1_2013_SuchtMagazin
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Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Historischer Überblick | Internationale Perspektiven | Ethische Refl exionen | Substitution im Alter |<br />
NaSuKo <strong>2013</strong> | Rechtliche Bestimmungen in verschiedenen Ländern | Behandlungsempfehlungen der SSAM |<br />
Substitution in der Behandlungskette | Substitution im Gefängnis | Methadonabgabe in den K&A |<br />
1|<strong>2013</strong>
Inhaltsverzeichnis<br />
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
4 Substitutionsgestützte Behandlung:<br />
Ein historischer Überblick<br />
Ruedi Stohler<br />
7 Eine Reise nach Genf – Tagungsbericht zur 3. NaSuKo<br />
Luis Falcato<br />
11 Heroingestützte Behandlung heute und die<br />
Substitutionsbehandlung der Zukunft<br />
Michael Krausz, Johannes Strasser<br />
14 Ethische Überlegungen zur<br />
substitutionsgestützen Behandlung<br />
Andreas Bachmann<br />
19 Rechtliche Aspekte der Substitutionsbehandlung<br />
Olivier Guillod<br />
23 Substitutionsgestützte Behandlung<br />
in der Grundversorgung<br />
Hans Gammeter, Daniel Meili<br />
27 Substitution in der Behandlungskette<br />
Thilo Beck<br />
30 Substitution im Alter<br />
Regula Hälg, Kenneth M. Dürsteler-MacFarland<br />
35 Substitutionsbehandlung im Gefängnis<br />
Bidisha Chatterjee<br />
38 Methadonabgabe in den K&A<br />
Regine Hoffmann, Ines Bürge<br />
42 Fotoserie<br />
Ethan Oelman<br />
44 Neue Bücher<br />
45 Veranstaltungen<br />
47 Newsfl ash<br />
Bilder dieser Ausgabe<br />
Ethan Oelman<br />
(Jg. 1964), lebt und arbeitet in Zürich. www.ethan-oelman.com<br />
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Editorial<br />
Liebe Leserin, lieber Leser<br />
Impressum<br />
Erscheinungsweise:<br />
6 Ausgaben pro Jahr<br />
39. Jahrgang<br />
Druckauflage: 1’400 Exemplare<br />
Kontakt: <strong>SuchtMagazin</strong>,<br />
Redaktion, Konstanzerstrasse 13,<br />
CH-8280 Kreuzlingen,<br />
Telefon +41 (0)71 535 36 14,<br />
info@suchtmagazin.ch,<br />
www.suchtmagazin.ch<br />
Herausgeber: Infodrog, Eigerplatz 5,<br />
Postfach 460, CH-3000 Bern 14<br />
Abonnemente:<br />
Infodrog, Telefon +41 (0)31 376 04 01,<br />
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Inserate: www.suchtmagazin.ch/<br />
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Inserateschluss Ausgabe 2|<strong>2013</strong>:<br />
25. März <strong>2013</strong><br />
Redaktionsleitung: Marcel Krebs<br />
Redaktionskomitee:<br />
Toni Berthel, Richard Blättler, Corinne<br />
Caspar, Simon Frey, Marianne König,<br />
Corina Salis Gross, Sandra Wüthrich<br />
Gestaltung dieser Nummer:<br />
Thilo Beck, Regula Hälg, Marcel Krebs,<br />
René Stamm<br />
Lektorat: Marianne König,<br />
Gabriele Wolf<br />
Layout: Roberto da Pozzo<br />
Druck: SDV GmbH,<br />
D-66793 Saarwellingen<br />
Vertrieb: Stiftung Wendepunkt,<br />
CH-4665 Oftringen<br />
Jahresabonnement:<br />
Schweiz CHF 90.–, Europa € 75.–,<br />
Kollektivabonnement ab 5 Stück<br />
CHF 70.–, Schnupperabonnement<br />
(3 Ausgaben) CHF 30.–, Europa € 25.–<br />
Einzelnummer:<br />
Schweiz CHF 18.–, Europa € 13.–<br />
Kündigungsfrist:<br />
1 Monat, Kündigung jeweils auf Ende<br />
Kalenderjahr<br />
In Genf hat am 18./19. Oktober 2012 die dritte nationale und internationale Substitutionskonferenz<br />
NaSuKo stattgefunden (Präsentationen unter www.nasuko3.ch). Ein guter Anlass,<br />
sich in einer Ausgabe des <strong>SuchtMagazin</strong> dem Thema der Substitutionsgestützten Behandlung<br />
(SGB) zu widmen, die Entwicklungen der letzten zehn Jahre Revue passieren zu lassen und die<br />
zukünftigen Herausforderungen zu skizzieren.<br />
In dieser Ausgabe werden zentrale Themen, die anlässlich der NaSuKo in den Referaten und<br />
Workshops diskutiert wurden, von verschiedenen AutorInnen vertieft. Die Gelegenheit für<br />
einen Überblick zum Inhalt der NaSuKo fi ndet sich im Beitrag von Luis Falcato. Zum<br />
inhaltlichen Leitthema der NaSuKo, den rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen und<br />
ihrem Einfl uss auf die Gestaltung der substitutionsgestützten Behandlung liefert Andreas<br />
Bachmann in seinem Beitrag aus ethischer Sicht grundsätzliche Überlegungen zur Behandlung<br />
bei Opioidabhängigkeit. Das aufgrund ethischer Grundsätze abgeleitete Recht auf Behandlung<br />
ist in der Schweiz für opioidabhängige Personen jedoch nicht überall und gleichermassen<br />
gewährleistet, wie auch der Zugang zur heroingestützten Behandlung nicht in allen Regionen<br />
der Schweiz besteht. Die von Olivier Guillod durchgeführte staatsrechtliche Studie weist<br />
darüber hinaus auch auf grosse und rational nicht begründbare Ungleichheiten in den<br />
untersuchten Ländern Schweiz, Belgien, Frankreich und Québec hin.<br />
Nebst dem Recht auf Behandlung betonen Bachmann und Guillod insbesondere das Recht auf<br />
Selbstbestimmung. Welche Unterstützung ist zu leisten, wenn diese Personen in ihrer<br />
Autonomie eingeschränkt sind? Und wer bestimmt, wann und in welchem Ausmass die<br />
Autonomie eingeschränkt ist? Diese Fragen sind gerade im Hinblick auf die Zunahme der<br />
älteren Personen mit einer Opioidabhängigkeit relevant (Hälg/Dürsteler-MacFarland). Sie<br />
stellen sich aber auch bei der Aufnahme und Sicherstellung von Substitutionsbehandlungen<br />
im Gefängnis (Chatterjee).<br />
Die an der NaSuKo vorgestellten überarbeiteten Behandlungsempfehlungen für<br />
substitutionsgestützte Behandlung der Schweizerischen Fachgesellschaft für Suchtmedizin<br />
(SSAM) geben einen Überblick über den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />
(Gammeter/Meili). Die Empfehlungen sollen als Leitplanken zur Umsetzung dieser<br />
Erkenntnisse in die Behandlungspraxis dienen (Beck).<br />
Im Sinne einer niederschwelligen Suchtarbeit wurde in den Kontakt- und Anlaufstellen in Bern<br />
und Zürich die Methadonabgabe eingeführt (Hoffmann/Bürge). Dies erleichtert den Zugang zu<br />
Drogenabhängigen, die sich noch in keiner Substitutionsbehandlung befi nden.<br />
Die zeitgleiche Durchführung mit dem Troisième colloque international francophone sur le<br />
traitement de la dépendance aux opioïdes TDO ermöglichte einen Einblick in die<br />
Behandlungspraxis opioidabhängiger Personen in frankophonen Ländern, mit einem<br />
anregenden Austausch über good practice und die erforderlichen Strukturen und<br />
Rahmenbedingungen. Die Initiative für die zweijährlich stattfi ndenden Treffen TDO kommt<br />
aus Belgien, Kanada, Frankreich und der Schweiz. Nach den beiden ersten Treffen in Montreal<br />
(2008) und Paris (2010) konnten bei dieser dritten Konferenz in Zusammenarbeit mit dem<br />
Netzwerk MedNET der Pompidou Gruppe (e ine Dienststelle des Europarates zur Bekämpfung<br />
der Drogenprobleme) auch Teilnehmende aus Algerien, Ägypten, Jordanien, Libanon, Marokko<br />
und Tunesien begrüsst werden. Eine Zusammenfassung über die Beiträge an der TDO sowie<br />
die Präsentationen fi nden sich unter www.tdo3.ch.<br />
Die Weiterentwicklung der SGB stellt auch für uns in der Schweiz eine ständige<br />
Herausforderung und eine Verpfl ichtung unseren PatientInnen und KlientInnen gegenüber<br />
dar, die wir gerne annehmen.<br />
Als Einstieg in diese Nummer empfehlen wir Ihnen die beiden ersten Artikel. Diese geben einen<br />
Überblick über die SGB aus historischer (Stohler) und internationaler Perspektive (Krausz).<br />
Wir wünschen eine interessierte Lektüre<br />
Thilo Beck, Regula Hälg, René Stamm, Marcel Krebs<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 3
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Substitutionsgestützte<br />
Behandlung:<br />
Ein historischer Überblick<br />
Im folgenden Artikel wird die (vorwiegend) US-amerikanische Geschichte der<br />
Suchtbehandlung bis zur Entdeckung der Substitutionsbehandlung mit Methadon<br />
durch Dole und Nyswander dargestellt. Spezielles Interesse gilt dabei den<br />
Auffassungen der Temperenzler, die dem Prohibitionsgedanken in den USA<br />
zum Durchbruch verhalfen. Auch die psychoanalytische Defekttheorie, die als<br />
vermeintlicher Ausweg aus der Sackgasse zu sehen ist, in die die Prohibition<br />
geführt hatte, wird skizziert. Dreh- und Angelpunkt der kontroversen Theorien<br />
war die Auseinandersetzung um die Abstinenz.<br />
Ruedi Stohler<br />
PD Dr. med., Leitender Arzt, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich,<br />
Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen, Selnaustr. 9, CH-8001 Zürich,<br />
Tel. +41 (0)44 205 58 10, stohler@dgsp.uzh.ch<br />
Schlagwörter:<br />
Substitution | Opioidabhängigkeit | Geschichte | Suchtbehandlung |<br />
Einleitung<br />
Substitution und die substitutionsgestützte Behandlung<br />
SGB sind weit verbreitet und gut akzeptiert. Man denke an<br />
den teilweisen Ersatz zuckerhaltiger Getränke durch zuckerlose<br />
oder die Verabreichung von Schilddrüsenhormonen oder<br />
Insulin bei PatientInnen mit ungenügender Eigenproduktion.<br />
Allgemein gesprochen handelt es sich um den Ersatz einer für<br />
ein adäquates Leben unverzichtbaren Substanz oder um den<br />
Austausch eines potentiell ungünstigen Stoffes durch einen<br />
(vermeintlich) weniger schädlichen.<br />
Die opioidgestützte Behandlung (im englischen Sprachraum<br />
meist Opioid Maintenance Treatment, OMT [Opioid-Erhaltungsbehandlungen])<br />
als Sonderfall einer Substitution besteht<br />
in der Schweiz seit 1974, damals allerdings nur für eine kleine<br />
Gruppe. So führte ein sogenannter Beikonsum, der Konsum<br />
von Alkohol beispielsweise, zur Nichtaufnahme resp. zum Ausschluss<br />
aus der Behandlung. Das Gleiche galt, falls weiterhin<br />
Heroin konsumiert wurde oder Termine der psychosozialen<br />
Behandlung nicht eingehalten wurden. Substitutionsbehandlungen<br />
galten als Behandlungen 2. Wahl, da sie die «Sucht an<br />
sich» nicht angingen. Heute betreffen die Differenzen eher die<br />
Form der Behandlung, deren rechtliche Rahmenbedingungen<br />
und deren Anpassung an schon eingetretene oder zu erwartende<br />
Entwicklungen der zu Behandelnden.<br />
Aus der Geschichte der Methadonbehandlung<br />
Die Publikation des Artikels «A Medical Treatment for Heroin<br />
Addiction – A Clinical Trial with Methadone Hydrochloride»<br />
von Vincent Dole und Marie Nyswander im Journal of the American<br />
Medical Association im Jahre 1965 1 war eine Sensation.<br />
Er stellte das damals vorherrschende Dogma, dass nur Entzug<br />
eine adäquate Behandlung der Heroinabhängigkeit sei, zentral<br />
4 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong><br />
und empirisch fundiert in Frage. Zwar waren Dole und Nyswander<br />
nicht die ersten, die, motiviert durch die weitgehende<br />
Erfolglosigkeit von Abstinenzbehandlung, Heroinabhängige<br />
mit Ersatzopioiden zu behandeln begonnen hatten. Aber bis<br />
zu diesem Zeitpunkt waren kaum wissenschaftliche Untersuchungen<br />
darüber publiziert worden. Die Narcotics Clinics der<br />
USA, die Opioidabhängige (allerdings vorwiegend Angehörige<br />
der «weissen» Mittelschicht) mit legalem Heroin und Morphin<br />
versorgt hatten, waren bis 1923 alle geschlossen worden. Etwa<br />
25‘000 ÄrztInnen wurden in den USA zwischen 1919 und 1935<br />
wegen Opioidverordnungen an «aktiv» Abhängige angeklagt,<br />
etwa 25‘00 mussten Gefängnisstrafen antreten. 2 Was mit den<br />
PatientInnen geschah, ist weniger klar. Teilweise wurden sie<br />
institutionalisiert, teilweise wurden sie rückfällig. Offenbar<br />
gelang es einem vergleichsweise grossen Teil, heroinabstinent<br />
zu bleiben, allerdings häufi g zum Preise eines «Umstiegs» auf<br />
andere Substanzen. In einer der wenigen Follow-up-Untersuchungen<br />
(hier der New Haven Morphine Maintenance Clinic,<br />
die 1920 geschlossen wurde) fanden Musto und Ramos, dass<br />
das durchschnittliche Todesalter von Ex-InsassInnen 56 Jahre<br />
gewesen sei – 13 Jahre jünger als das Durchschnitts-Todesalter<br />
der «Normalbevölkerung». Dieses Todesalter war vergleichbar<br />
mit demjenigen von nicht heroinabhängigen Angehörigen<br />
niedriger sozioökonomischer Gruppen. Die Todesursache war<br />
selten Drogenkonsum, dagegen häufi g Alkohol, Infektionen,<br />
Suizid und Unfälle. 3 Dabei ist festzuhalten, dass die New Haven<br />
Clinic einerseits speziell gut ausgestattet war und andererseits<br />
eine vergleichsweise gut situierte Abhängigengruppe<br />
bediente. Musto und Ramos waren bei ihrer Analyse auch fast<br />
ausschliesslich auf Todesscheine weisser PatientInnen angewiesen;<br />
die der afro-amerikanischen liessen sich nicht fi nden.<br />
Ihre «Resultate» sind somit vermutlich günstiger als diejenigen<br />
von Durchschnittskliniken.<br />
Nur Abstinenz zählte als Erfolg. Und eine solche liess sich mit<br />
Substitution und Opioidlangzeitbehandlung nicht erreichen. 4<br />
In England dagegen hatte sich die Tradition der Substitution,<br />
wohl aufgrund der grösseren politischen Verankerung der<br />
Ärzteschaft, erhalten. In der Schweiz wären zwar Langzeitbehandlungen<br />
rechtlich möglich gewesen und wurden wohl auch
vereinzelt durchgeführt. Das Problem Opioidabhängigkeit war<br />
aber ein marginales und kam fast nur bei Medizinalpersonen in<br />
Form von Morphinismus vor.<br />
Abstinenz – Kern- und Angelpunkt der Debatte<br />
Die ProtagonistInnen von Substitutionsbehandlungen<br />
mussten ihre Therapie somit vor allem gegen die damals vorherrschende<br />
Abstinenzideologie verteidigen. Letztere entwickelte<br />
sich in den USA aus «radikalen» Strömungen der Temperenzlerbewegung<br />
(eigentlich «Mässigungsvereinigung»)<br />
und die angeblich anzustrebende Abstinenz umfasste alle psychotropen<br />
Stoffe, allen voran den Alkohol. Wie einer ihrer «opinion<br />
leaders» 1877 schrieb, laste ein Fluch auf der Menschheit,<br />
gegen den es nur Abstinenz auf individueller und Prohibition<br />
auf Staatsebene gäbe. 5<br />
Die Neuformulierung des Abstinenzparadigmas<br />
nach dem Scheitern der Prohibition<br />
Das Scheitern der Alkoholprohibition wurde bis zum Jahre<br />
1920 offensichtlich. Das Postulat nach Abstinenz aller Menschen<br />
musste revidiert werden, zumindest in Bezug auf Alkohol.<br />
Was folgte, war die sogenannte Defekttheorie, die speziell<br />
unter PsychoanalytikerInnenn beliebt war. Gemäss der Defekttheorie<br />
