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ML_05_2018_Die Oper aller Opern als Missa Solennissima

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Don Giovanni fliegt aus:<br />

<strong>Die</strong> «<strong>Oper</strong> <strong>aller</strong> <strong>Oper</strong>n»<br />

<strong>als</strong> «<strong>Missa</strong> <strong>Solennissima</strong>»<br />

Ein überraschender Fund beweist: auf den Text «Anbetung, Preis und Ehre»<br />

Auch im Kloster wollte man auf die durchging, was die «Fliegenden Blätter für<br />

tolle <strong>Oper</strong>nmusik Mozarts nicht katholische Kirchenmusik» im Jahre 1866<br />

verzichten. Besonders nicht auf die zu einer tüchtigen Schelte veranlasste:<br />

«<strong>Oper</strong> <strong>aller</strong> <strong>Oper</strong>n», wie Wolfgang «Offenbar ist diese Melodie durch und<br />

Amadeus Mozarts «Don Giovanni» durch sinnlich, wollüstig [...] Durch die<br />

von E.T. A. Hoffmann bezeichnet Unterlage eines frommen Textes wird die<br />

wurde. So bearbeitete ums Jahr 1825 Melodie nicht besser: sie wirkt wollüstig;<br />

ein anonymer Musiker – es darf ein und es macht keinen Unterschied, ob ich<br />

Mönch vermutet werden – kurzerhand<br />

die vom umtriebigen Frauen-<br />

unter weltlichen Gesprächen einnehmen<br />

Jemanden Arsenik unter frommen oder<br />

verführer handelnde <strong>Oper</strong> Mozarts lasse.» 2<br />

zu einer vollständigen katholischen<br />

Fest messe.<br />

«Mozarts schwächste Werke»<br />

Don Giovanni oder auch Don Juan, wie<br />

Von Martin Hobi<br />

die Figur und der Stoff in spanischer Sprache<br />

benannt werden, haben besonders<br />

«Vier Männer. Drei Frauen. Eine Leiche.» in der <strong>Oper</strong> Mozarts eine fulminante<br />

<strong>Die</strong>s die Ganz-Kurz-Fassung von Clemens Wirkungsgeschichte erfahren. Von Prag<br />

Prokop in der Einleitung seines kompakten<br />

<strong>Oper</strong>nführers. 1 Natürlich geht die Ge-<br />

zum Kernrepertoire der <strong>Oper</strong>nhäuser. Zur<br />

ausgehend gehörte diese <strong>Oper</strong> schon bald<br />

schichte in den Details etwas verzwickter, «bevorstehenden 100. Jubelfeier» publizierte<br />

1887 Rudolf von Freisauff eine<br />

die <strong>Oper</strong> braucht somit länger und die<br />

Wartezeit auf den auch bühnentechnisch sehr ansehnliche Bühnenstatistik, die Aufführungen<br />

in Argentinien, Amerika und<br />

herausfordernden, wie attraktiven Untergang<br />

des Protagonisten wird mit schönen Russland bereits in den 1820-er Jahren<br />

Arien versüsst. <strong>Die</strong>se sind derart attraktiv, nachweist. 3 In der Schweiz waren die<br />

dass «La ci darem la mano» schon bald in Berner die Schnellsten: 1812. Schriftsteller<br />

wie E.T.A. Hoffmann, Nikolaus Lenau<br />

bayrischen Kirchen <strong>als</strong> chorisches «Gloria»<br />

Nichts für Cäcilianer: «Reich mir die Hand, mein Leben» <strong>als</strong> Gloria-Paraphrase (1866)<br />

