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248. Ausgabe, ET 09.06.2018

Dümmste Deutschtümelei: Man kann den türkischen Staatspräsidenten Erdogan als Autokrat kritisch beurteilen, ohne die Fußballspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan in die Ecke der Büßer zu stellen. Denn das ist nur populistisches Gift. Von Michael Zäh

Dümmste Deutschtümelei: Man kann den türkischen Staatspräsidenten Erdogan als Autokrat kritisch beurteilen, ohne die Fußballspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan in die Ecke der Büßer zu stellen. Denn das ist nur populistisches Gift. Von Michael Zäh

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2<br />

INTERVIEW<br />

INTERN<strong>ET</strong>SUCHT<br />

Samstag, 9. Juni 2018<br />

Es gibt viele Gründe, dem sozialen<br />

Netzwerk den Rücken zu kehren.<br />

Das fällt vielen Nutzern jedoch<br />

nicht leicht, denn der Konsum von<br />

Social Media kann zur Sucht werden.<br />

Im gerade neu erschienenen Buch „Klick<br />

und weg“ erklären der Autor Ben Springer<br />

und der österreichische Facharzt für<br />

Psychiatrie und Suchtmedizin, Kurosch<br />

Yazdi, auf ungewöhnliche Weise fast<br />

comicartig, worin die Gefahr von Facebook<br />

und Co. liegt und wie es gelingen<br />

kann, der Sucht zu entkommen. Ein<br />

Gespräch mit Kurosch Yazdi über immer<br />

jünger werdende Handynutzer und<br />

-nutzerinnen und wie man sie vor der<br />

Internetsucht schützt.<br />

ZaS: Wie kamen Sie auf diese ungewöhnlichen<br />

Buchgestaltung?<br />

Kurosch Yazdi: Ich habe bereits ein<br />

Sachbuch zu diesem Thema geschrieben,<br />

2013 mit dem Titel „Junkies wie<br />

wir“. Ich habe viel positives Feedback<br />

für dieses Buch bekommen, aber<br />

von Leuten, die genauso denken wie<br />

ich. Die Menschen, die diese Infos<br />

bräuchten, die lesen ja kaum Bücher.<br />

Da hatte Ben Springer diese Idee<br />

etwas Poppiges zu machen, ein Buch<br />

für Menschen, die sonst gar nicht<br />

unbedingt lesen. Ich habe dazu den<br />

fachlichen Inhalt geliefert.<br />

ZaS: Sie begegnen also auch beruflich<br />

dieser Abhängigkeit zu sozialen<br />

Netzwerken?<br />

Yazdi: Tagtäglich. Ich leite eine Suchtklinik,<br />

wir behandeln viele Menschen,<br />

die Alkohol- oder Drogenprobleme<br />

haben oder medikamentenabhängig<br />

sind. Wir haben aber auch eine<br />

Ambulanz für Verhaltenssüchte. Da<br />

haben wir ursprünglich viele Glücksspielsüchtige<br />

behandelt, manchmal<br />

auch Kaufsüchtige. Doch mittlerweile<br />

werden wir überrannt von jungen<br />

Menschen, die internet- oder handysüchtig<br />

sind. Genaugenommen von<br />

deren Eltern.<br />

ZaS: Wie alt sind die Betroffenen?<br />

Yazdi: Sie werden immer jünger.<br />

Als wir 2010 unsere Verhaltensambulanz<br />

eröffnet haben, da waren es<br />

vor allem etwa 25-jährige Studierende<br />

die kamen, weil sie<br />

computerspielsüchtig waren,<br />

zum Beispiel nach „World of<br />

Warcraft“. Mittlerweile haben<br />

wir Neunjährige, die computerspielsüchtig<br />

sind! Und<br />

elfjährige Mädchen, die von<br />

den sozialen Netzwerken gar<br />

nicht mehr wegkommen.<br />

ZaS: Aber ein Entzug ist bei Such-<br />

terkrankungen doch nur möglich,<br />

wenn der Patient kooperiert?<br />

Yazdi: Das ist richtig. Eine vollwertige<br />

Suchterkrankung liegt aber gottseidank<br />

bei den Neunjährigen noch<br />

nicht so häufig vor, wohl aber bei den<br />

16- bis 18-Jährigen. Wir versuchen<br />

diese zu einer Behandlung zu motivieren.<br />

Es geht hauptsächlich um<br />

eine psychotherapeutische Behandlung,<br />

Medikamente setzen wir hier<br />

kaum ein. Aber darauf muss man<br />

sich einlassen, sonst wirkt es nicht.<br />

Wir bieten auch eine Elternberatung<br />

