gromek_auszug
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GROMEK
Für Magdalena geschrieben<br />
als Antwort auf unser beider gemeinsame Furcht.
Eis<br />
Ich bin einmal so tief in Blut gestiegen,<br />
Dass, wollt ich nun im Waten stillestehn,<br />
Rückkehr so schwierig war als durchzugehen.<br />
Macbeth
DER ANGEKLAGTE GROMEK SCHWIEG BIS ZULETZT.<br />
Er schwieg bei seiner Verhaftung, als er, vor seiner Maschine kauernd, aufgegriffen<br />
wurde. Er schwieg während den Untersuchungen, bei denen er geschwächt, aufgerieben,<br />
gepeinigt und an seinem Leib gelähmt wurde. Er schwieg während der zweitägigen<br />
Verhandlung, schwieg, als das Tribunal das vorgefertigte Urteil verlas und er<br />
schwieg auch nachdem man ihm das letzte Wort gestattet hatte – da war er schon<br />
wortlos seinen Henkern vorweg in einen der nächstgelegenen Hinterhöfe gegangen.<br />
Von der Verhaftung bis zur Erschießung hatte ich seinem Schweigen beiwohnen<br />
müssen.<br />
Der Fall Gromek war der erste Bericht, den ich, neu eingesetzt als Berichterstatter<br />
der Propagandakompanie, zu schreiben hatte. Im Kreise der Ministerien hatte die<br />
Verhaftung im Vorfeld als eine spektakuläre, eine dem Terrorismus Einhalt gebietende<br />
Aktion gegolten. Im Nachhinein drängte man mich, sein Schweigen in Worte zu<br />
verwandeln, die eben jene Aktion legitimieren sollten.<br />
Ich hatte mich geweigert.<br />
Der Angeklagte Gromek schwieg bis zuletzt -<br />
das war der letzte Satz meines letzten Berichts.<br />
Schwer wog dieser Satz in meinem Notizbuch.<br />
Ich klappte es zu und steckte es in die innere Brusttasche. Das Papier fing an mich zu<br />
wärmen. Ich ging hinüber zum Ofen und legte einen Würfel nach. Kaum wurde die -<br />
ser von der Restglut ergriffen, erfüllte beißender Gestank den Raum. Die ganze Stadt<br />
roch nach Verwesung. Der Vorsitzende allein weiß, aus welchen Material die Würfel<br />
bestehen.<br />
Vor einigen Jahren war es meine Aufgabe gewesen, da hatte man mich schon lange in<br />
eine andere Einheit versetzt, den erneuten Brennstoffwechsel dem Volk zu kommunizieren.<br />
Ich weiß nicht mehr, welchen Rohstoff ich mir für die Anzeigen und Durchsagen<br />
aus den Fingern gesogen hatte, doch jeder nachgelegte Würfel überführt mich<br />
neu der Lüge. Und seit die Fenster behördlich versiegelt wurden, treibt mich jede<br />
meiner Lügen raus aus der Kammer, hinunter auf die vereiste Straße.<br />
Ich nahm meinen schwarzen Überwurf, ich legte ihn mir vorsichtig an. Das Kürzel<br />
der Außerdienststellung hatte man mir am Vortag hinter die behördliche Kennnummer<br />
tätowiert. Der Schmerz hallte immer noch in meinem rechten Schläfenbein nach.<br />
Durch die Eisblumen an meinem Fenster konnte man das gegenüberliegende Gebäude<br />
erahnen.<br />
Umrisse der Furcht.
Erst am Morgen hatten Truppen der Polizei das zweite Stockwerk gestürmt. Es gab<br />
keine Verhandlungen mehr. Sie machten sich nicht mal mehr die Mühe, in die<br />
Hinterhöfe zu gehen. Das Leben auf den Straßen, das ist das Blut, das die Kugel<br />
durch den Kopf der Exekutierten an die Wände schlägt.<br />
Ich schnürte meine Stiefel hoch, zog die Kapuze über den brennenden Kopf und legte<br />
meine Tasche um. Die schwere Eingangstür aus anthrazitfarbenem Metall ließ ich<br />
für die Nachfolger nur angelehnt. Ein dunkler Schatten zog sich über die gesamte<br />
Türhöhe. Dahinter die Dunkelheit.<br />
Ein letztes Mal sollte ich in ihr wandern.<br />
DAMALS.<br />
Der unter ständiger Observation stehende, seit einem Jahr außer Dienst gestellte In -<br />
genieur Gromek habe, so die Meldung, die von ihm in aller Stille erdachte und gebaute<br />
Maschine in Betrieb genommen. Die von der Abwehr in den anliegenden Gebäuden<br />
installierten Posten berichten von vermehrt auftretenden Betriebs- und Arbeitsgeräuschen,<br />
berichten auch von schlagartig einsetzenden hochfrequenten Tönen,<br />
welche seit einigen Tagen den Industriekomplex jenseits des Kanals in strengem Gegensatz<br />
zu dem dunklen Rauschen und der allgegenwärtigen Schornsteinartillerie unserer<br />
Kraftwerke erklingen lassen. Ferner wurde von einem bevorstehenden Treffen<br />
zwischen dem observierten Gromek und zwei Handelsvertretern aus Fernost am darauffolgenden<br />
Donnerstagmorgen berichtet. Man sei sich sicher, es gehe bei besagtem<br />
Treffen um den Erwerb von Rohstoffen, folglich um die Gewährleistung einer kontinuierliche<br />
Produktion, welche es in jedem Falle abzuwehren und zu unterbinden gelte.<br />
In Konsequenz der zusammengetragenen Ergebnisse und als Reaktion auf die im<br />
Vorfeld in dieser Geschwindigkeit nicht für möglich gehaltene Fertigstellung und Inbetriebnahme<br />
der Maschine, habe man sich, in Absprache mit dem für den Fall Gromek<br />
zuständigen Ministerium, dazu entschlossen, schnellstmöglich zuzugreifen.<br />
Hierfür erscheint allen Beteiligten das auf morgen angesetzte Treffen zwischen dem<br />
observierten Gromek und den Handelsvertretern aus Fernost als ideal.<br />
Im Übrigen habe man mit den beiden Handelsvertretern kurzen Prozess zu machen,<br />
zum einen seien sie für das im Anschluss einsetzende Verfahren irrelevant, zum anderen<br />
stehe eine sofort zu vollstreckende Exekution im Einklang mit dem herrschenden<br />
Gesetz, sichere diese doch den Erhalt des inneren Friedens unserer Stadt.<br />
Jener letzte Satz findet sich in keiner Akte, in keinem offiziellen Schriftstück wieder.<br />
Kurz vor Zugriff wurden die verschiedenen Kommandos verteilt. Vier junge, frisch
von der Akademie gekommene Schützen waren es, die den Schießbefehl zu befolgen<br />
hatten. Sie zögerten nicht auch nur eine Sekunde, als die Verhafteten in den Innenhof<br />
geführt wurden.<br />
HEUTE.<br />
Ich stand mitten auf der Straße und starrte auf die noch glühende Verschalung meines<br />
Nachbarhauses. Ich erinnerte mich an die Farbe des Schnees, der sich an dem Blut<br />
der beiden Handelsvertreter besoff. Der Schnee fing an zu leuchten. Dieses Leuchten<br />
fügte sich gut in jenen milden Tag im August.<br />
Von hier bis zum Kanal waren es nur wenige hundert Meter.<br />
...