Hingerichtet in München-Stadelheim - NS-Dokumentationszentrum ...
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Jürgen Zarusky<br />
E<strong>in</strong>leitung: <strong>NS</strong>-Justiz und Widerstand<br />
Die Konjunktur der Guillot<strong>in</strong>e<br />
In ihren ideologischen Hassphantasien malten sich die Nationalsozialisten gerne aus, wie<br />
sie mit ihren Fe<strong>in</strong>den umspr<strong>in</strong>gen würden, wenn sie an der Macht wären. Das „Aufhängen“<br />
und „Köpfe rollen lassen“ spielte <strong>in</strong> derlei Tagträumen e<strong>in</strong>e zentrale Rolle. Der Reichstagsbrand<br />
vom 27./28. Februar 1933 lieferte den Anlass, mit der Verwirklichung dieser Visionen<br />
zu beg<strong>in</strong>nen. Die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“<br />
vom 28. Februar 1933 hob nicht nur zentrale, <strong>in</strong> der Weimarer Verfassung verankerte Grundrechte<br />
auf, sondern erhöhte auch für e<strong>in</strong>e ganze Reihe von politischen und krim<strong>in</strong>ellen<br />
Delikten den Strafrahmen bis h<strong>in</strong> zur Todesstrafe, so etwa für Hochverrat, Brandstiftung oder<br />
Beschädigung von Eisenbahnanlagen. 2 Dah<strong>in</strong>ter stand die – jedenfalls nach außen vorgetragene<br />
– Auffassung, der Reichstagsbrand sei von den Kommunisten als Fanal für e<strong>in</strong>en<br />
revolutionären Umsturz <strong>in</strong>s Werk gesetzt worden.<br />
Der Reichstagsbrandprozess, der von September bis Dezember 1933 vor dem Reichsgericht<br />
<strong>in</strong> Leipzig stattfand, erhärtete diese These nicht. Der Fraktionsvorsitzende der KPD,<br />
Torgler, musste ebenso freigesprochen werden wie drei der Beteiligung an der Brandstiftung<br />
beschuldigte bulgarische Kommunisten, darunter der spätere Vorsitzende der Kommunistischen<br />
Internationale, Georgi Dimitroff. Als Brandstifter verurteilt wurde alle<strong>in</strong> Mar<strong>in</strong>us van<br />
der Lubbe, e<strong>in</strong> junger holländischer Anarchokommunist. 3 In e<strong>in</strong>er Flut von Briefen an das<br />
Reichsjustizm<strong>in</strong>isterium hatten vor allem lokale <strong>NS</strong>-Aktivisten se<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>richtung gefordert,<br />
was voll und ganz mit den öffentlich vorgetragenen Wünschen von Adolf Hitler übere<strong>in</strong>stimmte.<br />
4 Brandstiftung war allerd<strong>in</strong>gs zum Zeitpunkt der Tat noch nicht mit der Todesstrafe<br />
bedroht gewesen. Hitler und se<strong>in</strong> Parteifreund und Innenm<strong>in</strong>ister Frick forderten daher im<br />
Reichskab<strong>in</strong>ett, es müsse e<strong>in</strong>e rechtliche Regelung geschaffen werden, die die rückwirkende<br />
Verurteilung van der Lubbes zum Tode ermögliche. Dies stieß auf Bedenken der konservativen<br />
Mitglieder der Regierung Hitler. Insbesondere Staatssekretär Schlegelberger vom<br />
Justizm<strong>in</strong>isterium verwies darauf, dass e<strong>in</strong> solches Vorgehen gegen den Grundsatz nulla<br />
poena s<strong>in</strong>e lege, das Rückwirkungsverbot, verstoßen würde, welches die „wichtigste Kulturgrundlage<br />
des Strafrechts“ bilde. Die Annahme des Ermächtigungsgesetzes vom 23. März<br />
1933, das der Regierung die Gesetzgebungskompetenz übertrug, ermöglichte es, den ebenfalls<br />
skeptischen Reichspräsidenten von H<strong>in</strong>denburg zu umgehen, und am 29. März nahm<br />
das Reichskab<strong>in</strong>ett das von Schlegelberger pflichtschuldigst und entgegen se<strong>in</strong>er ursprünglichen<br />
Bedenken entworfene „Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe“ an. Es<br />
ist auch als „lex van der Lubbe“ bekannt geworden, weil es die H<strong>in</strong>richtung des 24jährigen<br />
Niederländers ermöglichte, <strong>in</strong>dem es den Strafverschärfungen der Reichstagsbrandverord-<br />
2 RGBl I 83.<br />
3 Vgl. Anklageschrift und Urteil des Reichstagsbrandprozesses <strong>in</strong>: Widerstand als „Hochverrat“ 1933–1945.<br />
Die Verfahren gegen deutsche Reichsangehörige vor dem Reichsgericht, dem Volksgerichtshof und dem Reichskriegsgericht.<br />
Mikrofiche-Edition. Bearb. von Jürgen Zarusky und Hartmut Mehr<strong>in</strong>ger. <strong>München</strong> 1998, Verfahren<br />
15J 86/33 – XII H 42/33, Fiches 0615 ff.<br />
4 Richard J. Evans: Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe <strong>in</strong> der deutschen Geschichte 1532–1987. Berl<strong>in</strong> 2001,<br />
S. 747 f.; Lothar Gruchmann: Justiz im Dritten Reich 1933-1940. Anpassung und Unterwerfung <strong>in</strong> der Ära Gürtner.<br />
<strong>München</strong> 1988, S. 829.<br />
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