waren ab nun die weniger mit psychischen Störungen<br />
Belasteten in der Lage, adäquat mit Alkohol umzugehen. Hingegen<br />
litten die kompulsiven DrogengebraucherInnen unter<br />
einer zentralen Schwäche, unter einer Schwäche im Kern ihrer<br />
Persönlichkeit. Sie litten unter einem «Selbstdefekt». 6 Nur unter<br />
Einhaltung von Abstinenz sei es möglich, die der Abhängigkeit<br />
zugrunde liegende narzisstische Störung zu «bearbeiten».<br />
7 Die Lehrmeinung in der Schweiz war eine ähnliche. Ich<br />
kann mich gut an die Äusserung eines in der Schweiz führenden<br />
Professors für Kinder- und Jugendpsychiatrie erinnern, der<br />
erklärte, dass der Protest von Jugendlichen, der sich teilweise<br />
in Heroinkonsum äussere, nicht pharmakologisch mit Methadon<br />
zugedeckt werden dürfe.<br />
Die metabolische Theorie der Abhängigkeit<br />
Als Dole und Nyswander in den frühen 1960er Jahren in<br />
New York mit Opioid-Ersatzbehandlungen für Heroinabhängige<br />
zu experimentieren begannen, glaubten sie feststellen<br />
zu können, dass Erhaltungsbehandlungen mit kurzwirksamen<br />
Opioiden (vorwiegend Morphin und Heroin) fast unmöglich<br />
seien. «Die Dosen mussten laufend erhöht werden und ich<br />
war gezwungen, rund um die Uhr Rezepte zu schreiben. Die<br />
PatientInnen waren nicht zufrieden, schauten immer wieder<br />
auf ihre Uhren, waren entzügig und dann wieder intoxikiert<br />
und höchstens für kurze Zeit, vielleicht eine Stunde, zufrieden.<br />
Sie zogen sich nicht an und hatten kein anderes Ziel als den<br />
nächsten Schuss.» Dieses Verhalten änderte sich dramatisch,<br />
als Dole und Nyswander Methadon einzusetzen begannen. Die<br />
PatientInnen standen auf, zogen sich an, hörten auf, sich um<br />
Drogen zu sorgen und begannen, in Abendschulen zu gehen. 8<br />
Diese Beobachtungen führten Dole zur Formulierung seiner<br />
«metabolischen Theorie der Opioidabhängigkeit». Gemäss<br />
dieser Theorie sei die «neurologische Basis» der Sucht eine<br />
Störung der endogenen «Liganden-Rezeptor-Funktion», deren<br />
Wesen und Ursache zwar noch nicht klar sei, und optimal<br />
dosiertes Methadon könne diese Störung korrigieren. Dass<br />
die Narcotics Clinics gescheitert seien, liege vor allem daran,<br />
dass die falschen Opiate (Morphin, Heroin) verwendet worden<br />
seien. Wichtig sei eine konstante Besetzung der Opiatrezeptoren,<br />
die mit kurzwirksamen Opiaten nicht zu erreichen sei.<br />
Personen, die konstante Dosen von Methadon über Monate<br />
bis Jahre eingenommen hätten, seien ununterscheidbar von<br />
normalen Altersgenossen. Trotz täglicher hoher Dosen, die
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
bei Nicht-Toleranten ein Koma induzierten, seien sie normal<br />
alert und funktional; sie lebten ein aktives Leben, nähmen<br />
verantwortungsvolle Jobs ein, hätten Erfolg in der Schule,<br />
kümmerten sich um ihre Familien, hätten ein funktionierendes<br />
Sexualleben und normale Kinder und seien nicht häufi ger von<br />
Psychopathologien oder anderen medizinischen Problemen<br />
betroffen als deren drogenfreie KollegInnen. 9 Dass Dole und<br />
Nyswander zu solchen Schlüssen kamen, hatte sicher auch<br />
damit zu tun, dass sie eine hochselektionierte Gruppe Monoabhängiger<br />
in einem mit grossem Enthusiasmus verfolgten<br />
klinischen Versuch behandelten. Und möglicherweise waren<br />
die verabreichten Heroin- und Morphindosen ungenügend.<br />
Haltbares und Unhaltbares<br />
Heute, nach entsprechenden Versuchen in der Schweiz,<br />
Deutschland, den Niederlanden, Spanien und zuletzt in Kanada,<br />
wird eine Heroin-Erhaltungsbehandlung in einigen Ländern<br />
als optimale Behandlung für PatientInnen angesehen, die<br />
nicht von «traditionelleren» Behandlungsformen profi tieren<br />
können.<br />
Die Auseinandersetzung um die «richtige» Substitutionssubstanz<br />
soll hier als Beispiel dienen für die historische und<br />
kontextuelle Bedingtheit unserer Erkenntnisse in der Suchtbehandlung<br />
und darauf hinweisen, dass auch zukünftig Debatten<br />
und Untersuchungen nötig sind. Das heisst nicht, dass<br />
Substitutionsbehandlungen an sich zu hinterfragen seien.<br />
Diese haben ihre Effektivität weltweit bewiesen und auch in<br />
der Schweiz konnte gezeigt werden, dass die Drogenmortalität<br />
parallel zu deren Ausweitung sank. 10 Zudem hat sie die<br />
Reduktion der Inzidenz der Heroinabhängigkeit vermutlich<br />
mitbedingt, zumindest aber nicht verhindert. 11 Der Rückgang<br />
der Inzidenz drückt sich auch aus im zunehmenden Alter derjenigen,<br />
die in solchen Behandlungen stehen.<br />
Zur Situation in den Gefängnissen<br />
Es ist hier darauf hinzuweisen, dass Substitutionsbehandlungen<br />
in Gefängnissen nach wie vor vielfach nicht optimal<br />
sind. So wurde beispielsweise bis vor kurzem in Luzerner Gefängnissen<br />
Methadon nicht zugelassen, in Zürcher Gefängnissen<br />
ist demgegenüber Buprenorphin noch immer nicht<br />
erlaubt. Vielfach wird Personal des Justizvollzugs zur Verabreichung<br />
der Substitutionsmedikation eingesetzt. Eine solche<br />
Vorgehensweise verletzt das Recht auf Geheimhaltung und<br />
kann absichtlich oder nicht zu Stigmatisierungen oder sogar<br />
zu Erpressungen führen. Dabei ist unbestritten, dass Sachzwänge,<br />
wie sie von Chatterjee 12 beschrieben werden, einer<br />
lege artis durchgeführten Behandlung entgegenstehen und<br />
nicht korrekt durchgeführte Opioiderhaltungsbehandlungen<br />
besser sind als keine. Die Missstände sind aber einschneidend<br />
und müssen beseitigt werden.<br />
Hausärztemangel<br />
Auf das Problem des voraussehbaren Hausärztemangels<br />
machen Gammeter und Meili 13 aufmerksam. Hausärzte sind<br />
die HauptakteurInnen auf dem Substitutionsfeld. Die von ihnen<br />
als eine Gegenmassnahme verlangte verbesserte Entlohnung<br />
von Substitutionsbehandlung ist ein richtiges und wichtiges<br />
Postulat.<br />
In den USA mit ihrem chronischen Mangel an «treatment<br />
slots» (Behandlungsplätzen) wurden teilweise sogenannte<br />
«interim methadone maintenance treatments» (interimistische<br />
Methadonsubstitutionsbehandlungen) erprobt. Diese<br />
unterscheiden sich im Wesentlichen von regulären Behandlungen<br />
durch den Wegfall der psychosozialen Betreuung und<br />
das Verordnen von Einheitsdosen. 14 Behandlungsergebnisse<br />
sind nicht schlechter als die von regulären «Programmen».<br />
Diese und ähnliche Resultate wissenschaftlicher Untersuchungen<br />
betonen eine in vielen Artikeln geäusserte Kritik an<br />
administrativen und inhaltlichen Aufl agen, die teilweise nicht<br />
evidenzbasiert sind und Behandlungshürden darstellen. Bis<br />
zu einem gewissen Grad lässt sich das für die in den meisten<br />
Kantonen vorgeschriebene psychosoziale Behandlung sagen,<br />
die nicht immer segensreich ist. 15 Offensichtlich drängt sich<br />
eine differenziertere Evaluation der black-box «psychosoziale<br />
Betreuung/Behandlung» auf. Möglicherweise ist obligatorische<br />
Teilnahme an beispielsweise kognitiv-behaviouralen<br />
Gruppenpsychotherapiesitzungen eher ungünstig, wohingegen<br />
eine Unterstützung bei der Wohnungssuche vermutlich<br />
meist günstige Auswirkungen haben dürfte..<br />
Literatur<br />
Amato, L./Minozzi, S./Davoli, M./Vecchi, S. (2011): Psychosocial<br />
combined with agonist maintenance treatments versus<br />
agonist maintenance treatments alone for treatment of opioid<br />
dependence. Cochrane Database System Review 2011: CD004147.<br />
Arthur, T.S. (1877): Grappling with the Monster.<br />
www.tinyurl.com/awooxxh, Zugriff 07.01.<strong>2013</strong>.<br />
Berridge, V. (2009): Heroin prescription and history. New England<br />
Journal of Medicine 361(8): 820-821.<br />
Courtwright, D. T./Nyswander, M. (1977): The prepared mind. Methadone<br />
maintenance, and the metabolic theory of addiction. Addiction 92:<br />
257-265.<br />
Dole, V. (1988): Implications of Methadone Maintenance for Theories of<br />
Narcotic Addiction. JAMA 260: 3025-3029.<br />
Dole, V.P./Nyswander, M.A. (1965): Medical treatment for<br />
diacetylmorphine (heroin) addiction: a clinical trial with<br />
methadone hydrochloride. JAMA 193: 646-650.<br />
Kleber, H.D. (2008): Methadone Maintenance. Four Decades Later.<br />
Thousands of Lives Saved But Still Controversial. JAMA 300: 2303-<br />
2305.<br />
Kohut, H. (1977): Preface. In: NIDA (eds.): Psychodynamics of Drug<br />
Dependence. Research Monograph 11. Washington D. C. www.<br />
tinyurl.com/aoy4f5x, Zugriff 12.02.<strong>2013</strong>.<br />
Musto, D.F/Ramos M.R. (1981): Notes on American medical history: a<br />
follow-up study of the New Haven morphine maintenance clinic of<br />
1920. The New England Journal of Medicine 304(18): 1071-1077.<br />
Nordt, C./Stohler, R. (2006): Incidence of heroin use in Zurich,<br />
Switzerland: a treatment case register analysis. Lancet 367: 1830-<br />
1834. Erratum in: Lancet 368: 118.<br />
Nordt, C./Stohler, R. (2009): Low-threshold methadone treatment,<br />
heroin price, police activity and incidence of heroin use: the Zurich<br />
experience. International Journal of Drug Policy 20: 497-501.<br />
Schwartz, R.P./Kelly, S.M./O‘Grady, K.E./Gandhi, D./Jaffe, J.H. (2012):<br />
Randomized trial of standard methadone treatment compared<br />
to initiating methadone without counseling: 12-month fi ndings.<br />
Addiction 107: 943-952.<br />
Endnoten<br />
1 «Eine medizinische Behandlung für Heroinabhängigkeit – ein<br />
klinischer Versuch mit Methadonhydrochlorid» Vgl. Dole/<br />
Nyswander 1965.<br />
2 Vgl. Musto/Ramos 1981.<br />
3 Vgl. Kleber 2008.<br />
4 Vgl. ebd.<br />
5 «The curse is upon us and there is but one cure: abstinence for the<br />
individual and prohibition for the state». Vgl. Arthur 1877.<br />
6 «... the affl icted individual suffers from a central weakness, from<br />
a weakness in the core of his personality. He suffers from the<br />
consequences of a defect in the self». Vgl. Kohut 1977: vii.<br />
7 Vgl. Kohut 1977.<br />
8 Vgl. Courtwright 1977.<br />
9 Vgl. Dole 1988.<br />
10 Vgl. Nordt/Stohler 2009.<br />
11 Vgl. Nordt/Stohler 2006.<br />
12 Vgl. den Artikel von Chatterjee in dieser Ausgabe.<br />
13 Vgl. den Artikel von Gammeter und Meili in dieser Ausgabe.<br />
14 Vgl. Schwartz/Kelly et al. 2012.<br />
15 Vgl. Amato/Minozzi et al. 2011.<br />
6 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong>
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Eine Reise nach Genf –<br />
Tagungsbericht zur 3. NaSuKo<br />
Namhafte ReferentInnen zeichneten an der Nationalen und Internationalen<br />
Substitutionskonferenz NaSuKo die Herausforderungen in der Drogenpolitik<br />
der letzten 25 Jahre nach und zeigten aus eigener Erfahrung auf, wie sie<br />
erfolgreich bewältigt werden konnten. Es wurde diskutiert, wie diese<br />
Errungenschaften angesichts eines im Drogenbereich bevorstehenden<br />
Generationenwechsels bewahrt werden können und aktuelle Themen<br />
besprochen: die gegenwärtige internationale wissenschaftliche Evidenz<br />
ebenso wie ethische Aspekte und offene Fragen im Zusammenhang mit der<br />
Behandlung von Störungen durch Opioide und andere Substanzen.<br />
Luis Falcato<br />
Lic. Phil. I., Arud Zentren für Suchtmedizin,<br />
Konradstrasse 32, CH-8005 Zürich, Tel. +41 (0)58 360 50 50, l.falcato@arud.ch<br />
Schlagwörter:<br />
Drogenpolitik | Substitution | Opioidabhängigkeit |<br />
«Eine Reise nach Genf» heisst nicht nur ein Kriminalroman,<br />
der sich um die Ermordung eines Politikers dreht und<br />
sich an reale Ereignisse anlehnt. 1 Eine solche Reise musste<br />
auch antreten, wer am vergangenen 18./19. Oktober 2012 an<br />
der – im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit BAG organisierten<br />
– Nationalen und Internationalen Substitutionskonferenz<br />
(NaSuKo) teilnahm, die nach 2001 und 2007 erstmals im<br />
internationalen Konferenzzentrum Genf stattfand.<br />
Die Veranstaltung hob sich durch eine verstärkt internationale<br />
Ausrichtung von den vorangegangenen ab: Neben der<br />
Ausstrahlung der Stadt Genf, die als Sitz vieler internationaler<br />
Institutionen sinnbildlich steht für eine weltumspannende<br />
Perspektive, zeigte sich dies auch schon an der Hinzufügung<br />
«International» im Titel. Insbesondere aber war die Einbettung<br />
der Konferenz in das jährliche Meeting der internationalen<br />
Gesellschaft für Suchtmedizin ISAM und das «Colloque<br />
international francophone du traitement de la dépendance<br />
aux opioides» TDO, die parallel durchgeführt wurden – eine<br />
organisatorische Leistung. Beste Voraussetzungen für den die<br />
Länder- und Sprachgrenzen übergreifenden Austausch, von<br />
den zahlreich erschienenen Teilnehmenden rege genutzt.<br />
Ein zentrales Thema dieser Tagung war die Drogenpolitik,<br />
deren Geschichte der vergangenen 25 Jahre – in der Schweiz,<br />
wie auch in anderen Ländern – durchaus als Skript für einen<br />
Politthriller herhalten würde. So mein Eindruck aus den facettenreichen<br />
Rückschauen, die verschiedene namhafte ReferentInnen<br />
in farbigen und engagierten Referaten präsentierten,<br />
wie bspw. Ruth Dreifuss, Altbundesrätin und heutiges Mitglied<br />
der Global Commission on Drug Policy, 2 Thomas Zeltner, ehemaliger<br />
Direktor des Bundesamtes für Gesundheit BAG, Thomas<br />
Kessler, ehemaliger Drogendelegierter und Integrationsbeauftragter<br />
des Kantons Basel Stadt, David Nutt, Professor<br />
für Neuropsychopharmakologie und ehemaliger Berater der<br />
Englischen Regierung, der Suchtmediziner und Vorsitzende<br />
der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, Markus Backmund,<br />
der aus Deutschland stammende Professor für Psychiatrie,<br />
Epidemiologie und Public Health Michael Krausz, heute<br />
Leiter der Suchtforschung in British Columbia (Kanada) oder<br />
SSAM-Präsident Robert Hämmig.<br />
Erfolgreiche Schweizer Drogenpolitik<br />
In ihren Ergebnissen kann die Schweizer Drogenpolitik als<br />
Erfolgsstory gewertet werden. Es wurde viel erreicht, speziell<br />
was die medizinische Substitutionsbehandlung Heroinabhängiger<br />
betrifft: 3 namentlich die heroingestützte Behandlung. 4 In<br />
den Präsentationen waren als Illustrationen auffällig häufi g,<br />
so schien mir, Bergmotive zu sehen, sei es aus den Schweizer<br />
