Hingerichtet in München-Stadelheim - NS-Dokumentationszentrum ...
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Irene Stuiber<br />
<strong>H<strong>in</strong>gerichtet</strong> <strong>in</strong> <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong>
Irene Stuiber<br />
<strong>H<strong>in</strong>gerichtet</strong> <strong>in</strong> <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong>
Irene Stuiber<br />
<strong>H<strong>in</strong>gerichtet</strong> <strong>in</strong> <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong><br />
Opfer nationalsozialistischer Verfolgung<br />
auf dem Friedhof am Perlacher Forst<br />
Mit e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>leitungskapitel von Jürgen Zarusky
© <strong>München</strong>, 2004<br />
Druck und Verlag: Books on Demand<br />
Satz und Grafik: Heidi Sorg & Christof Leistl, <strong>München</strong><br />
ISBN 3-8334-0733-6<br />
Mit f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung<br />
des Kulturreferats der Landeshauptstadt <strong>München</strong>
Inhalt<br />
Vorwort von Irene Stuiber und Jürgen Zarusky 7<br />
Jürgen Zarusky<br />
E<strong>in</strong>leitung: <strong>NS</strong>-Justiz und Widerstand 8<br />
Politische Justiz <strong>in</strong> der <strong>NS</strong>-Zeit 20<br />
Das Gefängnis <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> 22<br />
Biographische Dokumentation zu den Toten des Sammelgrabs II 25<br />
auf dem Friedhof am Perlacher Forst<br />
Widerstand und Verfolgung <strong>in</strong> Deutschland 27<br />
Widerstand und Verfolgung <strong>in</strong> Österreich 30<br />
Widerstand und Verfolgung <strong>in</strong> der Tschechoslowakei 31<br />
Polen unter <strong>NS</strong>-Herrschaft 33<br />
„Asoziale“ unter dem Nationalsozialismus 34<br />
Biographien: Deutschland 36<br />
Biographien: Österreich 51<br />
Biographien: Tschechoslowakei 56<br />
Biographien: Polen 79<br />
Landesverrat e<strong>in</strong>es SS-Angehörigen 81<br />
Biographien: Die Verfolgung so genannter Asozialer 82<br />
Weitere Spuren von Widerstand und Verfolgung 85<br />
Danksagung 87
Vorwort<br />
Man traut sich fast nicht, die Metapher zu gebrauchen, so abgegriffen ist sie. Aber es ist<br />
eben immer wieder dieses e<strong>in</strong>e Bild, das sich aufdrängt, wenn erneut e<strong>in</strong>e verschüttete<br />
Spur des Dritten Reichs zum Vorsche<strong>in</strong> kommt: Man hat Gras über die Geschichte wachsen<br />
lassen. In dem Fall, um den es hier geht, kann man das durchaus wörtlich nehmen.<br />
Bereits am Volkstrauertag 1945 forderte der damalige Münchner Oberbürgermeister Karl<br />
Scharnagl bei e<strong>in</strong>er Gedenkveranstaltung, die Gräber von Opfern des Nationalsozialismus<br />
auf dem Friedhof am Perlacher Forst müssten würdig gestaltet werden. Auf Beschluss des<br />
Münchner Stadtrats wurden 1954 die sterblichen Überreste von 95 Opfern der politischen<br />
Justiz des <strong>NS</strong>-Regimes, vornehmlich des Volksgerichtshofs, die <strong>in</strong> den Jahren 1942–45 im<br />
Gefängnis <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> h<strong>in</strong>gerichtet worden waren, aus Reihengräbern <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
Sammelgrab umgebettet, das die Bezeichnung „Sammelgrab II/KZ Ehrenha<strong>in</strong> II“ erhielt.<br />
Damit sollte e<strong>in</strong>e würdige letzte Ruhestätte geschaffen werden. Zwei der dort Bestatteten<br />
wurden Jahre später umgebettet. Das Sammelgrab II jedoch, das ausschließlich<br />
durch Bepflanzung markiert war, geriet bald <strong>in</strong> Vergessenheit. Was blieb, war e<strong>in</strong> Rasenstreifen<br />
an e<strong>in</strong>er Hecke, aber nichts, das irgend jemanden zum Innehalten oder gar Nachdenken<br />
hätte veranlassen können. Nur wer E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Lagepläne der Friedhofsverwaltung<br />
hatte, wusste, dass sich hier e<strong>in</strong> Grab befand. Und Marie-Luise Schultze-Jahn wusste<br />
es. Sie war die Freund<strong>in</strong> von Hans Leipelt gewesen, der an der besagten Stelle se<strong>in</strong>e letzte<br />
Ruhestätte gefunden hat. Sie erwirkte, dass zu Leipelts 75. Geburtstag am 18. Juli 1996<br />
endlich e<strong>in</strong> Grabste<strong>in</strong> errichtet wurde, der die Namen aller dort Bestatteten trägt. Damit<br />
wurden die Toten aus der Anonymität geholt, die ihnen das <strong>NS</strong>-Regime zugedacht hatte.<br />
Karl Alt, der von 1934 bis 1945 <strong>in</strong> <strong>Stadelheim</strong> als evangelischer Gefängnisgeistlicher<br />
wirkte und viele Todeskandidaten auf ihrem letzten Weg begleitet hat, hat bereits 1946 auf<br />
diesen Akt bewusster Entwürdigung h<strong>in</strong>gewiesen:<br />
„Sogar die Herausgabe und Bestattung der Leichen der <strong>H<strong>in</strong>gerichtet</strong>en (auf eigene<br />
Kosten der H<strong>in</strong>terbliebenen) wurde bei politischen ,Verbrechern’ verweigert, sie mussten<br />
den Anatomien übergeben oder, als diese wegen Überfüllung nicht mehr aufnahmefähig<br />
waren, <strong>in</strong> Massengräber e<strong>in</strong>gescharrt werden und erhielten weder Kreuz noch Namensschild,<br />
sodass die Stätte ihrer letzten Ruhe bei vielen nicht mehr auff<strong>in</strong>dbar ist.“ 1<br />
Fünfzig Jahre später ist die letzte Ruhestätte auff<strong>in</strong>dbar, die Namen s<strong>in</strong>d auf dem Grabste<strong>in</strong><br />
vermerkt. Das ist wichtig und doch nicht genug, denn die Aufhebung der Anonymität<br />
ist erst dann wirklich gelungen, wenn sich mit dem Namen auch die Vorstellung von e<strong>in</strong>em<br />
Menschen und se<strong>in</strong>er Lebensgeschichte verb<strong>in</strong>det. Dies will die vorliegende Publikation<br />
leisten.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus erlaubt die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Schicksalen jener 93 Männer<br />
aus der Tschechoslowakei, aus Deutschland, Österreich und Polen, die im Sammelgrab II<br />
bestattet s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>en historischen E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Entwicklung und Funktionsweise der nationalsozialistischen<br />
Terrorjustiz und <strong>in</strong> die Vielfalt, Internationalität und auch die Widersprüchlichkeit<br />
des Phänomens „Widerstand“.<br />
Irene Stuiber Jürgen Zarusky<br />
1 Karl Alt: Überschreiten von Grenzen. Strafgefängis <strong>München</strong> <strong>Stadelheim</strong> zwischen 1934 und 1945: Der evangelische<br />
Seelsorger und Zeitzeuge Karl Alt begleitet die zum Tode Verurteilten bis zu ihrer H<strong>in</strong>richtung. <strong>München</strong> 1994,<br />
S. 17. Es handelt sich hierbei um e<strong>in</strong>e Neuauflage des Er<strong>in</strong>nerungsbuches von Karl Alt, das bereits 1946 <strong>in</strong> <strong>München</strong><br />
unter dem wesentlich prägnanteren Titel „Todeskandidaten. Erlebnisse e<strong>in</strong>es Seelsorgers im Gefängnis <strong>München</strong>-<br />
<strong>Stadelheim</strong> mit zahlreichen im Hitlerreich zum Tode verurteilten Männern und Frauen“ erschien.<br />
7
Jürgen Zarusky<br />
E<strong>in</strong>leitung: <strong>NS</strong>-Justiz und Widerstand<br />
Die Konjunktur der Guillot<strong>in</strong>e<br />
In ihren ideologischen Hassphantasien malten sich die Nationalsozialisten gerne aus, wie<br />
sie mit ihren Fe<strong>in</strong>den umspr<strong>in</strong>gen würden, wenn sie an der Macht wären. Das „Aufhängen“<br />
und „Köpfe rollen lassen“ spielte <strong>in</strong> derlei Tagträumen e<strong>in</strong>e zentrale Rolle. Der Reichstagsbrand<br />
vom 27./28. Februar 1933 lieferte den Anlass, mit der Verwirklichung dieser Visionen<br />
zu beg<strong>in</strong>nen. Die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“<br />
vom 28. Februar 1933 hob nicht nur zentrale, <strong>in</strong> der Weimarer Verfassung verankerte Grundrechte<br />
auf, sondern erhöhte auch für e<strong>in</strong>e ganze Reihe von politischen und krim<strong>in</strong>ellen<br />
Delikten den Strafrahmen bis h<strong>in</strong> zur Todesstrafe, so etwa für Hochverrat, Brandstiftung oder<br />
Beschädigung von Eisenbahnanlagen. 2 Dah<strong>in</strong>ter stand die – jedenfalls nach außen vorgetragene<br />
– Auffassung, der Reichstagsbrand sei von den Kommunisten als Fanal für e<strong>in</strong>en<br />
revolutionären Umsturz <strong>in</strong>s Werk gesetzt worden.<br />
Der Reichstagsbrandprozess, der von September bis Dezember 1933 vor dem Reichsgericht<br />
<strong>in</strong> Leipzig stattfand, erhärtete diese These nicht. Der Fraktionsvorsitzende der KPD,<br />
Torgler, musste ebenso freigesprochen werden wie drei der Beteiligung an der Brandstiftung<br />
beschuldigte bulgarische Kommunisten, darunter der spätere Vorsitzende der Kommunistischen<br />
Internationale, Georgi Dimitroff. Als Brandstifter verurteilt wurde alle<strong>in</strong> Mar<strong>in</strong>us van<br />
der Lubbe, e<strong>in</strong> junger holländischer Anarchokommunist. 3 In e<strong>in</strong>er Flut von Briefen an das<br />
Reichsjustizm<strong>in</strong>isterium hatten vor allem lokale <strong>NS</strong>-Aktivisten se<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>richtung gefordert,<br />
was voll und ganz mit den öffentlich vorgetragenen Wünschen von Adolf Hitler übere<strong>in</strong>stimmte.<br />
4 Brandstiftung war allerd<strong>in</strong>gs zum Zeitpunkt der Tat noch nicht mit der Todesstrafe<br />
bedroht gewesen. Hitler und se<strong>in</strong> Parteifreund und Innenm<strong>in</strong>ister Frick forderten daher im<br />
Reichskab<strong>in</strong>ett, es müsse e<strong>in</strong>e rechtliche Regelung geschaffen werden, die die rückwirkende<br />
Verurteilung van der Lubbes zum Tode ermögliche. Dies stieß auf Bedenken der konservativen<br />
Mitglieder der Regierung Hitler. Insbesondere Staatssekretär Schlegelberger vom<br />
Justizm<strong>in</strong>isterium verwies darauf, dass e<strong>in</strong> solches Vorgehen gegen den Grundsatz nulla<br />
poena s<strong>in</strong>e lege, das Rückwirkungsverbot, verstoßen würde, welches die „wichtigste Kulturgrundlage<br />
des Strafrechts“ bilde. Die Annahme des Ermächtigungsgesetzes vom 23. März<br />
1933, das der Regierung die Gesetzgebungskompetenz übertrug, ermöglichte es, den ebenfalls<br />
skeptischen Reichspräsidenten von H<strong>in</strong>denburg zu umgehen, und am 29. März nahm<br />
das Reichskab<strong>in</strong>ett das von Schlegelberger pflichtschuldigst und entgegen se<strong>in</strong>er ursprünglichen<br />
Bedenken entworfene „Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe“ an. Es<br />
ist auch als „lex van der Lubbe“ bekannt geworden, weil es die H<strong>in</strong>richtung des 24jährigen<br />
Niederländers ermöglichte, <strong>in</strong>dem es den Strafverschärfungen der Reichstagsbrandverord-<br />
2 RGBl I 83.<br />
3 Vgl. Anklageschrift und Urteil des Reichstagsbrandprozesses <strong>in</strong>: Widerstand als „Hochverrat“ 1933–1945.<br />
Die Verfahren gegen deutsche Reichsangehörige vor dem Reichsgericht, dem Volksgerichtshof und dem Reichskriegsgericht.<br />
Mikrofiche-Edition. Bearb. von Jürgen Zarusky und Hartmut Mehr<strong>in</strong>ger. <strong>München</strong> 1998, Verfahren<br />
15J 86/33 – XII H 42/33, Fiches 0615 ff.<br />
4 Richard J. Evans: Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe <strong>in</strong> der deutschen Geschichte 1532–1987. Berl<strong>in</strong> 2001,<br />
S. 747 f.; Lothar Gruchmann: Justiz im Dritten Reich 1933-1940. Anpassung und Unterwerfung <strong>in</strong> der Ära Gürtner.<br />
<strong>München</strong> 1988, S. 829.<br />
8
nung bereits rückwirkend zum 31. Januar Gültigkeit zuschrieb. 5 Die Datierung zeigt <strong>in</strong>des,<br />
dass es sich ke<strong>in</strong>eswegs um e<strong>in</strong>e ausschließlich auf den Reichstags-Brandstifter zugeschnittene<br />
Regelung handelte, denn er hatte se<strong>in</strong>e Tat ja am 27. Februar verübt. Die Botschaft dieses<br />
Gesetzes richtete sich zugleich an weitere Kreise, und das Signal war deutlich genug:<br />
Vom ersten Tag an sollte die Auflehnung gegen Hitlers Herrschaft als todeswürdig gelten.<br />
Am 10. Januar 1934 wurde van der Lubbe mit dem Fallbeil h<strong>in</strong>gerichtet. 6<br />
Die Nationalsozialisten jedoch waren damit ke<strong>in</strong>eswegs zufrieden gestellt. Der Prozess hatte<br />
ihnen zu lange gedauert und nicht die erhoffte propagandistische Wirkung gehabt, ja das<br />
frisch etablierte <strong>NS</strong>-Regime war durch die von dem e<strong>in</strong>fallsreichen kommunistischen Agitator<br />
Willi Münzenberg organisierte <strong>in</strong>ternationale Reichstagsbrand-Kampagne <strong>in</strong> der Weltöffentlichkeit<br />
sogar <strong>in</strong> die Defensive geraten und sah sich dem massiven Verdacht ausgesetzt,<br />
die Brandstiftung als politischen Coup selbst <strong>in</strong>szeniert zu haben 7. E<strong>in</strong> neues Gericht sollte<br />
daher künftig für kurzen Prozess sorgen. Se<strong>in</strong>e „Volksnähe“ sollte durch H<strong>in</strong>zuziehung von<br />
Vertretern der <strong>NS</strong>DAP und der SA gewährleistet werden. Die Zuständigkeit für Hoch- und<br />
Landesverrat wurde vom Reichsgericht auf den im Juli 1934 gegründeten Volksgerichtshof<br />
übertragen. 8 Diese Institution, die 1985 vom deutschen Bundestag e<strong>in</strong>stimmig als nationalsozialistisches<br />
Terror<strong>in</strong>strument e<strong>in</strong>gestuft wurde 9, verhängte <strong>in</strong>sgesamt gegen 5.279 Personen<br />
die Todesstrafe, d.h. gegen jeden dritten der 15.519 Angeklagten, die vor den Schranken<br />
des VGH standen. 10<br />
Allerd<strong>in</strong>gs setzte diese blutige Entwicklung nicht unmittelbar mit der Entstehung des VGH<br />
e<strong>in</strong>. Vielmehr knüpfte er zunächst sehr weitgehend an die Rechtsprechung des Reichsgerichts<br />
an, das bereits erheblich dazu beigetragen hatte, den Widerstand nicht nur der Kommunisten<br />
und anderer l<strong>in</strong>ksradikaler Gruppen, sondern auch den der Sozialdemokraten zu krim<strong>in</strong>alisieren.<br />
11 Die beim Volksgerichtshof deutlich erkennbare Tendenz zur Verschärfung der<br />
Strafen entwickelte sich zunächst vergleichsweise langsam. Von 1934 bis 1939 belief sich<br />
die Zahl der verhängten Todesurteile auf 108, 1940/41 auf 155, um dann geradezu zu explodieren:<br />
1192 Todesurteile im Jahr 1942, 1662 im Jahr 1943 und 2022 im Jahr 1944, und noch<br />
<strong>in</strong> den Monaten des Zusammenbruchs bis zum Mai 1945 wurden 140 Todesurteile gefällt. In<br />
den Jahren 1942 bis 1944 erreichte die Todesstrafenquote nahezu 50 Prozent. 12 Die Radikalisierung<br />
des VGH entspricht der allgeme<strong>in</strong>en Entwicklung des <strong>NS</strong>-Regimes, dessen Brutalität<br />
mit dem Beg<strong>in</strong>n des 2. Weltkriegs und dann vor allem mit dem Angriff auf die Sowjetunion<br />
am 22. Juni 1941 hemmungslos entfesselt wurde. Roland Freisler, der seit dem Som-<br />
5 Gruchmann, Justiz S. 826–830; Michael Förster: Jurist im Dienst des Unrechts. Leben und Werk des ehemaligen<br />
Staatssekretärs im Reichsjustizm<strong>in</strong>isterium, Franz Schlegelberger (1876-1970). Baden-Baden 1995, S. 39 ff.; Volker<br />
Epp<strong>in</strong>g: Die „Lex van der Lubbe“. Zugleich auch e<strong>in</strong> Beitrag zur Bedeutung des Grundsatzes „nullum crimen, nulla<br />
poena s<strong>in</strong>e lege“, <strong>in</strong>: Der Staat 34 (1995), S. 243–267.<br />
6 Gruchmann, Justiz, S. 830.<br />
7 Babette Gross: Willi Münzenberg. E<strong>in</strong>e politische Biographie. Stuttgart 1967, S. 257–268. Claus-Dieter Krohn:<br />
Propaganda als Widerstand? Die Braunbuch-Kampagne zum Reichstagsbrand 1933, <strong>in</strong>: Exilforschung 15 (1997),<br />
S. 10–32.<br />
8 Jürgen Zarusky: E<strong>in</strong>führung zum Erschließungsband der Mikrofiche-Edition Widerstand als „Hochverrat“ 1933–1945.<br />
<strong>München</strong> 1998, S. 11–44, hier: S. 29 ff.; leicht gekürzt auch greifbar unter dem Titel „Politischer Widerstand und<br />
Justiz im Dritten Reich“, <strong>in</strong>: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte Band 1 (1999/2000), S. 36–87, hier: S. 66 ff.<br />
9 Bernhard Jahntz, Volker Kähne: Der Volksgerichtshof. Darstellung der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bei dem<br />
Landgericht Berl<strong>in</strong> gegen ehemalige Richter und Staatsanwälte am Volksgerichtshof. Berl<strong>in</strong> 31992, S. 48a.<br />
10 Holger Schlüter: Die Urteilspraxis des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs. Berl<strong>in</strong> 1995, S. 37 f.<br />
11 Jürgen Zarusky: Politische Strafjustiz im nationalsozialistischen Doppelstaat, <strong>in</strong>: Jürgen Weber, Michael Piazolo<br />
(Hrsg.): Justiz im Zwielicht. Ihre Rolle <strong>in</strong> Diktaturen und die Antwort des Rechtsstaates. <strong>München</strong> 1998, S. 25–38,<br />
hier: S. 29–33.<br />
12 Schlüter, Urteilspraxis, S. 38.<br />
9
mer 1942 Präsident des VGH war, tat das se<strong>in</strong>e dazu, diese Entwicklung voranzutreiben. 13<br />
Dazu kamen neue sachliche Zuständigkeiten; vor allem diejenige für die Aburteilung der<br />
„Wehrkraftzersetzung“, die dem VGH Anfang 1943 übertragen wurde. 14 Und schließlich war<br />
mit der Expansion des <strong>NS</strong>-Regimes die Zahl se<strong>in</strong>er potentiellen Opfer gewachsen: Vor allem<br />
Angehörige des österreichischen und tschechischen, <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gerem Maße auch des polnischen<br />
sowie des slowenischen und elsässischen Widerstands gerieten <strong>in</strong> die Schussl<strong>in</strong>ie der<br />
politischen Justiz des <strong>NS</strong>-Staates. 15<br />
Bemerkenswert ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang, dass die maßlose Radikalisierung nicht auf<br />
die Beiziehung von jeweils drei Laienrichtern aus <strong>NS</strong>-Organisationen und staatlichen E<strong>in</strong>richtungen<br />
zu den fünfköpfigen Senaten des VGH zurückzuführen ist, denn die Federführung<br />
<strong>in</strong> den Prozessen blieb bei den professionellen Juristen. Zwar waren viele juristische Verfahrensgarantien<br />
abgebaut und die Rechte der Verteidigung auf nahezu Null zurückgestutzt<br />
worden, dennoch blieb e<strong>in</strong> <strong>in</strong>stitutioneller Rahmen erhalten, der e<strong>in</strong>e völlig schrankenlose<br />
Willkür ausschloss. Das zeigt auch die Freispruchsquote, die sich während der gesamten<br />
Existenz des Volksgerichtshofs ungefähr zwischen fünf und zehn Prozent bewegte. 16 Dem<br />
Rechtshistoriker Holger Schlüter ist zuzustimmen, wenn er feststellt: „Gerade die Tatsache,<br />
dass der Terror mit tausenden von Todesurteilen von e<strong>in</strong>er Institution verbreitet wurde, die<br />
viele Züge e<strong>in</strong>er normalen Gerichtstätigkeit aufweist, gibt Anlass zur Besorgnis.“ 17<br />
Das gilt auch für die 1933 geschaffenen Sondergerichte. Auch hier waren viele Verfahrensgarantien<br />
abgeschafft worden, und auch gegen ihre Entscheidung gab es ke<strong>in</strong>e Rechtsmittel,<br />
doch legte die Justizverwaltung, zum<strong>in</strong>dest am Anfang, gerade deshalb Wert darauf, dass<br />
die Sondergerichte von erfahrenen Richtern geleitet wurden. Das Laienelement fehlte hier<br />
völlig. 18 Die Sondergerichte, von denen 1933 je e<strong>in</strong>es <strong>in</strong> jedem Oberlandesgerichtsbezirk<br />
gebildet, deren Zahl jedoch <strong>in</strong>sbesondere während des Krieges erheblich erhöht wurde, waren<br />
zunächst vor allem für die Aburteilung der „Heimtücke“ zuständig, also im wesentlichen<br />
für die justizielle Verfolgung von Unmutsäußerungen und Schmähkritik gegen die <strong>NS</strong>-Herrschaft<br />
ohne organisierten politischen H<strong>in</strong>tergrund. Es g<strong>in</strong>g um die justizielle Sicherung der<br />
Massenloyalität zum Regime. Auf diesem Gebiet erhielten die Sondergerichte zu Beg<strong>in</strong>n des<br />
Krieges e<strong>in</strong>e ganze Reihe weiterer Aufgaben. Verstöße gegen Kriegswirtschaftsbestimmungen<br />
etwa hatten sie ebenso zu ahnden wie „Rundfunkverbrechen“. Während des 2. Weltkriegs<br />
tobte e<strong>in</strong>e heftige Propagandaschlacht im Äther. Vorausschauend hatte der M<strong>in</strong>isterrat<br />
für Reichsverteidigung unter Hermann Gör<strong>in</strong>g am 1. September 1939 e<strong>in</strong>e „Verordnung<br />
über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ erlassen, die das Hören von „Fe<strong>in</strong>dsendern“<br />
unter Strafe stellte und für die Verbreitung von Nachrichten solcher Rundfunkstationen sogar<br />
die Todesstrafe vorsah. 19<br />
13 Walter Wagner: Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat. Stuttgart 1974, S. 832 ff. hebt die Rolle<br />
Freislers bei der Radikalisierung des VGH hervor. Schlüter, Urteilspraxis, S. 225 verweist demgegenüber vor allem<br />
auf die verschärfte Verfolgung der Tschechen nach dem tödlichen Attentat auf den Chef des Reichssicherheitshauptamtes<br />
und stellvertretenden Reichsprotektors von Böhmen und Mähren Re<strong>in</strong>hard Heydrich im Mai/Juni<br />
1942.<br />
14 Wagner, Volksgerichtshof, S. 63.<br />
15 Übersicht und Fallbeispiele ebenda, S. 442–659.<br />
16 Schlüter, Urteilspraxis, S. 38.<br />
17 Ebenda, S. 232.<br />
18 Ralph Angermund: Deutsche Richterschaft 1919–1945. Krisenerfahrung, Illusion, politische Rechtsprechung.<br />
Frankfurt a.M. 1990, S. 137 ff.<br />
19 RGBl I 1683; Elke Hilscher: Das alltägliche Verbrechen. Rundfunkvergehen im Widerspruch zum totalitären Machtanspruch,<br />
<strong>in</strong>: Ortsterm<strong>in</strong> Hamm: Zur Justiz im Dritten Reich. Hamm 1991, S. 51–55.<br />
10
Die Sondergerichte erhielten überdies e<strong>in</strong>e immer größere Bedeutung <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong>en<br />
Rechtsprechung, da die Staatsanwälte mit Kriegsbeg<strong>in</strong>n die Möglichkeit bekamen, pr<strong>in</strong>zipiell<br />
jedes Delikt vor e<strong>in</strong>em Sondergericht anzuklagen, wenn sie e<strong>in</strong>e rasche Aburteilung für nötig<br />
hielten. 20 Bei Verstößen gegen die „Volksschädl<strong>in</strong>gsverordnung“ vom 5. September 1939 21<br />
sollten ebenfalls die Sondergericht tätig werden. 22 Diese Verordnung richtete sich gegen jegliche<br />
Vergehen und Verbrechen, die unter Ausnutzung der besonderen Kriegsumstände begangen<br />
wurden, und dehnte den Strafrahmen selbst bei leichten Delikten wie etwa kle<strong>in</strong>en<br />
Diebstählen bis h<strong>in</strong> zur Todesstrafe aus. In der <strong>in</strong>flationäre Anwendung der Todesstrafe, die<br />
von 1933 bis 1945 durch <strong>in</strong>sgesamt 26 Gesetze und Verordnungen ermöglicht und gefördert<br />
wurde 23, spiegelt sich die für das <strong>NS</strong>-Regime typische Entwertung des menschlichen Lebens<br />
wider.<br />
Besonders brutal kam diese Haltung gegenüber den unterworfenen Völkern und den als rassisch<br />
m<strong>in</strong>derwertig e<strong>in</strong>gestuften Gruppen zum Tragen. Im Protektorat Böhmen und Mähren,<br />
also der als autonomes Gebiet e<strong>in</strong>gegliederten „Resttschechei“, herrschte, vor allem seitdem<br />
Re<strong>in</strong>hard Heydrich dort im September als „Stellvertretender Reichsprotektor“ den kaltgestellten<br />
Konservativen Konstant<strong>in</strong> von Neurath ablöste, e<strong>in</strong> brutales Standrecht, mit dem<br />
der tschechische Widerstand gebrochen werden sollte. Dieser Terror steigerte sich noch<br />
erheblich nach dem Attentat auf Heydrich vom 27. Mai 1942, dem dieser am 4. Juni erlag.<br />
Das für Polen und Juden erlassene Sonderstrafrecht vom 4. Dezember 1941 24 bildete e<strong>in</strong>e<br />
Grundlage für harte Urteile <strong>in</strong>sbesondere gegen Polen 25, weniger gegen Juden, denn zu diesem<br />
Zeitpunkt hatte ihre systematische Ermordung bereits begonnen. Die dreizehnte Verordnung<br />
zum Reichsbürgergesetz vom 1. Juli 1943 – e<strong>in</strong>em der beiden antisemitischen Nürnberger<br />
Gesetze – verfügte denn auch lapidar: „Strafbare Handlungen von Juden werden<br />
durch die Polizei geahndet.“ 26 Aber auch die Strafhoheit gegen andere „Fremdvölkische“,<br />
vor allem Polen und aus der Sowjetunion stammende Ostarbeiter, wurde immer mehr von<br />
der Gestapo übernommen. Neben der E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> die Arbeitserziehungs- und Konzentrationslager<br />
führte sie auch zunehmend standrechtliche H<strong>in</strong>richtungen durch. Anlässe hierfür<br />
konnten unter anderem „reichsfe<strong>in</strong>dliches Verhalten“, „schwere Diszipl<strong>in</strong>widrigkeiten“ oder<br />
der verbotene Geschlechtsverkehr mit Deutschen se<strong>in</strong>. 27<br />
Die Todesstrafenstatistik der Justiz des Dritten Reichs, <strong>in</strong> der die Lynchjustiz der Polizei nicht<br />
berücksichtigt ist, gibt also <strong>in</strong>sofern bei weitem ke<strong>in</strong> vollständiges Bild. Doch auch die Todesurteile<br />
der regulären Justiz während der ersten Kriegsjahre betrafen zu e<strong>in</strong>em großen Anteil<br />
Nichtdeutsche, so im Jahr 1942 rund 55 Prozent. 28<br />
20 Angermund, Richterschaft S. 204 f.<br />
21 RGBl. I 1679.<br />
22 Gerhard Werle: Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich. Berl<strong>in</strong>, New York 1989,<br />
S. 269.<br />
23 Nationalsozialistische Justiz und Todesstrafe. E<strong>in</strong>e Dokumentation zur Gedenkstätte <strong>in</strong> der Justizvollzugsanstalt<br />
Wolfenbüttel. Braunschweig 1991, S. 5.<br />
24 RGBl I 759.<br />
25 Als Beispiel hierzu Wolf-Dieter Mechler: Kriegsalltag an der „Heimatfront“. Das Sondergericht Hannover<br />
1939–1945. Hannover 1997, S. 203–226.<br />
26 Zit. nach Werle, Justizstrafrecht, S. 450.<br />
27 Ebenda, s. 598.<br />
28 Evans, Rituale, S. 872.<br />
11
Todesstrafe im „Großdeutschen Reich“<br />
29 Otto Hennicke: Auszüge aus der Wehrmachtskrim<strong>in</strong>alstatistik, <strong>in</strong>: Zeitschrift für Militärgeschichte 5 (1966),<br />
S. 438–456. Manfred Messerschmidt und Fritz Wüllner kommen aufgrund von Hochrechnungen zu der erheblich<br />
höheren Zahlen von ca. 35.000; Messerschmidt/Wüllner: Die Wehrmachtsjustiz im Dienst des Nationalsozialismus.<br />
Zerstörung e<strong>in</strong>er Legende. Baden-Baden 1987, S. 87; Fritz Wüllner: Die <strong>NS</strong>-Militärjustiz und das Elend der<br />
Geschichtsschreibung. E<strong>in</strong> grundlegender Forschungsbericht. Baden-Baden 1991, S.203.<br />
30 Evans, Rituale, S. 864.<br />
31 Nationalsozialistische Justiz und Todesstrafe, S. 18.<br />
32 Johann Dachs: Tod durch das Fallbeil. Der deutsche Scharfrichter Johann Reichhart (1893–1972). Mit e<strong>in</strong>em<br />
Nachwort von Friedrich-Christian Schroeder. Regensburg 1996, S. 32–40.<br />
33 Ebenda, S. 51 ff.<br />
34 Ebenda, S. 77.<br />
12<br />
Jahr Todesstrafen<br />
1933 78<br />
1934 102<br />
1935 98<br />
1936 76<br />
1937 86<br />
1938 85<br />
1939 139<br />
1940 250<br />
1941 1.292<br />
1942 4.457<br />
1943 5.336<br />
1944 4.264<br />
1945 297<br />
Summe 16.560<br />
Zusammenstellung der Zahlen nach Evans, Rituale, S. 831 (Anm. 4). Die Tabelle bezieht sich auf die Tätigkeit der<br />
zivilen Justiz, <strong>in</strong>sbesondere den Volksgerichtshof und die Sondergerichte im „Großdeutschen Reich“, d.h. Deutschland<br />
zuzüglich des Sudetenlands, Österreichs sowie der von Frankreich und Polen annektierten Gebiete. Ca. 12.000<br />
Todesurteile wurden vollstreckt. Nicht berücksichtigt ist die Tätigkeit deutscher Gerichte <strong>in</strong> den besetzten Ländern,<br />
ebensowenig die der Militärjustiz, die m<strong>in</strong>destens 25.000 Todesurteile verhängt hat. 29<br />
Scharfrichter Reichhart und se<strong>in</strong> Gewerbe<br />
Während an der Verhängung der Tausenden von Todesurteilen e<strong>in</strong>e große Anzahl von Richtern<br />
des Dritten Reichs beteiligt war, bildeten die Vollstrecker nur e<strong>in</strong>en ganz kle<strong>in</strong>en Personenkreis.<br />
Die Zahl der Scharfrichter erreichte 1944 mit zehn ihren Gipfelpunkt. Diese arbeiteten<br />
mit <strong>in</strong>sgesamt 38 Gehilfen zusammen 30, von denen jeweils drei bei e<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>richtung<br />
zum E<strong>in</strong>satz kamen. 31 Für Bayern war während der ganzen <strong>NS</strong>-Herrschaft Johann Reichhart<br />
zuständig. Er hatte se<strong>in</strong> Amt bereits 1924 als Nachfolger se<strong>in</strong>es Onkels Franz Xaver Reichhart<br />
angetreten. 32 Es brachte ihm zunächst allerd<strong>in</strong>gs nur e<strong>in</strong> Zubrot e<strong>in</strong>. Er war darauf angewiesen,<br />
sich die Basis se<strong>in</strong>es Lebensunterhalts mit allerhand Gewerben zu verdienen. So<br />
versuchte er sich als Gastwirt, Verlagsvertreter und Tanzlehrer. 33 Mit der Machtübernahme<br />
des Nationalsozialismus brachen für den Scharfrichter <strong>in</strong>des bessere Zeiten an. Die Etablierung<br />
des <strong>NS</strong>-Regimes, dem er von Anfang an mit Sympathie gegenüberstand 34, eröffnete<br />
ihm neue Chancen. Im Juni 1933 erhielt er bereits e<strong>in</strong>en Vertrag mit erheblich verbesserten<br />
Bed<strong>in</strong>gungen. Se<strong>in</strong> Jahresverdienst wurde auf 3.000 Reichsmark erhöht. Dazu kam e<strong>in</strong> Angebot<br />
vom sächsischen Justizm<strong>in</strong>isterium, wo man im Juli 1933 verstanden hatte, dass „die
Vollstreckung der Todesstrafe <strong>in</strong> Zukunft wieder öfter Platz greifen wird“, aber über ke<strong>in</strong>en<br />
eigenen Scharfrichter verfügte. Reichart zögerte nicht, die zusätzliche Verdienstmöglichkeit<br />
wahrzunehmen. 35<br />
Das Zwielicht zwischen hoheitlicher Verfügung über menschliches Leben, sozialer Ächtung<br />
und düsterer Fasz<strong>in</strong>ation, <strong>in</strong> dem sich der Scharfrichter bewegte, zeigt sich symptomatisch<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er grotesken Episode aus dem Jahr 1934. Karl Valent<strong>in</strong> hatte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Panoptikum e<strong>in</strong>e<br />
Guillot<strong>in</strong>e mit e<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>richtungsszene aufgestellt. Angeregt worden war er durch die Berichte<br />
über Exekutionen von Johann Reichharts Onkel Franz Xaver, der mit Valent<strong>in</strong>s Eltern bekannt<br />
war. Für e<strong>in</strong>e möglichst realitätsgetreue Inszenierung hatte Valent<strong>in</strong> Johann Reichharts<br />
Gehilfen Hermann Donderer als Exekutor engagiert. Als der Münchner Oberstaatsanwalt<br />
durch Johann Reichhart von der Installation und der Performance erfuhr, verfügte er deren<br />
Schließung. Donderer wurde entlassen. Reichhart ersetzte ihn durch se<strong>in</strong>en jüngeren Bruder<br />
Georg. Donderers Versuch, sich an Reichhart als dem verme<strong>in</strong>tlichen Verursacher se<strong>in</strong>es<br />
Malheurs zu rächen, <strong>in</strong>dem er ihn als Kommunisten denunzierte, hatte ke<strong>in</strong>en Erfolg. Reichhart<br />
hatte durch se<strong>in</strong> Insistieren auf der Würde se<strong>in</strong>es Amtes se<strong>in</strong>e Position gefestigt und<br />
erhielt im Dezember 1934 im Zuge e<strong>in</strong>er vom Reichsjustizm<strong>in</strong>isterium durchgeführten Reorganisation<br />
des Exekutionswesen als e<strong>in</strong>er von drei Scharfrichtern <strong>in</strong> Deutschland den süddeutschen<br />
Bezirk zugewiesen. Neben se<strong>in</strong>em festen Gehalt erhielt er für jede H<strong>in</strong>richtung<br />
60 Mark; se<strong>in</strong>e Gehilfen bekamen denselben Betrag. 36<br />
Den Gehilfen oblag es, den Del<strong>in</strong>quenten <strong>in</strong> die richtige Position unter das Fallbeil zu br<strong>in</strong>gen,<br />
das vom Scharfrichter bedient wurde. Alle Beteiligten hatten, wie es <strong>in</strong> Richtl<strong>in</strong>ien des<br />
Reichsjustizm<strong>in</strong>isteriums für den Scharfrichter heißt „<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dem Ernst der Handlung entsprechenden<br />
Kleidung zu ersche<strong>in</strong>en“. 37 Näheres führte e<strong>in</strong>e ältere Kleiderordnung aus, die<br />
für den Scharfrichter selbst Gehrock und schwarzen Zyl<strong>in</strong>der vorsah, während von den Gehilfen<br />
nur das Auftreten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dunklen Anzug erwartet wurde. 38 Die Kleidungsvorschriften<br />
bildeten lediglich e<strong>in</strong> Element der strengen Ritualisierung, der die Vollstreckung der Todesstrafe<br />
