Hingerichtet in München-Stadelheim - NS-Dokumentationszentrum ...
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nung bereits rückwirkend zum 31. Januar Gültigkeit zuschrieb. 5 Die Datierung zeigt <strong>in</strong>des,<br />
dass es sich ke<strong>in</strong>eswegs um e<strong>in</strong>e ausschließlich auf den Reichstags-Brandstifter zugeschnittene<br />
Regelung handelte, denn er hatte se<strong>in</strong>e Tat ja am 27. Februar verübt. Die Botschaft dieses<br />
Gesetzes richtete sich zugleich an weitere Kreise, und das Signal war deutlich genug:<br />
Vom ersten Tag an sollte die Auflehnung gegen Hitlers Herrschaft als todeswürdig gelten.<br />
Am 10. Januar 1934 wurde van der Lubbe mit dem Fallbeil h<strong>in</strong>gerichtet. 6<br />
Die Nationalsozialisten jedoch waren damit ke<strong>in</strong>eswegs zufrieden gestellt. Der Prozess hatte<br />
ihnen zu lange gedauert und nicht die erhoffte propagandistische Wirkung gehabt, ja das<br />
frisch etablierte <strong>NS</strong>-Regime war durch die von dem e<strong>in</strong>fallsreichen kommunistischen Agitator<br />
Willi Münzenberg organisierte <strong>in</strong>ternationale Reichstagsbrand-Kampagne <strong>in</strong> der Weltöffentlichkeit<br />
sogar <strong>in</strong> die Defensive geraten und sah sich dem massiven Verdacht ausgesetzt,<br />
die Brandstiftung als politischen Coup selbst <strong>in</strong>szeniert zu haben 7. E<strong>in</strong> neues Gericht sollte<br />
daher künftig für kurzen Prozess sorgen. Se<strong>in</strong>e „Volksnähe“ sollte durch H<strong>in</strong>zuziehung von<br />
Vertretern der <strong>NS</strong>DAP und der SA gewährleistet werden. Die Zuständigkeit für Hoch- und<br />
Landesverrat wurde vom Reichsgericht auf den im Juli 1934 gegründeten Volksgerichtshof<br />
übertragen. 8 Diese Institution, die 1985 vom deutschen Bundestag e<strong>in</strong>stimmig als nationalsozialistisches<br />
Terror<strong>in</strong>strument e<strong>in</strong>gestuft wurde 9, verhängte <strong>in</strong>sgesamt gegen 5.279 Personen<br />
die Todesstrafe, d.h. gegen jeden dritten der 15.519 Angeklagten, die vor den Schranken<br />
des VGH standen. 10<br />
Allerd<strong>in</strong>gs setzte diese blutige Entwicklung nicht unmittelbar mit der Entstehung des VGH<br />
e<strong>in</strong>. Vielmehr knüpfte er zunächst sehr weitgehend an die Rechtsprechung des Reichsgerichts<br />
an, das bereits erheblich dazu beigetragen hatte, den Widerstand nicht nur der Kommunisten<br />
und anderer l<strong>in</strong>ksradikaler Gruppen, sondern auch den der Sozialdemokraten zu krim<strong>in</strong>alisieren.<br />
11 Die beim Volksgerichtshof deutlich erkennbare Tendenz zur Verschärfung der<br />
Strafen entwickelte sich zunächst vergleichsweise langsam. Von 1934 bis 1939 belief sich<br />
die Zahl der verhängten Todesurteile auf 108, 1940/41 auf 155, um dann geradezu zu explodieren:<br />
1192 Todesurteile im Jahr 1942, 1662 im Jahr 1943 und 2022 im Jahr 1944, und noch<br />
<strong>in</strong> den Monaten des Zusammenbruchs bis zum Mai 1945 wurden 140 Todesurteile gefällt. In<br />
den Jahren 1942 bis 1944 erreichte die Todesstrafenquote nahezu 50 Prozent. 12 Die Radikalisierung<br />
des VGH entspricht der allgeme<strong>in</strong>en Entwicklung des <strong>NS</strong>-Regimes, dessen Brutalität<br />
mit dem Beg<strong>in</strong>n des 2. Weltkriegs und dann vor allem mit dem Angriff auf die Sowjetunion<br />
am 22. Juni 1941 hemmungslos entfesselt wurde. Roland Freisler, der seit dem Som-<br />
5 Gruchmann, Justiz S. 826–830; Michael Förster: Jurist im Dienst des Unrechts. Leben und Werk des ehemaligen<br />
Staatssekretärs im Reichsjustizm<strong>in</strong>isterium, Franz Schlegelberger (1876-1970). Baden-Baden 1995, S. 39 ff.; Volker<br />
Epp<strong>in</strong>g: Die „Lex van der Lubbe“. Zugleich auch e<strong>in</strong> Beitrag zur Bedeutung des Grundsatzes „nullum crimen, nulla<br />
poena s<strong>in</strong>e lege“, <strong>in</strong>: Der Staat 34 (1995), S. 243–267.<br />
6 Gruchmann, Justiz, S. 830.<br />
7 Babette Gross: Willi Münzenberg. E<strong>in</strong>e politische Biographie. Stuttgart 1967, S. 257–268. Claus-Dieter Krohn:<br />
Propaganda als Widerstand? Die Braunbuch-Kampagne zum Reichstagsbrand 1933, <strong>in</strong>: Exilforschung 15 (1997),<br />
S. 10–32.<br />
8 Jürgen Zarusky: E<strong>in</strong>führung zum Erschließungsband der Mikrofiche-Edition Widerstand als „Hochverrat“ 1933–1945.<br />
<strong>München</strong> 1998, S. 11–44, hier: S. 29 ff.; leicht gekürzt auch greifbar unter dem Titel „Politischer Widerstand und<br />
Justiz im Dritten Reich“, <strong>in</strong>: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte Band 1 (1999/2000), S. 36–87, hier: S. 66 ff.<br />
9 Bernhard Jahntz, Volker Kähne: Der Volksgerichtshof. Darstellung der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bei dem<br />
Landgericht Berl<strong>in</strong> gegen ehemalige Richter und Staatsanwälte am Volksgerichtshof. Berl<strong>in</strong> 31992, S. 48a.<br />
10 Holger Schlüter: Die Urteilspraxis des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs. Berl<strong>in</strong> 1995, S. 37 f.<br />
11 Jürgen Zarusky: Politische Strafjustiz im nationalsozialistischen Doppelstaat, <strong>in</strong>: Jürgen Weber, Michael Piazolo<br />
(Hrsg.): Justiz im Zwielicht. Ihre Rolle <strong>in</strong> Diktaturen und die Antwort des Rechtsstaates. <strong>München</strong> 1998, S. 25–38,<br />
hier: S. 29–33.<br />
12 Schlüter, Urteilspraxis, S. 38.<br />
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