Alpen, Quebec oder Bayern; ästhetische Genüsse für das Publikum,<br />
aber auch passende Metaphern: Dürften so manchen ihre<br />
Aufgaben im Drogenbereich im übertragenen Sinne wie eine<br />
Herausforderung erscheinen, Berge zu bezwingen oder gar zu<br />
versetzen. Sei es in der Behandlung und Betreuung von Drogenkonsumierenden,<br />
sei es bei der Überzeugungsarbeit in der<br />
Gesellschaft, betreffend der öffentlichen Meinung in der Bevölkerung<br />
oder unter EntscheidungsträgerInnen in Politik und<br />
Verwaltung. Mir kam dabei auch die Assoziation des Steins aus<br />
der griechischen Mythologie, der ohne kontinuierlichen Krafteinsatz<br />
sogleich wieder den Hang hinunterrollt und Albert Camus‘<br />
philosophischer Essay über die Absurdität des Daseins,<br />
angesichts derer nur über die Revolte zur Selbstverwirklichung<br />
gefunden werden kann. 5 Hierzu durfte ich in diesen zwei Tagen<br />
von «erfahrenen KämpferInnen» lernen, dass es neben wissenschaftlicher<br />
Evidenz und Fachkenntnissen vor allem auch<br />
Mut und Optimismus braucht, um Fortschritte zu erzielen.<br />
Mut und Optimismus sind nicht bei allen gleich ausgeprägt;<br />
Die Geschichte der Schweizer Drogenpolitik wurde auch durch<br />
herausragende Persönlichkeiten gestaltet, ohne deren Wirken<br />
sie wohl anders verlaufen wäre.<br />
Generationenwechsel und Herausforderung<br />
Ich habe mich gefragt, ob die verstärkte internationale Perspektive<br />
ein Ausdruck der gegenwärtigen drogenpolitischen<br />
Situation in der Schweiz sein könnte, die sich, nach Jahren in<br />
der Vorreiterrolle, während derer «die ganze Welt» auf un-<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 7
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
ser Land blickte, gegenwärtig in einem Neuorientierungsprozess<br />
befi ndet und dafür wieder verstärkt «in die Welt hinaus»<br />
schaut, wo inzwischen andere Länder als Pioniere auszumachen<br />
sind (z. B. Portugal). 6<br />
Es ist zu hoffen, dass es gelingen wird, hierzulande einen<br />
fruchtbaren Boden für das Nachwachsen mutiger und optimistischer<br />
ProtagonistInnen zu schaffen. Die anwesenden<br />
ExpertInnen waren sich darüber einig, dass in der Schweiz<br />
für den Drogenbereich in der Gesundheitsversorgung und der<br />
Politik ein genereller Generationenwechsel bevorsteht, dass<br />
dieser potenziell zu strukturellen Versorgungslücken sowie<br />
einem Verlust von konzeptuellem und praktischem Wissen<br />
und Errungenschaften führen könnte und dass dieses Problem<br />
proaktiv anzugehen sei.<br />
Für mich war die Beschäftigung mit solchen Fragen sehr<br />
befruchtend. Planungsbezogene Überlegungen – wie viele welcher<br />
Angebote es geben solle, wie sie auszugestalten und zu<br />
fi nanzieren seien, wie sie zusammenspielen sollten – erschienen<br />
mir eher im Hintergrund. Dies widerspiegelt wohl auch die<br />
komplexen schweizerischen Rahmenbedingungen, die durch<br />
eine Vielzahl von AkteurInnen, föderale Strukturen sowie eine<br />
Verfl echtung staatlicher Planung und Steuerung mit wettbewerblichen,<br />
privatwirtschaftlichen Elementen gekennzeichnet<br />
sind. In den verschiedenen Angeboten ist die Substitutionsbehandlung<br />
mit unterschiedlichen Herausforderungen verbunden,<br />
z. B. in der Hausarztpraxis 7 oder in den Kontakt- und<br />
Anlaufstellen. 8<br />
Es wurde auch klar, dass selbst auf so kleinem Raum wie<br />
in der Schweiz immer noch grosse regionale Unterschiede bestehen.<br />
Sowohl bei den vorhandenen Versorgungsstrukturen<br />
(z. B. Injektionsräume, Spritzenabgabe im Gefängnis), als auch<br />
in den Lösungsansätzen für die anstehenden Aufgaben. In der<br />
Frage der Nachwuchsförderung hatte ich z. B. den Eindruck,<br />
dass ein Teil der Anwesenden, wohl mehrheitlich deutschsprachige,<br />
einen Ansatz favorisierte, der dem Einbezug der Vereinigungen<br />
von Suchtfachleuten (z. B. Netzwerk Praxis Suchtmedizin,<br />
9 Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin SSAM, 10<br />
Fachverband Sucht 11 etc.) und der Vernetzung eine wichtige<br />
Rolle zuweist. Ein anderer Ansatz – tendenziell eher von frankophoner<br />
Provenienz – baut eher auf eine Stärkung universitärer<br />
Strukturen (z. B. Lehrstühle und Curricula für Suchtmedizin).<br />
Recht auf Behandlung als Ausdruck sozialer<br />
Gerechtigkeit<br />
Es wurde intensiv über Ethik und über Rechte gesprochen:<br />
Kann es ein Recht auf Gesundheit überhaupt geben oder sollte<br />
es nicht eher Recht auf Behandlung heissen? Welche Rechte<br />
sind unverlierbar, welche nicht, was bedeutet Autonomie und<br />
welcher Wert kommt ihr zu? 12 Für mich war eine gegenseitige<br />
Bestätigung und gemeinsame Bestärkung in einer grundsätzlich<br />
liberalen, humanistischen Grundhaltung unter den<br />
Teilnehmenden zu spüren. Der Umgang mit Drogen (abhängigen)<br />
ist jedoch typischerweise fast zwangsläufi g durch<br />
Ambivalenzen und Dilemmas gekennzeichnet: So erscheint<br />
die ethische Überlegung eines (unverlierbaren?) Rechts auf<br />
soziale Gleichheit vernünftig. Gleichzeitig hat die Erfahrung<br />
gezeigt, dass Gleichbehandlung im Sinne eines «One size fi ts<br />
all»-Vorgehens kein erfolgreiches Konzept ist, weder politisch<br />
noch therapeutisch. Oder wie Thomas Babor in seiner Review<br />
zur Auswirkung der Drogenpolitik auf die öffentliche Gesundheit<br />
für die Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse in<br />
effektive Drogenpolitik schlussfolgert: «There is no single drug<br />
problem within or across societies; neither is there a magic<br />
bullet that will solve the drug problem». 13<br />
Vielversprechender dürfte es sein, möglichst auf die individuellen<br />
und lokalen Verhältnisse und Problemlagen abgestimmte<br />
Vorgehensweisen zu wählen. Hinsichtlich des therapeutischen<br />
Angebots gäbe es ein gemeinsames Ziel: einen guten Zugang<br />
für alle Menschen zu qualitativ hochwertigen Behandlungen<br />
und die Wahlfreiheit zwischen sinnvollen Alternativen (inkl.<br />
Verzicht auf Behandlung) zu gewährleisten. Solche Forderungen<br />
liessen sich für Medizin und Soziale Arbeit im Allgemeinen<br />
erheben, sie sind jedoch gerade im Drogenbereich keine<br />
Selbstverständlichkeit: Gemäss einer kürzlich erschienenen<br />
Analyse neoliberaler Metaphern im wirtschaftspolitischen<br />
Diskurs 14 herrsche allseits Angst vor explodierenden Gesundheitskosten<br />
und verbreitete Ablehnung von Menschen in der<br />
sozialen Hängematte mit Vollkasko-Mentalität. Zwar «zeigt<br />
eine Gesellschaft ihr Antlitz im Umgang mit ihren schwächsten<br />
Mitgliedern», 15 so die Autoren – in unserem Zusammenhang<br />
könnte dies vielleicht auf Drogenkonsumierende im Alter 16<br />
oder in Gefängnissen 17 verweisen, – jedoch trifft auch die Kritik<br />
von Sebastian Friedrich zu, dass «zu verdeutlichen wäre, wie<br />
diese und andere Gruppen zu Schwachen gemacht werden, um<br />
nicht die Deutung weiterzutragen, dass sie schwach sind.» 18<br />
Womit ich wieder bei der Politik angelangt wäre.<br />
Politik heisst, dass Entscheide aufgrund von Machtverhältnissen,<br />
Interessen und Überzeugungen ausgehandelt werden.<br />
Sie ist somit immer auf Interpretation und Bewertung angewiesen,<br />
auch wenn sie sich auf empirische, wissenschaftliche<br />
Evidenz stützt. Selbst die für die Wissenschaft geforderte Wertefreiheit<br />
darf angezweifelt werden. 19 Umso wichtiger sind,<br />
wie an dieser Tagung immer wieder betont wurde, die Kommunikation,<br />
das Informieren, die Demontage von Mythen und<br />
Propaganda durch Aufzeigen von Zusammenhängen – respektvolles<br />
Zuhören ebenso wie eine gewinnende Präsentation.<br />
Die neuen Behandlungsempfehlungen<br />
An der Konferenz wurden auch die 2012 frisch überarbeiteten<br />
medizinischen Empfehlungen für substitutionsgestützte<br />
Behandlungen SGB bei Opioidabhängigkeit 2012 der<br />
SSAM vorgestellt. 20 Die aktualisierte und erweiterte Fassung<br />
widerspiegelt den in den vergangenen fünf Jahren gefestigten<br />
Stellenwert der Substitution als Behandlung erster Wahl bei<br />
Opioidabhängigkeit. Die Empfehlungen geben eine umfassende<br />
Darstellung des gegenwärtigen, auf internationaler Evidenz<br />
basierten medizinischen Wissens zu den Grundlagen und<br />
der Durchführung der Behandlung, den verschiedenen zur Auswahl<br />
stehenden Substitutionssubstanzen, sowie speziellen<br />
Behandlungsaspekten und PatientInnengruppen.<br />
Die neuen SSAM-Empfehlungen verdeutlichen ebenfalls, dass<br />
sich die Ergebnisse klinischer Studien nicht gewissermassen<br />
«automatisch», in einer einzig möglichen, zwingenden wissenschaftlichen<br />
Logik, auf den Einzelfall und den klinischen<br />
Alltag im schweizerischen Kontext übertragen lassen. Angesichts<br />
der Komplexität der vielfältigen, kombinierten, gesundheitlichen<br />
und sozialen Problemstellungen bleiben «Leerräume»<br />
zwischen Forschung und (medizinischer/politischer)<br />
Praxis, die es durch plausible Rückschlüsse zu überbrücken<br />
gilt. Dabei kann in der Schweiz auf die Erfahrungen und den<br />
dazugehörenden Diskurs aus über vierzig Jahren zurückgegriffen<br />
werden. Dennoch gibt es noch nicht zu allen Fragen eine<br />
einheitliche Lehrmeinung, z. B. betreffend die Verschreibung<br />
von Benzodiazepinen an Benzodiazepinabhängige. Für diese<br />
Substanzgruppe ist der Substitutionsansatz, trotz naheliegender<br />
Analogien zur Behandlung der Opioidabhängigkeit,<br />
noch ein avantgardistisches Konzept, auch wenn dieses in der<br />
Praxis bereits angewendet wird. 21<br />
8 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong>
Benzodiazepine in der substitutionsgestützten<br />
Behandlung<br />
Im Workshop «Benzodiazepine in SGB: Therapie? Substitution?<br />
Entzug?» (Marc Vogel und Carlo Cafl isch) wurde dieses<br />
Thema vertieft und die dazu vorhandene Forschungsliteratur<br />
vorgestellt. Es wurde aufgezeigt, dass es sich nicht um ein<br />
Randphänomen handelt: Mehr als die Hälfte der Personen in<br />
substitutionsgestützter Behandlung nehmen Benzodiazepine<br />
BZD, ein Grossteil auf ärztliche Verschreibung und etwa die<br />
Hälfte versorgt sich (auch) auf dem Schwarzmarkt. Es gibt dabei<br />
jedoch regionale Unterschiede und Veränderungen über die<br />
Zeit. Bei PatientInnen stosse der Substitutionsansatz teilweise<br />
auf Ablehnung, da sich ihnen der BZD-Gebrauch so mehr als<br />
eine Abhängigkeit präsentiere und weniger als die pharmakologische<br />
Behandlung eines psychischen Problems. Die Frage,<br />
welche BZD-Präparate für die Behandlung am geeignetsten<br />
sind, konnte nicht abschliessend beantwortet werden. Wenn<br />
ich die historische Entwicklung im Bereich der Opioidsubstitution<br />
betrachte, wo sich neben dem Methadon, mit zunehmender<br />
Erfahrung, nach und nach immer mehr alternative<br />
Substitutionsmittel etablierten, über deren optimale Eignung<br />
im Einzelfall entschieden werden muss, hege ich aber auch<br />
grundsätzliche Zweifel, ob sich dies so pauschal beantworten<br />
lässt. Es wurde jedoch klar, dass verschiedene Faktoren auf die<br />
Verschreibungspraxis Einfl uss nehmen: neben den Wünschen<br />
der PatienInnen, wissenschaftlicher Evidenz und klinischen<br />
Erfahrungen ebenso die Regularien, wie z. B. die Ausgestaltung<br />
der Melde- und Rezeptfl icht oder die Limitationen durch die<br />
Krankenkassen. Auch wurden länderspezifi sche Unterschiede<br />
zwischen der Schweiz, Österreich und Deutschland deutlich.<br />
Dabei sehen sich substituierende ÄrztInnen in den Nachbarländern<br />
auch diesbezüglich in einem Masse durch strafrechtliche<br />
Verfahren bedroht, die in der Schweiz unbekannt sind.<br />
Schadensminderung als Haltung<br />
Ein wichtiges Thema wurde im Workshop «Der therapeutische<br />
Effekt von Schadenminderung» von Robert Hämmig<br />
behandelt. Die Schadenminderung (Harm reduction) spielt<br />
eine zentrale Rolle für die schweizerische «Vier-Säulen-Drogenpolitik»,<br />
war es doch die eigentliche innovative Leistung<br />
anfangs der 1990er-Jahre, die bestehende Triade «Prävention<br />
– Repression – Therapie» in diesem Sinne zu ergänzen und<br />
inhaltlich herauszufordern. Um die einfache Kernbotschaft<br />
«Fuck safe – shoot clean» herum entwickelte sich eine zunehmend<br />
elaboriertere alternative Sichtweise zur moralischen<br />
und kriminellen Stigmatisierung und sozialen Ausgrenzung<br />
wie auch zum Krankheitsmodell und zu paternalistischen therapeutischen<br />
Konzepten. Auch nach über zwanzig Jahren gibt<br />
es jedoch verschiedene Ansichten darüber, was darunter zu<br />
verstehen und wessen geistiges Kind sie sei: Eine Basisbewegung<br />
betroffener Personen, um sich gegenseitig Wissen zu vermitteln,<br />
selbst zu befähigen und zu schützen? Ein Standpunkt<br />
aus dem Gesundheitswesen, der die weltweite Drogenpolitik<br />
beeinfl usst? Eine Form von Psychotherapie? Sexualerziehung?<br />
Entkriminalisierung von Drogen? In diesem Zusammenhang<br />
sei auf das Buch von G. Alan Marlatt hingewiesen, in welchem<br />
die Autoren betonen, dass es bei der Schadenminderung mehr<br />
um eine Haltung gehe als um ein fest umrissenes Massnahmenpaket.<br />
Eine humanitäre Haltung, die voraussetzt, dass jedem<br />
Leben vorbehaltslos Würde zusteht, erleichtert es, «sich<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 9
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
im Anderen selbst zu erkennen» und auf dieser Grundlage einfühlende,<br />
pragmatische Herangehensweisen in verschiedenen<br />
Bereichen, wie öffentliche Gesundheit, Prävention, Intervention,<br />
Aufklärung, Unterstützung und Hilfe unter Mitbetroffenen<br />
und Parteinahme zu entwickeln. 22<br />
Gesetzliche Regulierung im Spannungsfeld von<br />
Wissenschaft und Politik<br />
Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik ist ein schwieriges:<br />
Während sich in anderen Bereichen (z. B. Atom-, Gen-,<br />
Nanotechnologie etc.) nach und nach wesentliche Debatten<br />
um die gesellschaftliche Steuerung der wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisproduktion und deren Gebrauch entwickeln, 23 ist<br />
im Drogenbereich schon lange ein ausgeprägtes Bedürfnis<br />
nach gesetzlicher Regulierung auszumachen. Eine neue, im<br />
Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit BAG durchgeführte<br />
und am Kongress, von Studienleiter Olivier Guillod erstmals<br />
präsentierte, international vergleichende Untersuchung zur<br />
Gesetzgebung im Bereich Substitutionsbehandlung aus juristischer<br />
Perspektive, zeigt, dass in der Schweiz eine vergleichsweise<br />
sehr dichte, labyrinthisch verschachtelte Regulierung<br />
besteht, die sich auf Substanzen, PatientInnen, Personal und<br />
Behandlungen erstreckt. Auch wenn eine drogenpolitische<br />
Bewertung im Vergleich zu anderen Ländern nicht möglich<br />
erschien, stellte er doch die Frage, ob es sich hier nicht um eine<br />
Überregulierung handle bzw. die Regulierungen zu detailliert<br />
seien. 24 Umgekehrt fi ndet im Drogenbereich der Ruf nach einer<br />
vermehrt wissenschaftlich abgestützten Politik scheinbar weiterhin<br />
ziemlich wenig Gehör – so etwa das Leitbild «Herausforderung<br />
Sucht», 25 das eine kohärente, integrative Suchtpolitik<br />
empfi ehlt, die sich im Umgang mit psychoaktiven Substanzen<br />
am tatsächlichen Schadenspotenzial und der tatsächlichen<br />
Problemlast orientiert, oder die von David Nutt vorgestellte<br />
Multi Criteria Decision Analysis MCDA, eine in England ähnlich<br />
der Delphi-Methode durchgeführte ExpertInnen-Befragung zur<br />
wissenschaftlichen Beurteilung der Schädlichkeit verschiedener<br />
legaler und illegaler Substanzen. 26,27<br />
«Die Strafe für den Gebrauch einer Droge sollte nicht<br />
schädlicher sein als die Droge selbst.» Eine einleuchtende<br />
Feststellung, seit Jahrzehnten bekannt (sie wird Jimmy Carter,<br />
Präsident der USA 1977-1981 zugeschrieben), verhinderte nicht<br />
die Politik des «Kriegs gegen Drogen», welche eben diesen<br />
Grundsatz prinzipiell missachtete. In jüngerer Zeit scheint hier<br />
jedoch ein gewisses Umdenken stattzufi nden. Die Global Commission<br />
on Drug Policy 28 hält fest, dass der von den Vereinten<br />
Nationen eingeschlagene Weg zur Drogenkontrolle gescheitert<br />
ist. Am Kongress äusserte sich Gilberto Gerra, Direktor des United<br />
Nation’s Offi ce on Drugs and Crime UNODC, dahingehend,<br />
es sei die Position des UNODC, 29 dass es keine Bestrafung und<br />
keine Zwangsbehandlung von DrogenkonsumentInnen geben<br />
sollte, 30 was auch den geltenden internationalen Abkommen<br />
entspreche (Single Convention on Narcotic Drugs, 1961; Convention<br />
on Psychotropic Substances, 1971; Convention against<br />
Illicit Traffi c in Narcotic Drugs and Psychotropic Substances,<br />
1988). 31 Ob solche Einsichten bald zu grundsätzlichen Veränderungen<br />
in der globalen Drogenpolitik führen werden, die darüber<br />
hinausgehen, was Hans Cousto als «Ruhestand-Drogenpolitiker-Erleuchtungs-Syndrom»<br />
32 bezeichnete, wird sich nach<br />
Barack Obamas Wiederwahl vielleicht bald weisen können und<br />
auch was dies für die Schweiz bedeutet. Es gibt gute Chancen<br />
für eine vernünftige Entwicklung in der Drogenpolitik und ich<br />
bin gespannt, was an der NaSuKo in fünf Jahren darüber zu<br />
erfahren sein wird..<br />
Literatur<br />
Babor, T.F. (2012): The Public Health Impact of Drug Policies.<br />
Yale Center for the Study of Globalization.<br />
www.tinyurl.com/cy5umpu, Zugriff 07.12.2012.<br />
BAG - Bundesamt für Gesundheit (2010): Herausforderung Sucht.<br />
Grundlagen eines zukunftsfähigen Politikansatzes für die<br />
Suchtpolitik der Schweiz. Steuerungsgruppe der drei Eidg.<br />
Kommissionen für Alkoholfragen, für Drogenfragen und für<br />
Tabakprävention. www.tinyurl.com/6vvlrb3, Zugriff 02.01.2012.<br />
BEIGEWUM - Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische<br />
Alternativen – (2012): imagine economy. Neoliberale Metaphern im<br />
wirtschaftspolitischen Diskurs. Wien: Löcker Verlag.<br />
Berndorf, J. (2002): Eine Reise nach Genf. Ein Siggi-Baumeister-Krimi.<br />
Goldmann.<br />
Camus, A. (2000): Der Mythos des Sisyphos. Reinbeck: Rohwolt.<br />
Cousto, H. (2012): Das Ruhestand-Drogenpolitiker-Erleuchtungs-<br />
Syndrom. www.tinyurl.com/celtjwu, Zugriff 07.12.2012.<br />
Friedrich, S. (2012): Sprache des Neoliberalismus. kritisch-lesen.de.<br />
www.tinyurl.com/d43ulf7, Zugriff 07.12.2012.<br />
Global Commission on Drug Policy (2012): Der Krieg gegen die Drogen<br />
und HIV/Aids. Wie die Kriminalisierung des Drogenkonsums die<br />
globale Pandemie anheizt. www.tinyurl.com/crmt7j9,<br />
Zugriff 02.01.<strong>2013</strong>.<br />
Greenwald, G. (2009): Drug decriminalization in portugal: lessons for<br />
creating fair and successful drug policies. Washington, D.C.: Cato<br />
Institute.<br />
Liebrenz, M./Boesch, L./Stohler, R./Cafl isch, C. (2010): Agonist<br />
substitution – a treatment alternative for high-dose<br />
benzodiazepine-dependent patients? Addiction 105(11): 1870-1874.<br />
Marlatt, G.A./Larimer, M.E./Witkiewitz, K. (2012): Harm Reduction:<br />
Pragmatic Strategies for Managing High-Risk Behaviors. New York:<br />
Guilford Press.<br />
Nutt, D.J./King, L.A./Phillips, L.D. (2010): Drug harms in the UK: a<br />
multicriteria decision analysis. Lancet 376 (9752): 1558-1565.<br />
Putnam, H. (2004): The Collapse of the Fact/Value Dichotomy and Other<br />
Essays. Harvard University Press.<br />
SSAM - Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin (2012): Medizinische<br />
Empfehlungen für substitutionsgestützte Behandlungen (SGB) bei<br />
Opioidabhängigkeit 2012. SSAM.<br />
Stehr, N. (2003): Wissenspolitik. Die Überwachung des Wissens.<br />
Frankfurt a.M.: Suhrkamp.<br />
UNODC - United Nations Offi ce on Drugs and Crime (2010): From coercion<br />
to cohesion: Treating drug dependence through health care, not<br />
punishment. Discussion paper based on a scientifi c workshop<br />
UNODC Vienna October 28-30 2009. New York: United Nations.<br />
Endnoten<br />
1 Vgl. Berndorf 2002.<br />
2 Vgl. Bericht Global Commission on Drug Policy 2012.<br />
3 Siehe Beitrag Hämmig/Stohler in dieser Ausgabe.<br />
4 Siehe Beitrag Krausz in dieser Ausgabe.<br />
5 Vgl. Camus 2000.<br />
6 Vgl. Greenwald 2009.<br />
7 Siehe Beitrag Meili/Gammeter in dieser Ausgabe.<br />
8 Siehe Beitrag Bürge/Hoffmann in dieser Ausgabe.<br />
9 www.fosumos.ch/praxis-suchtmedizin<br />
10 www.ssam.ch<br />
11 www.fachverbandsucht.ch<br />
12 Siehe Beitrag Bachmann in dieser Ausgabe.<br />
13 «Es gibt kein einheitliches Drogenproblem, weder innerhalb einer<br />
Gesellschaft noch länderübergreifend und auch kein Allheilmittel,<br />
dass «das» Drogenproblem lösen wird». Babor 2012: 80.<br />
14 Vgl. BEIGEWUM 2012.<br />
15 Ebd.: 120.<br />
16 Siehe Beitrag Hälg/Dürsteler in dieser Ausgabe.<br />
17 Siehe Beitrag Chatterjee in dieser Ausgabe.<br />
18 Vgl. Friedrich 2012.<br />
19 Vgl. Putnam 2004.<br />
20 Vgl. SSAM 2012.<br />
21 Vgl. Liebrenz et al. 2010.<br />
22 Vgl. Marlatt et al. 2012.<br />
23 Vgl. Stehr 2003.<br />
24 Siehe Beitrag Guillod in dieser Ausgabe.<br />
25 Vgl BAG 2010.<br />
26 Vgl. Nutt et al. 2010.<br />
27 www.drugscience.org.uk<br />
28 www.globalcommissionondrugs.org<br />
29 www.unodc.org<br />
30 Vgl. United Nations Offi ce on Drugs and Crime 2010.<br />
31 www.unodc.org/unodc/en/treaties/index.html<br />
32 Vgl. Cousto 2012.<br />
10 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong>
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Heroingestützte<br />
Behandlung heute und die<br />
Substitutionsbehandlung<br />
der Zukunft<br />
Die heroingestützte Behandlung HeGeBe ist seit den 1990er Jahren integrierter<br />
Bestandteil der substitutionsgestützten Behandlung SGB in der Schweiz. International<br />
ist sie die bestuntersuchte suchtmedizinische Intervention überhaupt.<br />
Trotzdem ist sie erst in sieben europäischen Ländern als Regelversorgung<br />
verfügbar. Die Erfahrungen mit diesem Behandlungsansatz und die Herausforderungen<br />
angesichts einer alternden PatientInnenpopulation und neuen<br />
Substitutionsmitteln und Applikationsformen waren Gegenstand der Diskussion<br />
auf der Nationalen Substitutions Konferenz NASUKO in Genf Ende 2012.<br />
Michael Krausz<br />
Prof. Dr., University of British Columbia (UBC), 5950 University Boulevard, Vancouver,<br />
BC Canada 6VT 1Z3, michael.krausz@ubc.ca<br />
Johannes Strasser<br />
Dr. med., Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, Wilhelm Klein-Strasse 27,<br />
CH-4012 Basel, Tel. +41 (0)61 325 51 29, johannes.strasser@upkbs.ch<br />
Schlagwörter:<br />
Substitution | Heroingestützte Behandlung | Opioidabhängigkeit | Suchtmedizin |<br />
In Referenz zu den zwei Jahrzehnten heroingestützter Behandlung<br />
HeGeBe in der Schweiz waren die nationalen wie internationalen<br />
Erfahrungen mit diesem Behandlungsansatz ein<br />
zentrales Thema an der «Nationalen Substitutionskonferenz<br />
2012» in Genf. Die Entwicklung seit dem «Platzspitz» Anfang der<br />
1990er Jahre hat die Substitutionsbehandlung ebenso wie die internationale<br />
Suchtforschung verändert und die HeGeBe in bisher<br />
insgesamt sieben europäischen Staaten möglich gemacht.<br />
Diese zwei Jahrzehnte waren sicher die dynamischste Phase in<br />
der Behandlung der Opioidabhängigkeit. Was wurde dabei zur<br />
Verbesserung der Substitution international beigetragen und<br />
wie sieht die Bilanz im Einzelnen aus?<br />
Anfänge im angelsächsischen Raum<br />
Angefangen hat die HeGeBe Anfang des letzten Jahrhunderts<br />
dort, wo sie entgegen aller wissenschaftlichen Evidenz heute<br />
noch am heftigsten negiert und stigmatisiert wird: in den USA.<br />
Ausgehend vom internationalen Opiumabkommen von Den Haag<br />
(1912), das übrigens massgeblich durch US-amerikanische Interessen<br />
an einer Kontrolle opiumkonsumierender chinesischer<br />
Einwanderer zustande kam, 1 wurde Heroin in den 1920er Jahren<br />
im Rahmen einer international neu einsetzenden punitiven Drogenpolitik<br />
wieder verboten (Harison Narcotic Act). 2 Die Kliniken<br />
wurden einfach geschlossen, die Betroffenen kriminalisiert und<br />
sich selbst überlassen. Der internationale Einfl uss einer solch<br />
moralisierenden und diskriminierenden Sichtweise von Sucht<br />
und speziell Opioidbhängigkeit ist heute zwar weniger dominant,<br />
aber die «war on drugs»-Perspektive ist immer noch von<br />
zentraler Bedeutung für den Umgang z. B. mit der Substitution.<br />
International haben immer mehr Länder z. B. in Südamerika und<br />
Europa eine neue Richtung in der Drogenpolitik eingeschlagen<br />
und Substitution, Schadensminderung und zusätzliche Therapieanstrengungen<br />
verschiedener Art implementiert. Trotzdem<br />
zeigt die juristische Verfolgung deutscher substituierender<br />
Ärzte, u. a. in Bayern im Jahre 2011, 3 dass eine vollständige Orientierung<br />
an den Behandlungsbedürfnissen der PatientInnen<br />
und vorhandener wissenschaftlicher Evidenz noch nicht selbstverständlich<br />
ist.<br />
Die besondere Rolle von Grossbritannien sollte in diesem<br />
Kontext nicht unerwähnt bleiben. Durch das Rollestone Committee<br />
(Departmental Committee on Morphine and Diamorphine<br />
Addiction), welches 1926 die Verschreibung von Diamorphin<br />
als Behandlungsmöglichkeit einer Opioidabhängigkeit zuliess,<br />
konnte Heroin im Vereinigten Königreich sehr pragmatisch verschrieben<br />
werden, inklusive «take-home»-Mitgaben für Heroin.<br />
Im Zentrum der HeGeBe stehen dort Ärzte mit speziellen<br />
Lizenzen aufgrund besonderen Trainings. Sie stellen entsprechende<br />
Rezepte aus und kontrollieren die Vergabe auch über<br />
spezielle Substitutionskliniken. Leider wurde diese Behandlungsform<br />
aber über lange Zeit kaum beforscht und sehr zurückhaltend<br />
eingesetzt. In Grossbritannien ist auch – inspiriert<br />
durch Studien in anderen Ländern und deren vielversprechenden<br />
Ergebnissen und dank der internationalen Kooperation auch mit<br />
Schweizer Forschungsgruppen – wieder zur HeGeBe und u. a. zur<br />
intravenösen Methadonapplikation geforscht worden. 4<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 11
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Positive Veränderungen der Rahmenbedingungen<br />
Insgesamt sind die Veränderungen der politischen und wissenschaftlichen<br />
Rahmenbedingungen aber bemerkenswert und<br />
überwiegend positiv.<br />
Die Prinzipien von Risikominimierung und «Harm Reduction»<br />
sind in den USA wie Kanada mittlerweile weitgehend akzeptiert.<br />
Therapieziele jenseits von Abstinenz werden in der Suchttherapie<br />
zunehmend klinische Realität. In Kanada – insbesondere in<br />
Vancouver – wird aufbauend auf die europäischen Erfahrungen<br />
zur HeGeBe geforscht und in Nordamerika wird Pionierarbeit<br />
im Bereich der «Safe Injection Rooms» geleistet. «SALOME»<br />
ist eine der wenigen aktuell laufenden klinischen Studien, in<br />
der HeGeBe und hydromorphingestützte Behandlung intravenös<br />
und oral miteinander verglichen werden, 5 die sich z. Z. in<br />
der Rekrutierungsphase befi ndet. «INSITE» in der Vancouver<br />
Downtown Eastside ist bisher der einzige offi zielle Safe Injection<br />
Room in Nordamerika, 6 der trotz starkem Druck der konservativen<br />
Regierung in Ottawa bisher weiterarbeiten darf und seine<br />
Erfolge eindrucksvoll nachweisen konnte.<br />
Das hat zur Entwicklung des internationalen Dialogs zur HeGeBe<br />
und zur Substitution insgesamt signifi kant beigetragen.<br />
Die am besten untersuchte suchtmedizinische<br />
Intervention<br />
Durch den politischen Druck Ende der 1980er und Anfang der<br />
1990er Jahre auf die Substitution insgesamt und jede «Originalstoffvergabe»<br />
im Besonderen war eine Veränderung des Behandlungsangebotes<br />
nur im Rahmen wissenschaftlicher Studien<br />
denkbar. Entscheidungsträger in Politik und Versorgung wollten<br />
wissenschaftliche Evidenz als Grundlage des Umsteuerns.<br />
Zu keiner Therapie oder keinem therapeutischen Setting wurde<br />
seitdem so intensiv und auf methodisch höchstem Evidenzniveau<br />
gearbeitet. Mehrere tausend PatientInnen waren in der<br />
Schweiz, 7 den Niederlanden, 8 Deutschland, 9 Spanien 10 und England<br />
Teil von randomisierten klinischen Studien. 11 Diese haben<br />
die Kernhypothesen zu diesem Behandlungsansatz geprüft:<br />
Für den überwiegenden Teil der im Rahmen von Stichproben<br />
gewählten PatientInnen, die sich durch Substitutionsbehandlungen<br />
