10.12.2018 Aufrufe

Muehl-Funkenflug-Leseprobe

Novellen des Alltags »Es blieb das Gefühl, dass wir alle im Unbestimmten Segelnde sind« Begegnungen sind oft mehr als zufällige Treffen. Wieviel mehr darin enthalten sein kann und welche Macht und Faszination, welche Intensität der Gefühle sich daraus entwickeln, das zeigt Karl Otto Mühl in diesen einfühlsamen Novellen des Alltags, in dem ja immer schon das wahre Leben steckt, wie alle wissen, die vergeblich in den »großen« Momenten die Erfüllung ihres Glücks erhofften.

Novellen des Alltags

»Es blieb das Gefühl, dass wir alle
im Unbestimmten Segelnde sind«


Begegnungen sind oft mehr als zufällige Treffen.
Wieviel mehr darin enthalten sein kann und welche Macht und Faszination, welche Intensität der Gefühle sich daraus entwickeln, das zeigt Karl Otto Mühl in diesen einfühlsamen Novellen des Alltags, in dem ja immer schon das wahre Leben steckt, wie alle wissen, die vergeblich in den »großen« Momenten die Erfüllung ihres Glücks erhofften.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Sarahs schönstes Fest<br />

Nach einem Bericht von Hanna Jordan 1<br />

Im Winter 1945, nach dem Ende des Krieges, war es<br />

fürchterlich kalt in Deutschland, und die Bäume im<br />

Bergischen Land meinten wahrscheinlich, hier sei es<br />

am kältesten. Vom Ende des Krieges hatten sie nicht<br />

viel gemerkt, außer denen unter ihnen, die umgestürzt<br />

in Bombentrichtern lagen und schon mit Nadeln<br />

und Laub bedeckt waren. Hier hatten englische und<br />

amerikanische Flugzeuge Bomben fallen lassen, die<br />

eigentlich für naheliegende Städte bestimmt gewesen<br />

waren, für Köln, Wuppertal, Dortmund und andere.<br />

In der zurückliegenden Zeit mochten die Bäume oft<br />

ihre Kronen und Wipfel geschüttelt haben, wenn sie<br />

den Hass der Menschen beobachteten, die sich gegenseitig<br />

töteten. Oder wenn sie sahen, wie Wehrlose<br />

getötet wurden.<br />

Die Bäume standen mächtig und doch friedlich<br />

wie Säulen um den blutigen Schauplatz der Zeit. Sie<br />

fühlten mit den Menschen, sie mochten sie, aber ihre<br />

Zuneigung war so unfassbar wie der Wind über den<br />

Gräbern. Eines Tages, wenn sich die Welt in luftige<br />

Schleier auflösen würde, wenn das Unvergängliche<br />

der Menschen über ihren zerfallenden Leibern aufsteigen<br />

würde, dann würden die Bäume, die getreuen<br />

1 Hanna Jordan (1921 – 2014) war eine deutsche Bühnen- und<br />

Kostümbildnerin, die in Wuppertal lebte und arbeitete.<br />

9

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!