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#DNP11

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6<br />

DEUTSCHLAND<br />

UNTERFORDERT SICH.<br />

Autor<br />

PROF. DR. GÜNTHER BACHMANN<br />

„International<br />

werden<br />

Deutschland<br />

die besten<br />

Voraussetzungen<br />

für mehr<br />

Nachhaltigkeit<br />

attestiert.“<br />

Irreführend: Deutschland sei überfordert, so hört<br />

man überall. Die Geflüchteten überlasten angeblich<br />

das Gemeinwesen, ein zügiger Kohleausstieg<br />

überlastet angeblich die Gesellschaft, die Digitalisierung<br />

überfordert angeblich die Arbeitsgesellschaft,<br />

Schnelligkeit und Komplexität überfordern<br />

angeblich uns alle. Und die Nachhaltigkeit? Auch<br />

die überlade den Konsumenten mit Ansprüchen und<br />

die Unternehmen mit Berichtspflichten. Auch unter<br />

den Lesern dieses Textes wird es wohl nicht wenige<br />

geben, die Überlastungen sehen.<br />

Ich bin anderer Meinung. Zumindest scheint es<br />

mir eine vertiefte Debatte wert, ob wir uns nicht<br />

tatsächlich viel eher unter- als überfordern. International<br />

werden Deutschland die besten Voraussetzungen<br />

für mehr Nachhaltigkeit attestiert. Mehr<br />

politisches Engagement und größere Ambitionen<br />

wären nicht nur wünschenswert und nötig, sondern<br />

sind vor allem möglich und machbar. Helen Clark,<br />

eine gewichtige Stimme der konstruktiven Weltpolitik,<br />

hat in diesem Jahr der Bundeskanzlerin<br />

und der deutschen Stakeholder-Öffentlichkeit ins<br />

Stammbuch geschrieben, dass die Politik das Land<br />

unterfordert. Das drückt ihr Peer Review in vielen<br />

DER DEUTSCHE NACHHALTIGKEITSPREIS PRÄMIERT VORBILDLICHE NACHHALTIGKEITSLEISTUNGEN IN<br />

WIRTSCHAFT, KOMMUNEN UND FORSCHUNG.<br />

Facetten aus. Deutschland mache zu wenig aus<br />

der Menge engagierter Bürger und kompetenter<br />

Fachleute in der Verwaltung, in Unternehmen,<br />

Wissenschaft und den Kommunen. Erschreckend<br />

ist die hohe Anzahl der deutschen Nachhaltigkeitsziele,<br />

die im Minus sind; darunter Ziele zur<br />

Biodiversität, Landwirtschaft und Gesundheitsvorsorge,<br />

die sich die Bundesregierung selbst gegeben<br />

hat. Bisher aber fehle der politische Weckruf und<br />

sei ein entschiedenes Gegensteuern öffentlich nicht<br />

wahrzunehmen. Die Wirklichkeit ist weiter als ihr<br />

politischer Spiegel.<br />

Der Deutsche Nachhaltigkeitspreis zeigt das. Er ist<br />

auch 2018 Treffpunkt für die Praktiker an der Spitze<br />

der Nachhaltigkeitsbewegung. Ja, von Bewegung<br />

ist zu sprechen. Nur eben keine in der üblichen<br />

Inszenierung und keine mit den bekannten Reflexen.<br />

Das mag auch der Grund für eine teils noch allzu<br />

geringe Resonanz in den Medien sein. Aber klar ist:<br />

So vielfältig wächst keine andere soziale Gruppe<br />

in Deutschland. In keinem Jahr zuvor gab es mehr<br />

Nachhaltigkeitsprojekte, Initiativen und Erfolge. In<br />

der Finanzbranche scheinen erstmals die Barrieren<br />

zwischen grauem Mainstream und grüner Nische zu<br />

fallen zugunsten einer gemeinsamen Suche nach<br />

Nachhaltigkeitskriterien für Bankgeschäfte und<br />

Investmentfonds. Internationale Partnerschaften<br />

nehmen an Gewicht zu. Mit Nachhaltigkeit<br />

machen aufgeweckte Unternehmen Punkte, die ihre<br />

Konkurrenten liegen lassen. Der Nachhaltigkeitspreis<br />

wirft ein Licht auf diese Transformation, die<br />

in vielen Branchen (nicht bei allen) und bei vielen<br />

Akteuren (längst nicht allen) in vollem Gange ist. Die<br />

Preisgewinner bewähren sich mit ihren Nachhaltigkeitsstrategien<br />

im harten Umfeld aus Märkten und<br />

Politik. Sie fordern den Gleichlauf bei ihren Konkurrenten<br />

und Kollegen heraus. Die Botschaft aus<br />

