Höhepunkt war sein 60. Geburtstag, den er zusammen<br />

mit Max Liebermann (Präsident der Akademie), Gottfried Benn, Lion Feuchtwanger<br />

(siehe Band 1: Feuchtwanger) und seinem Bruder Thomas (siehe Band 2: Mann,<br />

Thomas) feierte.<br />

Vor der Ernennung des neuen Reichskanzlers hatte er gemeinsam mit der Graphikerin<br />

und Bildhauerin Käthe Kollwitz (siehe Band 2: Kollwitz) und dem Physiker Albert Einstein<br />

(siehe Band 1: Einstein) einen Aufruf des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes<br />

zur Einigung von SPD und KPD gegen die drohende Diktatur unterzeichnet. Die<br />

392 Wißkirchen, Hans (1999): Heinrich Mann: 58<br />

393 Wendepunkt: 71. In: Schröter, Klaus (1998): Heinrich Mann: 56<br />

394 Schröter, Klaus (1998): Heinrich Mann: 106<br />

395 Schröter, Klaus (1998): Heinrich Mann: 112<br />

205


Behörden schlossen daraufhin die Unterzeichnenden aus der Akademie aus. Heinrich<br />

Mann zog die Emigration vor, weil er die Weltanschauung der Nazis für „imbécile“<br />

hielt. Im Dezember 1932 bekannte er sich zum Übernationalen: „Ich habe den alten<br />

Macht- und Nationalstaat verlassen, weil sein sittlicher Inhalt ihm ausgetrieben ist ...<br />

Der nationalistischen Lüge werden Menschen geopfert. Der nationalistischen Lüge<br />

wird das Menschtum geopfert. Ich bin es gründlich satt, die freche Lüge zu hören, daß<br />

nicht der Kampf um das Menschtum der höhere Beruf ist, sondern der Kampf dagegen.“<br />

396 Am 21. Februar 1933 reiste er allein und ohne Gepäck mit der Bahn von Frankfurt<br />

über Straßburg nach Nizza. Seinen Besitz hatte die Gestapo sofort beschlagnahmt;<br />

allein einige wertvolle Manuskripte und Bücher wurden auf Veranlassung des tschechischen<br />

Außenministeriums nach Prag ausgeliefert. Im Exil nahm er den politischen<br />

Kampf gegen die Nationalsozialisten mit Schrift und Wort auf. Er stellte sich dem in Paris<br />

gegründeten Schutzverband deutscher Schriftsteller zur Verfügung, leitete Kundgebungen<br />

und schrieb in einer französischen Zeitung aufklärende Artikel über die politischen<br />

Verhältnisse in Deutschland. Im Deutschen Reich verbrannte man seine Bücher<br />

auf dem Scheiterhaufen. Mit Hilfe des tschechischen Präsidenten bekam er 1936 die<br />

tschechische Staatsbürgerschaft. Während seiner Zeit in Nizza hielt er Kontakt zu den<br />

Autoren Joseph Roth, Hermann Kesten, René Schickle, Lion Feuchtwanger und zu seinem<br />

Bruder Thomas. 1939 heiratete er die 27 Jahre jüngere Nelly Kroeger. Weiterhin<br />

arbeitete er am Sturz Hitlers. Der drohende Krieg sollte vermieden werden. Am 25. Mai<br />

1939 richtete er einen Brief an seinen Bruder Thomas: „... Das Beschämende ist, daß<br />

mit einem deutschen Aufstand noch immer nirgends gerechnet wird ... Zum Jahreswechsel<br />

muß Hitler am Boden liegen; oder, was folgt, wäre unabsehbar, wenigstens für<br />

mich.“ 397 Heinrich Mann blieb bis September 1940 in Nizza. Die Gefahr der Internierung<br />

veranlasste ihn, Europa zu verlassen. So wanderte er zusammen mit seiner Frau<br />

Nelly, Lion Feuchtwanger, Franz Werfel und dessen Frau Alma sowie Golo Mann über<br />

die Pyrenäen nach Lissabon. Die Flucht hatte ihnen Varian Fry ermöglicht. 398 Von dort<br />

brachte sie ein Schiff in die USA. Über seinen Abschied reflektierte der 70-Jährige: „Eine<br />

verlorene Geliebte ist nicht schöner. Alles was mir gegeben war, hatte ich an Europa<br />

erlebt, Lust und Schmerz eines seiner Zeitalter, das meines war; aber mehreren anderen,<br />

die vor meinem Dasein liegen, bin ich auch verbunden. Überaus leidvoll war dieser<br />

Abschied.“ 399<br />

396 Schröter, Klaus (1998): Heinrich Mann: 118<br />

397 Schröter, Klaus (1998): Heinrich Mann: 137<br />

398 Ein Agent des amerikanischen Emergency Rescue Committee. Eine Organisation, die insbesondere<br />

gefährdete Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle vor der Gestapo und dem Vichy-Regime rettete.<br />

Mehr als dreihundert Menschen gelangten mit Varian Frys Hilfe über die Pyrenäen nach Spanien. In:<br />

Feuchtwanger, Lion (1982): Der Teufel von Frankreich: 375<br />

399 Schröter, Klaus (1998): Heinrich Mann: 141<br />

206


Zuerst fand er für ein Jahr als Scriptwriter bei den Filmgesellschaften in Hollywood eine<br />

Anstellung. Danach war das Ehepaar gezwungen in Los Angeles mit Hilfe von Thomas<br />

Mann und dem geringen Lohn von Nelly auszukommen. Sie verdiente als Schneiderin und<br />

Krankenschwester den Lebensunterhalt, kam aber mit der veränderten Situation seelisch<br />

nicht zurecht. Am 16. Dezember 1944 nahm sich Nelly mit einer Überdosis Schlaftabletten<br />

das Leben. In einem Brief nahm Heinrich dazu Stellung: „Personen, die nicht wissen,<br />

versuchen mir anzudeuten, es sei ,besser so´. Nein ... Wir waren fünfzehn Jahre vereint.<br />

Erinnerungen, tragische und wunderbare, lebten in ihr, sind aber jetzt schattenhaft wie<br />

der mir gebliebene Rest vom Dasein.“ 400 Im Krieg hatte er seine Gedanken und Erinnerungen<br />

in dem Werk Ein Zeitalter wird besichtigt zu Papier gebracht: Das Zeitgeschehen<br />

mit seinen politischen und militärischen Ereignissen wird hier beleuchtet und die Frage<br />

nach den Ursachen der Katastrophe gestellt. „Finsternis sinkt und verbietet den Ausweg,<br />

wenn der Mensch selbst in Frage gestellt wird. Wesen ohne geistig-sittliche Verantwortung<br />

sind keine Menschen mehr.“ 401<br />

Nach Kriegsende bekam Heinrich Mann das Angebot, in die Sowjetzone zurückzukehren.<br />

Die philosophische Fakultät der Humboldt-Universität Berlin verlieh ihm 1947 die Ehrendoktorwürde.<br />

Zwei Jahre später bekam er den Nationalpreis I. Klasse für Kunst und Literatur<br />

der DDR zugesprochen. Seine Rückkehr nach Berlin war bereits beschlossen. Mit<br />

der Berufung zum Präsidenten der Deutschen Akademie der Künste standen ihm Wohnund<br />

Amtssitz zur Verfügung. Doch seine Rückkehr verhinderte sein schlechter gesundheitlicher<br />

Zustand. Heinrich Mann starb am 12. März 1950 in Santa Monica, Kalifornien.<br />

Die Beisetzung seiner Urne fand am 25. März 1961 auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof<br />

in Berlin statt. Dort steht eine von Gustav Seitz geschaffene Porträtbüste.<br />

Ehrungen<br />

1926 Wahl zum Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, Sektion Dichtkunst.<br />

1928 Vorsitzender des Volksverbandes für Film und Kunst.<br />

1931 Präsident der Dichtkunst der Preußischen Akademie der Wissenschaften.<br />

1947 Ehrenvorsitz im Schutzverband Deutscher Autoren; Ehrendoktor der Humboldt-<br />

Universität, Berlin (Ost) und Ehrendoktor der Frankfurter Universität.<br />

1949 Nationalpreis der DDR Erster Klasse.<br />

1950 Wahl zum Präsidenten der Akademie der Künste in Berlin; Berufung zum Ersten<br />

Präsidenten der Deutschen Akademie der Künste in Berlin (Ost).<br />

400 Brief an Eva Lips v. 7.1.1945. In: Schröter, Klaus (1998): Heinrich Mann: 149<br />

401 Zitiert in: Schröter, Klaus (1998): Heinrich Mann: 153<br />

207


Filme<br />

Der blaue Engel verfilmt 1930; geschrieben als „Professor Unrat“, erschienen 1905<br />

Der Untertan mehrfach verfilmter Roman, beendet 1914, erschienen 1916<br />

Archive, Forschungs- und Gedenkstätten<br />

Heinrich-Mann-Archiv der Akademie der Künste zu Berlin, Robert-Koch-Platz 10, 10115<br />

Berlin.<br />

Heinrich- und Thomas-Mann-Zentrum Buddenbrookhaus, Mengstraße 4, 23552 Lübeck.<br />

Heinrich-Mann-Gesellschaft, Marbach am Neckar.<br />

Ausstellungen<br />

1998: Die Deutsch-Brasilianerin Julia Mann – Mutter berühmter Männer. Gezeigt<br />

von der Landeshauptstadt München im Kulturzentrum Gasteig.<br />

26. August – 28. Oktober 2001: Liebschaften und Greuelmärchen. Die unbekannten<br />

Zeichnungen von Heinrich Mann. Gezeigt im Buddenbrook-Haus in Lübeck.<br />

Literatur<br />

Banuls, Andree (1968): Thomas Mann und sein Bruder Heinrich. Kohlhammer Verlag, Stuttgart<br />

Becker, Thorsten (2001): Der Untertan steigt auf den Zauberberg. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek b. Hamburg<br />

Breloer, Heinrich (2001): Die Manns – Ein Jahrhundertroman. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Breloer, Heinrich (2001): Unterwegs zur Familie Mann. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Ebersbach, Volker (1978): Heinrich Mann. Leben, Werk, Wirken. Röderberg-Tb 71, Frankfurt a. M.<br />

Frühwald, Wolfgang (1994): „Er war mein Vater“. Menschenrecht und Menschenwürde in der Literatur des<br />

Exils. In: Odersky, Walter: Die Menschenrechte: 149–162<br />

Jasper, Willi (2002): Der Bruder. Biografie von Heinrich Mann, Fischer Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Jens, Inge (1994): Dichter zwischen rechts und links. Die Geschichte der Sektion für Dichtkunst an der Preußischen<br />

Akademie der Künste. Gustav Kiepenhauer Verlag, Leipzig (Neuauflage)<br />

Johnson, Uwe / Unseld, Siegfried (2000): Der Briefwechsel. Suhrkamp / SWR, 2 CDs, 148 Min.<br />

Kantorowicz, Alfred (1956): Heinrich und Thomas Mann. Aufbau Verlag, Berlin<br />

Kesting, Hanji (2000): Heinrich und Thomas Mann. Ein deutscher Bruderzwist. Dokumentation. NDR / Literatron<br />

Hamburg, 2 CDs, 106 Min.<br />

Romane von Heinrich Mann: (1894) In einer Familie; (1900) Im Schlaraffenland; (1903) Die Göttinnen. Die<br />

Jagd nach Liebe; (1905) Professor Unrat; (1906) Zwischen den Rassen; (1909) Die kleine Stadt; (1916)<br />

Der Untertan; (1917) Die Armen; (1925) Der Kopf; (1927) Mutter Maria; (1928) Die Bürgerzeit; (1930)<br />

Die große Sache; (1932) Ein erstes Leben; (1938) Die Jugend des Henri Quatre; (1943) Lidice; (1949) Der<br />

Atem; (1960) Die traurige Geschichte von Friedrich dem Großen<br />

208


Mann, Heinrich (1931): Fünf Reden und eine Entgegnung zum sechzigsten Geburtstag. Gesprochen von Max<br />

Liebermann, Gottfried Benn, Lion Feuchtwanger, Berlin. Zsolnay Verlag, Berlin<br />

Mann, Heinrich und Thomas (1994): Heinrich und Thomas Mann. Ihr Leben und Werk in Text und Bild. Katalog<br />

zur ständigen Ausstellung im Buddenbrook-Haus der Hansestadt Lübeck. Dräger Druck, Lübeck<br />

Mann, Julia (1991): Ich spreche so gern mit meinen Kindern. Aufbauverlag, Berlin und Weimar<br />

Mueller-Stahl, Armin (2001): Rollenspiel. Ein Tagebuch zu den Dreharbeiten für den Film „Die Manns“. J.<br />

Strauss Verlag, Berlin<br />

Paintner, Peter (1986): Erläuterungen zu Heinrich Manns „Der Untertan“, C. Bange Verlag, Hollfeld<br />

Schoeller, Wilfried (1978): Künstler und Gesellschaft. Studien zum Romanwerk Heinrich Manns zwischen<br />

1900 und 1914. C. H. Beck, München<br />

Schröter, Klaus (1998): Heinrich Mann. Rororo Bildmonographien Nr. 50125, Rowohlt Verlag, Reinbek bei<br />

Hamburg<br />

Schwab, Hans-Rüdiger (Hrsg.) (1990): München. Dichter sehen eine Stadt. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart<br />

Sierka, Volker (Hrsg.) (2001): „Liebschaften und Greuelmärchen“. Die unbekannten Zeichnungen von Heinrich<br />

Mann. Steidl Verlag, Göttingen<br />

Wißkirchen, Hans (1999): Die Familie Mann. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg<br />

Zühlsdorff, Volkmar (1999): Deutsche Akademie im Exil. Der vergessene Widerstand. Ernst Martin Verlag,<br />

Berlin<br />

209


Mann, Thomas<br />

*6.6.1875 Lübeck †12.8.1955 Zürich<br />

„Antisemitismus ist eine Schande jedes Gebildeten und kulturell Eingestellten.“ 402<br />

Thomas Mann<br />

Foto: Süddeutscher Verlag<br />

Gedenktafel für Thomas Mann und<br />

seine Familie, Franz-Joseph-Straße 2<br />

Foto: H. Engelbrecht<br />

402 Thomas Mann und das Judentum. In: Selbstwehr. Jüdisches Volksblatt. Prag 25.1.1935; vgl. auch Interview<br />

S. 206. Auch in: Kurzke, Hermann (2000): Thomas Mann: 288<br />

210


I. Thomas-Mann-Allee, Herzogpark<br />

M (1956)<br />

II. Gedenktafel<br />

Giselastraße 15<br />

Giselastraße U3/U6<br />

M (1969)<br />

III. Thomas-Mann-Gymnasium, Drygalski-Allee 2, München, Forstenried<br />

M (1969)<br />

IV: Gedenktafelkunstwerk<br />

Franz-Joseph-Straße 2<br />

Giselastraße U3/U6<br />

Privat (2001)<br />

Zu II. Gedenktafel<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Die von der Landeshauptstadt München initiierte Gedenktafel wurde am 30. April 1969<br />

der Öffentlichkeit übergeben. Im Jahr 2001 ist diese entfernt worden, da sie den historischen<br />

Gegebenheiten nicht entsprach. 403<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

An der Fassade neben dem Hauseingang, befand sich eine Bronzetafel (0,80 m × 0,40 m)<br />

mit der Aufschrift: „Thomas Mann vollendete in diesem Haus die Buddenbrooks 1898–<br />

1901.“<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Die Gedenktafel schuf der Künstler Hans Zilken.<br />

403 Thomas Mann wohnte hier in der „Pension Gisela“ für einen Monat im September 1902. Heiserer, Dirk<br />

(1993): Wo die Geister wandern: 113<br />

211


Zu IV: Gedenktafelkunstwerk Franz Joseph-Strasse 2<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Am ersten Wohnsitz von Katia und Thomas Mann initiierten der Historiker Dirk Heißerer<br />

und der Künstler Joachim Jung dieses Gedenktafelkunstwerk. Im Juli 2001 fand die Einweihung<br />

statt.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

An der Fassade sind zwei Glastafeln (à 0,8 m x 2,0 m) angebracht. Eine ist mit dem Foto<br />

des ehemaligen Gebäudes versehen, die zweite zeigt die Porträts von Thomas und Katia<br />

Mann mit den Kindern Erika, Klaus, Golo und Monika. Eingefügt sind Informationen und<br />

ein Brieftext.<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Das Gedenktafelkunstwerk schuf der Künstler Joachim Jung. Er versuchte, mit der Collage<br />

„von Informationstext und Brieftext (Julia Mann), die Textform der Gedenktafel für<br />

den Leser assoziationsreich und frei von einer bestimmten Lesereihenfolge zu gestalten.<br />

Glas als Material für die permanenten Tafeln wählte ich, um Farbe und Licht in die Gestaltung<br />

einzubeziehen.“ 404<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Thomas, das zweite Kind von Thomas Johann Heinrich Mann und Julia (geb. da Silva-<br />

Bruhns) wurde in Lübeck geboren. Der Vater leitete das Handelshaus seiner Vorfahren;<br />

er war Konsul und später Senator. Thomas hatte eine behütete und glückliche Kindheit.<br />

Die Familie besaß seit 1893 ein eigenes Haus in der Beckergrube 52, doch besonders gern<br />

hielten sich die Mann-Kinder im Stammhaus der Familie in der Mengstraße 4 auf. Heute<br />

ist hier im „Buddenbrookhaus“ das Heinrich- und Thomas-Mann-Zentrum untergebracht.<br />

Die Mutter mit ihren Neigungen zu Kunst und Kultur bedeutete ihm besonders viel. „Unsere<br />

Mutter war außerordentlich schön, von unverkennbar spanischer Turnüre – gewisse<br />

Merkmale der Rasse, des Habitus habe ich später bei berühmten Tänzerinnen wiedergefunden<br />

– mit Elfenbeinteint des Südens, einer edelgeschnittenen Nase und dem reizendsten<br />

Mund, der mir vorgekommen ist.“ 405 Julia da Silva-Bruhns war die Tochter eines Deutschen<br />

und einer portugiesisch-kreolischen Brasilianerin, die sieben Jahre auf dem Landsitz<br />

ihrer Eltern in Brasilien verbrachte. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter zog der Vater<br />

mit zwei Töchtern in seine Heimatstadt Lübeck, überließ seine beiden Töchter der Obhut<br />

404 Schreiben von Joachim Jung vom 7.6.2002 an Helga Pfoertner<br />

405 Gesammelte Werke XI: 421. Auch in: Schröter, Klaus (2000): Thomas Mann: 15<br />

212


seiner Verwandten und zog es vor, nach Brasilien zurückzukehren. Julia heiratete im Jahre<br />

1869 Thomas Johann Heinrich Mann. Aus der Ehe gingen fünf Kinder hervor: Heinrich<br />

(*1871), Thomas (*1875), Julia (*1877), Carla (*1881) und Viktor (*1890).<br />

Die Schulzeit war für Thomas Mann ein Qual; er schilderte sie folgendermaßen: „Erstens<br />

bin ich ein verkommener Gymnasiast. Nicht daß ich durchs Abiturexamen gefallen wäre,<br />

– es wäre Aufschneiderei, wollte ich das behaupten, sondern ich bin überhaupt nicht in<br />

die Prima gelangt; ich war schon in der Sekunda so alt wie der Westerwald. Faul, verstockt<br />

und voll liederlichen Hohns über das Ganze, verhaßt bei den Lehrern der altehrwürdigen<br />

Anstalt, ausgezeichneten Männern, (...) so saß ich die Jahre ab, bis man mir den<br />

Berechtigungsschein zum einjährigen Militärdienst ausstellte.“ 406 Eine Ausnahme am<br />

Lübecker Katharinengymnasium war sein Deutschlehrer Bähte, den er besonders schätzte.<br />

Er vermittelte dem 15-Jährigen die Bekanntschaft mit Schillers Balladen. Die Begeisterung<br />

für Richard Wagner kam durch die Theaterbesuche, an denen er als Schüler im Stadttheater<br />

teilnahm. Erinnerte er sich später an diese Eindrücke, sagte er: „Ich werde wieder<br />

jung, wenn es mit Wagner anfängt.“ 407<br />

Der Tod des Vaters, am 13. Oktober 1891, markierte für die Familie ein einschneidendes<br />

Ereignis. Im Testament hatte er die Liquidierung der über 100 Jahre bestehenden Firma<br />

bestimmt; über seinen Sohn Thomas Mann hieß es: „Mein zweiter Sohn ist ruhigen Vorstellungen<br />

zugänglich, er hat ein gutes Gemüth und wird sich in einen praktischen Beruf<br />

hineinfinden. Von ihm darf ich erwarten, daß er seiner Mutter eine Stütze sein wird.“ 408<br />

Der damals 16-jährige Thomas Mann blieb noch bis zum Abschluss der Mittleren Reife<br />

in Lübeck, um 1894 die ungeliebte Schulzeit zu beenden. Er zog zu seiner Mutter, die mit<br />

den jüngeren Geschwistern Julia, Carla und Viktor in München, Rambergstraße 2, wohnte.<br />

Hier trat er als Voltontär bei einer Feuerversicherungsgesellschaft ein. In dieser Zeit<br />

entstand seine erste Novelle Gefallen (1894): Ausgestattet mit einer monatlichen Rente<br />

aus dem Vermögen des Vaters, konnte er ein finanziell sorgenfreies Leben führen. Mit<br />

dem älteren Bruder Heinrich begann nun eine intensive gemeinsame Zeit. Sie verbrachten<br />

in den Jahren 1895 bis 1898 oft mehrere Monate gemeinsam in Italien. 1898 und 1899<br />

wirkte er als Lektor beim „Simplicissimus“, einer politisch-satirischen Münchner Wochenschrift.<br />

Den Militärdienst quittierte Thomas Mann mit einem Attest eines Arztes, der ihn wegen<br />

einer Sehnenscheidenentzündung als dienstuntauglich erklärt hatte. Mit dem Erscheinen<br />

406 Gesammelte Werke XI: 329f. Auch in: Wißkirchen, Hans (1999): Die Familie Mann: 16<br />

407 Gesammelte Werke XI: 927. Auch in: Schröter, Klaus (2000): Thomas Mann: 19<br />

408 Heinrich und Thomas Mann. Ihr Leben und Werk in Text und Bild. In: Wißkirchen, H. (1999): Die Familie<br />

Mann: 20<br />

213


seines ersten Romans – im Oktober 1901 – Die Buddenbrooks trat der 26-Jährige als<br />

Schriftsteller und Künstler vor die Öffentlichkeit. In seinem Notizbuch, das er sich für die<br />

Arbeit an den Buddenbrooks angelegt hatte, stand folgender Eintrag: „Eines ist wahr: Psychologie<br />

allein würde unfehlbar trübsinnig machen; die Koketterien der literarischen<br />

Ausdrucksform sind es, die uns klar und munter erhalten.“ 409 Als Erzähler bringt er verborgene<br />

Vorgänge ans Licht; der Leser will stets bei der Lektüre die interessanten, geheimnisvollen<br />

und noch unbekannten Figuren des Romans kennen lernen. Der damals<br />

gleichaltrige Prager Lyriker Rainer Maria Rilke schrieb: „Man wird sich diesen Namen<br />

notieren müssen ... gerade weil nichts in dem Buche für den Leser da zu sein scheint, weil<br />

nirgends über die Ereignisse hinweg ein überlegener Schriftsteller zu einem unterlegenen<br />

Leser neigt, um ihn zu überreden und mitzureißen, gerade deshalb ist man so ganz bei der<br />

Sache und fast persönlich beteiligt, ganz als ob man in irgendeinem Geheimfach alte Familienpapiere<br />

gefunden hätte, in denen man sich langsam nach vorn liest, bis an den Rand<br />

der eigenen Erinnerungen.“ 410 Thomas Mann beschrieb die 42-jährige Familiengeschichte<br />

der Buddenbrooks. Seinen Gegnern, die ihm unterstellten „zersetzende Bücher“ zu<br />

schreiben, antwortete er, dass „der Verfall einer Familie ein brauchbares episches Thema<br />

gewesen sei; aber wir Buddenbrooks haben nach unserer bürgerlichen Auflösung in der<br />

Welt weiter ausgegriffen, dem Leben mehr geschenkt, als unseren beiden Vorväter in ihren<br />

Mauern je gegönnt war.“ 411<br />

1905 heiratete Thomas Mann Katja Pringsheim, – die zu dieser Zeit Mathematik studierte<br />

– Tochter von Alfred Pringsheim, Ordinarius für Mathematik an der Münchner Universität.<br />

In ihrem Hause, Arcisstraße 12, verkehrten Künstler und Literaten. So war Thomas<br />

Mann von der Atmosphäre des großen Familienkreises, „die mir die Umstände meiner<br />

Kindheit vergegenwärtigte“, bezaubert. 412 Während der Sohn Golo das Verhältnis seines<br />

Vaters zu seiner Mutter als „die größte Liebe seines Lebens und jene, die bei weitem am<br />

längsten dauerte“ 413 interpretierte, äußerte sich Klaus Mann über seine Eltern: „Ihre Ehe<br />

war nicht die Begegnung zwei polarer Elemente: eher handelte es sich wohl um die Vereinigung<br />

von zwei Wesen, die sich miteinander verwandt wußten – um ein Bündnis zwischen<br />

zwei Einsamen und Empfindlichen, die gemeinsam einen Kampf zu bestehen hofften,<br />

dem jeder für sich vielleicht nicht gewachsen wäre.“ 414 1914 bezog die Familie in<br />

München eine in historistischem Stil erbaute Villa in der Poschingerstraße 1.<br />

409 Isenschmid, Andreas (2001): Die Geburt des Erzählers. In: Die Zeit Nr. 44 v. 25.10.2001: 51<br />

410 Zitiert in: Isenschmid, Andreas (2001): Die Geburt des Erzählers: 51<br />

411 Gesammelte Werke XI: 556. In: Schröter, Klaus (2000): Thomas Mann: 60<br />

412 Hage, Volker (2001): Die Windsors der Deutschen. In: Der Spiegel Nr. 51 v. 17.12.2001: 177<br />

413 Hage, Volker (2001): Die Windsors der Deutschen. In: Der Spiegel Nr. 51 v. 17.12.2001: 177<br />

414 Schröter, Klaus (2000): Thomas Mann: 78<br />

214


Der Erste Weltkrieg führte zu Spannungen zwischen Thomas und Heinrich Mann (siehe<br />

Band 2, Mann, Heinrich) und zum Bruch zwischen den beiden Brüdern. Ursache waren<br />

die unvereinbaren politischen Auffassungen über den Krieg. Thomas Mann übernahm auf<br />

der Seite der Deutschnationalen die Kriegsverherrlichung und -begeisterung, die der liberale<br />

und demokratisch gesinnte Heinrich Mann ablehnte. In dieser Zeit brach der Kontakt<br />

zwischen den Brüdern ab. In den Nachkriegsjahren nahm Thomas Mann intensiv am Zeitgeschehen<br />

teil; davon zeugen die erhaltenen Tagebücher vom September 1918 bis Dezember<br />

1921. Er gab seine konservative Haltung zugunsten einer liberalen Humanität auf. Daraufhin<br />

kam es 1922 zu einer Versöhnung der Brüder Heinrich und Thomas Mann, die<br />

nach dem Wunsch von Heinrich, „sich nie wieder zu verlieren“, dauerhaft blieb. Zunehmend<br />

trat Thomas Mann in den zwanziger und dreißiger Jahren auch in der Öffentlichkeit<br />

des europäischen Auslands auf. Nach dem Erscheinen des Romans Der Zauberberg<br />

(1924) und der Verleihung des Literatur-Nobelpreises (1929) für Die Buddenbrooks war<br />

sein Weltruhm erreicht. Seinen 50. Geburtstag feierte die Landeshauptstadt München ihm<br />

zu Ehren im Münchner Rathaussaal (1925). Hier ehrte ihn Professor F. Mucker mit einer<br />

Festrede. Die Tischrede des Jubilars war voll Lob und Hoffnung auf die neue Republik.<br />

„Auf jeden Fall ist es eine wundervolle, tief dankenswerte Sache, einem großen Kulturvolk,<br />

wie dem deutschen, anzugehören, von seiner Sprache getragen zu sein, sein höchstes<br />

Erbgut wahren und fortentwickeln zu dürfen.“ 415 Als Vertreter des demokratischen Zeitgeistes<br />

reiste Thomas Mann als Kulturbotschafter nach Paris. Anlässlich der 700-Jahr-Feier<br />

der Hansestadt Lübeck hielt er einen Festvortrag.<br />

Als politischer Redner hielt der Schriftsteller am 17. Oktober 1930 eine Ansprache. Ein<br />

Appell an die Vernunft, in dem er ein Zusammenwirken von Bürgertum und Sozialismus<br />

forderte, das hieß: Abwehr des faschistischen Fanatismus – „damit nicht heute München<br />

und morgen Berlin italienisch gemacht werden könnten.“ 416 Gegen den Nationalsozialismus<br />

richtete sich auch seine Rede vor Arbeitern in Wien (1932).<br />

Exil 1933<br />

Am 10. Februar 1933 – zum 50. Todestag des Komponisten Richard Wagners – hielt Thomas<br />

Mann im Auditorium Maximum der Münchner Universität einen Vortrag über Leiden<br />

und Größe Richard Wagners. Dieser Vortrag charakterisierte Wagners große Gaben, aber<br />

auch seine menschlichen Schwächen und Eigentümlichkeiten. Thomas Mann betonte aber<br />

dabei die große Verbundenheit mit ihm. Am folgenden Tag verließ er München, ohne zu<br />

wissen, dass er erst nach 16 Jahren wieder zurückkehren sollte. Ganz unvorbereitet auf die<br />

folgende Zeit, „denn wir hatten nichts mitgenommen, außer dem, was man für eine drei-<br />

415 Tischrede zur Feier des 50. Geburtstages. In: Thomas Mann Brevier: 142<br />

416 Gesammelte Werke XI: 879–883. Auch in: Schröter, Klaus (2000): Thomas Mann: 106<br />

215


wöchige Reise braucht.“ 417 Er trat eine Wagner-Vortragsreise an, die ihn nach Amsterdam,<br />

Brüssel und Paris führte; mit anschließendem Erholungsurlaub in Arosa. Inzwischen<br />

brannte in Berlin der Reichstag, es kam zu Verhaftungen und Übergriffen in München<br />

durch das neue Regime.<br />

Am 16. April 1933 erschien ein u. a. vom Dirigenten Knappertsbusch, den Komponisten<br />

Hans Erich Pfitzner und Richard Strauß sowie vom Künstler Olaf Gulbransson unterschriebener<br />

offizieller Protest der „Richard-Wagner-Stadt München“ in den „Münchner<br />

Neuesten Nachrichten“ gegen einen von Thomas Mann im Ausland gehaltenen Wagner-<br />

Vortrag. Die Unterzeichner kritisierten: „Wir lassen uns unseren wertbeständigen Geistesriesen<br />

nicht durch Thomas Mann im Ausland verunglimpfen.“ 418 Manns Antwort dazu:<br />

„...das ,Münchner-Haberfeldtreiben‘ sei ihm anstößig. Die Methode ist es, die zum Himmel<br />

schreit, die die Besseren hätte abstoßen müssen ... Das war kein kräftiger Protest, es<br />

war eine lebensgefährliche Denunziation, die gesellschaftliche Ächtung, die nationale Exkommunikation.“<br />

419 Thomas Manns’ Haus wurde durchsucht, die Autos und der Familienbesitz<br />

beschlagnahmt. Ende Mai erfolgte ein Konfiszierung des Anwesens und der Vermögenswerte<br />

(August 1933), dann erging ein Schutzhaftbefehl gegen Thomas Mann.<br />

Nach Aufenthalten in Arosa, Lugano und Badol mietete die Familie ein Haus in Südfrankreich<br />

im Ort Sanary-sur-Mer. Bereits im März 1933 setzte er seine Tagebuchaufzeichnungen<br />

wieder fort. Er erkannte, dass „Hitler der eigentliche Beauftragte des Kapitals ist“<br />