traditionell unterlag. Unter der <strong>NS</strong>-Herrschaft nahm ihr Ritualcharakter allerd<strong>in</strong>gs<br />
immer mehr ab, teils weil die Todesstrafe zunehmend als Mittel der „Ausmerze von Volksschädl<strong>in</strong>gen“<br />
und nicht mehr als ultimative Sühne verstanden wurde, teils weil das <strong>in</strong>flationäre<br />
Anschwellen der Zahl der Todesurteile e<strong>in</strong>e Rationalisierung erforderlich machte. Obwohl<br />
während der <strong>NS</strong>-Herrschaft die Vollstreckung von Todesurteilen häufig auf Plakaten<br />
öffentlich bekanntgemacht wurde, um e<strong>in</strong>e Abschreckungswirkung zu erzielen 39, wurde der<br />
Teilnehmerkreis bei den H<strong>in</strong>richtungen selbst immer mehr e<strong>in</strong>geengt. 1934 wurde die Regelung<br />
abgeschafft, dass zwölf bürgerlichen Zeugen der Exekution beizuwohnen hätten. Sie<br />
wurde als „Auswuchs e<strong>in</strong>es liberalistischen Staatsverständnisses betrachtet“. 40 Richtl<strong>in</strong>ien<br />
vom Februar 1939 legten fest, dass außer dem Del<strong>in</strong>quenten nur der Scharfrichter und se<strong>in</strong>e<br />
drei Gehilfen, e<strong>in</strong> Vertreter der Staatsanwaltschaft, der Vorsteher der Strafanstalt sowie e<strong>in</strong><br />
Geistlicher anwesend se<strong>in</strong> durften. Der Geistliche konnte auf Wunsch e<strong>in</strong> Gebet sprechen. 41<br />
Doch im Oktober 1942 untersagte das Reichsjustizm<strong>in</strong>isterium Priestern die Teilnahme an<br />
Exekutionen. Den Anstaltsgeistlichen wurde nur noch gestattet, <strong>in</strong> der Zelle vor der Abfüh-<br />
35 Ebenda, S. 61–72.<br />
36 Evans, Rituale, S. 810 f.<br />
37 Nationalsozialistische Justiz und Todesstrafe, S. 17 ff.<br />
38 Dachs, Fallbeil, S. 83<br />
39 Beispiele bei Mechler, Kriegsalltag, S. 180 und 182.<br />
40 Evans, Rituale, S. 795.<br />
41 Ebenda.<br />
13
ung des Del<strong>in</strong>quenten e<strong>in</strong> kurzes Gebet zu sprechen. 42 Kurz zuvor war verfügt worden, dass<br />
H<strong>in</strong>richtungen künftig zu jeder Tages- und Nachtzeit stattf<strong>in</strong>den konnten, wenn auch die<br />
Nachtstunden bevorzugt wurden. Die Eröffnungsfrist, also die Zeit zwischen der Vollstreckung<br />
und ihrer Ankündigung, wurde auf acht Stunden verkürzt 43, das Urteil nicht mehr verlesen<br />
und die Anstaltsglocke nicht mehr geläutet. 44 Das Läuten hätte an den zentralen Exekutionsplätzen<br />
wohl auch ke<strong>in</strong> Ende mehr genommen.<br />
Die zeremonielle Umkleidung weist ebenso wie Karl Valent<strong>in</strong>s Persiflage auf e<strong>in</strong>e eigentümliche<br />
Fasz<strong>in</strong>ation h<strong>in</strong>, die die Tötungsprozedur auf viele Menschen auszuüben vermag und<br />
die <strong>in</strong> den als Schauspiel <strong>in</strong>szenierten öffentlichen H<strong>in</strong>richtungen früherer Zeiten geradezu<br />
zelebriert wurde. Die Würdenträger des <strong>NS</strong>-Regimes waren offenbar besonders anfällig für<br />
diese Mischung aus <strong>in</strong>fantiler Neugier, Lust am Schauder und Freude an der Grausamkeit.<br />
So verteidigte der Justizstaatssekretär und nachmalige Volksgerichtshofspräsident Freisler<br />
die <strong>in</strong> Preußen noch übliche Methode des Köpfens mit dem Handbeil als ganz besonders<br />
„männlich“ und „natürlich“. 45 Der <strong>NS</strong>DAP-Gauleiter von Franken und Herausgeber des antisemitischen<br />
Hetzblattes „Der Stürmer“, Julius Streicher, ließ es sich nicht nehmen, an der<br />
H<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es Räubers aus se<strong>in</strong>em Machtbereich <strong>in</strong> <strong>München</strong> teilzunehmen. Er legte<br />
dabei größtes Interesse für die Mechanik der Guillot<strong>in</strong>e an den Tag. „Schon damals, noch vor<br />
dem Krieg, kam mir der Gedanke, wie und wo wohl der sensationslüsterne ,Frankenführer’<br />
e<strong>in</strong>mal enden würde?“ er<strong>in</strong>nerte sich später der Gefängnisgeistliche Karl Alt. 46 Adolf Hitler<br />
hatte Wert darauf gelegt, dass die Beteiligten am Umsturzversuch des 20. Juli nicht geköpft,<br />
sondern gehenkt würden. Bereits die „lex van der Lubbe“ hatte der Reichsregierung die<br />
Möglichkeit e<strong>in</strong>geräumt, diese H<strong>in</strong>richtungsart anstelle des Köpfens anzuordnen. 47 Hitler ließ<br />
die Exekution filmen, um sich anschließend an den Aufnahmen zu delektieren. 48<br />
Was für den „Führer“ e<strong>in</strong> Festakt war, war für die Scharfrichter des Deutschen Reiches<br />
längst Rout<strong>in</strong>e geworden. Johann Reichhart war bereits vor Kriegsbeg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong> so gefragter<br />
Mann und die Guillot<strong>in</strong>e e<strong>in</strong> so begehrtes Werkzeug geworden, dass die Justizbehörde sich<br />
gezwungen sah, e<strong>in</strong>en „Opel Blitz“ als Dienstreisefahrzeug anzuschaffen. 49 Unmittelbar vor<br />
Kriegsbeg<strong>in</strong>n wurde e<strong>in</strong> vierter Scharfrichter für das Reich <strong>in</strong> Dienst gestellt. Reichhart<br />
brauchte jedoch ke<strong>in</strong>e Konkurrenz zu fürchten. Durch die politischen und militärischen Eroberungen<br />
des Dritten Reichs wuchs se<strong>in</strong> Amtsbezirk erheblich an. Mitte 1940 war er Scharfrichter<br />
<strong>in</strong> Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Böhmen und Österreich und wal-<br />
42 Evans, Rituale, S. 854; Nationalsozialismus und Todesstrafe, S. 68.<br />
43 Alt sah dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e „wohltätige Abkürzung der qualvollen Wartezeit“; Alt, Überschreiten, S. 46.<br />
44 Nationalsozialismus und Todesstrafe, S. 35.<br />
45 Evans, Rituale, S. 784. Diese Methode des Köpfens wurde 1938 endgültig abgeschafft; Nationalsozialismus und<br />
Todesstrafe, S. 25.<br />
46 Alt, Überschreiten, S. 75. Streicher wurde im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt<br />
und am 16. Februar 1946 <strong>in</strong> Nürnberg gehenkt. Frappierend s<strong>in</strong>d die Ähnlichkeiten im Verhalten des Räubers<br />
und Streichers angesichts der H<strong>in</strong>richtung. Ersterer, so Alt, habe noch unmittelbar vor der H<strong>in</strong>richtung se<strong>in</strong>e Mutter<br />
mit gräßlichen Flüchen bedacht. Über die Exekution Streichers schreibt der amerikanische Hauptankläger des Nürnberger<br />
Prozesses, Telford Taylor: „Streicher betrat das Gebäude und schrie ständig ,Heil Hitler!’. Er weigerte sich,<br />
se<strong>in</strong>en Namen zu nennen, spuckte Sergeant Woods an, sagte zu ihm ,E<strong>in</strong>es Tages werden die Bolschewiken sie<br />
aufhängen’ und schrie wieder ,Heil Hitler!’, als er zur Plattform h<strong>in</strong>aufstieg. Als er oben war, kreischte er: ,Purimfest<br />
1946’ [Jüdisches Fest zur Er<strong>in</strong>nerung an die Errettung des jüdischen Volkes durch Ester – JZ], und als ihm die Kapuze<br />
übergezogen wurde, rief er noch: ,Nun b<strong>in</strong> ich bei Gott, me<strong>in</strong>em Vater! Adele, me<strong>in</strong>e liebe Frau.’ Telford Taylor: Die<br />
Nürnberger Prozesse. H<strong>in</strong>tergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht. <strong>München</strong> 31996, S. 704.<br />
Sergeant Hazel Woods war laut Dachs, Fallbeil, S. 120 von Scharfrichter Reichhart <strong>in</strong> der Technik des Erhängens<br />
unterwiesen worden. Zu Woods weiterem Schicksal siehe ebenda S. 121 f.<br />
47 Victor von Gostomski, Walter Loch: Der Tod von Plötzensee. Frankfurt a. M. 1993, S. 54.<br />
48 Evans, Rituale, S. 859.<br />
49 Dachs, Fallbeil, S. 82.<br />
14
tete se<strong>in</strong>es Amtes <strong>in</strong> den Justizvollzugsanstalten Dresden, Frankfurt-Preungesheim, <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong>,<br />
Stuttgart und Wien. 50<br />
Obwohl die Sonderzahlungen für durchgeführte Exekutionen 1941 von 60 auf 40 Mark für<br />
den Scharfrichter und 30 Mark für die Gehilfen gekürzt wurden, brachte es Reichhart doch<br />
zu e<strong>in</strong>em nicht unansehnlichen Wohlstand. Alle<strong>in</strong> 1942 erhielt er neben se<strong>in</strong>em jährlichen<br />
Grunde<strong>in</strong>kommen von 3.000 Mark 35.790 Mark Sondervergütungen für 764 Enthauptungen,<br />
sowie knapp 6.000 Mark für Fahrtauslagen und als Aufwandsentschädigung. 51<br />
Die Del<strong>in</strong>quenten verbrachten meist Wochen, oft Monate im Wartestand. 52 Viele werden<br />
sich an die Hoffnung auf Begnadigung geklammert haben, doch die Chancen, Gnade zu f<strong>in</strong>den,<br />
waren im Dritten Reich ger<strong>in</strong>g. So ist für die Jahre 1943/44 e<strong>in</strong>e Begnadigungsquote<br />
von unter drei Prozent errechnet worden. 53 Von der Eröffnung bis zur H<strong>in</strong>richtung war e<strong>in</strong>e<br />
Frist von 24 auf Antrag auch von 48 Stunden gesetzt, die aber, wie oben erwähnt, 1942 auf<br />
acht Stunden verkürzt wurde. Die eigentliche H<strong>in</strong>richtung dauerte <strong>in</strong> der Regel meist weniger<br />
als e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>ute. 54 Reichhart bemühte sich, den Vorgang durch technische Neuerungen<br />
an der Guillot<strong>in</strong>e zu beschleunigen. Dabei hat wohl kaum alle<strong>in</strong> das Motiv, den Del<strong>in</strong>quenten<br />
die Qual des Wartens zu verkürzen, e<strong>in</strong>e Rolle gespielt. Neben der technischen Innovationsfreude<br />
lag es wohl auch im Interesse des Scharfrichters, die Prozedur abzukürzen, die ihn<br />
offenbar psychisch doch nicht völlig unberührt ließ. Immerh<strong>in</strong>, so bemerkt Pfarrer Alt, habe<br />
er sich vor den H<strong>in</strong>richtungen jeweils „kräftig mit Alkohol versorgt“. 55<br />
Von 1924 bis 1945 richtete Johann Reichhart 3.009 Menschen h<strong>in</strong>, davon 250 Frauen. Mehr<br />
als 90 Prozent der Exekutionen, nämlich 2.805, fielen <strong>in</strong> die Jahre 1940 bis 1945. 56 Auch<br />
von den 104 H<strong>in</strong>richtungen davor entfielen die meisten auf die Zeit der <strong>NS</strong>-Diktatur. 57<br />
Doch Reichharts Karriere war 1945 noch nicht zuende. Nach e<strong>in</strong>er kurzfristigen Inhaftierung<br />
durch die US-Truppen wurde er <strong>in</strong> Landsberg am Lech als Henker für verurteilte Kriegsverbrecher<br />
e<strong>in</strong>gesetzt. Zu den <strong>in</strong>sgesamt 156 Del<strong>in</strong>quenten, die ihm überantwortet wurden,<br />
gehörte unter anderem Oswald Pohl, der als ehemaliger Chef des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes<br />
unter anderem als Adm<strong>in</strong>istrator des KZ-Systems fungiert hatte. 58<br />
Se<strong>in</strong>em Biographen Johann Dachs zufolge weigerte sich Reichhart nach e<strong>in</strong>er Exekution von<br />
14 SS-Angehörigen am 1. April 1946, weitere H<strong>in</strong>richtungen durchzuführen, da zwei der Gehenkten<br />
unschuldig gewesen und nur aufgrund von Namensverwechslungen verurteilt worden<br />
seien. „Lieber <strong>in</strong>s Loch, als noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en Unschuldigen ermorden“, zitiert Dachs<br />
den Scharfrichter 59, von dem derlei Skrupel aus der <strong>NS</strong>-Zeit nicht bekannt geworden s<strong>in</strong>d.<br />
50 Ebenda, S. 103.<br />
51 Dachs, Fallbeil, S. 104; Dachs bezieht diese E<strong>in</strong>künfte auf das Jahr 1943, doch betrug die Zahl der von Reichhart<br />
durchgeführten Exekutionen nach Evans im Jahr 1943 876, 756 dagegen im Jahr 1942; vgl. Evans, Rituale, S. 865.<br />
52 So verbrachte etwa der wegen Widerstandsaktivitäten zum Tode verurteilte Münchner Jugendliche Walter Kl<strong>in</strong>genbeck<br />
bis zu se<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>richtung fast elf Monate <strong>in</strong> <strong>Stadelheim</strong>. Jürgen Zarusky: „... nur e<strong>in</strong>e Wachstumskrankheit“?<br />
Jugendwiderstand <strong>in</strong> Hamburg und <strong>München</strong>, <strong>in</strong>: Dachauer Hefte 7 (1991): Solidarität und Widerstand,<br />
S. 210–229, hier: S. 224.<br />
53 Gostomski/Loch, Tod, S. 56.<br />
54 Dachs, Fallbeil, S. 78 ff. spricht von drei bis vier M<strong>in</strong>uten, H<strong>in</strong>richtungsprotokolle geben jedoch <strong>in</strong> der Regel<br />
kürzere Zeiten an; vgl. Gostomski/Loch, Tod, S. 58 f.<br />
55 Alt, Überschreiten, S. 51.<br />
56 Dachs, Fallbeil, S. 136.<br />
57 Ebenda, S. 141.<br />
58 Ebenda, S. 119.<br />
59 Ebenda, S. 120.<br />
15
Im Grunde hatte Reichhart damit e<strong>in</strong>es der klassischen Argumente gegen die Todesstrafe<br />
vorgebracht, nichtsdestoweniger trat er 1963 als Ehrenmitglied des <strong>in</strong> Köln gegründeten<br />
„Vere<strong>in</strong>s zur Wiedere<strong>in</strong>führung der Todesstrafe“ öffentlich für dessen Ziele e<strong>in</strong>. 60 Zu diesem<br />
Zeitpunkt lag e<strong>in</strong> tiefer Absturz h<strong>in</strong>ter ihm: Im Mai 1947 war er <strong>in</strong>s Internierungslager Moosburg<br />
e<strong>in</strong>geliefert worden, dessen Insassen ihn als Hochverräter, Feigl<strong>in</strong>g und Henker der<br />
Amerikaner beschimpften und so sehr drangsalierten, dass er versuchte, sich durch Aufschneiden<br />
der Pulsadern das Leben zu nehmen. In e<strong>in</strong>er Spruchkammerverhandlung wurde<br />
er Ende 1948 zu zwei Jahren Haft im Internierungslager, E<strong>in</strong>ziehung von 50 Prozent se<strong>in</strong>es<br />
Vermögens, Verlust der Rentenansprüche und weiteren Restriktionen verurteilt. In der Berufung<br />
erreichte er Ende 1949 nur die Reduzierung der Haftstrafe, die mit den e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahren<br />
Untersuchungshaft als abgegolten e<strong>in</strong>gestuft wurde. Reichharts gerade erst 23jähriger<br />
Sohn Hans nahm sich offenbar unter dem E<strong>in</strong>druck dieser Sanktionen und der sozialen Ächtung<br />
se<strong>in</strong>es Vaters im Jahr darauf das Leben. Johann Reichhart starb e<strong>in</strong>sam und verarmt im<br />
Jahr 1972. 61<br />
Facetten des Widerstands<br />
Die 93 Männer, die <strong>in</strong> dem Sammelgrab auf dem Friedhof am Perlacher Forst beerdigt s<strong>in</strong>d,<br />
hatten nicht so funktioniert, wie es die <strong>NS</strong>-Machthaber von ihnen erwarteten. Nicht alle<br />
hatten bewussten politischen Widerstand geleistet; e<strong>in</strong>ige wollten sich nur bestimmten Zumutungen<br />
des <strong>NS</strong>-Systems nicht fügen, und es s<strong>in</strong>d auch e<strong>in</strong>zelne zwiespältige Charaktere<br />
<strong>in</strong> dieser eigenartigen, erst post mortem entstandenen Gruppe zu f<strong>in</strong>den. Aus der Sicht der<br />
Machthaber des <strong>NS</strong>-Staats und der ihnen dienenden Juristen gehörten sie alle <strong>in</strong> e<strong>in</strong> und dieselbe<br />
Kategorie: Sie waren Fe<strong>in</strong>de, die es zu vernichten galt. Doch nicht nur ihre Nationalitäten,<br />
auch ihre politischen Überzeugungen, ihre Handlungsweisen und der jeweilige H<strong>in</strong>tergrund,<br />
vor dem sich diese entfalteten, waren höchst unterschiedlich.<br />
In Deutschland 62 g<strong>in</strong>g der zahlenmäßig stärkste Widerstand von der sozialistischen Arbeiterbewegung<br />
und hier vor allem von den Kommunisten aus. Der Versuch, e<strong>in</strong>en massenhaften<br />
Widerstand zu organisieren, endete für Tausende <strong>in</strong> Gefängnissen und Konzentrationslagern,<br />
und bis zirka 1936/37 war von den illegalen Organisationen bis auf kle<strong>in</strong>e Reste nichts mehr<br />
übrig. Die Erfolge des <strong>NS</strong>-Regimes <strong>in</strong> der Außenpolitik und beim Abbau der Arbeitslosigkeit<br />
taten das Ihre dazu, dass seitens der Arbeiterbewegung <strong>in</strong> den folgenden Jahren nur e<strong>in</strong><br />
„Widerstand auf kle<strong>in</strong>er Flamme“ (Mehr<strong>in</strong>ger) existierte.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs entwickelten sich ab 1937/38, als sich Hitlers verhängnisvoller Kriegskurs konkretisierte,<br />
die ersten Ansätze e<strong>in</strong>er Opposition seitens des Militärs und nationalkonservativer<br />
Eliten. In teils wechselnder personeller Zusammensetzung bestand die Verschwörung,<br />
die mehrere Anläufe zur Entmachtung Hitlers unternahm, bis zum gescheiterten Attentat<br />
Stauffenbergs am 20. Juli 1944.<br />
Ihre Strategie zielte auf e<strong>in</strong>en Staatsstreich, der natürlich Teilhabe an den Machtmitteln des<br />
Regimes voraussetzte und dessen Gel<strong>in</strong>gen von e<strong>in</strong>er ganzen Reihe von Faktoren abhängig<br />
war. Der Umsturz scheiterte, weil Hitler das Attentat überlebte und die Loyalität zu ihm<br />
und se<strong>in</strong>er Herrschaft <strong>in</strong> der Militärelite so groß war, dass die Widerständler nach dem Miss-<br />
60 Ebenda, S. 140.<br />
61 Ebenda, S. 126–141.<br />
62 Überblicksdarstellung: Hartmut Mehr<strong>in</strong>ger: Widerstand und Emigration. Das <strong>NS</strong>-Regime und se<strong>in</strong>e Gegner.<br />
<strong>München</strong> 1997. Mit Überblicks- und Sachartikeln zu e<strong>in</strong>zelnen Aspekten: Wolfgang Benz, Walter H. Pehle (Hrsg.):<br />
Lexikon des deutschen Widerstandes. Frankfurt a.M. 1994.<br />
16
l<strong>in</strong>gen des Anschlags auf den „Führer“ auf verlorenem Posten standen. In breiten Kreisen<br />
der Bevölkerung rief das Attentat ehrliche Empörung hervor, e<strong>in</strong>e Stimmung, die sich noch<br />
<strong>in</strong> den ersten Jahren der Nachkriegszeit <strong>in</strong> weit verbreiteten abschätzigen Urteilen über die<br />
angeblichen „Landesverräter“ des 20. Juli äußerte.<br />
Auch andere Widerstandsgruppen mussten die Erfahrung machen, dass sie <strong>in</strong> der deutschen<br />
Gesellschaft ziemlich alle<strong>in</strong> und verloren waren. Auch wenn es verbreitete Unmutsäußerungen<br />
über die Lasten gab, die das <strong>NS</strong>-Regime den Deutschen aufbürdete, auch wenn das<br />
Abhören ausländischer Rundfunksender e<strong>in</strong> Massendelikt war 63 – den Schritt zu e<strong>in</strong>er bewussten<br />
und aktiven politischen Opposition taten nur sehr wenige. Die Gruppen, die ke<strong>in</strong>en<br />
Zugang zu Machtmitteln hatten, waren auf den Versuch angewiesen, e<strong>in</strong>e Gegenöffentlichkeit<br />
zum Regime herzustellen, die dessen Legitimität und die Gefolgsbereitschaft der<br />
Bevölkerung untergraben sollte.<br />
Letztlich lief das auf die Vorbereitung e<strong>in</strong>er ant<strong>in</strong>azistischen Revolution h<strong>in</strong>aus. Weder die<br />
kommunistischen und KP-nahen Widerstandsgruppen, die vor allem nach dem deutschen<br />
Angriff auf die Sowjetunion <strong>in</strong> Hamburg, Berl<strong>in</strong>, im Ruhrgebiet, <strong>in</strong> Mitteldeutschland und <strong>in</strong><br />
<strong>München</strong> entstanden, noch die wenigen eher westorientierten Zusammenschlüsse junger<br />
Leute, bei denen an erster Stelle die Weiße Rose zu nennen ist, hatten damit allerd<strong>in</strong>gs Erfolg.<br />
Zahlenmäßig erreichten alle diese Gruppen bei weitem nicht die Stärke, die der frühe<br />
Widerstand gehabt hatte.<br />
Der Widerstands <strong>in</strong> Österreich 64 entfaltete sich unter etwas anderen Bed<strong>in</strong>gungen als der<br />
deutsche, obwohl auch <strong>in</strong> Österreich der Nationalsozialismus über e<strong>in</strong>e relativ breite Massenbasis<br />
verfügte und der „Anschluss“ ans deutsche Reich vom März 1938 über dieses Lager<br />
h<strong>in</strong>aus von Anhängern der großdeutschen Idee begrüßt wurde. Allerd<strong>in</strong>gs wuchs <strong>in</strong> den Jahren<br />
der nationalsozialistischen Herrschaft das Österreichbewusstse<strong>in</strong> erheblich an. Dieser<br />
Prozess wurde überdies von den Kriegsgegnern Deutschlands unterstützt: In der Moskauer<br />
Deklaration der USA, Großbritanniens, der Sowjetunion und Ch<strong>in</strong>as vom 1. November 1943<br />
wurde nicht nur die Wiederherstellung e<strong>in</strong>er österreichischen Republik reklamiert, sondern<br />
die Österreicher wurden darüber h<strong>in</strong>aus aufgefordert, e<strong>in</strong>en eigenständigen Beitrag zu ihrer<br />
Befreiung vom Nazismus zu leisten, wobei betont wurde, dass dieser Beitrag E<strong>in</strong>fluss auf die<br />
künftige <strong>in</strong>ternationale Stellung des Landes haben werde. Für die Wiederherstellung traten<br />
die österreichischen Kommunisten ebenso e<strong>in</strong> wie die konservativ-katholischen Österreichtraditionalisten<br />
und die Legitimisten, die sich für die Restauration der Habsburgermonarchie e<strong>in</strong>setzten.<br />
Diese beiden Lager – die Grenzen zwischen Traditionalisten und Legitimisten s<strong>in</strong>d<br />
fließend – bildeten die größten Gruppen des österreichischen Widerstands. Auch hier waren<br />
die Kommunisten zahlenmäßig am stärksten, aber ihr quantitatives Übergewicht war nicht<br />
ganz so stark wie <strong>in</strong> Deutschland. E<strong>in</strong>e Besonderheit war überdies, dass sehr viele Aktivisten<br />
des kommunistischen Widerstandes ehemalige Sozialdemokraten, <strong>in</strong>sbesondere Mitglieder<br />
des paramilitärischen „Schutzbundes“, waren, die erst nach dem niedergeschlagenen Aufstand<br />
vom Februar 1934 und der Etablierung des austrofaschistischen Ständestaates zur KP<br />
gestoßen waren. Die Sozialdemokraten bzw. Revolutionären Sozialisten spielten h<strong>in</strong>gegen<br />
e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Rolle.<br />
Während <strong>in</strong> Deutschland der Widerstand bereits <strong>in</strong> den ersten Jahren des Regimes durch die<br />
harte Verfolgung weitgehend dezimiert worden war, war der österreichische Widerstand <strong>in</strong><br />
den ersten Jahren nach dem Anschluss zahlenmäßig noch relativ stark und wurde nicht zu-<br />
63 Elke Hilscher: Das alltägliche Verbrechen. Rundfunkvergehen im Widerspruch zum totalitären Machtanspruch,<br />
<strong>in</strong>: Ortsterm<strong>in</strong> Hamm: Zur Justiz im Dritten Reich. Hamm 1991, S. 51–55.<br />
64 Grundlegende Darstellung: Radomír Luza: Der Widerstand <strong>in</strong> Österreich 1938 –1945. Wien 1985.<br />
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letzt deshalb von der sich seit Kriegsbeg<strong>in</strong>n immer mehr radikalisierenden <strong>NS</strong>-Justiz mit<br />
besonderer Härte verfolgt. In Deutschland gab es kaum Formen bewaffneten Widerstands,<br />
abgesehen von e<strong>in</strong>igen Attentatsversuchen, von denen die Anschläge auf Hitler, die Johann<br />
Georg Elser 1939 und Claus von Stauffenberg 1944 durchführten, die e<strong>in</strong>zigen waren, die<br />
diesen und se<strong>in</strong> Regime wirklich gefährdeten. In Österreich h<strong>in</strong>gegen kooperierten Angehörige<br />
der slowenischen Bevölkerungsgruppe, aber auch österreichische Kommunisten <strong>in</strong> den<br />
Grenzbezirken zu Jugoslawien mit den Titopartisanen. Auch im Salzkammergut und <strong>in</strong> Tirol<br />
gab es kle<strong>in</strong>e Gruppen von Bewaffneten, die sich <strong>in</strong> die Berge zurückgezogen hatten, und<br />
dann vor allem am Kriegsende halfen, die Macht des Nationalsozialismus endgültig zu brechen.<br />
In Wien scheiterte am Kriegsende e<strong>in</strong> mit der heranrückenden Roten Armee koord<strong>in</strong>ierter<br />
Aufstandsplan, aber e<strong>in</strong>zelne Kampfgruppen, die davon nicht unterrichtet waren,<br />
lieferten sich Gefechte mit deutschen Truppen. Insgesamt war der Wert der bewaffneten Aktionen<br />
sicherlich weniger <strong>in</strong> militärischen als <strong>in</strong> moralisch-nationalen Kategorien zu messen.<br />
Der tschechische Widerstand 65 war von vornehere<strong>in</strong> e<strong>in</strong> nationaler Widerstand. Dies drückte<br />
sich unter anderem dar<strong>in</strong> aus, dass zwischen der tschechischen Protektoratsregierung, den<br />
Gruppen des Widerstands und dem von London aus agierenden Chef der tschechischen Exilregierung<br />
Eduard Benes Verb<strong>in</strong>dungen bestanden. Die deutsche Besatzungspolitik verfolgte<br />
zwei mite<strong>in</strong>ander unvere<strong>in</strong>bare Ziele: Volkstumspolitisch sollte die tschechische Nation durch<br />
Maßnahmen der Germanisierung aber auch der Vertreibung aufgelöst werden, jedoch stand<br />
zunächst die Ausnutzung des tschechischen Industriepotentials für die deutsche Kriegführung<br />
im Vordergrund. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, die <strong>in</strong> weiten Kreisen<br />
der tschechischen Bevölkerung als slawischer Bruder und möglicher Retter vor der<br />
Germanisierung betrachtet wurde, stieg die Widerstandsaktivität erheblich an. Streiks, Sabotageakte,<br />
aber auch Flüsterpropaganda und Bummelantentum nahmen erheblich zu. Möglicherweise<br />
war diese Entwicklung e<strong>in</strong> Grund für die Ernennung Re<strong>in</strong>hard Heydrichs zum<br />
„stellvertretenden Reichsprotektor“, der die Geschäfte des wegen e<strong>in</strong>er angeblichen Erkrankung<br />
beurlaubten konservativen Diplomaten Konstant<strong>in</strong> von Neurath übernahm. Mit dem<br />
Auftreten des SS-Obergruppenführers und Chefs des Reichssicherheitshauptamtes im<br />
Reichsprotektorat am 27. September 1941 erhöhte sich schlagartig der Verfolgungsdruck<br />
auf den tschechischen Widerstand, der sich aus den tragenden Parteien der ersten Tschechischen<br />
Republik, Offizieren der aufgelösten Armee und den Anhängern der Kommunistischen<br />
Partei rekrutierte, jedenfalls schlagartig. Über weite Teile des Landes wurde noch am<br />
selben Tag der Ausnahmezustand verhängt, der mit der E<strong>in</strong>führung der Standgerichtsbarkeit<br />
e<strong>in</strong>herg<strong>in</strong>g. Den M<strong>in</strong>isterpräsidenten der Protektoratsregierung Alois Eliás ließ Heydrich<br />
ebenfalls noch am Tage se<strong>in</strong>es Amtsantritts verhaften und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em unter Umgehung der<br />
Reichsanwaltschaft anberaumten Eilverfahren drei Tage später vom Volksgerichtshof unter<br />
Georg Thierack wegen Hochverrat und Fe<strong>in</strong>dbegünstigung zum Tode verurteilen. Im September<br />
1940 hatte Hitler noch angeordnet, dass ke<strong>in</strong>e größeren Verfahren gegen den tschechischen<br />
Widerstand vor dem Volksgerichtshof durchgeführt werden sollten, um ke<strong>in</strong>e Märtyrer<br />
zu schaffen. Am 10. Oktober 1941 teilte Heydrich dem Präsidenten des Volksgerichtshofes<br />
mit, dass diese Entscheidung h<strong>in</strong>fällig geworden sei. 66 Die justizielle Verfolgung des<br />
tschechischen Widerstandes wurde damit zu e<strong>in</strong>em der zentralen Tätigkeitsgebiete des<br />
Volksgerichtshofs. 67 Die Zahl der tschechischen Angeklagten war <strong>in</strong> der Zeit vom Herbst<br />
1941 bis zum Kriegsende so groß, dass sie sich <strong>in</strong>sgesamt auf 25 Prozent aller Angeklagten<br />
65 Grundlegend hierzu: Detlef Brandes: Die Tschechen unter deutschem Protektorat. Besatzungspolitik, Kollaboration<br />
und Widerstand im Protektorat Böhmen und Mähren. 2 Bde. <strong>München</strong> und Wien 1969 und 1975.<br />
66 Wagner, Volksgerichtshof, S. 486 f.<br />
67 Übersicht mit vielen Fallbeispielen ebenda, S. 484–632.<br />
18
eläuft, die vor dem Volksgerichtshof standen. 68 Die Verfolgung unbotmäßiger Tschechen<br />
verschärfte sich e<strong>in</strong> weiteres Mal, nachdem tschechische Fallschirmagenten am 27. Mai<br />
1942 e<strong>in</strong>en Anschlag auf Heydrich verübt hatten, dem er am 4. Mai erlag. Am 10. Juni 1942<br />
wurde die gesamte männliche Bevölkerung des Dorfes Lidice, aus dem die Attentäter stammen<br />
sollten, von Kräften der Sicherheitspolizei und des SD ermordet. 198 Frauen wurden<br />
<strong>in</strong> Konzentrationslager e<strong>in</strong>gewiesen; 98 K<strong>in</strong>der wurden zum Teil „e<strong>in</strong>gedeutscht“, d.h. ihren<br />
Familien geraubt, zum Teil <strong>in</strong> Vernichtungslager Chelmno ermordet. Insgesamt verloren <strong>in</strong><br />
dem Rachefeldzug nach Heydrichs Tod m<strong>in</strong>destens 1.700 Tschechen das Leben.<br />
Der tschechische Widerstand hatte von Anfang an e<strong>in</strong>e militärische Komponente, wie es sie<br />
<strong>in</strong> dieser Art im österreichischen geschweige denn im deutschen Widerstand nicht gegeben<br />
hat. Sie kulm<strong>in</strong>ierte im Prager Aufstand vom 5. bis 7. Mai 1945. Ehemalige Offiziere versuchten<br />
von Beg<strong>in</strong>n der deutschen Besatzung an, <strong>in</strong> der „Obrana Národa“ Kader für e<strong>in</strong>e Untergrundarmee<br />
heranzubilden, und Benes forderte nach Kriegsausbruch dazu auf, möglichst<br />
viele ausgebildete Offiziere und Soldaten zum Dienst <strong>in</strong> den tschechischen Legionen <strong>in</strong>s Ausland<br />
zu schicken. E<strong>in</strong>ige Tausend Tschechen kämpften auf alliierter Seite, und viele Tausende<br />
junger Tschechen versuchten sich diesem Kampf anzuschließen, nicht zuletzt motiviert von<br />
der Tatsache, dass die tschechischen Legionen des 1. Weltkriegs wegen ihres Beitrags zur<br />
Entstehung des tschechischen Staates legendären Ruhm genossen. Viele Versuche, <strong>in</strong>s<br />
Ausland zu gelangen und sich den Legionen anzuschließen, endeten <strong>in</strong>des vor den Schranken<br />
des Volksgerichtshofs, der <strong>in</strong> solchen Fällen zumeist die Todesstrafe verhängte, übrigens<br />
auch gegen e<strong>in</strong>e Anzahl von Polen, die sich den polnischen Legionen anschließen wollten.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs wurden Polen zunehmend der Polizeijustiz überantwortet; immer weniger erhielten<br />
das „Privileg“ e<strong>in</strong>er Gerichtsverhandlung, wobei auch die Justiz die als rassisch m<strong>in</strong>derwertig<br />
betrachteten besiegten Kriegsgegner erheblich schlechter stellte als andere Angeklagte.<br />
Die Justizvollzugsanstalt <strong>Stadelheim</strong> mit ihrer H<strong>in</strong>richtungsstätte war e<strong>in</strong>er jener Orte, an<br />
denen die tragischen Schicksalsl<strong>in</strong>ien des deutschen mit denen des europäischen Widerstandes<br />
zusammenliefen. Das Sammelgrab II auf dem Friedhof am Perlacher Forst ist e<strong>in</strong><br />
bleibendes Zeugnis dafür.<br />
68 Errechnet aus den Angaben bei Schlüter, Urteilspraxis, S. 108 und 191.<br />
19
Irene Stuiber<br />
Politische Justiz <strong>in</strong> der <strong>NS</strong>-Zeit<br />
Ermittlungsverfahren gegen politische Gegner lagen während der <strong>NS</strong>-Zeit <strong>in</strong> Händen der<br />
Gestapo. Sie beobachtete und verfolgte sowohl die <strong>in</strong>- und ausländische Opposition als<br />
auch ausländische Zivil- und Zwangsarbeiter. Bei der politischen Beherrschung der besetzten<br />
Länder spielte die Gestapo e<strong>in</strong>e wesentliche Rolle. Abhängig vom Ergebnis ihrer Ermittlungen<br />
entschied sie, ob e<strong>in</strong> Fall der Staatsanwaltschaft übergeben wurde, oder sie<br />
verhängte selbst ohne jede richterliche Kontrolle Haft <strong>in</strong> den Konzentrationslagern. Häufig<br />
wurden verme<strong>in</strong>tliche oder wirkliche politische Gegner auch nach Freisprüchen vor Gericht<br />
oder nach Verbüßung e<strong>in</strong>er Gefängnisstrafe <strong>in</strong> Konzentrationslager gesperrt. Rechtsmittel<br />
gegen die KZ-Haft gab es nicht. Wurde e<strong>in</strong> Verfahren an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet,<br />
so entschied diese über die Aufnahme e<strong>in</strong>es Gerichtsverfahrens. Politische Vergehen<br />
wie die Mitarbeit <strong>in</strong> Widerstandsorganisationen, Besitz oder Weitergabe illegaler<br />
Schriften, regimekritische Äußerungen oder das verbotene Abhören ausländischer Sender<br />
wurden dem Volksgerichtshof, den Oberlandesgerichten und den Sondergerichten zugewiesen.<br />
Diese Gerichte übernahmen e<strong>in</strong>en wesentlichen Part der staatlichen Verfolgung. In<br />
allen Oberlandesgerichtsbezirken waren Spezialstrafkammern für politische Delikte, die<br />
so genannten Sondergerichte, e<strong>in</strong>gerichtet worden.<br />
Das zentrale Gericht bei der Verfolgung politischen Widerstands und nicht-systemkonformen<br />
Verhaltens während der <strong>NS</strong>-Zeit war der berüchtigte Volksgerichtshof. Die weitaus<br />
größte Zahl der Toten des Sammelgrabs II ist diesem Gericht zum Opfer gefallen. Der<br />
Volksgerichtshof verurteilte <strong>in</strong> 7.022 Verfahren <strong>in</strong>sgesamt 15.519 Personen, davon wurden<br />
