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Hingerichtet in München-Stadelheim - NS-Dokumentationszentrum ...

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Im Grunde hatte Reichhart damit e<strong>in</strong>es der klassischen Argumente gegen die Todesstrafe<br />

vorgebracht, nichtsdestoweniger trat er 1963 als Ehrenmitglied des <strong>in</strong> Köln gegründeten<br />

„Vere<strong>in</strong>s zur Wiedere<strong>in</strong>führung der Todesstrafe“ öffentlich für dessen Ziele e<strong>in</strong>. 60 Zu diesem<br />

Zeitpunkt lag e<strong>in</strong> tiefer Absturz h<strong>in</strong>ter ihm: Im Mai 1947 war er <strong>in</strong>s Internierungslager Moosburg<br />

e<strong>in</strong>geliefert worden, dessen Insassen ihn als Hochverräter, Feigl<strong>in</strong>g und Henker der<br />

Amerikaner beschimpften und so sehr drangsalierten, dass er versuchte, sich durch Aufschneiden<br />

der Pulsadern das Leben zu nehmen. In e<strong>in</strong>er Spruchkammerverhandlung wurde<br />

er Ende 1948 zu zwei Jahren Haft im Internierungslager, E<strong>in</strong>ziehung von 50 Prozent se<strong>in</strong>es<br />

Vermögens, Verlust der Rentenansprüche und weiteren Restriktionen verurteilt. In der Berufung<br />

erreichte er Ende 1949 nur die Reduzierung der Haftstrafe, die mit den e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahren<br />

Untersuchungshaft als abgegolten e<strong>in</strong>gestuft wurde. Reichharts gerade erst 23jähriger<br />

Sohn Hans nahm sich offenbar unter dem E<strong>in</strong>druck dieser Sanktionen und der sozialen Ächtung<br />

se<strong>in</strong>es Vaters im Jahr darauf das Leben. Johann Reichhart starb e<strong>in</strong>sam und verarmt im<br />

Jahr 1972. 61<br />

Facetten des Widerstands<br />

Die 93 Männer, die <strong>in</strong> dem Sammelgrab auf dem Friedhof am Perlacher Forst beerdigt s<strong>in</strong>d,<br />

hatten nicht so funktioniert, wie es die <strong>NS</strong>-Machthaber von ihnen erwarteten. Nicht alle<br />

hatten bewussten politischen Widerstand geleistet; e<strong>in</strong>ige wollten sich nur bestimmten Zumutungen<br />

des <strong>NS</strong>-Systems nicht fügen, und es s<strong>in</strong>d auch e<strong>in</strong>zelne zwiespältige Charaktere<br />

<strong>in</strong> dieser eigenartigen, erst post mortem entstandenen Gruppe zu f<strong>in</strong>den. Aus der Sicht der<br />

Machthaber des <strong>NS</strong>-Staats und der ihnen dienenden Juristen gehörten sie alle <strong>in</strong> e<strong>in</strong> und dieselbe<br />

Kategorie: Sie waren Fe<strong>in</strong>de, die es zu vernichten galt. Doch nicht nur ihre Nationalitäten,<br />

auch ihre politischen Überzeugungen, ihre Handlungsweisen und der jeweilige H<strong>in</strong>tergrund,<br />

vor dem sich diese entfalteten, waren höchst unterschiedlich.<br />

In Deutschland 62 g<strong>in</strong>g der zahlenmäßig stärkste Widerstand von der sozialistischen Arbeiterbewegung<br />

und hier vor allem von den Kommunisten aus. Der Versuch, e<strong>in</strong>en massenhaften<br />

Widerstand zu organisieren, endete für Tausende <strong>in</strong> Gefängnissen und Konzentrationslagern,<br />

und bis zirka 1936/37 war von den illegalen Organisationen bis auf kle<strong>in</strong>e Reste nichts mehr<br />

übrig. Die Erfolge des <strong>NS</strong>-Regimes <strong>in</strong> der Außenpolitik und beim Abbau der Arbeitslosigkeit<br />

taten das Ihre dazu, dass seitens der Arbeiterbewegung <strong>in</strong> den folgenden Jahren nur e<strong>in</strong><br />

„Widerstand auf kle<strong>in</strong>er Flamme“ (Mehr<strong>in</strong>ger) existierte.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs entwickelten sich ab 1937/38, als sich Hitlers verhängnisvoller Kriegskurs konkretisierte,<br />

die ersten Ansätze e<strong>in</strong>er Opposition seitens des Militärs und nationalkonservativer<br />

Eliten. In teils wechselnder personeller Zusammensetzung bestand die Verschwörung,<br />

die mehrere Anläufe zur Entmachtung Hitlers unternahm, bis zum gescheiterten Attentat<br />

Stauffenbergs am 20. Juli 1944.<br />

Ihre Strategie zielte auf e<strong>in</strong>en Staatsstreich, der natürlich Teilhabe an den Machtmitteln des<br />

Regimes voraussetzte und dessen Gel<strong>in</strong>gen von e<strong>in</strong>er ganzen Reihe von Faktoren abhängig<br />

war. Der Umsturz scheiterte, weil Hitler das Attentat überlebte und die Loyalität zu ihm<br />

und se<strong>in</strong>er Herrschaft <strong>in</strong> der Militärelite so groß war, dass die Widerständler nach dem Miss-<br />

60 Ebenda, S. 140.<br />

61 Ebenda, S. 126–141.<br />

62 Überblicksdarstellung: Hartmut Mehr<strong>in</strong>ger: Widerstand und Emigration. Das <strong>NS</strong>-Regime und se<strong>in</strong>e Gegner.<br />

<strong>München</strong> 1997. Mit Überblicks- und Sachartikeln zu e<strong>in</strong>zelnen Aspekten: Wolfgang Benz, Walter H. Pehle (Hrsg.):<br />

Lexikon des deutschen Widerstandes. Frankfurt a.M. 1994.<br />

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