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Der Kamm der Hexe - Reckless

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Es hieß, dass sie es liebten, sich unter Menschen zu mischen,<br />

bei einem Ball, in <strong>der</strong> Oper … die Finsternis versteckt unter Schönheit.<br />

„Warum fressen sie Kin<strong>der</strong>?“, hatte Jacob Chanute gefragt,<br />

nachdem er ihm von einer <strong>Hexe</strong> erzählt hatte, die angeblich mehr als<br />

tausend Kin<strong>der</strong> gefangen hatte. „Werden sie so geboren? Wie Menschen-<br />

fresser?“<br />

„Nein, sie tun es freiwillig“, hatte Chanute geantwortet. Er war<br />

ausnahmsweise nicht betrunken gewesen. „Es gibt Zauber, die man nur in <strong>der</strong><br />

Dunkelheit lernt. Du musst dir dafür alle Unschuld aus dem Herzen brennen.<br />

Mitgefühl, Liebe, weg damit ... und das geht am besten, indem du die tötest, die<br />

noch viel von all dem haben. Du verkaufst deine Seele, um die Finsternis zu<br />

beherrschen. Und irgendwann frisst sie dich. Mit Haut und Haar.“<br />

<strong>Der</strong> Schminktisch <strong>der</strong> <strong>Hexe</strong> hatte eine Schublade. Jacob zog sie auf.<br />

Da lag er. Ein <strong>Kamm</strong> aus Vogelknochen. Jacob fuhr mit dem Finger über<br />

den haarfeinen Silberdraht, <strong>der</strong> sie zusammenhielt.<br />

„Wie alt bist du?“<br />

Die Stimme klang so süß wie <strong>der</strong> Kuchen, mit dem sie ihr Haus beklebte.<br />

Und offenbar konnte sie ebenso lautlos auftreten wie ihre Katze.<br />

Er würde Chanute umbringen. Er würde ihn mit seiner präparierten<br />

Munition erschießen. Ihn in den Brunnen <strong>der</strong> <strong>Hexe</strong> werfen. O<strong>der</strong> in Schnaps<br />

ertränken. Nur schade, dass du zu all dem nicht kommen wirst, Jacob, weil die<br />

Kin<strong>der</strong>fresserin dich vorher umbringen wird.<br />

Er drehte sich um.<br />

Nein, sie war nicht mehr schön. Sie war bereits dabei, ihre Fähigkeit zu<br />

verlieren, sich das Gesicht zu geben, das sie wollte. <strong>Der</strong> finstere Hunger hatte<br />

ihr Schatten um die Augen gelegt und scharfe Linien um den Mund.<br />

„Sechzehn,” antwortete Jacob.<br />

Zu alt, um dir zu schmecken, wollte er hinzufügen. Aber da ihr Haus ihn<br />

eingelassen und ihre Zauberdinge unter seinen Fingern nicht zu Staub zerfallen<br />

waren, hatte Chanute ihn vielleicht auch darüber belogen.<br />

„Weißt du, was ich mit Dieben wie dir mache?”, gurrte sie. „Ich verwandle<br />

sie in einen Kuchen und klebe sie hoch oben an meinen Schornstein, wo die<br />

Vögel an ihnen picken, bis nichts von ihnen übrig ist als ein paar<br />

trockene Krümel und etwas Zuckerguss.“<br />

Jacob war nicht sicher, ob das besser als <strong>der</strong> Tod im<br />

Ofen klang.<br />

Warum hatte er die Pistole nicht in <strong>der</strong> Hand<br />

behalten?<br />

© Cornelia Funke | Dressler Verlag GmbH 2012 | www.funke-reckless.de Illustration: Marion Hirsch/Dressler vVrlag<br />

© Cornelia Funke | Dressler Verlag GmbH 2012 | www.funke-reckless.de � Illustration: Marion Hirsch/Dressler Verlag

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