5.279 Menschen zum Tode verurteilt. Nahezu die Hälfte aller Verurteilten waren Oppositionelle<br />
der besetzten Länder. 95 Prozent der Todesurteile wurden ab 1942 verhängt. Dies war<br />
nicht nur e<strong>in</strong>e Folge der zunehmenden Barbarisierung der Gesellschaft <strong>in</strong> der Kriegszeit,<br />
sondern auch die Reaktion der Justiz auf den an sie gerichteten Vorwurf allzu großer Milde<br />
<strong>in</strong> der Reichstagsrede Hitlers vom 26. April 1942. Zudem wurde der tschechische Widerstand<br />
nach dem tödlichen Attentat auf den Reichsprotektor Re<strong>in</strong>hard Heydrich im Mai<br />
1942 noch unnachgiebiger als zuvor verfolgt. E<strong>in</strong> weiterer Grund für die Zunahme der Anzahl<br />
der Todesurteile war die Übernahme der Präsidentschaft des Volksgerichtshofs durch<br />
Roland Freisler. Der Volksgerichtshof urteilte <strong>in</strong> zeitweilig bis zu sechs Senaten mit jeweils<br />
fünf Richtern über die bei ihm anhängigen Verfahren; nur der Vorsitzende und e<strong>in</strong> Beisitzer<br />
mussten Berufsrichter se<strong>in</strong>, drei weitere waren jeweils Laienrichter aus Polizei, Wehrmacht<br />
und <strong>NS</strong>DAP-Gliederungen. Die Richter des Volksgerichtshofes wurden auf Vorschlag des<br />
Reichsjustizm<strong>in</strong>isters von Hitler ernannt. Rechtsmittel gegen Urteile des Volksgerichtshofs<br />
waren nicht zulässig. Der Verurteilte hatte die Möglichkeit, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em formalisierten Gnadenverfahren<br />
um Nichtvollzug der Todesstrafe zu bitten. Die Akten weisen e<strong>in</strong>e Fülle erschütternder<br />
Bittbriefe von Eltern, Ehefrauen und K<strong>in</strong>dern der Todeskandidaten auf. Meist waren<br />
diese Gnadenbitten von vornehere<strong>in</strong> aussichtslos.<br />
Trotz umfangreicher Ermittlungsverfahren <strong>in</strong> der Nachkriegszeit wurde ke<strong>in</strong> Richter des<br />
Volksgerichtshofs durch die Justiz zur Verantwortung gezogen.<br />
20
Literatur:<br />
Boberach, He<strong>in</strong>z: Nachkriegsprozesse. In: Enzyklopädie des Nationalsozialismus.<br />
Hg. von Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß. Stuttgart 1997, S. 592– 594.<br />
Eiber, Ludwig: Verfolgung. In: Enzyklopädie des Nationalsozialismus.<br />
Hg. von Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß. Stuttgart 1997, 275–295.<br />
Hensle, Michael: Volksgerichtshof. In: Enzyklopädie des Nationalsozialismus.<br />
Hg. von Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß. Stuttgart 1997, S. 786–787.<br />
Zarusky, Jürgen: E<strong>in</strong>leitung. In: Widerstand als „Hochverrat“ 1933–1945.<br />
Die Verfahren gegen deutsche Reichsangehörige vor dem Reichsgericht, dem Volksgerichtshof und dem<br />
Reichskriegsgericht. Erschließungsband zur Mikrofiche-Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte<br />
bearbeitet von Jürgen Zarusky und Hartmut Mehr<strong>in</strong>ger unter Mitwirkung von Birgit Rätsch, Katr<strong>in</strong> Ste<strong>in</strong>ack,<br />
Sybille Ste<strong>in</strong>bacher, Irene Stuiber, Andreas Toppe, Heike Zahn. (Texte und Materialien zur Zeitgeschichte,<br />
Bd. 7). <strong>München</strong> 1998, S. 11–44.<br />
21
Das Gefängnis <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong><br />
Wesentlich älter als der seit 1931 existierende Friedhof ist das direkt daneben liegende<br />
Gefängnis <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong>. 1892 wurde der Grundste<strong>in</strong> zu diesem Gebäude gelegt,<br />
1901 war der Gefängnisbau mit e<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>richtungsstätte und e<strong>in</strong>er Anstaltskirche abgeschlossen.<br />
Zwischen 1895 und 1927 wurden hier 14 Todesurteile vollstreckt.<br />
Im Frühjahr 1919 wurde das Gefängnis <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> zum ersten Mal <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Geschichte zur Vollzugsstätte politischen Mordes: Gustav Landauer und Eugen Lev<strong>in</strong>é als<br />
führende Repräsentanten der Münchner Räterepublik wurden von als Wachmannschaften<br />
e<strong>in</strong>gesetzten Freikorpssoldaten umgebracht, neben ihnen fanden m<strong>in</strong>destens 17 ihrer Kampfgefährten<br />
<strong>in</strong> <strong>Stadelheim</strong> den gewaltsamen Tod. Unter ihnen befand sich auch die Rotkreuzschwester<br />
Maria Kl<strong>in</strong>g, die Angehörigen der Roten Truppen mit der Rot-Kreuz-Fahne W<strong>in</strong>kzeichen<br />
gegeben hatte. Sie war von e<strong>in</strong>em Standgericht freigesprochen worden, wurde<br />
dennoch nach <strong>Stadelheim</strong> abgeführt und dort von Freikorpsangehörigen erschossen, die<br />
sie regelrecht als Zielscheibe nutzten. Zum Teil waren diese Morde <strong>in</strong> <strong>Stadelheim</strong> durch<br />
Standgerichtsurteile verme<strong>in</strong>tlich rechtlich legitimiert, größtenteils jedoch waren sie Ausdruck<br />
von unverbrämtem politischen Terror. Ernst Toller, ebenfalls im Gefängnis <strong>Stadelheim</strong><br />
e<strong>in</strong>gesperrt, entg<strong>in</strong>g nur knapp e<strong>in</strong>er tödlichen Intrige, die nach den Plänen se<strong>in</strong>er Gegner<br />
mit e<strong>in</strong>em „auf der Flucht erschossen“ hätte enden sollen. Er er<strong>in</strong>nerte sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch<br />
„Justiz-Erlebnisse“, dass außen an der Gefängnismauer mit weißer Kreide stand: „Hier werden<br />
Spartakisten kostenlos zu Tode befördert.“, und: „Hier wird aus Spartakistenblut frische<br />
Blut- und Leberwurst gemacht.“<br />
Davor und <strong>in</strong> der Zeit der Weimarer Republik diente das Gefängnis im Wesentlichen der<br />
Inhaftierung von Kle<strong>in</strong>krim<strong>in</strong>ellen und Untersuchungsgefangenen. Unter diesen Strafgefangenen<br />
befand sich auch Adolf Hitler. Zwischen dem 24. Juni und dem 27. Juli 1922 saß<br />
Hitler im Gefängnis <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> e<strong>in</strong>. Er war wegen Landfriedensbruchs zu drei<br />
Monaten Haft verurteilt worden, zwei davon wurden ihm nach e<strong>in</strong>er Klausel des Urteils<br />
„bei guter Führung“ erlassen. Grund der Verurteilung: Hitler hatte mit se<strong>in</strong>en Anhängern<br />
gewaltsam verh<strong>in</strong>dert, dass e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er Gegner, e<strong>in</strong> bayerischer Separatist, öffentlich im<br />
Löwenbräukeller sprechen konnte.<br />
E<strong>in</strong>e Verschärfung der Strafjustiz führte gegen Ende der Weimarer Republik dazu, dass Anfang<br />
der dreißiger Jahre <strong>in</strong> Deutschland die Todesstrafe wieder verhängt und vollzogen<br />
wurde. Die Nationalsozialisten machten sie zu e<strong>in</strong>em zentralen Faktor ihrer Justizpolitik. Se<strong>in</strong>en<br />
letzten <strong>in</strong>nerparteilichen Widersacher Ernst Röhm ließ Hitler im Gefängnis <strong>München</strong>-<br />
<strong>Stadelheim</strong> ohne Urteil umbr<strong>in</strong>gen: Am 1.7.1934 wurde er an diesem Ort von e<strong>in</strong>em SS-<br />
Kommando erschossen. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 veränderte<br />
das Gefängnis <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> se<strong>in</strong>en Charakter grundlegend: Auch politische Gefangene<br />
wurden nun e<strong>in</strong>geliefert. Das Gefängnis bekam im nationalsozialistischem Staat e<strong>in</strong>e<br />
wichtige Funktion <strong>in</strong> der Unterdrückung aller Formen von Widerstand, Opposition und<br />
nichtkonformen Verhaltens. Bis 1942 war Berl<strong>in</strong>-Plötzensee die zentrale H<strong>in</strong>richtungsstätte<br />
für alle vom Volksgerichtshof zum Tode Verurteilten gewesen, angesichts der vielen Todesurteile<br />
wurde der Vollzug dieser Justizmorde dann dezentralisiert. <strong>Stadelheim</strong> wurde zur<br />
Vollzugsstätte der Todesstrafe für das südöstliche Reichsgebiet und für Teile der besetzten<br />
Gebiete. Die Zahl der vollzogenen Todesurteile liegt weit über 1.000. E<strong>in</strong>e endgültige<br />
Klärung der genauen Daten steht noch aus.<br />
22
Die zum Tode verurteilten Menschen verbrachten häufig mehrere Monate <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er der <strong>Stadelheim</strong>er<br />
Todeszellen. Die Zahl der Todeskandidaten betrug <strong>in</strong> den letzten Jahren des 2.<br />
Weltkriegs ständig zwischen 100 und 140 Personen. Zwei H<strong>in</strong>richtungstage <strong>in</strong> der Woche<br />
wurden zur Regel. Bisweilen wurden dann über dreißig Todesurteile an e<strong>in</strong>em Tag vollzogen.<br />
Die bevorstehende H<strong>in</strong>richtung teilte man den Häftl<strong>in</strong>gen zwischen 8 und 12 Stunden<br />
vor ihrem Vollzug mit. Im Gefängnis <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> gab es mehrere Gefängnisgeistliche,<br />
die e<strong>in</strong>em Teil der zum Tode verurteilten Häftl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> ihren letzten Stunden beistanden.<br />
Der protestantische Pfarrer Alt hielt se<strong>in</strong>e Erlebnisse nach dem Krieg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em erschütternden<br />
Buch fest, der katholische Priester Anton Maier berichtete 1953 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er öffentlichen<br />
Veranstaltung von se<strong>in</strong>en Erfahrungen.<br />
Die H<strong>in</strong>richtung selbst wurde nach e<strong>in</strong>em genau vorgeschriebenen Ritual fast fabrikmäßig<br />
vollzogen. E<strong>in</strong> Protokoll gab Aufschluss über ihre Dauer – <strong>in</strong> Sekunden. Häufig wurde der<br />
Leichnam der Ermordeten an anatomische Universitäts<strong>in</strong>stitute übergeben und noch <strong>in</strong><br />
der Nachkriegszeit zur Ausbildung von Mediz<strong>in</strong>studenten verwendet.<br />
Vor allem den Anstrengungen der Journalist<strong>in</strong> Kar<strong>in</strong> Friedrich ist es zu verdanken, dass <strong>in</strong><br />
<strong>Stadelheim</strong> heute e<strong>in</strong>e Gedenkstätte an die Opfer der Nationalsozialisten er<strong>in</strong>nert.<br />
Literatur:<br />
Alt, Karl: Überschreiten von Grenzen. Strafgefängnis <strong>München</strong> <strong>Stadelheim</strong> zwischen 1934 und 1945: Der evangelische<br />
Seelsorger und Zeitzeuge Karl Alt begleitet die zum Tode Verurteilten bis zu ihrer H<strong>in</strong>richtung.<br />
<strong>München</strong> 1994. (Neuauflage von: Alt, Karl: Todeskandidaten. Erlebnisse e<strong>in</strong>es Seelsorgers im Gefängnis<br />
<strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> mit zahlreichen im Hitlerreich zum Tode verurteilten Männern und Frauen. <strong>München</strong><br />
1946).<br />
Br<strong>in</strong>kmann, Elisabeth: Der letzte Gang. E<strong>in</strong> Priesterleben im Dienste Todgeweihter. Er<strong>in</strong>nerungen an me<strong>in</strong>en<br />
Bruder. Münster 1950.<br />
Friedrich, Kar<strong>in</strong>: Zeitfunken. Biographie e<strong>in</strong>er Familie. <strong>München</strong> 2000.<br />
Freudenreich, Johann: „Das Gefangenenviertel am Rand der Stadt.“ In: Süddeutsche Zeitung, Jg. 48, Nr. 160,<br />
14.7.1992, S. 15.<br />
Gumbel, Emil Julius: Vier Jahre politischer Mord. Berl<strong>in</strong> 1922.<br />
„In den Todeszellen von <strong>Stadelheim</strong>. Erlebnisse und Er<strong>in</strong>nerungen e<strong>in</strong>es Gefängnisgeistlichen im Dritten<br />
Reich.“ In: Münchner Stadtanzeiger Nr. 47, 27.11.1953, S. 3–4.<br />
Kershaw, Ian: Hitler 1889–1936. Stuttgart 1998.<br />
Reichelt, Stefanie: „Für mich ist der Krieg aus!“ Deserteure und Kriegsverweigerer des 2. Weltkriegs <strong>in</strong><br />
<strong>München</strong>. <strong>München</strong> 1995.<br />
Toller, Ernst: Justiz-Erlebnisse. Nachdruck Berl<strong>in</strong> 1979. Hier<strong>in</strong> auch die im Text erwähnten Zitate.<br />
Ziegler, Adolf Wilhelm: Seelsorgerlicher Beistand beim „Letzten Gang“ im Gefängnis <strong>Stadelheim</strong> während des<br />
2. Weltkriegs. In: Jahrbuch 1964 für altbayerische Kirchengeschichte. <strong>München</strong> 1964.<br />
Quellen:<br />
Justizvollzugsanstalt <strong>Stadelheim</strong>; Totenbuch.<br />
Staatsarchiv <strong>München</strong>; JVA <strong>Stadelheim</strong>.<br />
23
Sammelgrab II, (Planquadrat 77); © Kulturreferat der Landeshauptstadt <strong>München</strong><br />
24
Biographische Dokumentation zu den Toten des<br />
Sammelgrabs II auf dem Friedhof am Perlacher Forst<br />
93 Tote liegen <strong>in</strong> diesem Sammelgrab, Männer aus Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei<br />
und Polen. Sie wurden aufgrund so genannter politischer Straftaten zum Tode<br />
verurteilt. Manche waren überzeugte Gegner des Nationalsozialismus, aus Überzeugung<br />
bewusst im Widerstand tätig. E<strong>in</strong>ige wollten sich lediglich dem Herrschaftsbereich des<br />
Nationalsozialismus entziehen, ihren persönlichen Unmut kundtun oder sich durch das<br />
verbotene Hören von so genannten Fe<strong>in</strong>dsendern <strong>in</strong>formieren. Wieder andere passten aufgrund<br />
ihrer Herkunft oder ihres Lebensstils nicht <strong>in</strong> das strenge rassistische und biologistische<br />
Raster, mit dem die Nationalsozialisten def<strong>in</strong>ierten, wer es ihrer Me<strong>in</strong>ung nach<br />
wert war, überleben zu dürfen.<br />
Mit der Grabste<strong>in</strong>legung 1996 wurden zwar Namen und Nationalitäten der hier begrabenen<br />
Männer e<strong>in</strong>er breiteren Öffentlichkeit bekannt. Über ihr Leben wusste man allerd<strong>in</strong>gs<br />
bis auf wenige Ausnahmen kaum etwas. Diese Lücke will die hier vorliegende Veröffentlichung<br />
schließen. Die Quellenlage war dank der deutschen Vere<strong>in</strong>igung und den damit zusammenhängenden<br />
Veränderungen im Archivwesen günstig. Über erstaunlich viele der<br />
Ermordeten ließ sich Näheres <strong>in</strong> Erfahrung br<strong>in</strong>gen.<br />
Und dies, obwohl die Quellenlage diesen Nachforschungen enge Grenzen setzt. In der<br />
Regel bestehen die erhaltenen Quellen aus Gerichtsakten der nationalsozialistischen Justiz,<br />
die den biographischen H<strong>in</strong>tergrund und den so genannten Tathergang <strong>in</strong> der Regel akribisch<br />
beschreiben. Auskünfte über die persönliche Motivation der Verurteilten s<strong>in</strong>d den<br />
erhaltenen Unterlagen kaum zu entnehmen. Auch die dreiteiligen Portraits stammen aus<br />
den Akten der Staatsanwaltschaft. Der Blickw<strong>in</strong>kel des Fotografen ist klar: Er hat den Auftrag,<br />
Menschen als „Verbrecher“ abzubilden. Der wahren Persönlichkeit der dargestellten<br />
Personen werden diese Fotos nicht gerecht, aber als visuelles Dokument der nationalsozialistischen<br />
Verfolgungspraxis sollen sie dennoch ihren Platz <strong>in</strong> dieser Publikation f<strong>in</strong>den.<br />
Bisweilen wird das Sammelgrab II am Münchner Friedhof am Perlacher Forst als KZ-Ehrenha<strong>in</strong><br />
II bezeichnet. Im Gegensatz zu den über viertausend Toten des angrenzenden KZ-Ehrenha<strong>in</strong>s<br />
I starben die hier Beerdigten jedoch nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der vielen Konzentrationslager,<br />
sondern wurden unter dem Fallbeil im Gefängnis <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> ermordet. Die<br />
fehlerhafte Bezeichnung spiegelt Lücken <strong>in</strong> der kollektiven Er<strong>in</strong>nerung unserer Gesellschaft.<br />
Die Toten des Sammelgrabs II wurden auf dem Friedhof am Perlacher Forst bestattet, weil<br />
er direkt an das ältere Gefängnis <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> angrenzt. Das Gefängnis entwickelte<br />
sich während der <strong>NS</strong>-Zeit zu e<strong>in</strong>er der zentralen H<strong>in</strong>richtungsstätten Deutschlands.<br />
Die Schicksale der 93 im Sammelgrab II am Friedhof am Perlacher Forst begrabenen<br />
Justizopfer werden im Hauptteil dieser Publikation dargestellt. Ihre Lebensgeschichten<br />
sollen, soweit möglich, <strong>in</strong> die entsprechenden nationalen Widerstandszusammenhänge<br />
e<strong>in</strong>geordnet werden. E<strong>in</strong>ige Biographien betreffen eher Randbereiche der Widerstandsgeschichte.<br />
Sie zeigen, dass politische Verfolgung oft auch Menschen traf, die sich eher<br />
zufällig e<strong>in</strong>es politischen Vergehens <strong>in</strong> den Augen der nationalsozialistischen Justiz schuldig<br />
gemacht hatten. E<strong>in</strong>e Zuordnung der Personen nach Ländern erfolgt unter Zugrundelegung<br />
der Grenzen vor der Ausweitung des nationalsozialistischen Machtbereichs, also vor dem<br />
25
KZ-Ehrenha<strong>in</strong> I; © Kulturreferat der Landeshauptstadt <strong>München</strong><br />
Anschluss Österreichs an das deutsche Reich und vor dem Münchner Abkommen, durch<br />
den das Sudetenland an Deutschland fiel. Das pervertierte Staatsangehörigkeitsrecht, mit<br />
dem die Nationalsozialisten die unter ihren E<strong>in</strong>fluss geratenen Vielvölkerstaaten zu beherrschen<br />
versuchten, macht e<strong>in</strong>e nationale Zuordnung nach anderen Kriterien sehr schwer.<br />
Persönliche Identifikationsmuster liefen häufig quer zur tatsächlichen Staatsangehörigkeit.<br />
Die Reihenfolge der Darstellung folgt der nationalsozialistischen Expansion und trägt damit<br />
auch der Entwicklung des Unterdrückungsapparats Rechnung.<br />
Daher werden zuerst die Lebensgeschichten von Menschen aus deutschem Gebiet vorgestellt.<br />
Es folgen österreichische, tschechoslowakische und polnische Biographien. Die<br />
e<strong>in</strong>zelnen Länderkapitel beg<strong>in</strong>nen zunächst mit e<strong>in</strong>er kurzen E<strong>in</strong>führung. Leider kann nicht<br />
jeder Lebenslauf und jede politische Aktivität ausführlich geschildert werden. Im Kontext<br />
der erwähnten Gruppenzugehörigkeit s<strong>in</strong>d die ausführlicher beschriebenen Biographien<br />
jedoch von exemplarischem Charakter. Zudem werden zu jedem e<strong>in</strong>zelnen der im Sammelgrab<br />
II bestatteten Menschen die biographischen Rahmendaten wiedergegeben, soweit<br />
möglich mit e<strong>in</strong>er kurzen Zusammenfassung ihrer gegen das <strong>NS</strong>-Regime gerichteten<br />
Aktivitäten. Außerhalb der nationalen Zuordnungen f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong> Kapitel, das sich mit<br />
Menschen beschäftigt, die die Nationalsozialisten als „asozial“ stigmatisierten. Deren Verfolgung<br />
erfolgte offensichtlich unabhängig von nationalen Zuordnungen.<br />
26
Widerstand und Verfolgung <strong>in</strong> Deutschland<br />
Kaum waren die Nationalsozialisten an der Macht, begannen sie mit der Ausschaltung der<br />
politischen Opposition. Sie setzten wichtige Grundrechte wie die Me<strong>in</strong>ungs-, Presse- und<br />
Organisationsfreiheit außer Kraft. Die ersten Konzentrationslager – unter ihnen Dachau –<br />
wurden e<strong>in</strong>gerichtet und vor allem Mitglieder von SPD und KPD, aber auch bürgerliche Anhänger<br />
e<strong>in</strong>es demokratischen Staates, ohne jede justizielle Grundlage auf Wochen, Monate<br />
und Jahre e<strong>in</strong>gesperrt.<br />
Widerstand gegen die nationalsozialistische Politik kam <strong>in</strong> den ersten Jahren des Dritten<br />
Reiches vor allem aus der Arbeiterbewegung, bisweilen auch aus bürgerlichen Kreisen.<br />
Zahlenmäßig bei weitem am stärksten war der kommunistische Widerstand, der getragen<br />
wurde von der Erwartung e<strong>in</strong>er sozialistischen Revolution. Die hierarchische Organisation<br />
der KPD ermöglichte e<strong>in</strong>e schnelle Reorganisation nach Verhaftungen, stellte aber auch e<strong>in</strong><br />
ideales Terra<strong>in</strong> für Gestapo-Spitzel dar. Verglichen mit ihrer ger<strong>in</strong>gen Mitgliederzahl entfalteten<br />
auch die kle<strong>in</strong>eren l<strong>in</strong>ken Parteien e<strong>in</strong>e recht aktive Widerstandstätigkeit, während<br />
die sozialdemokratische Partei zurückhaltender war und e<strong>in</strong>en Schwerpunkt auf das Sammeln<br />
von Informationen legte. Bei all diesen Organisationen muss auf die enge Verb<strong>in</strong>dung<br />
zum politischen Exil h<strong>in</strong>gewiesen werden. Bis 1937 gelang es den Nationalsozialisten, diese<br />
Widerstandsgruppen im wesentlichen auszuschalten. Ihre aktiven Mitglieder saßen <strong>in</strong><br />
Gefängnissen und Konzentrationslagern oder waren <strong>in</strong>s Ausland geflüchtet.<br />
Kommunistischer Widerstand <strong>in</strong> Deutschland<br />
Wilhelm Lai, Hans Hartwimmer Johann Reis<strong>in</strong>ger und s<strong>in</strong>d dem kommunistischen Widerstand<br />
zuzurechnen. Auch die Personen, denen e<strong>in</strong>e Unterstützung e<strong>in</strong>es sowjetischen Fallschirmagenten<br />
vorgeworfen wurde, gehören <strong>in</strong> dieses Umfeld.<br />
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten hatte die unmittelbare Zerschlagung der KPD<br />
zur Folge. Die Partei konnte sich jedoch <strong>in</strong> beachtlichem Umfang <strong>in</strong> der Illegalität reorganisieren,<br />
etwa e<strong>in</strong> Zehntel aller Mitglieder der legalen Partei der Weimarer Republik zahlte<br />
1935 noch Beiträge. Auch die Nebenorganisationen der Partei, unter ihnen der Kommunistische<br />
Jugendverband Deutschlands (KJVD) wurden zunächst noch aufrechterhalten. Die<br />
Partei sah e<strong>in</strong> wesentliches Moment ihrer Widerstandstätigkeit <strong>in</strong> der massenweisen Verbreitung<br />
illegaler Literatur. Die hierarchische Struktur der Partei erwies sich als höchst störanfällig,<br />
der Gestapo gelang es, Spitzel an zentralen Stellen zu platzieren. Massenverhaftungen<br />
waren die Folge. Ab Mitte der dreißiger Jahre schließlich war die Regenerationskraft<br />
der Partei erschöpft. Dazu beigetragen hatte auch die zunehmende Fähigkeit des <strong>NS</strong>-<br />
Staats, große Teile der zunächst abwehrenden Arbeiterschaft zu <strong>in</strong>tegrieren. Die kommunistische<br />
Widerstandstätigkeit kam bis auf e<strong>in</strong>zelne Zirkel nahezu völlig zum Erliegen. Der<br />
Überfall <strong>NS</strong>-Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 wurde zum belebenden Element<br />
der kommunistischen Widerstandstätigkeit. Unabhängig vone<strong>in</strong>ander agierten während<br />
des Krieges e<strong>in</strong>zelne Gruppen, unter ihnen die Organisation um Robert Uhrig und<br />
Beppo Römer, der, wie weiter unten ausgeführt, Hans Hartwimmer und Johann Reis<strong>in</strong>ger<br />
angehörten. Weit über 100 ihrer Mitglieder wurden vor Gericht gestellt.<br />
27
Anpassung, nichtkonformes Verhalten und Widerstand<br />
Die geschickte nationalsozialistische Propaganda, die Mitgliedschaft der meisten Menschen<br />
<strong>in</strong> <strong>NS</strong>-Massenorganisationen, die Unterdrückung der Opposition sowie die sche<strong>in</strong>bare<br />
oder tatsächliche Verbesserung der Lebensbed<strong>in</strong>gungen – dies alles führte dazu, dass<br />
e<strong>in</strong> großer Teil der Bevölkerung sich anpasste, sich konform zu den Nationalsozialisten verhielt<br />
oder sich aktiv an der politischen Machtausübung beteiligte. Gleichzeitig wurde die<br />
Unterdrückung von Menschen, deren Lebensstil nicht <strong>in</strong> das nationalsozialistische Muster<br />
passte oder die gemäß der <strong>NS</strong>-Rassenbiologie als m<strong>in</strong>derwertig bezeichnet wurden, immer<br />
härter und gnadenloser. Wer nicht im Gleichschritt mitmarschierte, musste mit Verfolgung<br />
rechnen. Die antisemitischen Maßnahmen wurden Zug um Zug verschärft, bis h<strong>in</strong> zum<br />
systematisch geplanten und durchgeführten Massenmord. Wer sich durch ausländische,<br />
d.h. im S<strong>in</strong>ne der Nazis fe<strong>in</strong>dliche, Rundfunksender <strong>in</strong>formierte oder e<strong>in</strong>e abweichende<br />
Me<strong>in</strong>ung äußerte, erlitt im schlimmsten Fall die Todesstrafe. Häufig war Denunziation der<br />
Ausgangspunkt für die justizielle Verfolgung. In diesem Zusammenhang sei auf die Biographien<br />
von Josef Bollwe<strong>in</strong>, Max He<strong>in</strong>dl und von Karl Dürr h<strong>in</strong>gewiesen.<br />
Widerstand während des Krieges<br />
Gnadenlos geurteilt wurde während der Kriegsjahre auch über Personen, die bewusst oder<br />
unwissend Angehörige alliierter Armeen unterstützt hatten. Unter diesen Bed<strong>in</strong>gungen<br />
war aktiver Widerstand selten geworden. E<strong>in</strong>em breiteren Publikum bekannt geworden<br />
s<strong>in</strong>d hier neben e<strong>in</strong>igen kommunistischen und sozialistischen Gruppen vor allem die Weiße<br />
Rose (Biographie: Hans Leipelt) und der 20. Juli 1944 und se<strong>in</strong> Umfeld. Widerstandsgruppen<br />
setzten sich häufig nicht mehr gegen den Status Quo zur Wehr, sondern trafen Vorbereitungen<br />
für die Nachkriegszeit.<br />
Im Umfeld der „Weißen Rose“<br />
Insgesamt sechs Flugblätter verbreitete e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Freundesgruppe zwischen Juni 1942<br />
und Februar 1943 zunächst vor allem <strong>in</strong> <strong>München</strong> und im gesamten süddeutschen Raum.<br />
Die Kerngruppe bestand aus Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Christoph<br />
Probst, Willi Graf und Professor Kurt Huber. Die ersten vier Flugblätter wurden mit der Post<br />
versandt – wohl nicht mehr als 100 Stück pro Flugblatt. Die Erfahrung des totalen Kriegs<br />
und des totalen Terrors bewirkte e<strong>in</strong>e Radikalisierung der Gruppe: Das fünfte Flugblatt,<br />
ebenfalls von Hans Scholl und Alexander Schmorell verfasst, wurde mit wesentlich höherer<br />
Auflage hergestellt (6.000–9.000 Stück) und nicht mehr nur mit der Post verschickt,<br />
sondern auch durch Streuaktionen verteilt, dies nicht nur <strong>in</strong> <strong>München</strong> sondern auch an anderen<br />
Orten. Am 18. Februar 1943 warfen Hans und Sophie Scholl etliche Exemplare des<br />
sechsten Flugblatts von der Brüstung des zweiten Stocks <strong>in</strong> den Lichthof der Münchner<br />
Universität. Diese Aktion beobachtete der Hausschlosser Jakob Schmid und denunzierte<br />
die Studenten. Die Geschwister Scholl und Christoph Probst wurden bereits am 22. Februar<br />
1943 zum Tode verurteilt und noch am selben Tag h<strong>in</strong>gerichtet. Alexander Schmorell, Willi<br />
Graf und Professor Kurt Huber wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren Prozess im April ebenfalls zum<br />
Tode verurteilt.<br />
Der aktive Kreis der Widerstandsgruppe erweiterte sich <strong>in</strong>sbesondere durch persönliche<br />
und <strong>in</strong>formelle Kontakte nach Ulm, Stuttgart, Freiburg, Saarbrücken, Hamburg und<br />
28
Berl<strong>in</strong>. Das sechste Flugblatt stand auch im Zentrum englischer Propaganda-Aktionen: Thomas<br />
Mann machte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er von der BBC gesendeten Rundfunkansprache „Deutsche<br />
Hörer“ im Mai 1943 die Aktionen der Weißen Rose bekannt, die Royal Air Force <strong>in</strong>formierte<br />
<strong>in</strong> mehreren tausend über Deutschland abgeworfenen Flugblättern über die Weiße Rose.<br />
Zum Tode verurteilt wurde auch Hans Leipelt, der ebenfalls an der Münchner Universität<br />
studierte und zusammen mit se<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> Marie-Luise Jahn die Aktivitäten der Weißen<br />
Rose fortsetzte.<br />
Literatur:<br />
Detjen, Marion: „Zum Staatsfe<strong>in</strong>d ernannt“. Widerstand, Resistenz und Verweigerung gegen das <strong>NS</strong>-Regime <strong>in</strong><br />
<strong>München</strong>. <strong>München</strong> 1998.<br />
Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Hg. von Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß.<br />
Stuttgart 1997.<br />
Lexikon des deutschen Widerstandes. Hg. von Wolfgang Benz und Walter H. Pehle. Frankfurt a.M. 1994.<br />
Lexikon des Widerstandes 1933–1945. Hg. von Peter Ste<strong>in</strong>bach und Johannes Tuchel. <strong>München</strong> 1994.<br />
Mallmann, Klaus-Michael: Kommunistischer Widerstand 1933–1945. Anmerkungen zu Forschungsstand und<br />
Forschungsdefiziten. In: Peter Ste<strong>in</strong>bach/Johannes Tuchel (Hg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus.<br />
Bonn 1994, S. 113 –125.<br />
Mehr<strong>in</strong>ger, Hartmut: Die KPD <strong>in</strong> Bayern 1919–1945. Vorgeschichte, Verfolgung und Widerstand. In: Bayern <strong>in</strong><br />
der <strong>NS</strong>-Zeit, Bd. V, S. 1–286.<br />
Mehr<strong>in</strong>ger, Hartmut: Widerstand und Emigration. Das <strong>NS</strong>-Regime und se<strong>in</strong>e Gegner. <strong>München</strong> 1997.<br />
Moll, Christiane: Die Weiße Rose. In: Peter Ste<strong>in</strong>bach/Johannes Tuchel (Hg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus.<br />
Bonn 1994, S. 443–467.<br />
Nollau, Günther/Z<strong>in</strong>del, Ludwig: Gestapo ruft Moskau. Sowjetische Fallschirmagenten im 2. Weltkrieg.<br />
<strong>München</strong> 1979.<br />
Peukert, Detlev: Die KPD im Widerstand. Verfolgung und Untergrundarbeit an Rhe<strong>in</strong> und Ruhr 1933 bis 1945.<br />
Wuppertal 1980.<br />
Schafranek, Hans: Im H<strong>in</strong>terland des Fe<strong>in</strong>des: Sowjetische Fallschirmagenten im Deutschen Reich 1942–1944.<br />
In: Jahrbuch 1996. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, S. 10–40.<br />
Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Hg. von Peter Ste<strong>in</strong>bach und Johannes Tuchel. Bonn 1994.<br />
29
Widerstand und Verfolgung <strong>in</strong> Österreich<br />
Unmittelbar nach dem Anschluss Österreichs im März 1938 begann e<strong>in</strong> brutaler Terror gegen<br />
die jüdische Bevölkerung. Sofort setzte auch die Verfolgung der Gegner des Nationalsozialismus<br />
e<strong>in</strong>. Über 35.000 Österreicher verloren <strong>in</strong> den nächsten Jahren ihr Leben im<br />
Widerstand, als Partisanen oder Angehörige <strong>in</strong> den alliierten Armeen, ungefähr 100.000<br />
Österreicher wurden aus politischen Gründen <strong>in</strong> Konzentrationslager oder Gefängnisse gesperrt.<br />
Dennoch sollte nicht vergessen werden, dass sich nicht wenige Österreicher aktiv<br />
an der nationalsozialistischen Herrschaft beteiligten.<br />
Betrachtet man den österreichischen Widerstand, so fällt die organisatorische Zurückhaltung<br />
der österreichischen Sozialdemokraten auf: Sie hatten sich bereits im Widerstand gegen<br />
den österreichischen Ständestaat <strong>in</strong> der Zeit vor 1938 exponiert, viele wichtige Funktionäre<br />
waren beim Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich bereits im Ausland.<br />
Zudem schätzten sie die zu erwartende Härte der Verfolgung richtig e<strong>in</strong>. Viele Mitglieder<br />
der sozialdemokratischen Basis schlossen sich jedoch der KPÖ an, der die weitaus meisten<br />
Widerstandsgruppen angehörten. Auffällig ist die besondere Härte der Vorgehensweise<br />
gegen den österreichischen Widerstand, schon wegen ger<strong>in</strong>gfügiger Vergehen wurden<br />
Todesurteile gefällt. Der nationalsozialistische Verfolgungsapparat holte <strong>in</strong>nerhalb weniger<br />
Wochen nach, was <strong>in</strong> Deutschland Jahre gedauert hatte: die fast völlige Ausschaltung der<br />
politischen Opposition.<br />
Unnachsichtig wurden auch <strong>in</strong> der „Ostmark“, d.h. im ans Deutsche Reich angeschlossenen<br />
Österreich, oppositionelle Äußerungen verfolgt. Denunziantentum war ebenfalls ke<strong>in</strong><br />
unbekanntes Phänomen, wie diese Dokumentation zeigt.<br />
Literatur:<br />
Hagspiel, Hermann: Die Ostmark. Österreich im Großdeutschen Reich 1938 bis 1945. Wien 1995.<br />
Herbert, Ulrich: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft. Bonn 1996.<br />
Luza, Radomír: Der Widerstand <strong>in</strong> Österreich 1938 –1945. Wien 1983<br />
Molden, Otto: Der Ruf des Gewissens. Der österreichische Freiheitskampf 1938-45. Beiträge zur Geschichte<br />
der österreichischen Widerstandsbewegung. Wien u.a. 1958.<br />
Spann, Gustav: Österreich 1938 –1945. In: Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Hg. von Wolfgang Benz,<br />
Hermann Graml und Hermann Weiß. Stuttgart 1997, S. 630–631.<br />
Widerstand und Verfolgung <strong>in</strong> Oberösterreich. E<strong>in</strong>e Dokumentation. Wien 1975.<br />
Widerstand und Verfolgung <strong>in</strong> Salzburg. E<strong>in</strong>e Dokumentation. 2 Bde, Wien 1992.<br />
