Hingerichtet in München-Stadelheim - NS-Dokumentationszentrum ...
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ung des Del<strong>in</strong>quenten e<strong>in</strong> kurzes Gebet zu sprechen. 42 Kurz zuvor war verfügt worden, dass<br />
H<strong>in</strong>richtungen künftig zu jeder Tages- und Nachtzeit stattf<strong>in</strong>den konnten, wenn auch die<br />
Nachtstunden bevorzugt wurden. Die Eröffnungsfrist, also die Zeit zwischen der Vollstreckung<br />
und ihrer Ankündigung, wurde auf acht Stunden verkürzt 43, das Urteil nicht mehr verlesen<br />
und die Anstaltsglocke nicht mehr geläutet. 44 Das Läuten hätte an den zentralen Exekutionsplätzen<br />
wohl auch ke<strong>in</strong> Ende mehr genommen.<br />
Die zeremonielle Umkleidung weist ebenso wie Karl Valent<strong>in</strong>s Persiflage auf e<strong>in</strong>e eigentümliche<br />
Fasz<strong>in</strong>ation h<strong>in</strong>, die die Tötungsprozedur auf viele Menschen auszuüben vermag und<br />
die <strong>in</strong> den als Schauspiel <strong>in</strong>szenierten öffentlichen H<strong>in</strong>richtungen früherer Zeiten geradezu<br />
zelebriert wurde. Die Würdenträger des <strong>NS</strong>-Regimes waren offenbar besonders anfällig für<br />
diese Mischung aus <strong>in</strong>fantiler Neugier, Lust am Schauder und Freude an der Grausamkeit.<br />
So verteidigte der Justizstaatssekretär und nachmalige Volksgerichtshofspräsident Freisler<br />
die <strong>in</strong> Preußen noch übliche Methode des Köpfens mit dem Handbeil als ganz besonders<br />
„männlich“ und „natürlich“. 45 Der <strong>NS</strong>DAP-Gauleiter von Franken und Herausgeber des antisemitischen<br />
Hetzblattes „Der Stürmer“, Julius Streicher, ließ es sich nicht nehmen, an der<br />
H<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es Räubers aus se<strong>in</strong>em Machtbereich <strong>in</strong> <strong>München</strong> teilzunehmen. Er legte<br />
dabei größtes Interesse für die Mechanik der Guillot<strong>in</strong>e an den Tag. „Schon damals, noch vor<br />
dem Krieg, kam mir der Gedanke, wie und wo wohl der sensationslüsterne ,Frankenführer’<br />
e<strong>in</strong>mal enden würde?“ er<strong>in</strong>nerte sich später der Gefängnisgeistliche Karl Alt. 46 Adolf Hitler<br />
hatte Wert darauf gelegt, dass die Beteiligten am Umsturzversuch des 20. Juli nicht geköpft,<br />
sondern gehenkt würden. Bereits die „lex van der Lubbe“ hatte der Reichsregierung die<br />
Möglichkeit e<strong>in</strong>geräumt, diese H<strong>in</strong>richtungsart anstelle des Köpfens anzuordnen. 47 Hitler ließ<br />
die Exekution filmen, um sich anschließend an den Aufnahmen zu delektieren. 48<br />
Was für den „Führer“ e<strong>in</strong> Festakt war, war für die Scharfrichter des Deutschen Reiches<br />
längst Rout<strong>in</strong>e geworden. Johann Reichhart war bereits vor Kriegsbeg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong> so gefragter<br />
Mann und die Guillot<strong>in</strong>e e<strong>in</strong> so begehrtes Werkzeug geworden, dass die Justizbehörde sich<br />
gezwungen sah, e<strong>in</strong>en „Opel Blitz“ als Dienstreisefahrzeug anzuschaffen. 49 Unmittelbar vor<br />
Kriegsbeg<strong>in</strong>n wurde e<strong>in</strong> vierter Scharfrichter für das Reich <strong>in</strong> Dienst gestellt. Reichhart<br />
brauchte jedoch ke<strong>in</strong>e Konkurrenz zu fürchten. Durch die politischen und militärischen Eroberungen<br />
des Dritten Reichs wuchs se<strong>in</strong> Amtsbezirk erheblich an. Mitte 1940 war er Scharfrichter<br />
<strong>in</strong> Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Böhmen und Österreich und wal-<br />
42 Evans, Rituale, S. 854; Nationalsozialismus und Todesstrafe, S. 68.<br />
43 Alt sah dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e „wohltätige Abkürzung der qualvollen Wartezeit“; Alt, Überschreiten, S. 46.<br />
44 Nationalsozialismus und Todesstrafe, S. 35.<br />
45 Evans, Rituale, S. 784. Diese Methode des Köpfens wurde 1938 endgültig abgeschafft; Nationalsozialismus und<br />
Todesstrafe, S. 25.<br />
46 Alt, Überschreiten, S. 75. Streicher wurde im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt<br />
und am 16. Februar 1946 <strong>in</strong> Nürnberg gehenkt. Frappierend s<strong>in</strong>d die Ähnlichkeiten im Verhalten des Räubers<br />
und Streichers angesichts der H<strong>in</strong>richtung. Ersterer, so Alt, habe noch unmittelbar vor der H<strong>in</strong>richtung se<strong>in</strong>e Mutter<br />
mit gräßlichen Flüchen bedacht. Über die Exekution Streichers schreibt der amerikanische Hauptankläger des Nürnberger<br />
Prozesses, Telford Taylor: „Streicher betrat das Gebäude und schrie ständig ,Heil Hitler!’. Er weigerte sich,<br />
se<strong>in</strong>en Namen zu nennen, spuckte Sergeant Woods an, sagte zu ihm ,E<strong>in</strong>es Tages werden die Bolschewiken sie<br />
aufhängen’ und schrie wieder ,Heil Hitler!’, als er zur Plattform h<strong>in</strong>aufstieg. Als er oben war, kreischte er: ,Purimfest<br />
1946’ [Jüdisches Fest zur Er<strong>in</strong>nerung an die Errettung des jüdischen Volkes durch Ester – JZ], und als ihm die Kapuze<br />
übergezogen wurde, rief er noch: ,Nun b<strong>in</strong> ich bei Gott, me<strong>in</strong>em Vater! Adele, me<strong>in</strong>e liebe Frau.’ Telford Taylor: Die<br />
Nürnberger Prozesse. H<strong>in</strong>tergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht. <strong>München</strong> 31996, S. 704.<br />
Sergeant Hazel Woods war laut Dachs, Fallbeil, S. 120 von Scharfrichter Reichhart <strong>in</strong> der Technik des Erhängens<br />
unterwiesen worden. Zu Woods weiterem Schicksal siehe ebenda S. 121 f.<br />
47 Victor von Gostomski, Walter Loch: Der Tod von Plötzensee. Frankfurt a. M. 1993, S. 54.<br />
48 Evans, Rituale, S. 859.<br />
49 Dachs, Fallbeil, S. 82.<br />
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