und Eduard Mörike hatten in der ersten<br />

Hälfte des 18. Jahrhunderts, respektive auf<br />

das Jahr 1856, auf den 100. Geburtstag<br />

Mozarts, sich literarisch am Stoff abgearbeitet<br />

und selbst der diesjährige 200<br />

Jahre feierende Jubilar Charles Gounod<br />

verzichtete nicht auf einen knapp 150<br />

Seiten umfassenden <strong>Oper</strong>nbeschrieb. 4<br />

Übernahmen oder Verarbeitungen von<br />

ursprünglich für den weltlichen Gebrauch<br />

bestimmten Melodien zu geistlichen<br />

Werken finden sich in der Kirchenmusikgeschichte<br />

häufig. So gehören «geistlich<br />

überführte» Lieder, wie «In dir ist<br />

Freude», «O Haupt voll Blut und Wunden»<br />

oder «O wunderbare Speise» zum<br />

Kernbestand einer singenden Gemeinde.<br />

Bereits vor und ums Jahr 1500 entdeckt<br />

man in Messkompositionen von Guillaume<br />

Dufay, Josquin Desprez, und anderen<br />

mehr, die Einarbeitung der kriegsmobilmachenden<br />

Liedfanfare «L’homme armé».<br />

<strong>Die</strong>sem Treiben schaute die Kirche nicht<br />

allzu lange untätig zu, galt es doch, sich<br />

selbst rein und von weltlichen Einflüssen<br />

fernzuhalten («nil impurum aut lascivum»<br />

5 ). So verbot das Konzil von Trient<br />

in der Mitte des 16. Jahrhunderts diese<br />

sogenannten Parodiemessen und später<br />

machte der strenge Cäcilianismus im 19.<br />

Jahrhundert gleich mit allen «zu fröhlichen»<br />

Messen Mozarts und Haydns für<br />

die nächsten knapp 150 Jahre Schluss.<br />

Dazu der oben erwähnte Vorausdenker<br />

Hoffmann: «Mag es hier unverholen gesagt<br />

werden, dass selbst der, in seiner Art<br />

so grosse, unsterbliche J. Haydn, selbst<br />

der gewaltige Mozart, sich nicht rein erhielten<br />

von dieser ansteckenden Seuche


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des weltlichen, prunkenden Leichtsinns.<br />

Mozarts Messen, die er jedoch bekanntlich<br />

auf erhaltenen Auftrag nach der ihm<br />

vorgeschriebenen Norm componirte, sind<br />

beynahe seine schwächsten Werke.» 6<br />

Unterhaltende Kirchenmusik<br />

Nach der Französischen Revolution von<br />

1789 gehörte eine unterhaltende Kirchenmusik<br />

gleichsam zur Überlebensstrategie<br />

der katholischen Kirche. Zeitgenössische<br />

Schilderungen über die damalige Ausführung<br />

der Kirchenmusik gibt es genügend.<br />

Im zeitlichen Abstand lesen sich diese<br />

meist recht vergnüglich. Zusätzlich muss<br />

beachtet werden, dass das dam<strong>als</strong> florierende<br />

Klosterwesen eine hohe Selbständigkeit<br />

und Unabhängigkeit aufwies. So<br />

musizierte man in diesen Mauern recht<br />

eigenwillig, unbesehen des cäcilianischen<br />

Reformgedankens einer a cappella- und<br />

Palestrina-betonten Musik, weiterhin mit<br />

«Zopf und Puder» virtuos voran. Auch in<br />

der Schweiz, wie der Tagebucheintrag<br />

vom 24. August 1831 von Felix Mendelssohn<br />

aus dem Kloster Engelberg beweist:<br />

«So nahm ich [<strong>als</strong> Organist] denn meinen<br />

Platz mitten unter den Mönchen, der<br />

wahre Saul unter den Propheten. Neben<br />

mir strich ein böser Benediktiner den<br />

Kontrabass, einige andere Geige, einer<br />

der Honoratioren geigte vor, der pater<br />

praeceptor stand vor mir, sang Solo und<br />

dirigierte mit einem armdicken, langen<br />

Prügel, die Eleven des Klosters machten<br />

den Chor in ihren schwarzen Kutten, ein<br />

alter, reduzierter Landmann spielte auf<br />

einer alten, reduzierten Hoboe mit, und<br />

ganz in der Ferne sassen zwei und tuteten<br />

still in grosse Trompeten mit grünen<br />

Quasten. Und mit alledem war das Ding<br />

sehr erfreulich; man musste die Leute<br />

liebhaben, denn sie hatten Eifer und arbeiteten<br />

alle, so gut sie konnten. Es wurde<br />

eine Messe von Emmerich gegeben, jeder<br />

Ton hatte seinen Zopf und seinen Puder.<br />

Szenen aus «Don Giovanni». Federzeichnung von Franz Stassen in Eduard Mörikes «Mozart auf der<br />