Münster, Eschweiler und Saerbeck sowie den Top 3<br />

nominierten Unternehmen gilt generell: Nur wer die<br />

Welt mit der Brille der Zukunft sieht, der sieht klarer,<br />

was fehlt und was möglich ist und wo sich das<br />

eigene Engagement lohnt. Das zu sehen ist nicht<br />

immer nur ein Vergnügen und oft steht hinter dem<br />

Nachhaltigkeitsengagement die Frage, ob es angesichts<br />

der gesellschaftlichen Realität wohl reicht.<br />

Unsere Gesellschaft braucht Gemeinschaftssinn. Für<br />

die parlamentarische Parteiendemokratie ist das<br />

eine knappe Ressource. Unterfordern, auch wenn es<br />

freundlich gemeint ist und pädagogisch gut ver-<br />

DEUTSCHLAND: MEHR POLITISCHES ENGAGEMENT UND GRÖSSERE AMBITIONEN SIND WÜNSCHENSWERT UND NÖTIG.<br />

packt wird, ist nicht der Weg. Zustimmung entsteht verstärkt das. Die undifferenzierte und unfruchtbare<br />

durch Ernstnehmen, Vertrauen durch Verantwortung.<br />

Das gilt innerhalb wie außerhalb von Werks-<br />

Wirtschaft und „den“ Menschen geht ideologi-<br />

Rede von „der“ Politik, „uns“ und „ihnen“, „der“<br />

toren. XY-First irrt. In der Einen Welt zählt letztlich schen Fangschleifen auf den Leim. Eine Folge ist der<br />

nur die Gegenseitigkeit. Der eigene Vorteil wird abgestumpft blinde Fleck für Erreichtes. Ungenutzt<br />

durch den Erfolg der anderen garantiert. Die Vorrei- bleiben die Möglichkeiten zur digitalen Trendwende,<br />

terfunktion ist das Salz für die offene Gesellschaft. zum Zoll-Pakt mit Afrikas SDG-Wende, zur Kreislaufwirtschaft,<br />

zur Vorsorge bei neuen Züchtungsmethoden,<br />

zum Durchbruch in nachhaltiger Mobi-<br />

Noch aber sind viele mit einer Fehlwahrnehmung<br />

unterwegs. Aus deren Sicht reicht das Einhalten lität.<br />

der Sozial- und Umweltgesetze schon völlig aus.<br />

(Immerhin, möchte man angesichts des Betrugs am Mut zum Handeln ist gefragt. Überzeugende Zukunftsbilder<br />

sind gefragt. Wer hier den Anschluss<br />

Made in Germany applaudieren.) Die gesellschaftspolitische<br />

Lizenz der Wirtschaft schmilzt indessen verpasst, der braucht gute Argumente, um das zu<br />

genau dort, wo sie auf gesellschaftlichem Vertrauen rechtfertigen.<br />

und der Zuweisung von Kompetenz beruht. Verdient<br />

sich eine Wirtschaft Vertrauen, indem sie<br />

Küken schreddert, den Dieselskandal nicht in den<br />

Griff kriegt, immer wieder mit Menschenrechtsverletzungen<br />

in unsauberen Lieferketten konfrontiert<br />

ÜBER DEN AUTOR<br />

ist, oder mit einer Immobilienblase die Mieten ins<br />

Prof. Dr. Günther Bachmann berät die Bundesregierung<br />

als Generalsekretär des Rates für Nachhaltige<br />

Unendliche steigert? Wohl kaum.<br />

Entwicklung. In Projekten des Rates macht er Nachhaltigkeit<br />

durch konkrete Initiativen greifbar und<br />

2018 ist das Jahr der Angst vor Veränderung. Die<br />

politische Rechte schlägt pausenlos Alarm. Das<br />

wirkungsvoll. Der Honorarprofessor der Universität<br />

Echo aus der Mitte verstärkt den Effekt des Alarmismus<br />

und der Unsicherheit. Die technokratische<br />

mitgestaltet und leitet die Jurys.<br />

Lüneburg hat den Deutschen Nachhaltigkeitspreis<br />

Absage an die Handlungsfähigkeit des Staates<br />

DEUTSCHER<br />

NACHHALTIGKEITS-<br />

PREIS FÜR<br />

UNTERNEHMEN<br />

Der Deutsche Nachhaltigkeitspreis<br />

zeichnet Unternehmen<br />

aus, die mit ihren Produkten<br />

und Dienstleistungen besonders<br />

erfolgreich ökologischen<br />

und sozialen Problemen<br />

begegnen und damit Nachhaltigkeit<br />

als wirtschaftliche<br />

Chance nutzen. Die Auszeichnung<br />

wird in den drei Größenklassen<br />

KMU, mittelgroße<br />

Unternehmen und Großunternehmen<br />

vergeben.<br />

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