Roter Bulle trifft ins Herz
RB Leipzig ist für die Region zu einem wichtigen Image- und Wirtschaftsfaktor avanciert.
RB Leipzig ist für die Region zu einem wichtigen Image- und Wirtschaftsfaktor avanciert.
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32 report REGIONALE KOMMUNIKATION<br />
HORIZONT 22/2018 30. Mai 2018<br />
Hypezig<br />
undkein Ende<br />
Viele gute Zutaten<br />
lassen Leipzig<br />
wachsen und gedeihen<br />
FOTOS: IHK LEIPZIG / LEIPZIG STADTMARKETING<br />
Sportstadt, Musikstadt,<br />
Szenestadt – Leipzigs<br />
Attraktion ist die Vielfalt<br />
Stadtmarketing Leipzig<br />
Neben dem Dezernat Wirtschaft<br />
und Arbeit der Stadt Leipzig,<br />
zu dem das Amt für Wirtschaftsförderung<br />
gehört, und der Industrie<br />
und Handelskammer zu Leipzig<br />
(IHK) kümmern sich drei Organisationen<br />
um das Stadt bzw. Standortmarketing:<br />
Leipzig Tourismus und Marketing<br />
(LTM): Als Gesellschaft<br />
des Leipzig Tourist<br />
Service e.V. offizielle<br />
Tourismusorganisation<br />
der Stadt Leipzig, zu deren Aufgaben<br />
die Förderung des Tourismus, das Kongress<br />
und Veranstaltungsmarketing<br />
sowie die Imagekommunikation der<br />
Stärken Leipzigs gehören.<br />
Invest Region Leipzig (IRL): Gesellschaft<br />
der Stadt Leipzig, der IHK sowie<br />
VonWolfgang Borgfeld<br />
Leipzig zählt zu den am schnellsten<br />
wachsenden Städten in Deutschland,<br />
zwischen 2002 und 2018<br />
wuchs die größte Metropole des<br />
Freistaats Sachsen um fast 100000 Einwohner<br />
auf über 590000. Für das Jahr<br />
2030 werden 722000 Einwohner prognostiziert,<br />
dann wäre Leipzig wieder so groß<br />
wie Ende1930.<br />
Was macht die Stadt so attraktiv? Offenbar<br />
ihre Vielfalt. Beim Werben um<br />
Touristen wird alles <strong>ins</strong> Schaufenster gestellt,<br />
was die Region zu bieten hat: Die<br />
Website Leipzig.travel.de preist die Stadt<br />
als Destination für Naturliebhaber, Familien,<br />
Szenegänger und Kulturliebhaber,<br />
die Stadt selbst verweist auf ihre Tradition<br />
als Musikstadt von Bach und Mendelssohn<br />
Bartholdy und auf ihre Bedeutung<br />
als Hauptstadt des Sports, das alles im<br />
Zentrum Europas.<br />
der Landkreise<br />
Nordsachsen<br />
und Leipzig.<br />
Als Ansiedlungs und Akquisitionsagentur<br />
für die Wirtschaftsregion<br />
Leipzig aktiv. MarketingMaßnahmen<br />
sind überwiegend projektbezogen.<br />
Europäische Metropolregion Mitteldeutschland<br />
(EMMD): Verein, der als<br />
länderübergreifende Aktionsplattform<br />
in Mitteldeutschland konzipiert ist.<br />
Derzeit sind 53 Unternehmen, 7 Städte,<br />
6Landkreise, 7 Hochschulen sowie 3<br />
Kammern und Verbände Mitglied des<br />
EMMD.<br />
WWW.LEIPZIG.DE<br />
WWW.LEIPZIG.TRAVEL/DE/<br />
WWW.INVESTREGIONLEIPZIG.DE<br />
WWW.MITTELDEUTSCHLAND.COM<br />
WWW.LEIPZIG.IHK.DE<br />
Die vielfältigen Botschaften kommen<br />
offenbar an: 2017, so heißt es, sei das erfolgreichste<br />
touristische Jahr in der Geschichte<br />
Leipzigs gewesen; die Zahl der<br />
Übernachtungen wuchs im Vergleich<br />
zum Jahr 2016 um 9,4 Prozent auf<br />
3171353. Für Dirk Thärichen, Vorstandssprecher<br />
der Konsum Leipzig, ist die Bewerbung<br />
der Stadt für die Olympischen<br />
Spiele 2012 der Ausgangspunkt für die<br />
seither positive Entwicklung des Standorts.<br />
Als Geschäftsführer der Bewerbungskomitee<br />
Leipzig 2012 GmbH war er<br />