(Juli 1933). 420 Im November 1936 erhielt Thomas Mann die tschechische Staatsbürgerschaft,<br />

einen Monat später kam es zur Aberkennung der deutschen und zum gleichzeitigen<br />

Verlust seines gesamten Besitzes. Die Trennung vom „menschenverachtenden Regime“<br />

war vollzogen. Thomas Mann bekannte sich zum Exil-Dasein, ein Angriff des Feuilletonchefs<br />

der „Neuen Züricher Zeitung“ Eduard Korrodi, der die Exilliteratur mit Ausnahme<br />

der von Thomas Mann als jüdisch bezeichnete, bestärkte seinen Entschluss. Thomas<br />

Mann antwortete in einem offenen Brief in der gleichen Zeitung an Korrodi und er betonte,<br />

„daß aus der gegenwärtigen deutschen Herrschaft nichts Gutes kommen kann, für<br />

Deutschland nicht und für die Welt nicht, – diese Überzeugung hat mich das Land meiden<br />

lassen, in dessen geistiger Überlieferung ich tiefer wurzele als diejenigen, die seit drei<br />

Jahren schwanken, ob sie es wagen sollen, mir vor aller Welt mein Deutschtum abzusprechen.<br />

Und bis zum Grunde meines Gewissens bin ich dessen sicher, daß ich vor Mitwelt<br />

und Nachwelt recht getan ...“ 421<br />

417 Mann, Katia (1994): Meine ungeschriebenen Memoiren: 101<br />

418 Mann, Katia (1994): Meine ungeschriebenen Memoiren: 102–103<br />

419 Kolbe, Jürgen (1987): Heller Zauber – Thomas Mann in München 1894–1933: 277<br />

420 Schröter, Klaus (2000): Thomas Mann: 110<br />

421 Wißkirchen, Hans (1999): Die Familie Mann: 94<br />

216


Vom Schweizer Exil aus versuchte Thomas Mann, seine in München verbliebenen Manuskripte<br />

zu retten. Katia Mann berichtete davon: „Erika hatte es noch fertiggebracht, nach<br />

dem Umsturz nach München zu fahren und das „Joseph“-Manuskript und ein paar weitere<br />

Handschriften aus unserem schon beschlagnahmten Haus zu holen. Aber das übrige<br />

– alle Manuskripte von den „Buddenbrooks“ ab und den frühen Novellen, alle seine Briefschaften,<br />

die Briefe meines Mannes, Briefe, die ich von Hoffmannsthal und anderen aufgehoben<br />

hatte – ist durch die Emigration verlorengegangen.“ 422 Dem befreundeten<br />

Münchner Anwalt Dr. Heins bat Thomas Mann, die Manuskripte zu retten und vertraute<br />

ihm dazu die Schlüssel für den Schrank an, in dem sich die Papiere befanden. Nach dem<br />

Krieg kamen sein Sohn Klaus (er diente in der US-Armee) und seine Tochter Erika (sie<br />

war amerikanische Korrespondentin) nach München, um die „von ihm (Dr. Heins) aufbewahrten<br />

Sachen abzuholen. Da erklärte er ihnen, sein office, das zentral in der Stadt gelegen<br />

sei, sei zerbombt, seine guten Akten hätte er gerade noch gerettet, aber die Papiere<br />

und Handschriften von Thomas Mann seien Opfer der Flammen geworden; er hätte sie<br />

nicht mehr evakuieren können.“ 423<br />

Die Flucht in die USA<br />

Wegen des deutschen Einmarsches in Österreich beschloss Thomas Mann, in die USA<br />

auszuwandern. In Princeton übernahm er eine Gastprofessur. Seit Herbst 1940 richtete er<br />

Radioansprachen – fast jeden Monat einmal – über den britischen Sender BBC-London an<br />

die Deutschen. In einer Radioansprache am 23. Juni 1943 würdigte Thomas Mann die Tat<br />

der „Weißen Rose“ mit den Worten: „Brave, herrliche junge Leute! Ihr sollt nicht umsonst<br />

gestorben, sollt nicht vergessen sein! Die Nazis haben schmutzigen Rowdies, gemeinen<br />

Killern in Deutschland Denkmäler gesetzt – die deutsche Revolution, die wirkliche,<br />

wird sie niederreißen und an ihrer Stelle eure Namen verewigen, die ihr, als noch Nacht<br />

über Deutschland und Europa lag, wußtet und verkündetet: ,Es dämmert ein neuer Glaube<br />

an Freiheit und Ehre.´“ 424<br />

Katia und Thomas Mann nahmen 1944 die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Kurz vor<br />

Kriegsende schrieb der Schriftsteller auf Wunsch von „Free World“ einen Aufsatz mit<br />

dem Titel The end. In einen Brief an Agnes E. Meyer heißt es: „Ich habe dazu Tagebuchaufzeichnungen<br />

aus dem Beginn der Emigration benutzt, die zeigen, wie die persönliche<br />

Verstörung und Beängstigung überherrscht war vom Gefühl des Mitleids mit dem<br />

unglückseligen deutschen Volk und von der Frage: Was soll eines Tages, früher oder später,<br />

aus diesen Menschen werden?... Nicht schrecklich genug habe ich mir den Ausgang<br />

422 Mann, Katia (1994): Meine ungeschriebenen Memoiren: 111–112<br />

423 Mann, Katia (1994): Meine ungeschriebenen Memoiren: 113–114<br />

424 Scholl, Inge (2000): Die Weiße Rose: 198<br />

217


vorgestellt ... Grausamere Herren hat wohl ein Volk nie gehabt, Herren, die eisern darauf<br />

bestanden, dass es mit ihnen zu Grunde geht.“ 425<br />

Nach Kriegsende bat der Schriftsteller Walter von Molo Thomas Mann, nach Deutschland<br />

zurückzukehren; dies lehnte er jedoch ab. Seine Meinung dazu brachte er so zum Ausdruck:<br />

„Niemals habe ich einem deutschen Künstler sein Verbleiben daheim verübelt,<br />

wenn ihm nicht ein Bekanntsein in der Welt auch draußen die Existenz gesichert hätte.<br />

War er aber weltbekannt, so mußte er wissen, daß er mit seinem Bleiben und Schaffen in<br />

Deutschland der geistigen Propaganda des Bösen diente. Darüber kommt man mit dem<br />

Argument der Heimatliebe nicht hinweg. Die Großen hätten aus Heimatliebe auswandern<br />

müssen. Den anderen verdenke ich es nicht einmal, wenn sie in die Zwangsverbände oder<br />

sogar in die Partei gegangen sind, um sich zu halten.“ 426<br />

Es folgten mehrere Europareisen. Zu einem Wiedersehen mit München kam es Ende Juli<br />

1949, 16 Jahre waren inzwischen vergangen. Das Ehepaar Mann entschloss sich 1952 zur<br />

Übersiedlung in die Schweiz.<br />

In seinem letzten Lebensjahr erfuhr Thomas Mann zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen.<br />

„Im Mai kommen die rednerischen Schillerfeiern in Stuttgart, München, Weimar,<br />

auch in der Schweiz, und gleich danach geht es los mit meinem Achtzigsten, zu welchem,<br />

wie es schon aussieht, alles geschehen wird, damit ich nicht viel älter werde,“ 427 so Mann.<br />

Ein begonnener Erholungsurlaub in Noordwijk musste wegen einer schweren Erkrankung<br />

unterbrochen werden. Eine Behandlung im Züricher Kantonspital war nötig geworden.<br />

Thomas Mann starb dort am 12. August 1955.<br />

Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Kilchberg am Zürichsee.<br />

Archive, Forschungs- und Gedenkstätten, Namenspatronagen<br />

Thomas-Mann-Archiv der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, Schönberggasse<br />

15, 8001 Zürich.<br />

Heinrich- und Thomas-Mann-Zentrum Buddenbrookhaus, Mengstraße 4, 23552 Lübeck.<br />

1996 Thomas-Mann-Kulturzentrum im litauischen Nida, Haus Hiddensee. Thomas-<br />

Mann-Sammlung des Deutschen Literaturarchivs Marbach.<br />

1994 „Villino“. Literarisches Museum für Thomas Mann in Feldafing am Starnberger See.<br />

1996 Thomas-Mann-Preis an Günter Grass.<br />

1999 Thomas-Mann-Förderkreis München e.V.<br />

425 Brief an A. E. Meyer, 15.2.1945. In: Thomas Mann Brevier: 151<br />

426 Mann, Viktor (1949): Wir waren fünf: 586f<br />

427 Brief an H. Ewers, 19.1.1955. In: Schröter, Klaus (2000): Thomas Mann: 155<br />

218


Ehrungen<br />

1919 Ehrendoktorwürde der philosophischen Fakultät der Universität Bonn.<br />

1926 Professorentitel der Universität Lübeck, verliehen vom Senat der Stadt; Mitglied der<br />

Preußischen Akademie der Künste, Sektion Dichtkunst.<br />

1929 Literatur-Nobelpreis.<br />

1935 Ehrendoktorwürde der Harvard University, USA.<br />

1938 Ehrendoktorwürde der Columbia Universität, New York; Akademischer Lehrer an<br />

der University of Princeton (1938–1940).<br />

1939 Ehrendoktorwürden der Rutgers University, der Princeton University und des Hobart<br />

College.<br />

1941 Ernennung zum „Consultant in Germanic Literature“ an der Library of Congress in<br />

Washington. Ehrendoktorwürde der University of California, Berkeley.<br />

1945 Ehrendoktorwürde des Hebrew Union College.<br />

1947 Aufnahme in die Accademia Nazionale dei Lincei, Rom.<br />

1948 Ehrendoktorwürde der Universität Oxford, Großbritannien.<br />

1949 Ehrendoktorwürde der Universität Lund, Schweden. Verleihung des Goethe-Preises<br />

der Stadt Frankfurt am Main und der Stadt Weimar.<br />

1952 Rosette der Französichen Ehrenlegion.<br />

1953 Ehrendoktorwürde der Universität Cambridge, Großbritannien.<br />

1955 Ehrendoktorwürde der Friedrich-Schiller-Universität Jena; Ehrendoktorwürde der<br />

Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich; Verleihung des Ordenskreuzes von<br />

Oranje-Nassau; Ehrenbürger der Stadt Lübeck; Wahl in die Friedensklasse des Ordens<br />

„Pour le Mérite“.<br />

Filme<br />

1923 und 1959 Die Buddenbrooks. Regie Alfred Weidenmann.<br />

1953 Königliche Hoheit.<br />

1957 Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Regie Kurt Hoffmann.<br />

1973 Der Tod in Venedig.<br />

1978 Die Buddenbrooks. Regie Peter Wirth.<br />

1981 Der Zauberberg. Regie Hans Geissendörfer.<br />

1982 Doktor Faustus. Regie Franz Seitz.<br />

Juli 2000 Die Manns. Fernsehfilm in drei Teilen. Regie Heinrich Breloer.<br />

Dezember 2001 Die Manns – ein Jahrhundertroman. Fernsehfilm in drei Teilen, Regie führt<br />

Heinrich Breloer. Armin Mueller-Stahl spielt Thomas Mann, Monica Bleibtreu Katia Mann.<br />

219


Ausstellungen<br />

1987 Villa Stuck München: Heller Zauber – Thomas Mann in München 1894–1933.<br />

20. November 2000 – 21. Februar 2001: Thomas Mann. Die Buddenbrooks. Im Münchner<br />

Literaturhaus in Zusammenarbeit mit dem Heinrich- und Thomas-Mann-Archiv Lübeck.<br />

Hörspiele<br />

26. Dezember 2000 – 6. Januar 2001 Der Zauberberg. Zehnstündiges Hörspiel, aufgeteilt<br />

in mehrere Folgen. Produziert vom Bayerischen Rundfunk München.<br />

Der Zauberberg. CD-Version im Hör-Verlag, zehn- und achtteilige MC-Version.<br />

Besonderheit<br />

November 2001: Der ausgestopfte sibirische Braunbär aus dem Elternhaus von Thomas<br />

Mann in Lübeck – übergegangen in den Haushalt von Thomas Mann in der Poschingerstraße<br />

– befindet sich nun als Dauerleihgabe im Münchner Literaturhaus. 428<br />

Literatur<br />

Berendsohn, Walter Artur (1956): Thomas Mann und das Dritte Reich. O. Verlag, o. Ort<br />

Hage, Volker (2001): Die Windsors der Deutschen. In: Der Spiegel Nr. 51 v. 17.12.2001: 174–196<br />

Harpprecht, Klaus (1995): Thomas Mann. Eine Biographie. Rowohlt Verlag, Reinbek b. Hamburg<br />

Heiserer, Dirk (1993): Wo die Geister wandern. Boheme um 1900. Eugen Diederichs Verlag, München<br />

Heiserer, Dirk / Jung, Joachim (1998): Ortsbeschreibung. Tafeln und Texte in Schwabing. Anderland Verlag,<br />

München<br />

Hübinger, Paul Egon (1974): Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitgeschichte. Drei Kapitel deutscher<br />

Vergangenheit aus dem Leben des Dichters 1905–1955. Langen Müller Verlag, München, Wien<br />

Kolbe, Jürgen (1987): Heller Zauber – Thomas Mann in München 1894–1933. Hrsg. v. d. Bayer. Rückversicherungs<br />

AG München. Ausstellungsreihe „Erkundungen“, Nr. 6<br />

Kurzke, Thomas (1999): Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk, Verlag C. H. Beck, München<br />

Mann, Golo (1986): Erinnerungen und Gedanken. Eine Jugend in Deutschland. Frankfurt a. M.<br />

Mann, Katia (1994): Meine ungeschriebenen Memoiren. Hrsg. v. Elisabeth Plessen u. Michael Mann, S. Fischer<br />

Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Romane von Thomas Mann: (1901) Die Buddenbrooks; (1909) Königliche Hohheit; (1922) Bekenntnisse des<br />

Hochstaplers Felix Krull; (1924) Der Zauberberg; (1933) Joseph und seine Brüder; (1934) Der junge Joseph;<br />

(1937) Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull; (1939) Lotte in Weimar; (1943) Joseph der Ernährer;<br />

(1947) Doktor Faustus; (1951) Der Erwählte<br />

Mann, Thomas (1977): Tagebücher 1933–1934. Hrsg. v. Peter de Mendelssohn. S. Fischer Verlag, Frankfurt<br />

a. M.<br />

428 Görl, Wolfgang (2001): Der Bär kehrt zurück. In Süddeutsche Zeitung Nr. 46 v. 14.11.2001<br />

220


Mann, Thomas (1980): Tagebücher 1937–1939. Hrsg. v. Peter de Mendelssohn, S. Fischer Verlag, Frankfurt<br />

a. M.<br />

Mann, Thomas (1994): Thomas Mann Brevier. Hrsg. v. Günther Debon, Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart<br />

Mann, Thomas (1999): Selbstkommentare: „Joseph und seine Brüder“. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Mann, Viktor (1949): Wir waren fünf. Bildnis der Familie Mann. Südverlag, Konstanz<br />

Reich-Ranicki, Marcel (1998): Thomas Mann und die Seinen. Deutscher Taschenbuch Verlag, Stuttgart<br />

Schröter, Klaus (1964): Thomas Mann in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Hamburg<br />

Schröter, Klaus (2000): Thomas Mann. Rowohlts Monographien Nr. 50093, Rowohlt Verlag, Reinbek bei<br />

Hamburg<br />

Schwarberg, Günter (1996): Es war einmal ein Zauberberg. Eine Reportage aus der Welt des deutschen Zauberers<br />

Thomas Mann. Rasch und Röhrig Verlag, Hamburg<br />

Vaget, Hans Rudolf (1984): Thomas Mann. Kommentar zu sämtlichen Erzählungen. Winkler Verlag, München<br />

Wißkirchen, Hans (1999): Die Familie Mann. Rowohlt Verlag, Reinbek b. Hamburg<br />

221


Mayer, Rupert Seliger Pater SJ<br />

*23.1.1876 Stuttgart †1.11.1945 München<br />

„Mit dem Strom schwimmen ist nichts Großes.<br />

Aber gegen den Strom zu schwimmen ist etwas Ungeheueres.“<br />

Pater Rupert Mayer SJ 429<br />

Pater Rupert Mayer im Gefängnis<br />

Landsberg am Lech,1938<br />

Foto: Dr. Otto Gritschneder, Archiv<br />

Gedenktafel Maxburgstraße 1<br />

Foto: Andreas Olsen<br />

Rupert-Mayer-Museum im Bürgersaal<br />

Foto: Andreas Olsen<br />

222


I. Rupert-Mayer-Straße, Obersendling<br />

M (1947)<br />

II. Gruft in der Krypta des Bürgersaals<br />

Neuhauser Straße, Altstadt<br />

Karlsplatz /Stachus S1–S8 und Tram 17/18/20/27<br />

Katholische Kirche (1948)<br />

III. Pater-Rupert-Mayer-Altar, Kreuzkapelle von St. Michael<br />

Kaufingerstraße, Altstadt<br />

Marienplatz S1–S8 und U3/U6<br />

Katholische Kirche (1987)<br />

IV. Bronze-Büste, Bürgersaal<br />

Neuhauser Straße, Altstadt<br />

Karlsplatz /Stachus S1–S8 und Tram 17/18/20/27<br />

Katholische Männerkongregation (1948)<br />

V. Rupert Mayer-Museum, Bürgersaal<br />

Neuhauser Straße, Altstadt<br />

Karlsplatz /Stachus S1–S8 und Tram 17/18/20/27<br />

VI. Gedenktafel, Justizpalast, Prielmayerstraße 3<br />

Karlsplatz /Stachus S1–S8 und Tram 17/18/20/27<br />

M (1988)<br />

VII. Gedenktafel Maxburgstraße 1, Altstadt<br />

Karlsplatz /Stachus S1–S8 und Tram 17/18/20/27<br />

Katholische Kirche (1989)<br />

429 Grassl, Irene (1984): Pater Rupert Mayer in Selbstzeugnissen: 67<br />

223


VIII. Kirchenglocke für Pfarrei St. Maximilian Kolbe, Neuperlach<br />

Quiddestraße U2/U8<br />

Ursula Brendel (1996)<br />

IX. Gedenktafel, Berchmanskolleg, Maxvorstadt-Schwabing<br />

Katholische Kirche (1996)<br />

X. Pater-Rupert-Mayer-Gymnasium Pullach<br />

Pullach S7<br />

Katholische Kirche (1978)<br />

XI. Pater-Rupert-Mayer-Haus<br />

Hirtenstraße 4, Maxvorstadt<br />

Hauptbahnhof S1–S8 und Tram 20/21<br />

Caritas Verband der Erzdiözese München und Freising e.V. (1985)<br />

XII. Pater-Rupert-Mayer-Stiftung<br />

Hirtenstraße 4, Maxvorstadt<br />

Caritas Verband der Erzdiözese München und Freising e.V. (1987)<br />

XIII. Pater-Rupert-Mayer-Volksschule Pullach<br />

Pullach S7<br />

KM u. Katholische Kirche (1994)<br />

XIV. Pater-Rupert-Mayer-Realschule Pullach<br />

Pullach S 7<br />

KM u. Katholische Kirche (1994)<br />

XV. Pater-Rupert-Mayer-Studentenwohnheim, Kaiserplatz 13, Schwabing<br />

Münchner Freiheit U3/U6<br />

224


Zu II. Gruft in der Krypta des Bürgersaals<br />

Katholische Kirche (1948)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Pater Rupert Mayer war auf dem Ordensfriedhof der Jesuiten in Pullach beigesetzt worden.<br />

Am 23. Mai 1948 erfolgte die Überführung im Beisein von etwa 120000 Gläubigen<br />

in den Münchner Bürgersaal in München. Seither ist das Grab ein Wallfahrtsort.<br />

Zu III. Pater-Rupert-Mayer-Altar, Kreuzkapelle von St. Michael<br />

Katholische Kirche (1987)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Zwei Tage nach der Seligsprechung des Paters im Münchner Olympiastadion erhielt der<br />

Altar in der Kreuzkapelle von St. Michael seinen Namen. Hier hatte Pater Rupert Mayer<br />

am 1. November 1945 seine letzte Predigt gehalten.<br />

Zu IV. Bronze-Büste im Bürgersaal<br />

Katholische Männerkongregation (1948)<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Im Altarraum der Unterkirche im Bürgersaal ruht auf einem Steinsockel die von der katholischen<br />

Männerkongregation gestiftete Bronzebüste von Pater Rupert Mayer.<br />

Zu V. Pater-Rupert-Mayer-Museum<br />

Katholische Kirche (1987)<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Im Eingangsbereich des Bürgersaals sind in Vitrinen Dokumente und Utensilien aus dem<br />

Leben von Pater Rupert Mayer ausgestellt. Davor steht sein ehemaliges Taufbecken aus<br />

St. Eberhardt in Stuttgart.<br />

225


Zu VI. Gedenktafel im Justizpalast, Prielmayerstraße 7<br />

M (1988)<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

In der Eingangshalle des Justizpalastes ist eine Gedenktafel mit folgender Inschrift angebracht:<br />

„Pater Rupert Mayer, SJ. Ich werde künftig wie bisher die katholische Kirche, ihre Glaubens-<br />

und Sittenlehre gegen alle Angriffe, Anfeindungen und Verleumdungen verteidigen.<br />

Das halte ich für mein Recht und meine Pflicht als katholischer Priester. Erklärung von<br />

P. R. Mayer am 22. Juli 1937 vor dem Münchner Sondergericht.“<br />

Hier fand am 22. und 23. Juli 1937 die Sondergerichtsverhandlung gegen den Jesuitenpater<br />

Rupert Mayer statt.<br />

Zu VII. Gedenktafel, Kreuzkapelle von St. Michael<br />

Katholische Kirche (1987)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Im Zusammenhang mit der Seligsprechnung von Pater Rupert Mayer am 3. Mai 1987<br />

weihte Kardinal Friedrich Wetter diese Gedenktafel ein.<br />

Zu VIII. Kirchenglocke für St. Maximilian Kolbe in Neuperlach<br />

Ursula Brendel (1996)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Für das neue Pfarrzentrum stiftete Ursula Brendel eine Glocke (Gewicht circa eine Tonne)<br />

mit der Aufschrift: „Ich schweige nicht. Pater Rupert Mayer SJ, 23.1.1876 – 1.11.1945.“<br />

Domkapitular Josef Obermeier weihte die Glocke am 27. Juli 1996 ein.<br />

Zu IX. Gedenktafel, Berchmanskolleg, Kaulbachstraße 31a, München<br />

Katholische Kirche (1996)<br />

Giselastraße U3<br />

226


KURZBESCHREIBUNG<br />

Am Eingang zum Berchmanskolleg befindet sich eine Gedenktafel mit der Inschrift:<br />

„Dieses Haus war unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus ein Zentrum des<br />

katholischen Widerstands. Hier trafen sich mit dem Jesuitenprovinzial Augustinus Rösch<br />

die Patres Rupert Mayer, Lothar König, Alfred Delp. Hier fanden 1942–1943 mit Helmut<br />

J. Graf Moltke geheime Treffen des Kreisauer Kreises statt. Alle riskierten ihr Leben, viele<br />

verloren es.“<br />

Zu X. Pater-Rupert-Mayer-Gymnasium<br />

Wolfratshauser Straße 30, 82049 Pullach<br />

Katholische Kirche (1978)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Auf Initiative des katholischen Familienwerkes e.V., dem damaligen Träger der Schule,<br />

wurde die Namengebung beantragt, die am 21. November 1978 erfolgte.<br />

DENKMAL<br />

Im Eingangsbereich der Schule ruht auf einem Steinsockel eine Bronzebüste Pater Rupert<br />

Mayers, eine Kopie des im Münchner Bürgersaal befindlichen Originals. Im Rahmen eines<br />

Festaktes am 22. März 1979 weihte der Erzbischof Kardinal Ratzinger diese Büste ein.<br />

GEDENKORTE<br />

Ein Gedenkstein an der ehemaligen Grabstätte auf dem Ordensfriedhof von Pullach erinnert<br />

an Pater Rupert Mayer, ebenso eine Stele auf demselben Friedhof, der sich in unmittelbarer<br />

Nachbarschaft der Schule befindet.<br />

GEDENKTAGE<br />

Ein jährlicher Gedenktag im November, der so genannte „Pater-Rupert-Mayer-Tag“, wird<br />

mit Veranstaltungen, mit Filmen, Ausstellungen und Gottesdiensten begangen.<br />

VERÖFFENTLICHUNGEN<br />

Anlässlich des 20. Jahrestages der Namengebung erschien eine Chronik des Gymnasiums.<br />

Das Schulsiegel zeigt eine Porträtzeichnung des Namensvetters.<br />

227


Zu XI. Pater-Rupert-Mayer-Haus<br />

Hirtenstraße 4, 80335 München<br />

Katholische Kirche (1985)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Die Benennung des Hauses, der Zentrale des Caritasverbandes der Erzdiözese München<br />

und Freising e.V., wurde unter dem Vorsitz von Prälat Franz Sales Müller im Jahre 1984<br />

beschlossen. Die offizielle Einweihung fand durch den Erzbischof Kardinal Friedrich<br />

Wetter am 17. Juli 1985 statt.<br />

Denkmal<br />

Im Foyer des Hauses befindet sich eine Bronzebüste von Pater Rupert Mayer. Ein Ölgemälde<br />

in der Kapelle im fünften Stock des Hauses zeigt sein Porträt. Dieser im Jahr 1995<br />

geschaffene Ort der Besinnlichkeit ist geistiger Mittelpunkt des Hauses.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND<br />

Pater Rupert Mayer war in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts im Vorstand des Caritasverbandes<br />

der Erzdiözese München und Freising.<br />

Zu XII. Pater-Rupert-Mayer-Stiftung<br />

Hirtenstraße 4, 80335 München<br />

Katholische Kirche (1987)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Anlässlich seiner Seligsprechung gründete der Caritasverband der Erzdiözese München<br />

und Freising e.V. für Kranke und Behinderte die „Pater-Ruper-Mayer-Stiftung“.<br />

Erinnerung<br />

1997 Eine Telefonkarte mit dem Motiv: „Pater Rupert Mayer sammelt für die Caritas.“<br />

Zu XIII. Pater-Rupert-Mayer-Volksschule<br />

Wolfratshauser Straße 30, 82049 Pullach<br />

KM u. Katholische Kirche (1994)<br />

228


ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Auf Antrag des Erzbischöflichen Ordinariats beim Bayerischen Staatsministerium für Unterricht<br />

und Kultus trägt die Volksschule seit dem 1. Januar 1994 diesen Namen.<br />

Zu XIV. Pater-Rupert-Mayer-Realschule<br />

Wolfratshauser Straße 30, 820449 Pullach<br />

KM u. Katholische Kirche (1994)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Auf Antrag des Erzbischöflichen Ordinariats beim Bayerischen Staatsministerium für Unterricht<br />

und Kultus trägt die Realschule seit dem 1. Januar 1994 diesen Namen.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Die Eltern von Pater Rupert Mayer waren Kaufleute, die sich 1873 in Stuttgart niedergelassen<br />

hatten, um ein Haushaltswarengeschäft zu führen. Zusammen mit einem älteren<br />

Bruder und vier jüngeren Schwestern wuchs Rupert Mayer in einer religiösen Familie auf.<br />

Nach dem Abitur begann er mit dem Studium der Theologie an der katholischen Universität<br />

in Freiburg (1894/95), wechselte an die Universität München (1895/96) und später an<br />

die Universität Tübingen. Zum Abschluss seiner Ausbildung im Priesterseminar Rottenburg<br />

erhielt er am 2. Mai 1899 in St. Martin zu Rottenburg von Bischof Keppler die Priesterweihe.<br />

Danach folgte der Eintritt in den Jesuitenorden in Tisis bei Feldkirch (Vorarlberg),<br />

der wegen des noch geltenden Jesuitengesetzes seit 1872 aus dem Deutschen Reich<br />

verbannt war. In Valkenburg und Wijnandsrade in den Niederlanden schloss er seine Studien<br />

ab und wurde als Volksmissionar in Deutschland, Österreich und der Schweiz eingesetzt.<br />

1912 versetzte man ihn nach München, wo er als Seelsorger für die „Zuwanderer“<br />

wirkte.<br />

Bei Kriegsbeginn meldete sich Pater Rupert Mayer freiwillig als Feldgeistlicher. Er diente<br />

als Divisionspfarrer im Elsass, in Galizien und Rumänien. „Am 30. Dezember 1916 erlitt<br />

er im rumänischen Sultatal eine schwere Verwundung, in deren Folge das linke Bein amputiert<br />

werden mußte. Eine zweite Operation, lange Lazarett-Aufenthalte in Rumänien,<br />

Ungarn und in der Heimat folgten.“ 430 Als er am 30. März 1917 nach München zurückkehrte,<br />

nahm er alle Kraft zusammen, „da ich nur noch einen kleinen Stumpf (am linken<br />

Bein) habe, schon über vierzig Jahre alt bin und mein Gesundheitszustand durch das, was<br />

430 Sandfuchs, Wilhelm (1987): Pater Rupert Mayer: 32<br />

229


ich seit dem 30. Dezember 1916 auszustehen hatte, nicht wenig geschwächt bin, so ist für<br />

mich das Gehenlernen eine überaus schwierige und mühsame Sache.“ 431 Im selben Jahr<br />

nahm er wieder das Amt als Seelsorger für die Zuwanderer in der ständig wachsenden<br />

Großstadt München auf. In einem Kreis von kirchlichen Mitarbeitern gelang es ihm, durch<br />

praktische Hilfe wie Stellenvermittlung und Unterstützung den „Zugereisten“ in Notlagen<br />

zu helfen und so ihr Vertrauen zu gewinnen. Über seine Kontakte berichtete er später:<br />

„Bei den Hausbesuchen ging es sehr lebhaft zu. So wurde ich bekannt mit dem Sozialismus<br />

und dem Kommunismus. Ich war gezwungen die soziale und die kommunistische Presse<br />

zu verfolgen und die diesbezüglichen Schriften zu lesen ... So konnte ich in den Vorträgen<br />

aus dem vollen Leben schöpfen. Diese Tätigkeit brachte es mit sich, daß ich immer mehr<br />

in die katholische Arbeiterbewegung hineingezogen wurde und auch die christliche Gewerkschaftsbewegung<br />

kennenlernte.“ 432 In den Nachkriegsjahren setzte er sich für Frieden<br />

und Versöhnung ein, übernahm die Leitung der „Marianischen Bürger-Kongregation“<br />

und das Amt des Spirituals der „Schwestern von der Heiligen Familie“. Als Seelsorger,<br />

Beichtvater, Prediger und Caritas-Apostel betreute er die Jesuitenkirche St. Michael und<br />

den Bürgersaal. Die Tätigkeit als Mitarbeiter des Diözesan-Caritasverbandes bot Möglichkeiten,<br />

Notleidenden neben seelischem Beistand auch praktische Hilfe zu geben. Um<br />

den sonntäglichen Ausflüglern den Gottesdienst zu ermöglichen, hielt er seit 1925 Gottesdienste<br />

im Münchner Hauptbahnhof.<br />

Nach der Machtergreifung<br />

Als Prediger in der St. Michaelskirche setzte er sich gegen die Angriffe der neuen Regierung<br />

auf die Kirche zur Wehr. „Wenn eine kirchenfeindliche Zeitung Falschmeldungen<br />

über religiöse Ereignisse abdruckte, nahm er das Blatt auf die Kanzel mit und forderte<br />

überzeugend zum kritischen Lesen auf“, 433 obwohl er wusste, dass die Gestapo seine Predigten<br />

mitschrieb. Am 7. April 1937 verhängte die Gestapo-Zentrale Berlin gegen Pater<br />

Rupert Mayer ein „Redeverbot für das gesamte Reichsgebiet“. Pater Rupert Mayer nahm<br />

dies nicht zur Kenntnis, weil er es für einen unrechtmäßigen Eingriff in die Verkündungsfreiheit<br />

der Kirche hielt. Deshalb erfolgte zwei Monate später seine Inhaftierung; er wurde<br />

in das Münchner Corneliusgefängnis gebracht und später nach München-Stadelheim verlegt.<br />

Den Prozessverlauf vor dem Sondergericht gegen Pater Rupert Mayer am 22. und 23.<br />