Widerstand und Verfolgung <strong>in</strong> Wien. E<strong>in</strong>e Dokumentation. 2 Bde, Wien 1975.<br />
30
Widerstand und Verfolgung <strong>in</strong> der Tschechoslowakei<br />
Im Vielvölkerstaat Tschechoslowakei lebte <strong>in</strong> den dreißiger Jahren e<strong>in</strong>e deutschsprachige<br />
M<strong>in</strong>derheit, die etwa 3,2 Millionen Personen umfasste. Die meisten Angehörigen dieser<br />
M<strong>in</strong>derheit lebten im Sudetenland. 1935 gehörte fast e<strong>in</strong> Fünftel der deutschen Bevölkerung<br />
der nationalsozialistischen Sudetendeutschen Partei an. Die von Hitler mit Hilfe der<br />
nationalsozialistischen Sudetendeutschen Partei provozierte Sudetenkrise fand 1938 ihren<br />
Endpunkt im Münchner Abkommen. Die Regierungschefs Deutschlands, Italiens, Großbritanniens<br />
und Frankreichs verpflichteten die Tschechoslowakei zur Abtretung des Sudetenlandes<br />
an Deutschland. Es sah zunächst so aus, als sei damit e<strong>in</strong> Krieg verh<strong>in</strong>dert worden –<br />
tatsächlich konnte das nationalsozialistische Deutschland e<strong>in</strong> Jahr später unter ungleich besseren<br />
Voraussetzungen den 2. Weltkrieg beg<strong>in</strong>nen. Die Nationalsozialisten bereiteten die<br />
„Zerschlagung der Rest-Tschechei“ vor. Im März 1939 überschritten deutsche Truppen die<br />
Grenzen der Tschechoslowakei und besetzten das tschechische Gebiet, es entstand das Protektorat<br />
Böhmen und Mähren. Die Slowakei dagegen wurde zum deutschen Vasallenstaat.<br />
Die Nationalsozialisten regierten im Protektorat mit dem Fernziel der totalen Germanisierung<br />
des Raumes unter rassistischen Gesichtspunkten. Tschechen galten den Nationalsozialisten<br />
als rassisch m<strong>in</strong>derwertig. E<strong>in</strong> Teil der Bevölkerung mit deutschen Vorfahren<br />
wurde als „e<strong>in</strong>deutschungsfähig“ betrachtet und im Falle e<strong>in</strong>er Annahme der deutschen<br />
Staatsangehörigkeit privilegiert. Jeder Widerstand gegen die Politik der Besatzer wurde<br />
durch brutalen Terror unterdrückt.<br />
Die folgenden Abschnitte befassen sich mit Personen, die aus dem Gebiet der Tschechoslowakischen<br />
Republik kamen, unter nationalsozialistischer Okkupation im „Reichsprotektorat<br />
Böhmen und Mähren“ Widerstand leisteten bzw. aufgrund ihres nichtkonformes Verhalten<br />
<strong>in</strong> die Hände der nationalsozialistischen Terrorjustiz fielen.<br />
Kommunistischer Widerstand im Protektorat „Böhmen und Mähren“<br />
Die KPC war e<strong>in</strong>er der Hauptträger des tschechischen Widerstands gegen die deutsche<br />
Besatzungsmacht. Ihre Politik orientierte sich eng an Weisungen aus Moskau. Die KPC<br />
war bereits vor dem E<strong>in</strong>marsch deutscher Truppen nach dem Münchner Abkommen verboten<br />
worden, zunächst die zentrale Partei und Ende Dezember 1938 auch die Parteiorganisationen.<br />
Sie war bis zum Sommer 1939 im wesentlichen mit e<strong>in</strong>er Reorganisation <strong>in</strong> der<br />
Illegalität beschäftigt und trat nach außen h<strong>in</strong> kaum <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, half aber nach dem<br />
deutschen E<strong>in</strong>marsch im März 1939 vielen gefährdeten Parteimitgliedern bei der Flucht <strong>in</strong>s<br />
Ausland. Im August 1939 wurde der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt geschlossen.<br />
Während des Hitler-Stal<strong>in</strong>-Pakts lag der Schwerpunkt kommunistischer Widerstandstätigkeit<br />
<strong>in</strong> der Flugblattpropaganda, Sabotageakte und Streiks fanden so gut wie nicht statt.<br />
Beispiele hierfür s<strong>in</strong>d die Widerstandsaktivitäten <strong>in</strong> Königgrätz (Hradec Králové), Budweis<br />
(Ceské Budejovice) und Erlitz.<br />
Die Struktur der KPC war wie <strong>in</strong> allen kommunistischen Parteien streng hierarchisch. Vom<br />
Zentralkomitee g<strong>in</strong>gen die Weisungen über so genannte Instrukteure an die Landesleitungen,<br />
dann an die Kreise, von dort an die Bezirke, deren Gebiete wiederum <strong>in</strong> Orts- und<br />
Betriebsgruppen unterteilt waren. Die e<strong>in</strong>zelnen organisatorischen E<strong>in</strong>heiten bestanden<br />
31
jeweils aus drei bis fünf Personen. Leider müssen wir unser Wissen über die beteiligten<br />
Personen den Verfolgerakten entnehmen. Persönliche Beweggründe spielten <strong>in</strong> diesen<br />
Unterlagen ke<strong>in</strong>e Rolle.<br />
Anschluss an die tschechische Legion<br />
Tausende junger Tschechen s<strong>in</strong>d während des 2. Weltkriegs geflohen, um <strong>in</strong> die tschechischen<br />
E<strong>in</strong>heiten der alliierten Armeen e<strong>in</strong>zutreten und an deren Seite für e<strong>in</strong>e unabhängige<br />
Tschechoslowakei zu kämpfen. Alle<strong>in</strong> die <strong>in</strong> Großbritannien aufgestellte tschechische E<strong>in</strong>heit<br />
umfasste 5000 Männer, auch <strong>in</strong> der Sowjetunion wurden entsprechende Armeee<strong>in</strong>heiten<br />
aufgestellt.<br />
Der Präsident der tschechischen Exilregierung, Eduard Benes, forderte nach Ausbruch des<br />
Krieges die Widerstandsgruppen auf, möglichst viele Offiziere und Soldaten zu diesem<br />
Zweck <strong>in</strong>s Ausland zu schicken. Auch die tschechischen Sendungen der BBC warben<br />
dafür. Es s<strong>in</strong>d verschiedene Fluchtwege bekannt: Bis zur Besetzung Polens wurde die<br />
Grenze häufig bei Mährisch-Ostrau überschritten, später lief e<strong>in</strong>er der Hauptfluchtwege<br />
über die Slowakei, Ungarn und Jugoslawien. Trotz des Risikos der Durchquerung Österreichs<br />
fand die Flucht häufig über die Schweiz statt. Der deutsche Sicherheitsdienst beschwerte<br />
sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief an das Auswärtige Amt über das wohlwollende Verhalten der<br />
Schweizer Behörden gegenüber den jungen Flüchtl<strong>in</strong>gen. Deutsche und tschechische<br />
Grenzpolizisten konnten nur e<strong>in</strong>en Teil der Grenzüberquerer fassen. Dennoch wurden alle<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> der Zeitspanne von Februar bis Mai 1940 ungefähr 500 Personen festgenommen. Etwa<br />
zwei Drittel dieser Männer unterstellte die deutsche Justiz die Absicht, <strong>in</strong> die tschechoslowakische<br />
Legion e<strong>in</strong>treten zu wollen. Der nationalsozialistische Staat verfolgte dieses<br />
Delikt unnachgiebig: Es wurde strafrechtlich als Fe<strong>in</strong>dbegünstigung, landesverräterische<br />
Waffenhilfe und Vorbereitung zum Hochverrat bewertet.<br />
Da dieser Personenkreis <strong>in</strong> der vorliegenden Literatur kaum erwähnt wird, werden die Lebensgeschichten<br />
dieser Männer verhältnismäßig ausführlich wiedergegeben. Die betreffenden<br />
Personen waren oft sehr jung, ohne jede militärische Erfahrung und <strong>in</strong> anderen Widerstandsorganisationen<br />
nicht vertreten. Der illegale Grenzübertritt wurde <strong>in</strong> vielen Fällen<br />
auf Grund e<strong>in</strong>er sehr <strong>in</strong>dividuellen Entscheidung <strong>in</strong> Angriff genommen.<br />
Literatur:<br />
Brandes, Detlev: Die Tschechen unter deutschem Protektorat. Bd. I und II. <strong>München</strong> u.a. 1969, 1975.<br />
The Oxford Companion to the Second World War. Oxford 1995.<br />
Wagner, Walter: Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat. Stuttgart 1974.<br />
Brandes, Detlev: Die Tschechen unter deutschem Protektorat. Bd. I und II. <strong>München</strong> u.a. 1969, 1975.<br />
Deutsche Politik im „Protektorat Böhmen und Mähren“ unter Re<strong>in</strong>hard Heydrich. Hg. von Miroslav Kárny,<br />
Joaroslava Milotová und Margita Kárná. Berl<strong>in</strong> 1997.<br />
Heumos, Peter: Die Emigration aus der Tschechoslowakei nach Westeuropa und dem Nahen Osten 1938–1945.<br />
Politisch-soziale Struktur, Organisation und Asylbed<strong>in</strong>gungen der tschechischen, jüdischen, deutschen und<br />
slowakischen Flüchtl<strong>in</strong>ge während des Nationalsozialismus. Darstellung und Dokumentation. <strong>München</strong> 1989.<br />
(Veröffentlichungen des Collegium Carol<strong>in</strong>um Bd. 63).<br />
Kárny, Miroslav: Protektorat Böhmen und Mähren. In: Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Hg. von Wolfgang<br />
Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß. Stuttgart 1997, S. 656–657.<br />
Kárny, Miroslav: Tschechoslowakei. In: Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Hg. von Wolfgang Benz, Hermann<br />
Graml und Hermann Weiß. Stuttgart 1997, S. 766–768.<br />
Geschichte der Tschechoslowakischen Republik 1918–1948. Hg. von Victor S. Mamatey und Radomir Luza.<br />
Wien, Köln, Graz 1980.<br />
Brandes, Detlev: Die Tschechen unter deutschem Protektorat. Bd. I und II. <strong>München</strong> u.a. 1969, 1975.<br />
32
Polen unter <strong>NS</strong>-Herrschaft<br />
Am 1.9.1939 griffen deutsche Truppen Polen an und konnten <strong>in</strong>nerhalb kurzer Zeit das gesamte<br />
Land unter ihre Kontrolle br<strong>in</strong>gen. Ziel der nationalsozialistischen Okkupation war<br />
die Schaffung e<strong>in</strong>es so genannten führerlosen Arbeitsvolks. Polen galten den Nationalsozialisten<br />
als „Untermenschen“, das Land sollte <strong>in</strong>dustriell und landwirtschaftlich völlig ausgebeutet<br />
werden. In den ersten Wochen der <strong>NS</strong>-Okkupation wurden Tausende von Polen<br />
ermordet, zum Teil nach vorbereiteten Fahndungslisten, zum Teil völlig willkürlich. Ab<br />
26.10.1939 galt e<strong>in</strong>e Arbeitspflicht für die gesamte polnische Bevölkerung vom 14. bis<br />
zum 60. Lebensjahr.<br />
Rechtlich galten für Polen besondere Bestimmungen: Zum e<strong>in</strong>en wurden große Bereiche<br />
der Strafverfolgung der Justizzuständigkeit völlig entzogen und SS und Polizei übertragen. In<br />
anderen Bereichen wurden neue Strafrechtsnormen gesetzt. Die „Verordnung über die Strafrechtspflege<br />
gegen Polen und Juden <strong>in</strong> den angegliederten Ostgebieten“ vom 4.12.1941<br />
schuf e<strong>in</strong> drakonisches Sonderstrafrecht. E<strong>in</strong> geheimer Runderlass des Reichssicherheitshauptamtes<br />
vom 30.6.1943 hält e<strong>in</strong>e Absprache zwischen dem Reichsführer SS und dem<br />
Reichsjustizm<strong>in</strong>ister fest, wonach gegen polnische und sowjetrussische Zivilarbeiter nur<br />
dann vor e<strong>in</strong>em Gericht verhandelt werden sollte, wenn die Polizei dies aus „stimmungspolitischen<br />
Gründen“ für wünschenswert hielt und von vornehere<strong>in</strong> klar sei, dass die Todesstrafe<br />
verhängt werden würde.<br />
Ungefähr 1,2–1,3 Millionen Polen wurden zum Arbeitsdienst <strong>in</strong>s Deutsche Reich gebracht;<br />
die gelegentlich behauptete Freiwilligkeit war Propaganda. Die deutschen Behörden übten<br />
massiven Druck aus. Für die polnischen Arbeiter <strong>in</strong> Deutschland galt e<strong>in</strong>e Vielzahl rechtlicher<br />
Sonderregeln. Sie verdeutlichen, dass es hier ausschließlich um die schonungslose<br />
Ausbeutung der Arbeitskraft g<strong>in</strong>g: So war die Arbeitsverpflichtung zeitlich unbegrenzt, die<br />
Entlohnung m<strong>in</strong>imal, polnische Arbeiter mussten e<strong>in</strong> „P“ auf ihren Kleidungsstücken anbr<strong>in</strong>gen,<br />
durften den Arbeitsort nicht verlassen, ke<strong>in</strong>e öffentlichen Verkehrsmittel benutzen<br />
oder Fahrräder besitzen, nicht an Gottesdiensten teilnehmen, ke<strong>in</strong>e öffentlichen Theateroder<br />
K<strong>in</strong>ovorführungen besuchen. Sie erhielten nur m<strong>in</strong>imale Verpflegung und Kleidung.<br />
Starb e<strong>in</strong> polnischer Zivilarbeiter <strong>in</strong> Deutschland – bei den unmenschlichen Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />
häufig vorkommend –, so war es sogar verboten, den Leichnam <strong>in</strong>s Heimatland<br />
zu überführen.<br />
Literatur:<br />
Broszat, Mart<strong>in</strong>: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945. Stuttgart 1961.<br />
Herbert, Ulrich: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländere<strong>in</strong>satzes“ <strong>in</strong> der Kriegswirtschaft des Dritten<br />
Reiches. Berl<strong>in</strong>/Bonn 1985.<br />
Herrenmensch und Arbeitsvölker. Ausländische Arbeiter und Deutsche 1939–1945. Hg. von Götz Aly. Berl<strong>in</strong> 1986.<br />
Heusler, Andreas: Zwangsarbeit für die Münchner Kriegswirtschaft 1939–1945. <strong>München</strong> 1996.<br />
Kosmala, Beate: Polen. In: Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Hg. von Wolfgang Benz, Hermann Graml und<br />
Hermann Weiß. Stuttgart 1997, S. 641–646.<br />
September 1939. Krieg, Besatzung, Widerstand <strong>in</strong> Polen. Hg. von Christoph Kleßmann. Gött<strong>in</strong>gen 1989.<br />
33
„Asoziale“ unter dem Nationalsozialismus<br />
Die Verfolgung von als „asozial“ bezeichneten Menschen war nicht an Nationalitäten gebunden.<br />
Mit diesem Begriff fassten die Nationalsozialisten unangepasste Personengruppen<br />
vor allem der Unterschichten zusammen. Das Verhalten dieser Menschen galt nach<br />
der <strong>NS</strong>-Rassenlehre als angeboren, also durch Vererbung erworben, und wurde gnadenlos<br />
verfolgt. „Asozialität“ wurde nie genau def<strong>in</strong>iert, sondern ausschließlich als negative Zuschreibung<br />
benutzt. Ins Visier der Gestapo gerieten Wohnungslose, Fürsorgeempfänger,<br />
Alkoholkranke sowie auch so genannte asoziale Großfamilien. Richtl<strong>in</strong>ien von 1939 zur<br />
Vergabe von Ehestandsdarlehen lassen erahnen, welche Spannweite der Begriff der Asozialität<br />
haben konnte: „Demnach s<strong>in</strong>d Anträge solcher Antragsteller nicht zu befürworten,<br />
die e<strong>in</strong>er Sippe entstammen, deren Mitglieder zu e<strong>in</strong>em mehr oder m<strong>in</strong>der großen Teil<br />
laufend Konflikte mit Strafgesetzen, der Polizei oder sonstigen Behörden haben oder arbeitsscheu,<br />
hemmungslos oder unwirtschaftlich s<strong>in</strong>d und den Unterhalt für sich oder ihre<br />
K<strong>in</strong>der dauernd aus fremden Mitteln zu erlangen suchen. Ebenso zu bewerten s<strong>in</strong>d Antragssteller<br />
aus solchen Sippen, die ohne fremde Hilfe, Beaufsichtigung oder Führung<br />
weder e<strong>in</strong>en geordneten Haushalt führen noch ihre K<strong>in</strong>der zu brauchbaren Volksgenossen<br />
zu erziehen vermögen oder wenn <strong>in</strong> der Sippe Tr<strong>in</strong>ker, Prostituierte, Landstreicher, Rauschgiftsüchtige,<br />
Spieler, betrügerische Hausierer usw. nicht als E<strong>in</strong>zelfall vorkommen.“ (zit.<br />
bei Ayaß, S. 108).<br />
Literatur:<br />
Ayaß, Wolfgang: „Asoziale“ im Nationalsozialismus. Stuttgart 1995.<br />
34
Das Sammelgrab II am Friedhof am Perlacher Forst (Planquadrat 77);<br />
© Kulturreferat der Landeshauptstadt <strong>München</strong><br />
35
Biographien: Deutschland<br />
Kommunistischer Widerstand<br />
Wilhelm Lai; © Bundesarchiv Berl<strong>in</strong><br />
Wilhelm Lai, geboren am 17.1.1909 <strong>in</strong> Würzburg, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
1.7.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 21.9.1943.<br />
Der KPD-Funktionär Wilhelm Lai kämpfte gegen den Nationalsozialismus im In- und Ausland.<br />
Widerstand, Flucht und Verfolgung führten ihn <strong>in</strong> die Tschechoslowakei, die Schweiz,<br />
Frankreich und Spanien. Er wurde von Gleichges<strong>in</strong>nten unterstützt und geriet <strong>in</strong>s Fadenkreuz<br />
tschechischer, französischer, spanischer und schweizer Behörden.<br />
Wie viele andere Kommunisten war Wilhelm Lai e<strong>in</strong> Mann der ersten Stunde im Widerstand<br />
gegen die Nationalsozialisten: Unmittelbar nach der Machtergreifung begann er als<br />
24jähriger damit, den Aufbau der bereits verbotenen KPD im Stadtviertel Darmstadt-Mart<strong>in</strong>sviertel<br />
<strong>in</strong> die Wege zu leiten. Bereits seit 1926 hatte er <strong>in</strong> verschiedenen Funktionen <strong>in</strong><br />
kommunistischen Organisationen mitgearbeitet.<br />
Im Zuge der Ausschaltung der politischen Opposition sperrten ihn die Nationalsozialisten<br />
Anfang Juni 1933 für e<strong>in</strong>en Monat <strong>in</strong> e<strong>in</strong> KZ, e<strong>in</strong> Schicksal, das er mit vielen anderen KPD-<br />
Politikern teilte. Dies führte ihm vor Augen, wie gefährdet er <strong>in</strong>nerhalb Deutschlands war.<br />
Im Juni 1933, nach se<strong>in</strong>er Entlassung, flüchtete er vor se<strong>in</strong>en Verfolgern <strong>in</strong>s Ausland. Er<br />
emigrierte <strong>in</strong> die Tschechoslowakei, die erste Station auf se<strong>in</strong>em Fluchtweg durch mehrere<br />
europäische Länder.<br />
Die Emigration bedeutete nicht das Ende, sondern war der eigentliche Anfang se<strong>in</strong>er Widerstandstätigkeit.<br />
Illegale Gruppen mussten mit Propaganda- und Informationsmaterial<br />
versorgt werden. Wilhelm Lai schmuggelte größere Mengen illegaler Literatur über die<br />
streng bewachte Grenze.<br />
36
Die Kommunistische Partei sah ihn für den illegalen E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong>nerhalb Deutschlands vor: Im<br />
Juni 1934 nahm er an e<strong>in</strong>em 4wöchigen Vorbereitungskurs <strong>in</strong> Kladno und anschließend an<br />
e<strong>in</strong>em kurzen Lehrgang <strong>in</strong> Prag teil. Er erhielt den Parteiauftrag, den Kommunistischen Jugendverband<br />
<strong>in</strong> Sachsen wiederzubeleben. Im Oktober 1934 lebte er illegal <strong>in</strong> Leipzig, f<strong>in</strong>anziell<br />
von der Kommunistischen Partei unterstützt. Trotz vielfältiger Bemühungen konnte<br />
er ke<strong>in</strong>e Organisation aufbauen. Im Januar 1935 erfuhr er, dass er von der Polizei beobachtet<br />
wurde. Sofort emigrierte er <strong>in</strong> die Tschechoslowakei. Aufgrund des Misserfolgs <strong>in</strong> Sachsen<br />
wurden ihm von den Prager Exil-Funktionären Vorwürfe gemacht. Daraufh<strong>in</strong> beendete<br />
er se<strong>in</strong>e Widerstandstätigkeit im Rahmen der KP. Auch die ihm angetragene Mitarbeit bei<br />
e<strong>in</strong>er trotzkistischen Widerstandsgruppe lehnte Lai ab.<br />
Se<strong>in</strong> selbstgewähltes unpolitisches Dase<strong>in</strong> dauerte <strong>in</strong>des nur kurze Zeit. Im Herbst 1935<br />
erhielt Lai e<strong>in</strong> Angebot, das e<strong>in</strong>er Erpressung gleichkam. Der tschechoslowakische Nachrichtendienst<br />
nutzte den unsicheren Exilstatus des Emigranten Lai und forderte Lai zur Mitarbeit<br />
auf. Er sollte militärische Maßnahmen im deutschen Grenzgebiet und Teilen Bayerns<br />
erkunden. Lai unternahm daraufh<strong>in</strong> illegale Fahrten nach <strong>München</strong>, Würzburg, Nürnberg,<br />
Regensburg und Amberg und <strong>in</strong> verschiedene Ortschaften im Grenzgebiet. Unter der Agentennummer<br />
Z 1519 schrieb er m<strong>in</strong>destens acht Berichte, die später den Nationalsozialisten<br />
<strong>in</strong> die Hände fielen. Im Januar 1936 sollte Lai e<strong>in</strong>en deutschen Wehrmachtsangehörigen <strong>in</strong><br />
die Tschechoslowakei locken. Wilhelm Lai benutzte den damit verbundenen Aufenthalt <strong>in</strong><br />
Deutschland, um über <strong>München</strong> <strong>in</strong> die Schweiz zu fliehen und sich damit dem E<strong>in</strong>flussbereich<br />
des tschechoslowakischen Geheimdienstes zu entziehen.<br />
E<strong>in</strong>e Odyssee durch Europa begann: Nach kurzem Aufenthalt reiste Lai weiter nach Frankreich.<br />
Hier hatte er <strong>in</strong> Romilly Kontakt zu ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen, die während<br />
des 1. Weltkriegs <strong>in</strong> Deutschland von Lais Mutter unterstützt worden waren. Mit<br />
deren Hilfe fand er e<strong>in</strong>en Arbeitsplatz. Im Oktober 1936 trat er <strong>in</strong> die rotspanische Armee<br />
e<strong>in</strong>. Er nahm am Spanischen Bürgerkrieg teil und floh nach dessen Beendigung nach Frankreich,<br />
wiederum nach Romilly. Die französischen Behörden nahmen ihn nach kurzem Aufenthalt<br />
fest und verurteilten ihn zu vier Wochen Gefängnis. Anschließend wurde er <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
französisches Lager e<strong>in</strong>gewiesen. Während e<strong>in</strong>es Transports <strong>in</strong> e<strong>in</strong> anderes Lager konnte<br />
er fliehen und <strong>in</strong> die Schweiz flüchten, wo ihn Angehörige der Sozialistischen Partei unterstützten.<br />
Im Juli 1941 schoben ihn die Schweizer Behörden nach Frankreich ab. Wiederum<br />
gelang ihm die Flucht, diesmal über die französisch-spanische Grenze. Lais Versuch, sich<br />
nach Portugal durchzuschlagen, misslang. In Spanien wurde er festgenommen und <strong>in</strong> das<br />
KZ „Miranda del Ebro“ e<strong>in</strong>gesperrt. Die deutschen Behörden beantragten se<strong>in</strong>e Auslieferung,<br />
das faschistische Spanien entsprach diesem Ans<strong>in</strong>nen: Am 16. Oktober 1942 wurde<br />
Lai an der Grenze den deutschen Behörden übergeben. Sämtliche Widerstandsaktivitäten<br />
im In- und Ausland seit 1933 bildeten die Grundlage der gegen ihn gerichteten Anklage.<br />
Er wurde zum Tode verurteilt.<br />
Quellen:<br />
Edition „Widerstand als Hochverrat“; MF 180, 446 (6J 12/43g, 1H 147/43).<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; NJ 3636.<br />
***<br />
37
Hans Hartwimmer, geboren am 31.7.1902 <strong>in</strong> Braunschweig, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 19.4.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 30.10.1944<br />
Johann Reis<strong>in</strong>ger, geboren am 8.2.1897 <strong>in</strong> Oberschleißheim, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 18.4.1944. h<strong>in</strong>gerichtet am 31.10.1944.<br />
Hartwimmer und Reis<strong>in</strong>ger gehörten während des 2. Weltkriegs <strong>in</strong> <strong>München</strong> e<strong>in</strong>er überregionalen<br />
kommunistischen Gruppe an, die Anhänger <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, Mittel- und Westdeutschland<br />
sowie <strong>in</strong> Tirol und Bayern hatte. Zu diesem Zeitpunkt gab es nur noch sehr vere<strong>in</strong>zelte<br />
überregionale Widerstandsgruppen. Das Zentrum dieser Gruppe bildeten Robert Uhrig<br />
und Beppo Römer.<br />
Der bayerische Zweig dieser Organisation hatte e<strong>in</strong>e lange Vorgeschichte: Der ehemalige<br />
Reichswehrhauptmann und Führer des Freikorps Oberland, Beppo Römer, war 1932 der<br />
KPD beigetreten und sammelte vor allem ehemalige Kampfgefährten aus dem nationalrevolutionären<br />
Lager um sich. Auch Hans Hartwimmer hatte se<strong>in</strong> politisches Engagement<br />
am äußersten rechten Rand der politischen Szene begonnen: 1902 geboren, wurde er ab<br />
1922 Mitglied des Bundes Oberland und nahm als Zugführer e<strong>in</strong>er MG-Kompanie am Hitlerputsch<br />
1923 <strong>in</strong> <strong>München</strong> teil. Dann wechselte er die Seiten, aus dem Nationalsozialisten<br />
wurde e<strong>in</strong>er ihrer engagiertesten Gegner. Spätestens ab 1931 engagierte er sich im Rahmen<br />
des Aufbruch-Arbeitskreises für die Kommunistische Partei. Dieser Arbeitskreis war<br />
e<strong>in</strong> Sammelbecken nationalrevolutionärer KPD-Anhänger.<br />
Beurteilung Wilhelm Lais durch die Untersuchungshaftanstalt Nürnberg; © Bundesarchiv Berl<strong>in</strong><br />
38
Die Beerdigung e<strong>in</strong>e geheime Staatsaktion. – Anweisung des Reichssicherheitshauptamtes nach dem Tode<br />
Hans Hartwimmers; © Bundesarchiv Berl<strong>in</strong><br />
39
Bald nach der nationalsozialistischen Machtergreifung geriet die Gruppe <strong>in</strong>s Visier der Gestapo.<br />
Hans Hartwimmer wurde am 8. März 1934 wegen angeblicher Tätigkeit für den illegalen<br />
Nachrichtendienst der KPD festgenommen. Allerd<strong>in</strong>gs reichte die dünne Beweislage<br />
nicht für e<strong>in</strong>e Verurteilung. Er wurde freigesprochen – und nach dem Freispruch als Gegner<br />
des Nationalsozialismus im KZ Dachau <strong>in</strong>haftiert. Hier lernte er nach eigenen Angaben<br />
Johann Reis<strong>in</strong>ger kennen: Der 1897 <strong>in</strong> Oberschleißheim geborene Masch<strong>in</strong>enschlosser<br />
hatte politisch immer schon der Arbeiterbewegung nahegestanden. Nach dem 1. Weltkrieg<br />
sympathisierte er zunächst mit der SPD, später mit der KPD. 1935 wurde er vor Gericht<br />
gestellt, weil er angeblich für die „Rote Hilfe“ tätig gewesen sei und kommunistische<br />
Schriften vertrieben habe. Auch er wurde mangels stichhaltiger Beweise freigesprochen<br />
und nach dem Freispruch im KZ Dachau gefangengehalten. Hartwimmer wurde 1937, Reis<strong>in</strong>ger<br />
1938 entlassen.<br />
Mit Kriegsbeg<strong>in</strong>n begann Beppo Römer wiederum ehemalige Kampfgefährten um sich zu<br />
sammeln. Er wollte bei e<strong>in</strong>er Niederlage Deutschlands sofort mit e<strong>in</strong>er antikapitalistischen<br />
Organisation aufwarten können. Jedem Angehörigen der Gruppe war die Pflicht zur Mitgliederwerbung<br />
und zur Bildung von Kle<strong>in</strong>gruppen auferlegt. Unter den Mitgliedern dieser<br />
Organisation befand sich auch Hans Hartwimmer, der unter anderem Johann Reis<strong>in</strong>ger <strong>in</strong><br />
die Organisation e<strong>in</strong>band. Ab 1940 existierten Kontakte zur Berl<strong>in</strong>er Gruppe um Robert Uhrig.<br />
Die Gestapo war über die Aktivitäten der Widerstandsgruppe <strong>in</strong>formiert: Zwei Mitglieder<br />
der fünfköpfigen Spitze der Uhrig-Organisation waren Gestapo-Spitzel. Die Gestapo wartete<br />
mit den Verhaftungen, bis sowohl Ziele wie auch Mitglieder der Organisation genauestens<br />
bekannt waren. Insgesamt wurden etwa 40 Mitglieder der Organisation um Robert Uhrig<br />
und Beppo Römer zum Tode verurteilt, darunter auch Hans Hartwimmer und Johann Reis<strong>in</strong>ger.<br />
Quellen:<br />
Edition „Widerstand als Hochverrat“; MF 483, 484 (6J 115/43, 2H 16/44).<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; NJ 1633.<br />
Hilfeleistungen für e<strong>in</strong>en sowjetischen Fallschirmagenten<br />
Erich Porsch, geboren am 23.4.1909 <strong>in</strong> Oberhausen, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 21.6.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 20.10.1944.<br />
Gerhard Possner, geboren am 6.5.1909 <strong>in</strong> Niederhermsdorf, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 21.6.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 20.10.1944.<br />
Andreas Schillack, geboren am 10.11.1907 <strong>in</strong> Gelsenkirchen, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 21.6.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 20.10.1944.<br />
Andreas Schillack, geboren am 29.11.1898 <strong>in</strong> Beuthen, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 18.7.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 20.10.1944.<br />
Friedrich Struckmeier, geboren am 13.4.1900 <strong>in</strong> Herne, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 2.7.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 20.10.1944.<br />
40
Gnadengesuch der Witwe Friedrich Struckmeiers; © Bundesarchiv Berl<strong>in</strong><br />
41
Anordnung der Todesstrafe; © Bundesarchiv Berl<strong>in</strong><br />
42
Deutsche Zivilisten, die von den <strong>NS</strong>-Behörden beschuldigt wurden, fe<strong>in</strong>dliche Fallschirmagenten<br />
unterstützt zu haben, wurden von den Gerichten gnadenlos zu drakonischen Strafen<br />
verurteilt. So führten die gescheiterten Aktionen des sowjetischen Fallschirmagenten<br />
Franz Zielasko im Ruhrgebiet zu e<strong>in</strong>er Reihe von Gerichtsverfahren. Bereits ab 1942 setzte<br />
die Sowjetunion gezielt Fallschirmagenten h<strong>in</strong>ter den fe<strong>in</strong>dlichen L<strong>in</strong>ien e<strong>in</strong>. Ihre Anzahl<br />
schwankte im weiteren Verlauf des Krieges beträchtlich. 1942/43 dürften ca. 35 dieser<br />
Agenten tätig geworden se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> späteren Jahren waren jeweils mehrere Hundert dieser<br />
Männer und Frauen im E<strong>in</strong>satz. Noch größer war die Zahl der Fallschirmspr<strong>in</strong>ger, die <strong>in</strong> der<br />
Endphase des Krieges e<strong>in</strong>gesetzt wurde. Vor ihrem E<strong>in</strong>satz wurden sie <strong>in</strong> Schulen der<br />
Roten Armee nachrichtendienstlich ausgebildet; diese Schulungen dauerten mehrere Monate.<br />
Die Tätigkeit der Agenten war äußerst riskant, vor allem <strong>in</strong> den ersten Jahren überlebten<br />
nur wenige von ihnen den E<strong>in</strong>satz.<br />
Franz Zielasko stammte aus dem Ruhrgebiet. Er hatte <strong>in</strong> Gladbeck gewohnt und dort ab<br />
1915 dem Arbeiter-Radfahrerbund angehört. 1927 war er der <strong>NS</strong>DAP beigetreten, se<strong>in</strong>e<br />
politische Zugehörigkeit zu den Nationalsozialisten beendete er jedoch bald wieder. 1932<br />
wanderte der Bergarbeiter <strong>in</strong> die Sowjetunion aus. Ab 1941 wurde er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halbjährigen<br />
Ausbildung auf den E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> Deutschland vorbereitet. E<strong>in</strong> sowjetisches Flugzeug<br />
setzte ihn <strong>in</strong> der Nähe von Warschau ab. Er konnte sich bis <strong>in</strong> das Ruhrgebiet durchschlagen,<br />
hier sollte er e<strong>in</strong> loses Netz von Sympathisanten knüpfen. Es gelang ihm, <strong>in</strong> mehreren<br />
Städten Kontakte zu knüpfen: In Gladbeck, Gelsenkirchen, Bottrop, Herne, Münster,<br />
Wanne, Hagen und Dortmund. Anfang August 1943 wurde Zielasko festgenommen, e<strong>in</strong>en<br />
Monat später kam er im Gefängnis ums Leben.<br />
Über 40 Personen wurden verhaftet, weil ihnen Kontakte zu Zielasko vorgeworfen wurden.<br />
Etliche von ihnen starben unter der Guillot<strong>in</strong>e, darunter Gerhard Possner, Erich Porsch,<br />
Fritz Struckmeier sowie Andreas Schillack und dessen gleichnamiger Onkel. Diese sechs<br />
Männer stammten aus dem typischen Arbeitermilieu des Ruhrgebiets, alle hatten zum<strong>in</strong>dest<br />
zeitweilig als Bergleute gearbeitet. Fast alle hatten für e<strong>in</strong>ige Zeit e<strong>in</strong>er der Arbeiterparteien<br />
oder e<strong>in</strong>er Gewerkschaft angehört, waren jedoch politisch nie besonders hervorgetreten.<br />
Lediglich Andreas Schillack, geb. 1898, hatte bereits während der Weimarer<br />
Republik <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de Heerungen als kommunistischer Vertreter im Geme<strong>in</strong>deparlament<br />
amtiert.<br />
Zielasko erzählte se<strong>in</strong>en Unterstützern, die er teilweise von früher aus dem Arbeiterradfahrvere<strong>in</strong><br />
kannte, er sei schon vor längerer Zeit aus der Sowjetunion zurückgekehrt und<br />
wolle jetzt se<strong>in</strong>en Urlaub im Ruhrgebiet verbr<strong>in</strong>gen. Dadurch erhielt er Essen und Übernachtungsmöglichkeiten<br />
sowie H<strong>in</strong>weise auf weitere Kontaktmöglichkeiten. Unterstützung<br />
<strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>igkeiten, während der Kriegsjahre dennoch zum bloßen Überleben nötig, zog für die<br />
Spender das Todesurteil nach sich. 1943 erfolgten die Verhaftungen. Dem 1907 geborenen<br />
Andreas Schillack wurde im Gerichtsverfahren des Volksgerichtshofs vorgeworfen, er habe<br />
Franz Zielasko mit Brotmarken für 600 g, e<strong>in</strong>er Dose Schuhcreme und e<strong>in</strong>er Tube Zahnpasta<br />
unterstützt.<br />
Quellen:<br />
Edition „Widerstand als Hochverrat“; MF 187, 450, 635 (9J 64/44, 2H 27/37, 9J 64/44, 2H 80/44).<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; NJ 1390, NJ 1392.<br />
43
Hans Leipelt 1939; © Privatbesitz<br />
44
Im Umfeld der Weißen Rose<br />
Hans Leipelt, geboren am 18.7.1921 <strong>in</strong> Wien, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
13.10.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 29.1.1945.<br />
Hans Leipelt gehörte zu den wenigen Studenten der <strong>NS</strong>-Zeit, die sich zum Widerstand<br />
entschlossen. Er wollte zusammen mit se<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong>, Marie-Luise Jahn, das Werk der<br />
Weißen Rose weiterführen. Nicht viele Studenten trafen ähnliche Entscheidungen: Im allgeme<strong>in</strong>en<br />
war das Maß an Zustimmung zur <strong>NS</strong>-Politik unter den Studierenden dieser<br />