an. Das Problem ist, dass die jungen<br />

Menschen extrem viel konsumieren,<br />

Internet, Facebook und so weiter,<br />

und da braucht es ein erzieherisches<br />

Eingreifen der Eltern.<br />

ZaS: Sie sind ja auch selbst Vater.<br />

Welche Maßnahmen würden Sie<br />

Eltern denn empfehlen, um einer<br />

solchen Sucht vorzubeugen?<br />

Yazdi: Ich bekenne mich dazu, dass ich<br />

nicht nur weil ich mich fachlich gut<br />

auskenne es auch mit dem eigenen<br />

Kind schaffe. Man muss ehrlich sagen,<br />

Erziehung ist eine schwierige Aufgabe,<br />

und es ist normal, dass man als Eltern<br />

oft ambivalent ist und nicht weiß,<br />

ob etwas der richtige Weg ist. Mir geht<br />

es auch nicht anders. Aber die Frage<br />

ist, wie schaffe ich es, dass etwas nicht<br />

zur Sucht wird, obwohl es inzwischen<br />

normal ist für Kinder ein Handy zu<br />

Süchtig<br />

Kurosch Yazdi, Psychiater und Suchtmediziner, über Internetsucht bei<br />

Kindern und Jugendlichen. Interview von Barbara Breitsprecher<br />

haben? Die Antwort ist dieselbe wie<br />

bei Süßigkeiten. Es ist normal, dass<br />

Neunjährige Schokolade essen. Aber<br />

wie viel Schokolade sie essen, müssen<br />

Eltern begrenzen. Wenn ich ein Kind<br />

habe, das übergewichtig ist, dann<br />

muss ich als Elternteil bestimmen, wie<br />

viel Schokolade es noch essen darf.<br />

Ich kann diese Entscheidung nicht<br />

dem Kind überlassen. Beim Internet<br />

oder Handy geht es darum, welche<br />

Inhalte und wie viel konsumiert das<br />

Kind.<br />

ZaS: Woran erkennt man eine Suchterkrankung?<br />

Yazdi: Sucht ist eine chronische Erkrankung,<br />

die nicht von einem Tag auf<br />

den anderen entsteht. Jemand konsumiert<br />

übermäßig – ob Alkohol oder<br />

Internet – über eine längere Zeit, so<br />

dass sich das Gehirn so daran gewöhnt,<br />

dass es ohne diesen Faktor protestiert.<br />

ZaS: Wie sehen die Entzugserscheinungen<br />

aus?<br />

Yazdi: Schlafstörungen. Nehmen Sie<br />

einem 16-jährigen Mädchen, das<br />

täglich sieben Stunden irgendetwas<br />

mit dem Handy tut, das Gerät weg,<br />

dann wird es drei Tage nicht schlafen<br />

können. Aus lauter Angst, etwas<br />

zu verpassen. Der Fachbegriff<br />

dafür ist FOMO, Fear Of Missing<br />

Out. Auch wenn Sie einem Alkoholiker<br />

den Alkohol wegnehmen, kann<br />

er nicht mehr schlafen. Ebenso bei<br />

Marihuanasüchtigen. Ein weiteres<br />

Zeichen von Entzugserscheinung ist<br />

Gereiztheit. Wenn Sie einem Nikotinsüchtigen<br />

die Zigarette wegnehmen ist<br />

er sehr gereizt. Und genauso reagieren<br />

internetsüchtige Kinder und Jugendliche,<br />

wenn Sie ihnen das Handy wegnehmen<br />

oder das WLAN abschalten.<br />

ZaS: Ist es also entscheidend, ab wann<br />

ein Kind ein Handy bekommt?<br />

Yazdi: Die Frage stellt sich, aber<br />

es gibt darauf eigentlich keine<br />

Antwort. Es ist auch von Kultur<br />

zu Kultur unterschiedlich. In<br />

Japan oder Taiwan hat schon<br />

jedes siebenjährige Kind<br />

ein Smartphone. Bei uns<br />

inzwischen vielleicht<br />

ab elf oder zwölf Jah-<br />

ren. Außerdem verschiebt sich das mit<br />

der Zeit. Vor zehn Jahren hat noch kein<br />

Zwölfjähriger ein Handy gehabt.<br />

ZaS: Aber wenn man es nicht am Alter<br />

festmachen sollte, an was dann?<br />

Yazdi: Es kommt vor allem darauf an,<br />

ob die Eltern diesen Konsum begleiten<br />

oder nicht. Das bedeutet zu sagen, du<br />

kannst schon ins Internet, aber ich<br />

sitze daneben. Und zwar nicht nur um<br />

dich zu kontrollieren, sondern um mit<br />

dir gemeinsam im Internet etwas zu<br />

tun. Mein Sohn ist fünf Jahre alt und<br />

ich gehe mit ihm gelegentlich in einen<br />

Wasserpark mit Wasserrutschen. Da<br />