Juli 1937 hatte der damalige Rechtsreferendar Otto Gritschneder schriftlich festgehalten<br />

und das Verhandlungsprotokoll im Jahre 1965 veröffentlicht. „Bei der staatsanwaltlichen<br />

Vernehmung, mehr noch im Prozeß selbst, wurde offenbar, daß Pater Mayer sich ganz<br />

und gar nicht einschüchtern oder auch nur zu einer Verharmlosung oder Zurücknahme<br />

431 Mayer, Rupert: Briefe 1: 67. In: Loerzer, Sven (1984): Pater Rupert Mayer: 36<br />

432 Mayer, Rupert: Briefe 1: 41. In: Loerzer, Sven (1984): Pater Rupert Mayer: 22<br />

433 Sandfuchs, Wilhelm (1987): Pater Rupert Mayer: 48<br />

230


seiner Äußerungen drängen ließ, ... er hatte klar und überlegt gepredigt und war im vollen<br />

Bewußtsein der Folgen für seine Person, die sich aus seinem mutigen Eintreten für die Religion<br />

ergeben konnten.“ 434<br />

Provinzial Pater Augustinus Rösch ersparte seinem Zögling die sechsmonatige Haft, zu<br />

der er verurteilt worden war, indem er ihm – zur Beruhigung der Behörden – Predigt- und<br />

Redeverbot auferlegte (siehe Band 3: Rösch). Doch Pater Rupert Mayer wollte nicht<br />

schweigen und setzte seine Predigten fort. Eine erneute Festnahme erfolgte nach der dritten<br />

Predigt am 5. Januar 1938 und führte zu seiner Inhaftierung im Gefängnis München-<br />

Stadelheim und später in Landsberg am Lech. Wegen einer Amnestie, die im Zusammenhang<br />

mit dem „Anschluss“ Österreichs erging, wurde er am 3. Mai 1938 vorzeitig entlassen.<br />

Danach war seine seelsorgerische Tätigkeit auf Einzelgespräche im Beichtstuhl und<br />

im Audienzzimmer beschränkt. Doch auch hier griff die Gestapo ein; er sollte ihnen die<br />

Namen mutmaßlicher konspirativer Gesprächspartner nennen. Bei seiner wiederholten<br />

Festnahme am 3. November 1939 verweigerte er die Offenlegung der Namen, „...auch<br />

nicht, wenn sie mich an die Wand stellen“ 435 . Daraufhin kam er in der Nacht vom 22. auf<br />

den 23. Dezember 1939 in Schutzhaft im KZ Sachsenhausen (Einzelhaft im „Bunker“).<br />

„Gleich bei meinem Eintritt ins KZ wurde mir gesagt, daß ich zu keiner körperlichen Arbeit<br />

herangezogen würde, daß ich also frei über meine Zeit verfügen könnte. Und daran<br />

hat man festgehalten. Die Kost war begreiflicherweise schmal.“ 436 Wegen seines schlechten<br />

Gesundheitszustandes erfolgte am 7. August 1940 seine Entlassung. Von der Außenwelt<br />

vier Jahre und vier Monate abgeschlossen, verbrachte er die Zeit bis zur Befreiung<br />

im Kloster Ettal. Ein Pfarrer, der ihn im Auftrag der Gestapo besuchte, beschrieb ihn „wie<br />

einen im Käfig eingesperrten Löwen, der bereit wäre, das Kloster heimlich zu verlassen,<br />

um in München den Kampf gegen die Nazis öffentlich aufzunehmen.“ 437<br />

Nach München zurückgekehrt, übte er sofort wieder sein Amt aus. „Doch die viele Arbeit,<br />

die er tun wollte und mußte, beanspruchte seine Gesundheit sehr. Ende Juli 1945 hatte er<br />

einen ersten, leichten Schlaganfall, Mitte Oktober erlitt er einen zweiten Gehirnschlag,<br />

der zur Folge hatte, daß er nicht mehr sprechen konnte.“ 438 Nach seiner Genesung setzte<br />

er seine Predigten wieder fort.<br />

Pater Rupert Mayer starb am Allerheiligentag während einer Predigt. Seine Beisetzung<br />

fand am 4. November 1945 auf dem Ordensfriedhof in Pullach statt. Bei der Überführung<br />

434 Gritschneder, Otto (1965): Pater Rupert Mayer vor dem Sondergericht: 24<br />

435 Loerzer, Sven (1984): Pater Rupert Mayer: 66<br />

436 Koerbling, Anton (1960): Pater Rupert Mayer: 179<br />

437 Koerbling, Anton (1960): Pater Rupert Mayer: 187<br />

438 Loerzer, Sven (1984): Pater Rupert Mayer: 74<br />

231


und Beisetzung in die Gruft der Krypta im Münchner Bürgersaal am 23. Mai 1948 nahmen<br />

Tausende von Gläubigen teil. Die Feier der Seligsprechung durch Papst Johannes Paul II.<br />

fand am 3. Mai 1987 im Münchner Olympiastadion statt.<br />

Ehrungen<br />

1976 Feier zum 100. Geburtstag in der Kirche St. Michael in München, geleitet durch Kardinal<br />

Döpfner.<br />

1980 Würdigung durch den Papst Johannes Paul II. in seiner Predigt auf der Münchner<br />

Theresienwiese.<br />

1987 Seligsprechung durch Papst Johannes Paul II.<br />

1988 Bronzerelief für Pater Rupert Mayer und Edith Stein (siehe Band 3: Stein, Edith) im<br />

Pfarrzentrum Maria Himmelfahrt in Landsberg am Lech.<br />

1990 Gedenktafel in der Ignatiuskapelle in Landsberg am Lech.<br />

1995 Pater-Rupert-Mayer-Platz und Brunnen in Landsberg am Lech.<br />

1995 Gedenktafel im Kloster Ettal: Gedenken an Pater Rupert Mayer SJ und Pastor Dietrich<br />

Bonhoeffer (1900–1940).<br />

2001 Pater-Rupert-Mayer-Medaille des Diözesanrats der Münchner Katholiken, die an<br />

fünf bayerische Hospizvereine vergeben wurden.<br />

Schauspiel<br />

1995 Zeit zu reden, Zeit zu schweigen. Von Herbert Rosendorfer. Aufgeführt an der Schulbühne<br />

des Ettaler Gymnasiums.<br />

Film<br />

1988 Ich schweige nicht! Von Pater Walter Rupp SJ. Pater Rupert Mayer im Widerstand<br />

gegen den Nationalsozialismus, München.<br />

Literatur<br />

Bleistein, Roman (1993): Rupert Mayer der verstummte Prophet. Knecht Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Boesmiller, Franziska (1947): Pater Rupert Mayer. Verlag Schnell & Steiner, München<br />

Dirks, Walter (1997): Katholiken zwischen Anpassung und Widerstand. In: Löwenthal, Richard / Mühlen, Patrik<br />

von zur (Hrsg.): Widerstand und Verweigerung in Deutschland: 140–142<br />

Grassl, Irene (1984): Pater Rupert Mayer in Selbstzeugnissen. Manz Verlag, Dillingen<br />

Gritschneder, Otto (1965): Pater Rupert Mayer vor dem Sondergericht. Verlag Anton Pustet, München und<br />

Salzburg<br />

Gritschneder, Otto (1987): Pater Rupert Mayer und das Dritte Reich. Rosenheim<br />

232


Gritschneder, Otto (Hrsg.) (1987): Ich predige weiter. Pater Rupert Mayer und das Dritte Reich. Rosenheim<br />

Koerbling, Anton (1950): Pater Rupert Mayer. Verlag Schnell & Steiner, München<br />

Koerbling, Anton (1960): Pater Rupert Mayer. Verlag Schnell & Steiner, München<br />

Läpple, Alfred (Hrsg.) (1987): P. Rupert Mayer. Ein Erinnerungsbuch zur Seligsprechung. Don Bosco Verlag,<br />

München<br />

Loerzer, Sven (1984): Pater Rupert Mayer. Paul Pattloch Verlag, Aschaffenburg<br />

Mayer, Rupert (1951): Dokumente, Selbstzeugnisse und Erinnerungen. Verlag Schnell & Steiner, München<br />

Mayer, Rupert (1987): Mein Kreuz will ich tragen. Texte des Predigers von St. Michael. Ostfildern<br />

Morgenschweis, Karl (1968): Strafgefangener Nr. 9469 P. Rupert Mayer. Erinnerungen an seine Haft im<br />

Strafgefängnis Landsberg/Lech. München<br />

Rupp, Walter / Vieregg, Hildegard (1987): Pater Rupert Mayer SJ. Eine Dokumentation in Texten und Bildern.<br />

München<br />

Sandfuchs, Wilhelm (1982): Pater Rupert Mayer, Verteidiger der Wahrheit, Apostel der Nächstenliebe. Würzburg<br />

Sandfuchs, Wilhelm (1987): Pater Rupert Mayer. Sein Leben in Dokumenten und Bildern, seine Seligsprechung.<br />

Echter Verlag, Würzburg<br />

Schwaiger, Georg (Hrsg.) (1984): Das Erzbistum München und Freising in der Zeit der nationalsozialistischen<br />

Herrschaft. 2 Bände. München<br />

Volk, Ludwig (1976): Pater Rupert Mayer vor der NS-Justiz. In: Stimmen der Zeit, Band 194 (Januar 1976)<br />

Heft 1<br />

Vieregg, Hildegard (1993): Wächst Gras darüber? München Hochburg des Nationalsozialismus und Zentrum<br />

des Widerstands. Dr. C. Wolf & Sohn Verlag, München: 184–190<br />

233


Meitner, Lise, Prof. Dr.<br />

*17.11.1878 Wien †27.10.1968 Cambridge (Großbritannien)<br />

„... Und ich, die ich so sehr am schlechten Gewissen leide,<br />

bin Physikerin ohne jedes böse Gewissen.“<br />

Lise Meitner in einem Brief an eine Freundin, Elisabeth Schiemann, Dezember 1915.<br />

Lise Meitner im Labor des Kaiser-Wilhelm-Instituts<br />

für Chemie, Berlin um 1915<br />

Foto: Deutsches Museum<br />

234<br />

Lise Meitner, Porträtbüste von<br />

Chrysile Schmitthenner im Ehrensaal<br />

des Deutschen Museums<br />

Foto: Deutsches Museum


I. Lise-Meitner-Weg, Neuperlach-Süd<br />

M (1991)<br />

II. Porträtbüste aus Marmor, Ehrensaal des Deutschen Museums<br />

Isartorplatz S1–S8<br />

M (1991)<br />

III. Grabstätte auf dem Friedhof Bramley in Hampshire, Südengland<br />

1968<br />

Zu II. Porträtbüste aus Marmor, Ehrensaal des Deutschen Museums<br />

KM (1991)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Im Ehrensaal des Deutschen Museums werden mit 20 Büsten, 13 Reliefs und Gemälden<br />

große deutsche Naturforscher und Erfinder gewürdigt. Man schuf „in dankbarem Gedenken<br />

an die hervorragenden Forscher, Ingenieure und Industrielle eine Ruhmeshalle, würdig<br />

der für die Menschheit so unendlichen Großtaten dieser Geistesheroen.“ 439 Die Büste<br />

der Atomphysikerin Lise Meitner wurde im Jahre 1991 im Ehrensaal aufgestellt.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Auf einem an der Wand befestigtem Sockel befindet sich eine Marmorbüste mit folgender<br />

Inschrift:<br />

„Lise Meitner, geb. in Wien am 7. November 1878, gest. in Cambridge am 27. Oktober<br />

1968. Das Ausmaß ihrer Verdienste um die Grundlagen der Radioaktivität und um die Radiochemie<br />

wurde erst spät bekannt und gewürdigt. Die Gruppe um Otto Hahn verdankt<br />

ihr wesentliche Anregungen bei der Entdeckung der Kernspaltung und ihrer Bedeutung.“<br />

INFORMATION ÜBER DIE KÜNSTLERIN<br />

Die Marmorbüste hat die Bildhauerin Chrysille Schmitthenner geschaffen.<br />

439 Deutsches Museum (Hrsg.) (1997): Ausstellungsführer: 60<br />

235


GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Lise wurde als drittes von acht Kindern der Eltern Philipp und Hedwig Meitner am 17. November<br />

1878 in Wien geboren. Sie ist im amtlichen Geburtenregister der israelitischen<br />

Kultusgemeinde Wiens genannt. Der Vater Philipp war Freidenker und erzog seine Kinder<br />

nicht im jüdischen Glauben; so besuchten sie in ihrer Schulzeit den evangelischen Religionsunterricht.<br />

Lise wuchs in einer glücklichen Familie auf und lebte mit ihren sieben Geschwistern<br />

in enger Verbundenheit. Nach der Volksschule lernte sie drei weitere Jahre auf<br />

der Bürgerschule; die gymnasiale Laufbahn war damals nur den Knaben erlaubt. Vorerst<br />

befolgte sie den Rat der Eltern, ihre akademischen Ambitionen zurückzunehmen und einen<br />

Beruf zu erlernen, der ohne Studium möglich war. Sie entschied sich, zunächst Französischlehrerin<br />

zu werden. Gleichzeitig unterstützte sie ihre ältere Schwester, die Komposition<br />

studierte. Lise strebte einen externen Matura-Abschluss an, um ein Studium aufnehmen<br />

zu können. Hierbei wurde sie von ihren Eltern unterstützt; diese Toleranz kam auch<br />

ihren Schwestern zugute, sie wurden Ärztin, Chemikerin und Komponistin. In einem Privatkurs<br />

bereitete Lise sich innerhalb von zwei Jahren auf das Abitur vor, das sie am 11.<br />

Juli 1901 bestand. Mit dem Studium der Physik begann sie im Sommer 1901. Im Kolloquium<br />

des Physikers Ludwig Boltzmann (Universität Wien) lernte sie die experimentelle<br />

und theoretische Physik kennen. Professor Ludwig Boltzmann kämpfte um die Jahrhundertwende<br />

für die wissenschaftliche Anerkennung der neuen Atomlehre, die nach der Entdeckung<br />

der Radioaktivität das bestehende Wissen über die Atome erweiterte. Lise Meitner<br />

schloss ihr Studium mit der Promotion im Fach Physik ab (1906). Sie bewarb sich anschließend<br />

um eine Assistentenstelle am Lehrstuhl für Physik an der Sorbonne in Paris bei<br />

Madame Curie, von der sie aber eine Absage bekam. „Ich wollte ja ursprünglich zu ihr<br />

gehen; zum Glück hat sie mir abgesagt. Ich habe ja so bestimmt viel mehr gelernt. Ihr<br />

Buch ist in physikalischen Sachen mehr vom chemischen Standpunkt geschrieben.“ 440 Da<br />

erinnerte sie sich an Professor Max Planck (1858–1947), der nach dem Tod von Boltzmann<br />

den Ruf nach Wien nicht angenommen hatte und an der Universität in Berlin geblieben<br />

war. Plancks Entdeckung des Wirkungsquantums (1900) hatte das wissenschaftliche<br />

Verständnis der Natur der atomaren Welt revolutioniert und bildete den Grundstock der<br />

Quantenmechanik. Lise erhielt die Erlaubnis eines Aufbaustudiums der Physik bei Max<br />

Planck, obwohl er zu dieser Zeit Studentinnen bzw. Doktorandinnen nicht gerne bei sich<br />

aufnahm. Sie schrieb rückblickend darüber: „... Wieviel menschliches Verständnis und<br />

wieviel Förderung habe ich von ihm bekommen.“ 441<br />

Mit finanzieller Unterstützung ihres Vaters übersiedelte Lise Meitner nach Berlin. Da sie<br />

experimentell arbeiten wollte, wandte sich die Physikerin an Professor Heinrich Rubens,<br />

440 Kerner, Charlotte (1987): Lise, Atomphysikerin: 23<br />

441 Kerner, Charlotte (1987): Lise, Atomphysikerin: 27<br />

236


dem Leiter des Berliner Instituts für Experimentalphysik. Dieser vermittelte ihr die Zusammenarbeit<br />

mit dem Chemiker Otto Hahn, der sich ein kleines Labor im Keller des chemischen<br />

Institutes eingerichtete hatte. Der Leiter dieses Institutes, Emil Fischer, stimmte<br />

der wissenschaftlichen Zusammenarbeit von Meitner und Hahn unter der Bedingung zu,<br />

„wenn sie im Keller bleibt und niemals das Institut betritt, soll es mir recht sein.“ 442 Ihre<br />

Wirkungsstätte wurde somit in den Institutskeller, der ursprünglich als Holzwerkstatt<br />

diente, verlegt. Sie tolerierte diese Bedingungen nur wegen ihres großen wissenschaftlichen<br />

Ehrgeizes. Vorlesungen in den oberen Etagen hörte sie heimlich mit. Als im Dezember<br />

1908 der englische Physiker Ernest Rutherford zum wissenschaftlichen Diskurs in das<br />

Kellerlabor kam, sagte er überrascht zu Lise Meitner: „I thought, you were a man!“ 443 In<br />

Zusammenarbeit mit Otto Hahn entstanden in circa fünf Jahren über zwanzig wissenschaftliche<br />

Publikationen. Während dieser Zeit wurde sie finanziell von den Eltern unterstützt.<br />

Erst ab 1912 arbeitete sie offiziell als Assistentin bei Professor Max Planck; sie betreute<br />

Studenten und korrigierte Übungsaufgaben. Endlich kam das Angebot einer Dozenten-<br />

und Professorenstelle von der Universität Prag. Das hatte zur Folge, dass auch in Berlin<br />

ihre Arbeit öffentliche Anerkennung erfuhr und das Kaiser-Wilhelm-Institut ihr eine<br />

Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin im neu gegründeten „Institut zur Förderung der<br />

Wissenschaften“ zur Verfügung stellte. Die wissenschaftliche Grundlagenforschung wurde<br />

vom deutschen Staat und von der Industrie gefördert; das bedeutete für Meitner eine<br />

wesentliche Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen.<br />

Unterbrochen wurde diese Zeit wissenschaftlicher Forschung durch den Ersten Weltkrieg.<br />

Otto Hahn erhielt die Einberufung zum Militärdienst. Er diente an der Westfront in der<br />

von Fritz Haber geleiteten Einheit für Gaseinsätze. Meitner meldete sich freiwillig im Jahre<br />

1915 zum Einsatz als Röntgenschwester eines Feldlazaretts an die Ostfront. Als österreichische<br />

Staatsbürgerin kam sie in ein Lazarett nach Lemberg und später in ein Hospital<br />

nach Prag-Karolinenthal. Auf Anraten von Otto Hahn kehrte sie im Sommer 1917 wieder<br />

nach Berlin zurück, um ihre Forschungsarbeit fortzuführen. Die gemeinsame Arbeit ging<br />

weiter, als Hahn während des Fronturlaubs weiterforschen konnte. Sie entdeckten 1917<br />

gemeinsam in einer Pechblende-Probe das chemische Element mit der Ordnungszahl 91,<br />

das sie Protaktinium (Pa) nannten. Als Anerkennung dafür erhielt sie im gleichen Jahr die<br />

Leitung einer physikalisch-radiologischen Abteilung am Kaiser-Wilhelm-Institut Berlin.<br />

Als Privatdozentin (1921) bekam sie nach erfolgter Habilitation den Titel einer außerplanmäßigen<br />

Professorin; ihre männlichen Kollegen hatten inzwischen fast alle den Titel eines<br />

ordentlichen Professors und einen eigenen Lehrstuhl inne. Wegen ihrer Arbeiten über radioaktive<br />

Strahlen wurde sie erstmals mit der „Leibniz-Medaille der Berliner Akademie<br />

442 Kerner, Charlotte (1987): Lise, Atomphysikerin: 29<br />

443 Kerner, Charlotte (1987): Lise, Atomphysikerin: 31<br />

237


der Wissenschaften“ und dem „Ignaz-L.-Lieben-Preis der Wiener Akademie der Wissenschaften“<br />

ausgezeichnet. Für den Nobelpreis für Physik stand sie zusammen mit Otto<br />

Hahn in den Jahren 1924, 1925 und 1928 auf dem Vorschlagspapier. Als Teilnehmerin auf<br />

internationalen Kongressen hoffte sie, dass die Wissenschaft die internationale Zusammenarbeit<br />

am besten fördere. 444 Sie pflegte Freundschaft mit ihren Wissenschaftskollegen<br />

James Franck (1882-1964) und Max von Laue (1879–1960). Ihr Neffe Otto Robert Frisch<br />

(1904–1979), der Sohn ihrer älteren Schwester, kam als Physiker ebenfalls nach Berlin.<br />

Die Jahre 1933–1938<br />

Zu Beginn des Jahres 1933 nahm Lise Meitner noch am internationalen Solvay-Kongress<br />

445 in Brüssel teil. Dieses seit 1911 stattfindende Treffen diente der Zusammenführung<br />

der bedeutenden Physiker und Chemiker Europas. Das im April 1933 in Deutschland<br />

erlassene „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ sah die Entlassung aller<br />

Beamten „nichtarischer Abstammung“ vor. Die Physikerin erhielt deshalb die Entlassungsurkunde.<br />

Auch die Petitionen ihrer Kollegen Otto Hahn, Max Planck und Max von<br />

Laue für den Erhalt des Professorenpostens von Lise Meitner an der Universität Berlin<br />

konnten nicht verhindern, dass ihr am 11. September 1933 die Lehrbefugnis entzogen<br />

wurde. Sie blieb trotzdem in Berlin, wo sie zusammen mit Otto Hahn und Fritz Straßmann<br />

weiter nach den Transuranen forschte. Dabei experimentierten sie mit der von Enrico Fermi<br />

(1901–1954) entwickelten Neutronen-Bestrahlung, um künstliche chemische Elemente<br />

zu erzeugen.<br />

Ihr langes Verweilen in Deutschland nach der Machtergreifung beurteilte sie im Rückblick<br />

wie folgt: „Heute weiß ich, daß es nicht nur dumm, sondern ein großes Unrecht war,<br />

daß ich nicht sofort weggegangen bin ... denn letzten Endes habe ich durch meine Bleiben<br />

doch den Hitlerismus unterstützt.“ 446 Bisher war Lise Meitner als österreichische Staatsbürgerin<br />

nicht von den „Rassegesetzen“ berührt. Das änderte sich jedoch nach dem im<br />

März 1938 erfolgten „Anschluss von Österreich“. Als sie erfuhr, dass sich in der zum Judenhass<br />

anstachelnden Ausstellung „Der ewige Jude“ auch ihr Konterfei befand, wusste<br />

sie, dass sie fliehen musste. Ohne Vorbereitung und in großer Eile emigrierte sie, wie viele<br />

andere bedeutende deutsche Wissenschaftler nach der Machtergreifung. „Ich habe genau<br />

eineinhalb Stunden Zeit gehabt um zu packen, um nach 31 Jahren von Deutschland wegzugehen.“<br />

447 Ihr gelang am 13. Juli 1938 die Flucht über Holland nach Dänemark und<br />

444 Kerner, Charlotte (1987): Lise, Atomphysikerin: 65<br />

445 Genannt nach Ernest Solvay, einem Chemiker und reichen Industriellen, der einen Teil seines Kapitals<br />

für eine Tagung stiftete, auf der international anerkannte Physiker über aktuelle wissenschaftliche Probleme<br />

diskutierten.<br />

446 Kerner, Charlotte (1987): Lise, Atomphysikerin: 76<br />

447 Kerner, Charlotte (1987): Lise, Atomphysikerin: 82<br />

238


weiter nach Schweden, wo ihr Freunde am Nobel-Institut in Stockholm einen Arbeitsplatz<br />

bereithielten. Ihre Aufzeichnungen und die wissenschaftlichen Geräte konnte sie in der<br />

Eile nicht mitnehmen. Per Briefwechsel konnte sie als „geistig Führende“, so ein Kollege,<br />

mit den im Deutschen Reich verbliebenen Forschern Hahn und Straßmann an der Fortführung<br />

der Experimente, die zur Entdeckung der Kernspaltung führten, mitwirken. Zusammen<br />

mit Otto Robert Frisch veröffentlichte sie am 11. Februar 1939 die theoretische Deutung<br />

der Ergebnisse. Damit waren die Erkenntnisse der gemeinsamen Versuche von Meitner,<br />

Hahn und Straßmann gesichert. In Deutschland setzten Hahn und Straßmann inzwischen<br />

die Forschungen an der Uran-Kernspaltung fort und publizierten ihre Ergebnisse.<br />

Otto Hahn bekam für diese Arbeiten 1945 den Nobelpreis für Chemie. Lise Meitners<br />

Name blieb unerwähnt, obwohl sie an entscheidenden Vorversuchen bedeutenden Anteil<br />

hatte. Auch bei seiner Dankesrede in Stockholm erwähnte Otto Hahn Meitners Namen<br />

nicht. Die politischen Verhältnisse und die traditionelle Rolle der Frau haben sie um die<br />

verdiente Ehrung gebracht. Fritz Straßmann beurteilte Lise Meitners Anteil an der Entdeckung<br />

der Kernspaltung so: „Ihrem Impuls ist der Beginn des gemeinsamen Weges mit<br />

Hahn, ab 1934, zuzuschreiben – 4 Jahre danach gehörte sie zu unserem Team – , anschließend<br />

war sie von Schweden aus gedanklich mit uns verbunden ... Aber es ist meine Überzeugung:<br />

Lise Meitner war die geistig Führende in unserem Team gewesen, und darum<br />

gehörte sie zu uns – auch wenn sie bei der ,Entdeckung der Kernspaltung´ nicht gegenwärtig<br />

war.“ 448<br />

Im Exil<br />

Über das erzwungene Exil und die wissenschaftliche wie die menschliche Isolation in<br />

Stockholm berichtete die Physikerin: „Ich habe hier eben einen Arbeitsplatz und keinerlei<br />

Stellung, die mir irgendein Recht auf etwas geben würde ... ich hätte mich viel besser und<br />

viel früher auf mein Fortgehen vorbereiten müssen, hätte von den wichtigsten Apparaten<br />

wenigstens Zeichnungen machen müssen ...“ Lise Meitner fühlte sich heimatlos und einsam,<br />

„... als ob ich in der Wüste lebte.“ 449 Erst ab 1941 hielt sie wieder Vorlesungen über<br />

Kernphysik am physikalischen Institut der Universität Stockholm. Obwohl sie mit ihrer<br />

wissenschaftlichen Tätigkeit in Schweden nicht zufrieden war, lehnte sie den Ruf von James<br />

Franck, in die USA zu kommen, ab.<br />

Nach Beendigung des Krieges beherrschte sie die Sorge, wie wohl Deutschland mit seiner<br />

historischen Schuld fertig werden würde. 450<br />

448 Bührke, Thomas (1997): „Ich habe die Atombombe nicht entworfen.“ In: Bührke, Thomas (1997): Newtons<br />

Apfel: 252<br />

449 Kerner, Charlotte (1987): Lise, Atomphysikerin: 95, 98, 99<br />

450 Kerner, Charlotte (1987): Lise, Atomphysikerin: 100<br />

239


Ablehnung einer Rückkehr nach Deutschland<br />

Lise Meitner hatte kein Nachsehen für das, was ihr die Nazis an Leid zugefügt hatten.<br />

1947 bekam sie von ihrem früheren Mitarbeiter Fritz Straßmann, der als Professor am neu<br />

gegründeten Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie arbeitete, ein Angebot zur Übernahme<br />

der Leitung der dortigen Physikalischen Abteilung. Sie schlug dieses Angebot aus,<br />

weil sie nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wollte. Dabei spielte vor allem das<br />

Verhalten vieler deutscher Wissenschaftler während des Nationalsozialismus für sie eine<br />

entscheidende Rolle. In einem Brief an ihren ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter<br />

Otto Hahn im Juni 1945 kommt dies zum Ausdruck: „Ihr habt auch alle für Nazideutschland<br />

gearbeitet und habt auch nie nur einen passiven Widerstand zu machen versucht. Gewiß,<br />

um euer Gewissen los zu kaufen, habt ihr hier und da einem bedrängten Menschen<br />

geholfen, aber Millionen unschuldiger Menschen hinmorden lassen, und keinerlei Protest<br />

wurde laut.“ 451<br />

Die aus Deutschland kommenden Ehrungen nahm Lise Meitner jedoch trotzdem mit Freude<br />

an. 1949 bekam sie die „Max-Planck-Medaille“ der Deutschen Physikalischen Gesellschaft<br />

überreicht und wurde korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie der<br />

Wissenschaften. Bundespräsident Theodor Heuss überreichte ihr den Verdienstorden der<br />

Bundesrepublik Deutschland „Pour le mérite“ für Wissenschaften. 1959 wurde in Berlin<br />

das „Hahn-Meitner-Institut für Kernforschung“ gegründet. Lise Meitner verbrachte ihre<br />

letzten Lebensjahre in der Nähe ihres Neffen Otto Robert Frisch in Cambridge (Großbritannien).<br />

Dort starb sie im Alter von 89 Jahren am 27. Oktober 1968. Ihr Grab befindet<br />

sich auf dem Friedhof von Bramley in Hampshire, Südengland.<br />

Meitner vertrat den Wissenschaftlertypus, der aus Freude und Interesse an fundamentalen<br />

Naturgesetzen eine nicht zweckgebundene Grundlagenforschung betrieb.<br />

„Wenn trotzdem die technischen Fortschritte die Menschen in fast unlösbare Schwierigkeiten<br />

verwickelt haben, so liegt das nicht an dem ,bösen Geist´ der Wissenschaft, sondern daran,<br />

daß wir Menschen weit davon entfernt sind, das schon von den Griechen angestrebte<br />

,höhere Menschentum´ erreicht zu haben.“ Aus einem Vortrag von Lise Meitner. 452<br />

Ehrungen<br />

1912 Erste Universitätsassistentin Preußens.<br />

1918 Hahn-Meitner-Abteilung am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin.<br />

451 Bührke, Thomas (1997): „Ich habe die Atombombe nicht entworfen“. In: Bührke, Thomas (1997): Newtons<br />

Apfel: 254<br />

452 Kerner, Charlotte (1987): Lise, Atomphysikerin 122<br />

240


1922 Ernennung zur außerplanmäßigen Professorin.<br />

1924 „Leibniz-Medaille“ der Akademie der Wissenschaften, Berlin „Ignaz-L.-Lieben-<br />

Preis“ der Akademie der Wissenschaften, Wien.<br />

1945 Frau des Jahres. Eine Auszeichnung durch die amerikanische Presse.<br />

1949 „Max-Planck-Medaille“ der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.<br />

1959 Verdienstorden „Pour le mérite“ für Wissenschaften der Bundesrepublik Deutschland.<br />

1959 „Hahn-Meitner-Institut“ für Kernforschung, Berlin.<br />

29. August 1982 „Meitnerium“ (vorläufiger Name: Unnilennium): von der Darmstädter<br />

Gesellschaft für Schwerionenforschung künstlich erzeugtes chemisches Element der Platingruppe<br />

mit der Kernladungszahl 109, benannt nach Lise Meitner.<br />

Gedenktafel in Berlin<br />

Neben dem Eingang der Humboldt-Universität in Berlin befindet sich eine Gedenktafel<br />

mit folgender Inschrift: „In der ehemaligen Holzwerkstatt im Erdgeschoß dieses Gebäudes<br />

haben die Radiumforscher Otto Hahn und Lise Meitner von 1906–1912 durch bedeutende<br />

Entdeckungen der Naturwissenschaft gedient.“<br />

Literatur<br />

Bürke, Thomas (1997): Newtons Apfel. Sternstunden der Physik von Galilei bis Lise Meitner. Beck`sche Reihe<br />

1202, München, darin: „Ich habe die Atombombe nicht entworfen.“: 231–255<br />

Ernst, S. (1992): Lise Meitner an Otto Hahn. Briefe aus den Jahren 1912 bis 1924. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft,<br />

Stuttgart<br />

Fölsing, Ulla (1991): Nobel-Frauen – Naturwissenschaftlerinnen im Porträt. C. H. Beck Verlag, Beck`sche<br />

Reihe 426, München<br />

Hahn, Otto (1989): Vom Radiothor zur Kernspaltung. Eine wissenschaftliche Selbstbiographie. Vieweg-Verlag,<br />