Jahre sehr hoch.<br />
Die Geschichte der Weißen Rose ist bekannt: Ihr Widerstand begann im Sommer 1942<br />
im kle<strong>in</strong>sten Kreis. Hans Scholl und Alexander Schmorell verfassten und vervielfältigten die<br />
ersten vier Flugblätter dieser studentischen Widerstandsgruppe. Die Verbreitung der Schriften<br />
erfolgte auf dem Postweg: Adressaten waren zunächst Schriftsteller, Professoren,<br />
Schuldirektoren, Buchhändler und Ärzte <strong>in</strong> <strong>München</strong>. Von den ca. 100 Empfängern lieferten<br />
etwa 35 das Flugblatt bei der Gestapo ab. Die Erfahrung des totalen Kriegs und des<br />
totalen Terrors bewirkte e<strong>in</strong>e Radikalisierung der Gruppe: Das fünfte Flugblatt wurde mit<br />
wesentlich höherer Auflage hergestellt (6.000–9.000 Stück) und nicht mehr nur mit der<br />
Post verschickt, sondern auch durch Streuaktionen verteilt. Das sechste Flugblatt verfassten<br />
die Studenten nicht selbst, sondern es wurde von Professor Kurt Huber nach dem Fall<br />
von Stal<strong>in</strong>grad verfasst. Am 18. Februar warfen Hans und Sophie Scholl e<strong>in</strong>ige Exemplare<br />
des sechsten Flugblatts von der Brüstung der Münchner Universität <strong>in</strong> deren Lichthof –<br />
diese Aktion führte zur Denunziation und zur Verhaftung. Alle sechs Hauptangeklagten,<br />
Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf und Professor<br />
Kurt Huber, wurden <strong>in</strong> zwei Prozessen vor dem Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und<br />
h<strong>in</strong>gerichtet.<br />
Hans Leipelt hatte sich freiwillig zur Wehrmacht gemeldet, als Soldat den Polen- und den<br />
Frankreichfeldzug mitgemacht und Auszeichnungen erhalten. Durch e<strong>in</strong>en Geheimerlass<br />
des Führers vom 8. April 1940 wurde er aus der Wehrmacht als sogenannter Halbjude entlassen.<br />
Er entschied sich daraufh<strong>in</strong> für e<strong>in</strong> Chemie-Studium, das er <strong>in</strong> Hamburg begann.<br />
Studieren durfte er als „Halbjude“ nur mit m<strong>in</strong>isterieller Erlaubnis. Im W<strong>in</strong>tersemester<br />
1941/42 wechselte Hans Leipelt an die Universität <strong>München</strong>. Das chemischen Staatslabor<br />
der Ludwig-Maximilians-Universität <strong>in</strong> <strong>München</strong> hatte noch so genannte Halbjuden unter<br />
se<strong>in</strong>en Studenten – dies war dem Institutsleiter, Professor He<strong>in</strong>rich Wieland, zu verdanken,<br />
der dies entgegen der nationalsozialistischen Ideologie nach wie vor durchhielt.<br />
Bereits <strong>in</strong> Hamburg hatte sich Hans Leipelt illegale Literatur beschafft. Der talentierte junge<br />
Mann setzte se<strong>in</strong>e Ges<strong>in</strong>nung auch <strong>in</strong> eigene literarische Texte um. Er <strong>in</strong>formierte sich<br />
mithilfe der deutschen Sendungen der BBC und der „Stimme Amerikas“. Im Februar 1943<br />
konnte er sich die von alliierten Flugzeugen abgeworfene Broschüre „Die andere Seite“<br />
besorgen. Diese Texte, darunter Thomas Manns „Nachruf auf e<strong>in</strong>en Henker“, bee<strong>in</strong>druckten<br />
Hans Leipelt so sehr, dass er sie abtippte und Freunden zeigte. Auch eigene kritische<br />
Texte las er im Freundeskreis vor.<br />
Ebenfalls im Februar 1943 sorgte das sechste Flugblatt der Weißen Rose an der Universität<br />
<strong>München</strong> für Aufsehen. Hans Leipelt und Marie-Luise Jahn hatten es mit der Post erhalten<br />
und schrieben es nach der H<strong>in</strong>richtung von Hans und Sophie Scholl und Christoph<br />
Probst mit vielen Durchschlägen auf der Schreibmasch<strong>in</strong>e ab. Sie versahen es zusätzlich<br />
45
mit der Überschrift: „Und ihr Geist lebt trotzdem weiter!“. Die Abschriften des Flugblatts<br />
gaben Hans Leipelt und Marie-Luise Jahn an Freunde weiter oder lasen sie vor, und zwar<br />
sowohl <strong>in</strong> <strong>München</strong> als auch <strong>in</strong> Hamburg. Hans Leipelt rief e<strong>in</strong>e Geldsammlung für die<br />
mittellose Familie Professor Hubers <strong>in</strong>s Leben. Dieser war nach se<strong>in</strong>er Verhaftung und<br />
Verurteilung zum Tode als Staatsbeamter entlassen worden, se<strong>in</strong>e Familie konnte ke<strong>in</strong>e<br />
Pensionsansprüche mehr geltend machen. Im Hamburger Freundeskreis der beiden Studierenden<br />
wurde überlegt, ob es die Möglichkeit gäbe, den Krieg durch Sabotageaktionen<br />
abzukürzen. Zur Ausführung gelangten diese Pläne nie.<br />
Am 13. Oktober 1944 wurde Hans Leipelt vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Im<br />
Gerichtsverfahren versuchte Hans Leipelt erfolgreich, die Beteiligung se<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong><br />
Marie-Luise Jahn herunterzuspielen, die zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Der<br />
Grundton der Urteilsbegründung <strong>in</strong> den Ausführungen über Hans Leipelt ist deutlich antisemitisch.<br />
Dessen Gnadengesuch ehnte der Reichsm<strong>in</strong>ister der Justiz ab. In mehreren<br />
Telegrammen drängten Beamte des Reichsjustizm<strong>in</strong>isteriums und der Staatsanwaltschaft<br />
auf den Vollzug des Todesurteils, der zunächst aufgrund von Fliegerangriffen verschoben<br />
werden musste. Am 29.1.1945 wurde Hans Leipelt <strong>in</strong> <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> h<strong>in</strong>gerichtet.<br />
In e<strong>in</strong>em Telegramm an den Oberreichsanwalt Dr. Bach beim Volksgerichtshof heißt es am<br />
31.1.1945 <strong>in</strong> der lapidaren Sprache der bürokratischen Mörder: „Angelegenheit ohne Zwischenfall<br />
erledigt.“<br />
Quellen:<br />
Edition „Widerstand als Hochverrat“; MF 577 (11J 118/44, 2H 230/44).<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; NJ 5057.<br />
Dienstliches Schreiben der Universität <strong>München</strong>; © Bundesarchiv Berl<strong>in</strong><br />
46
Gnadengesuch Hans Leipelts; © Bundesarchiv Berl<strong>in</strong><br />
47
Die Depesche, mit der die H<strong>in</strong>richtung Hans Leipelts nach Berl<strong>in</strong> gemeldet wurde; © Bundesarchiv Berl<strong>in</strong><br />
Die verbotenen Grundrechte: Informations- und Me<strong>in</strong>ungsfreiheit<br />
Josef Bollwe<strong>in</strong>, geboren am 29.6.1904 <strong>in</strong> Burgwe<strong>in</strong>t<strong>in</strong>g, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 9.6.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 12.8.1943.<br />
Gespräche mit Bekannten über die politische Situation wurden Josef Bollwe<strong>in</strong> zum Verhängnis.<br />
Der nationalsozialistische Staat unterdrückte jede Form der unabhängigen Informationsbeschaffung<br />
und -weitergabe. Das Grundrecht der freien Me<strong>in</strong>ungsäußerung wurde<br />
unmittelbar nach der Machtergreifung außer Kraft gesetzt. Ab 1939 wurde das staatliche<br />
Me<strong>in</strong>ungsmonopol zudem durch die „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“<br />
zementiert: Sie verbot das Hören ausländischer Rundfunksender und sanktionierte<br />
es mit Zuchthausstrafen. Die Weitergabe gehörter Nachrichten konnte mit dem<br />
Tode bestraft werden. Dies bekamen jene Regensburger Bürger zu spüren, die sich regelmäßig<br />
auf dem Neupfarrplatz trafen. Sie tauschten Informationen aus, die sie sich mit Hilfe<br />
ausländischer Rundfunksender verschafft hatten.<br />
Der 1904 geborene Postfacharbeiter Josef Bollwe<strong>in</strong> gehörte zu dieser Gruppe. Vor se<strong>in</strong>en<br />
Arbeitskollegen machte Bollwe<strong>in</strong> ebenfalls ke<strong>in</strong> Geheimnis aus se<strong>in</strong>en Ansichten, dass der<br />
Krieg für <strong>NS</strong>-Deutschland bereits verloren sei und die Siegesaussichten für die Sowjetunion<br />
günstig stünden.<br />
48
Josef Bollwe<strong>in</strong> begann, sich systematisch auf die Niederlage Deutschlands vorzubereiten.<br />
Irgendwie konnte er sich e<strong>in</strong>e Pistole besorgen. Die Waffe bewahrte er ebenso wie e<strong>in</strong>en<br />
Sowjetstern, den ihm e<strong>in</strong> Soldat geschenkt hatte, für den Zeitpunkt des Zusammenbruchs<br />
des Nationalsozialismus auf. Zwei von alliierten Flugzeugen abgeworfene Flugblätter verwahrte<br />
er ebenfalls. In e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Heft notierte er sowohl die Namen besonders überzeugter<br />
Nazis als auch die von Personen mit antifaschistischer Haltung.<br />
Im Oktober 1942 geriet Josef Bollwe<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Hände der Gestapo. Im Juni 1943 wurde er<br />
vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, zwei Monate später <strong>in</strong> <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong><br />
h<strong>in</strong>gerichtet.<br />
Quelle:<br />
Edition „Widerstand als Hochverrat“; MF 178, 485 (6J 13/43, 6H 85/43).<br />
Max He<strong>in</strong>dl, geboren am 8.6.1899 <strong>in</strong> Fürth, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
28.7.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 22.10.1943.<br />
***<br />
Bei der Durchsetzung dieses Me<strong>in</strong>ungsmonopols erwies sich die Mobilisierung der Denunziationsbereitschaft<br />
<strong>in</strong> der Bevölkerung als schlagkräftiges Instrument. Viele Denunziationen<br />
waren privat motiviert. Max He<strong>in</strong>dl fiel der Denunziation e<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> zum Opfer.<br />
Den <strong>in</strong> Fürth lebenden Handelsvertreter, Jahrgang 1899, verband mit se<strong>in</strong>er Denunziant<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e enge, <strong>in</strong>time Freundschaft. Ihr gegenüber äußerte Max He<strong>in</strong>dl se<strong>in</strong>e Vermutung, dass<br />
Deutschland den Krieg verlieren würde. Unbekannt ist, was diese Frau zu ihrer Denunziation<br />
veranlasste. Bevor sie Anzeige erstattete, sorgte sie dafür, dass Max He<strong>in</strong>dl se<strong>in</strong>e<br />
Ansichten vor e<strong>in</strong>er ihrer Freund<strong>in</strong>nen wiederholte. Vor Gericht machte sie verme<strong>in</strong>tlich<br />
uneigennützige Gründe geltend, das nationalsozialistische Frauenidealbild geschickt ausspielend:<br />
Sie habe <strong>in</strong> diesen Äußerungen e<strong>in</strong>e Gefahr für ihr K<strong>in</strong>d gesehen.<br />
Vor Gericht stritt Max He<strong>in</strong>dl se<strong>in</strong>e Bemerkungen ab. Die Richter des Volksgerichtshof urteilten<br />
jedoch am 28. Juli 1943 unter Vorsitz von Freisler, die beiden Denunziant<strong>in</strong>nen seien<br />
absolut glaubwürdig. Sie hätten ohne jedes Hass- und Fe<strong>in</strong>dschaftsgefühl ausgesagt. In<br />
der Urteilsbegründung des Todesurteils heißt es: „Wer so wie He<strong>in</strong>dl redet, geht damit<br />
daran, unseren Willen zur Wehr gegen unseren Kriegsfe<strong>in</strong>d zu schwächen, strebt auf e<strong>in</strong><br />
neues 1918 h<strong>in</strong> (...)“. Die Dolchstoßlegende diente den Richtern als Begründung für ihren<br />
Justizmord.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; R 60 I/41.<br />
***<br />
49
Karl Dürr, geboren am 23.4.1901 <strong>in</strong> Leupold, Verurteilt vom Sondergericht Nürnberg am<br />
3.3.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 18.5.1943.<br />
Seit Beg<strong>in</strong>n der nationalsozialistischen Herrschaft hatte die Gestapo e<strong>in</strong> besonderes Augenmerk<br />
auf katholische Geistliche gerichtet. In den Jahren 1936/37 führte der nationalsozialistische<br />
Staat etwa 250 so genannte Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Priester<br />
und Ordensleute. Das Ziel, mit diesen Prozessen Illoyalität gegenüber der Kirche unter<br />
katholischen Gläubigen zu stiften, wurde nicht erreicht. Aus e<strong>in</strong>deutig politischen Gründen<br />
wurden Prozesse gegen Geistliche immer wieder nach Anweisung des Reichsjustizm<strong>in</strong>isters<br />
ausgesetzt, und zwar ohne die dem Del<strong>in</strong>quenten vorgeworfene Straftat bei dieser<br />
Entscheidung zu berücksichtigen. Karl Dürr wurde lange nach diesen Prozessen verurteilt,<br />
doch ist auch das Verfahren gegen ihn <strong>in</strong> diese Traditionsl<strong>in</strong>ie nationalsozialistischer Justiz<br />
zu stellen.<br />
Im Falle Dürrs war der Vorwurf der „Sittlichkeitsverbrechen“ mit dem politischen Vorwurf,<br />
häufig „fe<strong>in</strong>dliche“ Rundfunksender (darunter den Sender des Vatikans) gehört zu haben,<br />
gekoppelt. Karl Dürr hatte sich im Herbst 1936 e<strong>in</strong>er religiösen Gruppe um e<strong>in</strong>en Pfarrer<br />
angeschlossen, <strong>in</strong> deren Weltbild sich angeblich sexuelle mit religiös-mystischen Vorstellungen<br />
vermischten. Karl Dürr wurde Sexualverkehr mit se<strong>in</strong>er Schwester nachgesagt. E<strong>in</strong>e<br />
Sexualpartner<strong>in</strong> Dürrs, ebenfalls e<strong>in</strong> Mitglied dieser religiösen Gruppe, wurde schwanger.<br />
Bei der Geburt des K<strong>in</strong>des bat die Gebärende Karl Dürr und e<strong>in</strong>en anderen anwesenden<br />
Mann, ke<strong>in</strong>en Arzt zu holen. Sie starb an Blutungen nach der Geburt. Ausschließlich auf die<br />
Aussage zweier K<strong>in</strong>der im Alter von sieben und neun Jahren stützt sich das Gericht beim<br />
Vorwurf der Unzucht mit M<strong>in</strong>derjährigen.<br />
Das Urteil gegen Karl Dürr hat e<strong>in</strong>e lange Geschichte: Zunächst wurde e<strong>in</strong> Todesurteil vom<br />
Sondergericht beim Landgericht <strong>München</strong> I am 28. Oktober 1942 ausgesprochen. Diesem<br />
Urteil folgte se<strong>in</strong>e Aufhebung durch das Reichsgericht am 18. Dezember 1942, das den<br />
Fall zu neuer Entscheidung an das Sondergericht Nürnberg überwies. Das endgültige Todesurteil<br />
gegen Karl Dürr fällte das Sondergericht Nürnberg unter Richter Rothaug am<br />
3.3.1943. Der politische Vorwurf des so genannten „Rundfunkbrechens“, des Abhörens<br />
ausländischer Rundfunksender, hatte bei der Verurteilung denselben Stellenwert wie die<br />
so genannten Sittlichkeitsverbrechen. „Für jede se<strong>in</strong>er Taten kann dem Erfordernis nach<br />
gerechter Sühne nur durch die Todesstrafe entsprochen werden.“, heißt es im Urteil.<br />
Quelle:<br />
Staatsarchiv <strong>München</strong>; JVA <strong>München</strong> 146.<br />
Literatur:<br />
Hockerts, Hans Günther: Die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester<br />
1936/1937. E<strong>in</strong>e Studie zur nationalsozialistischen Herrschaftstechnik im Kirchenkampf. Ma<strong>in</strong>z 1971.<br />
50
Biographien: Österreich<br />
Monarchistischer Widerstand<br />
Wilhelm Hebra; © Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes<br />
Wilhelm Hebra, geboren am 11.10.1885 <strong>in</strong> Wien, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
16.11.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 27.10.1944.<br />
In Österreich existierte während der <strong>NS</strong>-Zeit ungefähr e<strong>in</strong> Dutzend monarchistischer Widerstandsgruppen.<br />
Ihre politische Zielvorstellung war die Wiederherstellung der Habsburger<br />
Monarchie. Leiter e<strong>in</strong>er dieser Kreise war Wilhelm Hebra. Diese Gruppen formierten<br />
sich als <strong>in</strong>formelle Gesprächskreise, bauten schließlich festere organisatorische Strukturen<br />
auf und versuchten, Kontakt zu Otto von Habsburg herzustellen. Die weitaus meisten dieser<br />
Widerstandsorganisationen wurden 1940 von der Gestapo zerschlagen, e<strong>in</strong>ige wenige<br />
überdauerten bis 1942. Wilhelm Hebra gründete <strong>in</strong> Wien die monarchistisch-legitimistische<br />
Organisation „Ostfrei“.<br />
Hebra stammte aus e<strong>in</strong>er alte<strong>in</strong>gesessenen Wiener Familie: Sowohl se<strong>in</strong> Vater wie auch<br />
se<strong>in</strong> Großvater waren Professoren der Mediz<strong>in</strong> <strong>in</strong> Wien, die Großmutter mütterlicherseits<br />
war Jüd<strong>in</strong>. Hebra studierte <strong>in</strong> Wien und <strong>München</strong> Rechts- und Staatswissenschaften,<br />
diente als E<strong>in</strong>jährig-Freiwilliger beim österreichischen Militär, von 1914 bis 1918 nahm er<br />
am Weltkrieg an der Ostfront und <strong>in</strong> Italien teil. Die Habsburger Monarchie blieb se<strong>in</strong> politisches<br />
und persönliches Leitbild: Für sie trat er nach dem Weltkrieg e<strong>in</strong>, er arbeitete als<br />
belletristischer und politischer Schriftsteller und für sie agitierte er als Redner <strong>in</strong> öffentlichen<br />
Versammlungen. 1936 wurde Wilhelm Hebra Mitglied des monarchistischen „Reichsbund<br />
der Österreicher“. Er veröffentlichte mehrere Aufsätze, die sich zum Beispiel mit der militärischen<br />
Bedeutung der Unabhängigkeit Österreichs befassten. E<strong>in</strong>e Erkrankung beendete<br />
1937 se<strong>in</strong>e legitimistische Tätigkeit vorläufig.<br />
Den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich lehnte Wilhelm Hebra ab. Ausschlaggebend<br />
für ihn war, dass die Habsburger damit ke<strong>in</strong>e Aussicht mehr hatten, an die Macht<br />
<strong>in</strong> Österreich zu kommen. Ebenso wie andere Monarchisten <strong>in</strong> Österreich begann er noch<br />
51
1938 mit dem Aufbau e<strong>in</strong>er illegalen Organisation. Sie sollte möglichst kle<strong>in</strong> bleiben, aber<br />
Kontakte zu Gleichges<strong>in</strong>nten halten. Die Sudetenkrise war der Anlass zur Herstellung der<br />
ersten Flugblätter. Da das Münchner Abkommen die Krise den Ausbruch des von Hitler<br />
gewünschten Krieges noch e<strong>in</strong>mal abwandte, vernichtete Hebra die Flugblätter. Im Oktober<br />
oder November 1938 verfasste Wilhelm Hebra e<strong>in</strong>en weiteren Aufruf. In ihm hieß es:<br />
„Wir Österreicher s<strong>in</strong>d durch Geschichte und Kultur, <strong>in</strong> Geist und Ges<strong>in</strong>nung, <strong>in</strong> Charakter<br />
und Lebensform von den anderen Deutschen unterschieden, den Preußen gegensätzlich.“<br />
Zum Druck des Flugblatts fehlte es an den nötigen Geldmitteln.<br />
Auch andere Aktionen Hebras scheiterten: So versuchte er erfolglos, den katholischen Bischof<br />
von Wien zu überzeugen, e<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>er Schriften von den Kanzeln verlesen zu lassen.<br />
Auch Eisenbahnsabotagepläne und die Planung e<strong>in</strong>es Geheimsenders blieben im Ungefähren.<br />
Erfolgreich konnten dagegen Kontakte zum Ausland über e<strong>in</strong>e englische Mitarbeiter<strong>in</strong> von<br />
Hebras Gruppe geknüpft werden. Diese Engländer<strong>in</strong>, die übrigens e<strong>in</strong>e längere Gefängnisstrafe<br />
verbüßen musste, erzählte nach dem Krieg vom Ende der Gruppe: „Leider wie es<br />
nun bekannt ist, hatten wir <strong>in</strong> der „Ostfrei“ Spionen, die uns an der Gestapo verkauften.“<br />
[sic!]<br />
Bereits im März 1939 nahm die Gestapo die etwa 20 Gruppenmitglieder fest, darunter<br />
auch Wilhelm Hebra. Bis zur Verhandlung des Volksgerichtshofs und dem Todesurteil im<br />
Jahr 1943 verg<strong>in</strong>gen aufgrund e<strong>in</strong>es von Hitler verhängten Moratoriums mehrere Jahre.<br />
1944, fast e<strong>in</strong> Jahr nach dem Urteil, wurde Wilhelm Hebra <strong>in</strong> <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> h<strong>in</strong>gerichtet.<br />
Quellen:<br />
Edition „Widerstand als Hochverrat“; MF 401, 402 (7J 376/42, 2H 273/42);<br />
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands; 3665, 5529.<br />
Kommunistischer Widerstand <strong>in</strong> Österreich<br />
KPÖ Salzburg<br />
Johann Illner, geboren am 8.12.1908 <strong>in</strong> St. Laurenz, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 3.11.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 19.4.1943.<br />
Bereits 1933 hatte die österreichische Regierung die KPÖ verboten. Die Partei verfolgte ab<br />
1937 e<strong>in</strong>e nationalpatriotische L<strong>in</strong>ie, die ihr schließlich nach dem Anschluss Österreichs an<br />
das deutsche Reich die Legitimationsgrundlage dafür gab, die nationalsozialistische Herrschaft<br />
als ausländisches Besatzungsregime zu bekämpfen. Diese Haltung ermöglichte ihr<br />
bereits während des Hitler-Stal<strong>in</strong>-Pakts den Widerstand. Die Organisation der KPÖ Salzburg<br />
stellt e<strong>in</strong> frühes Beispiel für kommunistischen Widerstand nach dem „Anschluss“<br />
Österreichs dar. Sie fiel der ersten Unterdrückungs- und Verhaftungswelle zum Opfer.<br />
Bereits im Herbst 1938 begannen die Versuche, die illegale Parteistruktur <strong>in</strong> Salzburg wieder<br />
aufzubauen. Johann Illner war Mitglied dieser Organisation.<br />
52
Der Telegraphenarbeiter Johann Illner, der übrigens seit Mai 1938 der <strong>NS</strong>DAP angehörte,<br />
wurde im Mai 1940 von e<strong>in</strong>em Arbeitskameraden für die KPÖ geworben. Illner zögerte längere<br />
Zeit und entschloss sich Anfang 1941 zum Beitritt. Er wurde Mitglied e<strong>in</strong>er Fünfergruppe,<br />
übernahm die Funktion des Kassiers und des Zellenleiters. Anfangs bekam Johann<br />
Illner immer wieder verbotene Flugblätter zugespielt, die er las und weitergab. Im Herbst<br />
1941 erhielt Johann Illner e<strong>in</strong>e Schreibmasch<strong>in</strong>e zur Herstellung illegaler Literatur. Als er<br />
am 18. Januar 1942 von der Verhaftung e<strong>in</strong>es führenden salzburgischen Funktionärs erfuhr,<br />
wurde ihm se<strong>in</strong>e eigene Gefährdung bewusst: Er warf die Schreibmasch<strong>in</strong>e noch am<br />
selben Abend <strong>in</strong> die Salzach. Ende Januar 1942 fiel er <strong>in</strong> die Hände der Gestapo. Die Schreibmasch<strong>in</strong>e<br />
musste er unter den Augen der Polizei aus dem Wasser holen.<br />
Im November 1942 wurde Illner vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Se<strong>in</strong> am H<strong>in</strong>richtungstag<br />
im April 1943 geschriebener Abschiedsbrief an se<strong>in</strong>e Frau erreichte die Adressat<strong>in</strong><br />
nicht. Frau Illner versuchte noch nach se<strong>in</strong>em Tod, mit ihrem Mann <strong>in</strong> Kontakt zu<br />
treten. Am 5.5.1943 wurde ihr lapidar mitgeteilt: Die von ihr beantragte Sprecherlaubnis<br />
könne nicht gewährt werden, das Todesurteil sei bereits vollstreckt.<br />
Quellen:<br />
Edition „Widerstand als Hochverrat“; MF 354 (/J 376/42, 2H 273/42).<br />
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands; 1448, 18232.<br />
KPÖ Steyr-Werke<br />
Johann Palme, geboren am 8.4.1909 <strong>in</strong> Amstetten, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 24.5.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 5.12.1944.<br />
Karl Punzer, geboren am 18.10.1912 <strong>in</strong> Wals, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
24.5.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 5.12.1944.<br />
Johann Riepl, geboren am 16.8.1900 <strong>in</strong> Mittertrixen, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 24.5.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 5.12.1944.<br />
Anton Ulram, geboren am 25.11.1921 <strong>in</strong> Wien, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
24.5.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 5.12.1944.<br />
Rüstungsbetriebe hatten sowohl für die Nationalsozialisten wie auch für ihre Gegner e<strong>in</strong>en<br />
besonderen Stellenwert. In den Steyr-Werken gelang es der KPÖ, e<strong>in</strong>e etwa 35 Personen<br />
umfassende illegale Betriebsorganisation aufzubauen und trotz der scharfen Beobachtung<br />
des Betriebs durch die Gestapo illegale Literatur zu verteilen. Palme, Punzer, Riepl und<br />
Ulram gehörten der illegalen Betriebsorganisation der KPÖ <strong>in</strong> den Steyr-Werken an.<br />
Der Masch<strong>in</strong>enschlosser Johann Palme und der Dreher Johann Riepl lernten sich bei der<br />
Arbeit <strong>in</strong> den Steyr-Werken kennen. 1940 entdeckten sie ihre politische Übere<strong>in</strong>stimmung<br />
und entschlossen sich, Kontakt zur verbotenen kommunistischen Betriebsorganisation<br />
zu suchen. Johann Palme und Johann Riepl warben Mitglieder, zahlten und kassierten Mitgliedsbeiträge.<br />
53
Johann Riepl kam bald <strong>in</strong> Konflikt mit der KPÖ: Ihm wurde vorgeworfen, er habe zu wahllos<br />
an se<strong>in</strong>em Heimatort Mitglieder geworben und damit die Sicherheit der illegalen Arbeit<br />
gefährdet. Se<strong>in</strong>e Zelle wurde daher von der KPÖ aufgelöst. Er ärgerte sich sehr darüber<br />
und wollte se<strong>in</strong>e Organisation ohne organisatorische Verb<strong>in</strong>dung zur KPÖ weiterführen. Ob<br />
ihm dies gelang, ist nicht bekannt.<br />
Auch Johann Palme musste im Januar 1942 auf Partei-Anweisung se<strong>in</strong>e illegale Arbeit e<strong>in</strong>stellen.<br />
Anlass war die Festnahme e<strong>in</strong>iger Mitglieder der Roten Hilfe <strong>in</strong> Steyr. Im April 1942<br />
nahm er wieder Verb<strong>in</strong>dung zu den verlässlichsten Mitgliedern se<strong>in</strong>er Gruppe auf. Auch<br />
mit Anton Ulram hatte Johann Palme Kontakt. Ulram leitete ebenfalls e<strong>in</strong>e Betriebszelle.<br />
Ihm riet Palme, weniger zu arbeiten und dies auch anderen zu empfehlen. Durch diese Art<br />
des passiven Widerstands sollte der nationalsozialistische Kriegsapparat geschwächt werden.<br />
Schriftliches Propagandamaterial gegen die Nationalsozialisten war <strong>in</strong> den Steyr-Werke selten.<br />
Anton Ulram bekam e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Flugblatt zugespielt, das die Aufforderung zu „Sabotage<br />
und Arbeitsverweigerung“ enthielt. Er gab es an Gleichges<strong>in</strong>nte weiter, darunter an<br />
Johann Palme. Andere Versuche, Schulungs- und Propagandamaterial zu besorgen, scheiterten.<br />
Höher als diese drei Männer sche<strong>in</strong>t Karl Punzer <strong>in</strong> der betriebs<strong>in</strong>ternen Hierarchie der<br />
illegalen KPÖ gestanden zu haben. Leider ist darüber wenig bekannt.<br />
Die Widerstandsgruppe fiel der Gestapo <strong>in</strong> der zweiten Jahreshälfte 1942 <strong>in</strong> die Hände. Zur<br />
Zeit der Anklageerhebung waren die Männer bereits Gefangene im Münchner Gefängnis<br />
<strong>in</strong> <strong>Stadelheim</strong>. Der Volksgerichtshof verurteilte sie im Mai 1944 zum Tode. Im Dezember<br />
desselben Jahres wurden die H<strong>in</strong>richtungen vollzogen.<br />
Quelle:<br />
Edition „Widerstand als Hochverrat“; MF 364, 736 (7J 109/43, 6(7)J 108/43.<br />
Verbotene Me<strong>in</strong>ungsäußerungen<br />
Ferd<strong>in</strong>and Lang, geboren am 27.3.13 <strong>in</strong> Unterlangendorf, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 10.10.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 21.11.1944.<br />
E<strong>in</strong>e von der <strong>NS</strong>-Ideologie abweichende politische Me<strong>in</strong>ung und die Denunziation e<strong>in</strong>er<br />
Kolleg<strong>in</strong> führte zur Verhaftung von Ferd<strong>in</strong>and Lang. Nicht nur entsprechende Äußerungen,<br />
auch die Lektüre verbotener Bücher und das Hören ausländischer verbotener Rundfunksender<br />
wurde ihm von se<strong>in</strong>en Verfolgern vorgeworfen.<br />
Jack Londons Buch „Die eiserne Ferse“ hatte Ferd<strong>in</strong>and Lang bee<strong>in</strong>druckt. Das Buch lieh<br />
er anderen, dies war <strong>in</strong> den Augen se<strong>in</strong>er Verfolger e<strong>in</strong>e politische Straftat. Auch hörte er<br />
seit 1940 regelmäßig Radio Moskau und Radio London, e<strong>in</strong>e Möglichkeit, sich Informationen<br />
zu verschaffen, die nicht von der Propagandamasch<strong>in</strong>e des <strong>NS</strong>-Staates manipuliert<br />
worden waren. Als so genanntes Rundfunkverbrechen wurde dieses Verhalten strafrechtlich<br />
verfolgt. Zudem hielt Ferd<strong>in</strong>and Lang mit se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung über die <strong>NS</strong>-Herrschaft nicht<br />
h<strong>in</strong>ter dem Berg. Lang wurde vorgeworfen, politische Witze erzählt zu haben, auch habe<br />
54
er die Verhältnisse <strong>in</strong> der Sowjetunion, <strong>in</strong> der früheren tschechoslowakischen Republik und<br />
<strong>in</strong> Amerika gelobt. Ferd<strong>in</strong>and Lang sprach im Kollegenkreis zudem die verbotene Wahrheit<br />
aus, dass die Nationalsozialisten die besetzten Länder zu Unrecht unterdrückten und ausraubten.<br />
Diese Äußerungen veranlassten e<strong>in</strong>e nationalsozialistische Kolleg<strong>in</strong> zu der Drohung, er<br />
werde wegen se<strong>in</strong>er Hetzreden noch nach „Dachau“ kommen. Eben diese Kolleg<strong>in</strong> denunzierte<br />
ihn bei der Gestapo. Ferd<strong>in</strong>and Lang erfuhr davon und verstummte daraufh<strong>in</strong> vorübergehend.<br />
Aber es drängte ihn, politische Wahrheiten auch weiterh<strong>in</strong> auszusprechen:<br />
1943 äußerte er über den Krieg, dieses Blutvergießen könne doch ke<strong>in</strong> Mensch mehr verantworten.<br />
Am 21. Oktober 1943 wurden Ferd<strong>in</strong>and Lang und se<strong>in</strong>e schwangere Ehefrau Herta Lang<br />
verhaftet. Ferd<strong>in</strong>and Lang wurde bis Anfang Februar 1944 im Salzburger Polizeigefängnis<br />
<strong>in</strong> die berüchtigte Zelle 13 gesperrt. Dann wurde er <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>er Gefängnis überstellt.<br />
Am 11. Oktober 1944 fand die Verhandlung gegen Ferd<strong>in</strong>and Lang vor dem Volksgerichtshof<br />
statt. Herta Lang hatte wegen der bevorstehenden Entb<strong>in</strong>dung Hafturlaub und wohnte<br />
der Gerichtsverhandlung bei. Sie äußerte später, ihr Mann sei „zum Tode verurteilt worden,<br />
obwohl die Zeugenaussagen derart lächerlich und widersprechend waren und e<strong>in</strong>e von der<br />
Gestapo gedungene Zeug<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Me<strong>in</strong>eid schwor, der vom Verteidiger me<strong>in</strong>es Mannes<br />
aufgezeigt und widerlegt wurde, jedoch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er beispiellos dem Gesetz und Recht hohnsprechenden<br />
Weise vom Vorsitzenden anerkannt wurde.“ Herta Lang wurde vom Sondergericht<br />
Salzburg wegen Rundfunkverbrechens zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Am<br />
30. April 1945 entließ man sie beim Näherrücken der Amerikaner aus der Haft.<br />
Quellen:<br />
Edition „Widerstand als Hochverrat“; MF 419, 529 (11J 72/44, 2H 53/44).<br />
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands; 18334.<br />
55
Biographien: Tschechoslowakei<br />
Jugendwiderstand <strong>in</strong> der CSR<br />
Josef Medek, geboren am 10.4.1925 <strong>in</strong> Kirchschlag, h<strong>in</strong>gerichtet am 24.8.1943. Verurteilt<br />
durch den Volksgerichtshof, Urteilsdatum unleserlich.<br />
Josef Cába, geboren am 8.9.1911 <strong>in</strong> Dumrowitz, h<strong>in</strong>gerichtet am 24.6.1943. Verurteilt<br />
durch den Volksgerichtshof, Urteilsdatum unleserlich.<br />
Unabhängig vone<strong>in</strong>ander planten zwei junge Männer zusammen mit <strong>in</strong>s Vertrauen gezogenen<br />
Freunden während des 2. Weltkriegs die Errichtung e<strong>in</strong>es illegalen Radiosenders.<br />
Beide wollten damit verbotene Propaganda gegen die Nationalsozialisten senden. Beide<br />
waren durch Sendungen der BBC, die sie trotz des strengen Verbots gehört hatten, auf<br />
diese Idee gekommen. Sie wurden Opfer der Terrorjustiz des mächtigen Gegners: Der<br />
Volksgerichtshof verurteilte sie zum Tode. E<strong>in</strong>er der beiden jungen Männer stammte aus<br />
<strong>München</strong>, der andere aus der Tschechoslowakei. Sie erfuhren niemals vone<strong>in</strong>ander. Beide<br />
wurden im Gefängnis <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> h<strong>in</strong>gerichtet und auf dem direkt daneben liegenden<br />
Friedhof am Perlacher Forst bestattet. Ursprünglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Reihengrab beerdigt,<br />
wurden sowohl der Münchner Walter Kl<strong>in</strong>genbeck wie auch der Tscheche Josef Medek<br />
später umgebettet. Der Münchner fand se<strong>in</strong>e letzte Ruhe auf Wunsch se<strong>in</strong>er Angehörigen<br />
auf e<strong>in</strong>em anderen Münchner Friedhof. Die Widerstandstätigkeit dieser jungen Männer<br />
kann mit dem Begriff Jugendwiderstand zutreffend beschrieben werden: Jugendliche organisierten<br />
sich selbst <strong>in</strong> von ihnen bestimmten Strukturen. Technikbegeisterung, Abenteuergeist,<br />