Reise nach Prag» in einer Ausgabe von 1920<br />

[…, ich] musste am Ende auf Begehren<br />

des Prälaten einen Marsch spielen, so hart<br />

es mir auf der Orgel ankam und wurde<br />

ehrenvoll entlassen.» 7<br />

Mit der Umarbeitung von weltlichen<br />

Highlights zu Messordinarien – Beispiele<br />

finden sich mit Luigi Gattis «Schöpfungsmesse»<br />

auf Joseph Haydns «Schöpfung»<br />

oder in anonymen Mess-Bearbeitungen<br />

zu Mozarts «Le nozze di Figaro» oder<br />

zur «Zauberflöte» – verfolgten die musikalischen<br />

Bearbeiter wohl ein zweifaches<br />

Anliegen: Erstens wollte man auf die<br />

«schönen Melodien» und musikalischen<br />

Meisterwerke weltlicher Provenienz nicht<br />

verzichten und zweitens konnten sie die<br />

im Gottesdienst versammelten Personen<br />

dank den bereits «von der Gasse» vertrauten<br />

Melodien sogenannt «abholen». Das<br />

Singen und Pfeifen von <strong>Oper</strong>nmotiven in<br />

der Öffentlichkeit ist belegt. <strong>Die</strong>se Abhol-<br />

Situation gehört auch in der heutigen<br />

kirchenmusikalischen Praxis meist zum<br />

schlagenden, «pastoralen» Argument.<br />

Man singt, spielt und hört, was einem<br />

bereits in etwa vertraut ist. Formen der


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<strong>Die</strong> Ouvertüre der <strong>Oper</strong> <strong>als</strong> «Dona nobis pacem» (um 1825)<br />

Popularmusik sowie auch die Jodel- und Dramatik der originalen <strong>Oper</strong>nouvertüre<br />

Tangomessen geben davon Ausdruck. im mess-beschliessenden Satz Agnus Dei<br />

verarbeitet oder eine vom Widerstreit von<br />

Ein anonymer Kenner und Könner Liebes- und Rachegefühlen <strong>Oper</strong>narie wird<br />

Ein erster Hinweis auf die Existenz einer zum «Et incarnatus est» und «Crucifixus»<br />

aus dem «Don Giovanni» herausgearbeiteten<br />

Messe findet sich in einer drei-<br />

innerhalb des Credo.<br />

zeiligen Fussnote im «Mozart-Jahrbuch Grossbesetzte <strong>Oper</strong>numarbeitung<br />

1957». 8 In der oberbayrischen Benediktinerabtei<br />

Scheyern steckten in einem mit de, grossangelegte Messbearbeitung ent-<br />

<strong>Die</strong> etwa eine Dreiviertelstunde dauern-<br />

«<strong>Missa</strong> <strong>Solennissima</strong> in D» bezeichneten stand etwa ums Jahr 1825, rund 40 Jahre<br />

Umschlag 20 handschriftliche Stimmen, nach der Uraufführung der <strong>Oper</strong>. Wie es<br />

ohne Partitur. Bei genauerer Betrachtung gerade diese Musiknoten, die von der umtriebigen<br />

Liebe und «Eroberungen» han-<br />

fand sich musikalisches Material aus dem<br />

Mozartschen Werk, das abweichend der deln, dann in ein Kloster schaffte, bleibt<br />

Originalvorlagen in ein vollständiges Messordinarium<br />

umgestaltet worden war. Der faszinierte aber doch derart, dass man<br />

wohl ein eigenes Geheimnis. Das Werk<br />

Hauptteil umfasst Umarbeitungen aus wenigstens der Musik innerhalb der Gottesdienste<br />

einen Platz abgewinnen wollte.<br />

Mozarts «Don Giovanni», weitere Teile<br />

beinhalten Auszüge aus seiner Schauspielmusik<br />

«König Thamos», sowie eine Parodie benötigt zu den Streichern auch je zwei<br />

Das Werk ist gross besetzt: Das Orchester<br />

einer Sopranarie aus der «Vesper de Confessore»<br />

KV 321. Vom anonym gebliebenen ner, Trompeten, eine Posaune sowie die<br />

Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotte, Hör-<br />

Bearbeiter selbst wird die Komposition Pauken und eine Orgel. Dazu kommen<br />

der abschliessenden Fuge im Credo-Satz vier Vok<strong>als</strong>olisten, sowie natürlich der<br />