maßgeblich an der Kampagne beteiligt.<br />
Um die Bedeutung veranschaulichen zu<br />
können, ruft Thärichen die Situation der<br />
Stadt nach der Wende in Erinnerung: „Bis<br />
dahin war Leipzig hinter der Hauptstadt<br />
Ostberlin die Nummer 2 in der DDR.<br />
Nach der Wende ist vieles zusammengebrochen.“<br />
Alles, was Leipzig vorher groß<br />
gemacht hatte, wie beispielsweise die Messen,<br />
„musste von null aufgebaut werden“.<br />
Leipzig sei in den ersten Jahren sehr düster<br />
und grau gewesen. Viele verließen die<br />
Stadt, auch Thärichen zog es zum Studium<br />
fort.<br />
Mit den Ansiedlungen von Porsche<br />
und BMW sowie dem Bau<br />
des neuen Messegeländes habe<br />
sich die Lage verändert, mit der Olympiabewerbung<br />
dann auch die Stimmung in<br />
der Stadt. „Dass sich Leipzig im nationalen<br />
Auswahlverfahren gegen Hamburg,<br />
Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart<br />
durchsetzen konnte, war vor 15 Jahren eine<br />
absolute Sensation.“ Der Erfolg habe<br />
die Potenziale der Stadt gezeigt und was<br />
mit einer gesunden Portion Selbstbewusstsein<br />
alles möglich ist. „Neben den<br />
vielen Millionen, die wir durch das OlympiaSofortprogramm<br />
in die Infrastruktur<br />
investieren konnten, war diese positive Erfahrung<br />
von immenser Bedeutung und<br />
die Initialzündung für die rasante Entwicklung,<br />
die Leipzig in den letzten Jahren<br />
genommen hat.“<br />
Letztlich bekam London den Zuschlag.<br />
Doch die Stadt konnte vom Momentum<br />
der Bewerbung zehren. Direkt nach der<br />
gescheiterten Bewerbung habe eine Diskussion<br />
darüber begonnen, was Leipzig<br />
eigentlich sei und in den Vordergrund der<br />
Kommunikation gerückt werden müsse:<br />
Messestadt, Kulturstadt, Sportstadt, Universitätsstadt?<br />
Schließlich sei Konsens gewesen,<br />
die Vielfalt herauszustellen: Kultur<br />
und Sport, Wissenschaft und Kunst, Wasserwege<br />
und Grünflächen, die Möglichkeiten<br />
eines schönen urbanen Lebens mit<br />
perfekter Infrastruktur. „Die Lebensqualität<br />
ist hier einzigartig“, ist Thärichen von<br />
seiner Stadt begeistert.<br />
Die Profilierung mit weichen Faktoren<br />
scheint gelungen, die Kommunikation als<br />
Wirtschaftsstandort ist offenbar ungleich<br />
schwieriger. „Der Konstruktionsfehler<br />
nach der Wende wirkt bis heute fort: Es<br />
„Wenn man eine<br />
Idee hat und<br />
zusammensteht, kann<br />
man was bewegen“<br />
Dirk Thärichen,<br />
Vorstandssprecher Konsum Leipzig<br />
gibt hier keine DaxUnternehmen.“ Der<br />
Mittelstand sei vergleichsweise klein: Die<br />
Mittelständler in BadenWürttemberg<br />
wären in Leipzig Großunternehmen.<br />
Was also kann Unternehmen locken?<br />
Invest Region Leipzig (IRL) betont unter<br />
anderem die Bedeutung des internationalen<br />
Flughafens LeipzigHalle mit seinem<br />
24StundenFrachtflugservice als<br />
Deutschlands zweitgrößtes CargoDrehkreuz.<br />
Durch die Ansiedlung von DHL<br />
und Amazon kommt der LogistikBranche<br />
große Bedeutung zu.<br />
Gut entwickelt hat sich auch der Bereich<br />
Life Science & Biotechnologie, die<br />
Ansiedlung von Forschungseinrichtungen<br />
wie Fraunhofer, Helmholtz, Max<br />
Planck und Leibniz können als Leuchttürme<br />
gesehen werden. Zu den weiteren<br />
Wachstumsbranchen der Region zählt<br />
IRL unter anderem IT & ECommerce<br />
sowie Energie & Umwelttechnik.<br />