Opposition gegen die Eltern und politischer Gestaltungswille äußerten sich <strong>in</strong><br />
eigenen typischen Formen. Der junge Tscheche Josef Medek und se<strong>in</strong> Freund Josef Cába<br />
gehören zu den Toten des Sammelgrabs II, se<strong>in</strong>e Lebensgeschichte und die Lebensgeschichte<br />
se<strong>in</strong>es Freundes wird im folgenden dokumentiert.<br />
Der Rundfunktechniker Josef Medek und der Schlosser Josef Cába lebten beide <strong>in</strong> Weichseln.<br />
Der jüngere der beiden, Josef Medek, war im Bezirk Krumau am 10. April 1925 als<br />
Sohn e<strong>in</strong>es Tschechen und e<strong>in</strong>er Deutschen zur Welt gekommen. In den Akten des Volksgerichtshofs<br />
ersche<strong>in</strong>t dies als „völkische Mischehe“. Als Weichseln 1938 dem Deutschen<br />
Reich angegliedert wurde, optierte se<strong>in</strong> Vater, e<strong>in</strong> tschechischer Polizist, für die<br />
deutsche Staatsangehörigkeit. Auch Josef Medek war also formal deutscher Staatsangehöriger,<br />
sprach fließend deutsch und hatte sowohl deutsche als auch tschechische Schulen<br />
besucht. Er selbst fühlte, dachte und handelte jedoch als engagierter Verfechter der<br />
tschechischen Nation.<br />
Josef Medek begeisterte sich sehr für die noch neue Rundfunktechnik: In den Jahren<br />
1940/41 baute der 16jährige <strong>in</strong> der elterlichen Wohnung e<strong>in</strong>en Mittelwellensender, mit<br />
dem er e<strong>in</strong>ige Sendeversuche unternahm, bevor er den Sender wieder zerlegte. Zu se<strong>in</strong>en<br />
Aufgaben als Lehrl<strong>in</strong>g gehörte es, fremde Radiogeräte auf ihre Leistungsfähigkeit zu testen.<br />
Dies führte dazu, dass er ab 1941 bis <strong>in</strong> den Herbst 1942 regelmäßig zu Hause <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Zimmer die tschechischen Sendungen des Londoner Rundfunks und e<strong>in</strong>mal auch den<br />
Moskauer Sender hörte. Dazu lud er Freunde e<strong>in</strong>. Unter ihnen war der 24jährige Josef<br />
Cába, den die Arbeit <strong>in</strong> den Kalkwerken der Gegend nach Krumau geführt hatte. Der Freundeskreis<br />
begann, BBC zu hören. Die Freunde besprachen die gehörten Sendungen und<br />
56
schlossen sich der Me<strong>in</strong>ung an, dass Deutschland nach dem Kriegse<strong>in</strong>tritt der Sowjetunion<br />
und der USA den Krieg verlieren werde und dass aus dem Protektorat Böhmen und Mähren<br />
e<strong>in</strong> neuer tschechischer Staat entstehen werde.<br />
Durch eigene Sendungen wollte Josef Medek zur Niederlage des nationalsozialistischen<br />
Deutschlands beitragen. Josef Cába erklärte sich bereit, beim Aufbau e<strong>in</strong>es Senders zu<br />
helfen. Er wollte sich zur Bewachung des Senders zur Verfügung stellen. Medek baute im<br />
Frühjahr 1942 e<strong>in</strong>en Mittel- und e<strong>in</strong>en Kurzwellensender, richtete e<strong>in</strong>en schon vorher für<br />
ausschließlich technische Zwecke erbauten Ultra-Kurzwellensender sowie e<strong>in</strong>en Mikrokurzwellensender<br />
zu diesem Zweck her und baute zudem e<strong>in</strong>en Umformer sowie e<strong>in</strong> Motoraggregat<br />
zum Aufladen der Akkumulatoren. Damit wollte er im Wald bei Weichseln e<strong>in</strong>e<br />
Funkstation errichten, die Cába und mehrere <strong>in</strong> Weichseln arbeitende serbische Kriegsgefangene<br />
bewachen sollten. Zunächst hatte Medek vor, den Text e<strong>in</strong>er Schallplatte zu senden,<br />
die er auf e<strong>in</strong>em selbst gefertigten Aufnahmegerät hergestellt und besprochen hatte.<br />
Der tschechische Text lautet <strong>in</strong> deutscher Übersetzung:<br />
„Tschechen, vorwärts h<strong>in</strong>ter der Fahne der Freiheit!<br />
Tschechoslowakische Soldaten, jetzt ist Eure Zeit!<br />
Die Freiheit marschiert! Schluss mit der Sklaverei!<br />
Die Freiheit kommt!“<br />
Die Platte hatte jedoch zu viele Nebengeräusche, so dass sich Josef Medek entschloss,<br />
den Text „live“ wiederzugeben.<br />
Medek verschaffte sich Waffen und Munition zur Bewachung se<strong>in</strong>er Sendestation. Er<br />
machte mehrere Fotos, die ihn und e<strong>in</strong>en se<strong>in</strong>er Freunde mit e<strong>in</strong>er Pistole <strong>in</strong> der Hand vor<br />
den Sendeanlagen zeigte. E<strong>in</strong> Schild erläuterte den Namen des Senders: „VCA“, dies bedeutete<br />
„Sender der tschechoslowakischen Armee“.<br />
Ab August 1942 verfolgte Medek se<strong>in</strong>e Rundfunkpläne nicht mehr weiter, da er damit<br />
rechnete, <strong>in</strong> den Flugzeugwerken <strong>in</strong> Hörsch<strong>in</strong>g zur Arbeit e<strong>in</strong>gesetzt oder als deutscher<br />
Staatsangehöriger zur Wehrmacht e<strong>in</strong>berufen zu werden. Bevor dies geschah, wurde er<br />
am 3. Oktober 1942 festgenommen. Die Gestapo fand <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wohnung die oben erwähnten<br />
Waffen, Pulver- und Munitionsvorräte sowie mehrere Empfangsgeräte.<br />
Während se<strong>in</strong>er Haft im Nürnberger Gefängnis schrieb Josef Medek am 18. März 1943<br />
folgenden tschechischen Text auf e<strong>in</strong>e Schiefertafel <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Zelle:<br />
„Hier war der Tscheche Josef Medek aus Böhmisch-Krumau <strong>in</strong> Untersuchungshaft wegen<br />
Hochverrats. Ich habe vier Schwarzsender hergestellt, hatte zu Hause Waffen und Rüstung<br />
für drei Soldaten und habe ausländischen Rundfunk abgehört, <strong>in</strong>sbesondere London und Moskau.<br />
Zusammen mit mehreren Kameraden und mit serbischen Kriegsgefangenen wollten wir<br />
antideutsche Propaganda machen. Unseren Rundfunksender nannten wir „Sender der tschechoslowakischen<br />
Armee“, abgekürzt VCA. Auf Wiedersehen <strong>in</strong> der befreiten Heimat.“<br />
57
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; R 60 I/80.<br />
Literatur:<br />
Zarusky, Jürgen: Jugendliche „Vierergrupen“ (Hübener, Kl<strong>in</strong>genbeck, Landgraf). In: Lexikon des deutschen<br />
Widerstandes, Hg. von Wolfgang Benz und Walter H. Pehle, Frankfurt a.M. 1994, S. 236 –239.<br />
Mit dem Schicksal Walter Kl<strong>in</strong>genbecks befasst sich folgender Aufsatz: Zarusky, Jürgen: „... nur e<strong>in</strong>e Wachstumskrankheit“?<br />
Jugendwiderstand <strong>in</strong> Hamburg und <strong>München</strong>. In: Dachauer Hefte 7 (1991), S. 210–229.<br />
UVOD – nationaltschechischer Widerstand<br />
Karel Hladecek, geboren am 13.3.1908 <strong>in</strong> Brüx, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
17. April 1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 19.9.1944.<br />
Es gelang den Nationalsozialisten, die nationaltschechischen Widerstandsgruppen <strong>in</strong> den<br />
ersten Monaten ihrer Herrschaft schwer zu treffen. Drei der großen tschechischen Widerstandsorganisationen,<br />
die militärische Widerstandsbewegung Obrana národa (ON), die vom<br />
ehemaligen und späteren Staatspräsidenten und Präsidenten der Exilregierung Eduard<br />
Benes geführte Politicke ustredi (PU) und die überparteiliche Peticni vybor verny (PVVZ),<br />
schlossen sich daraufh<strong>in</strong> 1940 zum überparteilichen „Zentralkomitee des Widerstands“,<br />
dem UVOD, zusammen. Aus Sicherheitsgründen operierten die drei <strong>in</strong> ihm vere<strong>in</strong>ten Widerstandsgruppen<br />
nach wie vor getrennt vone<strong>in</strong>ander. E<strong>in</strong>e der wesentlichen Aufgaben, die<br />
dem UVOD als Dachorganisation blieben, war es, <strong>in</strong> der Regel recht zuverlässige Informationen<br />
über die Situation im Protektorat <strong>in</strong>s Ausland zu schaffen. Karel Hladecek gehörte<br />
zu den Informanten des UVOD.<br />
Der frühere Sozialdemokrat wurde im Juni 1940 von e<strong>in</strong>em Bekannten gebeten, Nachrichten<br />
über die wirtschaftlichen Verhältnisse <strong>in</strong> Kol<strong>in</strong>, die Stimmung der Bevölkerung, das Verhalten<br />
des deutschen Bevölkerungsteils sowie andere ihm wichtig ersche<strong>in</strong>ende Vorgänge<br />
zu sammeln und an e<strong>in</strong>en Bibliothekar <strong>in</strong> Prag weiterzugeben. Karel Hladecek bemühte<br />
sich m<strong>in</strong>destens bis September 1941, möglichst viele derartige Nachrichten zusammenzutragen.<br />
Se<strong>in</strong>e schriftlichen Berichte sandte er an e<strong>in</strong>e Deckadresse <strong>in</strong> Prag. Sie befassten<br />
sich zum Beispiel mit Unregelmäßigkeiten <strong>in</strong> der Lebensmittelversorgung (vor allem<br />
zugunsten von Beamten der Gestapo), mit Vorfällen bei der Abreise tschechischer Arbeiter<br />
<strong>in</strong> das Deutsche Reich und mit Ause<strong>in</strong>andersetzungen um Lohnforderungen <strong>in</strong> Fabriken<br />
sowie mit der Situation <strong>in</strong> der Petroleumraff<strong>in</strong>erie <strong>in</strong> Kol<strong>in</strong>. Für diesen Betrieb konnte<br />
Hladecek Angaben über die Anzahl der Arbeiter und Angestellten, die Art und den Umfang<br />
der Produktion, über die Luftschutzmaßnahmen sowie über e<strong>in</strong>e Tarnanlage zur Irreführung<br />
fe<strong>in</strong>dlicher Flieger machen.<br />
Der Kontaktmann Hladeceks, der erwähnte Bibliothekar <strong>in</strong> Prag, war <strong>in</strong> die Strukturen des<br />
UVOD e<strong>in</strong>gebunden und konnte die Berichte <strong>in</strong>s Ausland weiterleiten. Der Volksgerichtshof<br />
stellte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Todesurteil fest, die gesammelten Nachrichten seien objektiv nicht<br />
geheimhaltungsbedürftig gewesen. Zur Begründung des Todesurteils genügte den Richtern,<br />
dass Hladecek sie dafür gehalten habe.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; R 60 I/61.<br />
58
KP Königgrätz (Hradec Králové)<br />
Der KPC war es gelungen, auch im Kreis Königgrätz (Hradec Králové) e<strong>in</strong>e illegale Parteiorganisation<br />
aufzubauen. Deren Tätigkeit bestand im wesentlichen aus Mitgliederwerbung<br />
und Verbreitung illegaler Literatur. Noch vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion<br />
konnte die Gestapo diese Widerstandsorganisation aufrollen. Die ersten Festnahmen erfolgten<br />
im Frühjahr 1940, die letzten im Frühjahr 1941. Hierüber gibt e<strong>in</strong> im April 1941 abgeschlossener<br />
Ermittlungsbericht der Gestapo-Leitstelle Prag Auskunft. 183 Personen werden<br />
namentlich erwähnt. Von diesen 166 Männern und 18 Frauen wurden 177 Personen<br />
festgenommen, davon wurden nur zehn wieder entlassen. Nicht festgenommen wurden<br />
fünf Menschen, e<strong>in</strong>er davon beg<strong>in</strong>g vor se<strong>in</strong>er Festnahme Selbstmord und e<strong>in</strong>er war für<br />
se<strong>in</strong>e Verfolger nicht zu ermitteln, konnte sich also vermutlich <strong>in</strong>s Ausland oder <strong>in</strong> die Illegalität<br />
absetzen. Auch diejenigen, bei denen die Beweislage schließlich nicht für e<strong>in</strong>en<br />
Haftbefehl reichte, hatten Schlimmes zu befürchten. In dem Ermittlungsbericht heißt es:<br />
„Sollte Haftbefehl für e<strong>in</strong>zelne der Beschuldigten nicht erlassen werden oder der derzeitige<br />
Haftgrund entfallen, wird um Rücküberstellung der betr. Beschuldigten gebeten.“<br />
Dies bedeutete KZ-Haft. Auch ermittelte die Gestapo zu diesem Zeitpunkt noch gegen andere<br />
Personen. In dem Bericht heißt es: „Weitere Festnahmen <strong>in</strong> der Sache stehen bevor.<br />
Hierüber folgt besonderer Vorgang.“<br />
Es ist nicht bekannt, wie viele der 177 Festgenommenen die Verfolgung durch die Nationalsozialisten<br />
überlebten. 16 Männer dieser Gruppe liegen im Sammelgrab II am Münchner<br />
Friedhof am Perlacher Forst begraben. An drei Beispielen soll ihre Tätigkeit und ihr Schicksal<br />
exemplarisch geschildert werden, für die verbleibenden Personen werden biographische<br />
Grunddaten genannt.<br />
Emanuel Safranek, geboren am 4.11.1897 <strong>in</strong> Zamcoti, verurteilt durch den Volksgerichtshof,<br />
Urteilsdatum unleserlich, h<strong>in</strong>gerichtet am 8.10.1942.<br />
Emanuel Safranek war „kreistechnischer Leiter“ der KP Königgrätz (Hradec Králové), d.h.<br />
er besorgte die notwendigen Materialien für die Herstellung illegaler Literatur und kümmerte<br />
sich um die Herstellung und Verbreitung der Widerstandsflugblätter.<br />
Der Kellner Emanuel Safranek begann se<strong>in</strong>e Tätigkeit für die illegale kommunistische Partei<br />
bereits vor der deutschen Besetzung um die Jahreswende 1938/39. Zuvor war er nicht<br />
Mitglied e<strong>in</strong>er politischen Partei gewesen. Safranek sollte den kreistechnischen Apparat<br />
im Kreis Königgrätz (Hradec Králové) leiten, das heißt, er war für die Herstellung illegaler<br />
Literatur verantwortlich. Zu se<strong>in</strong>er Verfügung hatte er e<strong>in</strong>e Schreibmasch<strong>in</strong>e, e<strong>in</strong>en Abziehapparat<br />
und Wachsmatrizen. Bis zur Jahreswende 1939/40 stellte Safranek die Flugblätter<br />
nach handschriftlichen Manuskripten, die er von anderen Parteigenossen erhielt, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Wohnung her. Aus Sicherheitsgründen brachte er im Januar 1940 die Gerätschaften bei<br />
anderen Leuten unter, die Schreibmasch<strong>in</strong>e im Laden e<strong>in</strong>er Ges<strong>in</strong>nungsgenoss<strong>in</strong> und den<br />
Abziehapparat bei e<strong>in</strong>em Lehrer. Safranek besorgte das Material für die Herstellung der<br />
Flugblätter (Papier, Wachsbögen und Farbe). Auch kümmerte er sich um deren Verteilung.<br />
Die von ihm hergestellten Flugblätter hatten folgende Titel: „An alle“, „An das tschechische<br />
Volk“, „Geme<strong>in</strong>same Äußerungen der tschechischen, deutschen und österreichischen<br />
Partei“, „E<strong>in</strong>ige Fragen an Dr. Benesch“, „Der Kampf der F<strong>in</strong>nen um die Freiheit<br />
ist e<strong>in</strong> Kampf aller arbeitenden Völker der ganzen Welt“, „An die tschechische Jugend“,<br />
„Liebe Freund<strong>in</strong>“ und „Zum 28. Oktober“. Die letzten Flugblätter wurden etwa im Mai<br />
59
1940 produziert, also kurz vor se<strong>in</strong>er Festnahme am 22. Mai 1940. Zudem war Emanuel<br />
Safranek gelegentlich als Kurier des KP-Kreisleiters tätig gewesen. Das Datum se<strong>in</strong>er Verurteilung<br />
ist unbekannt, im Oktober 1942 musste Emanuel Safranek unter dem Fallbeil des<br />
Henkers sterben.<br />
Wenzel Honcl, geboren am 17.8.1870 <strong>in</strong> Ohnisov, verurteilt durch den Volksgerichtshof,<br />
Urteilsdatum unbekannt, h<strong>in</strong>gerichtet am 9.11.1942.<br />
***<br />
Wenzel Honcl war Mitglied e<strong>in</strong>er illegalen KP-Bezirksleitung und deren technischer Leiter.<br />
Wenzel Honcl war zum Zeitpunkt se<strong>in</strong>er Verhaftung am 2. Juli 1940 bereits 69 Jahre alt. Er<br />
fungierte als Mitglied der illegalen KP-Bezirksleitung Neustadt a.d. Mettau und als Ortsleiter<br />
<strong>in</strong> Gutenfeld. Honcl hatte an mehreren Bezirkssitzungen teilgenommen, auf denen der<br />
Kreissekretär des Kreises Königgrätz (Hradec Králové) über die politische Lage referierte<br />
und Anweisungen zum organisatorischen Aufbau erteilte. Er leitete den technischen Apparat<br />
des Bezirks, fertigte Auszüge aus illegalen Schriften an, stellte eigenes örtliches Propagandamaterial<br />
her und sorgte für dessen Verbreitung. Kurz vor se<strong>in</strong>er Verhaftung gelang es<br />
ihm noch, den im Bezirk benutzten Vervielfältigungsapparat zu zerstören. Im Juli 1940 fiel<br />
er <strong>in</strong> die Hände der Gestapo. Im Alter von 72 Jahren wurde der zum Tode Verurteilte h<strong>in</strong>gerichtet.<br />
Jaroslav Zmítko, geboren am 4.7.1907 <strong>in</strong> Holohlavy, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 12.6.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 27.10.1942.<br />
***<br />
Nur wenige Monate beteiligte sich Jaroslav Zmítko, e<strong>in</strong> verheirateter Mann mit zwei kle<strong>in</strong>en<br />
K<strong>in</strong>dern, an der Widerstandstätigkeit der KPC. Se<strong>in</strong>e Söhne erfuhren erst 1996 durch<br />
e<strong>in</strong>e Notiz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er tschechischen Zeitung, wo das Grab ihres Vaters liegt.<br />
Als deutsche Truppen se<strong>in</strong> Land besetzten, lebte Jaroslav Zmítko mit se<strong>in</strong>er Frau und zwei<br />
kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> Josefstadt. Er arbeitete auf dem Fliegerhorst Königgrätz (Hradec Králové)<br />
als Zimmermann. In den Jahren 1935 und 1936 war er Mitglied der KPC gewesen.<br />
Im Herbst 1939 erfuhr Jaroslav Zmítko durch e<strong>in</strong>e Bekannte von der Neuorganisation der<br />
KP und bekam den Auftrag, die Ortsleitung von Josefstadt zu übernehmen. Das hieß, er<br />
sollte Mitglieder werben und <strong>in</strong> Fünfergruppen zusammenschließen. Jaroslav Zmítko hat<br />
sich mehrmals mit se<strong>in</strong>en Mitarbeitern und mit Kreisfunktionären getroffen und mit ihnen<br />
über die politische Lage und die illegale Tätigkeit gesprochen. E<strong>in</strong>ige Male erhielt er illegale<br />
Schriften, die er nach eigenen Angaben – se<strong>in</strong>e Verfolger konnten ihm nichts Gegenteiliges<br />
beweisen – bis auf e<strong>in</strong>e Ausnahme nach der Lektüre verbrannte. Im Frühjahr 1940<br />
wurde der Kreisleiter festgenommen, Zmítko erhielt die Anweisung, sich aus der illegalen<br />
Arbeit zurückzuziehen. Für die Zeit danach ist nur noch bekannt, dass Zmítko an e<strong>in</strong>er Zusammenkunft<br />
im September 1940 teilnahm, auf der er se<strong>in</strong>en Rückzug aus der illegalen<br />
Tätigkeit bekannt gab. Im November 1940 wurde er verhaftet, im Juni 1942 vom Volksgerichtshof<br />
zum Tode verurteilt. E<strong>in</strong> Detail wirft e<strong>in</strong> bezeichnendes Schlaglicht auf die Umstände<br />
des Lebens und Sterbens im Gefängnis <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong>: Es kam vor, dass der<br />
Pfarrer den hungernden Häftl<strong>in</strong>g erst e<strong>in</strong>mal mit Essen versorgen musste, damit dieser<br />
60
Jaroslav Zmítko; © Privatbesitz<br />
61
überhaupt fähig war, e<strong>in</strong>en Abschiedsbrief an se<strong>in</strong>e Familie zu schreiben. Auch Jaroslav<br />
Zmítko, e<strong>in</strong>es der Opfer, schrieb <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em letzten Brief an se<strong>in</strong>e Familie noch über die entsetzliche<br />
Kälte und den grausamen Hunger, die ihn im Gefängnis gequält hatten.<br />
***<br />
Bohumír Cejnar, geboren am 13.9.1910 <strong>in</strong> König<strong>in</strong>hof, h<strong>in</strong>gerichtet am 22.11.1942. verurteilt<br />
durch den Volksgerichtshof am 8.6.1942. KP Königgrätz (Hradec Králové), Mitglied der<br />
Bezirksleitung König<strong>in</strong>hof. Aufbau e<strong>in</strong>er Fabrikorganisation <strong>in</strong> drei Fabriken im Bezirk König<strong>in</strong>hof.<br />
Filomén Danicek, geboren am 21.12.1917 <strong>in</strong> Bras<strong>in</strong>ec, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 8.6.41, h<strong>in</strong>gerichtet am 27.11.1942 <strong>in</strong> <strong>Stadelheim</strong>. KP Königgrätz (Hradec Králové),<br />
Verb<strong>in</strong>dungsmann zwischen Bezirks- und Ortsleitung <strong>in</strong> Eisenbrod, später Bezirksleiter.<br />
Anton Doman, geboren am 25.3.1889 <strong>in</strong> Zlic, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
11.6.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 27.10.1942. KP Königgrätz (Hradec Králové), Mitglied der Bezirksleitung<br />
Zlic, Böhmisch-Skalitz.<br />
Josef Flégr, geboren am 18.3.1907 <strong>in</strong> Radschitz, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
8.6.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 27.11.1942. KP Königgrätz (Hradec Králové). Er arbeitete im<br />
technischen Apparat e<strong>in</strong>er Betriebszelle mit.<br />
Friedrich Hetfleys, geboren am 18.7.1910 <strong>in</strong> Nachodt, verurteilt durch den Volksgerichtshof,<br />
Urteilsdatum unbekannt h<strong>in</strong>gerichtet am 9.11.1942. Bezirksleiter der KP Königgrätz<br />
(Hradec Králové), Deckname „Olda“.<br />
Josef Hoyny, geboren am 13.1.1907 <strong>in</strong> Wien, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
11.6.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 27.10.1942. KP Königgrätz (Hradec Králové), Leiter des technischen<br />
Apparats des Bezirks Hoschitz.<br />
Franz Korda, geboren am 7.8.1894 <strong>in</strong> Doubrava, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
11.6.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 27.10.42. KP Königgrätz (Hradec Králové). E<strong>in</strong>e Bezirksleiterfunktion<br />
wurde ihm unterstellt, konnte aber nicht bewiesen werden. Korda gab illegale<br />
Literatur weiter.<br />
Josef Melichar, geboren am 9.3.1889 <strong>in</strong> Polic, verurteilt durch den Volksgerichtshof, Urteilsdatum<br />
unleserlich, h<strong>in</strong>gerichtet am 8.10.1942. KP Königgrätz (Hradec Králové). Der<br />
Kaufmann Melichar hatte se<strong>in</strong>en Laden als Lager für illegale Schriften zur Verfügung gestellt.<br />
Bohuslav Nykl, geboren am 4.4.1909 <strong>in</strong> Kostalov, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
8.6.1941, h<strong>in</strong>gerichtet am 27.11.42. KP Königgrätz (Hradec Králové), Mitglied der Bezirksleitung<br />
Semely, später deren Leiter.<br />
Alois Pertlícek, geboren am 19.4.1906 <strong>in</strong> Bolevic, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
8.6.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 27.11.1942. KP Königgrätz (Hradec Králové), Mitglied der Bezirksleitung<br />
König<strong>in</strong>hof.<br />
62
Rudolf Prochaska, geboren am 3.11.1905 <strong>in</strong> Ostrov, verurteilt durch den Volksgerichtshof,<br />
Urteilsdatum unbekannt, h<strong>in</strong>gerichtet am 9.11.1942. KP Königgrätz (Hradec Králové), Bezirks-<br />
und Ortsleiter <strong>in</strong> Adler-Kosteletz.<br />
Franticek Selichar, geboren am 9.4.1901 <strong>in</strong> Königgrätz (Hradec Králové), verurteilt durch<br />
den Volksgerichtshof, Urteilsdatum unleserlich, h<strong>in</strong>gerichtet am 8.10.1942. KP Königgrätz<br />
(Hradec Králové), Ortsleiter Prager Vorstadt.<br />
J<strong>in</strong>drich Cerny, geboren am 15.11.1907 <strong>in</strong> Dolany, verurteilt vom Volksgerichtshof am<br />
11.6.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 27.10.1942. Wurde auf Wunsch der Angehörigen umgebettet.<br />
KP Königgrätz (Hradec Králové).<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; VGH Z, Baudisch, Rosa; R 60 I/474; RJM/MR 1284–1289/42; BA; R 60 I/611; R 60 I/30.<br />
KP Budweis (Ceské Budejovice)<br />
Václav Eller, Frantisek Bauer, Frantisek Cerveny, Karel Lavicka und Karel Satal hatten sich<br />
am Widerstand der KP im Kreis Budweis (Ceské Budejovice) <strong>in</strong> den Jahren 1939 und 1940<br />
beteiligt. Ke<strong>in</strong>er von ihnen war vor se<strong>in</strong>er illegalen Tätigkeit Mitglied der Kommunistischen<br />
Partei gewesen. Dies ist typisch für die reorganisierte illegale KPC nach den Verhaftungswellen<br />
im März und im September 1939. Fünf der Männer arbeiteten als Facharbeiter,<br />
e<strong>in</strong>er hatte studiert und unterrichtete als Gymnasiallehrer <strong>in</strong> Budweis (Ceské Budejovice).<br />
Stellvertretend für diese sechs Männer soll hier das Schicksal Václav Ellers ausführlicher<br />
geschildert werden.<br />
Václav Eller, geboren am 23.9.1917 <strong>in</strong> Enhuschitz, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
13.7.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 27.10.1942.<br />
Václav Eller hatte Mitglieder für die illegale KP geworben, illegale Literatur erhalten und verteilt.<br />
Der 22jährige Masch<strong>in</strong>enschlosser kam im Herbst 1939 über e<strong>in</strong>en Bekannten <strong>in</strong> Kontakt<br />
zur illegalen kommunistischen Partei. Während se<strong>in</strong>er Widerstandstätigkeit erhielt und verteilte<br />
er verbotene Flugschriften. Er warb auch selbst weitere Personen für die Parteimitgliedschaft<br />
und sammelte deren Mitgliedsbeiträge e<strong>in</strong>. Die Gestapo führte am 22. März<br />
1941 bei Václav Eller e<strong>in</strong>e Hausdurchsuchung durch. Bei dieser Durchsuchung wurden<br />
e<strong>in</strong>ige illegale Schriften gefunden, die Eller auf dem Dachboden h<strong>in</strong>ter Balken versteckt<br />
hatte. Nicht verborgen hatte er ältere kommunistische und sozialdemokratische Schriften<br />
aus der Zeit vor 1938. Diese Druckerzeugnisse waren damals völlig legal erhältlich gewesen<br />
– gleichwohl wurde Eller auch deren Besitz als politische Straftat zur Last gelegt. Der<br />
Volksgerichtshof verurteilte ihn im Juli 1942 zum Tode, im Oktober desselben Jahres wurde<br />
er h<strong>in</strong>gerichtet.<br />
Frantisek Bauer, geboren am 15.4.1896 <strong>in</strong> Hochofen, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 16.7.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 2.11.42. KP Budweis (Ceské Budejovice).<br />
63
Frantisek Cerveny, geboren am 7.2.1904 <strong>in</strong> Aussig (Usti nad Labem), h<strong>in</strong>gerichtet am<br />
2.11.1942. Verurteilt durch den Volksgerichtshof am 16.7.1942. Gehörte ab Sommer 1940<br />
der KP Budweis (Ceské Budejovice) an, wurde später Leiter e<strong>in</strong>es Gebiets, dem die Orte<br />
Mesimost, Sobieslau, Kardasch-Retschitz und schließlich auch Tabor und Besch<strong>in</strong>g angehörten.<br />
Versuchte Mitglieder zu werben.<br />
Karel Lavicka, geboren am 15.10.1909 <strong>in</strong> Sch<strong>in</strong>delhöf (S<strong>in</strong>dlory), verurteilt vom VGH am<br />
17.7.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 8.10.1942. Ab Herbst 1939 Mitglied der illegalen KP Budweis<br />
(Ceské Budejovice), ab Sommer 1940 politischer Leiter dieses KP-Kreises. Versuchte, die<br />
KP im Bezirk Budweis-Land durch Mitgliedswerbung und Weitergabe von illegaler Literatur<br />
aufzubauen.<br />
Karel Satal, geboren am 14.4.1915 <strong>in</strong> Prag, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
17.7.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 8.10.1942. Ab 1940 Mitglied der KP Budweis (Ceské Budejovice),<br />
g<strong>in</strong>g Karel Satal bei Organisationsbestrebungen Lavicka im Bezirk Budweis-Land zur<br />
Hand.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; VGH Z, Václav Eller; VGH Z, Kalkus, Vojtech.<br />
KPC Erlitz<br />
Josef Smid, geb. am 30.9.1884 <strong>in</strong> Ewitz, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
20.6.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 12.9.1944<br />
E<strong>in</strong> weiteres Beispiel für die Widerstandstätigkeit der KPC während des Hitler-Stal<strong>in</strong>-Pakts<br />
ist Josef Smids Tätigkeit für die KP <strong>in</strong> Erlitz. Deren Parteiorganisation sollte 1940 wieder<br />
aufgebaut werden.<br />
Der ehemalige Eisenbahnarbeiter Josef Smid hörte im Sommer 1940 von se<strong>in</strong>em Schwager,<br />
dass die KP <strong>in</strong> Erlitz wieder aktiv werden wollte. Er schlug e<strong>in</strong>en Bekannten für die Mitarbeit<br />
<strong>in</strong> der illegalen Partei vor und sprach mit diesem Mann über die se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach wichtige<br />
illegale Arbeit. Josef Smid selbst zahlte e<strong>in</strong>mal 15 Kronen für die Angehörigen politischer<br />
Häftl<strong>in</strong>ge und erhielt zweimal illegale Flugblätter. Im Herbst 1940 überließ er se<strong>in</strong>em<br />
Schwager se<strong>in</strong>e Wohnung zur Herstellung illegaler Literatur, er selbst g<strong>in</strong>g ihm dabei e<strong>in</strong>mal<br />
e<strong>in</strong> wenig zur Hand. Im W<strong>in</strong>ter 1940/41 beherbergte er e<strong>in</strong>en flüchtigen KP-Funktionär, stellte<br />
später die Verb<strong>in</strong>dung der Ehefrau dieses Funktionärs zur KP her und nahm 140 Kronen Parteigeld<br />
<strong>in</strong> Verwahrung. Diese Aktivitäten bezeichneten die Richter des Volksgerichtshofs<br />
ausdrücklich nicht als aktive Parteiarbeit. Dennoch verurteilten sie Josef Smid zum Tode.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; R 60 I/480.<br />
KPC Prag: Betriebszellen <strong>in</strong> der Rüstungsfabrik „Eta“<br />
Leopold Flajser, geboren am 10.9.1914 <strong>in</strong> Jung-Bunzlau, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 24.6.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 26.9.1944.<br />
64
Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion änderte sich die Position und die Strategie<br />
der KPC, die sich bis dah<strong>in</strong> vor allem auf Flugblattpropaganda gegen die Nationalsozialisten<br />
beschränkt hatte. Ab diesem Zeitpunkt forderte die KPC wieder e<strong>in</strong>e tschechoslowakische<br />
Republik und wurde zu e<strong>in</strong>er nationalen Sammlungsbewegung. Auch Sabotageakte<br />
und die aktive Unterstützung der alliierten Kriegsanstrengungen wurden nun wieder propagiert.<br />
Beispiele f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> Leopold Flajsers Widerstandsgeschichte.<br />
Der Eisendreher Leopold Flajser lernte durch e<strong>in</strong>en Arbeitskollegen <strong>in</strong> der Rüstungsfirma<br />
„Eta“ <strong>in</strong> Prag 1941 e<strong>in</strong>en kommunistischen Funktionär kennen, mit dem er sich über die<br />
Verhältnisse <strong>in</strong> der Sowjetunion sprach. Se<strong>in</strong> Gesprächspartner versprach ihm illegale Literatur.<br />
Flajser holte diese illegalen Schriften am vere<strong>in</strong>barten Ort ab. Dabei ergab sich e<strong>in</strong>e<br />
Gelegenheit zu e<strong>in</strong>em Gasthausbesuch mit zwei aktiven KP-Mitgliedern. Auf dem Heimweg<br />
ermunterten ihn die beiden Männer, an se<strong>in</strong>er Arbeitsstelle, <strong>in</strong> der Rüstungsfirma<br />
„Eta“, e<strong>in</strong>e kommunistische Betriebszelle zu gründen. Flajser erster Versuch, im Betrieb<br />
e<strong>in</strong>en Bundesgenossen zu werben, scheiterte: Der angesprochene Kollege bezeichnete<br />
e<strong>in</strong>en entsprechenden Versuch als zwecklos und lehnte die Mitarbeit ab. Flajser gab daraufh<strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>e Versuche zur Gründung e<strong>in</strong>er kommunistischen Betriebszelle auf. Im Frühjahr<br />
1942 erhielt Flajser zum ersten Mal e<strong>in</strong> illegales Flugblatt, <strong>in</strong> dem u.a. die Herstellung<br />
von Brandbomben beschrieben wurde. Dies entsprach der Parteitaktik, die nach dem deutschen<br />
Überfall auf die Sowjetunion mehr und mehr auf den bewaffneten Kampf umgestellt<br />
worden war. Der Überbr<strong>in</strong>ger dieses Flugblattes forderte ihn auf, sich die notwendigen<br />
Chemikalien zu besorgen. Flajser war dies jedoch zu gefährlich. Als das Attentat auf Heydrich<br />
bekannt wurde, vernichtete er das Flugblatt, um nicht <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung zur illegalen KP<br />
gebracht werden zu können.<br />
Flajser traf sich e<strong>in</strong>ige Male mit anderen Kommunisten, die ihm von gelungenen Versuchen<br />
erzählten, e<strong>in</strong>e kommunistische Betriebsorganisation aufzubauen. Er nahm während der<br />
Abwesenheit se<strong>in</strong>er Ehefrau e<strong>in</strong>en illegal lebenden KP-Funktionär für e<strong>in</strong>ige Tage <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Wohnung auf, der als Fallschirmagent von sowjetischen Flugzeugen abgesetzt worden<br />
war. Sowohl britische als auch sowjetische Armeee<strong>in</strong>heiten setzten ab der zweiten Hälfte<br />
des Jahre 1941 auf dem Gebiet der Tschechoslowakei Fallschirmagenten h<strong>in</strong>ter den fe<strong>in</strong>dlichen<br />
L<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong>. Dieser Mann wies Leopold Flajser die Aufgabe e<strong>in</strong>es Radiotelegrafisten bei<br />
e<strong>in</strong>em noch aufzubauenden Radiosender zu. Flajser erhielt 500 Kronen, mit denen er die für<br />
diesen Sender notwendigen Materialien besorgen sollte. Er bestellte das nötige Zubehör<br />
bei e<strong>in</strong>em Arbeitskollegen und lernte morsen. Nach e<strong>in</strong>igen Tagen drängte Leopold Flajser<br />
den KP-Funktionär, se<strong>in</strong>e Wohnung wieder zu verlassen, da er se<strong>in</strong>e Frau zurückerwartete.<br />
E<strong>in</strong>ige Zeit später erhielt Leopold Flajser e<strong>in</strong>e Instruktionsschrift für Funktionäre der KP,<br />