vermutet. <strong>Die</strong> Art der Bearbeitung und Chor, der wesentliche Anteile im Werk<br />

der eigenen Komposition zeigt, dass ein auszuführen hat.<br />

Kenner und Könner am Werk war, der<br />

äusserst geschickt vorging. <strong>Die</strong> Emotionen Schweizerische Erstaufführung<br />

der <strong>Oper</strong> spiegeln sich im lateinischen Messetext<br />

wider, was auch zu Überraschungen engagierten und detailreichen Arbeit von<br />

Das Werk wurde vor acht Jahren in einer<br />

führt. So wird beispielsweise die expressive Helmut Imig in eine gut 170 Seiten starke<br />

Partitur gefasst und im Berliner Verlag Ries<br />

& Erler publiziert. Voraus gegangen war<br />

ein Werkbeschrieb, den 1986 Rita Irchenhauser<br />

vorgenommen hatte. Durch Zufall<br />

stiess ich vor drei Jahren in einem Wiener<br />

Musikhaus auf diese, in einer «Antiquariatskiste»<br />

von nicht verkauften Noten,<br />

preisreduzierte Partitur. <strong>Die</strong> Existenz des<br />

Werkes, wie die Situation des schleppenden<br />

Verkaufes überraschten mich, so dass<br />

ich bis heute darüber nachsinne, ob dieser<br />

«Don Giovanni» auch in Zeiten des aktuellen<br />

kirchlichen «Anything goes» (…, …)<br />

allenfalls doch <strong>als</strong> messordinarisches «too<br />

much» empfunden wird. Wie heisst es<br />

doch: <strong>Die</strong> Musik ist per se weder weltlich<br />

noch geistlich. In diesem Falle scheint<br />

sie doch eher zu «weltlich» zu sein. In<br />

Schweizerischer Erstaufführung erklingt<br />

die Messe konzertant am 10./11. November<br />

<strong>2018</strong> in Baden und Bad Zurzach. Beachten<br />

Sie bitte dazu den Terminkalender<br />

in dieser Zeitschrift.<br />

Fotos: Martin Hobi<br />

Fussnoten<br />

1 Prokop, Clemens: Mozart Don Giovanni,<br />

<strong>Oper</strong>nführer kompakt. Kassel und Leipzig<br />

2012.<br />

2 Witt, Franz (Hg.): Fliegende Blätter für katholische<br />

Kirchenmusik. Zeitschrift. Regensburg,<br />

hier: Nr. 5/1866, S. 44.<br />

3 Von Freisauff, Rudolf: Mozart’s Don Juan,<br />

1787–1887. Salzburg 1887.<br />

4 Gounod, Charles: Mozarts Don Juan. Autorisierte<br />

Übersetzung von Adolf Klages. Leipzig<br />

1890.<br />

5 Übersetzt: «Nichts Unreines und nichts Laszives».<br />

(«Das war auf dem Konzil von Trient im<br />

16. Jahrhundert die kategorische ultima ratio<br />

der Kirchenväter gegenüber dem epidemischen<br />

Anwachsen der Vokalpolyphonie […]». Koch,<br />

Alois in «Der Kunst ausgesetzt», hg. von<br />

Gartmann, Thomas und Marti, Andreas. Bern<br />

2017, S. 91.)<br />

6 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus: Alte<br />

und neue Kirchenmusik, in: Allgemeine Musikalische<br />

Zeitung. [Leipzig], hier: Nr. 37 vom<br />

14.9.1814, S. 612.<br />

7 Anliker, H. (Hg.): Felix Mendelssohn Schweizer<br />

Reise 1831, Zürich (o. J.), S. 53f.<br />

8 Landon, H. C. Robbins: Mozart fälschlich<br />

zugeschriebene Messen, in: Mozart-Jahrbuch<br />

1957, Rech, Géza (Schriftleitung). Salzburg<br />

1958, S. 91.

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