mit Methadon nicht ausreichend stabilisieren konnten,<br />
ist die HeGeBe ein wirksamerer Therapieansatz, der zur signifi -<br />
kanten Verbesserung des körperlichen und psychischen Gesundheitszustandes<br />
führt.<br />
Die Therapie ist sicher und in den von den meisten PatientInnen<br />
gewählten spezialisierten Zentren für substitutionsgestützte<br />
Behandlung mit Diacetylmorphin gut durchzuführen. Sie ist der<br />
Methadonsubstitution in der gewählten Zielgruppe auch unter<br />
Aspekten der Kosteneffi zienz überlegen. Andere Applikationsformen,<br />
wie die Inhalation oder Tabletten 12 sind effektiv und eine<br />
reale Alternative zur intravenösen Verabreichung.<br />
Die Schweizer Entwicklung als «Game Changer»<br />
Das besondere Verdienst der Schweizer Suchtmedizin und<br />
Forschung war es, mit der Schweizer Heroinstudie PROVE 13 das<br />
Thema Substitution mit Heroin im Kontext der HIV-Epidemie und<br />
der offenen Drogenszenen in Europa neu auf die Tagesordnung<br />
gesetzt 14 und demonstriert zu haben, dass sie ein wichtiger Teil<br />
einer Lösung sein kann. Dies war verbunden mit der grundlegenden<br />
und niedrigschwelligen Verfügbarkeit von Substitution und<br />
anderer suchttherapeutischer Angebote – wie des qualifi zierten<br />
Entzugs oder stationärer Langzeittherapien, – die in vielen anderen<br />
Ländern nur sehr eingeschränkt vorhanden sind.<br />
Die PROVE-Studie hatte von Anfang an aufgrund der Grössenordnung<br />
und der politischen Unterstützung durch das Schweizerische<br />
Bundesamt für Gesundheit BAG und die verantwortlichen<br />
PolitikerInnen klinische Bedeutung über den begrenzten wissenschaftlichen<br />
Versuch auf Basis der rigiden RCT-Methodologie<br />
nach «Good Clinical Practice» 15 hinaus. Auf der Grundlage der<br />
positiven Behandlungseffekte sowie der Auswirkungen auf die<br />
Gemeinden im Sinne einer deutlichen Reduktion der Kriminalität<br />
und einer Entlastung des öffentlichen Raums ergab sich ein<br />
fl iessender Übergang in die Implementierung, verbunden mit<br />
einem intensiven nationalen wie internationalen Dialog. Diese<br />
einzigartige Verbindung von Forschung, Versorgung und Drogenpolitik<br />
hat zum grossen Einfl uss der Schweizer Erfahrungen<br />
in Europa beigetragen und die wissenschaftlichen Initiativen<br />
sowie deren Umfeld in den Niederlanden 16 und Deutschland 17<br />
besonders beeinfl usst.<br />
Seitdem hat sich auch das Behandlungsnetz in der Schweiz weiterentwickelt.<br />
Aktuelle klinische Entwicklungen und Herausforderungen<br />
in der Schweiz<br />
Das Behandlungsangebot der HeGeBe wurde in der Schweiz<br />
laufend ausgebaut, konzeptuell verändert, systematisiert und<br />
den vielfältigen medizinischen, psychiatrischen und sozialen<br />
Bedürfnissen angepasst. Knapp 20 Jahre nach Einführung ist die<br />
Behandlung gefestigt. Der Umgang mit Diacetylmorphin wurde<br />
professionalisiert und viele Abläufe sind zur Routine geworden.<br />
Die in den Anfängen der HeGeBe politisch notwendigen engen<br />
bundesrechtlich-zentralistischen Vorgaben wurden hingegen<br />
nur bedingt angepasst, was zu einer eigenartigen Sonderstellung<br />
der HeGeBe geführt hat. Denn die hoch reglementierte<br />
Errungenschaft, ein «verbotenes Betäubungsmittel» ärztlich<br />
kontrolliert zu verabreichen, hat weitgehend zu in sich abgekapselten<br />
Behandlungssystemen geführt, in welchen Heroin<br />
unwidersprochen idealisiert werden kann, ohne Notwendigkeit,<br />
neue Impulse zu setzen und sich weiterzuentwickeln.<br />
Allerdings ist die Entwicklung der HeGeBe auch nicht stillgestanden.<br />
Die seit 2011 offi ziell geschaffene Möglichkeit, das<br />
pharmazeutische Heroin in schluckbarer Form als sogenannte<br />
Diaphintabletten verschreiben zu können, darf durchaus als<br />
revolutionär für die Entwicklung der HeGeBe in der Schweiz<br />
angesehen werden. Mit steigender Tendenz erhalten bereits<br />
heute mehr als ein Drittel aller PatientInnen in den HeGeBe ihr<br />
gesamtes Diaphin oder einen Teil davon in Tablettenform.<br />
Das Bild von den Schwerstabhängigen mit der Spritze im Arm<br />
als typischen HeGeBe-PatientInnen muss dementsprechend<br />
gründlich revidiert werden. Durch die Möglichkeit, Heroin in<br />
Tablettenform anbieten zu können, erschliessen sich wichtige<br />
neue Behandlungsaspekte. Bspw. mussten bislang PatientInnen,<br />
die nicht mehr injizieren konnten oder wollten, oft auf<br />
ein ungewünschtes perorales Substitut – meistens Methadon<br />
– wechseln. Kommt hinzu, dass damit auch oft die Behandlung<br />
in einer HeGeBe beendet war und die Behandlungsinstitution<br />
gewechselt werden musste, ohne die wichtige und gewünschte<br />
Beziehungskontinuität aufrechterhalten zu können.<br />
Inzwischen sind auch Take-Home-Vergaben von Diaphintabletten<br />
in der Schweiz möglich, was den Behandlungsspielraum<br />
noch weiter öffnet und angesichts der zukünftig zu erwartenden<br />
Problemstellungen ein wichtiges Bindeglied in der Versorgungskette<br />
multimorbid erkrankter PatientInnen darstellen wird.<br />
Denn die sich verändernden äusseren Umstände, allen voran<br />
das Phänomen der alternden PatientInnenpopulation, zeigen<br />
bereits heute zunehmend interdisziplinär herausfordernde<br />
Schwierigkeiten auf, für die aktiv Lösungen gesucht und Versorgungs-<br />
und Behandlungskonzepte erstellt werden müssen. Die<br />
HeGeBe in ihrer abgekapselten Sonderstellung wird hier besonders<br />
gefordert sein. Sie wird neue Wege zu beschreiten haben<br />
und zwingend neue Kooperationen eingehen müssen. Dabei<br />
wird die Aufmerksamkeit vor allem auf die Einbettung Heroin-<br />
12 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong>
substituierter in das gesamte medizinische und psychosoziale<br />
Versorgungsnetz zu richten sein.<br />
Für die kommenden Jahre gilt es, den politisch begründeten<br />
Sonderstatus des pharmazeutischen Heroins zu durchbrechen<br />
und sich unvoreingenommen wesentlichen Fragen der HeGeBe<br />
zuzuwenden:<br />
– Welche medizinisch und nicht politisch begründeten<br />
Indikationskriterien gelten für die HeGeBe?<br />
– Welche PatientInnenprofi le passen am besten zum<br />
speziellen Angebot der HeGeBe?<br />
– Welche Behandlungen sollen zukünftig in den HeGeBe-<br />
Institutionen angeboten werden? Welche Behandlungen<br />
sollen allen Opioidabhängigen fl ächendeckend zur<br />
Verfügung stehen (z. B. Diacetylmorphin-Tabletten in der<br />
Apotheke)?<br />
So gesehen sind im gesamten Substitutionsumfeld der Schweiz<br />
ganz neue Konzepte und Innovationen gefragt, die sich wieder<br />
mit den Kernfragen einer substitutionsgestützten Behandlung<br />
auseinandersetzen, etwa mit den Möglichkeiten einer echt<br />
diversifi zierten substitutionsgestützten Behandlung und einer<br />
tatsächlich individuell auf die Bedürfnisse heroinabhängiger<br />
Menschen abgestimmten Therapie.<br />
Klinische Realität in Europa heute<br />
Die Schweiz hat mit ca. 1‘400 Behandlungsplätzen, was 8%<br />
der Substituierten entspricht, sowohl absolut wie relativ das<br />
grösste und qualifi zierteste Behandlungsangebot. In der Bundesrepublik<br />
Deutschland werden ungefähr 1‘200 PatientInnen<br />
behandelt. Neue Standorte für spezialisierte Kliniken sind u. a.<br />
für Berlin bereits beschlossen. In den Niederlanden gibt es ca.<br />
1‘000, im Vereinigten Königreich um die 500 und als letztes<br />
Land ist Dänemark mit 240 KlientInnen in fünf Zentren dazugekommen.<br />
Die Kapazität der Heroinstudien wurde also etwas<br />
ausgebaut und neue Staaten kommen auch ohne eigene wissenschaftliche<br />
Versuche hinzu. Eine lange geplante Studie in Belgien<br />
stockt aus logistischen und politischen Gründen.<br />
Die substitutionsgestützte Behandlung mit Diacetylmorphin<br />
erfolgt nach wie vor in spezialisierten Kliniken/Zentren und nach<br />
dem in den Studien erprobten Vorgehen.<br />
Die Substitutionsbehandlung der Zukunft und die<br />
heroingestützte Behandlung<br />
Die HeGeBe war in allen bisherigen Versuchen und ist in ihrer<br />
aktuellen klinischen Verwendung ein therapeutischer Ansatz der<br />
zweiten Wahl. Je nach Land und den politisch vorgegebenen Indikationskriterien<br />
können unter 18-Jährige, schwangere Frauen<br />
und PatientInnen mit besonderen körperlichen Risiken von der<br />
Behandlung ausgeschlossen sein. Die Schweiz hingegen erlaubt<br />
den Einschluss Schwangerer, wenn es keine medizinischen Kontraindikationen<br />
gibt. Sie ist somit eine Ergänzung des breiter<br />
werdenden Angebots an Substitutionsmitteln von Methadon,<br />
Buprenorphin, Polamidon, Codein und retardierten Morphinen.<br />
Andere potente Opioide wie Hydromorphin (Dilaudid) werden<br />
zurzeit bzgl. ihres Einsatzes in der Substitution erforscht, kommen<br />
aber gegebenenfalls auch eher als Alternative zum Diacetylmorphin<br />
in Frage.<br />
Die Differentialindikationen, wann welches Substitutionsmittel<br />
welche Vorteile hat, sind dabei bisher nur unzureichend untersucht,<br />
ebenso wie die Gründe für unterschiedliche Präferenzen<br />
der Opioidabhängigen für bestimmte Substitutionsmittel. Das<br />
bleibt intensiverer Forschung zu Wirkungsmechanismen vorbehalten.<br />
Die zunehmende Verwendung von oralem Heroin (Diaphintabletten)<br />
in der Schweizer HeGeBe ist ein deutlicher Indikator,<br />
dass alternative Applikationsformen in der Zukunft mehr Beachtung<br />
fi nden sollten. Zum einen, da die PatientInnen älter werden<br />
und damit auch der Gefässstatus Injektionen erschwert, zum<br />
anderen, da das auch die Rahmenbedingungen und Kostensituation<br />
der HeGeBe verbessern könnte. Auch in diesem Feld könnte<br />
die Schweizer Suchtmedizin wieder eine wichtige Vorreiterrolle<br />
spielen.<br />
Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die HeGeBe<br />
die Substitutionsbehandlung insgesamt verändert hat. Sie ist<br />
heute die bestuntersuchte suchtmedizinische Intervention. Die<br />
Schweizer Suchtmedizin und Forschung hat zu dieser Entwicklung<br />
massgeblich beigetragen..<br />
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7517-1-9.<br />
Endnoten<br />
1 Vgl. Renggli/Tanner 1994.<br />
2 Vgl. Musto 1973.<br />
3 Vgl. dazu die Medienmitteilung der Deutschen Gesellschaft für<br />
Suchtmedizin vom 7. November 2011, www.tinyurl.com/abpueqv,<br />
Zugriff 19. Januar <strong>2013</strong>.<br />
4 Vgl. Strang et al. 2010.<br />
5 Forschungsleitung M. Krausz& E. Oviedo Joekes.<br />
6 Vgl. Wood et al. 2004.<br />
7 Vgl. Uchtenhagen et al. 2000.<br />
8 Vgl. Vos/van den Brink/Ufkes 1995.<br />
9 Vgl. Haasen/Verthein/Eiroa-Orosa et al. 2010.<br />
10 Vgl. March/Oviedo-Joekes/Perea-Milla et al. 2006.<br />
11 Vgl. Ferri/Davoli/Perucci 2011.<br />
12 Vgl. Rook/Huitema/van den Brink 2006.<br />
13 Vgl. Steffen/Uchtenhagen/Gutzwiller et al. 1999.<br />
14 Vgl. Grob 2009.<br />
15 Vgl. ICH Expert Working Group 1996.<br />
16 Vgl. Vos/van den Brink/Ufkes 1995.<br />
17 Vgl. Haasen/Verthein/Eiroa-Orosa et al. 2010.<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 13
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Ethische Überlegungen<br />
zur substitutionsgestützen<br />
Behandlung<br />
Opioidabhängige sind aus ethischer Sicht PatientInnen und Personen. Als<br />
PatientInnen haben sie einen Anspruch auf angemessene medizinische<br />
Behandlung und soziale Unterstützung. Als Personen haben sie einerseits das<br />
Recht auf Respektierung ihrer PatientInnenautonomie. Andererseits haben sie<br />
die Pflicht, die Rechte Dritter zu achten und sich an geltende Regeln zu halten.<br />
Tun sie dies nicht, können Sanktionen gerechtfertigt sein. Der Umgang mit<br />
Opioidabhängigen sollte sich an diesen ethischen Kriterien orientieren - und<br />
nicht an politischen Opportunitäten oder ideologisch geprägten Vorstellungen.<br />
Andreas Bachmann<br />
Dr. phil., Geschäftsführer ethik im diskurs GmbH,<br />
Restelbergstrasse 60, CH-8044 Zürich, bachmann@ethikdiskurs.ch<br />
Schlagwörter:<br />
Substitution | Ethik | Autonomie | Fürsorge |<br />
Einleitung<br />
In der Schweiz ist die substitutionsgestützte Behandlung<br />
SGB eine rechtlich und politisch anerkannte suchtmedizinische<br />
Behandlungsmethode. 1 Daraus lässt sich aber nicht<br />
ableiten, dass diese Methode auch ethisch positiv zu beurteilen<br />
ist. Aus ethischer Sicht ist es vielmehr eine offene Frage,<br />
ob sich die SGB überhaupt rechtfertigen lässt; und falls ja, auf<br />
welche Weise. Zudem ist es, solange eine solche Rechtfertigung<br />
nicht vorliegt, auch nicht möglich, konkrete Aspekte der<br />
gegenwärtigen Praxis, etwa die kantonal unterschiedlichen<br />
Zugangsregelungen oder die Sanktionierung von Opioidabhängigen,<br />
die sich nicht an die Regeln der Substitutionszentren<br />
halten, ethisch zu bewerten. 2<br />
Im Folgenden möchte ich mich auf die Rechtfertigungsfrage<br />
konzentrieren. Zum einen, um deutlich zu machen, wie<br />
voraussetzungsreich eine ethische Rechtfertigung der SGB ist.<br />
Ich werde einen Vorschlag skizzieren, wie eine solche aussehen<br />
könnte. Zum anderen, weil eine ethische Beurteilung der<br />
erwähnten praxisbezogenen Aspekte der SGB davon abhängt,<br />
auf welcher ethischen Grundlage diese Art der Therapie beruht.<br />
Moral, Ethik, Recht<br />
Zunächst muss geklärt werden, was unter «Ethik» zu verstehen<br />
ist. Anders als in der Alltagssprache wird in der philosophischen<br />
Fachsprache zwischen Moral und Ethik unterschieden.<br />
Moral bezieht sich auf die nicht theoretisch refl ektierten<br />
Alltagsüberzeugungen hinsichtlich dessen, was zu tun geboten,<br />
verboten oder erlaubt ist. Ethik bezeichnet die Wissenschaft<br />
der Moral. Als normativer Disziplin geht es ihr darum, zu<br />
bestimmen, welche dieser vortheoretischen Überzeugungen<br />
begründet bzw. gerechtfertigt sind und welche nicht.<br />
Was das Verhältnis zwischen Moral und Recht betrifft, ist<br />
wichtig, sich vor Augen zu halten, dass moralische Normen<br />
Rechtsnormen normativ vor- bzw. übergeordnet sind. Das<br />
Lebensrecht und das ihm entsprechende Tötungsverbot<br />
bspw. sind moralische Normen, die von so grundsätzlicher<br />
Bedeutung sind, dass sie auch positivrechtlich kodifi ziert und<br />
damit rechtlich einklagbar werden. Aber sie würden auch dann<br />