Braunschweig<br />

Kaufmann, Doris (Hrsg.) (2000): Die Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus.<br />

Bestandsaufnahme u. Perspektiven der Forschung, 2 Bände. Wallstein Verlag, Göttingen<br />

Kerner, Charlotte (1987): Lise, Atomphysikerin. Die Lebensgeschichte der Lise Meitner. Belz Verlag, Weinheim,<br />

Basel<br />

Krafft, F. (1981): Im Schatten der Sensation. Leben und Wirken von Fritz Straßmann. VCH Verlagsgesellschaft,<br />

Weinheim<br />

Loerzer, Sven (1989): Lise Meitner. In: Die Großen unserer Zeit. Loewe Verlag, Bindlach: 249–266<br />

Schad, Martha (1998): Lise Meitner. In: Schad, Martha (1998): Frauen, die die Welt bewegten. Pattloch Verlag,<br />

Augsburg: 160–161<br />

Rife, P. (1990): Lise Meitner. Ein Leben für Wissenschaft. Claassen-Verlag, Düsseldorf<br />

Sime, Ruth Lewine (1996): Lise Meitner. A Life in Physics. University of California Press, Berkeley<br />

Sime, Ruth Lewine (2001): Lise Meitner. Ein Leben für die Physik. Biographie. Insel Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Stolz, Werner (1983): Otto Hahn, Lise Meitner. Leipzig<br />

241


Mertz von Quirnheim, Albrecht Ritter<br />

*25.3.1905 München †21.7.1944 Berlin<br />

„Das Attentat muß erfolgen, coute que coute. Sollte es nicht gelingen, so muß trotzdem<br />

in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an,<br />

sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und der Geschichte<br />

den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.“<br />

General Henning von Tresckow 453<br />

Gedenktafel an der Kirche St. Georg,<br />

Bogenhausen<br />

Foto: Andreas Olsen<br />

Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim<br />

Foto: Süddeutscher Verlag<br />

453 Gostomski, Viktor von / Loch, Walter (1969): Der Tod von Plötzensee: 200<br />

242


Gedenktafel, St. Georg, Bogenhausen<br />

St. Georg, Bogenhausen<br />

Max-Weber-Platz U4/U5 und Tram18<br />

M (1988)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Die Witwe von Oberst Albrecht Mertz von Quirnheim, Hilde Mertz von Quirnheim, rief<br />

die Landeshauptstadt München in einem Antrag vom 28. April 1982 dazu auf, für ihren<br />

am 21. Juli 1944 ermordeten Mann ein sichtbares Zeichen zu setzen. Dieser war zusammen<br />

mit General Friedrich Olbricht, Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg (siehe<br />

Band 3: Stauffenberg) und Oberleutnant Werner von Haeften im Hof des Berliner Bendler<br />

Blocks getötet worden. Im Juni 1988 wurde die Gedenktafel an der nordöstlichen Außenwand<br />

der Münchner Kirche von St. Georg angebracht.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

An der Nordostseite des Chores der Kirche befindet sich eine Gedenktafel aus grauem<br />

Stein (0,69 m × 0,52 m) mit eingemeißelter Inschrift. Der Text lautet:<br />

„Zum Gedenken an Oberst i. G. Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim. Er wurde am 25.<br />

März 1905 in München geboren und gab sein Leben für Freiheit und Recht in Berlin am<br />

20. Juli 1944.“<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Albrecht Mertz von Quirnheim stammte aus einer bayerischen Offiziersfamilie und wählte<br />

selber den Beruf zum Soldaten. Seine Ausbildung zum Berufsoffizier absolvierte er<br />

1923 an der Kriegsakademie in Berlin; dort befreundete er sich mit Claus Schenk Graf von<br />

Stauffenberg (siehe Band 3: Stauffenberg). Nach Fronteinsätzen in Polen und Frankreich<br />

traf er im Winter 1941 an der Ostfront in Winniza wieder auf seinen Freund Stauffenberg.<br />

Mertz von Quirnheim erlebte an der Front die Niederlage von Stalingrad im Winter 1942/<br />

43. In München heiratete er 1943 Hilde Baier. Als Nachfolger Stauffenbergs trat er im<br />

Juni 1944 als Chef des Stabes bei General Olbricht ein. Er war in alle Vorbereitungen und<br />

Pläne des als Operation „Walküre“ getarnten Umsturzversuchs eingeweiht und hat in vielen<br />

Phasen entscheidend mitgewirkt.<br />

Zur Vorgeschichte des 20. Juli 1944<br />

Eine der ersten militärischen Oppositionsgruppen entstand unter dem Generalstabschef<br />

des Heeres Ludwig Beck. Er versuchte seit Juli 1935 mit Aktennotizen, Denkschriften und<br />

243


Vorträgen die Außenpolitik Hitlers zu beeinflussen, weil er das in den Krieg mündende<br />

Großmachtstreben der Nationalsozialisten kompromisslos ablehnte. Beck stellte Kontakt<br />

mit dem Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler her, um eine Ausweitung der Opposition<br />

zu erreichen, die nun fast alle politischen Lager, Geheimdienste und die Abteilung<br />

Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht umfasste. Um den drohenden Krieg in Europa<br />

zu verhindern, forderte Beck die Generalität vergeblich zum geschlossenen Rücktritt<br />

auf. Konkrete Vorbereitungen zum Militärputsch liefen zusammen mit dem Generalstabschef<br />

Franz Halder und General von Witzleben (siehe Band 3: Witzleben). Dieser Plan sah<br />

vor, mit Hilfe militärischer Unterstützung unblutige Aktionen auszuführen und anschließend<br />

die Bevölkerung durch Proklamation über den „verbrecherischen Charakter und den<br />

Katastrophenkurs des Hitler-Regimes“ 454 aufzuklären. Diese Pläne wurden vorerst wegen<br />

des Münchner Abkommens von 30. September 1938 verhindert, da Hitler Forderungen<br />

bezüglich des Abtretungsmodus durchsetzen konnte.<br />

In den folgenden drei Jahren geriet die militärische Widerstandsbewegung wegen der Siege<br />

der Wehrmacht in eine Krise; die Hoffnung auf Kriegsvermeidung war zerstört; ebenso<br />

die Aussicht, in der Bevölkerung Rückhalt zu gewinnen. Die nach Kriegsbeginn immer<br />

öfter verübten Untaten und Gräuel des NS-Regimes erforderten grundlegendes Umdenken<br />

in den Zielsetzungen dieser Widerstandsbewegung. Die Ziele der Gruppen um Stauffenberg<br />

und Oster waren demnach: die Beseitigung des Hitler-Regimes, Beendigung des<br />

Krieges, Wiederherstellung von Recht und Freiheit. 455 In den folgenden Jahren kam es innerhalb<br />

der Opposition zu Differenzen, da man unterschiedlicher Auffassung war, ob Gewalt<br />

einschließlich Tyrannenmord zulässig seien. Stauffenberg, dessen Einheit beim<br />

Überfall auf Polen zum Einsatz kam und der die Folgen der deutschen Politik im Osten<br />

realistisch einschätzen konnte, entschloss sich zur aktiven Gegnerschaft und rückte bald<br />

in den Mittelpunkt der militärischen Konspiration. Er pflegte die Verbindungen zu zivilen<br />

und politischen Widerstandsgruppen und koordinierte die Attentatspläne im militärischen<br />

Bereich. Mit der Überzeugung, dass durch die Beseitigung Hitlers der Krieg beendet und<br />

weiteres millionenfaches Sterben verhindert werden könnte, hatte sich Stauffenberg zum<br />

Handeln bereit erklärt. Dabei waren die Motive der am Umsturz Beteiligten vielfältig; neben<br />

moralisch-ethischen Gründen spielte der christliche Glaube eine wichtige Rolle. Bei<br />

den direkten Vorbereitungen zum Staatsstreich „stützte er sich auf Freunde aus dem zivilen<br />

Widerstand und Reste der Generalsopposition, vor allem aber auch auf eine Anzahl<br />

ihm persönlich verbundener jüngerer Offiziere (u.a. Mertz von Quirnheim), die nicht<br />

durch die Bedenken altgedienter Militärs oder Beamter behindert wurden.“ 456 Als Stauf-<br />

454 Bracher, Karl Dietrich (1997): Auf dem Wege zum 20. Juli 1944: 148<br />

455 Bracher, Karl Dietrich (1997): Auf dem Wege zum 20. Juli 1944: 152<br />

456 Bracher, Karl Dietrich (1997): Auf dem Wege zum 20. Juli 1944: 154<br />

244


fenberg mit der Beförderung und Versetzung seit Juni 1944 bei Generaloberst Fromm Zugang<br />

zu Hitlers Lagebesprechungen auf dem Obersalzberg beziehungsweise zum Führerhauptquartier<br />

in Rastenburg erhielt, entschloss er sich, das Attentat selbst auszuführen.<br />

Die Zeit vom 6. bis 20. Juli 1944<br />

Die erste Gelegenheit bot sich am 6. Juli während der Vorführung neuer militärischer Ausrüstungsgegenstände<br />

auf dem Obersalzberger „Berghof“. Stauffenberg hatte den Sprengstoff<br />

mitgeführt; den Anschlag sollte Generalmayor Stieff ausführen, der „dies aber nicht<br />

vermochte.“ 457 Die nächste Gelegenheit bot sich am 11. und 15. Juli auf Schloss Kleßheim,<br />

wo nach Ansicht der Mitverschwörer Himmler und Göring ebenfalls getötet werden<br />

sollten. Zu der Tat kam es nicht, da sich Himmler und Göring vertreten ließen. Dabei kam<br />

es am 15. Juli zu einer kritischen Situation, da bereits Oberst Ritter Mertz von Quirnheim<br />

im Berliner und Potsdamer Raum die Marschbereitschaft für die Heeresschulen angeordnet<br />

hatte. Diese unter dem Decknamen Operation „Walküre“ laufende Mobilisierung zum<br />

Putsch konnte noch als gewöhnliche „Übung“ kaschiert werden. „Danach waren Stauffenberg<br />

und Mertz von Quirnheim allerdings entschlossen, bei der nächsten Gelegenheit<br />

auf das Fehlen von Göring und Himmler keine Rücksicht mehr zu nehmen und ,auch ohne<br />

Zustimmung der Mitverschworenen zu handeln.“ 458<br />

Die Gelegenheit dazu kam am 20. Juli, als Stauffenberg in Hitlers Hauptquartier „Wolfsschanze“<br />

nahe Rastenburg den Stab über die Aufstellung von „Sperrdivisionen“ unterrichten<br />

sollte. Zusammen mit Oberleutnant Werner von Haeften traf er in einem Nebenraum<br />

die letzten Vorbereitungen für den Sprengstoffanschlag und setzte den Zeitzünder in<br />

Gang. Hier wurden sie jedoch gestört und konnten deshalb nur die Hälfte der Ladung verwenden:<br />

„Den Sprengstoff versteckte Stauffenberg in seiner Aktentasche und stellte sie<br />

beim Betreten der Besprechungsbaracke am Kartentisch in der Nähe Hitlers ab, der die<br />

Lagebesprechung seit 12.30 Uhr leitete. Danach verließ Stauffenberg wieder den Raum<br />

unter dem Vorwand, nochmals telefonieren zu müssen. Von General Fellgiebels Arbeitsraum<br />

beobachtete er die Zündung des Sprengstoffs ... Die Explosion war jedoch zu<br />

schwach, um Hitler zu töten. Der Diktator wurde nur leicht verletzt.“ 459 Stauffenberg und<br />

Haeften waren jedoch vom Erfolg ihrer Aktion überzeugt und traten die Rückreise nach<br />

Berlin an. Dort war nach ihrer Ankunft der gesamte „Walküre“-Mobilisierungsbefehl von<br />

General Olbricht und Oberst Mertz von Quirnheim ausgegeben worden und hatte auch die<br />

Kommandos in Paris, Prag, Stettin und Wien erreicht. Die Weisungen lauteten: „Über-<br />

457 Ueberschär, Gerd R. (1994): Der militärische Umsturzplan: Die Operation „Walküre“: 361<br />

458 Hoffmann, Peter (1992): Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder: 419. Auch in: Ueberschär,<br />

Gerd R. (1994): Der militärische Umsturzplan: Die Operation „Walküre“: 361<br />

459 Ueberschär, Gerd R. (1994): Der militärische Umsturzplan: Die Operation „Walküre“: 362<br />

245


nahme sämtlicher Nachrichtenanlagen sowie Festsetzung sämtlicher NS-Funktionäre bis<br />

zum Kreisleiter sowie Minister, Oberpräsidenten, Polizeipräsidenten und Gestapoleiter.<br />

Ferner: sofortige Besetzung der Konzentrationslager, Verhaftung der Lagerleiter und Internierung<br />

der Wachmannschaften, Unterstellung der Waffen-SS (notfalls mit Gewalt),<br />

Besetzung des Gestapo- und SD-Dienststellen und Zusammenarbeit mit den vorgesehenen<br />

„politischen Beauftragten“ der künftigen Regierung.“ 460<br />

Inzwischen übernahm Generalfeldmarschall von Witzleben als zukünftiger Oberbefehlshaber<br />

der Wehrmacht das Kommando in der Bendlerstraße.<br />

Die in Gang gesetzte Operation „Walküre“ scheiterte auch daran, weil sie in Berlin<br />

„schleppend ablief und nach 20 Uhr noch nicht einmal die Ersatzziele, besonders die Besetzung<br />

des Rundfunks und des Propagandaministeriums sowie die Verhaftung wichtiger<br />

SS-Führer erreicht waren.“ 461 Zum weiteren Verhängnis wurde die personelle Entscheidung<br />

der Putschisten, den nicht in die Attentatspläne eingeweihten Major Remer mit der<br />

Aufgabe zu betrauen, das Regierungsviertel und das Propagandaministerium zu besetzen.<br />

Remer war nach einem Ferngespräch mit dem Führerhauptquartier von Hitler persönlich<br />

beauftragt worden, den Putsch niederzuschlagen. Mit einer schwer bewaffneten Mannschaft<br />

ließ er das Zimmer General Olbrichts stürmen und die Verschwörer überwältigen.<br />

Der militärische Kopf der Verschwörung, Generaloberst Ludwig Beck starb nach einem<br />

Suizidversuch unter den Schüssen eines Feldwebels. Generaloberst Fromm verkündet das<br />

Todesurteil über General Olbricht, Oberst von Stauffenberg, Oberst Mertz von Quirnheim<br />

und Oberleutnant von Haeften. Im Hof des Bendlerblocks wurden sie von einem Erschießungskommando<br />

exekutiert. Stauffenberg starb mit dem Ruf: „Es lebe das heilige<br />

Deutschland!“ 462 „Noch in derselben Nacht sind die Leichen der fünf Erschossenen verscharrt<br />

worden; Himmlers Sonderkommission hat sie später ausgegraben und verbrannt,<br />

ihre Asche in alle Winde verstreut.“ 463<br />

Beginn der Verfolgung<br />

Am 21. Juli begann die großangelegte Verfolgung der deutschen militärischen Widerstandsbewegung.<br />

Sie richtete sich gegen alle Verdächtigen, die in mittelbarem und unmittelbarem<br />

Zusammenhang mit der Aktion standen. Mit Hilfe des Kontrollnetzes der „Son-<br />

460 Bracher, Karl Dietrich (1997): Auf dem Wege zum 20. Juli. In: Löwenthal, Richard / Mühlen, Patrik von<br />

zur (Hrsg.): Widerstand und Verweigerung in Deutschland: 163<br />

461 Bracher, Karl Dietrich (1997): Auf dem Wege zum 20. Juli. In: Löwenthal, Richard / Mühlen, Patrik von<br />

zur (Hrsg.): Widerstand und Verweigerung in Deutschland: 163<br />

462 Walle, Heinrich (1994): Der 20. Juli 1944. In: Steinbach, Peter / Tuchel, Johannes (Hrsg.): Widerstand<br />

gegen den Nationalsozialismus: 376<br />

463 Bracher, Karl Dietrich (1997): Auf dem Wege zum 20. Juli. In: Löwenthal, Richard / Mühlen, Patrik von<br />

zur (Hrsg.): Widerstand und Verweigerung in Deutschland: 165<br />

246


derkommission 20. Juli“ 464 begann die Jagd auf alle Verdächtigen. Unterstützung fand das<br />

NS-Regime auch in der Bevölkerung, die in einer Atmosphäre des Misstrauens und der<br />

Angst zahlreiche Mitverschwörer verriet. Die Mitglieder oppositioneller Kreise wurden<br />

mit menschenverachtenden Methoden wie pausenlose Verhöre, Erpressung und Folter<br />

dazu gebracht, ihre Mitverschworenen zu nennen. Gefangene begingen unter diesem<br />

Druck Selbstmord. Betroffen waren Personen aller sozialer Schichten und verschiedenster<br />

weltanschaulicher und politischer Richtungen. Angehörige der Gefangenen und Verfolgten<br />

kamen in Sippenhaft. 465 Die Zahl der im Zusammenhang mit dem 20. Juli Verhafteten,<br />

Verurteilten und Verschleppten beziffert der Historiker Peter Hoffmann mit 600 bis 700<br />

Personen. In Berlin-Plötzensee sind in der Folge dieses Putschversuchs bis Kriegsende 86<br />

Menschen ermordet worden. 466<br />

Ein Erfolg des Umsturzplans hätte den Krieg vorzeitig beenden, weitere Zerstörungen und<br />

fortgesetztes Leid in Deutschland und Europa verhindern können. Das Leben vieler Menschen<br />

hätte gerettet werden können; vor allem wäre den Deutschen der erste Schritt gelungen,<br />

sich selbst vom Nationalsozialismus zu befreien. Die Schriftstellerin Ricarda Huch<br />

(siehe Band 1: Huch) plante kurz nach dem Scheitern des Putschversuchs, für die „Märtyrer<br />

der Freiheit“ ein Gedenkbuch zu verfassen. 467 In ihrem unvollendeten Werk hat sie etlichen<br />

Persönlichkeiten des 20. Juli wie Elisabeth von Thadden, Ernst von Harnack, Hans<br />

Bernd Nikolaus von Haeften, Nikolaus Christoph von Halem, Klaus Bonhoeffer, Julius<br />

Leber, Theodor Haubach und Jean Paul Oster ein literarisches Denkmal gesetzt. Die<br />

Hauptbeteiligten des Umsturzversuchs und die meisten der Mitwisser haben ihren Einsatz<br />

für Freiheit und Recht mit dem Leben bezahlt. „Die Toten des Widerstandes sind Märtyrer,<br />

Zeugen dieses Gedankens, auf dem abendländische Politik seit den Zeiten der griechischen<br />

Demokratie und des Aufstands gegen die Tyrannenmacht beruht. Sie führen<br />

Deutschland zurück in diese große internationale Tradition, aus der einst ein antiwestlicher<br />

deutscher Staatskult ausgebrochen ist.“ 468<br />

Unter den Münchner Bürgern, die im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 ermordet<br />

wurden, befanden sich:<br />

464 Diese bestand aus 400 Mitarbeitern, dessen Chef der Reichskriminaldirektor und SS-Gruppenführer<br />

Heinrich Müller war. In: Hoffmann, Peter (1979): Widerstand, Staatsstreich, Attentat: 604ff<br />

465 In: Hett, Ulrike / Tuchel, Johannes (1994): Die Reaktion des NS-Staates auf den Umsturzversuch vom<br />

20. Juli 1944: 384<br />

466 Oleschinski, Brigitte (1994): Gedenkstätte Plötzensee: 34<br />

467 Huch, Ricarda: Brief an Maria Baum vom 4.3.1946. Briefe an die Freunde: 315, auch in: Schwiedrzik,<br />

Wolfgang Matthias: In einem Gedenkbuch sammeln: 27<br />

468 Bracher, Karl Dietrich (1997): Auf dem Wege zum 20. Juli 1944. In: Löwenthal, Richard / Mühlen,<br />

Patrik von zur (Hrsg.): Widerstand und Verweigerung in Deutschland: 172<br />

247


Friedrich Karl Klausing<br />

*24.5.1920 München †8.8.1944 Berlin-Plötzensee<br />

Friedrich Karl Klausing gehörte evangelischen Pfadfindern in München an, die 1933 der<br />

HJ einverleibt wurden. Nach dem Abitur absolvierte er den Reichsarbeitsdienst und ging<br />

danach als Berufssoldat zur Wehrmacht. Im Krieg diente er als Offizier im Polenfeldzug<br />

und an der Westfront. Nach seiner Beförderung zum Hauptmann kam Friedrich Karl Klausing<br />

im Oktober 1943 als Adjutant in den Generalstab zu Oberst Claus Graf Schenk von<br />

Stauffenberg. Diesen unterstützte er bei den fehlgeschlagenen Attentatsversuchen auf Hitler<br />

am 11. und 13. Juli 1944. Beim Staatsstreich war er als Übermittler der „Walküre-Befehle“<br />

im Berliner Bendler Block eingesetzt. Hier hielt sich Klausing am 20. Juli 1944 auf,<br />

konnte aber noch rechtzeitig fliehen. In einem Versteck rang der Hauptmann mit seinem<br />

Gewissen um die rechte Entscheidung. Seine Freunde konnten ihn nicht von der Sinnlosigkeit<br />

des Opfers überzeugen. 469 Am nächsten Tag stellte sich Klausing freiwillig der Gestapo<br />

und wurde im ersten Prozess gegen die Verschwörer vom 20. Juli am 8. August 1944<br />

vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am gleichen Tag in Berlin-Plötzensee hingerichtet.<br />

ERINNERUNGSORTE<br />

Klausingweg in München, Schwabing-West<br />

M (1960)<br />

Klausingring in Berlin.<br />

Albrecht Haushofer<br />

*7.1.1903 München †23.4.1945 Berlin<br />

Der Sohn des einflussreichen Geopolitikers Karl Haushofer hatte Verbindungen zu den<br />

konservativen Widerstandskreisen und beteiligte sich an den Plänen für eine Reichs- und<br />

Verwaltungsreform. Nach dem 20. Juli verbarg sich Albrecht Haushofer in Bayern, wo er<br />

im Dezember 1944 aufgespürt wurde. Er kam in das Gefängnis Berlin-Moabit und wurde<br />

am 23. April 1945 auf dem Gelände des Lehrter Bahnhofes erschossen. Ein Freund fand<br />

beim Toten die im Gefängnis verfassten Moabiter Sonette, die ein eindrucksvolles Zeugnis<br />

des Widerstands gegen den Nationalsozialismus darstellen.<br />

Pater Alfred Delp SJ<br />

*15.9.1907 Mannheim †2.2.1945 Berlin-Plötzensee (siehe Band 1: Delp)<br />

469 Gostomski, Viktor von / Loch, Walter (1969): Der Tod von Plötzensee: 188<br />

248


Freiherr Ludwig von Leonrod<br />

*17.9.1906 München †25.8.1944 Berlin-Plötzensee (siehe Band 2: Leonrod)<br />

Pater Josef Wehrle<br />

*26.7.1899 †14.9.1944 Berlin-Plötzensee (siehe Band 3: Wehrle)<br />

Weitere Gedenkstätten<br />

1979 Gedenkstein auf dem Alten Sankt Matthäus-Kirchhof an der Großgörschenstraße,<br />

Berlin. 470<br />

1989 Gedenktafel und Ehrenhof, Stauffenbergstraße 13–14, Berlin, am authentischen Ort.<br />

1989 „Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin“, Stauffenbergstraße 13–14, Berlin.<br />

Ausstellung<br />

24. Februar – 20. März 1993: Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen<br />

Hitler und das NS-Regime 1933–1945. Wanderausstellung des Militärgeschichtlichen<br />

Forschungsamts Potsdam. Gezeigt im Kulturzentrum der Landeshauptstadt München, am<br />

Gasteig.<br />

Literatur<br />

Aufstand des Gewissens (2000): Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933–1945. Eine<br />

Publikation des Militärgeschichtlichen Forschungsamts Potsdam. Potsdam<br />

Bethge, Eberhard u. Renate (Hrsg.) (1984): Letzte Briefe im Widerstand. Aus dem Kreis der Familie Bonhoeffer.<br />

Chr. Kaiser Verlag, München<br />

Bracher, Karl Dietrich (1997): Auf dem Wege zum 20. Juli 1944. In: Löwenthal, Richard / Mühlen, Patrik von<br />

zur (Hrsg.): Widerstand und Verweigerung in Deutschland: 143–176<br />

Cartarius, Ulrich (1984): Opposition gegen Hitler. Deutscher Widerstand 1933–1945. Siedler Verlag, Berlin<br />

Endlich, Stefanie / Goldhagen, Nora / Herlemann, Beatrix / Kahl, Monika / Scheer, Regina (2001): Gedenkstätten<br />

für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation. Band II. Hrsg. v. d. Bundeszentrale<br />

für politische Bildung, Bonn. Edition Hentrich, Berlin<br />

Gedenkstättenpädagogik (1997): Handbuch für Unterricht und Exkursion. Hrsg. v. Museums-Pädagogischen<br />

Zentrum München und der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung Dillingen. Löwen<br />

Druck, München: 51–61<br />

Gostomski, Viktor von / Loch, Walter (1969): Der Tod von Plötzensee. Erinnerungen – Ereignisse – Dokumente<br />

1942–1945. Kyrios-Verlag, Meitingen-Freising<br />

470 Hier waren die Opfer zunächst bestattet. Am folgenden Tag wurden sie exhumiert, verbrannt und ihre<br />

Asche auf den Rieselfeldern bei Berlin verstreut. In: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus,<br />

Band II: 157<br />

249


Hett, Ulrike / Tuchel, Johannes (1994): Die Reaktionen des NS-Staates auf den Umsturzversuch vom 20. Juli<br />

1944. In: Steinbach, Peter / Tuchel, Johannes (Hrsg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus: 377–<br />

389<br />

Hoffmann, Peter (1979): Widerstand – Staatsstreich – Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler.<br />

Frankfurt a. M.<br />

Hoffmann, Peter (1984): Widerstand gegen Hitler und das Attentat vom 20. Juli 1944. Probleme des Umsturzes.<br />

Piper Verlag, München, Zürich<br />

Hoffmann, Peter (1992): Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder. Stuttgart<br />

Hoffmann, Peter (1994): Widerstand gegen Hitler und das Attentat vom 20. Juli 1944. Universitätsverlag,<br />

Konstanz<br />

Holmstein, Georg (1983): 20. Juli 1944. Personen und Aktionen. Beiträge zum Widerstand. Heft 5. Hrsg. v.<br />

d. Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin<br />

Huch, Ricarda (1998): In einem Gedenkbuch sammeln. Bilder deutscher Widerstandskämpfer. Hrsg. v. Wolfgang<br />

Matthias Schwiedrzik. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig<br />

Kirst, Hans Hellmut (1998): Aufstand der Soldaten. Das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944. Kaiser Verlag,<br />

Klagenfurt<br />

Steinbach, Peter / Tuchel, Johannes (Hrsg.) (1994): Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Sonderauflage<br />

der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit. Bonn<br />

Oleschinski, Brigitte (1994): Gedenkstätte Plötzensee. Hrsg. v. d. Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin<br />

Ueberschär, Gerd R. (1994): Der militärische Umsturzplan: Die Operation „Walküre“. In: Steinbach, Peter /<br />

Tuchel, Johannes (Hrsg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus: 353–363<br />

Walle, Heinrich (1994): Der 20. Juli 1944. Eine Chronik der Ereignisse von Attentat und Umsturzversuch. In:<br />

Steinbach, Peter / Tuchel, Johannes (Hrsg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus: 364–389<br />

Weger-Korfes, S. (1986): Realpolitische Haltungen bei Offizieren der Familien Mertz von Quirnheim, Korfes<br />

und Dieckmann. In: Zeitschrift für Militärgeschichte. Band 25 (1986): 226ff<br />

Zeller, Eberhard (1963): Geist der Freiheit. Der zwanzigste Juli. München<br />

Zeller, Eberhard (1994): Oberst Claus Graf Stauffenberg. Ein Lebensbild. Schöningh Verlag, Paderborn<br />

250


Moltke, Helmuth James Graf von<br />

*11.3.1907 Kreisau (heute Krzyzowa, Polen) †23.1.1945 Berlin-Plötzensee<br />

„Seitdem der Nationalsozialismus zur Macht gekommen ist, habe ich mich bemüht, seine<br />

Folgen für seine Opfer zu mildern und einer Wandlung den Weg zu bereiten. Dazu<br />

hat mich mein Gewissen getrieben –<br />

und schließlich ist das eine Aufgabe für einen Mann.“<br />

Helmuth James Graf von Moltke in einem Abschiedsbrief<br />

an seine Söhne im Oktober 1944. 471<br />

Helmuth James Graf von Moltke<br />

vor dem Volksgerichtshof<br />

Foto: Süddeutscher Verlag<br />

Gedenktafel am Berchmanskolleg<br />

Foto: H. Engelbrecht<br />

471 Zitiert in: Winterhager, Wilhelm Ernst (1988): Der Kreisauer Kreis: 16<br />

251


I. Moltkestraße, Schwabing<br />

M (1897)<br />

II. Gedenktafel Berchmanskolleg, Kaulbachstraße 31a<br />

Giselastraße U3/U6<br />

Katholische Kirche (1997)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Die Gedenktafel am Berchmanskolleg erinnert neben den Jesuiten, die Widerstand gegen<br />

das nationalsozialistische Regime geleistet haben, auch an Helmuth James Graf von<br />

Moltke.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Die mit integrierten Texten und Reliefmedaillons gestaltete Gedenktafel (0,5 m × 1,9 m)<br />

am Hauseingang trägt folgenden Text: „Dieses Haus war unter der Gewaltherrschaft des<br />

Nationalsozialismus ein Zentrum des katholischen Widerstands. Hier trafen sich mit dem<br />

Jesuitenprovinzial Augustinus Rösch die Patres Rupert Mayer, Lothar König, Alfred<br />

Delp. Hier fanden 1942–1943 mit Helmut J. Graf Moltke geheime Treffen des Kreisauer<br />

Kreises statt. Alle riskierten ihr Leben, viele verloren es.“<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Helmuth James Graf von Moltke wurde auf dem Gut Kreisau als erstes Kind von Dorothy<br />

Rose (geb. Innes) und Helmuth von Moltke am 11. März 1907 geboren. Seine Geschwister<br />

waren: Wilhelm-Viggo (*1909), Joachim-Wolfgang (*1911), Carl-Bernhard (*1913) und<br />

Asta (*1915). Die Mutter Dorothy Rose war die Tochter eines aus Schottland stammenden<br />

obersten Richters der Südafrikanischen Union. Die Kinder verbrachten daher abwechselnd<br />

ihre Kindheit in Kreisau und Südafrika. James Erziehung war geprägt durch die starke<br />

Persönlichkeit und die liberalen, weltoffenen Anschauungen der Mutter sowie vom Lebensstil<br />

auf dem Kreisauer Landgut. Nach dem Schulabschluss in Potsdam entschied sich<br />

Moltke für das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften. Sein politisches Interesse<br />

entwickelte sich während der Studienjahre in Breslau, Berlin und Wien, wo er in einem<br />

der Sozialarbeit zugewandten Kreis mit Fragen der Sozialpolitik in Berührung kam. Im<br />

Jahre 1929 lernte er die Kölner Bankdirektorstochter und angehende Jurastudentin Freya<br />

Deichmann (*1911), kennen, die er am 31. Oktober 1931 heiratete. Ihre beiden Söhne Helmuth<br />

Caspar und Konrad kamen 1937 und 1941 zur Welt.<br />

252


Inzwischen geriet das väterliche Gut Kreisau in finanzielle Schwierigkeiten. Helmuth James<br />

wurde noch vor Abschluss seines Studiums zurückgerufen. Er brachte nach intensiver<br />

jahrelanger Bemühung die wirtschaftliche Konsolidierung des Gutes zustande. Als Moltke<br />