die er e<strong>in</strong>em Genossen weitergeben sollte. Diese Schrift enthielt Weisungen zur Partisanenbewegung,<br />
die Beseitigung von Provokateuren, das Verhalten bei Haussuchungen oder<br />
Festnahmen sowie die Verübung von Sabotageakten. Dem Adressaten war die Entgegennahme<br />
des Flugblatts zu gefährlich, Flajser <strong>in</strong>formierte ihn mündlich über den Inhalt. Am<br />
7. Februar 1944 wurde Leopold Flajser verhaftet, im Juli desselben Jahres durch den Volksgerichtshof<br />
zum Tode verurteilt.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; R 60 I/480.<br />
65
KPC Leitomischl<br />
Frantisek Famfulík, geboren am 28.9.1912 <strong>in</strong> Leitomischl, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 23.6.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 26.9.1944.<br />
Stanislav Zachar, geboren am 5.5.1907 <strong>in</strong> Leitomischl, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 23.6.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 26.9.1944.<br />
Stanislav Zachar und Frantisek Famfulík waren Mitglieder der KPC Leitomischl. Sie beteiligten<br />
sich an illegalen Treffen, versteckten Widerstandsliteratur und dachten vage über<br />
mögliche Sabotageakte nach. Diese Widerstandsaktivitäten geschahen <strong>in</strong> den Jahren 1941<br />
und 1942. Erst e<strong>in</strong>ige Monate später, im April 1943, wurden Famfulík und Zachar verhaftet.<br />
Stanislav Zachar hatte von 1936 bis zu ihrem Verbot der KPC angehört. Hier<strong>in</strong> unterscheidet<br />
er sich von vielen anderen Mitgliedern der illegalen KPC, die häufig vor ihrer Widerstandstätigkeit<br />
politisch nicht aktiv gewesen waren. Aus se<strong>in</strong>er Zeit als Parteimitglied<br />
kannte er zwei kommunistische Funktionäre, die am spanischen Bürgerkrieg auf seiten der<br />
Roten Armee gekämpft hatten und im Frühjahr 1941 nach Leitomischl zurückkehrten. Bei<br />
e<strong>in</strong>em zufälligen Treffen stellten die Männer fest, dass sie politisch immer noch e<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung<br />
waren. Am nächsten Tag wurde Stanislav Zachar zu e<strong>in</strong>er Spende zur Unterstützung<br />
von Angehörigen politischer Gefangener aufgefordert, lehnte jedoch ab. Die beiden Spanienkämpfer<br />
besuchten ihn e<strong>in</strong>ige Tage später nochmals und brachten illegale Flugschriften<br />
mit. E<strong>in</strong>en Teil davon gab Zachar später an e<strong>in</strong>en anderen Kommunisten weiter, den<br />
Rest wollte er selbst verteilen. E<strong>in</strong>er der beiden Spanienkämpfer übernachtete e<strong>in</strong>mal bei<br />
Zachar. In der nächsten Zeit erhielt Zachar gelegentlich illegales Material, das er an ihm zuverlässig<br />
ersche<strong>in</strong>ende Bekannte weitergab. Anfang 1941 wurde Stanislav Zachar von e<strong>in</strong>em<br />
höheren Funktionär der KP zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tensiveren illegalen Tätigkeit <strong>in</strong> Leitomischl aufgefordert.<br />
Zachar bat daraufh<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Schwäger<strong>in</strong>, konspirative Post für ihn anzunehmen und<br />
erhielt auf diese Weise auch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en Brief. Er nahm an m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>em illegalen<br />
Treffen teil und versuchte, e<strong>in</strong>en Vervielfältigungsapparat zu kaufen.<br />
Mitte Mai 1942 wurden zwei der Kontaktpersonen Zachars festgenommen. Im Juli 1942<br />
nahm Stanislav Zachar an e<strong>in</strong>em Treffen mit elf anderen Funktionären teil, bei dem die<br />
Anwesenden zu Sabotageakten und Attentaten aufgefordert wurden. Vier Wochen später<br />
wurde bei e<strong>in</strong>em erneuten Treffen besprochen, ob es möglich sei, e<strong>in</strong>e Eisenbahn entgleisen<br />
zu lassen. Ab Anfang Oktober nahm auch Famfulík an illegalen Zusammenkünften teil,<br />
bei denen über die Werbung weiterer Mitglieder, die Besorgung von Schusswaffen und<br />
Sprengstoffen sowie Sabotageakte gesprochen wurde. Dies entsprach der Parteil<strong>in</strong>ie nach<br />
dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion. Konkretere Planungen für Sabotageaktionen<br />
sche<strong>in</strong>t es jedoch nicht gegeben zu haben.<br />
Im Dezember 1942 richtete Frantisek Famfulík im Auftrag e<strong>in</strong>es vorgesetzten Funktionärs<br />
die Warnung an Zachar aus, er solle e<strong>in</strong>en vere<strong>in</strong>barten Term<strong>in</strong> nicht wahrnehmen, da die<br />
ganze Gegend unter Beobachtung stünde. Bald darauf erkrankte Stanislav Zachar schwer,<br />
und konnte daher se<strong>in</strong>e illegale Arbeit nicht mehr fortsetzen. Auch Frantisek Famfulík stellte<br />
se<strong>in</strong>e illegale Tätigkeit e<strong>in</strong>.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; VGH Z, Stanislav Zachar<br />
66
KPC Rüstungswerke Prag-Lieben<br />
Josef Kolar, geboren am 30.7.1916 <strong>in</strong> Wien, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
23.8.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 19.12.1944.<br />
Karel Zakouril, geboren am 1.10.1906 <strong>in</strong> Liebenau, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 23.8.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 19.12.1944.<br />
In dem Rüstungsbetrieb Prag-Lieben der Böhmisch-Mährischen Masch<strong>in</strong>enfabriken A.G.<br />
existierte von 1942 bis 1943 e<strong>in</strong>e Betriebszelle der KPC. Die von der Prager Zentralleitung<br />
der KPC ausgegebene Losung lautete: „E<strong>in</strong> jeder Betrieb unsere Burg.“ Im September<br />
1943 flog die Widerstandsgruppe auf. Zu den Mitgliedern dieser Betriebszelle gehörten<br />
Josef Kolar und Karel Zakouril.<br />
Als Funktionäre der Betriebszellenorganisation der KPC <strong>in</strong> den Rüstungswerken der Böhmisch-Mährischen<br />
Masch<strong>in</strong>enfabriken AG warben Josef Kolar und Karel Zakouril Mitglieder,<br />
sammelten Mitgliedsbeiträge e<strong>in</strong>, nahmen an Versammlungen teil und bezogen illegale<br />
Flugblätter.<br />
Karel Zakouril wurde im Frühsommer 1942 von e<strong>in</strong>em Kollegen angesprochen: Er solle<br />
sich an e<strong>in</strong>er Sammelaktion für die notleidenden Angehörigen politischer Häftl<strong>in</strong>ge beteiligen.<br />
Zakouril spendete e<strong>in</strong>ige Male jeweils 10 Kronen und ignorierte damit absichtlich<br />
oder unabsichtlich das im Betrieb angeschlagene Sammelverbot. Nachdem ihm mitgeteilt<br />
wurde, dass se<strong>in</strong> Geld an die verbotene KPC g<strong>in</strong>g, entrichtete Zakouril weiterh<strong>in</strong> pünktlich<br />
se<strong>in</strong>en Beitrag und erklärte se<strong>in</strong>en Beitritt. Er konnte im Lauf der Zeit 80 Betriebsangehörige<br />
<strong>in</strong> die KP-Arbeit e<strong>in</strong>b<strong>in</strong>den. Im April 1943 erfuhr er von der Existenz e<strong>in</strong>es Geheimsenders,<br />
den er sich für die Arbeit der KP sichern konnte. Im Juni oder Juli 1943 stellte er<br />
zwei illegal lebenden Funktionären der KPC se<strong>in</strong>e Wohnung als Nachtquartier zur Verfügung.<br />
E<strong>in</strong>em weiteren zur Flucht entschlossenen Kommunisten konnte Karel Zakouril im<br />
Juli 1943 e<strong>in</strong>e Blankobürgerlegitimation besorgen.<br />
Josef Kolar wurde im Juli 1942 von e<strong>in</strong>em Kollegen gebeten, Geld und Lebensmittel für<br />
die Angehörigen politischer Häftl<strong>in</strong>ge zu spenden. Als er später die H<strong>in</strong>tergründe der<br />
Sammlung – also von der Existenz der KP – erfuhr, entschloss er sich zur Mitarbeit <strong>in</strong> der<br />
Widerstandsorganisation. Er übernahm den Posten e<strong>in</strong>es Zellen<strong>in</strong>strukteurs, sollte Verb<strong>in</strong>dung<br />
mit den Gruppenleitern aufrechterhalten und weitere Mitglieder <strong>in</strong> der Belegschaft<br />
werben. Kolar wollte jedoch möglichst selten als Funktionär <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten und<br />
lehnte e<strong>in</strong>e eigene Werbetätigkeit ab. Als Ausgleich dafür zahlte er den doppelten Monatsbeitrag.<br />
***<br />
Oldrich Berdych, geboren am 27.5.1902 <strong>in</strong> Prag, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
31.8.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 10.12.1944. Warb für die KPC <strong>in</strong> den Rüstungswerken Prag-<br />
Lieben Mitglieder, nahm an Versammlungen teil und verteilte illegale Flugschriften.<br />
Josef Dzus, geboren am 21.2.1910 <strong>in</strong> Prag, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
31.8.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 20.12.1944. Warb für die KPC <strong>in</strong> den Rüstungswerken Prag-<br />
Lieben Mitglieder, nahm an Versammlungen teil und verteilte illegale Flugschriften.<br />
67
Václav Pavel, geboren am 3.11.1896 <strong>in</strong> Prag, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
31.8.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 20.12.1944. Warb für die KPC <strong>in</strong> den Rüstungswerken Prag-<br />
Lieben Mitglieder, nahm an Versammlungen teil und verteilte illegale Flugschriften.<br />
Josef Prchal, geboren am 20.3.1904 <strong>in</strong> Kletetscha, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 28.8.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 20.12.1944. Warb für die KPC <strong>in</strong> den Rüstungswerken<br />
Prag-Lieben Mitglieder, nahm an Versammlungen teil und verteilte illegale Flugschriften.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv; VGH Z, Zakouril, Karel.<br />
Unerlaubter Grenzübertritt und versuchter Anschluss an die<br />
Tschechische Legion<br />
Josef Bruna, geboren am 26.5.1924 <strong>in</strong> Plaw, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
23.8.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 20.12.1944.<br />
Josef Ladislav Rehak, geboren am 9.8.1922 <strong>in</strong> Ponikla, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 23.8.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 20.12.1944.<br />
Politische Opposition gegen die deutschen Besatzer, nicht parteipolitisch gebunden, motivierte<br />
zwei junge Männer zur Flucht über die Landesgrenzen. Die Richter des VGH unterstellten<br />
<strong>in</strong> solchen Fällen immer die Absicht des E<strong>in</strong>tritts <strong>in</strong> die tschechische Legion,<br />
Todesurteile waren die Folge.<br />
Der 18jährige kaufmännische Angestellte Josef Bruna rechnete mit se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>berufung zur<br />
Waffen-SS. Auf Druck des Arbeitsamtes <strong>in</strong> Jitsch<strong>in</strong> hatte er sich, wie es beschönigend<br />
hieß, als Freiwilliger gemeldet. Bruna wollte jedoch nicht als Deutscher für die nationalsozialistischen<br />
Okkupanten kämpfen, er fühlte sich als Tscheche. Für diesen Fall e<strong>in</strong>er drohenden<br />
Rekrutierung hatte er sich schon früher mit e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> Amstetten arbeitenden Freund,<br />
Josef Ladislav Rehak, verabredet, <strong>in</strong> die Schweiz zu fliehen. Von Kollegen und se<strong>in</strong>em<br />
Arbeitgeber wurde er mit Geld und Dokumenten <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Fluchtplänen unterstützt.<br />
Am 22. März 1943 fuhr Josef Bruna mit der Bahn über Reichenberg nach Wien, am nächsten<br />
Tag reiste er nach L<strong>in</strong>z. Dort traf er Josef Rehak, mit dem er die Bahnreise nach Bludenz<br />
<strong>in</strong> Vorarlberg fortsetzte. Der Versuch, e<strong>in</strong>e Landkarte des deutsch-schweizerischen<br />
Grenzgebiets zu kaufen, blieb erfolglos. Vermutlich waren solche Karten überhaupt nicht<br />
mehr im Handel, um Fluchtversuche zu erschweren. Bruna und Rehak verschafften sich<br />
aus Eisenbahnübersichtskarten e<strong>in</strong>en Überblick über den Grenzverlauf, bevor sie sich am<br />
24. März 1943 zu Fuß auf den Weg über die Grenze machten. Sie waren schon mehrere<br />
Stunden unterwegs, als sie <strong>in</strong> der Ortschaft Brand von e<strong>in</strong>em Hilfszöllner festgenommen<br />
wurden.<br />
Josef Brunas politischer Standpunkt lässt sich aus se<strong>in</strong>em Verhalten im Nürnberger Gefängnis<br />
schließen. Dort bestrafte man ihn wiederholt wegen se<strong>in</strong>es „frechen und widersetzlichen“<br />
Benehmens mit Hausstrafen. H<strong>in</strong>ter diesen Vorwürfen versteckten sich politische<br />
Aktivitäten des Gefangenen: So wurde ihm vorgehalten, auf dem Boden e<strong>in</strong>er<br />
Versandkiste <strong>in</strong> tschechischer Sprache „die Jungens aus dem Sudetengau“ und die „Rie-<br />
68
sengebirgler“ zu e<strong>in</strong>em Treffen nach dem Krieg <strong>in</strong> Gablonz an der Neiße aufgefordert zu<br />
haben. Weiter lautete der Text: „Wir müssen <strong>in</strong> Zukunft zu e<strong>in</strong>em festen Wall werden, was<br />
der ganzen Welt beweisen wird, dass auch die Tschechen an e<strong>in</strong>em Strang ziehen und für<br />
den Staat und nicht aus dem Staat leben können. Das ist unser künftiges Programm. E<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>iger, e<strong>in</strong> tschechischer, wenn auch kle<strong>in</strong>er Staat. Wir müssen <strong>in</strong> Zukunft auch zu den<br />
Tschechen hart se<strong>in</strong>, die glauben, dass der Staat e<strong>in</strong>e Kuh zum Melken ist, an der jeder<br />
Ochse zutzeln kann!!! Unser Staat wird so se<strong>in</strong>, wie wir ihn uns selbst ausbauen.“<br />
Im Januar 1944 musste Josef Bruna im Gefängnis Metallösen <strong>in</strong> Kunstharzdeckenplatten<br />
befestigen. Auf etwa sechs dieser Platten ritzte er Parolen e<strong>in</strong>, zwei dieser Platten wurden<br />
beschlagnahmt. Auf diesen stand: „Heil Liberté, Egalité, Fraternité“, „Fressen wollen wir!<br />
Nicht organisiert, beappelliert und <strong>in</strong> den Tod gejagt werden!“, „Heil UdSSR!“, „Schluss<br />
mit Hunger. Heil Dir Demokratie“. Zur gleichen Zeit ritzte er <strong>in</strong> se<strong>in</strong> z<strong>in</strong>nernes Zellenwaschbecken<br />
auf tschechisch: „Es wird e<strong>in</strong>e glückliche Rache, Freiheit 1946 – halte aus bis zum<br />
Jahre 1946, dann die Freiheit – Freiheit 1946 – 1946 Ende des Hungers.“ Josef Bruna<br />
weigerte sich während se<strong>in</strong>es Gefängnisaufenthalts se<strong>in</strong>en Verfolgern als nützliche Arbeitskraft<br />
zu dienen: Er zerschlug 480 der Deckenplatten <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>e Teile und spülte sie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Zellenklosett h<strong>in</strong>unter.<br />
Zum Tode verurteilt wurden die beiden jungen Männer im August 1944 durch den Volksgerichtshof.<br />
Im Januar 1944 mussten sie sterben.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; VGH Z, Josef Bruna.<br />
***<br />
Josef Deserta, geboren am 2.4.1921 <strong>in</strong> Hoch-Lieben, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 3.12.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 30.7.1943.<br />
Václav Hanek, geboren am 15.9.1921 <strong>in</strong> Hoch-Lieben, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 3.12.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 30.7.1943.<br />
Durch e<strong>in</strong>en Zufall <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e unangenehme Situation geraten, schien der Kampf <strong>in</strong> der tschechischen<br />
Legion für Josef Deserta und Václav Hanek der Ausweg. Von deren Existenz<br />
wussten sie aus Rundfunksendungen der BBC. Der direkten Lebensgefahr, der sich Deserta<br />
und Hanek durch ihre Entscheidung aussetzten, waren sie sich offensichtlich nicht<br />
bewusst.<br />
Die beiden Holzarbeiter hatten 2.000 Kronen zuviel an Lohn ausbezahlt bekommen und<br />
sollten diesen Betrag entweder abarbeiten oder zurückzahlen. Durch tschechische Sendungen<br />
der BBC wussten sie von der Existenz der tschechischen Legion. Von Prag aus<br />
wollten Václav Hanek und Josef Deserta über die Slowakei, Ungarn und Bulgarien <strong>in</strong> die<br />
Türkei und schließlich nach England reisen, um dort <strong>in</strong> die tschechische Legion e<strong>in</strong>zutreten.<br />
Diesen Entschluss setzten Deserta und Hanek am 9. März 1942 <strong>in</strong> die Tat um und fuhren<br />
zunächst nach Prag. Hier besichtigten die jungen Männer e<strong>in</strong>e Ausstellung und g<strong>in</strong>gen<br />
anschließend <strong>in</strong> die Gaststätte am Hauptbahnhof. In dieser Gaststätte schrieb Deserta<br />
69
Josef Deserta; © Bundesarchiv Berl<strong>in</strong><br />
Václav Hanek; © Bundesarchiv Berl<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>en Brief an se<strong>in</strong>e Eltern. Er teilte ihnen mit, dass er vorhabe, <strong>in</strong>s Ausland zu gehen. Deserta<br />
und Hanek unterhielten sie sich mit e<strong>in</strong>er Zufallsbekanntschaft, e<strong>in</strong>em Ehepaar N.,<br />
über ihre Absichten. Herr und Frau N. wünschten den beiden viel Glück für ihr Vorhaben.<br />
Sie wurden später ebenfalls angeklagt, da sie es unterlassen hatten, Anzeige zu erstatten:<br />
Herr N. wurde deswegen vom Volksgerichtshof zu zwei Jahren Gefängnis, se<strong>in</strong>e Frau zu<br />
e<strong>in</strong>em Jahr Gefängnis verurteilt.<br />
Bei der Weiterfahrt über Brünn nach Landshut <strong>in</strong> Mähren wurden Deserta und Hanek von<br />
der Grenzpolizei bei e<strong>in</strong>er Zugkontrolle festgenommen. Die Polizei überstellte Deserta und<br />
Hanek an die Gestapo, zuerst <strong>in</strong> Ludenburg, dann <strong>in</strong> Wien, später <strong>in</strong> Prag.<br />
Im Laufe der Zeit sche<strong>in</strong>t Josef Deserta klargeworden zu se<strong>in</strong>, dass er sich durch se<strong>in</strong>e<br />
offenherzige Aussage zu Beg<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>er Haft <strong>in</strong> große Gefahr gebracht hatte. Er berichtete<br />
dem Ermittlungsrichter des Volksgerichtshofs Nürnberg, dass ihm der vernehmende Polizeibeamte<br />
gesagt habe, er „solle nur alles zugeben, die Strafe werde dann ger<strong>in</strong>ger. Er<br />
me<strong>in</strong>te, ich würde vielleicht 2 Jahre absitzen müssen, dann komme doch e<strong>in</strong>e Amnestie.“<br />
70
Der Volksgerichtshof verurteilte die beiden jungen Männer am Jahresende 1942 zum Tode.<br />
Sieben Monate später wurden sie <strong>in</strong> <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> h<strong>in</strong>gerichtet.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; VGH Z, Josef Deserta.<br />
Josef Miroslav Fleißner, geboren am 4.10.1914 <strong>in</strong> Melnik, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 23.6.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 12.9.1944.<br />
***<br />
Drohende Unannehmlichkeiten im Inland waren auch für Josef Fleißer der Anlass zur<br />
Flucht <strong>in</strong>s Ausland. E<strong>in</strong>e unvorsichtige Bemerkung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em noch nicht abgeschickten Brief<br />
wurde Fleißer zum Verhängnis.<br />
Josef Fleißner arbeitete von 1941 bis 1943 als Rentmeister beim Stadtamt Wemschen<br />
(Böhmen). Er geriet <strong>in</strong> den Verdacht, Geld veruntreut zu haben und wurde zum 1. Juni<br />
1943 wegen „liederlichen Lebenswandels und Verdacht der Unterschlagung“ entlassen.<br />
Als dann Ende Juni 1943 die Landesbehörde <strong>in</strong> Prag e<strong>in</strong>e Buchprüfung anordnete, brach<br />
Fleißner auf zur Reise <strong>in</strong>s Ausland. Er fuhr über Prag, Pardubitz und Brünn nach Zl<strong>in</strong>. Hier<br />
konnte er sich von e<strong>in</strong>em Eisenbahnbeamten e<strong>in</strong>e Uniform ausleihen und damit die Grenze<br />
ohne die vorgeschriebenen Papiere überqueren. „Als sie mich auf der Grenze fragten<br />
woh<strong>in</strong> ich fahre, so sagte ich: Dienstlich nach Strashof für den Zug Nr. 41035.“ Auf der<br />
Bahnhofstoilette <strong>in</strong> Strashof kleidete sich Fleißner um, packte die geliehene Uniform <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>en Koffer und bat e<strong>in</strong>en Zugschaffner, den Koffer an den Eigentümer zurückzugeben.<br />
Fleißner reiste weiter über Wien nach Graz. Hier arbeitete er zwei Tage beim Zirkus Krone<br />
und schrieb e<strong>in</strong>en Brief an e<strong>in</strong>en Freund <strong>in</strong> Melnik, der ihm später zum Verhängnis werden<br />
sollte. In diesem Brief beteuerte er, er sei zwar leichts<strong>in</strong>nig gewesen, habe aber nicht e<strong>in</strong>en<br />
Heller unterschlagen. Er wolle <strong>in</strong> die Schweiz gehen und sich dort mustern lassen. Anschließend<br />
reiste er weiter über St. Veit, <strong>München</strong>, Kempten, L<strong>in</strong>dau, Bregenz nach Lustenau.<br />
Als er die schweizerische Rhe<strong>in</strong>brücke bei Brugg <strong>in</strong> Augensche<strong>in</strong> nehmen wollte,<br />
wurde er durch e<strong>in</strong>en Zollbeamten festgenommen. Den Brief trug er nach wie vor bei sich.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; VGH Z, Josef Fleißner.<br />
***<br />
71
Josef Cimburek; © Bundesarchiv Berl<strong>in</strong><br />
Josef Cimburek, geboren am 3.8.1916 <strong>in</strong> Skrotschau, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 4.12.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 31.8.1943.<br />
Die persönliche Misere der Arbeitslosigkeit veranlasste Josef Cimburek zur Flucht <strong>in</strong>s Ausland.<br />
Die tschechische Legion sollte lediglich e<strong>in</strong> letzter Anlaufpunkt werden, falls es ihm<br />
<strong>in</strong> Jugoslawien nicht möglich se<strong>in</strong> sollte, Arbeit zu f<strong>in</strong>den. Zur Vollstreckung des Todesurteils<br />
kam es erst mit e<strong>in</strong>iger Verzögerung: Der begabte Techniker Cimburek hatte <strong>in</strong> Untersuchungshaft<br />
e<strong>in</strong>ige waffentechnische Innovationen entwickelt. Diese Erf<strong>in</strong>dungen wurden<br />
von Fachleuten begutachtet, u.a. von Wissenschaftlern der TU <strong>München</strong>. Deren E<strong>in</strong>schätzung<br />
der Leistungen Cimbureks trug zum Vollzug des Todesurteils bei.<br />
Josef Cimburek gehörte von 1937 bis zur Auflösung des tschechoslowakischen Heeres<br />
als Militärpilot und Jagdflieger mit dem Dienstgrad e<strong>in</strong>es Gefreiten der Luftwaffe an. Im<br />
Anschluss an se<strong>in</strong>e Militärzeit war er arbeitslos.<br />
Josef Cimburek beschloss, Ende des Jahres 1940 zusammen mit e<strong>in</strong>igen Freunden <strong>in</strong> ähnlicher<br />
Lage nach Jugoslawien zu reisen. Sie wollten sich dort Arbeit suchen und, falls sie<br />
ke<strong>in</strong>e fänden, <strong>in</strong> die tschechische Legion e<strong>in</strong>treten. Der Initiator dieser Pläne konnte e<strong>in</strong>en<br />
Kontaktmann <strong>in</strong> Graz vermitteln. Am 1. März 1941 brach die kle<strong>in</strong>e Gruppe auf. Es gelang<br />
ihnen, illegal über die Protektoratsgrenze zu kommen. Von Wels aus reisten sie nach Graz<br />
weiter. Dort trafen sie ihren Kontaktmann, der ihnen Zutritt zu e<strong>in</strong>er Ziegeleikant<strong>in</strong>e verschaffte,<br />
<strong>in</strong> der sie übernachten konnten. Er begleitete sie auf ihrer weiteren Reise und<br />
sollte ihnen bei Radkersburg den Weg über die Grenze zeigen. Bevor es dazu kam, wurde<br />
die Gruppe von der deutschen Grenzpolizei im Zug verhaftet.<br />
Der Volksgerichtshof fällte vier Todesurteile, auch über Josef Cimburek. E<strong>in</strong>e Begnadigung<br />
wurde <strong>in</strong> drei Fällen sofort abgelehnt. Nicht jedoch bei Josef Cimburek. Er war e<strong>in</strong> begabter<br />
Techniker und hatte <strong>in</strong> Untersuchungshaft e<strong>in</strong>en Motorentyp und e<strong>in</strong>e Kontrollanlage<br />
für Masch<strong>in</strong>engewehre <strong>in</strong> Flugzeugen erfunden. Diese Sachlage wurde dem Reichsm<strong>in</strong>ister<br />
der Justiz am 19. Februar 1943 vorgetragen. M<strong>in</strong>ister Thierack beschloss, die „angeb-<br />
72
lichen Erf<strong>in</strong>dungen sollen beschleunigt nachgeprüft werden“. Am 22. Februar 1943 wandte<br />
sich das Reichsjustizm<strong>in</strong>isterium an die Physikalisch-Technische Reichsanstalt, e<strong>in</strong>e höchst<br />
renommierte Forschungse<strong>in</strong>richtung. In diesem Schreiben wurde der gesamte Vorgang<br />
geschildert und um e<strong>in</strong>e Stellungnahme zu den Erf<strong>in</strong>dungen gebeten. Bereits am 3. März<br />
1943 antwortete die Reichsanstalt, sie sähe sich aus fachlichen Gründen nicht zu e<strong>in</strong>er<br />
Beurteilung <strong>in</strong> der Lage und verwies auf die entsprechenden Lehrstühle an den Technischen<br />
Hochschulen. Daraufh<strong>in</strong> wandte sich das Reichsjustizm<strong>in</strong>isterium an die Technische<br />
Hochschule <strong>München</strong>. Der zuständige Professor teilte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gutachten mit, er habe<br />
den Verurteilten am 16. März 1943 <strong>in</strong> <strong>Stadelheim</strong> aufgesucht, von drei Vorschlägen stellten<br />
zwei ke<strong>in</strong>e Neuerungen dar, der dritte liege außerhalb se<strong>in</strong>es Fachgebietes. Zu e<strong>in</strong>er anderen<br />
Sicht der D<strong>in</strong>ge kamen die Waffenwerke Brünn, die von der Verteidigung Cimbureks<br />
um e<strong>in</strong>e Stellungnahme gebeten wurden: Sie besche<strong>in</strong>igten Cimburek „<strong>in</strong>itiativen Geist<br />
und erf<strong>in</strong>derische Fähigkeit“, hielten e<strong>in</strong>e ausführliche Überprüfung durch Erstellung e<strong>in</strong>es<br />
Prototyps für notwendig und <strong>in</strong>teressierten sich für e<strong>in</strong>e Weiterentwicklung se<strong>in</strong>er Arbeiten.<br />
Dieser Äußerung hat das Justizm<strong>in</strong>isterium jedoch ke<strong>in</strong>en Wert beigemessen. Die Masch<strong>in</strong>engewehrsteuerung<br />
dagegen wurde vom Reichsm<strong>in</strong>isterium der Luftfahrt überprüft.<br />
Das M<strong>in</strong>isterium hielt Vorschlag Cimbureks für „wertlos“. Josef Cimburek wurde daraufh<strong>in</strong><br />
h<strong>in</strong>gerichtet.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; RJM IV g 10a 5033/43.<br />
Zdenek Saba; © Bundesarchiv Berl<strong>in</strong><br />
Zdenek Jaroslav Saba, geboren am 3.6.1923 <strong>in</strong> Prag, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 25.3.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 22.10.1943.<br />
***<br />
E<strong>in</strong> Onkel von Zdenek Saba war General im aufgelösten tschechischen Heer gewesen.<br />
Dies reichte se<strong>in</strong>en Verfolgern, um dem 20jährigen zu unterstellen, er wolle dessen Vorbild<br />
nacheifern und sich der tschechischen Legion anschließen. Er wurde zum Tode verurteilt.<br />
73
Am 20. August 1942 täuschte der 19jährige Zeichner beim Baden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Stausee se<strong>in</strong>en<br />
Selbstmord vor. Zuvor hatte er e<strong>in</strong>en entsprechenden Abschiedsbrief an se<strong>in</strong>e Eltern<br />
verfasst. Teils mit der Bahn, teils zu Fuß machte er sich auf den Weg <strong>in</strong> Richtung Schweizer<br />
Grenze. Es gelang ihm, über die Protektoratsgrenze zu kommen. In Spitz a.d. Donau<br />
besuchte er e<strong>in</strong>en Bekannten se<strong>in</strong>es Vaters und lehnte dessen Angebot, ihm e<strong>in</strong>e Arbeitsstelle<br />
zu vermitteln, ab, weil er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Flugzeugfabrik arbeiten wolle. Er lieh sich 20 RM<br />
und fuhr mit der Eisenbahn nach Innsbruck, besorgte sich dort e<strong>in</strong>e Karte der Ostalpen und<br />
fuhr nach Bludenz. E<strong>in</strong>e kurze Nachtruhe verbrachte er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Heuhütte, dann wanderte<br />
er, über St. Gallenkirch und Gargellen auf die Schweizer Grenze zu. Festgenommen wurde<br />
er etwa e<strong>in</strong>e Wegstunde von der Grenze entfernt.<br />
Saba erklärte se<strong>in</strong>en Verfolgern, er sei weggelaufen, weil er die Schule nicht mehr besuchen<br />
wollte. Er hätte nur noch e<strong>in</strong>en Ausflug <strong>in</strong> die Berge machen wollen, bevor er sich<br />
Arbeit suchen wollte. Der 1. Senat des Volksgerichtshof unter Richter Koehler hielt diese<br />
Aussagen für nicht glaubwürdig: Zdenek Saba hätte e<strong>in</strong>em Onkel nacheifern wollen, der<br />
General im aufgelösten tschechischen Heer gewesen wäre und den er sich zum Vorbild<br />
genommen hätte.<br />
Zdenek Saba erreichte e<strong>in</strong>en Aufschub se<strong>in</strong>er Ermordung durch e<strong>in</strong>e möglicherweise rüstungstechnisch<br />
verwertbare Erf<strong>in</strong>dung. Das um e<strong>in</strong>e Stellungnahme gebetene Oberkommando<br />
des Heeres hielt diese aber für „wertlos“. In höflichem Kanzleiton wurde daraufh<strong>in</strong><br />
die Vollstreckung des Todesurteils durch das Reichsjustizm<strong>in</strong>isterium am 8. Oktober 1943<br />
angeordnet: „Ich bitte, das Todesurteil gegen Saba nunmehr alsbald zu vollstrecken.“<br />
Am 22. Oktober 1943 wurde der 20jährige Verurteilte <strong>in</strong> <strong>Stadelheim</strong> h<strong>in</strong>gerichtet.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; RJM IVg 10a 5105/43.<br />
Josef Horácek, geboren am 6.2.1924 <strong>in</strong> Niederstapanio, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 29.10.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 7.1.1944.<br />
Josef Horácek hoffte, <strong>in</strong> Bern für die tschechische Legion arbeiten zu können. Beim Versuch,<br />
die Möglichkeiten für e<strong>in</strong>e Flucht <strong>in</strong> die Schweiz auszuloten, wurde er verhaftet.<br />
1943 musste Josef Horácek im Rahmen der Arbeitspflicht für Protektoratsangehörige <strong>in</strong><br />
Ilmenau arbeiten. Er lernte dort e<strong>in</strong>en deutschen Kollegen näher kennen.<br />
***<br />
Die beiden Männer planten die Flucht <strong>in</strong> die Schweiz. Horácek hoffte, <strong>in</strong> Bern für die tschechische<br />
Legion arbeiten zu können, da er drei Sprachen sprach. Am 18. September 1943<br />
traten die beiden jungen Männer die Bahnreise nach Konstanz an. Nach ihrer Ankunft am<br />
19. September h<strong>in</strong>terlegten sie ihr Gepäck am Bahnhof und g<strong>in</strong>gen zur Grenze, um die<br />
Möglichkeiten e<strong>in</strong>es illegalen Grenzübertritts zu erkunden. Dabei wurden sie von e<strong>in</strong>em<br />
Zollbeamten festgenommen. Josef Horácek wurde zum Tode verurteilt, über das Schicksal<br />
se<strong>in</strong>es Kollegen ist nichts bekannt.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; VGH Z, Horácek, Josef.<br />
74
Václav Jara; © Bundesarchiv Berl<strong>in</strong><br />
Václav Jara, geboren <strong>in</strong> Pilsen (Plzen) am 31.12.1912 (23.12.1914), verurteilt durch den<br />
Volksgerichtshof am 26.2.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 28.5.1943.<br />
Als Rüstungsarbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em heimatfernen Ort dienstverpflichtet, entschloss sich Václav<br />
Jara zur Flucht. Die deutschen Besatzer unterstellten den Willen zum Anschluss an die<br />
tschechische Legion. Insbesondere <strong>in</strong> den noch erhaltenen Gnadengesuchen, die die mitleidslose<br />
deutsche <strong>NS</strong>-Justiz ablehnte, dokumentiert sich das Schicksal Václav Jaras.<br />
Nicht e<strong>in</strong>mal das Geburtsdatum des <strong>in</strong> Pilsen (Plzen) geborenen Metalldrehers lässt sich<br />
aus den vorliegenden Quellen mit Sicherheit erschließen. Das Gerichtsurteil nennt den<br />
31. Dezember 1912, der Verurteilte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em handschriftlichen Gnadengesuch den 23. Dezember<br />
1914. Václav Jara wurde 1941 als Rüstungsarbeiter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Werk der Skoda-<br />
Werke <strong>in</strong> Dubnika (Slowakei) dienstverpflichtet. Zusammen mit e<strong>in</strong>em Kollegen entschloss<br />
er sich zur Flucht.<br />
Die beiden Männer fuhren am 2.11.1941 nach Brecour (Slowakei). Am nächsten Tag g<strong>in</strong>gen<br />
sie <strong>in</strong> Richtung ungarisch-slowakische Grenze. Bevor sie die Grenze überschreiten konnten,<br />
wurden sie von slowakischen Grenzbeamten festgenommen. Am 22. Februar 1942<br />
wurden sie der deutschen Grenzpolizei im Protektorat übergeben.<br />
Ansche<strong>in</strong>end hatten sich die Versuche, <strong>in</strong>s Ausland zu gelangen, unter den Arbeitern der<br />