gelten, wenn sie nicht rechtlich festgeschrieben wären. Das<br />
gilt auch für das mit Blick auf die SGB wichtige Recht auf<br />
Gesundheit. Wenn es dieses Recht und eine entsprechende<br />
Hilfspfl icht gibt, dann zunächst in einem moralischen Sinn<br />
und erst daraus abgeleitet auch in einem rechtlichen Sinn.<br />
Ist im Folgenden von diesem Recht die Rede, ist dies, falls<br />
nicht anders vermerkt, stets moralisch gemeint. Dabei ist<br />
ein moralisches Recht ein moralischer Anspruch auf etwas,<br />
z. B. auf eine bestimmte medizinische Hilfeleistung. Diesem<br />
Anspruch korrespondiert eine Pfl icht, diese Hilfeleistung zu<br />
gewährleisten bzw. zu erbringen.<br />
Konsequentialismus oder Deontologie? 3<br />
Beim moralischen Recht auf Gesundheit handelt es sich<br />
um eine Spezifi zierung eines allgemeineren Rechts auf Fürsorge.<br />
Die diesem Recht zugeordnete Pfl icht ist die Pfl icht zur<br />
Fürsorge. Diese Formulierung gibt einen Hinweis, wie man das<br />
Recht begründen kann. Fürsorge (bzw. Hilfe) ist geboten, wenn<br />
eine Person ein Recht auf Fürsorge hat. Dieses Recht hat sie<br />
u. a., wenn sie Hilfe benötigt und diese erbittet. Das mag auf<br />
den ersten Blick einleuchtend klingen. Dabei darf man aber<br />
nicht übersehen, dass die gewählte Begriffl ichkeit auf eine bestimmte<br />
ethische Theorie verweist, die nicht unumstritten ist.<br />
Diese Theorie bezeichnet man als Deontologie.<br />
Gemäss der Deontologie sind für die ethische Beurteilung von<br />
Handlungen nicht nur die Folgen massgebend. Vielmehr gibt<br />
es Handlungen eines bestimmten Typs, wie etwa das Töten<br />
Unschuldiger oder das Einhalten von Versprechen, die unabhängig<br />
von den Konsequenzen zu unterlassen bzw. auszuführen<br />
sind. Letzteres unterscheidet die Deontologie vom Konsequentialismus.<br />
Damit wird jene ethische Position bezeichnet,<br />
nach der man immer die Handlungsoption wählen muss, die<br />
14 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong>
voraussichtlich die besten Folgen hat. In dieser Theorie kann<br />
es keine moralischen Rechte und Pfl ichten geben – und damit<br />
kein Recht auf Gesundheit – weil diese ja gerade dazu dienen,<br />
Folgeüberlegungen zu beschränken. 4 Es gibt nur die für alle<br />
Handlungen geltende allgemeine Pfl icht, das zu tun, was den<br />
zu erwartenden Nettonutzen für alle Betroffenen maximiert.<br />
Begründungsprobleme<br />
Welche der beiden Theorien plausibler ist, ist strittig. Das<br />
Problem des Konsequentialismus besteht darin, zu begründen,<br />
warum es eine Pfl icht zur Nutzenmaximierung gibt. Eine<br />
überzeugende Begründung dieser Pfl icht liegt bis heute nicht<br />
vor.<br />
Das Problem der Deontologie besteht darin, zu begründen,<br />
warum es moralische Pfl ichten und Rechte gibt und welche das<br />
sind. Gemäss der kantianischen Version ergeben sich diese aus<br />
der Menschenwürde, die ihrerseits auf dem absoluten Wert der<br />
Autonomie beruht. Während diese Version ausnahmslos gültige<br />
Unterlassungspfl ichten postuliert, wie etwa ein absolutes<br />
Lügenverbot, geht der alternative Ansatz von W. D. Ross davon<br />
aus, dass es nur Prima facie-Pfl ichten gibt. Hierbei handelt<br />
es sich um Pfl ichten, die nicht absolut gelten, sondern unter<br />
Umständen durch andere Pfl ichten überwogen werden können.<br />
Auch diesen prominenten deontologischen Ansätzen gelingt<br />
es nicht, die von ihnen postulierten Pfl ichten plausibel zu<br />
begründen. Kants Argumente für den absoluten Wert der<br />
Autonomie sind ebenso unbefriedigend wie Ross‘ Behauptung,<br />
die Gültigkeit der Prima facie-Pfl ichten sei so evident wie ein<br />
mathematisches Axiom. 5<br />
Interessenbasierte Ethik<br />
Eine Alternative zu diesen zwei Ansätzen bietet die Interessenbasierte<br />
Ethik. Sie sucht moralische Pfl ichten und Rechte<br />
durch Rekurs auf das Eigeninteresse vernünftiger Wesen zu<br />
begründen. Ihr zufolge gibt es bestimmte basale Interessen,<br />
die allen rationalen Individuen gemeinsam sind. Hierzu gehört<br />
etwa das Interesse, selbst bestimmen zu können, wie man<br />
sein Leben gestalten will; oder das Interesse, nicht in einer<br />
Gesellschaft zu leben, in der man stets damit rechnen muss,<br />
von anderen getötet zu werden. Es ist demnach für jeden von<br />
Vorteil, eine allgemeine Norm zu akzeptieren, der zufolge jeder<br />
selbst entscheiden darf, wie er leben will bzw. eine Norm, der<br />
zufolge andere nicht getötet werden dürfen. Dies allerdings<br />
nur, wenn alle anderen diese Norm auch akzeptieren und damit<br />
bereit sind, auf einen Teil der eigenen Freiheit zu verzichten.<br />
Auf diese Weise kann man das Recht auf Selbstbestimmung<br />
oder das Recht auf Leben und das ihm entsprechende Tötungsverbot<br />
allgemein nachvollziehbar begründen. Analog kann<br />
man eine generelle Hilfs- bzw. Fürsorgepfl icht begründen.<br />
Da niemand ausschliessen kann, einmal schutz- und hilfsbedürftig<br />
zu sein, ist es im Interesse eines jeden, Hilfe zu<br />
bekommen, wenn er sie benötigt und wünscht. 6 Zudem lässt<br />
sich auf diese Weise deutlich machen, warum im Falle eines<br />
Konfl ikts zwischen Selbstbestimmung (Autonomie) und Fürsorge<br />
die Autonomie das grössere Gewicht hat. Der Grund ist,<br />
dass niemand ein Interesse daran hat, Hilfe zu erhalten, die er<br />
autonom ablehnt.<br />
Auch gegen die Interessenbasierte Ethik können Einwände<br />
vorgebracht werden, die Zweifel an ihrer Plausibilität als<br />
gerechtfertigt erscheinen lassen. 7 Ein Einwand lautet, es sei<br />
nicht möglich, die Moral mit ihren kategorischen Geboten<br />
auf dem Eigeninteresse vernünftiger Wesen und damit auf<br />
Klugheitsüberlegungen aufzubauen. Ein anderer Einwand geht<br />
dahin, dass gemäss dieser Theorie moralische Normen nur<br />
befolgen sollte, wer damit rechnen muss, andernfalls mehr<br />
Nachteile als Vorteile zu erleiden. Damit sei es möglich, dass<br />
besonders mächtige Menschen, die aufgrund ihrer Macht<br />
kaum Sanktionen zu befürchten hätten, die Moral ignorieren<br />
könnten und dafür nicht einmal kritisiert werden dürften.<br />
Ohne dies hier zeigen zu können, gehe ich davon aus, dass die<br />
Interessenbasierte Ethik diese Einwände entkräften kann. Ich<br />
möchte nun zeigen, wie aus Sicht einer solchen Ethik die SGB<br />
zu bewerten ist.<br />
Recht auf Gesundheit oder Recht auf Behandlung?<br />
Ich habe oben gesagt, das Recht auf Gesundheit sei eine<br />
Spezifi zierung des Rechts auf Fürsorge bzw. Hilfe: Es bezieht<br />
sich auf die Situationen, in denen ein kranker Mensch medizinischer<br />
Hilfe bedarf (und sie, sofern er autonom ist, auch<br />
beansprucht). Das ist deshalb wichtig, weil es impliziert, dass<br />
Opioidabhängigen ein Recht auf Gesundheit nur zukommt,<br />
falls Abhängigkeit eine entweder heilbare oder chronische<br />
Krankheit ist.<br />
Freilich liegt dem eine bestimmte, keineswegs unumstrittene<br />
Interpretation des Begriffs der Gesundheit zugrunde.<br />
Verstünde man Gesundheit nämlich in einem anderen Sinne,<br />
etwa dem der Weltgesundheitsorganisation WHO, gemäss<br />
der Gesundheit ein «Zustand des vollständigen körperlichen,<br />
geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen<br />
von Krankheit oder Gebrechen» ist, 8 müsste man das Recht auf<br />
Gesundheit viel extensiver auslegen. Allerdings ist die WHO-<br />
Defi nition genau aus diesem Grund derart problematisch,<br />
dass es vorzuziehen ist, Gesundheit in einem engeren Sinn als<br />
Gegenbegriff zu Krankheit zu verstehen. Indes ist die Bezeichnung<br />
«Recht auf Gesundheit» auch dann noch fragwürdig.<br />
Denn es ist unklar, was mit dem Begriff «Krankheit» gemeint<br />
ist. 9 Und selbst wenn Krankheit in einem klar defi nierten biomedizinischen<br />
Sinn verstanden wird, ist der Begriff «Recht auf<br />
Gesundheit» nicht glücklich. Er suggeriert nämlich, dass es<br />
sich hierbei um einen moralischen Anspruch handelt, gesund<br />
zu sein und im Falle von Krankheit gesund gemacht, das heisst<br />
geheilt zu werden. 10 Geht man von einer Reziprozität von Rechten<br />
und Pfl ichten aus, würde dies bedeuten, dass die Ärzte<br />
selbst dann eine moralische Pfl icht hätten, PatientInnen zu<br />
heilen, wenn es beim Stand des medizinischen Wissens gar<br />
keine kurative Therapie gäbe. So etwas kann die Moral sinnvollerweise<br />
nicht verlangen. Denn moralisch etwas zu fordern<br />
setzt voraus, dass man in der Lage ist, das Geforderte zu tun<br />
(«ought implies can»). Es ist daher angemessener, statt von<br />
einem Recht auf Gesundheit von einem Recht auf Behandlung<br />
zu sprechen.<br />
Ziele der SGB und die Aufgabe des Staates<br />
Gemäss dem skizzierten interessenbasierten Begründungsansatz<br />
ist das Recht auf Behandlung zweifellos ein<br />
gerechtfertigter moralischer Anspruch. Denn es liegt im Interesse<br />
jeder vernünftigen Person, im Falle einer Krankheit<br />
medizinische Hilfe zu erhalten, wenn sie sich nicht selbst helfen<br />
kann und die Hilfe in Anspruch nehmen will. Ist die Abhängigkeit<br />
von Opioiden eine Krankheit, steht dieses Recht<br />
auch den Opioidabhängigen zu. Dies ist aus folgendem Grund<br />
von besonderer Bedeutung: Hat jemand einen moralischen<br />
Anspruch auf etwas, kann er diesen Anspruch nicht verlieren<br />
oder verwirken. Auch im Alter und auch wenn sie sich im Spital<br />
oder im Gefängnis befi nden, dürfen Opioidabhängige zu Recht<br />
erwarten, auf angemessene Weise medizinisch behandelt zu<br />
werden. Umgekehrt bedeutet dies, dass eine Pfl icht besteht,<br />
diese Behandlung zu garantieren. Diese Pfl icht kann aus deontologischer<br />
Sicht nicht durch ökonomische Überlegungen<br />
eingeschränkt werden. Selbst wenn volkswirtschaftlich die<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 15
Kosten der SGB wesentlich höher wären als die durch die SGB<br />
erzielbaren Einsparungen (was nicht der Fall ist), wäre dies irrelevant.<br />
Wenn es eine Behandlungspfl icht gibt, dürfen solche<br />
volkswirtschaftlichen Überlegungen keine Rolle spielen.<br />
Nur, wem obliegt es, dafür zu sorgen, dass alle, die eine SGB<br />
benötigen, diese auch bekommen? Ungeachtet der Rolle der<br />
Eigenverantwortung und der damit verbundenen Möglichkeit<br />
privater Vorsorge liegt es im Interesse aller, dass eine staatliche<br />
Absicherung vorliegt, die eine Person im Fall von Krankheit<br />
(oder Unfall) auffängt, wenn sie selbst dazu fi nanziell nicht<br />
in der Lage ist. Allein der Staat hat die Möglichkeit, auf Grund<br />
seines Gewaltmonopols die Mittel zu erheben, die es braucht,<br />
um das Recht auf Behandlung im Allgemeinen, das Recht auf<br />
eine SGB im Besonderen zu gewährleisten. Es ist daher die<br />
Pfl icht des staatlichen Gesundheitssystems, zu garantieren,<br />
dass alle Opioidabhängigen einen Zugang zu einer SGB haben<br />
und dies ungeachtet der damit verbundenen Kosten.<br />
Recht auf Behandlung<br />
Was ist genau gemeint, wenn man sagt, Opioidabhängige<br />
hätten ein Recht auf Behandlung? Allgemein ist es das<br />
Recht, diejenige medizinische Therapie und psychotherapeutische<br />
Begleitung zu erhalten, die der Krankheit angemessen<br />
ist. (Dies impliziert auch ein Recht auf die nötigen Voraussetzungen<br />
für eine erfolgversprechende Behandlung, also bspw.<br />
ein Obdach, eine Basisbeschäftigung oder die Deckung der<br />
basalen Lebenskosten.) Das lässt offen, worin das Behandlungsziel<br />
besteht. Heute scheint man sich unter SuchtmedizinerInnen<br />
weitgehend einig zu sein, dass Abstinenz zumindest<br />
kein vorrangiges Ziel mehr ist. Denn Substanzabhängigkeit sei<br />
eine chronische Krankheit, die nicht kurativ, sondern primär<br />
palliativ zu behandeln ist. Das Ziel wäre dann, die Abhängigen<br />
soweit wie möglich vor gesundheitlichen Schäden zu schützen<br />
und ihre Lebensqualität zu verbessern.<br />
Therapieziele im Spannungsverhältnis von Autonomie und<br />
Fürsorge<br />
Freilich scheint mir dies eine etwas einseitige Zielbestimmung<br />
zu sein. Zwar gibt es auch aus der Perspektive der hier<br />
vertretenen ethischen Position keinen Grund, die Therapie am<br />
Ziel der Abstinenz auszurichten. Dennoch ist problematisch,<br />
wenn sich diese überwiegend an Begriffen wie Schadensminderung<br />
und Lebensqualität orientiert. Dies aus folgendem<br />
Grund: Formuliert man die Therapieziele in erster Linie anhand<br />
solcher Begriffe, rückt der Aspekt der Fürsorge in den Mittelpunkt<br />
der Behandlung. Man betrachtet dann die Abhängigen<br />
primär als hilfsbedürftige kranke Menschen. Dabei vergisst<br />
man aber, dass sie auch selbstbestimmungsfähige Personen<br />
sind, die ein Recht haben, als Personen behandelt zu werden.<br />
Im Hinblick auf das Behandlungsziel würde dies bedeuten,<br />
dass die Rückgewinnung der Selbstbestimmung bezüglich<br />
des Konsums der Droge ein wichtiges Ziel der Therapie sein<br />
sollte. 11 Das darf nicht mit Abstinenzorientierung verwechselt<br />
werden, schon gar nicht im Sinn des dogmatischen Begriffs<br />
der Abstinenz, nach dem nur ein Leben ohne Drogen ein<br />
gutes Leben sein kann. Es meint vielmehr, dass suchtkranke<br />
Menschen in die Lage versetzt werden sollen, autonom zu<br />
entscheiden, ob sie eine psychoaktive Substanz konsumieren<br />
wollen oder nicht; und dass sie, falls sie auf den Konsum nicht<br />
verzichten können oder wollen, die Fähigkeit erlangen, auf<br />
nicht oder möglichst wenig selbstschädigende (risikoarme)<br />
Weise zu konsumieren.<br />
16 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong>
Die Opioidabhängigen als Personen:<br />
Rechte und Pflichten<br />
Suchtkranke Menschen sind zwar als PatientInnen zu betrachten,<br />
die auf medizinische Unterstützung angewiesen<br />
sind. Zugleich sind sie aber auch Personen, die in der Lage sind,<br />
das eigene Leben gemäss eigener Vorstellungen zu führen. Aus<br />
interessenbasierter Sicht ist es im Interesse eines jeden, dass<br />
diese Fähigkeit durch ein moralisches Recht geschützt wird.<br />
Denn niemand kann objektiv bestimmen, worin das für den<br />
anderen Gute besteht. Das muss und kann letztlich nur jede<br />
Person für sich selbst entscheiden.<br />
Personen haben demnach ein Recht auf Selbstbestimmung<br />
bzw. Autonomie. Ihre Entscheidungen sind zu respektieren,<br />