1934 das Assessorexamen ablegte, hatte sich die politische Lage völlig verändert. Deshalb<br />

lehnte er ein staatliches Richteramt ab und beschloss, als Anwalt auf dem Gebiet Völkerrecht<br />

und Internationales Recht tätig zu werden. Zwischen 1935 und 1938 hielt er sich<br />

in London und Oxford auf, um die Ausbildung zum britischen Anwalt zu absolvieren, da<br />

er beabsichtigte, in einer Londoner Anwaltskanzlei mitzuwirken. Dies wurde jedoch<br />

durch den Kriegsbeginn verhindert.<br />

Moltke trat im September 1939 als Sachverständiger für Kriegs- und Völkerrecht in das Oberkommando<br />

der Wehrmacht (Amt Ausland/Abwehr in Berlin) ein. Als entschiedener Gegner<br />

des Nationalsozialismus verfasste Moltke die ersten Denkschriften. Zuvor hatte er alte Freunde<br />

und Bekannte mit einbezogen, deren Ziel es war, das Dritte Reich durch eine neue Staatsform<br />

abzulösen, deren Struktur sie gerade entwarfen. Im Januar 1940 lernten sich Moltke und<br />

Peter Graf Yorck von Wartenberg 472 kennen. Diese Freundschaft bildete die Basis des Widerstandskreises,<br />

der von Vertretern des NS-Regimes als „Kreisauer Kreis“ bezeichnet wurde;<br />

benannt nach dem heimatlichen Landgut von Helmuth James Graf von Moltke.<br />

Der „Kreisauer Kreis“<br />

Der „Kreisauer Kreis“ war eine weitverzweigte Widerstandsgruppe; zu ihren Anhängern<br />

zählte sie Vertreter verschiedener christlicher Konfessionen ebenso wie Sozialdemokraten.<br />

Seit 1940 erarbeitete die Gruppe oppositionell gesonnener Männer und Frauen an<br />

„Grundsätzen für die Neuordnung Deutschlands“, die nach dem Kriegsende wirksam werden<br />

sollen. Auf den im Berghaus in Kreisau abgehaltenen Tagungen wurden Gespräche<br />

geführt und Denkschriften verfasst. Moltke hatte bereits im Sommer 1942 von den Vernichtungslagern<br />

und von den Morden der Einsatzgruppen erfahren. Die nationalsozialistischen<br />

Gewalttaten veranlassten die Kreisauer Freunde, die Bestrafung der „Rechtsschänder“<br />

in ihr Programm aufzunehmen. Die Wiederherstellung des Rechts war für die Vertreter<br />

dieses Kreises eine Voraussetzung für die Errichtung einer neuen menschenwürdigen<br />

Ordnung. Das Programm des „Kreisauer Kreises“ war von christlich-ethischen und sozialreformerischen<br />

Aspekten bestimmt, mit dem Ziel einer indirekten Demokratie und einer<br />

Einbindung in die europäische Ordnung. Seit 1943 waren die circa 40 Mitglieder entschlossen,<br />

sich an der aktiven Verschwörung zu beteiligen.<br />

472 (1904–1944). Er war Referent für Grundsatzfragen beim Reichskommissar für die Preisbildung in Berlin.<br />

Weil er der NSDAP nicht beitrat, erhielt er keine Beförderung. 1940 übernahm er zusammen mit Helmuth<br />

James Graf von Moltke die Führung des „Kreisauer Kreises“. Nach erfolgreichem Staatsstreich<br />

sollte er das Amt eines Staatssekretärs übernehmen. Im ersten Prozess nach dem 20. Juli 1944 wurde er<br />

zum Tode verurteilt und am gleichen Tag in Berlin-Plötzensee hingerichtet.<br />

253


Nach der Verhaftung von Helmuth James Graf von Moltke<br />

Die Führungsrolle des Widerstandskreises hatte inzwischen Peter Graf Yorck von Wartenberg<br />

übernommen. Am Tag der Verhaftung Moltkes trafen sich Graf Yorck und von<br />

Stauffenberg (Band 3, Stauffenberg) in der Berliner Hortensienstraße. Es ging darum, die<br />

„Kreisauer“-Gruppe von der Notwendigkeit eines Attentats zu überzeugen, da die Mehrzahl<br />

ihrer Mitglieder vor allem wegen ethisch-moralischer Bedenken dagegen war. Es gab<br />

aber auch Mitglieder wie Trott, Gerstenmaier, Leber, Delp (Band 1, Delp) und König, die<br />

schon frühzeitig das Attentat als notwendig ansahen. Auf der Ablehnung des Tyrannenmordes<br />

bestanden weiterhin Moltke, Gablentz, Steltzer und Rösch. Es gab aber auch eine<br />

Mehrheit, die sich vor allem angesichts der Gräueltat des NS-Regimes dazu durchrang,<br />

den Attentatsplan zu billigen. Aufschlussreich hierzu ist das Standardwerk des Historikers<br />

Ger van Roon Neuordnung im Widerstand, in dem der Aufbau des Widerstandskreises sowie<br />

das Wirken von Yorck und Moltke dargestellt werden.<br />

Grund des Prozesses gegen Moltke<br />

Moltke hatte erfahren, dass gegen seinen Kollegen in der Abwehr, Otto Carl Kiep, Ermittlungen<br />

wegen regimefeindlicher Äußerungen liefen. Dies war bekannt geworden, nachdem<br />

die Gestapo Spitzel in den so genannten „Solf-Kreis“ 473 eingeschleust hatte. Moltke<br />

kam nach seiner Verhaftung am 19. Januar 1944 ins KZ Ravensbrück. Im September wurde<br />

er in das Gefängnis Berlin-Tegel eingeliefert. Ihm konnte jedoch nichts von der Gestapo<br />

und vom Sicherheitsdienst nachgewiesen werden, was mit seiner Widerstandstätigkeit<br />

zusammenhing. Dies änderte sich jedoch nach dem fehlgeschlagenen Attentatsversuch<br />

vom 20. Juli 1944. Auch von Moltke wurde wiederholt verhört. Der Prozess vor dem Berliner<br />

Volksgerichtshof fand am 10. Januar 1945 statt, wo er zum Tode verurteilt wurde.<br />

Am 23. Januar 1945 wurde Helmuth James Graf von Moltke in Berlin-Plötzensee gehängt.<br />

Gleichzeitig mit ihm starben: Eugen Bolz, ehemaliger Staatspräsident von Württemberg;<br />

Nikolaus Gross, Industrieller; Theodor Haubach, sozialdemokratischer Leiter; Hermann<br />

Kaiser, Student; Erwin Planck, Staatssekretär, Sohn des Physikers Max Planck; Frank<br />

Reinhold, Richter, Ludwig Schwamb, ehemaliger Staatsrat von Hessen; Franz Sperr, Gesandter<br />

(siehe Band 3: Sperr); Busso Thoma, Major. 474<br />

In seinem letzten Brief an seine Frau schrieb Helmuth James Graf von Moltke: „Und dann<br />

bleibt übrig ein Gedanke: Womit kann im Chaos das Christentum ein Rettungsanker sein.<br />

473 Im Rahmen einer Tee-Gesellschaft trafen sich Oppositionelle; zu ihnen gehörten u. a.: Elisabeth von<br />

Thadden, Dr. Otto Carl Kiep, Johanna Solf, Richard Kuenzner, Dr. Artur Zarden und Albrecht Graf von<br />

Bernsdorf.<br />

474 Malvezzi, Piero / Pirelli, Giovanni (Hrsg.) (1955): Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen<br />

Widerstand: 138<br />

254


Dieser einzige Gedanke fordert wahrscheinlich morgen fünf Köpfe, später noch den von<br />

Steltzer und Haubach ...“ 475 Von Moltke hatte in einem Brief an Lionel Curtis vom 15.<br />

Februar 1939 seine Einstellung klargelegt, es sei seine „Pflicht und Schuldigkeit, den Versuch<br />

zu unternehmen, auf der richtigen Seite zu sein, was immer es für Unannehmlichkeiten,<br />

Schwierigkeiten und Opfer mit sich bringen mag.“ 476<br />

Ein Mitstreiter im „Kreisauer Kreis“ war Professor Albrecht Haushofer (siehe Band 2: S.<br />

248), der aus dem Berliner Gefängnis in der Lehrterstraße am 24. April 1945 geholt und<br />

auf dem nahen Trümmergelände von einem SS-Mann ermordet wurde. Von Haushofer<br />

stammen folgende Zeilen:<br />

„Als ich in dumpfen Träumen heut versank,<br />

sah ich die ganze Schar vorüberziehn:<br />

Die Yorck und Moltke, Schulenburg, Schwerin,<br />

die Hassel, Popitz, Helfferich und Planck –<br />

nicht einer, der des eignen Vorteils dachte,<br />

nicht einer, der gefühlter Pflichten bar,<br />

in Glanz und Macht, in tödlicher Gefahr,<br />

nicht um des Volkes Lebens sorgend wachte.<br />

Den Weggefährten gilt ein langer Blick:<br />

Sie hatten alle Geist und Rang und Namen,<br />

die gleichen Ziels in diese Zelle kamen –<br />

und ihrer aller wartete der Strick.<br />

Es gibt wohl Zeiten, die der Irrsinn lenkt,<br />

Dann sind´s die besten Köpfe, die man henkt.“ 477<br />

Gedenkorte in Berlin<br />

1988 Gedenktafel in der Hortensienstraße 50 in Berlin-Steglitz<br />

Helmuth-James-von-Moltke-Grundschule<br />

Literatur<br />

Bleistein, Roman (1993/94): Topographie des Widerstands in München – Weiße Rose – Kreisauer Kreis.<br />

Hochschule für Philosophie München<br />

Dönhoff, Marion Gräfin von (1976): Menschen, die wissen worum es geht. Hamburg<br />

475 IfZ-Archiv München, ZS/A, 26/1<br />

476 Mommsen, Hans (1985): Die künftige Neuordnung Deutschlands und Europas aus der Sicht des<br />

Kreisauer Kreises: Anm. 4<br />

477 Albrecht Haushofer Moabiter Sonette. In: Schwerin, Detlef Graf von (1994): 428<br />

255


Dönhoff, Marion Gräfin von (1996): „Um der Ehre willen“. Erinnerungen an die Freunde vom 20. Juli. Siedler<br />

Verlag, Berlin<br />

Gollwitzer, Helmut / Kuhn, Käthe / Schneider, Reinhold (Hrsg.) (1959): Du hast mich heimgesucht bei Nacht.<br />

Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstands 1933–1945. München<br />

Gostomski, Viktor von / Loch, Walter (1969): Der Tod von Plötzensee. Erinnerungen, Ereignisse, Dokumente<br />

1942–1945. Kyrios Verlag, Meitingen, Freising<br />

Graml, Hermann (Hrsg.) (1995): Widerstand im Dritten Reich. Probleme, Ereignisse, Gestalten. Frankfurt a.<br />

M.<br />

Lautarchiv des Deutschen Rundfunks (Hrsg.) (1961): Volksgerichtshofprozesse zum 20. Juli 1944. Transkripte<br />

von Tonbandaufnahmen. Frankfurt a. M.<br />

Moltke, Freya von (1946): Brief an Ricarda Huch v. 7.6.1946. In: Huch, Ricarda (1998): In einem Gedenkbuch<br />

sammeln. Bilder deutscher Widerstandskämpfer. Leipziger Universitäts Verlag, Leipzig: 202–206<br />

Moltke, Freya von (1961): Die letzten Monate in Kreisau. H. Henssel Verlag, Berlin<br />

Moltke, Freya von (1997): Erinnerungen an Kreisau 1930–1945. C. H. Beck Verlag, München<br />

Moltke, Helmuth James Graf von (1955): Letzte Briefe aus dem Gefängnis Tegel. H. Henssel Verlag, Berlin<br />

Moltke, Helmuth James Graf von (1999): Briefe an Freya: 1939–1945. Hrsg. v. Beate Ruhm von Oppen. C.<br />

H. Beck Verlag, München<br />

Moltke, Freya von / Balfour, Michael / Frisby, Julian (Hrsg.) (1975): Helmuth James von Moltke 1907–1945,<br />

Anwalt der Zukunft. Stuttgart<br />

Mommsen, Hans (1985): Der Widerstand gegen Hitler und die deutsche Gesellschaft. In: Jürgen Schmädecke<br />

und Peter Steinbach (Hrsg.): Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. München<br />

Mommsen, Hans (2000): Alternative zu Hitler. Studien zur Geschichte des deutschen Widerstands. München<br />

Oppen, Beate Ruhm von (1988): Helmuth James von Moltke. Briefe an Freya. München<br />

Roon, Ger van (1967): Neuordnung im Widerstand. Der Kreisauer Kreis innerhalb der Deutschen Widerstandsbewegung.<br />

C. H. Beck Verlag, München<br />

Roon, Ger van (1971): Resistance to Hitler. Count von Moltke and the Kreisau Circle. London<br />

Roon, Ger van (1979): Widerstand im Dritten Reich. Ein Überblick. C. H. Beck Verlag, München<br />

Roon, Ger van (Hrsg.) (1986): Helmuth James Graf von Moltke. Völkerrecht im Dienste der Menschen. Berlin<br />

Schmädecke, Jürgen / Steinbach, Peter (Hrsg.) (1985): Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die<br />

deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler. Piper Verlag, München, Zürich: 639–651<br />

Schwerin, Detlef Graf von (1994): „Dann sind´s die besten Köpfe, die man henkt“. Die junge Generation im<br />

Deutschen Widerstand. Piper Verlag, München, Zürich<br />

Steinbach, Peter (1994): Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Akademie Verlag, Berlin<br />

Steinbach, Peter / Tuchel, Johannes (1995): Der Kreisauer Kreis. Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin,<br />

Blatt 15.1<br />

Strebel, Bernhard (1998): Das Männerlager im KZ Ravensbrück 1941–1945. In: Dachauer Hefte 14/1998:<br />

Verfolgung als Gruppenschicksal: 141–174<br />

Weisenborn, Günther (Hrsg.) (1953): Der lautlose Aufstand. Bericht über die Widerstandsbewegung des<br />

Deutschen Volkes 1933–1945. Hamburg.<br />

Weizsäcker, Ernst von (1950): Erinnerungen. München<br />

Winterhager, Wilhelm Ernst (1988): Der Kreisauer Kreis. Porträt einer Widerstandsgruppe. Begleitband zu<br />

einer Ausstellung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Hase & Köhler Verlag, Mainz<br />

Yorck von Wartenberg, Marion Gräfin von (1984): Die Stärke der Stille. Erzählung eines Lebens aus dem<br />

deutschen Widerstand. Köln<br />

256


Grabmal von Dr. Emil Muhler<br />

Foto: Dr. Otto Gritschneder, Archiv<br />

478 Staatsarchiv München, Staatsanwaltschaften Nr. 5860, S. 33<br />

Muhler, Emil Dr. oec. publ.<br />

*21.4.1892 München †19.2.1963 München<br />

„Ich befinde mich seit 2.4.40 wieder in Polizeihaft ...<br />

Über die Dauer meiner Haft wurde mir nichts gesagt.“<br />

Dr. Emil Muhler am 16. September 1940 478<br />

Emil Muhler<br />

Foto: Dr. Otto Gritschneder, Archiv<br />

257


I. Emil-Muhler-Torweg, Isarvorstadt<br />

M (1969)<br />

II. Emil-Muhler-Torbogen, Isarvorstadt<br />

Katholische Kirche (1963)<br />

III. Grabmal, Waldfriedhof<br />

(1963)<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Der in München geborene Sohn eines Kaufmanns war 1919 nach dem Theologiestudium<br />

zum Priester geweiht worden. Anschließend schloss er ein Studium der Nationalökonomie<br />

mit der Promotion ab. 1924 übernahm er die Münchner Pfarrei St. Andreas in der Zenettistraße.<br />

Als Stadtrat gehörte er der Bayerischen Volkspartei von 1930–33 an, für seine<br />

Kirche leitete er die Katholische Aktion.<br />

Verhaftung des Stadtpfarrers Muhler<br />

Wie es zur Verhaftung von Stadtpfarrer Muhler kam, ist im Verhörprotokoll bei der Bayerischen<br />

Politischen Polizei festgehalten: Dr. Emil Muhler besuchte Einwohner seiner Pfarrei,<br />

die in den vergangenen Jahren aus der Kirche ausgetreten waren, um sie zum Wiedereintritt<br />

zu bewegen. Aus diesem Grund sprach er mit einem Kommunisten über die unmenschliche<br />

Behandlung der Schutzhäftlinge im KZ-Dachau. „Dieses Gesprächsthema<br />

gab dem betr. Kommunisten Anlass mir zu erzählen, dass ein aus dem Konzentrationslager<br />

Dachau entlassener Kommunistenführer ihm gesagt habe, dass ihm, (dem Kommunistenführer)<br />

in seine Zelle ein Strick und ein Rasiermesser hineingeworfen wurde. Ob er<br />

auch etwas von einer Leiche mit einem durchgeschnittenen Hals gesagt hat, weiß ich heute<br />

nicht mehr ..., dass irgend ein Häftling aus der Umfriedung des Lagers hinausgeschickt<br />

wird und dass er dann, wenn er ausserhalb des Lagers ist, plötzlich erschossen wird.“ 479<br />

Über dieses Gespräch beriet Dr. Muhler sich mit seinen Kaplänen, gab aber den Namen<br />

des Kommunisten nicht preis; dieser wurde jedoch später herausgefunden. Durch Denunziation<br />

erfuhr die Gestapo davon; Verhöre folgten. In einem Sondergerichtsverfahren gegen<br />

Muhler und seine Kapläne wurde am 24. Januar 1934 wegen eines Vergehens nach<br />

der „Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die<br />

479 Staatsarchiv München, Staatsanwaltschaften Nr. 7669<br />

258


Regierung der nationalen Erhebung vom 21. März 1933“ folgende Strafe verhängt: Dr.<br />

Emil Muhler erhielt vier Monate Gefängnis, Oskar Thaler drei Monate und Georg Solacher<br />

fünf Monate Gefängnis. 480 Muhler blieb jedoch bis zum 24. Mai 1934 im Gefängnis<br />

Landsberg am Lech in Haft.<br />

Nach seiner Freilassung begann er seine Erlebnisse vor dem Sondergericht und die Verhör-Techniken<br />

der Gestapo unter dem Titel Erlebtes und Erlittenes aufzuzeichnen. Nachdem<br />

diese Schriftstücke in die Hände der Gestapo gelangten, erfolgte seine erneute Festnahme<br />

am 2. April 1940. In dem Verhörprotokoll vom 9. Mai 1940 legte er die Gründe<br />

dar, die zu dieser Niederschrift führten: „Weihnachten 1936 hat mir die mit Kardinal<br />

Faulhaber geführte Korrespondenz gezeigt, daß eine mündliche Aussprache mit dem Kardinal<br />

nicht mehr zu erwarten sei. Daraufhin habe ich den Entschluß gefaßt, meine Erinnerungen<br />

schriftlich niederzulegen und begann damit im Sommer 1937. An dem Entwurf<br />

der Denkschrift habe ich mit Unterbrechungen etwa 1 Jahr gearbeitet.“ 481<br />

Im Gefängnis des Wittelsbacher Palais’, (siehe Band 3: Wittelsbacher Palais’) blieb er bis<br />

zum 31. Dezember 1940 inhaftiert. Zu der nächsten Verhaftung und Einweisung in das<br />

Konzentrationslager Dachau 482 kam es auf Grund der am 18. September 1944 erlassenen<br />

„Himmler-Aktion“.<br />

Während der Evakuierung des KZ Dachau trat Dr. Emil Muhler am 26. April 1945 zusammen<br />

mit vielen anderen Gefangenen den Todesmarsch (siehe Band 3: Todesmarsch) in<br />

Richtung Süden an. Unterwegs gelang ihm die Flucht.<br />

Nach dem Krieg kehrte er in seine Pfarrei St. Andreas zurück. Seit 1947 war er Mitglied<br />

des Bayerischen Senats. Hier zählte Dr. Muhler zu den Mitbegründern der CSU und wurde<br />

1947 in deren Vorstand gewählt. 1948 erhielt er einen Lehrauftrag für Sozialethik an der<br />

Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Ab 1959 war er dort als Honorarprofessor<br />

tätig.<br />

Ehrungen<br />

1952 Verleihung des Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland.<br />

1959 Bayerischer Verdienstorden, Ernennung zum päpstlichen Hausprälaten.<br />

480 Staatsarchiv München, Staatsanwaltschaften Nr. 7669<br />

481 Staatsarchiv München, Staatsanwaltschaften Nr. 5860, S. 25<br />

482 Im KZ Dachau waren 387 katholische Priester inhaftiert. In: München. Schicksal einer Großstadt 1900–<br />

1950: 136<br />

259


Literatur<br />

Bauer, Richard / Stölzl, Christoph / Broszat, Martin / Prinz, Friedrich (Hrsg.) (1986): München. Schicksal einer<br />

Großstadt 1900–1950. Langen Müller Verlag, München, Wien<br />

Buchheim, Hans (1953): Glaubenskrise im Dritten Reich. Religionspolitik. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart<br />

Dörner, Bernhard (1988): „Heimtücke“: Das Gesetz als Waffe. Kontrolle, Abschreckung und Verfolgung in<br />

Deutschland 1933–1945. Paderborn<br />

Gritschneder, Otto (1975): Die Akten des Sondergerichts über Stadtpfarrer Dr. Emil Muhler. In: Gessel, Wilhelm<br />

/ Bornhard, Peter von (Hrsg.): Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte. Band 29. Verlag Verein<br />

für Diözesangeschichte von München u. Freising<br />

Kempner, B. M.: Priester vor Hitlers Tribunalen. Kirchengeschichte. Deutingers Beiträge, Band 29, München<br />

Muhler, Emil: Staatsanwaltschaften (Nr. 7669, 1934 und Nr. 5860, 1940) Polizeidirektion (Nr. 15569). Bayer.<br />

Staatsarchiv<br />

Muhler, Emil (1958): Die Idee des gerechten Lohnes. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. München<br />

Muhler, Emil (1958): Die Soziallehre der Päpste. München<br />

Pfister, Peter (1987): Dr. Emil Muhler (1892–1963). Seelsorger und Politiker. In: Schweiger, Georg (Hrsg.):<br />

Lebensbilder aus der Geschichte des Erzbistums München und Freising. Band 2: 388–407<br />

Vieregg, Hildegard (1992): Wächst Gras darüber? München: Hochburg des Nationalsozialismus und Zentrum<br />

des Widerstands. Universitätsdruckerei u. Verlag Dr. C. Wolf & Sohn, München: 180–183<br />

Weiler, Eugen (1971): Die Geistlichen im KZ Dachau sowie in anderen Konzentrationslagern und in Gefängnissen.<br />

Nachlass von Pfarrer Emil Thomas, erweitert und hrsg. v. E. Weiler. Missionsdruckerei Nördlingen<br />

260


Neumeyer, Karl Prof. Dr. jur.<br />

*19.9.1869 München †17.7.1941 München<br />

„Hier bin ich geboren, hier bin ich aufgewachsen, hier habe ich meine Arbeit geleistet,<br />

und hier werde ich sterben.“<br />

Karl Neumeyer 483<br />

Grabstätte auf dem Neuen<br />

Israelitischen Friedhof<br />

Foto: H. Engelbrecht<br />

Gedenktafel für Karl und Anna<br />

Neumeyer, Königinstraße 35a.<br />

Foto: A. Olsen<br />

261<br />

Professor Karl Neumeyer<br />

Foto: Stadtarchiv<br />

München<br />

Gedenktafel im<br />

„Neumeyer-Saal“<br />

Foto: H. Engelbrecht


I. Gedenktafel, Königinstraße 35a, Schwabing<br />

Giselastraße U3/U6<br />

II. Gedenktafel, Veterinärstraße 5, Schwabing<br />

Universität U3/U6<br />

Institut für Rechtsvergleichung, I. Stock<br />

III. Neumeyer-Saal<br />

Veterinärstraße 5, Schwabing<br />

Institut für Internationales Recht der Universität München, Instituts- und Seminar-Raum,<br />

Zimmer 107<br />

LMU München (1970)<br />

IV. Neumeyerstraße, Allach, Untermenzing<br />

M (1962)<br />

V. Grabstätte<br />

Neuer Israelitischer Friedhof, Garchinger Straße 37<br />

Studentenstadt U6<br />

Zu I. Gedenktafel, Königinstraße 35a, Schwabing<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

An der Nordfassade neben dem Haupteingang befindet sich eine Gedenktafel mit der Aufschrift:<br />

„Karl und Anna Neumeyer zum Gedächtnis.“<br />

Zu II. Gedenktafel und III. Neumeyer-Saal<br />

Institut für Internationales Recht der Universität München, Veterinärstraße 5<br />

Juristische Fakultät der Universität München<br />

483 In: Cahnmann, Werner J. (1958): Juden in München 1918–1943. In: Lamm, Hans (1982). Vergangene<br />

Tage. Jüdische Kultur in München: 64<br />

262


ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Auf Antrag der juristischen Fakultät der Münchner Universität bekam ein Hörsaal den Namen<br />

des bedeutenden Wissenschaftlers.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Die in diesem Raum an der Fensterwand angebrachte bronzene Gedenktafel (0,59 m ×<br />

0,97 m) mit dem Porträt von Professor Dr. Karl Neumeyer ist mit folgender Inschrift (Gravur)<br />

versehen:<br />

„Geheimrat Prof. Dr. Karl Neumeyer hat dieses Institut im Jahre 1916 mitbegründet. Sein<br />

Wirken war bahnbrechend für die Gesamtheit des internationalen Rechts. Die Barbarei<br />

des Unrechtsstaats hat ihn und seine Frau im Jahre 1941 in den Tod getrieben. Der Saal<br />

trägt seinen Namen ihm zu Ehre und zu steter Mahnung an schmachvolles Unrecht. Juristische<br />

Fakultät der Universität München.“<br />

Zu V. Grabstätte auf dem Neuen Israelitischen Friedhof, Sekt. 16<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Auf zwei, circa 2,20 Meter hohen Grabstelen befinden sich folgende Inschriften:<br />

„Karl Neumeyer ord. Professor der Universität München, geb. 19. Sept. 1869 in München,<br />

gest. 17. Juli 1941. Anna Neumeyer, geb. Hirschhorn, geb. 14. Nov. 1879 in Mannheim,<br />

gest. 17. Juli 1941.“<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Karl Neumeyer wurde als zweiter Sohn des Kaufmanns Leopold Neumeyer in München<br />

geboren. Die Familie des Vaters stammte aus dem Nördlinger Ries, wo die Verwandten<br />

seit Jahrhunderten ansässig waren. Zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Alfred<br />

wächst er mit den Traditionen des jüdischen Glaubens auf. Nach dem erfolgreichen<br />

Besuch des humanistischen Maximiliansgymnasiums in München blieb ihm der Militärdienst<br />

aus gesundheitlichen Gründen erspart. Als sich die Frage nach dem Einstieg ins elterliche<br />

Geschäft stellte, entschied sich Karl Neumeyer für das Studium der Rechtswissenschaften,<br />

das er von 1887 bis 1891 in München, Berlin und Genf absolvierte. Eine von der<br />

Juristischen Fakultät gestellte Preisaufgabe zum Thema „Historische und dogmatische<br />

Darstellung des strafrechtlichen Bankerotts“, die er als Bester bearbeitete, wurde als<br />

schriftliche Doktorarbeit akzeptiert. 484 Dem Entschluss, die Wissenschafts- und Universitätslaufbahn<br />

zu wählen, folgte die Arbeit an seiner Habilitationsschrift. Als Thema wählte<br />

263


er: Die frühe Entwicklung des Internationalen Privatrechts. Mit dieser Schrift konnte er<br />

sich habilitieren und wurde am 4. Mai 1901 von der Juristischen Fakultät der Universität<br />

München als Privatdozent für die Fächer „Internationales Privat-, Straf-, Prozess- und<br />

Verwaltungsrecht“ aufgenommen. 485<br />

Karl Neumeyer befasste sich bereits als Privatdozent mit Rechtsvergleichung. Als er den<br />

Begriff des Internationalen Verwaltungsrechts prägte, formulierte er dessen Aufgabe:<br />

„Die Grenzen der öffentlichen Gewalt in Verwaltungssachen gegenüber der öffentlichen<br />

Gewalt anderer Gemeinschaften zu ziehen, nicht anders, wie es Aufgabe der internationalen<br />

Zivilrechts ist, diese Grenzen für das Zivilrecht zu bestimmen.“ 486<br />

Professor Karl Neumeyer war es gelungen, das Privatrecht an der Münchner Universität<br />

als neues Fach zu integrieren. Den Titel eines außerordentlichen Professors erhielt er am<br />

1. Januar 1908.<br />

Über den Band 1 des Internationalen Verwaltungsrechtes im Jahre 1910 urteilte die Wissenschaft,<br />

dass Karl Neumeyer „mit ungewöhnlichem Scharfblick und mit seltener Produktionskraft<br />

in Gebiete des Rechtslebens hineinleuchtet, welche für die Wissenschaft geradezu<br />

entdeckt zu haben des Verfassers bleibender Verdienst ist“. 487<br />

Am 1. April 1900 heirateten Karl Neumeyer und Anna Hirschhorn, die aus einer Mannheimer<br />

Familie stammte. 488 Ihr erster Sohn Alfred wurde 1901 geboren, ihr zweiter Sohn<br />

Fritz 1905. Karl Neumeyers Bruder Alfred (1867–1944) war Gründer des Verbandes der<br />

„Bayerischen Israelitischen Gemeinden“, deren Leiter er bis zu seiner Emigration 1941<br />

blieb.<br />

1913 erhielt er einen Ruf auf ein Ordinariat für Internationales Recht und Völkerrecht an<br />

der Universität Zürich. „Mit der Professur wäre jedoch die Verpflichtung zur Mitarbeit<br />

an verschiedenen in der Schweiz ansässigen internationalen Instituten verbunden gewesen.<br />

Das habe Karl Neumeyer weniger gelegen; er habe sich ausschließlich seiner wissenschaftlichen<br />

Arbeit und seinem Lehrberuf widmen und vor allem in Ruhe das große ’Internationale<br />

Verwaltungsrecht’ fortsetzen wollen; deshalb habe er den Ruf nach Zürich<br />

abgelehnt.“ 489 In den folgenden Jahren erhielt Neumeyer zahlreiche wissenschaftliche<br />

484 Vogel, Klaus (1993): Karl Neumeyer (1869–1941): 533<br />

485 Vogel, Klaus (1993): Karl Neumeyer (1869–1941): 533<br />

486 Aus der Vorrede des I. Bandes 1910. In: Werner, Alfred (1958): Jüdische Juristen. In: Lamm, Hans<br />

(Hrsg.) (1982): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München: 324<br />

487 Niemeyer: Zeitschrift für Internationales Recht, Band XX, S. 606f. In: Werner, Alfred (1958): Jüdische<br />

Juristen: 324<br />

488 Weber, Marianne (1948): Lebenserinnerungen: 409ff. In: Vogel, Klaus (1993): Karl Neumeyer (1869–<br />

1941): 533<br />

264


Auszeichnungen. Als zwölf Jahre später der zweite Band zum Internationalen Verwaltungsrecht<br />

erschien, wurde das Werk wieder mit großem Lob aufgenommen und etablierte<br />

sich als Standardwerk. 490 Als allgemein geachtete Kapazität entwickelte er einen Grundriss<br />

des Internationalen Privatrechts. An der Münchner Universität hatte er der juristischen<br />

Fakultät diese Disziplin Privatrecht als neues Fach erschlossen, dessen Ordinariat ihm<br />

1929 zuerkannt wurde; zwei Jahre später wählte die Fakultät ihn zu ihrem Dekan. Seine<br />

Übersicht, die er 1929 verfasste, begrüßte die Fachwelt mit folgenden Worten: „Dieses<br />

äußerlich anspruchslose Stück enzyklopädischer Wissenschaftsdarstellung ist ein klassischer<br />

Katechismus aus der Feder eines oberpriesterlichen Pflegers und meisterlichen<br />

Lehrers der Wissenschaft.“ 491 Professor Dr. Klaus Vogel schrieb über Neumeyers Werk:<br />

„Zu seiner Zeit war das Internationale Recht hierfür indes noch nicht weit genug. Neumeyers<br />