IRL geht es bei den Kommunikationsmaßnahmen<br />
vorrangig um die<br />
Generierung von Reichweite, hierzu<br />
werden Advertorials oder Anzeigen in<br />
überregionalen Medien geschaltet und<br />
Megaposter sowie Plakate an stark frequentierten<br />
Orten platziert. Dem Selbstverständnis<br />
nach ist IRL eine Servicegesellschaft,<br />
die ihr Hauptaugenmerk auf<br />
die persönliche Betreuung potenzieller<br />
Investoren durch das Akquisitionsteam<br />
legt. Mögliche Marketingmaßnahmen<br />
müssten also entsprechend personalisiert<br />
werden. Kontakte werden unter anderem<br />
auf Messen wie der MIPIM in Cannes und<br />
der Expo Real in München angebahnt.<br />
Die IHK wiederum hat die Unternehmen<br />
der Region im Blick: „Der Fokus der<br />
IHK liegt klar auf den Bestandsunternehmen,<br />
unseren Mitgliedsunternehmen, die<br />
bereits in der Wirtschaftsregion Leipzig<br />
ansässig sind und einen neuen Standort<br />
suchen“, unterstreicht IHKHauptgeschäftsführer<br />
Thomas Hofmann. Arbeitsschwerpunkt<br />
sei, die Bestandspflege nachhaltig<br />
und systematisch zu betreiben.<br />
EMMD hingegen denkt in größeren<br />
Zusammenhängen und hat die Vision,<br />
Mitteldeutschland bis 2030 zu den attraktivsten<br />
und innovativsten Wirtschafts,<br />
Wissenschafts und Kulturregionen in<br />
Europa zu entwickeln.<br />
Derweil lässt Leipzig seine Stärken für<br />
sich sprechen, die mitunter auch in Nischen<br />
stecken: In der Kommunikation<br />
werden Facetten wie das größte Gothic &<br />
WaveTreffen Europas eher am Rande erwähnt<br />
und andere, wie die relativ große<br />
Technoclubszene, gar nicht. Wirbt dafür<br />
aber mit „fast 100000 frisch renovierten<br />
und preiswerten Gründerzeitwohnungen“<br />
und dem Versprechen von „unbegrenztem<br />
Spaß, denn Leipzig kennt keine<br />
Sperrstunde“ um Studenten. Auch das ist<br />
Standortmarketing.
HORIZONT 22/2018 30. Mai 2018<br />
report REGIONALE KOMMUNIKATION 33<br />
<strong>Roter</strong> <strong>Bulle</strong><br />
<strong>trifft</strong> <strong>ins</strong> <strong>Herz</strong><br />
Vom Hass zum Kultobjekt: RB Leipzig ist für die Region zu<br />
einem wichtigen Image und Wirtschaftsfaktor avanciert<br />
VonJochen Zimmer<br />
Von Oberliga bis Champions<br />
League: Der rasante Aufstieg<br />
von RB Leipzig zwischen 2009<br />
und 2017 zählt zu den spektakulärsten<br />
in der deutschen Fußballclubgeschichte<br />
– und zu den umstrittensten.<br />
Denn das Kürzel RB für Rasenballsport<br />
steht auch für den Vere<strong>ins</strong>gründer, Investor<br />
und Hauptsponsor Red Bull – und<br />
stößt vor allem bei den Fans der Traditionsvereine<br />
auf lautstarke Ablehnung.<br />
Doch die Erfolgsgeschichte des angeblichen<br />
Retortenclubs ist nicht nur sportlicher<br />
Natur: Ebenso rasant hat sich RB<br />
Leipzig (RBL) in die <strong>Herz</strong>en der Fans in<br />
Stadt und Region gespielt und zu einem<br />
wichtigen Image und Wirtschaftsfaktor<br />
entwickelt. Laut einer repräsentativen<br />
Umfrage von Nielsen Sports unter Fußballinteressierten<br />
im Mai 2018 ist RBL der<br />
Lieblingsclub von 26 Prozent der Sachsen.<br />
In der Saison 2014/15 waren es erst 8<br />
Prozent. In Ostdeutschland inklusive Berlin<br />
ist die Beliebtheitskurve von unter 3<br />
Prozent auf aktuell17 Prozent geklettert.<br />
„Ein Verein wie RB Leipzig erzielt zudem<br />
pro Saison eine direkte ökonomische<br />