Skoda-Werke gehäuft. Im Urteil heißt es: „Nach Lage der D<strong>in</strong>ge besteht sogar der dr<strong>in</strong>gende<br />
Verdacht, dass die Abwanderung der tschechischen Arbeiter (...) das Werk sowjetischer<br />
Saboteure war.“<br />
Das Schicksal des Gefangenen Václav Jara veranlasste selbst die Leitung der Untersuchungshaftanstalt<br />
Nürnberg zu e<strong>in</strong>er Bitte um Gnade: Jara sei sehr ruhig und anständig<br />
gewesen, ordentlich, höflich und fleißig, heißt es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vertraulichen E<strong>in</strong>schreiben vom<br />
21. Februar 1943. „Da Jara nur wenig deutsch versteht, hat er ansche<strong>in</strong>end das Urteil nicht<br />
richtig verstanden. Bei se<strong>in</strong>er Rückkehr <strong>in</strong> die Anstalt sagte er zu se<strong>in</strong>em Aufsichtsbeamten:<br />
„Morgen fahre ich nach Hause, habe nicht Strafe bekommen, b<strong>in</strong> frei.“<br />
75
Václav Jara selbst schrieb e<strong>in</strong> verzweifeltes Gnadengesuch. Dar<strong>in</strong> heißt es: „Ich habe<br />
immer gerne gearbeitet und will auch ferner als ordentlicher und ehrlicher Mensch bis zu<br />
me<strong>in</strong>em Tode arbeiten, ehrlich, wie früher, mich weiter auf die Welt freuen, wie früher. Ich<br />
b<strong>in</strong> frohen S<strong>in</strong>nes, ich b<strong>in</strong> gern auf der Welt.“ Der Grund für se<strong>in</strong> Verhalten <strong>in</strong> Dubnica sei<br />
gewesen, dass er <strong>in</strong> der letzten Zeit dort oft unangenehme Arbeiten verrichten musste und<br />
deshalb unzufrieden gewesen wäre. Davor hätte ihn lediglich gestört, dass er nicht mehr<br />
nach Hause fahren durfte. Er wollte nach Pilsen (Plzen) zurückversetzt werden, dem wurde<br />
jedoch nicht entsprochen. „Ich bitte neuerd<strong>in</strong>gs herzlich um Gnade. Ich b<strong>in</strong> unschuldig. Ich<br />
werde niemals mehr etwas Ähnliches wagen. Ich will weiter arbeiten, allenfalls hier, so<br />
wie früher, gerecht und ehrlich. Ich will mich weiter mit me<strong>in</strong>en Eltern, mit der Mutter und<br />
dem Vater, mit me<strong>in</strong>en Schwestern und ihren Familien, mit allen Verwandten und Bekannten<br />
bis zu unserem Tode freuen, lieben. Ich bitte herzlich, sprechen Sie mich frei, ich<br />
b<strong>in</strong> unschuldig. Ich will die Freiheit und die Arbeit, ich will zu me<strong>in</strong>en Liebsten.“<br />
Der Reichsm<strong>in</strong>ister der Justiz verfügte am 13. Mai 1943 den Vollzug der Todesstrafe. Václav<br />
Jara wurde am 28. Mai 1943 <strong>in</strong> <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> h<strong>in</strong>gerichtet.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; VGH Z, Jara, Václav.<br />
***<br />
Stanislav Hanys, geboren am 16.2.1925 <strong>in</strong> Streletsch, h<strong>in</strong>gerichtet am 16.12.1943. Verurteilt<br />
durch den Volksgerichtshof am 28.10.1943. Hanys wurde beim Versuch, die Grenze<br />
zur Schweiz geme<strong>in</strong>sam mit Seps und Nedbal zu überqueren, festgenommen. Nach Ansicht<br />
se<strong>in</strong>er Verfolger wollte er sich der tschechischen Legion anschließen.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; VGH Z, Olrich Seps; RJM IVg 10a 56663/43.<br />
***<br />
Vlastibor Nedbal, geboren am 6.10.1923 <strong>in</strong> Chust, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
28.10.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 16.12.1943. Nedbal wurde beim Versuch, die Grenze zur<br />
Schweiz geme<strong>in</strong>sam mit Seps und Hanys zu überqueren, festgenommen. Nach Ansicht<br />
se<strong>in</strong>er Verfolger wollte er sich der tschechischen Legion anschließen.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; VGH Z, Olrich Seps; RJM IVg 10a 56663/43.<br />
***<br />
Oldrich Seps, geboren am 11.1.1924 <strong>in</strong> Oberrosental, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 28.10.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 16.12.1943. Seps wurde beim Versuch, die Grenze zur<br />
Schweiz geme<strong>in</strong>sam mit Nedbal und Hanys zu überqueren, festgenommen. Nach Ansicht<br />
se<strong>in</strong>er Verfolger wollte er sich der tschechischen Legion anschließen.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; VGH Z, Olrich Seps; RJM IVg 10a 56663/43.<br />
76
***<br />
Franz Fuxa, geboren am 14.5.1921 <strong>in</strong> Klansau, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
19.5.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 22.9.1943. Plante von e<strong>in</strong>em Ulmer Arbeitsdienstlager aus,<br />
<strong>in</strong> die Schweiz zu fliehen.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; RJM IIIg 19 1121/40.<br />
***<br />
Emil Jel<strong>in</strong>ek, geboren am 23.11.1923 <strong>in</strong> Kanitz, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
19.5.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 22.9.1943. Plante von e<strong>in</strong>em Ulmer Arbeitsdienstlager aus,<br />
<strong>in</strong> die Schweiz zu fliehen.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; RJM IIIg 19 1121/40.<br />
***<br />
Stanislav Polena, geboren am 11.2.1914 <strong>in</strong> Postowitz, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 19.5.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 22.9.1943. Plante von e<strong>in</strong>em Ulmer Arbeitsdienstlager<br />
aus, <strong>in</strong> die Schweiz zu fliehen.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; RJM IIIg 19 1121/40.<br />
Unbekannte tschechische Widerstandskämpfer<br />
Bei manchen der <strong>in</strong> <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> ermordeten Männer s<strong>in</strong>d nur noch wenige Lebensdaten<br />
<strong>in</strong> Erfahrung zu br<strong>in</strong>gen. Die meisten dieser Menschen waren Tschechen. Bisweilen<br />
s<strong>in</strong>d sogar die Namensschreibweise, die Nationalität und das Geburtsdatum unklar.<br />
Die wenigen bekannten Daten werden kurz dargestellt.<br />
Jiri Arnost, geboren am 16.8.1915 <strong>in</strong> Prag, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
11.8.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 22.10.1943. „Vorbereitung zum Hochverrat“.<br />
Miroslav Cermak, geboren am 26.12.1918 <strong>in</strong> Prag, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 28.8.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 19.12.1944.“Vorbereitung zum Hochverrat“.<br />
Wenzel Danikolka (Danikelka), geboren am 19.7.1911 <strong>in</strong> Pschlelautsch, verurteilt durch den<br />
Volksgerichtshof am 7.7.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 29.9.1942. „Hochverräterische Betätigung<br />
und Fe<strong>in</strong>dbegünstigung“.<br />
Václav Dobias, geboren am 8.9.1903 <strong>in</strong> Stötschewec (Steltschowes), verurteilt durch den<br />
Volksgerichtshof am 28.9.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 19.12.1944. „Vorbereitung zum Hochverrat“.<br />
77
Jean Dolezal (Delezal), geboren am 23.5.1896 <strong>in</strong> Nedesch<strong>in</strong> (Nedusch<strong>in</strong>), verurteilt durch<br />
den Volksgerichtshof am 1.9.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 20. Dezember 1944. „Vorbereitung<br />
zum Hochverrat“.<br />
Jan Drobny, geboren am 20.10.1898 <strong>in</strong> Chotouch (Chotouchov), verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 28.8.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 12.12.1944. „Vorbereitung zum Hochverrat“.<br />
Stanislaus Franta, geboren am 6.9.1899 <strong>in</strong> Zdar bei Strokwitz, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 1.9.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 20.12.1944. „Vorbereitung zum Hochverrat“.<br />
Josef Jaro, geboren am 20.1.1901 <strong>in</strong> Großreditz, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
14.7.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 24.9.1942. „Wiederaufbau der kommunistischen Partei im<br />
Protektorat und Vorbereitung zum Hochverrat“.<br />
Ladislav Kirbis, geboren am 16. März 1892 <strong>in</strong> Jetice, h<strong>in</strong>gerichtet am 12.12.1944. Verurteilt<br />
durch den Volksgerichtshof am 28.8.1944. „Vorbereitung zum Hochverrat“.<br />
Karl Knop, geboren am 11.8.1908 <strong>in</strong> Lemnitz (Somnitz) an der Popelka, verurteilt durch den<br />
Volksgerichtshof am 14.7.1942, h<strong>in</strong>gerichtet am 20.12.1944. „Vorbereitung zum Hochverrat.“<br />
Jaroslav Matejovsky, geboren am 28.1.1901 <strong>in</strong> Prag, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 11.8.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 22.10.1943. „Vorbereitung zum Hochverrat“.<br />
Wenzel Naprestek (Naprstek), geboren am 27.5.1886 <strong>in</strong> R<strong>in</strong>hletz, verurteilt durch den<br />
Volksgerichtshof am 28.4.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 12.12.1944. „Vorbereitung zum Hochverrat“.<br />
Josef Skribsrsky (Stribsky oder Stribrsky), geboren am 11.3.1903 <strong>in</strong> Prag, verurteilt durch<br />
den Volksgerichtshof am 28.8.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 19.12.1944. „Vorbereitung zum Hochverrat“.<br />
Josef Stochl, geboren am 21.5.1903 <strong>in</strong> Mesnovico (Hosnowitz), verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 13.8.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 19.12.1944. „Vorbereitung zum Hochverrat“.<br />
Josef Sulamski (Subanski, Sulansky), geboren am 24.7.1913 <strong>in</strong> Prag, verurteilt durch den<br />
Volksgerichtshof am 28.8.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 19.12.1944. „Vorbereitung zum Hochverrat“.<br />
Bohuslav Szlezak oder Schuslav Slezak, geboren am 29.5.1902 <strong>in</strong> Vejetshof oder Veojetchov,<br />
verurteilt durch den Volksgerichtshof am 1.9.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 20.10.1944.<br />
„Vorbereitung zum Hochverrat“.<br />
Johann Szpahicz, auch Jiran Szpakierwich. Geburtsdatum und Geburtsort: nicht bekannt,<br />
die Nationalität ebensowenig. H<strong>in</strong>richtung am 9.10.1942. „Rundfunkverbrechen“.<br />
Karel Urbanek, geboren am 6.12.1918 <strong>in</strong> Bojkowitz, h<strong>in</strong>gerichtet am 19.12.1944. „Vorbereitung<br />
zum Hochverrat“.<br />
Paul Vancura, geboren am 15.10.1901 <strong>in</strong> Dauba Sadet, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 11.8.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 22.10.1943. „Vorbereitung zum Hochverrat“.<br />
78
Biographien: Polen<br />
Das „Rundfunkverbrechen“ e<strong>in</strong>es Fremdarbeiters<br />
Henrik Pecak, Landarbeiter, geb. am 26.9.1918 <strong>in</strong> Chlewice, verurteilt am 15.2.1943 durch<br />
das Sondergericht Nürnberg, h<strong>in</strong>gerichtet am 23.3.1943.<br />
Die Arbeit von polnischen Arbeitskräften <strong>in</strong> Deutschland hatte schon vor dem Nationalsozialismus<br />
e<strong>in</strong>e längere Tradition, die ihre Spuren h<strong>in</strong>terlassen hatte. Die besonderen rechtlichen<br />
Regeln, die die Nationalsozialisten für die als rassisch m<strong>in</strong>derwertig e<strong>in</strong>gestuften<br />
Polen aufstellten, waren weder der deutschen Bevölkerung noch den ausländischen Arbeitern<br />
ständig bewusst. Henrik Pecak meldete sich freiwillig zum Arbeitse<strong>in</strong>satz nach Deutschland.<br />
In Polen und auch für polnische Fremdarbeiter <strong>in</strong> Deutschland galt e<strong>in</strong> besonderes<br />
Strafrecht, mit dem absoluter Gehorsam erzwungen werden sollte. Auch im nachfolgenden<br />
Fall wurde das Urteil anhand der „Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen<br />
und Juden <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>gegliederten Ostgebieten“ vom 4.12.1941 gefällt.<br />
Der polnische Fremdarbeiter Henrik Pecak lebte seit 1939 <strong>in</strong> Lauf an der Pegnitz. Der am<br />
26.9.1918 geborene Pecak meldete sich 1936 zum polnischen Arbeitsdienst, wo er bis zur<br />
Besetzung Polens durch Deutschland beschäftigt war. 1939 kamen se<strong>in</strong>e Eltern ums Leben.<br />
In diesem Jahr ließ sich Henrik Pecak zum Arbeitse<strong>in</strong>satz nach Deutschland e<strong>in</strong>teilen. Ab<br />
14.12.1939 arbeitete er beim Metzgermeister R. <strong>in</strong> Lauf an der Pegnitz, ab 15.10.1941 beim<br />
Kohlenhändler Sch., ebenfalls <strong>in</strong> diesem Ort. Während se<strong>in</strong>es Aufenthalts <strong>in</strong> Deutschland<br />
wurde er e<strong>in</strong>mal zu 3 Wochen Haft verurteilt, weil er e<strong>in</strong>e Gastwirtschaft besucht hatte.<br />
Dies war polnischen Fremdarbeitern verboten. E<strong>in</strong> andermal musste er e<strong>in</strong>e Geldbuße von<br />
5 RM zahlen, weil er abends noch unterwegs war. Auch dies war verboten.<br />
Pecak wurde vorgeworfen, fünf- oder sechsmal im September 1941 im Wohnzimmer se<strong>in</strong>es<br />
Dienstherren, des obengenannten Metzgermeisters, die polnischen Nachrichten der<br />
BBC gehört zu haben. Der Sender brachte Nachrichten über die Bombardierung deutscher<br />
Städte, die Versenkung deutscher Schiffe, die Gefangennahme deutscher Soldaten an der<br />
Ostfront, den E<strong>in</strong>marsch englischer und sowjetischer Truppen im Iran. Außerdem hörte<br />
Pecak e<strong>in</strong>e Rede des polnischen Generals Sikorski, der alle Polen aufforderte, ihre <strong>in</strong> Polen<br />
zurückgebliebenen Landsleute zu unterstützen. Pecak erzählte diese Neuigkeiten zwei anderen<br />
polnischen Fremdarbeitern. E<strong>in</strong>er Deutschen, der Inhaber<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Schuhgeschäfts,<br />
teilte Pecak auf der Straße mit: „Deutsche vor Moskau zurückgeschlagen.“ E<strong>in</strong>er ebenfalls<br />
im Haushalt se<strong>in</strong>es Dienstherrn beschäftigten deutschen Frau sagte Pecak, Deutschland<br />
werde den Krieg verlieren, die Grenzen würden von Roosevelt gezogen werden und<br />
Deutschland werde neu aufgeteilt werden. E<strong>in</strong> neues Polen werde erstehen, aber zuvor<br />
nochmals e<strong>in</strong>en Krieg durchmachen müssen. Dabei zeichnete er auf e<strong>in</strong> Blatt Papier die<br />
Landkarte dieses neuen Europas.<br />
Pecak gab all dies vor se<strong>in</strong>en Verfolgern zu und erzählte, dass er von der Strafbarkeit se<strong>in</strong>er<br />
so genannten Vergehen nichts gewusst habe. Das Sondergericht Nürnberg unter Richter<br />
Rothaug verurteilte ihn am 15.2.1943 zum Tode.<br />
Quelle:<br />
Staatsarchiv <strong>München</strong>; JVA <strong>München</strong> 845; JVA <strong>München</strong> 525.<br />
79
Versuchter Anschluss an die polnische Legion<br />
Jan Hebda, geboren am 3.12.1911 <strong>in</strong> Dobzyce, Verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
25.3.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 8.7.1943.<br />
Ebenso wie tschechische Armeee<strong>in</strong>heiten hatten <strong>in</strong>nerhalb der alliierten Armeen auch<br />
polnische E<strong>in</strong>heiten ihren Platz. Auch <strong>in</strong> Polen hatten derartige Bestrebungen historische<br />
Tradition, der Legionärsmarsch war sogar zur Nationalhymne Polens geworden. Der Volksgerichtshof<br />
verurteilte die Beschuldigten meist wegen Vorbereitung zum Hochverrat oder<br />
auch wegen Fe<strong>in</strong>dbegünstigung. Für e<strong>in</strong> derartiges Urteil reichten <strong>in</strong> der Regel Schlussfolgerungen<br />
und Mutmaßungen der <strong>NS</strong>-Richter.<br />
Seit dem 26. April 1942 musste Jan Hebda <strong>in</strong> Erz<strong>in</strong>gen (Baden) als Landarbeiter arbeiten.<br />
Wenige Tage nach se<strong>in</strong>er Ankunft, Anfang Mai 1942, erklärte Hebda se<strong>in</strong>en Kollegen, er<br />
wolle <strong>in</strong> die Schweiz gehen und sich dort zur polnischen Legion melden. Zwei weitere polnische<br />
Zwangsarbeiter schlossen sich se<strong>in</strong>em Vorhaben an.<br />
Am 8. Mai 1942 überschritten die drei Männer <strong>in</strong> den Abendstunden unter Hebdas Führung<br />
die Grenze zur Schweiz, die <strong>in</strong> unmittelbarer Nähe Erz<strong>in</strong>gens verläuft. Die drei Polen<br />
wurden von Schweizer Beamten aufgegriffen und am nächsten Tag über die deutsche<br />
Grenze abgeschoben. Es war ihnen nicht erlaubt worden, mit der englischen Botschaft<br />
zu telefonieren. Offensichtlich verständigten die Schweizer Behörden auch die deutsche<br />
Polizei, denn am nächsten Tag wurden die drei Männer verhaftet.<br />
E<strong>in</strong> Jahr später, im März 1943, fand die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof statt, <strong>in</strong> der<br />
Jan Hebda zum Tode verurteilt wurde. Im Juli 1943 musste er unter dem Fallbeil des<br />
Henkers sterben.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; VGH Z, Kuopkiewiecz, Franz.<br />
80
Landesverrat e<strong>in</strong>es SS-Angehörigen<br />
Waldemar Schildhabel, geboren am 21.5.1903 <strong>in</strong> Ksawarov (Usamarov), Verurteilt vom<br />
Obersten SS- und Polizeigericht <strong>München</strong> am 1.10.1942 wegen „Landesverrat“, h<strong>in</strong>gerichtet<br />
am 7.1.1943.<br />
SS-Angehörige unterlagen e<strong>in</strong>er besonderen Gerichtsbarkeit, die 1939 e<strong>in</strong>gerichtet worden<br />
war. Die SS-Gerichte sollten Bestimmungen des Militärgerichts s<strong>in</strong>ngemäß anwenden<br />
und an den so genannten SS-Ehrenkodex anpassen. Bis zum Frühjahr 1941 waren die<br />
zivilen Gefängnisse auch für den Vollzug der durch diese Strafen verhängten Freiheitsstrafen<br />
zuständig, ab März 1941 lag dies <strong>in</strong> der Kompetenz des eigens e<strong>in</strong>gerichteten „Straflagers<br />
der SS und Polizei Dachau“. Dieser Teilbereich des Dachauer Konzentrationslagers<br />
wurde zentrale Vollzugsstätte der SS-Gerichtsbarkeit. Dennoch wurden nach wie vor H<strong>in</strong>richtungen<br />
von SS-Angehörigen auch <strong>in</strong> <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> vollstreckt.<br />
Waldemar Schildhabel war SS-Mann. Ob der Angehörige der deutschen M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong> Polen<br />
der SS freiwillig beitrat oder e<strong>in</strong>gezogen wurde, ist unbekannt. Warum Schildhabel<br />
dennoch <strong>in</strong> <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> sterben musste, ist ebenso wenig zu klären wie se<strong>in</strong><br />
„Vergehen“. Als SS-Angehöriger wurde er erschossen und starb nicht unter dem Fallbeil.<br />
Bekannt s<strong>in</strong>d lediglich e<strong>in</strong>ige persönliche Daten. Schildhabel wurde am 21. Mai 1903 <strong>in</strong><br />
Usamarow <strong>in</strong> Polen geboren. Er war polnischer Staatsangehöriger, vermutlich jedoch<br />
Volksdeutscher. Im Zivilberuf war er Kaufmann.<br />
Am 18. August 1942 schrieb das SS- und Polizeigericht Posen an das Untersuchungsgefängnis<br />
<strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong>: „Der Obengenannte ist des Kriegsverrats dr<strong>in</strong>gend verdächtig.“<br />
Auch der Transportzettel für die so genannte Gefangenen-Beförderung ist erhalten:<br />
„27.8.42 Litzmannstadt, 28.8. Posen, 4.9. Posen, 4.9. Berl<strong>in</strong>, 8.9. Nürnberg, 11.9.<br />
<strong>München</strong>.<br />
Quelle:<br />
Staatsarchiv <strong>München</strong>; JVA <strong>München</strong> 845; JVA <strong>München</strong> 652.<br />
JVA <strong>Stadelheim</strong>; Totenbuch.<br />
81
Biographien: Die Verfolgung so genannter Asozialer<br />
Josef Brzek, geboren am 5.11.1922 <strong>in</strong> Neratau, verurteilt durch den Volksgerichtshof am<br />
29.10.1943, h<strong>in</strong>gerichtet am 8.12.1943.<br />
Für die Nationalsozialisten galt Obdachlosigkeit und Landstreicherei als Merkmal angeborenen<br />
„asozialen“ Verhaltens. Das Todesurteil gegen Josef Brzek wurde damit begründet,<br />
dass Brzek als „moralisch m<strong>in</strong>derwertiger, geistig niedrig stehender Mensch schon an<br />
sich e<strong>in</strong>e Belastung für das Reich bilde“. Dieser Satz verdeutlicht, dass e<strong>in</strong> Menschenleben<br />
unter nationalsozialistischer Herrschaft nur dann e<strong>in</strong>en Wert hatte, wenn es im Rahmen<br />
des Vernichtungs- und Eroberungskrieges ausgebeutet werden konnte.<br />
Josef Brzek war am 5.11.1922 <strong>in</strong> Brosan (Böhmen) zur Welt gekommen. Die Berufsbezeichnung<br />
<strong>in</strong> den Akten lautet „Kutscher“. Brzek schlug sich 1943 <strong>in</strong> Prag als Landstreicher<br />
durch, nachdem er se<strong>in</strong>e Arbeitsstellen im Deutschen Reich immer wieder verlassen<br />
hatte. Die Akten vermerken, Brzek sei e<strong>in</strong>ige Male wegen Betrugs und Diebstahls vorbestraft<br />
gewesen und hätte se<strong>in</strong> Dase<strong>in</strong> <strong>in</strong> Prag als Dieb und Zuhälter f<strong>in</strong>anziert. Der Volksgerichtshof<br />
spricht von e<strong>in</strong>er „asozialen Veranlagung“. Kurz vor Ostern 1943 lernte er <strong>in</strong><br />
Prag e<strong>in</strong>en anderen Landstreicher kennen, mit dem er e<strong>in</strong>ige Male im Freien übernachtete.<br />
Die beiden beschlossen über die Türkei <strong>in</strong> die Sowjetunion zu reisen und dort <strong>in</strong> die<br />
Rote Armee e<strong>in</strong>zutreten. Brzek geriet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Polizeikontrolle, se<strong>in</strong>e Ausweispapiere wurden<br />
ihm abgenommen. Daher stahl er den Personalausweis se<strong>in</strong>es Kompagnons und<br />
klebte se<strong>in</strong> eigenes Bild e<strong>in</strong>. Er entschloss sich, nun alle<strong>in</strong>e nach Russland fahren. In dem<br />
gestohlenen Mantel, den er auf se<strong>in</strong>er Reise trug, fand man außerdem Papiere, die auf<br />
e<strong>in</strong>en weiteren Namen lauteten. Am 18. Mai 1943 fuhr Josef Brzek von Prag nach Frimberg<br />
(Böhmen) und von dort nach Katowitz (Böhmen). Er plante, von hier aus nach Plzen<br />
und dann über den Balkan nach Russland weiterzureisen. Bevor er <strong>in</strong> Katowitz <strong>in</strong> den Zug<br />
stieg, wurde er verhaftet.<br />
Der Volksgerichtshof verurteilte Josef Brzek im Oktober 1943 zum Tode. Im Dezember<br />
desselben Jahres wurde er <strong>in</strong> <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> h<strong>in</strong>gerichtet.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; VGH Z, Josef Brzek.<br />
Karl Lid, geboren am 6.7.1899 <strong>in</strong> Kradrob, h<strong>in</strong>gerichtet am 11.4.1944. Verurteilt durch den<br />
Volksgerichtshof, Datum unleserlich.<br />
***<br />
Karl Lid verbüßte 1943 im Zellengefängnis Nürnberg e<strong>in</strong>e zweijährige Haftstrafe, die im Juli<br />
1942 verhängt worden war. Der nationalsozialistische Staat erwartete von allen se<strong>in</strong>en Bürgern,<br />
auch von Gefängnis<strong>in</strong>sassen, ideologisches Wohlverhalten. Dass Karl Lid diesem<br />
Anspruch nicht genügte, wurde ihm zum Verhängnis.<br />
Der Protektoratsangehörige und Bergarbeiter war am 6. Juli 1899 <strong>in</strong> Kradrob geboren worden.<br />
Im Urteil heißt es lapidar, er sei schon <strong>in</strong> frühester Jugend straffällig geworden und<br />
<strong>in</strong>sgesamt 24mal v.a. wegen Eigentumsdelikten vor Gericht gewesen. Wie es dazu kam,<br />
82
wird nicht erklärt – im biologistischen Weltbild der Nationalsozialisten war e<strong>in</strong> derartiges<br />
Verhalten angeboren.<br />
Im Laufe des Jahres 1943 bekam er Kontakt zu anderen Gefängnis<strong>in</strong>sassen, und diese<br />
habe er, so se<strong>in</strong>e Verfolger, „planmäßig defaitistisch-zersetzend“ zu bee<strong>in</strong>flussen versucht.<br />
Was war tatsächlich geschehen? Karl Lid hatte zu e<strong>in</strong>em Mitgefangenen gesagt, die Bombardierung<br />
deutscher Städte sei nicht schlimmer als das, was die Deutschen bei ihrem E<strong>in</strong>marsch<br />
im Sudetenland und der Tschechoslowakei verbrochen hätten. Deutschland werde<br />
auf jeden Fall den Krieg verlieren, me<strong>in</strong>te er, dies bedeute e<strong>in</strong> fürchterliches Blutbad, denn<br />
alle unterdrückten Völker würden sich später an den Deutschen rächen.<br />
Karl Lid versuchte, se<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung auch auf Zetteln zu verbreiten. Auf diese Blätter schrieb<br />
er zum Beispiel: „Lieber e<strong>in</strong> Kaiser von Gottes Gnaden als e<strong>in</strong> Mörder von Berchtesgaden!!!“<br />
Zur Verteilung se<strong>in</strong>er handgeschriebenen Flugblätter kam er nicht mehr.<br />
Karl Lid wurde am 11.4.1944 <strong>in</strong> <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> h<strong>in</strong>gerichtet.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; R 60 I/51.<br />
Zygmund Bak, geboren am 16.7.1920 <strong>in</strong> Plöhmen, verurteilt durch den Volksgerichtshof<br />
am 27.6.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 12.9.1944.<br />
Arthur Vogt, geboren am 24.7.1912 <strong>in</strong> St. Gallen (deutscher Staatsangehöriger), verurteilt<br />
durch den Volksgerichtshof am 27.6.1944, h<strong>in</strong>gerichtet am 12.9.1944.<br />
***<br />
***<br />
Ungewöhnlich genug, wurden hier e<strong>in</strong> Deutscher und e<strong>in</strong> Pole zusammen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Verfahren<br />
verurteilt. Ihr Delikt <strong>in</strong> den Augen ihrer Verfolger: der Versuch, <strong>in</strong> die Schweiz zu gelangen.<br />
Beide Männer hatten aus unterschiedlichen, auch aus gesundheitlichen Gründen,<br />
Schwierigkeiten, sich <strong>in</strong> den harten Arbeitsalltag der deutschen Kriegswirtschaft e<strong>in</strong>zugliedern.<br />
Den Richtern galten sie daher als „Asoziale“. Dem deutschen Staatsbürger wurde im<br />
Urteil vorgeworfen, er stelle sich durch die Reichsflucht „bewusst gegen se<strong>in</strong> eigenes Volk<br />
und hilft dem Fe<strong>in</strong>d“.<br />
Die beiden Männer lernten sich im Februar 1943 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Münchner Lokal kennen und trafen<br />
sich auch später noch mehrmals. Arthur Vogt äußerte se<strong>in</strong>e Unzufriedenheit mit den<br />
Lebensverhältnissen <strong>in</strong> Deutschland und erklärte, dass er <strong>in</strong> die Schweiz gehen wolle, da<br />
sich <strong>in</strong> Deutschland die Lage ständig verschlechtere. Am 22. März 1943 trafen sich die<br />
Männer zufällig vor dem Münchner Hauptbahnhof. Vogt hatte zu diesem Zeitpunkt bereits<br />
e<strong>in</strong>e Fahrkarte nach Bregenz, er ließ sich von Zygmund Bak Geld geben und löste auch für<br />
ihn e<strong>in</strong>e Karte. Im Anschluss an die Bahnreise nach Bregenz fuhren Vogt und Bak nach Dornbirn.<br />
Von Dornbirn führte ihr Weg sie weiter nach Lustenau, dort wurden sie unweit der<br />
Grenze am Rhe<strong>in</strong>damm <strong>in</strong> der Nähe der Eisenbahnbrücke von e<strong>in</strong>em Zöllner festgenommen.<br />
83
Sie wurden vom Volksgerichtshof im Sommer 1944 zum Tode verurteilt und mussten im<br />
September 1944 im Gefängnis <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> sterben.<br />
Quelle:<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong>; NJ 3640; NJ 3562.<br />
84
Weitere Spuren von Widerstand und Verfolgung<br />
KZ-Ehrenha<strong>in</strong><br />
Während der <strong>NS</strong>-Zeit überzog e<strong>in</strong> dichtes Netz von Konzentrationslagern das nationalsozialistische<br />
E<strong>in</strong>flussgebiet. Das etwa 20 Kilometer nördlich von <strong>München</strong> gelegene KZ<br />
Dachau war e<strong>in</strong>es der ersten und nahm e<strong>in</strong>e herausragende Rolle im <strong>NS</strong>-Unterdrückungsapparat<br />
e<strong>in</strong>. Von den etwa 200.000 Häftl<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> Dachau starben weit mehr als 30.000 an<br />
Krankheiten, Erschöpfung, unwürdigen Lebensbed<strong>in</strong>gungen oder wurden ermordet, zum<br />
Teil durch mediz<strong>in</strong>ische Versuche. Ab Januar 1942 wurden mehr als 3.000 kranke oder erschöpfte<br />
Häftl<strong>in</strong>ge („Invalide“) nach Schloss Hartheim bei L<strong>in</strong>z gebracht und mit Giftgas<br />
ermordet.<br />
In diesem KZ-Ehrenha<strong>in</strong> liegen mehr als 4.000 Urnen vor allem von KZ-Häftl<strong>in</strong>gen begraben.<br />
Viele von ihnen starben im Konzentrationslager Dachau, die Leichen wurden im dortigen<br />
Krematorium verbrannt und die Urnen an verschiedenen Stellen <strong>in</strong> <strong>München</strong> „h<strong>in</strong>terstellt“.<br />
Auch die Urnen vieler Opfer der oben erwähnten Invalidentransporte wurden nach<br />
<strong>München</strong> gebracht. Warum dies so war, lässt sich nicht feststellen. Genaue Regularien<br />
zum Umgang mit der Asche der Opfer gab es während der <strong>NS</strong>-Zeit nicht.<br />
Der KZ-Ehrenha<strong>in</strong> auf dem Münchner Friedhof am Perlacher Forst wurde aufgrund e<strong>in</strong>es<br />
Beschlusses des Münchner Stadtrats vom 7.2.1950 angelegt. Damit sollte für diese Urnen,<br />
die sich nach Kriegsende an verschiedenen Stellen im Münchner Stadtgebiet gefunden<br />
hatten, e<strong>in</strong>e würdige Bestattungsstätte geschaffen werden.<br />
DP-Grabanlage (Planquadrat 88); © Kulturreferat der Landeshauptstadt <strong>München</strong><br />
85
Ehrenmal für „Displaced Persons“ (DPs)<br />
Der Name des Ehrenmals ist verwirrend: Bestattungen ausländischer Fremdarbeiter fanden<br />
hier bereits während des 2. Weltkriegs statt. Zu dieser Zeit wurde der Arbeitskräftemangel<br />
<strong>in</strong> der deutschen Kriegswirtschaft durch nach Deutschland verschleppte oder<br />
angeworbene ausländische Arbeiter behoben: Im Herbst 1944 arbeiteten 7,8 Millionen<br />
ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene <strong>in</strong> der deutschen Wirtschaft. Nach Ende<br />
des Weltkriegs nannte man diese Menschen, deren Rückkehr <strong>in</strong> ihre Heimatländer erst<br />
noch bevorstand, „Displaced Persons“. Die Toten dieses Grabs starben <strong>in</strong> <strong>München</strong> <strong>in</strong> den<br />
Jahren 1942 bis 1946. In dieser Grabanlage liegen 434 Russen, 17 Belgier, 4 Bulgaren, 12<br />
Holländer, 6 Rumänen, 30 Franzosen, 49 Tschechen, 21 Ungarn, 274 Polen, 17 Griechen,<br />
2 Türken und 183 Menschen unbekannter Nationalität.<br />
In unmittelbarer Nähe des Ehrenmals f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong> weiterer Gedenkste<strong>in</strong> für e<strong>in</strong>ige polnische<br />
Fremdarbeiter, die während des 2. Weltkriegs <strong>in</strong> <strong>München</strong> starben.<br />
Literatur:<br />
Wetzel, Juliane: Jüdisches Leben <strong>in</strong> <strong>München</strong>. <strong>München</strong> 1987.<br />
Heusler, Andreas: Ausländere<strong>in</strong>satz. Zwangsarbeit für die Münchner Kriegswirtschaft 1939–1945. <strong>München</strong><br />
1996.Wetzel, Juliane: Jüdisches Leben <strong>in</strong> <strong>München</strong>. <strong>München</strong> 1987.<br />
E<strong>in</strong>zelgräber der Weißen Rose<br />
Die E<strong>in</strong>zelgräber von vier der wichtigsten Mitglieder der „Weißen Rose“ bef<strong>in</strong>den sich<br />
ebenfalls auf diesem Münchner Friedhof. Sophie Scholl (18 Jahre), Hans Scholl (24 Jahre),<br />
Christoph Probst (23 Jahre) und Alexander Schmorell (25 Jahre) starben nach ihrer Verurteilung<br />
durch den Volksgerichtshof ebenfalls unter dem Fallbeil im angrenzenden Gefängnis<br />
<strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong>. Zur Geschichte ihrer Widerstandstätigkeit liegt e<strong>in</strong>e Vielzahl von<br />
Veröffentlichungen vor.<br />
86
Danksagung<br />
Vor allem danke ich dem Kulturreferat der Stadt <strong>München</strong> für die f<strong>in</strong>anzielle<br />
Unterstützung des Projekts.<br />
Für H<strong>in</strong>weise, Quellene<strong>in</strong>sicht und Redaktion möchte ich mich bei folgenden<br />
Institutionen und Personen herzlich bedanken:<br />
Dr. Angelika Baumann<br />
Bundesarchiv Berl<strong>in</strong><br />
Collegium Carol<strong>in</strong>um<br />
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, Wien<br />
Friedhofsverwaltung Perlacher Forst<br />
Institut für Zeitgeschichte, <strong>München</strong><br />
Justizvollzugsanstalt <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong> (Herrn Kronzucker)<br />
KZ-Gedenkstätte Dachau<br />
Dr. Bernd Landau<br />
He<strong>in</strong>z-Werner Plage<br />
Staatsarchiv <strong>München</strong><br />
Stadtarchiv <strong>München</strong><br />
Städtisches Bestattungsamt, <strong>München</strong><br />
Dr. Marie-Luise Schultze-Jahn<br />
Dr. Jürgen Zarusky, Institut für Zeitgeschichte<br />
Familie Zmítko<br />
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