Fragestellung ging in diesem Sinn, wie es bei großen Wissenschaftlern manchmal<br />

so gewesen ist, ihrer Zeit voraus.“ 492<br />

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann für Karl und Anna Neumeyer<br />

ein Leidensweg. Die Vorlesungen von Karl Neumeyer wurden anfangs boykottiert und<br />

gestört. 1934 versetzte man Neumeyer vorzeitig in den Ruhestand und es wurde ihm zugleich<br />

das Betreten der Universität und der öffentlichen Bibliotheken verboten. Trotzdem<br />

gelang es ihm noch – in dieser Zeit der Bedrängnis – den vierten Band seines Internationalen<br />

Verwaltungsrechts 1936 zu vollenden und in einem Schweizer Verlag zu publizieren;<br />

ebenso veröffentlichte er zwei weitere Abhandlungen zur Entwicklung des Internationalen<br />

Privatrechts. 493<br />

Den Söhnen von Karl und Anna Neumeyer gelang die Ausreise. Sein Bruder Alfred Neumeyer<br />

konnte nach Argentinien auswandern. Doch Karl Neumeyer selbst wollte Deutschland<br />

nicht verlassen. „Er liebte Deutschland zu sehr, und wollte auch niemanden zur Last<br />

fallen.“ 494 Dr. Werner Cahnmann, der bis 1933 Syndikus des Central-Vereins deutscher<br />

Staatsbürger jüdischen Glaubens war, berichtete über ein Treffen mit Professor Karl Neumeyer:<br />

„Er sagte, er sei froh, seine beiden Söhne im Ausland zu wissen. Auf meine Frage:<br />

489 Neumeyer, Alfred (1944): Erinnerungen: 88. In: Vogel, Klaus (1993): Karl Neumeyer (1869–1941): 535<br />

490 Drews: Juristische Wochenschrift, 1923, S. 483. In: Werner, Alfred (1958): Jüdische Juristen in München:<br />

324<br />

491 Niemeyers: Zeitschrift für Internationales Recht, Band 47, S. 376/7. Auch in: Werner, Alfred (1958):<br />

Jüdische Juristen in München: 324<br />

492 Vogel, Klaus (1993): Karl Neumeyer (1869–1941): 539<br />

493 Bartolus Sassoferrato (bei Sassoferrato, Prov. Ancona) vermutlich geb. 1314, †Perugia 10.7.1357; kommentierte<br />

das „Corpus Iuris Civilis“ (Brockhaus 2000: 355). Karl Neumeyer schickte das Manuskript an<br />

Max Gutzwiller; es wurde 1965 in den Niederlanden veröffentlicht. In: Vogel, Klaus (1993): Karl Neumeyer<br />

(1869–1941): 540<br />

494 Neumeyer, Alfred (1944): 233. Weber, Marianne (1948): Lebenserinnerungen: 441. In: Vogel, Klaus<br />

(1993): Karl Neumeyer (1869–1941): 540<br />

265


,Und was tun Sie, Herr Professor?‘ antwortete er: ,Hier bin ich geboren, hier bin ich aufgewachsen,<br />

hier habe ich meine Arbeit geleistet, und hier werde ich sterben.‘“ 495<br />

Als die Ankündigung kam, sein Haus an der Königinstraße müsse geräumt und seine Bibliothek<br />

versteigert werden, entschieden er und seine Frau Anna, aus dem Leben zu gehen.<br />

Dabei war alles geplant und wohl überlegt, wie die Worte, die Anna Neumeyer an eine<br />

Freundin schrieb, zeigen: „Der stärkste Freundschaftsdienst für uns wäre, wenn Du ohne<br />

Betrübnis aufatmetest: Gottseidank, sie haben es durchlitten.“ 496 In der Nacht vom 16. auf<br />

den 17. Juli 1941 wählten sie den Freitod.<br />

Ehrungen 497<br />

1918 Vortrag auf der 2. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht über die<br />

Staatsangehörigkeit Juristischer Personen.<br />

1923 Vorträge im Jahr der Eröffnung der Haager Académie de Droit International.<br />

1923 Associé d’Institut de Droit International.<br />

1926 Vollmitglied des Institut de Droit International. Persönlicher Ordinarius der Münchner<br />

Juristischen Fakultät. Vorläufige Vorstandschaft des Instituts für Rechtsvergleichung.<br />

1928 Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht. Leiter der Kommission<br />

für Internationales Privatrecht; Geheimer Justizrat.<br />

1929 Ordentlicher Professor der Juristischen Fakultät.<br />

1931 Dekan der Juristischen Fakultät.<br />

Literatur<br />

Benz, Wolfgang (1993): Von der Entrechtung zur Verfolgung und Vernichtung. In: Heinrichs, H. C. / Franzkis,<br />

H. / Schmalz, K. / Stolleis, M. (Hrsg.) (1993): Deutsche Juristen jüdischer Herkunft. C. H. Beck Verlag,<br />

München: 813–854<br />

Bonhorst, Heinrich von (1988): Karl Neumeyer (1869–1941) Jurist. In: Geschichte und Kultur der Juden in<br />

Bayern. Lebensläufe, Band 18. Hrsg. v. Manfred Treml et al., Kastner & Callwey, München: 235–242<br />

Cahnmann, Werner J. (1958): Juden in München 1918–1943. In: Lamm, Hans (1982): Vergangene Tage. Jüdische<br />

Kultur in München. Langen Müller Verlag, München, Wien: 31–78<br />

Gutzwiller, Max (1962/63): Karl Neumeyers Persönlichkeit und Werk. Rabels Z 27: 402ff<br />

Heinrichs, H. C. / Franzkis, H. / Schmalz, K. / Stolleis, M. (Hrsg). (1993): Deutsche Juristen jüdischer Herkunft.<br />

C. H. Beck Verlag, München<br />

495 Cahnmann, Werner J. (1958): Juden in München 1918–1943. In: Lamm, Hans (Hrsg.) (1982): Vergangene<br />

Tage. Jüdische Kultur in München: 64<br />

496 Weber, Marianne (1948): Lebenserinnerungen. In: Vogel, Klaus (1993): Karl Neumeyer (1869–1941):<br />

443<br />

497 Zitiert nach Vogel, Klaus (1993): Karl Neumeyer (1869–1941): 535<br />

266


Neumeyer, Alfred (1944): Erinnerungen, niedergeschrieben in der Kolonie Avigdor 1941–1944. Manuskript<br />

im Leo Baeck Institut, New York (Kopie im Stadtarchiv und in der Bayer. Staatsbibliothek München)<br />

Neumeyer, Alfred (Sohn von Karl Neumeyer) (1967): Lichter und Schatten. Eine Jugend in Deutschland<br />

Neumeyer, Karl (1891): Historische und dogmatische Darstellung des strafbaren Bankerotts, München;<br />

(1910) Internationales Verwaltungsrecht, Band 1, München und Berlin; (1911) Grundlinien des Internationalen<br />

Verwaltungsrechts. Berlin; (1913) Vom Recht der auswärtigen Verwaltung und verwandten<br />

Rechtsgebieten; (1914) Internationales Finanzrecht; (1918) Staatsangehörigkeit der juristischen Personen;<br />

(1922); Der Fall Mumm; (1923) Internationales Privatrecht. Berlin; (1924) Internationales Privatrecht,<br />

völkerrechtliche Grundlage. In: Strupp (Hrsg.): Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, Band<br />

1; (1930) Internationales Privatrecht, 2. Aufl., München, Berlin, Leipzig; (1969) Die gemeinrechtliche<br />

Entwicklung des Internationalen Privat- und Strafrechts bis Bartolus. Berlin<br />

Vogel, Klaus (1993): Karl Neumeyer (1869–1941) Ein Lebenswerk: Das Internationale Verwaltungsrecht. In:<br />

Heinrichs, H. C. / Franzkis, H. / Schmalz, K. / Stolleis, M. (Hrsg.) (1993): Deutsche Juristen jüdischer Herkunft.<br />

C. H. Beck Verlag, München: 531–541<br />

Weber, Marianne (1948): Lebenserinnerungen. In: Vogel, Klaus (1993): Karl Neumeyer (1869–1941). Ein<br />

Lebenswerk: Das Internationale Verwaltungsrecht. In: Heinrichs, H. C. / Franzkis, H. / Schmalz, K. / Stolleis,<br />

M. (Hrsg.) (1993): Deutsche Juristen jüdischer Herkunft. C. H. Beck Verlag, München: 531–541<br />

Wehberg (1941): Karl Neumeyer zum Gedächtnis. Friedenswarte 41. Jahrgang. Zürich<br />

Werner, Alfred (1958): Jüdische Juristen in München. In: Lamm, Hans (1982): Vergangene Tage. Jüdische<br />

Kultur in München. Langen Müller Verlag, München, Wien: 323–327<br />

267


Olschewski, Wilhelm / Olschewski, Willy jun. / Binder, Otto<br />

Grabstätte von Wilhelm<br />

Olschewski, Willy Olschewski<br />

und Otto Binder auf dem<br />

Münchner Nordfriedhof<br />

Foto: A. Olsen<br />

I. Olschewskibogen, Feldmoching<br />

M (1987)<br />

II. Grabmal von Wilhelm Olschewski, Willy Olschewski und Otto Binder,<br />

Sekt. 117/13/3 Nordfriedhof<br />

Ungererstraße 130, Alte Heide<br />

Nordfriedhof U 6<br />

268


Olschewski, Wilhelm sen.<br />

*18.8.1871 Lyk, Ostpreußen †30.4.1943 München-Stadelheim<br />

„Liebe Freunde, Ihr sollt nicht klagen, liebe Kinder weinet nicht, wenn von unserem<br />

Opfertode diese Tafel zu Euch spricht. Wir fanden hier als Freiheitskämpfer unsere<br />

letzte Ruhestatt. Wir mußten unser Leben lassen, daß Krieg und Mord ein Ende hat.<br />

Wilhelm Olschewski, Otto Binder, Willy Olschewski.“<br />

Inschrift an der Grabstätte auf dem Nordfriedhof.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Wilhelm Olschewski hatte in Berlin den Handlungsgehilfenverband mitgegründet. Im Ersten<br />

Weltkrieg war er an der Westfront eingesetzt; seine Dienstzeit beendete er als Leutnant.<br />

Als Teilnehmer bei den Kämpfen der revolutionären Rätebewegung erhielt er 1919 eine siebenjährige<br />

Haftstrafe. Durch eine Amnestie kam er 1924 frei. Ein Jahr später übernahm er<br />

als Geschäftsführer und Funktionär der KPD in Südbayern zusammen mit Franziska Kaspeier<br />

die Redaktion der „Neuen Zeitung“. 498 Olschewski baute eine reichsweite kommunistische<br />

Widerstandsorganisation auf und leitete den so genannten „Aufbruch-Kreis“.<br />

Bereits im März 1933 fand seine erste Verhaftung statt. Dabei versuchten die Nationalsozialisten<br />

ihn für Spitzeldienste zu gewinnen. Seit 1939 existierte eine Verbindung des Olschewski-Kreises<br />

zur Widerstandsgruppe um Beppo Römer. Am 4. Februar 1942 wurde<br />

Wilhelm Olschewski zusammen mit seinem Sohn Willi, seinem Schwiegersohn Otto Binder<br />

und weiteren Mitgliedern der Widerstandsgruppe verhaftet. In der Untersuchungshaft<br />

wurde Wilhelm Olschewski in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai 1943 im Gefängnis<br />

München-Stadelheim ermordet. 499<br />

Olschewski, Willy jun.<br />

*7.2.1902 Berlin †28.06.1944 München-Stadelheim<br />

„Der Verurteilte weiß lange Zeit im voraus, daß er getötet werden soll und daß nur eine<br />

Gnade ihn zu retten vermag, die in seinen Augen den Ratschlüssen des Himmels sehr<br />

ähnlich ist ... Er ist kein Mensch mehr, sondern ein Ding, das darauf wartet, von den<br />

Henkersknechten ergriffen zu werden ... Von dem Augenblick an, da das Urteil verlesen<br />

498 Die 1919 in Berlin gegründete Zeitung war das „Organ der Kommunistischen Partei Deutschlands“.<br />

499 Antoni, Ernst (1998): Subversion für den Frieden. In: Kommunistische Partei München (Hrsg.): Die wieder<br />

gefundene Liste: 66<br />

269


wurde, gerät der Verurteilte in ein unbeirrbares Räderwerk. Etliche Wochen lang wird<br />

er durch das Getriebe gedreht, das alle seine Bewegungen bestimmt, bis es ihn schließlich<br />

den Händen ausliefert, die ihn unter die Hinrichtungsmaschine legen.“<br />

Albert Camus 500<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Willy Olschewski, der Sohn von Wilhelm Olschewski, war Maschinenschlosser. Der 23-<br />

Jährige trat 1925 in die KPD ein. Wegen seiner Beteiligung an Widerstandsaktionen war<br />

Willy Olschewski bereits vom Juni bis 11. September 1933 im KZ Dachau inhaftiert. Seit<br />

1939 beteiligte er sich aktiv an den Widerstandsaktionen der KPD und an dem Aufbau der<br />

Gruppe um seinen Vater. Der Gestapo gelang es Anfang des Jahres 1942, den kommunistischen<br />

Widerstandskreis aufzudecken. Am 4. Februar 1942 wurden die meisten Mitglieder<br />

in München verhaftet. Der Prozess vor dem VGH am 20. April 1944 endete mit dem<br />

Todesurteil für folgende Personen: Otto Binder, Raimund Gstür, Hans Hartwimmer (siehe<br />

Band 2: S. 164), Michael Hammer, Karl Huber, Simon Hutzler, Engelbert Kimberger,<br />

Willy Olschewski jun., Hans Reisinger, Beppo Römer, Willy Sachse, Gustav Straub. 501<br />

Willy Olschewsky wurde am 28. Juni 1944 hingerichtet.<br />

Sein Leichnam kam in das Anatomische Institut der Universität Würzburg. Nach Kriegsende<br />

fand seine Einäscherung statt. Die feierliche Bestattung der Gedenkurne fand am 13.<br />

September 1947 auf dem Münchner Nordfriedhof im Beisein des bayerischen Ministerpräsidenten<br />

Hans Ehard statt. 502<br />

Binder, Otto<br />

*27.10.1904 München †28.6.1944 München-Stadelheim<br />

„Nun lb. Rosa u. Erika ein letztes Lebewohl von eueren Papa und tausend Grüße u.<br />

Küsse. Ich und Willy sind beisammen u. sind auch sehr gefaßt. Lebewohl mein Kind u.<br />

Kindl, Euer Papa. Lebt wohl u. letzte Grüße v. Eueren Bruder u. Onkel Willy!“<br />

Schlussworte Otto Binders in seinem Abschiedsbrief an seine Frau und Tochter. 503<br />

500 Zitiert in: Die Zeit: Betrachtungen zur Todesstrafe v. 23.5.2001: 13<br />

501 Antoni, Ernst (1998): Subversion für den Frieden. In: Kommunistische Partei München (Hrsg.): Die wieder<br />

gefundene Liste: 62<br />

502 Antoni, Ernst (1998): Subversion für den Frieden. In: Kommunistische Partei München (Hrsg.): Die wieder<br />

gefundene Liste: 66<br />

503 Dokument in: Antoni, Ernst (1998): Subversion für den Frieden: 67<br />

270


GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Der gelernte Former und Eisengießer war der Schwager von Willy Olschewski junior.<br />

Wegen seiner Mitgliedschaft in der KPD war er mehrmals in Haft. Im Zusammenhang mit<br />

der Entdeckung der Olschewski-Gruppe wurde Otto Binder ebenfalls am 4. Februar 1942<br />

festgenommen. Das vor dem VGH am 20. April 1944 verhängte Todesurteil wurde am 28.<br />

Juni 1944 in München-Stadelheim vollstreckt. Erst 1947 entdeckte man seinen Leichnam<br />

im Anatomischen Institut der Universität Würzburg. Seine sterblichen Überreste kamen<br />

in einer Urne nach München zurück, wo auf dem Nordfriedhof eine feierliche Bestattung<br />

im Beisein des damaligen Ministerpräsidenten Hans Ehard stattfand. 504<br />

Ausstellung<br />

9. Oktober – 9. November 1998: Widerstand, Verweigerung und Protest gegen das<br />

NS-Regime in München. Konzipiert vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München.<br />

Gezeigt im Neuen Münchner Rathaus.<br />

Literatur<br />

Altmann, Peter / Bräutigam, Heinz / Mausbach-Bromberger, Barbara / Oppenheimer, Max (Hrsg.) (1975): Der<br />

deutsche antifaschistische Widerstand 1933–1945 in Bildern und Dokumenten. Frankfurt a. M.<br />

Antonie, Ernst (1998): Subversion für den Frieden. In: Kommunistische Partei München (Hrsg.) (1998): Die<br />

wieder gefundene Liste. Porträts Münchner Kommunistinnen und Kommunisten, die im antifaschistischen<br />

Widerstandskampf ihr Leben ließen. Entdeckt von Resi Huber. Verlag Otto Barck, München: 62–67<br />

Bindrich, Oswald / Römer, Susanne (1991): Beppo Römer. Ein Leben zwischen Revolution und Nation. Verfolgung<br />

und Widerstand, Band 49. Edition Hentrich, Berlin<br />

Bretschneider, Heike (1968): Widerstand gegen den Nationalsozialismus in München 1933–1945. Miscellanea<br />

Bavarica Monacensia, Band 4. München<br />

Detjen, Marion (1998): „Zum Staatsfeind ernannt“. Widerstand, Resistenz und Verweigerung gegen das NS-<br />

Regime in München. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München. Buchendorfer Verlag, München<br />

Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.) (1994): Mikrofiche-Edition, Widerstand als „Hochverrat“ 1933–1945. Die<br />

Verfahren gegen deutsche Reichsangehörige vor dem Reichsgericht, dem Volksgerichtshof und dem<br />

Reichskriegsgericht. München<br />

Huber, Resi (Hrsg.) (1994): Eine Dokumentation zur Otto-Huber-Hütte in Breitbrunn am Ammersee. Vorgelegt<br />

zum 50. Todestag von vier Mitgliedern der antifaschistischen Widerstandsgruppe Olschewski. Breitbrunn<br />

Mehringer, Hartmut (1983): Die KPD in Bayern 1919–1945. Vorgeschichte, Verfolgung und Widerstand. In:<br />

Bayern in der NS-Zeit, Band 5. München<br />

Mehringer, Hartmut (1997): Widerstand und Emigration. Das NS-Regime und seine Gegner. Deutscher Taschenbuch<br />

Verlag, München<br />

Olschewski, Wilhelm, Akten im Staatsarchiv, Staatsanwaltschaften 12 888, OJs 28/29<br />

504 Antoni, Ernst (1998): Subversion für den Frieden: In: Kommunistische Partei München (Hrsg.): Die wieder<br />

gefundene Liste: 66<br />

271


Pechmann, Wilhelm Freiherr von<br />

*10.6.1859 Memmingen †10.2.1948 München<br />

„Von Pechmann hat sich dadurch in den schwarzen Tagen der deutschen Geschichte<br />

als Zeuge des anderen, des besseren Deutschlands, des der Menschlichkeit und Gerechtigkeit<br />

bewährt. Zugleich ist er ein glaubwürdiger Zeuge gewesen für die Kirche, wie sie<br />

sich nach unserer heutigen Überzeugung verstehen und wie sie handeln muß. Das läßt<br />

uns in aller Betroffenheit dankbar sagen: Gut, daß es von Pechmann gegeben hat. Wir<br />

wollen ihm ein ehrendes Gedenken bewahren.“<br />

Bundesminister a. D. Dr. Jürgen Schmude,<br />

Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. 505<br />

Freiherr-von-Pechmann-<br />

Weg<br />

Foto: epd-bild<br />

Grabstätte des Freiherrn von Pechmann<br />

Foto: H. Engelbrecht<br />

Wilhelm Freiherr von Pechmann<br />

Foto: epd-bild<br />

272


I. Freiherr-von-Pechmann-Weg, Maxvorstadt<br />

M (2000)<br />

II. Gedenktafel im Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern,<br />

Meiserstraße 11, Maxvorstadt<br />

Königsplatz U2/U8<br />

Evangelisch-Lutherische Kirche (2001)<br />

III. Grabstätte auf dem Nordfriedhof, Gf 73<br />

Nordfriedhof U6<br />

Zu I. Freiherr-von-Pechmann-Weg, Maxvorstadt<br />

M (2000)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Auf Initiative des Bezirksausschusses Maxvorstadt kam es zu dieser Namengebung, um<br />

an den Freiherrn Wilhelm von Pechmann zu erinnern. Die Einweihung fand am 29. Januar<br />

2000 im Beisein des bayerischen Finanzministers Kurt Faltlhauser statt.<br />

Zu II. Gedenktafel im Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in<br />

Bayern, Meiserstraße 11, Maxvorstadt<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Die leitenden Organe der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern haben für<br />

Wilhelm von Pechmann einen Erinnerungsort ins Leben gerufen. Am 12. Januar 2001<br />

fand die Einweihung im Beisein von Landesbischof Johannes Friedrich, Regionalbischof<br />

und Oberkirchenrat Dr. Martin Bogdahn und Mitgliedern der Familie von Pechmann statt.<br />

Beim Festakt waren Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde<br />

München und Engelbert Siebler, Weihbischof der römisch-katholischen Kirche, anwesend.<br />

Der Präsident der Landessynode, Dieter Haack, nahm die Enthüllung vor.<br />

505 Das Unrecht bahnt sich nicht im Verborgenen an. In: Breit, Dieter (Hrsg.) (1998): Aufstand des Gewissens.<br />

Erinnerung an Wilhelm von Pechmann 1859–1948: 40<br />

273


KURZBESCHREIBUNG<br />

In der Eingangshalle im Evangelischen Landeskirchenamt befindet sich neben der Pförtnerloge<br />

eine Aluminiumgusstafel (0,91 m × 1,40 m) mit folgendem Text:<br />

„Zum Gedenken an D. Wilhelm Freiherr von Pechmann 1859–1948, Präsident der Landessynode<br />

und Inhaber zahlreicher kirchlicher Ehrenämter. Mit seinem eindringlichen<br />

Protest gegen die Judenverfolgung ab 1933 war er Stimme des Gewissens in unserer Kirche.“<br />

INFORMATION ÜBER DIE KÜNSTLER<br />

Die Gedenktafel hat der Münchner Architekt Tobias Köhler entworfen; der Metallkünstler<br />

Jürgen Trapp führte den Entwurf in Aluminiumguss aus.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Wilhelm von Pechmann wurde am 10. Juni 1859 als Sohn des Staatsanwaltes Adalbert<br />

Freiherr von Pechmann und seiner Ehefrau Ida (geb. Petersen) in Memmingen geboren.<br />

Der Vater entstammte einer katholischen, die Mutter einer evangelischen Familie. Pechmann<br />

schloss mit dem Abitur am Augsburger Realgymnasium im Jahre 1877 ab. An der<br />

Münchner Universität studierte er Philosophie und Rechtswissenschaften. Es folgten Militärdienst<br />

und Assessorexamen. Auf eine akademische Laufbahn verzichtete er, weil er es<br />

als seine Pflicht gegenüber seiner Mutter und seinen jüngeren Geschwistern sah, 506 sobald<br />

wie möglich Geld zu verdienen. 1886 begann Pechmann seine berufliche Laufbahn als<br />

Rechtskonsulent bei der Bayerischen Handelsbank. Ein Jahr später ging er die Ehe mit<br />

Emma Freiin von Feilitzsch ein. 1898 wurde er zum Ersten Direktor der Bayerischen Handelsbank<br />

ernannt. Neben zahlreichen Aufgaben, die er im Bankwesen übernahm, setzte<br />

sich Pechmann für soziale und kulturelle Einrichtungen ein. Sein politisches Wirken begann<br />

bereits vor dem Ersten Weltkrieg als Mitbegründer und Vorsitzender der Deutschen<br />

Reichspartei in Bayern. „Nach dem Krieg, den er von Anfang bis zum Ende als Freiwilliger<br />

im Schützengraben mitmachte, kam er 1918 zur Bayerischen Volkspartei, die ihn in<br />

den Landtag entsandte.“ 507 Pechmann trat bereits 1919 wieder aus dieser Partei aus, da er<br />

ihren Eintritt in die Nationalversammlung und ihre Haltung zum Versailler Vertrag ablehnte.<br />

In der Revolution hatte der national-monarchistisch eingestellte von Pechmann<br />

eine Zerstörung der alten Ordnung gesehen. Ebenso war „seine Einstellung gegenüber der<br />

506 Sommer, Wolfgang (1998): Widerstand gegen offenkundiges Unrecht. In: Breit, Dieter (Hrsg.) (1998):<br />

Aufstand des Gewissens. Erinnerung an Wilhelm von Pechmann: 13<br />

507 Sommer, Wolfgang (1998): Widerstand gegen offenkundiges Unrecht. In: Breit, Dieter (Hrsg.) (1998):<br />

Aufstand des Gewissens. Erinnerung an Wilhelm von Pechmann: 14<br />

274


Demokratie von tiefem Mißtrauen, ja von Verachtung geprägt. Seine deutsch-nationale<br />

Gesinnung wußte jedoch zwischen Person und Sache genau zu unterscheiden.“ 508<br />

Wirken in Kirche und Gesellschaft<br />

Als Gründungsmitglied des Christlichen Vereins Junger Männer (CVJM) in München engagierte<br />

sich Pechmann schon früh in seiner Kirchengemeinde. Seit 1905 war er Mitglied<br />

des Kirchenvorstandes der Münchner Kirche St. Johannes. Vor dem Ersten Weltkrieg<br />

stand er als Präsident der so genannten „Steuersynode“ vor. Seit 1919 war von Pechmann<br />

als Leiter des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes tätig. In der Weimarer Republik<br />

entwickelte sich von Pechmanns kirchliches Wirken. So nahm er die Herausforderungen<br />

des politischen und gesellschaftlichen Umfeldes an und half am Aufbau und Zusammenschluss<br />

der evangelischen Landeskirchen mit. Dabei galt seiner bayerischen Heimatkirche<br />

„stets seine besondere Arbeitskraft, Aufmerksamkeit und Liebe.“ 509 Die Evangelisch-Lutherische<br />

Bayerische Generalsynode wählte ihn 1919 zu ihrem Präsidenten. Es folgten<br />

weitere leitende kirchliche Ämter (siehe Ehrungen für Freiherr Wilhelm von Pechmann).<br />

Von 1929 bis 1933 war von Pechmann Mitglied des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses.<br />

Vertreter der christlichen Lehre<br />

Nach der Machtergreifung wurde der totale Herrschaftsanspruch der Nationalsozialisten<br />

Realität. Hitler hatte in Bezug auf das Christentum verlauten lassen: „Eine deutsche Kirche,<br />

ein deutsches Christentum ist Krampf. Man ist entweder Christ oder Deutscher. Beides<br />

kann man nicht sein.“ 510 Freiherr Wilhelm von Pechmann nahm zur politischen Herrschaft<br />

des neuen Regimes Stellung. Er vertrat den Standpunkt, dass die Kirche ihre Unabhängigkeit<br />

vom Staat bewahren müsse, um nicht vom nationalsozialistischen Regime unterjocht<br />

zu werden. Er lehnte die Pläne strikt ab, die eine Verfassungsänderung der bayerischen<br />

Landeskirche im Sinne des nationalsozialistischen Führerprinzips vorsahen.<br />

„Trotzdem konnten sich die Kirchenleitungen nicht zu einer Distanzierung von der judenfeindlichen<br />

Politik durchringen.“ 511 In einer Sitzung des Kirchenausschusses forderte er<br />

Hilfe für die verfolgten jüdischen Glaubensbrüder und -schwestern, denn: „Er sei davon<br />

durchdrungen, daß er diesen Gliedern unserer Gemeinde und unserer Kirche Schutz<br />

508 Sommer, Wolfgang (1998): Widerstand gegen offenkundiges Unrecht. In: Breit, Dieter (Hrsg.) (1998):<br />

Aufstand des Gewissens. Erinnerung an Wilhelm von Pechmann: 14<br />

509 Sommer, Wolfgang (1998): Widerstand gegen offenkundiges Unrecht. In: Breit, Dieter (Hrsg.) (1998):<br />

Aufstand des Gewissens: 15<br />

510 Zitiert nach: Klinger, Rudolf (1998): Abschied vom Untertanengehorsam. In: Breit, Dieter (Hrsg.)<br />

(1998): Aufstand des Gewissens: 26<br />

511 Klinger, Rudolf (1998): Abschied vom Untertanengehorsam: In: Breit, Dieter (Hrsg.) (1998): Aufstand<br />

des Gewissens: 27<br />

275


schuldig sei. Wir dürfen sie nicht dem Gefühl überlassen, daß sie von der Kirche, der sie<br />

seit langem angehören, in der Zeit der fürchterlichsten Not wort- und lautlos in Stich gelassen<br />

werden ...“ 512 Reden alleine genügte ihm nicht; so wandte er sich in einem Brief<br />

vom 15. Juli 1933 an den damaligen Landesbischof Hans Meiser und forderte die Landeskirche<br />

zum baldigen Handeln auf. Auch die folgenden Worte zeugen von Pechmanns moralisch-ethisch<br />

unbeugsamer Haltung: „... Wenn Gott uns offenes Unrecht in den Weg treten<br />

läßt, so ist es sein heiliger Wille nicht, daß wir solchem Unrecht uns beugen, sondern<br />

daß wir ihm auf Leben und Sterben widerstehen. Widerspruch und Widerstand gegen das<br />

Unrecht, Bekenntnis zum Recht ... als Christen sollen und dürfen wir nicht daran mitwirken,<br />

auch nicht unterlassend und schweigend, daß das Unrecht zunehme und erstarke, das<br />

Recht aber vergessen werde und verkümmere. Wenn wir beten ,Dein Wille geschehe ...‘,<br />

dürfen wir nie vergessen: Gott will nicht das Unrecht, sondern das Recht.“ 513 Außerdem<br />

forderte er nach dem Judenboykott vom 1. April 1933, die Kirche möge gegen die Entrechtung<br />

der Juden protestieren. Wieder forderte er im Kirchenausschuss eine öffentliche<br />

Kundgebung, seine Kirche möge sich „zu ihren eigenen Angehörigen jüdischer Abstammung<br />

bekennen, aber auch für unsere jüdischen Glaubensgenossen Gerechtigkeit und<br />

christliche Liebe verlangen.“ 514 Von Pechmanns Appelle waren jedoch vergeblich: Die<br />

evangelischen Bischöfe bekannten sich im Januar 1934 zum Dritten Reich und seinem<br />

Führer. Seit 1932 gab es eine „Glaubensbewegung Deutscher Christen“ (DC), die einen<br />

völkischen Protestantismus in Anlehnung an die Weltanschauung der NSDAP propagierte.<br />

Die Entscheidung<br />

Freiherr Wilhelm von Pechmann erklärte im April 1934 offiziell seinen Austritt aus der<br />

Kirche. Vergeblich hatten Landesbischof Hans Meiser und Reichsbischof Ludwig Müller<br />

versucht, von Pechmann umzustimmen. Er klagte über die „unfassbare Engherzigkeit,<br />

Kurzsichtigkeit und Verblendung“ seiner „engeren Glaubensgenossen, der ,Lutheraner‘“.<br />

515 Er protestierte gegen die „Vergewaltigung der Kirche“, gegen ihren „Mangel an<br />

Widerstandskraft“, aber „auch gegen ihr Schweigen zu viel Unrecht und all’ dem Jammer<br />

und Herzeleid, das man in ungezählte nichtarische Herzen und Häuser – christliche und<br />

jüdische – hineingetragen hat.“ 516 Von Pechmann, sah wie die nationalsozialistische Ge-<br />