Wertschöpfung für die Region in<br />
Höhe eines niedrigen dreistelligen Millionenbetrags“,<br />
erläutert Sebastian Kube,<br />
Fußballexperte bei Nielsen Sports, und<br />
verweist auf Ausgaben für Übernachtung,<br />
Verpflegung und Shopping im Rahmen<br />
der Spieltage sowie Clubumsätze durch<br />
Medien und Sponsoringerlöse. „Zudem<br />
profitiert die Stadt von der umfassenden<br />
medialen Präsenz des Clubs mit hierzulande<br />
rund 1000 Stunden TVBerichterstattung<br />
und weltweit 10000 Stunden pro<br />
Saison“, so Kube. Dies erhöhe die Bekanntheit<br />
der Stadt und verändere die<br />
Wahrnehmung positiv.<br />
Für Timo Meynhardt ist die Strahlkraft<br />
von RBL in der Region und<br />
darüber hinaus jedoch kein Zufall,<br />
sondern resultiert aus der<br />
speziellen Konstellation. Der Professor für<br />
Wirtschaftspsychologie an der HHL Leipzig<br />
Graduate School of Management hatte<br />
2016 eine unabhängige Studie zum Gemeinwohlpotenzial<br />
des Clubs durchgeführt<br />
und kam bereits im Aufstiegsjahr in<br />
Liga 1 zu einem positiven Fazit – in dem er<br />
sich inzwischen mehr als bestätigt sieht.<br />
„Wir hätten nicht gedacht, dass sich die<br />
Schulterschluss: RB Leipzig hat sich in kürzester Zeit eine große Fanbasis in und um Leipzig erschlossen<br />
FOTO: FIRO SPORTPHOTO/ FABIAN SIMONS / DPA/PICTURE ALLIANCE<br />
Stadt so mit dem Club identifiziert“, sagt<br />
Meynhardt und sieht dies auch in der Tradition<br />
der stolzen Messe und Sportstadt<br />
Leipzig begründet (siehe Seite 32).<br />
Sport habe in der Stadt schon immer<br />
einen hohen Stellenwert und etablierte<br />
Strukturen <strong>ins</strong>besondere zur Talentförderung.<br />
Das von Sportdirektor Ralf<br />
Rangnick etablierte, auf Nachwuchsarbeit<br />
setzende Konzept von RBL entfalte in<br />
diesem Umfeld eine andere Kraft als etwa<br />
in Hoffenheim, wo Rangnick zuvor ebenfalls<br />
erfolgreich gewirkt hatte. „Das System<br />
RB Leipzig wird von der Stadt und<br />
dem Umland getragen und deshalb gehe<br />
ich von einer nachhaltigen Entwicklung<br />
aus“, sagt Meynhardt. RedBullGründer<br />
Dietrich Mateschitz habe sich bewusst für<br />
Leipzig entschieden und sei dem Projekt<br />
langfristig verbunden. Mit Geschäftsführer<br />
Oliver Mintzlaff hat soeben eine der<br />
neben Rangnick prägenden Figuren seinen<br />
Vertrag bis zum Jahr 2023 verlängert.<br />
„Es muss doch erlaubt sein, mit etwas<br />
Neuem zu beginnen“, sagte Mintzlaff,<br />
von HORIZONT Sportbusiness 2017 zum<br />
Player des Jahres gekürt, im Preisträger<br />
Interview zum Vorwurf fehlender Tradition:<br />
„Wir sind sehr stolz darauf, einen<br />
Ort zurück auf die FußballLandkarte gebracht<br />
zu haben – die regionale Verankerung<br />
ist sehr zentral für uns.“ Meynhardt<br />
bestätigt Mintzlaffs Aussage und sieht<br />
RBL als ersten postmodernen Club, der<br />
ohne das „Gefängnis“ Tradition neue und<br />
unterschiedliche Narrative e<strong>ins</strong>etzen<br />
könne – und dies auch tue. „Das unbedingte<br />
Bekenntnis zum Leistungsprinzip<br />
sowie zur Offenheit auf und neben dem<br />
Platz hat RB Leipzig bislang konsequent<br />
durchgehalten und damit auch der Region<br />
zu neuem Selbstbewusstsein verholfen“,<br />
sagt Meynhardt. Im nächsten Schritt<br />
komme es nun darauf an, dieses Bekenntnis<br />
zur Region noch klarer zu festigen.<br />
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