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Nachschlagewerke<br />
Musik – Das neue Standardwerk<br />
Der Virtuose im Konzertsaal<br />
Niccolò Paganini und Franz Liszt<br />
Berlin, 18. März 1829: »Das Opernhaus war überfüllt,<br />
alles harrte in Spannung. […] Unhör baren Schritts, unvorhergesehen,<br />
einer Erschei nung gleich, war er an seine<br />
Stelle gelangt, und schon tönte, sprach seine Geige zu<br />
der Menge, die noch athemlos hinstarrte nach dem<br />
toten bleichen Manne.« Diese geheimnisvolle Erscheinung,<br />
die das Berliner Publikum elektrisierte, ist niemand<br />
anders als der italienische Geiger Niccolò Paganini<br />
(1782–1840). In Ge nua geboren, verbrachte er den<br />
Großteil seines Lebens als reisender Solist und Hofmusiker<br />
in Italien, bevor er 1828 zu seiner ersten Konzertreise<br />
nach Wien aufbrach, die ein beispielloser Triumph<br />
wurde. Die nächsten sechs Jahre bereiste er alle<br />
großen Städte Europas, bis er sich wegen gesundheitlicher<br />
Probleme von der Konzertbühne zurück ziehen<br />
musste und abermals sechs Jahre später in Italien starb.<br />
Das Besondere an Paganinis »sprechendem Violinspiel«<br />
Paganini, Gemälde von Eugène Delacroix, 1832 lag darin, dass er seinem Instrument eine bislang ungekannte<br />
Vielfalt von Klängen entlockte. Seine Flageolett töne ließen die Geige<br />
wie eine Flöte klingen, seine Pizzicati (gezupften Töne) verwandelten sie in<br />
Flageoletttöne entstehen auf einem eine Gitarre. Und seine Doppelgriffe erweckten den Eindruck,<br />
Streich instrument, wenn der Finger nur man höre mehrere Spieler zugleich. Diese Technik der Verwandlung<br />
nutzte Paganini in seinen Kompositionen häufig, um<br />
leicht auf die Saite gelegt wird, ohne<br />
diese ganz herunter zudrücken. Der<br />
Effekt ist ein hauchiger, luftiger Ton, unterschiedliche Stimmen zu i<strong>mit</strong>ieren und <strong>mit</strong> seiner Geige<br />
der scheinbar aus dem Nichts kommt wie auf einer Opernbühne kleine Szenen »darzustellen«.<br />
und im Klang an eine Flöte erinnert.<br />
Vier Jahre nach seinem Berliner Auftritt gibt Paganini ein<br />
Bei Doppelgriffen werden zwei oder Konzert in Paris. Im Publikum sitzt ein 21jähriger Pianist, der<br />
mehr Saiten gleichzeitig gegriffen und bereits zu den großen Virtuosen seiner Zeit zählt: Franz Liszt<br />
gestrichen, sodass nicht nur ein Einzelton<br />
erklingt, sondern ein Zweiklang (1811–1886). Ausgebildet in Wien von dem berühmten Klavierpädagogen<br />
Carl Czerny hatte er im Alter von neun Jahren seine<br />
oder Akkord.<br />
Konzertkarriere begonnen. Der Abend <strong>mit</strong> Paganini hinter ließ einen so tiefen<br />
Eindruck bei Liszt, dass er sich zwei Jahre aus dem Konzertsaal zurückzog, um<br />
systematisch seine pianistische Technik und seine Bildung zu verfeinern. Angeregt<br />
durch das Violinspiel Paganinis bearbeitete er unter anderem einige von<br />
dessen Violin etüden für Klavier und begeisterte nach seiner Rückkehr auf das<br />
Etüde meint in diesem Zusammenhang nicht Podium die Menge in den Städten Europas.<br />
ein Übungsstück, wie man es aus dem Klavierunterricht<br />
kennt, sondern eine Konzertkompo-<br />
Wie war es möglich, dass ein reisender Musiker zu<br />
sition, in der der Virtuose seine brillante Technik Beginn des 19. Jahrhunderts auf einmal zu einem »Star«<br />
inszeniert.<br />