512 Zitiert nach: Klinger, Rudolf (1998): Abschied vom Untertanengehorsam. In: Breit, Dieter (Hrsg.)<br />

(1998): Aufstand des Gewissens: 27<br />

513 Sommer, Wolfgang (1998): Widerstand gegen offenkundiges Unrecht. In: Breit, Dieter (Hrsg.) (1998):<br />

Aufstand des Gewissens: 18<br />

514 Sommer, Wolfgang (1998): Widerstand gegen offenkundiges Unrecht. In: Breit, Dieter (Hrsg.) (1998):<br />

Aufstand des Gewissens: 16<br />

515 Reindl, Peter (1996): Der einsame Widerstand eines alten Edelmannes. In: Sonntagsblatt Nr. 22 v.<br />

22.12.1996: 8<br />

276


waltherrschaft als antichristliche Macht die Kirchen ausschalten wollte. Deshalb sollten<br />

nach seiner Meinung die christlichen Kirchen gemeinsam Widerstand leisten.<br />

Von Pechmann wurde 1936 Mitglied der evangelischen „Bekennenden Kirche“. In der<br />

evangelisch-lutherischen Kirche war es durch gegensätzliche Auffassungen über das Verhalten<br />

zum NS-Staat zu einer Spaltung gekommen, aus der sich die „Bekennende Kirche“<br />

formierte. 1935 wandte sich die „Bekennende Kirche“ gegen die „völkisch-rassische“<br />

Weltanschauung der Nationalsozialisten. Sie protestierte besonders gegen die Ausgrenzung<br />

von Protestanten jüdischer Herkunft. In ihren Predigten erklärten die Vertreter der<br />

„Bekennenden Kirche“, dass Menschen als Menschen zu sehen sind, Gott aber Gott sei.<br />

Deshalb sei der Jude ebenso Mensch und als Mensch zu behandeln. Im März 1935 kam es<br />

zu Massenverhaftungen von 715 Geistlichen der „Bekennenden Kirche“.<br />

Nach dem Kriegsende entschied sich der 87-jährige von Pechmann zur Konversion. Im<br />

Mai 1946 wurde er in die römisch-katholische Kirche aufgenommen. Am 10. Februar<br />

1948 starb von Pechmann in München. An seinem Begräbnis auf dem Nordfriedhof nahm<br />

kein einziger leitender evangelischer Theologe teil. Der Kirchenhistoriker Professor Dr.<br />

Wolfgang Sommer spekulierte über die Gründe: „Wollte man in der bayerischen Landeskirche<br />

nicht wahrhaben, daß man als grundkonservativer Lutheraner energischen Widerstand<br />

leisten konnte?“ 517<br />

„Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen Schweben,<br />

das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die<br />

Freiheit.“ Dies schrieb im August 1944 im Gefängnis Berlin-Tegel der Theologe Dietrich<br />

Bonhoeffer 518 , ein Vertreter der evangelischen „Bekennenden Kirche“.<br />

Ehrungen<br />

1913 Ehrendoktorwürde der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität<br />

Erlangen.<br />

1920–1922 Präsident der Bayerischen Generalsynode der Evangelisch-Lutherischen<br />

Landeskirche.<br />

1921 Präsident des Stuttgarter verfassunggebenden Kirchentages.<br />

1924 Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Bethel.<br />

1925 Mitglied der Stockholmer Weltkirchenkonferenz.<br />

516 Zitiert in: Sommer, Wolfgang (1998): Widerstand gegen offenkundiges Unrecht. In: Breit, Dieter (Hrsg.)<br />

(1998): Aufstand des Gewissens: 19<br />

517 Zitiert in: Reindl, Peter (1996): Der einsame Widerstand eines alten Edelmannes. In: Sonntagsblatt Nr. 22<br />

v. 22.12.1996: 8<br />

518 Zitiert in: Bethge, Eberhard (1984): Letzte Briefe im Widerstand: 126<br />

277


1927 Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Königsberg.<br />

1929–1933 Mitglied im Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss.<br />

1930 Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Nürnberg.<br />

1998 Gedenkveranstaltung der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche<br />

Bayerns in Memmingen.<br />

29. Januar 2000 Festakt im Prinz-Carl-Palais in München.<br />

12. Januar 2001 Festakt im Bayerischen Landeskirchenamt in München.<br />

Ausstellung<br />

9. Oktober – 8. November 1998: Widerstand, Verweigerung und Protest gegen das<br />

NS-Regime in München. Konzipiert vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München.<br />

Gezeigt im Neuen Münchner Rathaus.<br />

Literatur<br />

Bethge, Eberhard (1984): Dietrich Bonhoeffer. Theologie, Christ, Zeitgenosse. 5. Auflage, München<br />

Bogdahn, Martin (1998): Die Stimme des Gewissens. In: Aufstand des Gewissens: 42–47<br />

Breit, Dieter (Hrsg.) (1998): Aufstand des Gewissens. Erinnerung an Wilhelm von Pechmann 1859–1948.<br />

Texte und Bilder der Gedenkveranstaltung der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in<br />

Bayern in Memmingen. Hrsg. 1998 im Auftrag des Präsidenten der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen<br />

Kirche in Bayern. Hans Venus Verlag, München<br />

Brock, Edna (1998): Die Frage nach der eigenen Identität. In: Breit, Dieter (Hrsg.) (1998): Aufstand des Gewissens:<br />

31–33<br />

Detjen, Marion (1998): Die evangelische Kirche. In: Detjen Marion: „Zum Staatsfeind ernannt“: 272–273<br />

Detjen, Marion (1998): „Zum Staatsfeind ernannt“. Widerstand, Resistenz und Verweigerung gegen das NS-<br />

Regime in München. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München. Buchendorfer Verlag, München<br />

Diem, Hermann (1974): Ja oder nein. Theologie in Kirche und Staat. Stuttgart, Berlin<br />

Elias, O. L. (1961): Der evangelische Kirchenkampf und die Judenfrage. In: Informationsblatt für die Gemeinden<br />

in den niederdeutschen lutherischen Landeskirchen. Hamburg<br />

Gailus, M. (Hrsg.) (1987): Kirchengemeinden im Nationalsozialismus. Sieben Beispiele aus Berlin. Verfolgung<br />

und Widerstand, Band 38. Edition Hentrich, Berlin<br />

Haack, Dieter (1998): Ein klares Signal gegen Vergessen und Verdrängen. In: Breit, Dieter (Hrsg.) (1998):<br />

Aufstand des Gewissens: 7–10<br />

Kantzenbach, Friedrich Wilhelm (1968): Der Weg der evangelischen Kirche vom 19. zum 20. Jahrhundert.<br />

Gütersloh<br />

Kantzenbach, Friedrich Wilhelm (1971): Wilhelm Freiherr von Pechmann: Briefe 1931–1947. Degener Verlag,<br />

Neustadt/Aisch<br />

Katzenbach, Friedrich Wilhelm (1971): Widerstand und Solidarität der Christen in Deutschland 1933–1945.<br />

Eine Dokumentation zum Kirchenkampf aus den Papieren des D. Wilhelm Freiherr von Pechmann. Degener<br />

Verlag, Neustadt/Aisch<br />

Kantzenbach, Friedrich Wilhelm (1980): Evangelischer Geist und Glaube im neuzeitlichen Bayern. München<br />

Klinger, Rudolf (1998): Abschied vom Untertanengehorsam. In: Breit, Dieter (Hrsg.) (1998): Aufstand des<br />

Gewissens: 25–30<br />

Meier, Kurt (1976): Der evangelische Kirchenkampf. Gesamtdarstellung in drei Bänden. Göttingen<br />

278


Niemöller, Wilhelm (1956): Die Evangelische Kirche im Dritten Reich. Bielefeld<br />

Nowak, Kurt (1997): Kirchen und Religion. In: Benz, W. / Graml, H. / Weiß, H. (Hrsg.) (1997). Enzyklopädie<br />

des Holocaust. dtv, München: 187–202<br />

Schmude, Jürgen (1998): Das Unrecht bahnt sich nicht im Verborgenen an. In: Breit, Dieter (Hrsg.) (1998):<br />

Aufstand des Gewissens: 35–40<br />

Scholder, Klaus (1970): Die Kapitulation der Kirche vor dem nationalsozialistischen Staat. In: ZKG, Band 81:<br />

182–206<br />

Scholder, Klaus (1985): Die Kirchen und das Dritte Reich. 2 Bände. Frankfurt a. M., Berlin, Wien<br />

Sommer, Wolfgang (1997): Wilhelm von Pechmann und die bayerische Landeskirche zur Zeit des Nationalsozialismus<br />

in München. Dokumentation des Evangelischen Pressedienstes Bayern, Ausgabe 1. München<br />

Sommer, Wolfgang (1998): Wilhelm von Pechmann. In: Profile des Luthertums. Biographien zum 20. Jahrhundert.<br />

Gütersloh: 541–558<br />

Sommer, Wolfgang (1998): Widerstand gegen offenkundiges Unrecht. In: Breit, Dieter (Hrsg.) (1998): Aufstand<br />

des Gewissens: 11–20<br />

Winter, Helmut (1998): „Zur Judenverfolgung darf die Kirche nicht schweigen“. In: Sonntagsblatt – Evangelische<br />

Wochenzeitung für Bayern (1998) Nr. 6: 20<br />

279


Pfülf, Toni<br />

*14.12.1877 Metz †8.6.1933 München<br />

„Sie hat das Leben und ihre Freunde geliebt und war ihnen dankbar.<br />

Sie ging mit dem sicheren Wissen von dem Sieg der großen Sache des Proletariats,<br />

der sie dienen durfte. München, 17. Februar 1933 Toni Pfülf.“ 519<br />

Denkmal für Toni Pfülf auf dem<br />

Nordfriedhof<br />

Foto: H. Engelbrecht<br />

519 Selbst verfasste Todesanzeige von Toni Pfülf.<br />

Toni Pfülf<br />

Foto: Süddeutscher Verlag<br />

Gedenktafel in der<br />

Leopoldstraße 77<br />

Foto: H. Pfoertner<br />

280


I. Toni-Pfülf-Straße, Fasanerie-Nord<br />

M (1963)<br />

II. Gedenktafel, Grund- und Hauptschule an der Toni-Pfülf-Straße 30, Feldmoching<br />

Fasanerie S1<br />

M (1985)<br />

III. Toni-Pfülf-Denkmal Nordfriedhof, Sekt. 73 Ungererstraße 130, Schwabing<br />

Nordfriedhof U6<br />

M (1993)<br />

IV. Gedenktafel, Leopoldstraße 77, Schwabing<br />

Münchner Freiheit U3/U6<br />

M (2001)<br />

Zu II. Gedenktafel, Toni-Pfülf-Straße 30, Hauptschule an der Toni-Pfülf-Straße<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Auf Antrag der Stadtratsmitglieder Inge Deckert und Gertraud Schmidt, gestellt am 30.<br />

Juni 1983, sollte eine Gedenktafel für die ehemalige Reichstagsabgeordnete Toni Pfülf angebracht<br />

werden. Als Erinnerungsort wurde die Hauptschule an der Toni-Pfülf-Straße<br />

ausgewählt. Dort fand die Enthüllung der Gedenktafel im Rahmen einer Gedenkfeier am<br />

11. Dezember 1984 durch Stadtschulrat Albert Loichinger statt.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

In der Schuleingangshalle befindet sich eine Metalltafel aus Kupfer (0,92 m × 1,27 m) mit<br />

folgendem Text: „Toni Pfülf 1877–1933. Als sozialdemokratische Abgeordnete des Deutschen<br />

Reichstages hat sich die Münchner Lehrerin für Gleichberechtigung der Frauen,<br />

für die Bildungschancen von Arbeiterkindern und die Abschaffung der Todesstrafe eingesetzt.<br />

Politische Verfolgung trieb sie in den Freitod. Ihr Wirken ist unvergessen.“<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Die Gedenktafel schuf der Graphiker Eugen Weiß.<br />

281


Zu III. Toni-Pfülf-Denkmal<br />

Nordfriedhof, Ungererstraße 130, Sekt. 73, Alte Heide<br />

Nordfriedhof U6<br />

M (1993)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Das Grab von Toni Pfülf auf dem Nordfriedhof wurde 1970 aufgelassen. Am 15. Mai<br />

1992 machte der Münchner Bürgermeister Christian Ude den Vorschlag, dort eine Gedenktafel<br />

oder einen Gedenkstein für Toni Pfülf zu errichten. Dieser konnte zum 60. Todestag<br />

von Antonie Pfülf eingeweiht werden. Die bayerische SPD-Vorsitzende Renate<br />

Schmidt, der damals 92-jährige Genosse Josef Felder und Christian Ude waren bei dieser<br />

Zeremonie anwesend.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Eine runde, zwei Meter hohe Muschelkalksäule mit pyramidenförmigem Abschluss trägt<br />

die bronzene Aufschrift: „Toni Pfülf“<br />

Die Gedenkstätte auf Sektion 73 ist von Hecken und Bäumen gesäumt.<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Den Gedenkstein schuf der Architekt Herbert Temesl.<br />

Zu IV. Gedenktafel Leopoldstraße 77, Schwabing<br />

M (2001)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Dr. Hans-Jochen Vogel, Altbürgermeister von München und Berlin und Vorsitzender des<br />

Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“, schlug am 13. Juni 2000 die Schaffung einer<br />

Gedenktafel für Antonie Pfülf vor. Die Einweihung fand am 22. Mai 2001 im Beisein<br />

von Münchens Oberbürgermeister Christian Ude statt.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Am Haus in der Leopoldstraße 77 befindet sich eine Bronzetafel mit einem Porträt von<br />

Antonie Pfülf und folgendem Text: „Antonie Pfülf, 1877–1933 Reichstagsabgeordnete,<br />

besonders engagiert im Schulwesen, Vorkämpferin für die Rechte der Frauen, wohnte von<br />

282


1915–1927 in diesem Hause.“<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Die Gedenktafel schuf der Münchner Bildhauer Toni Preis.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Als zweites Kind der Familie Pfülf wurde Antonie in Metz geboren. Der Vater Emil Pfülf<br />

war Offizier und stammte aus Speyer; die Mutter Justine kam aus einer Aschaffenburger<br />

Juristenfamilie. Antonie widersetzte sich dem Wunsch der Eltern nach einer standesgemäßen<br />

Heirat; stattdessen entschied sie, einen Beruf zu erlernen und selbstständig zu werden.<br />

In München besuchte sie die Lehrerinnen-Bildungsanstalt. Nach absolvierter Prüfung arbeitete<br />

sie als Hilfslehrerin in Oberammergau, Lechhausen und Peiting. Später wirkte sie<br />

als Aushilfslehrerin und an der Fortbildungsschule für Kaufleute. Schließlich bekam Antonie<br />

Pfülf 1910 in München eine Anstellung als Lehrerin; dieser Beruf galt damals noch<br />

als Männerdomäne. 1902 trat sie in die SPD ein. Während des Ersten Weltkrieges übernahm<br />

Toni Pfülf eine ehrenamtliche Tätigkeit als Armen- und Waisenrätin. Sie half damit<br />

zahlreichen im Elend lebenden Familien oftmals auch mit eigenen Mitteln.<br />

Im November 1918 trat sie – ohne auf der Liste zu stehen – auf einer Sitzung des Arbeiterund<br />

Soldatenrates 520 im Münchner Mathäser-Festsaal vor das Rednerpult. Die Aufforderung<br />

des Sitzungsleiters Erich Mühsam, die Versammlung zu verlassen, kommentierte sie wie<br />

folgt: „Man kann mich nur mit Gewalt aus dem Sitzungssaal befördern, denn ich habe hier<br />

im Arbeiter- und Soldatenrat die Interessen der Frauen zu vertreten.“ 521 Mit Unterstützung<br />

des Kultusministers Johannes Hoffmann erhielt sie eine Kandidatur im Wahlkreis Oberbayern-Schwaben<br />

und wurde 1919 Abgeordnete in der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung.<br />

Besonders hervorzuheben ist ihr Einsatz für das Frauenwahlrecht und die<br />

Gleichberechtigung: auf einer Sitzung des Arbeiter- und Soldatenrates vertrat sie die Belange<br />

der Frauen (gerechter Lohnausgleich, Anpassung der Sozialhilfe) und mahnte die<br />

schlechte Versorgung von Kriegswaisen und Kriegsversehrten an. 1920 erhielt sie ein<br />

Reichstagsmandat; damit war Toni Pfülf die erste bayerische Reichstagsabgeordnete neben<br />

36 Frauen, die von anderen Ländern in die Nationalversammlung gewählt wurden.<br />

In der Zeit der Weimarer Republik von 1920–1933 wirkte sie als Reichstagsabgeordnete,<br />

engagierte sich beim Entwurf eines neuen Parteiprogramms, arbeitete am neuen Reichsschulgesetz<br />

mit und setzte sich für die Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten von Arbeiterkindern<br />

ein. Die Gleichberechtigung der Frau in Ehe, Beruf und Politik durchzuset-<br />

520 Gegründet 1918, um die provisorische Regierung von Kurt Eisner zu stützen.<br />

521 Volland, Eva Maria / Bauer, Reinhard (Hrsg.) (1991): München Stadt der Frauen: 120<br />

283


zen, war eines ihrer weiteren Hauptziele. Schon Anfang der zwanziger Jahre erkannte sie<br />

die Gefahren des aufkommenden Nationalsozialismus.<br />

Toni Pfülfs politische Laufbahn<br />

Von 1919–1924 vertrat die Sozialdemokratin den Wahlkreis Oberbayern-Schwaben und<br />

ab der dritten Wahlperiode den Wahlkreis Niederbayern-Oberpfalz, den sie bis zur 8.<br />

Wahlperiode 1933 inne hatte. Weil sie die Arbeiterschaft zum Widerstand gegen das NS-<br />

Regime aufforderte, wurde Toni Pfülf verhaftet. 522 Als Antwort auf den überraschenden<br />

Zuwachs der NSDAP-Wähler, die 1930 die stärkste Fraktion nach der SPD wurde, erschien<br />

ihre Broschüre: Die politische Wirksamkeit der Frau. Sie setzte sich auch für den<br />

„Weltfriedensbund der Mütter und Erzieherinnen“ ein. Eines ihrer politischen Anliegen<br />

war eine gebildete und politisch aufgeklärte Bevölkerung.<br />

In der Berliner Kroll-Oper nahm Toni Pfülf bei der Abstimmung über das „Gesetz zur Behebung<br />

der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933“ – des so genannten Ermächtigungsgesetzes<br />

– teil, dem die meisten SPD-Parlamentarier (94 von 120) im Gegensatz zu<br />

Vertretern der anderen Fraktionen nicht zustimmten. Der Vorsitzende der SPD Otto Wels<br />

hielt dort eine engagierte Rede; doch zur gleichen Zeit hatten bereits einige Parteigenossen<br />

in Gefängnissen und Konzentrationslagern ihre bürgerlichen Rechte verloren. Ende März<br />

1933 brachte Toni Pfülf die polizeilich gesuchten Berliner Parteigenossen Rudolf Hilferding<br />

und Tony Breitscheid über die Grenze in die Schweiz. Sie selbst kehrte jedoch wieder<br />

nach Deutschland zurück. 523 Während ihres letzten Berlin-Aufenthaltes sollte auch über<br />

die „Friedensresolution“ des Reichstags vom 17. März 1933 abgestimmt werden. Toni<br />

Pfülf wollte ihre Fraktion davon überzeugen, dass eine Teilnahme an der Reichstagssitzung<br />

verantwortungslos und unangemessen sei, weil Hitler dem Ausland deutsche Friedfertigkeit<br />

vortäusche. Sie konnte sich aber damit nicht durchsetzen und rief ihre Partei<br />

dazu auf, „... den Widerstand zu organisieren. Das ist es, was die Arbeiterklasse von uns<br />

erwartet!“ 524 Einem jungen Abgeordneten vertraute sie an: „Der mich aufwühlende Gedanke,<br />

daß die große Partei und das Millionenheer der Gewerkschaftler, daß ihr Männer<br />

nicht auf jedes Risiko hin Widerstand geleistet habt – der läßt mir keine Ruhe mehr.“ 525<br />

Den Ratschlag des Parteivorsitzenden Paul Löbe (1875–1967) zu emigrieren, verwarf sie:<br />

„Ich bin nicht der Mensch, der sich versteckt. Ich habe immer offen gekämpft. Aber nun<br />

ist es sinnlos geworden. Und den Weg, den Ihr jetzt geht, mag ich nicht mitgehen.“ 526 Toni<br />

522 Dertinger, Antje (1984): Dazwischen liegt nur der Tod: 155<br />

523 Dertinger, Antje (1984): Dazwischen liegt nur der Tod: 90f<br />

524 Dertinger, Antje (1984): Dazwischen liegt nur der Tod: 117<br />

525 Bayerisches Seminar für Politik e.V. (1988): Toni Pfülf 1877–1933: 12. Auch in: Vieregg, Hildegard<br />

(1992): Wächst Gras darüber?: 110<br />

526 Dertinger, Antje (1984): Dazwischen liegt nur der Tod: 119<br />

284


Pfülf setzte ihrem Leben am 8. Juni 1933 selbst ein Ende.<br />

Am 12. Juni 1933 fand ihre Bestattung auf dem Nordfriedhof statt. Das Grab wurde 1970<br />

aufgelassen.<br />

Ausstellung<br />

18. Juni – 11. Oktober 1998: Geschichte der Frauen in Bayern. Von der Völkerwanderung<br />

bis heute. Landesausstellung des Hauses der Bayerischen Geschichte in den Ausstellungshallen<br />

im Klenzepark in Ingolstadt.<br />

Ehrungen<br />

1986 Gedenktafel am Gewerkschaftshaus in Regensburg, Richard-Wagner-Straße.<br />

1988 „Antonie-Pfülf-Haus“, Geschäftsstelle der SPD in Regensburg.<br />

Antonie-Pfülf-Preis wird von den Bayerischen Sozialdemokraten alle zwei Jahre für<br />

„Verdienste um die Förderung der politischen Mitwirkung von Frauen in der SPD“<br />

verliehen.<br />

Literatur<br />

Bayerisches Seminar für Politik e.V. (1988): Toni Pfülf 1877–1933. München<br />

Bracher, Karl Dietrich (1955): Die Auflösung der Weimarer Republik. Ring Verlag, Stuttgart<br />

Bracher, Karl Dietrich (1987): Die Weimarer Republik 1918–1933. Droste Verlag, Düsseldorf<br />

Dertinger, Antje (1984): Dazwischen liegt nur der Tod. Leben und Sterben der Sozialistin Antonie Pfülf. Verlag<br />

J. H. W. Dietz, Berlin, Bonn<br />

Felder, Josef (1982): Mein Weg – Buchdrucker, Journalist, SPD-Politiker. In: Abgeordnete des Deutschen<br />

Bundestages. Aufzeichnungen und Erinnerungen. Band I. Boppard<br />

Felder, Josef (Hrsg.) (2000): Warum ich Nein sagte. Erinnerungen für ein langes Leben für die Politik. Pendo<br />

Verlag, München<br />

Hoegner, Wilhelm (1959): Der schwierige Außenseiter. Erinnerungen eines Abgeordneten, Emigranten und<br />

Ministerpräsidenten. Isar Verlag, München<br />

Hoegner, Wilhelm (1979): Die verratene Republik. Deutsche Geschichte 1919–1933. Nymphenburger Verlag,<br />

München<br />

Mommsen, Hans (1989): Die verspielte Freiheit. Der Weg der Republik von Weimar in den Untergang 1918–<br />

1933. Propyläen Verlag, Berlin<br />

Niggemann, Heinz (Hrsg.) (1981): Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, Frankfurt a. M.<br />

Pfülf, Antonie (1922): Kultur- und Schulpolitik. Erläuterungen zum Görlitzer Programm. Berlin<br />

Pfülf, Toni. In: ED 106 Walter Hammer, Band 55. IfZ-Archiv München<br />

Sontheimer, Kurt (1999): Die kurze Demokratie. In: Der Spiegel 1999 Nr. 33 v. 16.8.99: 64–73<br />

Specht, Annette von (1998): Geschichte der Frauen in Bayern: von der Völkerwanderung bis heute. Veröffentlichung<br />

zur bayerischen Geschichte und Kultur, Band 39. Friedrich Pustet Verlag, Regensburg<br />

Vieregg, Hildegard (1993): Wächst Gras darüber? MPZ-Themenhefte zur Zeitgeschichte. Universitätsdruckerei<br />

u. Verlag Dr. C. Wolf & Sohn, München<br />

285


Volland, Eva Maria (1988): Frauenleben und Frauenbewegung. Hrsg. v. DGB-Bildungswerk München<br />

Volland, Eva Maria (1992): Antonie Pfülf „... Die Interessen der Frauen vertreten.“ In: Mehringer, Hartmut<br />

(Hrsg.) (1992): Von der Klassenpartei zur Volkspartei. München: 187–191<br />

Volland, Eva Maria / Bauer, Richard (Hrsg.) (1991): München. Stadt der Frauen. Kampf für Frieden und<br />

Gleichberechtigung. 1800–1945. München, Zürich<br />

Winkler, Heinrich August (1993): Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. C.<br />

H. Beck Verlag, München<br />

286


Denkmal am Platz der Freiheit<br />

Foto: Andreas Olsen<br />

287<br />

Platz der Freiheit<br />

„Sie schrien vor dem Tod und ihre Leiber krallten sich an<br />

nassen, sturmgepeitschten Tauen und ihre Blicke schauten<br />

voller Grauen das Meer im Aufruhr, jäh entfesselter Gewalten.<br />

,Ihr ewigen, ihr guten, ihr erzürnten Götter,<br />

helft oder gebt ein Zeichen, das uns künde<br />

den, der euch kränkte mit geheimer Sünde,<br />

den Mörder oder Eidvergessnen oder Spötter,<br />

der uns zum Unheil seine Missetat verbirgt<br />

um seines Stolzes ärmlichen Gewissens!’<br />

So flehten sie. Und Jona sprach: ,Ich bin es!<br />

Ich sündigte vor Gott. Mein Leben ist verwirkt.


Tut mich von euch! Mein ist die Schuld. Gott zürnt mir sehr.<br />

Der Fromme soll nicht mit dem Sünder enden!‘<br />

Sie zitterten. Doch dann mit starken Händen<br />

verstießen sie den Schuldigen. Da stand das Meer.“<br />

Gedicht Jona von Dietrich Bonhoeffer, das er in Haft in Berlin-Tegel geschrieben und am<br />

8. Oktober 1944 an Eberhard Bethge übergeben hatte. 527<br />

I. Platz der Freiheit, Neuhausen<br />

Rotkreuzplatz U1 und Tram 12<br />

M (1962)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Laut Stadtratsbeschluss vom 5. Februar 1946 erfolgte die Umbenennung des Hindenburg-<br />

Platzes am 12. Februar 1946 in Platz der Freiheit.<br />

II. Denkmal am Platz der Freiheit<br />

Rotkreuzplatz U1 und Tram 12<br />

M (1985)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Auf Initiative der Gruppe Neuhausen stellte die SPD-Fraktion im 28. Stadtbezirk am 13.<br />

Mai 1985 den Antrag, anlässlich des 40. Jahrestag des Kriegsendes auf dem Platz der Freiheit<br />

eine Gedenktafel aufzustellen. Der neu gestaltete Gedenkstein, – der sich bisher auf<br />

dem Platz der Opfer des Nationalsozialismus befand – wurde am 16. November 1985 vom<br />

Münchner Bürgermeister Dr. Klaus Hahnzog der Öffentlichkeit übergeben.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Ein behauener Steinblock aus Flossenbürger Granit (2,6 m Höhe × 1,10 m Breite) steht<br />

auf einen von Bäumen und Hecken gesäumten Platz und trägt die Inschrift: „Den Opfern<br />

im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“.<br />

527 Bethge, Eberhard u. Renate (Hrsg.) (1984): Letzte Briefe im Widerstand: 125–126<br />

288


INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Gedenkstein und Schrift schuf der akademische Bildhauer Karl Oppenrieder.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Im Jahre 1890 wurde die an der westlichen Peripherie Münchens gelegene Gemeinde<br />

Neuhausen eingemeindet. Heute bezieht der Stadtteil Neuhausen die Ortsteile Nymphenburg<br />

und Gern mit ein. An die Opfer des Widerstands erinnert das Denkmal auf dem im<br />

Jahre 1946 umbenannten Platz der Freiheit. Im Jahre 1992 informierte eine von der Landeshauptstadt<br />

angeregte Ausstellung mit dem Titel: „Hitler war kein Betriebsunfall! Die<br />

,Hauptstadt der Bewegung´ im Stadtteil Neuhausen“ über diese Zeit. Die Mitglieder der<br />

„Geschichtswerkstatt Neuhausen e. V.“ publizierten dazu ein Begleitbuch.<br />

Literatur<br />

Geschichtswerkstatt Neuhausen e.V. (Hrsg.) (1993): Zum Beispiel Neuhausen 1918–1933. Die nationalsozialistische<br />

„Kampfzeit“ in einem ehemaligen Stadtteil der „Hauptstadt der Bewegung“. Buchendorfer Verlag,<br />

München<br />

Horn, Heinrich / Karl, Willibald (1989): Neuhausen, Geschichte und Gegenwart. Hrsg. v. Richard Bauer, Hugendubel<br />

Verlag, München<br />

Mehringer, Helmut (1985): Bayern in der NS-Zeit, Band 5. München, Wien<br />

289


Platz der Opfer des Nationalsozialismus, Maxvorstadt<br />

Odeonsplatz U3/U6 und Bus 53<br />

M (1965 und 1985)<br />

Platz der Opfer des Nationalsozialismus<br />

290<br />

Denkmal am Platz der Opfer des Nationalsozialismus<br />

Foto: A. Olsen


I. Denkmal<br />

M (1965)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Laut Stadtratsbeschluss erfolgte am 9. September 1946 die Benennung des Rondells am<br />

Schillerdenkmal an der Brienner Straße in „Platz der Opfer des Nationalsozialismus“. Am<br />

3. November 1964 beantragte die SPD-Fraktion im Stadtrat der Landeshauptstadt München,<br />

dort ein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus zu errichten. Es konnte am<br />

8. November 1965 vom Münchner Oberbürgermeister Dr. Hans-Jochen Vogel enthüllt<br />

werden.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Der zweieinhalb Meter hohe Gedenkstein aus Flossenbürger Granit trug die Inschrift:<br />

„Den Opfern des Nationalsozialismus“. Dieser Gedenkstein wurde im Jahre 1985 an den<br />

Platz der Freiheit (siehe Band 2: Platz der Freiheit) verlagert.<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Den Gedenkstein schuf der akademische Bildhauer Karl Oppenrieder.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Nach der Errichtung des Denkmals war eine Gedenkstätte auf dem Gelände des im Jahre<br />

1949/50 abgerissenen Wittelsbacher Palais geplant.<br />

II. Denkmal<br />

M (1985)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Die Anträge der Fraktionen der FDP und CSU vom 8. Januar 1980 beziehungsweise vom<br />

31. Januar 1983 im Münchner Stadtrat auf Errichtung eines Denkmals am Platz der Opfer<br />

des Nationalsozialismus wurden genehmigt.<br />

Oberbürgermeister Georg Kronawitter übergab am 8. November 1985 das Denkmal der<br />

Öffentlichkeit.<br />

291


KURZBESCHREIBUNG<br />

Auf einer Basaltsäule ruht ein aus Stahl geschmiedetes Kerkergitter, in dem eine Gasflamme<br />

brennt. Das sechs Meter hohe Denkmal trägt die Inschrift: „Den Opfern der Nationalsozialistischen<br />

Gewaltherrschaft“.<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Der Entwurf des Bildhauers Andreas Sobeck wurde aus hundert eingereichten Arbeiten<br />

ausgewählt. „Eine einfache Säule trägt einen zeichenhaften Kerker, in dem ein Feuer<br />

brennt. Das Feuer als Zeichen des Lebendigen gegenüber der starren Struktur der Ideologie.<br />

Feuer als Fackel der Freiheit – als ewiges Licht des Gedenkens – als Funken der<br />

Hoffnung – als Lebenselement, das es zu bewahren gilt.“ Andreas Sobeck (1984)<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Das Denkmal hat einen unmittelbaren Ortsbezug zur ehemaligen Gestapo-Zentrale, die<br />

auf dem Gelände der heutigen Bayerischen Landesbank eingerichtet war. Dort stand damals<br />

das Wittelsbacher Palais (siehe Band 3: Wittelsbacher Palais), in dem von Herbst<br />

1933 bis Kriegsende die Bayerische Politische Polizei (PolP) und die Geheime Staatspolizei<br />

