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Wege zur Sensibilität<br />
Corinne Gisel<br />
Von der Arbeit als Reportagefotograf zum Vermitteln von zeitgenössischer Fotografie als Kurator<br />
einer Galerie, über das Herausgeben von Büchern im eigenen Verlag bis hin zu einer langjährigen<br />
Praxis als grafischer Gestalter: Hanns Schmid hat auf seinem Lebensweg viele verschiedene Pfade<br />
der Kreativität beschritten. So vielfältig diese Tätigkeiten erscheinen, so ähnlich sind sie einander.<br />
Denn sie alle bedürfen einer hohen Sensibilität zur sinnlichen Wahrnehmung der Welt.<br />
Eröffnung in der Eingrenzung<br />
Eine Fotografie, ein Ausstellungsraum, eine Buchseite, ein Plakat, der Sucher einer Filmkamera –<br />
sie alle haben eine grundlegende Gemeinsamkeit: sie basieren auf einem definierten Format, innerhalb<br />
dessen etwas kreiert wird. Wie die Leinwand eines Malers geben sie einen Rahmen vor,<br />
in dem sich ein Sinneseindruck materialisiert und manifestiert. Für Hanns Schmid nahm diese kreative<br />
Einrahmung mit dem Blick durch die Fotokamera ihren Anfang. Die Hände um die Kamera,<br />
das Auge an den Sucher gelegt, begann er die Welt, wie sie vor ihm lag, neu zu erleben. Ein Rahmen<br />
ist nicht per se eine Einschränkung, sondern vielmehr eine Fokussierung und Eröffnung. Der<br />
Sucher einer Kamera konzentriert den Blick und sensibilisiert damit auch die Art, wie man der Welt<br />
gegenüber tritt.<br />
1980 besuchte Hanns Schmid die Ausstellung «L’Agence Magnum» im Kloster Saint-Ursanne, welche<br />
Bilder dieser berühmten Fotoagentur präsentierte. Im Kreuzgang des Klosters wurde er zum<br />
ersten Mal direkt mit der klassischen Reportagefotografie konfrontiert. Die Fotografie ist wie ein<br />
kurzes Anhalten der Welt. Ein vergänglicher Moment wird in einem Bild festgehalten. Bilder können<br />
die Sprache verschlagen, sie können eine Wirkung entfalten, die sich nicht verbalisieren lässt.<br />
Eine überwältigende Erfahrung, nach der für Hanns Schmid etwas klar war: «Ich bin hinausgegangen<br />
mit dem Wissen, dass ich von jetzt an Fotografie machen werde.»<br />
Hanns Schmids bisheriger Lebensweg nahm an diesem Punkt eine entscheidende Wendung. Er las<br />
alles über Fotografie, was er finden konnte, studierte Fotoreportagen in diversen Zeitschriften<br />
und begab sich schliesslich in die Strassen, um zu fotografieren. So reiste er eigens für die Suche<br />
nach Bildern und nach dem Bildermachen in verschiedene südeuropäische Länder. Denn Reportagefotografie<br />
ist in erster Linie Machen. Genau beobachten, durch die Strassen gehen, Leuten folgen,<br />
immer aufmerksam sein, ausdrucksstarke Momente erkennen, Licht und Schatten im Auge<br />
behalten, den Auslöser drücken. Als freier Mitarbeiter konnte er in der Folge für verschiedene Tageszeitungen<br />
und für Zeitschriften wie Nikon News, Fotografie und Basler Magazin Reportagen<br />
fotografieren.<br />
Ob es eine nachdenklich aus dem Zug blickende alte Frau war, zwei Männer, die aneinander vorbeilaufen<br />
und für eine Sekunde lang zu einer Form verschmelzen, oder eine römische Vase, aus<br />
der Wolkenrauch aufsteigt; Hanns Schmid beobachtete die Welt um sich herum und suchte darin<br />
nach den sinnlichen Momenten, die sich im Blickfeld der Kamera verdichten. Die Fotografie bildet<br />
Wirklichkeit nicht einfach ab, sondern konstruiert ihre eigene. Hanns Schmid hat sein gesamtes<br />
Leben eben diesem Erspüren und Kreieren von Sinneserfahrungen verschrieben. Die Fotografie<br />
sollte dabei nur ein erster Schritt sein.<br />
Eine andere Seite<br />
Der Zufall brachte Hanns Schmid eines Tages in die Galerie zur Stockeregg in Zürich. Diese auf klassische<br />
und zeitgenössische Fotografie spezialisierte Galerie war 1979 als eine der ersten Fotogalerien<br />
Europas vom Schweizer Kaspar M. Fleischmann gegründet worden. Seit Anbeginn war es dessen<br />
Ziel, Interesse und Verständnis für die Fotografie als Kunstrichtung zu fördern. Als Hanns<br />