werden konnte? Was war geschehen? Während die Vir<br />
»Im Concertsaale«,<br />
Liszt in<br />
Berlin, Lithografie<br />
1842<br />
tuosen zuvor in der Regel alleine reisten, engagierte Paganini als einer der ersten<br />
einen Konzertagenten. Dieser plante Konzerte, verwaltete die Finanzen und versuchte<br />
die Berichterstattung in der Presse günstig zu beeinflussen. Mit Unterstützung<br />
der Agenten und durch allmählich<br />
Pariser Flügel nach Konstanti nopel verschickt<br />
sich verbessernde Reisebedingungen – gereist<br />
Im Palast des Sultans wartete bereits ein Flügel<br />
wurde immer noch <strong>mit</strong> der Postkutsche, oftmals<br />
über Nacht – war es möglich, innerhalb Konzertflügel im Umfang von sieben Oktaven <strong>mit</strong><br />
der Marke Érard auf Liszt. Die Firma, die große<br />
kürzerer Zeit immer mehr Konzerte zu geben. Stahlrahmen produzierte, hatte ihn extra von Paris<br />
nach Konstantinopel geschickt. Liszt liebte diese<br />
Auch die Reiserouten wurden immer ausgedehnter.<br />
Konzentrierte sich Paganini noch auf weit tragenden Ton. Umgekehrt war der Starpianist<br />
Instrumente <strong>mit</strong> ihrem starken, auch in großen Sälen<br />
die europäischen Kernländer, so weitete Liszt der beste Werbeträger, den sich die Klavierfirma<br />
seine Tourneen bis über die Grenzen Mitteleuropas<br />
aus: 1846 reiste er von Wien nach Prag, weiter nach Budapest und Buka<br />
wünschen konnte.<br />
rest, über Moldawien und Kiew bis nach Odessa ans Schwarze Meer. Von dort aus<br />
gelangte er im Juni 1847 nach Konstantinopel, wo er im Palast des Sultans auftrat.<br />
Paganini veranstaltete seine Konzerte in der Regel gemeinsam <strong>mit</strong> einer oder<br />
mehreren Sängerinnen bzw. Sängern, be gleitet von einem Orchester. Demgegenüber<br />
gab Liszt am 9. Juni 1840 in London erstmals ein Konzert, das er völlig<br />
allein bestritt. Da<strong>mit</strong> prägte er den modernen Klavierabend, wie wir ihn auch<br />
heute noch kennen. »Le concert, c’est moi« (das Konzert, das bin ich), formulierte<br />
er in Anlehnung an Ludwig XIV. (»L’état, c’est moi«; der Staat, das bin ich).<br />
Wie der absolutistische Herrscher alle Macht in sich vereint, so wird der Virtuose<br />
zum Mittelpunkt des Konzerts: Neben Eigenkompositionen spielte Liszt zwar<br />
auch die Werke anderer Komponisten (vor allem Kompositionen von Beethoven<br />
und Schubert), oft aber fügte er Passagen hinzu oder bearbeitete die Origi nale.<br />
Zum Schluss eines Konzertes durfte ihm das Publikum häufig Themen nennen,<br />
über die er dann spontan improvisierte. Man ging also nicht in ein Konzert, um<br />
ein bestimmtes Stück zu hören, sondern um Liszt zu erleben und sich an seinem<br />
Spiel und seiner Persönlichkeit zu berauschen: »Le concert, c’est moi.«<br />
204 205 19. Jahrhundert<br />
Seit wann gibt es die<br />
Notenschrift?<br />
Wie komponierte Beethoven?<br />
Wie wurde der Lkw-Fahrer<br />
Elvis Presley zum „King of Pop“?<br />
Wie veränderte die Erfindung<br />
von Schallplatte, Radio,<br />
CD und Internet<br />
unseren Umgang <strong>mit</strong> Musik?<br />
Der Streifzug reicht<br />
von der frühen Mehrstimmigkeit<br />
bis zur elektronischen Musik,<br />
von Bach bis zu John Cage und<br />
Miles Davis, vom Minnegesang<br />
bis zu Techno und House.<br />
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