(Gestapo) ihren Sitz hatten.<br />

292


293<br />

Politische Opfer<br />

Gedenkstätte für politische Opfer auf dem Ostfriedhof<br />

Foto: A. Olsen


Gedenkstätte<br />

Ostfriedhof, Gräberfeld 148a, Obergiesing<br />

St. Martinstraße S1/S2<br />

M (1958)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Die Gedenkstätte wurde laut Stadtratsbeschluss vom 22. April 1958 errichtet.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Die Urnenanlage ist mit einer zweieinhalb Meter hohen, aus dunklem Wölsauer Syenit bestehenden<br />

Gedenkstele gekennzeichnet; sie trägt die Inschrift: „Für ihre Überzeugung haben<br />

unter der politischen und geistigen Unterdrückung der Jahre 1933–1945 tapfere<br />

Frauen und Männer ihr Leben geopfert. Ehre ihrem Andenken.“<br />

Die Stele wurde im Jahre 1997 von der Landeshauptstadt München restauriert.<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Diesen Gedenkstein schuf der Bildhauer Konstantin Frick.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Hier befinden sich die Urnen der im Zusammenhang mit dem so genannten „Röhm-<br />

Putsch“ von Ende Juni bis Anfang Juli 1934 von SS-Offizieren auf Befehl Hitlers ermordeten<br />

Konkurrenten und Gegner des Nationalsozialismus. 528<br />

Unter ihnen befand sich der im KZ Dachau erschossene Fritz Gerlich (siehe Band 1: Gerlich),<br />

Herausgeber der Zeitschrift Der gerade Weg. In Berlin zählten General Kurt Schleicher<br />

und dessen Ehefrau zu den Opfern. Die Gesamtzahl der Ermordeten betrug 87 Männer<br />

und drei Frauen. 529 Diese Morde ließ Hitler per „Gesetz über Maßnahmen zur Staatsnotwehr<br />

vom 30. Juli 1934“ für rechtens erklären. Mit diesem Gesetz wurde Hitler zum<br />

„obersten Gerichtsherrn des deutschen Volkes“. Die Diktatur war gefestigt, als nach dem<br />

Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 2. August 1934 die Offiziere und<br />

Soldaten den Führereid schwören mussten.<br />

528 Unter dem Vorwand eines geplanten Putsches ließ Hitler den SA-Chef Ernst Röhm und andere SA-Führer<br />

festnehmen und ermorden.<br />

529 Gritschneder, Otto (1993): Der Röhmputsch am 30. Juni 1934. In: München – „Hauptstadt der Bewegung“:<br />

228<br />

294


Literatur<br />

Aretin, Otmar von / Cartarius, Ulrich (1994): Opposition gegen Hitler. Bilder, Texte, Dokumente. Sammlung<br />

Siedler, Berlin<br />

Gritschneder, Otto (1993): „Der Führer hat Sie zum Tode verurteilt ...“. Hitlers „Röhm-Putsch“-Morde vor<br />

Gericht. C. H. Beck Verlag, München<br />

Gritschneder, Otto (1993): Der „Röhm-Putsch“ am 30. Juni 1934. In: München – „Hauptstadt der Bewegung“.<br />

Ein Projekt des Münchner Stadtmuseums. Klinkhardt & Biermann, München: 228<br />

Detjen, Marion (1998): „Zum Staatsfeind ernannt ...“ Widerstand, Resistenz und Verweigerung gegen das NS-<br />

Regime in München. Landeshauptstadt München (Hrsg.). Buchendorfer Verlag, München<br />

Richardi, Hans-Günter / Schumann, Kurt (1993): Geheimakte Gerlich / Bell. Röhms Pläne für ein Reich ohne<br />

Hitler. Ludwig Verlag, München<br />

295


Grabanlage<br />

Friedhof Perlacher Forst, Gräberfeld 112, Giesing<br />

Stadelheimer Straße 240<br />

Schwanseestraße Tram 27<br />

M (1998)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

296<br />

Polnische Kriegsopfer<br />

Grabanlage für polnische Kriegsopfer<br />

Foto: A. Olsen<br />

Die in Metallsärgen bestatteten polnischen Kriegsgefangenen waren 1947 in der Krypta<br />

des Westfriedhofes beigesetzt worden. Nach 50-jähriger Ruhefrist wurde eine Rückfüh-


ung nach Polen in Erwägung gezogen. Nach einem Stadtratsbeschluss von 1997, die Opfer<br />

hier zu bestatten, setzten sich der Volksbund für Kriegsgräberfürsorge, das polnische<br />

Konsulat und die Landeshauptstadt München dafür ein, sie auf dem Friedhof Perlacher<br />

Forst zu bestatten. Dieser Ort steht im räumlichen Bezug zur Displaced-Persons-Grabanlage<br />

(siehe Band 1: Displaced Persons), in der polnische Zwangsarbeiter ihre letzte Ruhestätte<br />

haben. Die Einweihung fand im Beisein des polnischen Generalkonsuls Dariusz<br />

Laska am 10. Mai 1998 statt.<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

Auf einer Fläche von 9 m × 4,2 m sind die neun Gräber mit pultförmigen Steinplatten<br />

(0,4 m × 0,42 m) gekennzeichnet, in die Namen und Lebensdaten eingraviert wurden. Ergänzt<br />

wird die Grabreihe durch eine quadratische Steinplatte mit den Maßen 1,5 m ×<br />

1,5 m × 0,35 m. In sie ist das Nationalsymbol Polens eingraviert. Unter dem Adler ist folgende<br />

Inschrift in polnischer und deutscher Sprache zu lesen:<br />

„Diese Soldaten konnten nicht heimkehren. Heimaterde aus Polen deckt ihr Grab.“<br />

Stanislaw Pilch *30.4.1925 †22.4.1947<br />

Dr. Marian Dembinski *? †1.1947<br />

Marian Wisniewski *1908 †7.1946<br />

Jan Mroczek *10.7.1927 †23.4.1947<br />

Wladyslaw Niezgoda *5.4.1922 †22.4.1947<br />

Zdzislaw Sowa *1921 †8.1946<br />

Wiktor Kubata *1923 †11.1946<br />

Prof. Dr. Wladyslaw Radwanowicz *1891 †7.1947<br />

Tadeusz Szszap *1920 †6.1947<br />

Weitere Recherchen waren zum Zeitpunkt der Bearbeitung (Februar 2003) noch nicht abgeschlossen.<br />

INFORMATION ÜBER DEN KÜNSTLER<br />

Das Mahnmal hat ein Warschauer Künstler geschaffen.<br />

297


Inschrift der Gedenktafel für<br />

die Süddeutsche Zeitung<br />

Foto: H. Engelbrecht<br />

Gedenktafel für Fritz Gerlich<br />

Foto: H. Engelbrecht<br />

Inschrift auf der Gedenktafel für den<br />

„Geraden Weg“, die „Münchner Post“ und<br />

die „Münchner Neueste Nachrichten“<br />

Foto: H. Engelbrecht<br />

298<br />

Presse


I. Gedenktafel<br />

Hofstatt<br />

Marienplatz U3/U6 und S1-S 8<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

An der linken Gebäudewand vor dem Eingang zum Süddeutschen Verlag befindet sich<br />

eine Bronzegusstafel (0,75 m × 0,60 m) mit dem Text: „Am 9. und 13. März 1933 wurden<br />

Der gerade Weg, Münchner Post, Münchner Neueste Nachrichten zerstört, entmachtet,<br />

enteignet.“<br />

II. Gedenktafel<br />

„Süddeutsche Zeitung“<br />

KURZBESCHREIBUNG<br />

An der linken Gebäudewand vor dem Eingangstor zum Süddeutschen Verlag befindet sich<br />

eine weitere Gedenktafel (0,75 m × 0,66 m) mit folgendem Text: „Das freie Wort überlebte:<br />

Süddeutsche Zeitung. Durch keine Zensur gefesselt, durch keinen Gewissenszwang<br />

geknebelt Nr. 1 vom 6. Oktober 1945. Für Freiheit Wahrheit und Recht.“<br />

Zu I. Gedenktafel<br />

„Der gerade Weg“<br />

Fritz Gerlich (siehe Band 1: Gerlich), der gegen die Nationalsozialisten kämpfte, gründete<br />

mit finanzieller Unterstützung des Fürsten Erich von Waldsburg zu Zeil die Wochenzeitschrift<br />

„Illustrierter Sonntag“. Zum politischen Organ umgestaltet, trug sie den Titel „Der<br />

gerade Weg“. Als Redakteur der Zeitschrift nahm Gerlich den Kampf gegen die nationalsozialistischen<br />

Machthaber auf, die er als „verbrecherische Hetzer“ und die neue Bewegung<br />

als „Pest“ verurteilte.<br />

Am 9. März 1933 überfielen die SA-Trupps die Redaktionsräume und zerstörten Archive<br />

und Inventar. Fritz Gerlich, der es abgelehnt hatte, zu fliehen, kam in Haft und wurde<br />

schwer misshandelt. Er konnte es nicht fassen und rief seinen Peinigern zu: „Mich schlagen!<br />

Mich! Einen Gründer der Vaterlandsbewegung.“ 530 Seit Juni 1933 war er im Ge-<br />

530 Large, David Clay (1998): Hitlers München: 308<br />

299


fängnis München-Stadelheim inhaftiert. Im Zusammenhang mit dem „Röhmputsch“ verschleppten<br />

ihn SA-Trupps in das KZ Dachau und ermordeten ihn dort.<br />

„Münchner Post“<br />

Die „Münchner Post“ war die Parteizeitung der Münchner SPD, die das Gebäude am Altenheimer<br />

Eck 19 (heute 13) am 1. Januar 1890 erworben hatte. Es beherbergte Parteileitung,<br />

Druckerei und Verlag. Ab 1910 war Kurt Eisner, der erste bayerische Ministerpräsident<br />

in spe, Redakteur bei der „Münchner Post“. In der Weimarer Republik verhielt sich<br />

die „Münchner Post“ regierungskonform und vertrat die politischen Interessen der Arbeiterklasse.<br />

Die klare Gegnerschaft zu den Nationalsozialisten führte bereits im November<br />

1923 im Zusammenhang mit dem Hitlerputsch zur Zerstörung der Druckerei- und Redaktionsräume<br />

durch Hitleranhänger. Trotz des erlittenen Unrechts ließen sich die Verantwortlichen<br />

dieser Zeitung nicht von ihrer antinationalsozialistischen Haltung abbringen.<br />

So konnte man am 6. März 1933 noch in der „Münchner Post“ lesen, sie stehe trotz eines<br />

vorausgegangenen Verbots „unerschüttert“ zu ihrer Haltung.<br />

Als am Abend des 9. März 1933 auf Befehl des neuen Reichskommissars von Epp SA-<br />

Trupps das Haus überfielen, die Räume demolierten, das Inventar auf die Straße warfen<br />

und verbrannten, war Wilhelm Hoegner (siehe Band 1: Hoegner) Augenzeuge dieses Verbrechens.<br />

531 Einige Tage später übernahmen die neuen Machthaber das Gebäude der<br />

„Münchner Post“ als SA-Heim.<br />

Als Entschädigung für das Gebäude der „Münchner Post“, das Eigentum der SPD war, erhielt<br />

im Herbst 1947 der Landesverband der SPD Bayern das Schloss Aspenstein am Kochelsee<br />

zugesprochen, in dem sich heute die „Georg-von-Vollmar-Akademie“ befindet.<br />

„Münchner Neueste Nachrichten“ (MNN)<br />

Die während der Revolution von 1848 gegründete Zeitung vertrat eine liberale und aufgeklärte<br />

Haltung. Politisch unterstützten die MNN die Käfte der Republik nach Ablösung<br />

der Monarchie. Ein programmatischer Wandel folgte aus der Übernahme der Zeitschrift<br />

durch Industrielle, Aristokraten und Politiker der Bayerischen Volkspartei. Mit<br />

dem 31. Mai 1920 schloss sich die Redaktion der „Dolchstoßlegende“ an, unterstützte<br />

politisch rechts gerichtete Kreise und trug damit zur Etablierung des Nationalsozialismus<br />

bei. Der politische Leiter der Zeitung Nikolaus Cossmann (1869–1942) war vom<br />

jüdischen zum katholischen Bekenntnis konvertiert und galt als fanatischer Nationalist.<br />

Fritz Gerlich war bei den MNN Chefredakteur und propagierte bis 1928 antidemokratische<br />

und nationalistische Ziele. Obwohl die MNN den Aufstieg der NSDAP zunächst<br />

531 Hoegner, Wilhelm (1979): Flucht vor Hitler: 105<br />

300


mit getragen hatte, distanzierte sie sich zunehmend Ende der dreißiger Jahre vom sich<br />

ausbreitenden Rechtsterror.<br />

Am 13. März 1933 verhaftete die Münchner Polizei alle Mitglieder der Redaktion der<br />

MNN. Der innenpolitische Redakteur Erwein von Aretin und der Chefredakteur Paul Nikolaus<br />

Cossmann blieben bis Mai 1934 im Gefängnis München-Stadelheim in Haft. Cossmann<br />

kam in das KZ Theresienstadt, wo er am 19. Oktober 1942 starb.<br />

Zu II. Gedenktafel<br />

„Süddeutsche Zeitung“<br />

Die erste Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ ging am 6. Oktober 1945 in den Räumen<br />

der ehemaligen „Münchner Neuesten Nachrichten“ in Druck. Als Druckplatten wurden<br />

die neu eingeschmolzenen Bleiplatten verwendet, mit denen vordem Hitlers Mein Kampf<br />

gedruckt wurde. Nun konnte die „Süddeutsche Zeitung“ zunächst zweimal wöchentlich<br />

erscheinen. 532 Die Auflage für München und Umgebung betrug 300000. Die Herausgeber<br />

waren Edmund Goldschagg, Franz Joseph Schöning und August Schwingenstein. Die<br />

Zensur oblag dem Kommandeur der amerikanischen Nachrichtenkontrolle, Oberst<br />

McMahon. Mit dem Aufbau einer demokratischen Presse im Nachkriegsdeutschland<br />

konnte wesentlich zur Demokratisierung beigetragen werden.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

In Bayern eroberten die Nationalsozialisten am 9. März 1933 die Macht. Voraus ging der<br />

vergebliche Versuch des bayerischen Ministerpräsidenten Heinrich Held, mit der NSDAP<br />

eine Regierungskoalition zu bilden. Vom Reichsinnenminister Wilhelm Frick war Franz<br />

Ritter von Epp zum Reichskommissar für Bayern ernannt worden; die Chefposten im Justiz-<br />

und Innenministerium wurden an Hans Frank und Adolf Wagner vergeben. Die bestehende<br />

Regierung musste am 16. März 1933 zurücktreten. Das Münchner Rathaus besetzte<br />

die SA und hisste dort die Hakenkreuzfahne. Der seit 1925 amtierende Oberbürgermeister<br />

Karl Scharnagl räumte vier Tage später seinen Platz.<br />

Für die deutsche Presse war der Pressechef der NSDAP Otto Dietrich zuständig. Eine zentrale<br />

Rolle nahm Max Amann ein, der in Personalunion Präsident der Reichskammer und<br />

zudem Leiter des Eher-Verlags war. Damit kontrollierte er auch den in dem Verlag erscheinenden<br />

„Völkischen Beobachter“. Diese Zeitung, die im Jahre 1887 unter dem Namen<br />

„Münchener Beobachter“ gegründet wurde – war nach NSDAP-Angaben das<br />

532 Bauer, Richard et al. (1986): München. Schicksal einer Großstadt: 146<br />

301


„Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung“. Dieses Massenblatt diente nach der<br />

Machtergreifung – neben Rundfunk und Film – als Zentralorgan der Partei der Medien<br />

und verbreitete die offiziellen Verlautbarungen der neuen Machthaber. Die letzte Ausgabe<br />

erschien am 30. April 1945.<br />

Literatur<br />

Aretin, Erwein Freiherr von (1983): Fritz Michael Gerlich. Lebensbild eines Publizisten und christlichen Widerstandskämpfers.<br />

München<br />

Eiber, Ludwig, (1993): Konzentrationslager Dachau – verfolgte Opposition. In: München – „Hauptstadt der<br />

Bewegung. Ein Projekt des Münchner Stadtmuseums. Klinkhardt & Biermann, München: 245–246<br />

Hess, Herbert (1995): 50 Jahre Süddeutsche Zeitung. Süddeutscher Verlag, München<br />

Hess, Herbert (1997): Eine Zeitung entsteht. In: Münchner Nachkriegsjahre. Lesebuch zur Geschichte des<br />

Münchner Alltags. Geschichtswettbewerb 1995/96. Hrsg. v. d. Landeshauptstadt München. Buchendorfer<br />

Verlag, München: 141–147<br />

Hoegner, Wilhelm (1979): Flucht vor Hitler. Erinnerungen an die Kapitulation der ersten deutschen Republik<br />

1933. Nymphenburger Verlag, München<br />

Hoegner, Wilhelm (1979): Die verratene Republik. Deutsche Geschichte 1919–1933. Nymphenburger Verlag,<br />

München<br />

Large, David Clay (1998): Hitlers München. Aufstieg und Fall der Hauptstadt der Bewegung. C. H. Beck Verlag,<br />

München<br />

Schönhoven, Klaus / Vogel, Hans-Jochen (Hrsg.) (1998): Frühe Warnungen vor dem Nationalsozialismus. Ein<br />

historisches Lesebuch. Dietz Verlag, München<br />

Ulbricht, Justus, H. (1993): Völkische Publizistik in München. Verleger, Verlage und Zeitschriften im Vorfeld<br />

des Nationalsozialismus. In: München – „Hauptstadt der Bewegung“. Ein Projekt des Münchner Stadtmuseums.<br />

Klinkhardt & Biermann, München: 131–136<br />

Weidisch, Peter (1993): Der „Völkische Beobachter“. Zentralorgan der NSDAP. In: München – „Hauptstadt<br />

der Bewegung“. Ein Projekt des Münchner Stadtmuseums. Klinkhardt & Biermann, München: 139–140<br />

Weyerer, Benedikt (1996): München 1919–1933. Stadtrundgänge zur politischen Geschichte. Buchendorfer<br />

Verlag, München<br />

302


Probst, Hermann Christoph Armando<br />

*6.11.1919 Murnau †22.2.1943 München-Stadelheim<br />

„Sollen dem Sendboten des Hasses und des Vernichtungswillens alle Deutschen geopfert<br />

werden! ... Hitler und seine Regime muß fallen, damit Deutschland weiter lebt.“<br />

Aus dem Entwurf zum siebten Flugblatt der „Weißen Rose“, das Christoph Probst am 28./<br />

29. Januar 1943 entworfen hatte. 533<br />

Christoph Probst<br />

Foto: Süddeutscher Verlag<br />

Gedenktafel im Justizpalast,<br />

Prielmayerstraße 3<br />

(„Weiße Rose“)<br />

Foto: A. Olsen<br />

533 Vieregg, Hildegard (1993): Wächst Gras darüber?: 234<br />

303


I. Gedenktafel im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität, II. Stock<br />

(„Weiße Rose“)<br />

Universität U3/U6<br />

M (1946)<br />

II. Christoph-Probst-Straße, Freimann<br />

M (1947)<br />

III. Mahnmal im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität („Weiße Rose“)<br />

Universität U3/U6<br />

M u. LMU (1958)<br />

IV. Bodendenkmal am Haupteingang der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

(„Weiße Rose“)<br />

Universität U3/U6<br />

M (1988)<br />

V. Gedenktafel im Justizpalast, Prielmayerstraße 3 („Weiße Rose“)<br />

Karlsplatz (Stachus)<br />

S1–S8 und Tram 19/20/27<br />

M (1993)<br />

VI. Christoph-Probst-Gymnasium Gilching<br />

Gilching-Argelsried S5<br />

KM (1992)<br />

VII. DenkRaum in der Ludwig-Maximilians-Universität („Weiße Rose“)<br />

Universität U3/U6<br />

M u. Weiße Rose Stiftung (1997)<br />

304


VIII. Grabmal auf dem Friedhof Perlacher Forst 73/1/18<br />

Schwanseestraße Tram 27<br />

M (1943, 1992)<br />

IX. Christoph-Probst-Straße in Murnau am Staffelsee, Oberbayern<br />

Murnau (1983)<br />

X. Gedenksäule im Staffelsee-Gymnasium Murnau, Oberbayern<br />

Murnau (1993) 534<br />

XI. Gedenktafel am Ehrenmal der Universität Innsbruck<br />

Innsbruck (1985)<br />

Zu VI. Christoph-Probst-Gymnasium Gilching<br />

Talhofstraße 7, 82205 Gilching<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Auf Initiative der Schulleitung erhielt das Christoph-Probst-Gymnasium am 1. August<br />

1992 diesen Namen. Die Namengebungsfeier fand am 16. Februar 1993 im Beisein der<br />

Witwe Herta Siebler-Probst und der beiden Söhne Sebastian und Dr. Michael Probst statt.<br />

DENKMAL<br />

In der Schulaula steht seit dem 21. November 1994 eine von der Kunsterzieherin Brigitte<br />

Renner geschaffene Bronze-Porträtbüste von Christoph Probst.<br />

SCHULINTERNE SCHRIFTEN<br />

Christoph-Probst-Gymnasium (Hrsg.) (1993): Wir müssen es wagen. Christoph Probst<br />

1919–1943.<br />

534 Markt-Archiv Murnau<br />

305


INITIATIVEN<br />

Die Gymnasiumsanfänger bekommen am ersten Schultag Informationen über den Namen<br />

ihrer Schule; ein Schülervater verteilt weiße Rosen. Außerdem findet jährlich am 27. Januar<br />

ein Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus statt. Referate, Vortrags- und<br />

Diskussionsveranstaltungen mit prominenten Persönlichkeiten werden organisiert, ebenso<br />

Zeitzeugen-Gespräche.<br />

Zu IX. Christoph-Probst-Straße in Murnau am Staffelsee<br />

Murnau (1983)<br />

ANLASS UND ENTSTEHUNG<br />

Auf Initiative des Murnauer Bürgers Jakob Thannhuber wurde in der Nähe des heute noch<br />

erhaltenen Geburtshauses von Christoph Probst, der „Leitner-Buck-Villa“ an der Kohlgruberstraße<br />

20, eine Straße nach ihm benannt.<br />

Zu X. Gedenksäule im Staffelsee-Gymnasium Murnau , Oberbayern<br />

Murnau (1993) 535<br />

Anlass und Entstehung<br />

Die Bildhauerin Renate Deck schuf für Christoph Probst drei Gedenksäulen. Eine dieser<br />

Säulen befindet sich im Murnauer Staffelsee-Gymnasium. Ihre Enthüllung fand im Rahmen<br />

einer Feier im Beisein der Witwe Herta Siebler-Probst und seinem Sohn Dr. Michael<br />

Probst am 2. März 1993 statt.<br />

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG<br />

Christoph Probst wurde am 6. November 1919 als Sohn von Hermann Probst und seiner<br />

Frau Ruth (geb. von der Bank) in Murnau geboren. Sein Vater war Privatgelehrter, der<br />

sich mit Philosophie und Religionen des Orients beschäftigte. Zusammen mit seiner älteren<br />

Schwester Angelika (*7. April 1918 in München) erhielt er von seiner Mutter bis zum<br />

Eintritt ins Gymnasium Unterricht. Die Geschwister waren nicht getauft worden, da sie<br />

nach Ansicht ihres Vaters darüber selbst entscheiden sollten. Der Vater vermittelte den<br />

beiden Kindern Angelika und Christoph, genannt Christel, beim Wandern das Verständnis<br />

535 Markt-Archiv Murnau<br />

306


für die Natur und brachte ihnen Mystik und Philosophie nahe. Während seiner Gymnasialzeit<br />

in München lernte Christoph Alexander Schmorell kennen, mit dem ihm eine „unzerreißbare“<br />

Freundschaft verband. Von seinen Lehrern wurde er, in einem Gutachten<br />

zum Reifezeugnis, das er 17-jährig erhielt, wie folgt charakterisiert: „... Die Erwachsenen<br />

schätzten vom ersten Tage an sein vornehmes Wesen, während manche Kameraden erst<br />

später die Vorzüge seiner geistig ausgeprägten, gelegentlich lehrhaften, doch stets bescheidenen<br />

Art erkannten und anerkannten ... Mit echter geistiger Lebendigkeit nahm er<br />

im Gespräch wie im Unterricht an allen Fragen der Wissenschaft und des Lebens verständigen<br />

Anteil und überraschte uns oft durch sein selbständiges und reifes Urteil. Seine besondere<br />

Neigung gehörte den Naturwissenschaften, vor allem der Astronomie; hier verstand<br />

er sich auf eigene Faust systematisch fortzubilden.“ 536<br />

Nach der Scheidung der Eltern und der Wiederverheiratung des Vaters schloss sich Probst<br />

noch mehr seiner Schwester Angelika an, mit der er in einem Landschulheim in Schondorf<br />

am Ammersee aufwuchs. Vor dem Beginn des Medizinstudiums leistete er seinen Arbeitsund<br />

Wehrdienst. Sein besonderes Interesse galt neben den Naturwissenschaften der Literatur<br />

und Musik. Die Meinung über die „existentielle Bedeutung“ dieser Interessen beschrieb<br />

er in einem Brief an seinen Halbbruder so: „... daß gerade der geistige Mensch<br />

mehr ertragen kann, da er – wenn er physisch behindert ist und leidet – gerade ja das<br />

Reich des Geistes besitzt, in dem er noch voll leben kann.“ 537 Christoph Probst begann ab<br />

dem Sommersemester 1939 mit dem Studium der Medizin in München und lernte dabei<br />

Hans Scholl und später Sophie Scholl (siehe Band 3: Scholl) kennen. Er nahm im Atelier<br />

des Architekten Eickemeyer an den literarischen Abenden teil, schloss sich den Aktionen<br />

der „Weißen Rose“ an und half beim Vervielfältigen und Verteilen der Flugblätter. Im Alter<br />

von 21 Jahren heiratete er Herta Dohrn, die Tochter des regimekritischen Privatgelehrten<br />

Harald Dohrn (siehe Band 1: Dohrn), mit der er drei Kinder hatte. Wegen seiner familiären<br />

Verpflichtungen sollte er nicht in gefährliche Aktionen der „Weißen Rose“ verwickelt<br />

werden. Während seine übrigen Freunde zur Famulaturzeit nach Russland geschickt<br />

wurden, diente er in einem Luftwaffenlazarett am Eibsee bei Garmisch-Partenkirchen und<br />

in Innsbruck. Von dort aus konnte er seine Familie besuchen, die in Lermoos in Tirol<br />

wohnte. An den Aktionen der „Weißen Rose“ wirkte er weiter mit und bekam von Hans<br />

Scholl die Anregung, ein neues Flugblatt (das siebte) zu verfassen.<br />

Februar 1943<br />

Nach der Verhaftung der Geschwister Scholl fand die Gestapo dieses von Christoph<br />

Probst verfasste siebte Flugblatt bei Hans Scholl. Die Gestapo konnte den Verfasser er-<br />

536 Schmorell, Erich (1994): Ansprache zur Feier der Enthüllung der Büste von Christoph Probst: 15–16<br />

537 Der deutsche Widerstand. Informationen zur politischen Bildung (1987) Nr. 160: 21<br />

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mitteln. Seine Verhaftung erfolgte am 20. Februar, als er einen Urlaubsschein zum Besuch<br />

seiner Frau holen wollte, die gerade ihr drittes Kind geboren hatte. Zusammen mit Hans<br />

und Sophie Scholl wurde er am 22. Februar 1943 zum Tode verurteilt und am gleichen<br />

Tag in München-Stadelheim mit dem Fallbeil hingerichtet. Im Angesicht des Todes hatte<br />

er sich noch taufen lassen. Im Abschiedsbrief an seine Schwester hieß es: „Vergiß nicht,<br />

daß das Leben nichts anderes ist als das Wachsen in der Liebe und eine Vorbereitung auf<br />

die Ewigkeit.“ 538<br />

Ehrungen<br />

Anfang November findet ein jährlicher Gedenktag für die Mitglieder der „Weißen Rose“<br />

in der Ludwig-Maximilians-Universität München statt.<br />

Filme<br />

1980 Rückkehr nach Murnau. Regie Pierre Guy.<br />

1982 Die weiße Rose. Regie Michael Verhoeven.<br />

1982 Die letzten fünf Tage. Regie Percy Adlon<br />

Literatur<br />

Breyvogel, Wilfried (1991): Die Gruppe „Weiße Rose“. Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte und kritische<br />

Rekonstruktion. In: Breyvogel, Wilfried (Hrsg.) (1991): Piraten, Swings und Junge Garde. Jugendwiderstand<br />

im Nationalsozialismus. Bonn: 159–200<br />

Dohrn, Klaus (1983): Von Bürgern und Weltbürgern. Eine Familiengeschichte. Verlag Günther Nerke,<br />

Pfullingen: 256–259<br />

Drobitsch, Klaus / Fischer, Gerhard (Hrsg.) (1980): Ihr Gewissen gebot es. Christen im Widerstand gegen den<br />

Hitlerfaschismus. Berlin<br />

Haberl, Gerhard (1993): Christoph Probst und die „Weiße Rose“. In: Jahresbericht 1992/93 des Staffelsee<br />

Gymnasiums Murnau: 6-10<br />

Hamm-Brücher, Hildegard (1997): „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit“. Die „Weiße Rose“ und unsere<br />

Zeit. Aufbau Verlag, Berlin<br />

Huch, Ricarda (1998): In einem Gedenkbuch sammeln. Bilder deutscher Widerstandskämpfer. Hrsg. v. Wolfgang<br />

Matthias Schwiedrzik. Leipziger Universitäts Verlag, Leipzig<br />

Der deutsche Widerstand 1933–1945. Information für politische Bildung (1987) Nr. 160. Hrsg. v. d. Bundeszentrale<br />

für politische Bildung, Bonn, Franzis-Verlag, München: 18–21<br />

Jens, Inge (Hrsg.) (1984): Hans Scholl, Sophie Scholl. Briefe und Aufzeichnungen. S. Fischer Verlag, Frankfurt<br />

a. M.: 298<br />

Knoop-Graf, Anneliese (1993): Literatur zur „Weißen Rose“. Beiträge zur Spurensicherung des Jugendwiderstands.<br />

In: Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung (1982/83) Nr. 14: 323–327<br />

538 Huch, Ricarda (1998): In einem Gedenkbuch sammeln ...: 113<br />

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Maier, Hans (1988): Christlicher Widerstand im Dritten Reich. Gedächtnisvorlesung „Weiße Rose“. In: Chronik<br />

der Ludwig-Maximilians-Universität 1986/88. München: 108–116<br />

Probst, Michael (1984): Zuversicht und Klarheit. Der Widerstand der „Weißen Rose“. In: Deutscher Katholikentag<br />

München 4.–8. Juli 1984: Dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt: 347–358<br />

Schmorell, Erich (1994): Ansprache zur Feier der Enthüllung der Büste von Christoph Probst. In: Christoph-<br />

Probst-Gymnasium, Jahresbericht 1994/95: 15–21<br />

Scholl, Inge (1993): Die Weiße Rose. Fischer Verlag, Frankfurt a. M.<br />

Siefken, Hinrich (Hrsg.) (1991): Die „Weiße Rose“. Student Resistance to National Socialism 1942/43. Forschungsergebnisse<br />

und Erfahrungsberichte, University of Nottingham. Nottingham<br />

Siefken, Hinrich (1993): Die „Weiße Rose“ und ihre Flugblätter. Dokumente, Texte, Lebensbilder, Erläuterungen.<br />

Manchester University Press, Manchester, New York<br />

Steinbach, Peter (1993): Der Widerstand gegen die Diktatur. Hauptgruppen und Grundzüge der Systemopposition.<br />

In: Bracher, K. D. / Funke, M. / Jacobson, H. A. (Hrsg.) (1993): Deutschland 1933–1945. Neue Studien<br />

zur nationalsozialistischen Herrschaft. Hrsg. v. d. Bundeszentrale f. politische Bildung, Bonn, Band<br />

314. Graphischer Großbetrieb Pößneck (Thüringen): 452–473<br />

Weiße Rose ZS/A 26/4. In: IfZ-Archiv München: 100–107<br />

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