Hingerichtet in München-Stadelheim - NS-Dokumentationszentrum ...
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tete se<strong>in</strong>es Amtes <strong>in</strong> den Justizvollzugsanstalten Dresden, Frankfurt-Preungesheim, <strong>München</strong>-<strong>Stadelheim</strong>,<br />
Stuttgart und Wien. 50<br />
Obwohl die Sonderzahlungen für durchgeführte Exekutionen 1941 von 60 auf 40 Mark für<br />
den Scharfrichter und 30 Mark für die Gehilfen gekürzt wurden, brachte es Reichhart doch<br />
zu e<strong>in</strong>em nicht unansehnlichen Wohlstand. Alle<strong>in</strong> 1942 erhielt er neben se<strong>in</strong>em jährlichen<br />
Grunde<strong>in</strong>kommen von 3.000 Mark 35.790 Mark Sondervergütungen für 764 Enthauptungen,<br />
sowie knapp 6.000 Mark für Fahrtauslagen und als Aufwandsentschädigung. 51<br />
Die Del<strong>in</strong>quenten verbrachten meist Wochen, oft Monate im Wartestand. 52 Viele werden<br />
sich an die Hoffnung auf Begnadigung geklammert haben, doch die Chancen, Gnade zu f<strong>in</strong>den,<br />
waren im Dritten Reich ger<strong>in</strong>g. So ist für die Jahre 1943/44 e<strong>in</strong>e Begnadigungsquote<br />
von unter drei Prozent errechnet worden. 53 Von der Eröffnung bis zur H<strong>in</strong>richtung war e<strong>in</strong>e<br />
Frist von 24 auf Antrag auch von 48 Stunden gesetzt, die aber, wie oben erwähnt, 1942 auf<br />
acht Stunden verkürzt wurde. Die eigentliche H<strong>in</strong>richtung dauerte <strong>in</strong> der Regel meist weniger<br />
als e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>ute. 54 Reichhart bemühte sich, den Vorgang durch technische Neuerungen<br />
an der Guillot<strong>in</strong>e zu beschleunigen. Dabei hat wohl kaum alle<strong>in</strong> das Motiv, den Del<strong>in</strong>quenten<br />
die Qual des Wartens zu verkürzen, e<strong>in</strong>e Rolle gespielt. Neben der technischen Innovationsfreude<br />
lag es wohl auch im Interesse des Scharfrichters, die Prozedur abzukürzen, die ihn<br />
offenbar psychisch doch nicht völlig unberührt ließ. Immerh<strong>in</strong>, so bemerkt Pfarrer Alt, habe<br />
er sich vor den H<strong>in</strong>richtungen jeweils „kräftig mit Alkohol versorgt“. 55<br />
Von 1924 bis 1945 richtete Johann Reichhart 3.009 Menschen h<strong>in</strong>, davon 250 Frauen. Mehr<br />
als 90 Prozent der Exekutionen, nämlich 2.805, fielen <strong>in</strong> die Jahre 1940 bis 1945. 56 Auch<br />
von den 104 H<strong>in</strong>richtungen davor entfielen die meisten auf die Zeit der <strong>NS</strong>-Diktatur. 57<br />
Doch Reichharts Karriere war 1945 noch nicht zuende. Nach e<strong>in</strong>er kurzfristigen Inhaftierung<br />
durch die US-Truppen wurde er <strong>in</strong> Landsberg am Lech als Henker für verurteilte Kriegsverbrecher<br />
e<strong>in</strong>gesetzt. Zu den <strong>in</strong>sgesamt 156 Del<strong>in</strong>quenten, die ihm überantwortet wurden,<br />
gehörte unter anderem Oswald Pohl, der als ehemaliger Chef des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes<br />
unter anderem als Adm<strong>in</strong>istrator des KZ-Systems fungiert hatte. 58<br />
Se<strong>in</strong>em Biographen Johann Dachs zufolge weigerte sich Reichhart nach e<strong>in</strong>er Exekution von<br />
14 SS-Angehörigen am 1. April 1946, weitere H<strong>in</strong>richtungen durchzuführen, da zwei der Gehenkten<br />
unschuldig gewesen und nur aufgrund von Namensverwechslungen verurteilt worden<br />
seien. „Lieber <strong>in</strong>s Loch, als noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en Unschuldigen ermorden“, zitiert Dachs<br />
den Scharfrichter 59, von dem derlei Skrupel aus der <strong>NS</strong>-Zeit nicht bekannt geworden s<strong>in</strong>d.<br />
50 Ebenda, S. 103.<br />
51 Dachs, Fallbeil, S. 104; Dachs bezieht diese E<strong>in</strong>künfte auf das Jahr 1943, doch betrug die Zahl der von Reichhart<br />
durchgeführten Exekutionen nach Evans im Jahr 1943 876, 756 dagegen im Jahr 1942; vgl. Evans, Rituale, S. 865.<br />
52 So verbrachte etwa der wegen Widerstandsaktivitäten zum Tode verurteilte Münchner Jugendliche Walter Kl<strong>in</strong>genbeck<br />
bis zu se<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>richtung fast elf Monate <strong>in</strong> <strong>Stadelheim</strong>. Jürgen Zarusky: „... nur e<strong>in</strong>e Wachstumskrankheit“?<br />
Jugendwiderstand <strong>in</strong> Hamburg und <strong>München</strong>, <strong>in</strong>: Dachauer Hefte 7 (1991): Solidarität und Widerstand,<br />
S. 210–229, hier: S. 224.<br />
53 Gostomski/Loch, Tod, S. 56.<br />
54 Dachs, Fallbeil, S. 78 ff. spricht von drei bis vier M<strong>in</strong>uten, H<strong>in</strong>richtungsprotokolle geben jedoch <strong>in</strong> der Regel<br />
kürzere Zeiten an; vgl. Gostomski/Loch, Tod, S. 58 f.<br />
55 Alt, Überschreiten, S. 51.<br />
56 Dachs, Fallbeil, S. 136.<br />
57 Ebenda, S. 141.<br />
58 Ebenda, S. 119.<br />
59 Ebenda, S. 120.<br />
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