gehe ich mit ihm zusammen hin, ich<br />

schicke ihn nicht alleine. Er darf also<br />

sozusagen Wasserrutschen konsumieren,<br />

aber ich mache mit. Wir machen<br />

das gemeinsam.<br />

ZaS: Wenn also ein Kind ein Handy<br />

hat…<br />

Yazdi: Das ist noch ein wichtiger Punkt:<br />

Wir müssen weg von dem Gedanken,<br />

dass ein Kind ein Handy hat. Ein Kind<br />

hat gar kein Handy. Die Eltern haben<br />

das Handy und verleihen es ihren Kindern.<br />

Wer zahlt denn bitte die Gebühren<br />

oder die Wertkarte fürs Handy? Das<br />

Handy ist auf den Namen der Eltern<br />

angemeldet, sie sind also die Besitzer.<br />

Die Eltern können also ihr Handy dem<br />

Kind borgen, aber eben zu bestimmten<br />

Bedingungen. Und wenn diese nicht<br />

eingehalten werden, dann können<br />

die Eltern ihr Handy dem Kind wieder<br />

wegnehmen. Das ist Quatsch, dass wir<br />

einem Neunjährigen zum Geburtstag<br />

ein Handy schenken. Wenn, dann<br />

schenke ich mir selber als Erwachsener<br />

ein Handy und verleihe es dann.<br />

ZaS: Ex-Manager von Google und<br />

Facebook haben vor kurzem vor der<br />

digitalen Entwicklung gewarnt und<br />

eingeräumt, dass ein Suchtpotenzial<br />

bewusst mit eingebaut wurde. Kann<br />

man sich dem also nicht entziehen?<br />

Yazdi: Doch, doch. Nur weil etwas<br />

verlockend ist, heißt es nicht, dass<br />

wir wehrlos sind. Wir können auch<br />

widerstehen. Das machen wir doch<br />

auch bei Schokolade. Ich bin der<br />

süßen Versuchung ja nicht ausgeliefert<br />

und muss jeden Tag fünf<br />

Kilo Schokolade essen. Manche tun<br />

sich leichter, manche schwerer, ihren<br />

Konsum in den Griff zu bekommen.<br />

Aber von einem Neunjährigen kann<br />

ich nicht erwarten, dass er seinen<br />

Internet- oder Schokoladenkonsum<br />

selbstständig reguliert. Da muss man<br />

als Elternteil ein Auge darauf haben.<br />

ZaS: Finden Sie es in der heutigen<br />

Zeit vertretbar, wenn jemand soziale<br />

Netzwerke komplett ablehnt?<br />

Yazdi: Wir müssen uns nicht versklaven<br />

lassen von der Industrie. Es<br />

muss in Ordnung sein, wenn man<br />

nicht auf Facebook ist. Es gibt ja auch<br />

Menschen, die in Städten leben und<br />

bewusst auf ein Auto verzichten. Aber<br />

man muss teilhaben an der normalen<br />

Kommunikation in der Gesellschaft.<br />

Die normalste Kommunikation ist die<br />

von Angesicht zu Angesicht. Mittlerweile<br />

normal ist es auch miteinander zu<br />

telefonieren. Das Problem an den sozialen<br />

Netzwerken ist, dass es ganz viele<br />

Menschen gibt, die man persönlich gar<br />

nicht kennt, aber die als ‚super Freunde‘<br />

gelten. Das macht keinen Sinn. Ich<br />

kann 300 Facebook-Freunde haben,<br />

aber wenn ich im Krankenhaus liege,<br />

bin ich gespannt, wie viele von denen<br />

kommen und mir Blumen bringen.<br />

ZaS: Was macht echte Kommunikation<br />

also aus?<br />

Yazdi: Wenn ich mit einem Menschen<br />

vor mir kommuniziere, sehe ich seine<br />

Mimik, ich höre seine Stimme, ich sehe<br />

seine Gestik, ich kann ihn anfassen,<br />

zum Beispiel beim Händeschütteln,<br />

ich rieche ihn, sowohl bewusst, aber<br />

auch unbewusst, seine Hormone. Ich<br />

nehme diesen Menschen vor mir also<br />

mit vielen verschiedenen Sinnen wahr.<br />

Das alles kann ich im Internet nicht.<br />

90 Prozent unserer Kommunikation<br />

ist nonverbal. Aber online habe ich ja<br />

nur das Verbale, das gesprochene oder<br />

geschriebene Wort. Wie kann das auf<br />

Dauer eine gesunde, sinnvolle Kommunikation<br />

sein?<br />

■ „Klick und weg. Das Facebook-<br />

Aufhörbuch“, Ben Springer und<br />

Kurosch Yazdi, edition a Verlag Wien,<br />

2018, ISBN: 978-3-99001-265-9

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