sofern dadurch nicht die Rechte anderer Personen verletzt werden.<br />
Dies gilt auch dann, wenn Personen Entscheide treffen,<br />
mit denen sie sich selbst schädigen. Solange nur sie selbst<br />
davon betroffen sind, ist der Grad der Selbstschädigung unerheblich.<br />
Auch bei massivster Selbstschädigung sind paternalistische<br />
Eingriffe, also Eingriffe ohne das Einverständnis der<br />
betroffenen autonomen Person, mit dem Ziel, deren Wohl zu<br />
fördern, ethisch unzulässig.<br />
Zum Konzept der Person gehört aber auch, dass Personen für<br />
ihr Tun und Unterlassen verantwortlich sind. Das heisst u. a.,<br />
dass man die Einhaltung moralischer und rechtlicher Regeln<br />
von ihnen einfordern und sie für Regelverstösse bestrafen darf.<br />
Was bedeutet dies nun mit Blick auf suchtkranke, insbesondere<br />
opioidabhängige Menschen? 12 Es bedeutet zum einen, dass<br />
sie neben dem Recht auf Behandlung auch ein Recht darauf<br />
haben, dass ihre Autonomie geachtet wird. Zum anderen<br />
bedeutet es, dass sie als Personen auch bestimmte moralische<br />
Pfl ichten haben, bei deren Nichtbefolgung sie sanktioniert<br />
werden dürfen.<br />
Hier könnte man einwenden, suchtkranke Menschen seien gar<br />
nicht autonom. Autonom könne nur sein, wer fähig sei, die<br />
Konsequenzen seines Handelns zu verstehen und sich auf dieser<br />
Basis frei, das heisst ohne inneren und äusseren Zwang für<br />
oder gegen etwas zu entscheiden. Hinsichtlich der Abhängigkeit<br />
bestehe aber diese Freiheit nicht. Das ist zweifellos richtig.<br />
Nur, aus dem Umstand, dass Opioidabhängige bezüglich ihrer<br />
Abhängigkeit nicht autonom sind, folgt nicht, dass sie generell<br />
nicht autonom sind. Im Gegenteil: Es ist, sofern es keine klaren<br />
Indizien gibt, die in eine andere Richtung weisen, davon<br />
auszugehen, dass sie in allen anderen Bereichen zu selbstbestimmten<br />
Entscheiden fähig sind. Das betrifft insbesondere<br />
ihre Autonomie als PatientInnen. Diese kommt ihnen im vollen<br />
Umfang zu. Demzufolge haben die Abhängigen das Recht, frei<br />
zu entscheiden, ob sie eine SGB wollen oder nicht. Sie haben<br />
das Recht auf Information und Aufklärung über Chancen und<br />
Risiken einer SGB. Weiter haben sie das Recht, die Behandlung<br />
jederzeit abzubrechen, auch gegen den Willen der Ärzte.<br />
Schliesslich haben sie auch das Recht, selbst zu bestimmen,<br />
ob sie Abstinenz bzw. Nicht-Abhängigkeit oder eine stabile,<br />
kompensierte Abhängigkeit anstreben wollen.<br />
Recht auf soziale Integration<br />
Schwieriger zu beantworten ist die Frage, wie weit drogenabhängige<br />
Menschen ein Recht auf soziale Integration haben.<br />
Sicher haben sie einen solchen Anspruch, soweit Integration<br />
eine Bedingung für eine SGB ist. Und sicher ist es – nicht<br />
zuletzt um das Rückfallrisiko zu senken – sinnvoll, ihnen Arbeitsangebote<br />
zu machen und darauf hinzuwirken, dass sie<br />
vielleicht sogar einen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt fi nden.<br />
Dabei sollte man sie aber immer als Personen behandeln, an<br />
die man bestimmte Erwartungen richten kann, etwa die Erwartung,<br />
dass sie Abmachungen einhalten und für ihr Leben<br />
auch eine gewisse Eigenverantwortung tragen.<br />
Als Personen haben Opioidabhängige weitere moralische<br />
Pfl ichten, etwa die Pfl icht, Dritte nicht zu schädigen. Verstösse<br />
gegen diese Pfl icht werden zu Recht sanktioniert. Spätestens<br />
dann, wenn es die Option einer SGB gibt, ist etwa Beschaffungskriminalität<br />
moralisch nicht mehr zu entschuldigen.<br />
Ebenso unentschuldbar ist aggressives oder gar gewalttätiges<br />
Verhalten gegenüber ÄrztInnen oder anderen Behandelnden.<br />
Das Recht auf Behandlung ist als ein moralisch gerechtfertigter<br />
Anspruch zwar nicht verlier- bzw. verwirkbar. Aber das<br />
bedeutet nicht, dass es die Abhängigen berechtigt, die sie<br />
behandelnden Personen nicht zu respektieren oder die in<br />
den einschlägigen Institutionen geltenden Regeln (Hausordnungen)<br />
zu missachten.<br />
Dennoch sind Sanktionen gegen suchtkranke Menschen eine<br />
heikle Sache. Zum einen haben sie den Charakter einer Strafe.<br />
Sie zielen darauf ab, den Betroffenen als für ihr Tun Verantwortlichen<br />
klar zu machen, dass sie sich auf eine nicht akzeptable<br />
Weise verhalten und dass sie ihr Recht auf Behandlung<br />
nur in Anspruch nehmen können, wenn sie die Rechte anderer<br />
respektieren und sich an die geltenden Regeln halten. Zum<br />
anderen handelt es sich bei den Sanktionierten um besonders<br />
vulnerable Menschen, die auf ein hohes Mass an Toleranz angewiesen<br />
sind. Um kontraproduktive Resultate zu vermeiden, die<br />
unter Umständen eine SGB grundsätzlich gefährden, sollten<br />
daher Sanktionen sparsam und zielgerichtet eingesetzt werden.<br />
Zielgerichtet heisst insbesondere, dass sie so gering wie<br />
möglich sein sollten und dass man darauf verzichten sollte, die<br />
Abhängigen mit erhobenem Zeigefi nger moralisch erziehen<br />
zu wollen. Welche Sanktionen in diesem Sinn angemessen<br />
sind, muss von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der jeweils<br />
besonderen Umstände bestimmt werden.<br />
Fazit<br />
Aus der hier skizzierten interessenbasierten ethischen<br />
Sicht ist die SGB durch das Recht auf Behandlung abgedeckt.<br />
Opioidabhängige haben damit einen gerechtfertigten moralischen<br />
Anspruch auf eine entsprechende medizinische Therapie<br />
sowie auf soziale Unterstützung. Dabei sind sie jedoch<br />
nicht nur als PatientInnen, sondern stets auch als Personen zu<br />
behandeln, die ein Recht darauf haben, dass ihre Entscheide<br />
akzeptiert werden, die aber für diese Entscheide auch verantwortlich<br />
sind und unter Umständen dafür zur Verantwortung<br />
gezogen werden können.<br />
JedeR Opioidabhängige hat den gleichen Anspruch auf eine<br />
angemessene SGB. Dies zu garantieren, ist Sache des staatlichen<br />
Gesundheitswesens. Dabei ist darauf zu achten, dass<br />
alle Betroffenen den gleichen Zugang zu dieser Behandlung<br />
haben. Da es sich um verletzliche Menschen handelt, die sich<br />
in einer schwierigen Situation befi nden, sollte der Zugang<br />
zudem möglichst unkompliziert und schnell (niederschwellig)<br />
sein. Wichtig ist, dass sich Zugangsregelungen und Ablauf<br />
einer SGB an den Rechten und individuellen Bedürfnissen<br />
der Abhängigen und den für die Behandlung erforderlichen<br />
medizinischen und sozialen Massnahmen orientieren. Ideologische<br />
oder politische Erwägungen haben hier nichts verloren.<br />
Bei allem Verständnis für den schweizerischen Föderalismus<br />
sollten die kantonalen Bestimmungen nach Massgabe dieser<br />
Kriterien erfolgen und dabei auf unnötige Aufl agen verzichten.<br />
Nur auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass die Ziele<br />
der SGB erreicht werden können. Dies kommt am Ende allen zu<br />
Gute, insbesondere aber denen, um die es im Kern geht: den<br />
Opioidabhängigen..<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 17
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Literatur<br />
Kant, I. (1974): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Werkausgabe<br />
Band VII. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.<br />
Kant, I. (1974): Kritik der praktischen Vernunft. Werkausgabe Band VII.<br />
Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.<br />
Rippe, K.P. (2010): Ethik in der Wirtschaft. Paderborn: mentis Verlag.<br />
Ross, W.D. (1930): The Right and the Good. Oxford: Clarendon Press.<br />
Schramme, T. (Hrsg.) (2012): Krankheitstheorien. Berlin: Suhrkamp<br />
Verlag.<br />
SSAM - Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin (2009): Neurowissenschaften<br />
und Sucht. www.tinyurl.com/d8xocnd, Zugriff<br />
13.12.2012.<br />
SSAM - Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin (2012): Medizinische<br />
Empfehlungen für substitutionsgestützte Behandlungen SGB<br />
bei Opioidabhängigkeit 2012. www.tinyurl.com/cyyortv, Zugriff<br />
13.12.2012.<br />
Endnoten<br />
1 SSAM 2012: 5. Gemäss der Schweizerischen Gesellschaft für<br />
Suchtmedizin SSAM umfasst die substitutionsgestützte<br />
Behandlung SGB neben der Substitution als Basisbehandlung<br />
zusätzliche medizinische Behandlungen und Unterstützung im<br />
Sozialbereich. «Das ganze Hilfsangebot kann als ‹somato-psychosoziales<br />
Unterstützungssystem› betrachtet werden».<br />
2 Es ist eine Frage der ethischen Theorie, ob es einen moralisch<br />
gerechtfertigten Anspruch auf eine SGB gibt und falls ja, wie sich<br />
dieser Anspruch begründen lässt. Erst aus dieser Begründung<br />
ergibt sich auch, wie der Zugang zu Substitutionsmitteln in<br />
verschiedenen Settings konkret geregelt sein sollte. Lässt sich<br />
etwa zeigen, dass es ein Recht auf eine SGB gibt, das allen<br />
Opioidabhängigen gleichermassen zusteht, folgt daraus bspw.,<br />
dass sie unabhängig vom Alter und vom Ort, an dem sie sich<br />
befi nden, angemessen zu behandeln sind, also auch dann, wenn<br />
sie betagt sind oder im Gefängnis eine Strafe absitzen. Natürlich<br />
kann man auf der Basis der Alltagsmoral einzelne Aspekte einer<br />
SGB auch ohne ethische Theorie bewerten. Aber eine solche<br />
Bewertung kann nicht allgemein gültig sein, da Aussagen der<br />
Alltagsmoral auf Intuitionen (im Sinne von nicht theoretisch<br />
refl ektierten moralischen Überzeugungen) beruhen, die einer<br />
Begründung bedürfen.<br />
3 Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist, dass religiöse<br />
Überzeugungen nicht rational begründet werden können und<br />
daher ausgeklammert werden müssen; dass aber auch alternative<br />
Ansätze wie etwa der Mittlere-Prinzipien-Ansatz oder die<br />
Tugendethik mit rational unlösbaren Begründungsproblemen<br />
behaftet sind und darum als theoretische Optionen für eine<br />
säkulare Ethik nicht in Frage kommen. Religiöse Überzeugungen<br />
können nicht allgemein verbindlich sein, weil sie sich auf<br />
übernatürliche Entitäten (Gott) beziehen, die nicht bewiesen<br />
werden können. Der in der (angewandten) Ethik weit verbreitete<br />
Mittlere Prinzipien-Ansatz, der mit den von allen Theorien<br />
anerkannten ethischen Prinzipien arbeitet ohne diese Prinzipien<br />
weiter zu begründen, scheitert daran, dass ethische Grundsätze<br />
wie Autonomie oder Fürsorge nicht nur inhaltlich, sondern auch<br />
hinsichtlich ihres moralischen Gewichts kontrovers sind – und<br />
dass diese Kontroverse nur durch Bezug auf die grundlegenden<br />
ethischen Theorien entschieden werden kann. Die Tugendethik<br />
scheitert daran, dass sie weder plausibel begründen kann, warum<br />
moralische Tugenden Bestandteil eines guten Lebens sind; noch,<br />
warum es moralisch gefordert ist, die entsprechenden Tugenden<br />
zu entfalten.<br />
4 Spricht man von moralischen Rechten, impliziert dies, dass<br />
es entsprechende Pfl ichten gibt, diese Rechte zu achten. Mit<br />
moralischer Pfl icht ist ein moralisches Müssen gemeint. «Müssen»<br />
bedeutet: Der Adressat einer Pfl icht hat etwas zu tun oder zu<br />
unterlassen, unabhängig von eigenen Interessen. Pfl ichten sind<br />
also auch dann zu befolgen, wenn sie für eine Person mit negativen<br />
Folgen verbunden sind: Man muss eine Ertrinkende auch dann zu<br />
retten versuchen, wenn einem deswegen ein lukratives Geschäft<br />
entgeht. Dies muss man tun, weil (bzw. sofern) die Ertrinkende<br />
ein Recht, d. h. einen gerechtfertigten moralischen Anspruch auf<br />
Hilfe hat. Gleiches gilt auch für das Recht auf Gesundheit, wenn<br />
sich ein solches Recht denn begründen lässt. Dieses Recht darf<br />
deontologisch nur gegen andere Rechte oder Pfl ichten abgewogen<br />
(und gegebenenfalls eingeschränkt) werden, nicht aber gegen<br />
private oder öffentliche Interessen. Das bedeutet insbesondere,<br />
dass es unabhängig von den damit verbundenen ökonomischen<br />
Kosten zu garantieren ist. Für diese Konzeption von Rechten und<br />
Pfl ichten hat es in einer konsequentialistischen Theorie keinen<br />
Platz. Denn in dieser Theorie sind die Folgen einer Handlung das<br />
einzige Kriterium für das moralisch Gebotene.<br />
5 Vgl. Kant 1974; Ross 1930/2002: 29.<br />
6 Das Akzeptieren der Hilfe ist nur eine Bedingung für<br />
Personen, d. h. selbstbestimmungsfähige (autonome) Wesen.<br />
Gegenüber nicht-autonomen Menschen wie etwa Menschen<br />
mit einer fortgeschrittenen Alzheimer-Demenz ist Hilfe auch<br />
dann eine Pfl icht, wenn sie abgelehnt wird (wie etwa bei<br />
Pfl egeverweigerungen). Dies bedeutet, dass medizinische oder<br />
pfl egerische Interventionen gegen den Willen dieser Menschen<br />
auch bei (erheblicher) Selbstgefährdung und nicht nur bei<br />
Fremdgefährdung ethisch gerechtfertigt sein können.<br />
7 Rippe 2010: 79ff.<br />
8 Vgl. Verfassung der Weltgesundheitsorganisation,<br />
www.admin.ch/ch/d/sr/0_810_1, Zugriff 08.01.<strong>2013</strong>.<br />
9 Vgl. Schramme 2012.<br />
10 Rechtlich gesehen ist das Recht auf Gesundheit ein<br />
Menschenrecht, das in Art. 12 des UNO-Paktes über wirtschaftliche,<br />
soziale und kulturelle Rechte verankert ist. Dieser Artikel<br />
garantiert gemäss Absatz 1 das «Recht eines jeden auf das<br />
für ihn erreichbare Höchstmass an körperlicher und geistiger<br />
Gesundheit». Diese Formulierung erinnert zwar an die WHO-<br />
Defi nition. Absatz 2 macht aber deutlich, dass das Recht auf<br />
Gesundheit auf Massnahmen zur Vorbeugung, Behandlung<br />
und Bekämpfung von Krankheiten ausgerichtet ist. Insofern<br />
ist dieses Recht kein Recht auf Gesundsein oder Gesund-<br />
(gemacht)werden, sondern ein Recht auf eine breit verstandene<br />
medizinische Unterstützung, die nicht bloss Therapie, sondern<br />
auch Prävention umfasst. (Wobei unklar ist, was mit «highest<br />
attainable standard» gemeint ist, insbesondere, ob dies relativ<br />
zu den jeweils vorhandenen Ressourcen zu verstehen ist oder<br />
nicht.) Man könnte daher sagen, das oben postulierte moralische<br />
Recht auf Behandlung decke nur einen Teil des juristischen Rechts<br />
auf Gesundheit ab. Allerdings ändert das nichts daran, dass die<br />
Bezeichnung «Recht auf Gesundheit» missverständlich ist.<br />
11 Dieses Ziel ergibt sich, wenn man die Abhängigkeit als Krankheit<br />