Schmid die Galerie zum ersten Mal betrat, zeigte diese gerade Bilder des deutsch-österreichischen<br />
Fotografen Heinrich Kühn. Hanns Schmid wusste sofort, dass es sich dabei um einen wichtigen<br />
Vertreter des Pictorialismus handelte, einer Bewegung des späten 19. Jahrhunderts, die auf eine<br />
malerische Bildwirkung setzte. «Ich wusste, das ist eigentlich Museumsfotografie, und im freien<br />
Handel fast nicht mehr vorhanden», erinnert er sich. In den Räumen der Galerie übertrug sich das<br />
Wissen über Fotografie, welches er sich selbst angeeignet hatte, auf reale Werke – und auf ein<br />
neues Format, den Ausstellungsraum.<br />
«Das war für mich ein Eldorado der Fotografie», sagt Hanns Schmid. Immer wieder kam er in die<br />
Galerie zurück, immer öfter entstanden Gespräche mit dem Besitzer. So kam es, dass Hanns Schmid<br />
1983 hier die Kuration für die zeitgenössische Fotografie übernahm. Es ging nun nicht mehr darum,<br />
selbst Fotografie zu machen, sondern sie zu beurteilen und zu vermitteln. Er wechselte auf eine<br />
andere Seite. Aus einer praktischen Beschäftigung mit der Fotografie wurde eine intellektuelle<br />
Auseinandersetzung.<br />
Unter Hanns Schmids Leitung entwickelte sich die Galerie zur Stockeregg zu einem kleinen Zentrum<br />
für zeitgenössische Fotografie in der Schweiz. Neben Ausstellungen veranstaltete er auch<br />
Vorträge zur Geschichte der Fotografie, die zahlreich besucht wurden. Als Kurator war es ihm<br />
zudem ein Anliegen, weniger bekannte fotografische Talente ans Licht zu bringen, und damit das<br />
Fotografieverständnis in der Schweiz zu fördern. So organisierte er 1984 beispielsweise eine Ausstellung<br />
mit Bildern des jungen Landschaftsfotografen Peter Gasser. Dessen Bilder standen in der<br />
Tradition des amerikanischen Fotografen Ansel Adams, eines Befürworters der straight photography,<br />
welche die der Fotografie eigenen Qualitäten, wie zum Beispiel die Tiefenschärfe, hervorhob<br />
und sich damit bewusst gegen die malerischen Ansprüche des Pictorialismus stellte. Die Bilder von<br />
Ansel Adams waren zu der Zeit zwar bereits kostspielige Sammlerstücke; in der Schweiz hatte die<br />
Fotografie damals jedoch noch keinen so hohen Sammlerwert. Doch die Ausstellung von Peter<br />
Gasser war ein Erfolg und fand grosses Interesse. Mit seiner mehrjährigen Tätigkeit in der Galerie<br />
trug Hanns Schmid so auch zur Reputationssteigerung der zeitgenössischen Fotografie in der<br />
Schweiz bei. Neben dem Ausstellen liess er die Werke von ausgewählten Fotografen auch in Buchform<br />
weiterleben. Wie die Fotografie brachte er sich auch die Buchgestaltung autodidaktisch bei.<br />
Für die Publikationen, die er während seiner Galeriezeit verantwortete, orientierte er sich an amerikanischen<br />
Vorbildern: Eine Seite – ein Bild; daneben Text, um so den Fokus des Betrachters auf<br />
die Fotografien zu konzentrieren. In der Ausstellungs-, vor allem aber auch in der Buchgestaltung,<br />
realisierte sich für Hanns Schmid eine Fusion von Vermittlung und Kreation.<br />
1986 verliess Hanns Schmid die Galerie zur Stockeregg, um bei der Schweizerischen Bankgesellschaft<br />
das Ressort für kulturelle Veranstaltungen zu übernehmen. Nach kurzer Zeit verstärkte sich<br />
jedoch sein Wunsch, wieder mehr selbst zu kreieren, und weniger als Veranstalter zu wirken. So<br />
fand er zurück zum Medium Buch und gründete einen eigenen Buchverlag, die Edition Schmid.<br />
Seine erste Publikation befasste sich mit dem Archiv der Basler Fotografendynastie Höflinger. Dazu<br />
gesellten sich Bücher über Kunst und Gestaltungsunterricht. 1987 erarbeitete er ausserdem für die<br />
Schweizerische Bankgesellschaft das Konzept für den Grossen Fotopreis der Schweiz, samt Gestaltung<br />
des Katalogs und der Ausstellung. Es waren seine Vorliebe für das Buch und für das Gestalten<br />
im Allgemeinen, welche ihn fortan weitertreiben sollten.<br />
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