unter dem Aspekt der Autonomie betrachtet und dann fragt,<br />
was eine Heilung bedeuten würde. Freilich haben die Kranken als<br />
autonome Personen das Recht, dieses aus dem Blickwinkel der<br />
Autonomie anzustrebende Behandlungsziel für sich abzulehnen.<br />
12 In der Suchtmedizin unterscheidet man zwischen Abhängigkeit<br />
(Drang zur Fortsetzung des Konsums, um die negativen Folgen des<br />
Konsumstopps (subjektives Unwohlsein) zu vermeiden) und Sucht<br />
(übermächtiges Verlangen, eine Substanz zu konsumieren, aber<br />
auch substanzungebundene zwanghafte Verhaltensschemata)<br />
(Vgl. SSAM 2009). Der vorliegende Artikel orientiert sich dagegen<br />
eher an der Alltagssprache, die nicht auf diese Weise klar zwischen<br />
Sucht und Abhängigkeit unterscheidet. Dies hat aber auf die<br />
Argumentation keine Auswirkungen.<br />
18 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong>
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Rechtliche Aspekte der<br />
Substitutionsbehandlung<br />
Die Gesetzgebungen der frankophonen Länder (Belgien, Frankreich,<br />
Québec und Schweiz) verlangen meistens eine staatliche Bewilligung für<br />
die Aufnahme einer Substitutionsbehandlung und regeln eingehend die<br />
Modalitäten für deren Durchführung. Im Folgenden werden die verschiedenen<br />
Aspekte dieser Regulierungen der Substitutionsbehandlung näher betrachtet.<br />
Die Substitutionsbehandlung gehört heute zu den medizinisch verfügbaren<br />
Behandlungsmethoden. Die Aufgabe des Staates wäre hier aber weniger<br />
medizinische Modalitäten zu regulieren als vielmehr auf eine gute klinische<br />
Praxis hinzuwirken, die auf wissenschaftlicher Evidenz beruht.<br />
Olivier Guillod<br />
Professor, Direktor des Institut de droit de la santé, Universität Neuenburg,<br />
Av. du 1er-Mars 26, CH-2000 Neuenburg, Tel. +41 (0)32 718 12 85,<br />
olivier.guillod@unine.ch<br />
Schlagwörter:<br />
Substitution | Behandlung | Gesetz | International | Selbstbestimmung |<br />
Einleitung<br />
Wie der Name schon sagt, muss die Substitutionsbehandlung<br />
von opioidabhängigen Personen unter rechtlichen Gesichtspunkten<br />
als eine besondere Form der medizinischen Behandlung<br />
und nicht als eine behördlich angeordnete Massnahme gesehen<br />
werden. Auf die Substitutionsbehandlung sind deshalb in erster<br />
Linie einmal die auf internationaler Ebene und in den einzelnen<br />
Ländern bestehenden Bestimmungen über den Zugang zu<br />
medizinischen Dienstleistungen und die Beziehungen zwischen<br />
den PatientInnen und den Fachpersonen des Gesundheitswesens<br />
anwendbar. Nach einem Überblick über diesen allgemeinen<br />
rechtlichen Rahmen werden im Folgenden verschiedene Aspekte<br />
der Regulierung der Substitutionsbehandlung in vier frankophonen<br />
Ländern (Belgien, Frankreich, Québec und Schweiz) näher<br />
betrachtet.<br />
Die Garantie des Zugangs zur<br />
Substitutionsbehandlung<br />
Die vier untersuchten Länder haben alle den Internationalen<br />
Pakt vom 16. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und<br />
kulturelle Rechte (Pakt I) 1 der unter der Ägide der Organisation<br />
der Vereinten Nationen (UNO) entstand, ratifi ziert. Art. 12 von<br />
Pakt I lautet: «Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines<br />
jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmass an körperlicher<br />
und geistiger Gesundheit an.» Zu diesem Zweck müssen die Vertragsstaaten<br />
eine Reihe von Massnahmen treffen, namentlich<br />
«zur Vorbeugung, Behandlung und Bekämpfung epidemischer,<br />
endemischer, Berufs- und sonstiger Krankheiten» und «zur<br />
Schaffung der Voraussetzungen, die für jedermann im Krankheitsfall<br />
den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher<br />
Betreuung sicherstellen».<br />
Diese Bestimmung von Pakt I verpfl ichtet die Staaten, nach<br />
Massgabe ihrer fi nanziellen Möglichkeiten nach und nach jeder<br />
Person das Recht auf Gesundheit zu garantieren und namentlich<br />
die Verfügbarkeit von Gesundheitsdienstleistungen sowie den<br />
nicht-diskriminierenden physischen und fi nanziellen Zugang zu<br />
diesen Leistungen sicherzustellen, unter Berücksichtigung von<br />
kulturellen Verschiedenheiten und ethischen Aspekten. 2<br />
Ziel der Therapie von drogenabhängigen Personen ist es, die<br />
Abhängigkeit zu beseitigen oder wenigstens den Konsum der<br />
jeweiligen Substanzen zu vermindern, um es so den Betroffenen<br />
zu ermöglichen, ihre Gesundheit wiederzuerlangen oder wenigstens<br />
so zu stabilisieren, dass sie sich gemäss ihren Wünschen<br />
am gesellschaftlichen Leben beteiligen können. Um dieses Ziel zu<br />
erreichen, muss die Verschreibung von Opiaten auf Grund einer<br />
individuellen Indikation erfolgen. Dies bringt zahlreiche Vorteile<br />
für die opioidabhängigen Personen (Senkung der Mortalität,<br />
Reduzierung von Folgeschäden, Verbesserung der Lebensqualität)<br />
und ganz allgemein für die öffentliche Gesundheit und die<br />
öffentliche Sicherheit (namentlich Rückgang der Delinquenz). 3<br />
Unter Berücksichtigung der Erfahrungen in der Suchtmedizin<br />
sind die Staaten, die den Pakt I ratifi ziert haben, meiner Ansicht<br />
nach verpfl ichtet, opioidabhängigen Personen die Möglichkeit<br />
zu geben, sich einer Substitutionsbehandlung zu unterziehen.<br />
Diese Personen leiden unter einer Beeinträchtigung ihrer<br />
Gesundheit und haben wie alle anderen Personen mit einem<br />
physischen oder psychischen Gesundheitsproblem das Recht auf<br />
Behandlung. Jeder Staat muss ihnen also nach Massgabe der<br />
ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen diejenigen Therapien<br />
verfügbar machen, die sich aus medizinischer Sicht bewährt<br />
haben, und dazu gehören heute unzweifelhaft auch die Substitutionsbehandlungen.<br />
Der Respekt des Selbstbestimmungsrechtes<br />
des Patienten<br />
Das Recht jeder Person, über ihren Körper und ihre Gesundheit<br />
selber zu bestimmen, 4 wird in allen vier untersuchten frankophonen<br />
Ländern mit ähnlichen Formulierungen garantiert.<br />
Für drogenabhängige Personen bedeutet der Grundsatz der<br />
Selbstbestimmung, dass sie selber wählen können, ob sie sich<br />
einer Behandlung unterziehen wollen und welche Behandlungsmethoden<br />
sie gegebenenfalls wünschen bzw. ablehnen. Das<br />
Recht auf Selbstbestimmung schliesst aber nicht das Recht ein,<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 19
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Behandlungsformen zu verlangen, die den geltenden fachlichen<br />
Regeln zuwiderlaufen, z. B. aufgrund nachgewiesener Wirkungslosigkeit,<br />
zu hoher Risiken oder übermässiger Kosten. Die Substitutionsbehandlung<br />
gehört zu den möglichen Optionen, da sie<br />
den fachlichen Regeln entspricht, wirksam, nicht übermässig<br />
riskant und nicht übertrieben teuer ist.<br />
Der Grundsatz der Selbstbestimmung des Individuums verpfl<br />
ichtet den Staat auch, die freie Behandlungswahl einer<br />
drogenabhängigen Person zu respektieren. Wenn sich der Staat<br />
die Möglichkeit vorbehalten will, gegenüber einer drogenabhängigen<br />
Person beim Vorliegen von ausserordentlichen Umständen<br />
eine Massnahme gegen deren Willen anzuordnen, so muss er<br />
dies in einer klaren und präzisen Gesetzesbestimmung vorsehen<br />
(Erfordernis der gesetzlichen Grundlage) und zwingende Gründe<br />
zur Rechtfertigung der Massnahme anführen können. Diese<br />
Prinzipien gelten z. B. für Platzierungen und für therapeutische<br />
Massnahmen.<br />
Der rechtliche Rahmen der Substitutionsbehandlung<br />
Die Substitutionsbehandlung wird im Allgemeinen im komplexen<br />
Rahmen der Gesetzgebungen zu den Arzneimitteln und<br />
den Betäubungsmitteln geregelt. Die beiden Gesetzgebungen<br />
sind in vielen Punkten nicht von der gleichen Philosophie geprägt.<br />
Die Arzneimittelgesetzgebung ist klar auf die Anliegen<br />
der öffentlichen Gesundheit ausgerichtet, während die Betäubungsmittelgesetzgebung<br />
in vielen Ländern auch heute noch<br />
von einem traditionell repressiven Ansatz gegenüber Drogen<br />
geprägt wird. So wird denn die Substitutionsbehandlung sehr<br />
strikt und bis in alle Einzelheiten geregelt, was Ausdruck der ambivalenten<br />
Haltung der Behörden ihr gegenüber ist.<br />
In der Schweiz wird die Verwendung von Betäubungsmitteln<br />
als Heilmittel durch das Bundesgesetz vom 15. Dezember 2000<br />
über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz<br />
HMG) 5 geregelt. Darüber hinaus regelt das Bundesgesetz vom 3.<br />
Oktober 1951 über die Betäubungsmittel und die psychotropen<br />
Stoffe (Betäubungsmittelgesetz, BetmG), 6 dessen tiefgreifende<br />
Revision am 1. Juli 2011 in Kraft getreten ist und mit dem das<br />
4-Säulen-Modell verankert wurde, die Prävention, Therapie,<br />
Schadensminderung und Repression sowie die Herstellung, die<br />
Abgabe, den Bezug und die Verwendung von Betäubungsmitteln.<br />
Art. 1b BetmG koordiniert die beiden Gesetze und hält fest, dass<br />
die Bestimmungen des BetmG anwendbar sind, soweit das HMG<br />
keine oder eine weniger weit gehende Regelung trifft.<br />
Die Substitutionsbehandlung wird eingehender in der Verordnung<br />
des Bundesrates vom 25. Mai 2011 über Betäubungsmittelsucht<br />
und andere suchtbedingte Störungen (Betäubungsmittelsuchtverordnung,<br />
BetmSV) 7 geregelt, die sich namentlich mit<br />
diacetylmorphingestützten Behandlungen 8 befasst .<br />
Gemäss Art. 3e Abs. 1 BetmG braucht es für die Verschreibung,<br />
die Abgabe und die Verabreichung von Betäubungsmitteln zur<br />
Behandlung von betäubungsmittelabhängigen Personen eine<br />
besondere Bewilligung des Kantons. Für die heroingestützten<br />
Behandlungen braucht es zusätzlich eine Bewilligung des<br />
Bundes (Art. 3e Abs. 3 BetmG).<br />
Die Kantone haben somit im Allgemeinen sehr detaillierte<br />
Bestimmungen über die Verwendung von Betäubungsmitteln<br />
– ausser Heroin – erlassen. Dazu kommen medizinische Empfehlungen<br />
insbesondere diejenigen des Bundesamtes für Gesundheit<br />
(BAG), der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin<br />
(SSAM) und der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte<br />
Schweiz (VKS) 9 betreffend die substitutionsgestützten<br />
Behandlungen bei Opioidabhängigkeit.<br />
Staatliche Bewilligungspflicht der Behandlung<br />
In der Schweiz (Art. 3e BetmG) und in Québec (Art. 56 und<br />
57 Loi réglementant certaines drogues et autres substances
LRDS 10 ) erfolgt die Kontrolle der zulässigen Verwendung von<br />
Betäubungsmitteln über eine Bewilligungspfl icht, wobei die<br />
Bewilligungen von einer staatlichen Behörde ausgestellt werden.<br />
In Frankreich wird nur den ÄrztInnen der Centres de soins,<br />
d’accompagnement et de prévention en addictologie CSAPA<br />
(Suchtbehandlungszentren) eine Bewilligung durch den Generaldirektor<br />
der regionalen Gesundheitsagentur (Agence régionale<br />
de santé) zum Besitz, zur Kontrolle, Verwaltung und Abgabe der<br />
Medikamente ausgestellt (Art. D 3411-9 und 10, R 5124-45 Code<br />
de la santé publique 11 ) / Gesundheitsgesetzbuch). In Belgien<br />
müssen die Centres d’accueil (Aufnahmezentren), die Réseaux<br />
de prise en charge pour usagers de drogue (Netzwerke für die<br />
Betreuung Drogenkonsumierender) und die Centres spécialisés<br />
(Fachzentren) auf Grund von Art. 3 des Arrêté royal réglementant<br />
le traitement de substitution (ARTS) 12 ebenfalls über eine Bewilligung<br />
verfügen. Keine Bewilligung brauchen hingegen die privat<br />
praktizierenden Ärzte.<br />
In der Schweiz ist für betäubungsmittelgestützte Behandlungen<br />
eine kantonale Bewilligung erforderlich (Art. 3e Abs. 1 BetmG).<br />
Für die heroingestützte Behandlung ist zudem eine Bewilligung<br />
des Bundes erforderlich (Art. 3e Abs. 3 BetmG). Sie wird den Institutionen<br />
(Art. 16 und 17 BetmSV, Institutionsbewilligung), den<br />
ÄrztInnen (Art. 18, 19 und 20 BetmSV, Arztbewilligung) und den<br />
PatientInnen (Art. 21, 22 und 23 BetmSV, Patientenbewilligung)<br />
erteilt. Die kantonalen Bewilligungen werden ihrerseits den ÄrztInnen<br />
oder Spitälern erteilt.<br />
In den Schweizer Kantonen, in Frankreich und in Québec wird<br />
die Bewilligung zeitlich unbegrenzt ausgestellt, in Belgien hingegen<br />
für die Höchstdauer von 5 Jahren (Art. 3 ARTS). Auch die<br />
Bundesbewilligung für die Verschreibung von Diacetylmorphin,<br />
die in der Schweiz an Institutionen und Ärzte ausgestellt wird,<br />
ist höchstens während 5 Jahren gültig, kann aber verlängert<br />
werden (Art. 16 Abs. 4 und Art. 18 Abs. 2 BetmSV). Die Patientenbewilligung<br />
gilt höchstens für zwei Jahre, kann aber auf Gesuch<br />
hin erneuert werden, sofern die Bewilligungsvoraussetzungen<br />
weiterhin erfüllt sind (Art. 21 Abs. 3 BetmSV).<br />
Die Bewilligung bezieht sich in Frankreich, in Québec und in<br />
Belgien nicht auf eine bestimmte Zahl von PatientInnen. Die<br />
kantonale Bewilligung in der Schweiz gilt hingegen oft nur für<br />
einen Patienten (z. B. Bern, Neuenburg und Tessin), bzw. 10 PatientInnen<br />
(Genf). In Belgien darf ein privat praktizierender Arzt<br />
(der keine Bewilligung braucht) gleichzeitig für höchstens 120<br />
PatientInnen eine Substitutionsbehandlung durchführen (Art. 11<br />
ARTS).<br />
Im Allgemeinen ist die Behandlung auf den Einsatz bestimmter<br />
Produkte beschränkt. In der Schweiz dürfen z. B. im Rahmen<br />
von bewilligungspfl ichtigen Substitutionsbehandlungen Diacetylmorphin,<br />
Methadon, Benzodiazepine und Buprenorphin<br />
verschrieben werden. Die gesetzlichen Regelungen in Frankreich<br />
und Belgien beziehen sich nur auf Methadon und Buprenorphin. In<br />
Québec ist das Methadon zurzeit das einzige für die Behandlung<br />
von opiatabhängigen Personen zugelassene Betäubungsmittel.<br />
In diesem Land ist aber die Verschreibung von Benzodiazepinen<br />
auf Grund der allgemein gültigen Regeln zugelassen.<br />
Die Behandlung ist bestimmten Patienten<br />
vorbehalten<br />
Was die persönlichen Anforderungen an die Patienten betrifft,<br />
so können die nationalen Regelungen für die Substitutionsbehandlung<br />
in drei Kategorien aufgeteilt werden.<br />
Die belgische Regelung schweigt sich über die Bedingungen, die<br />
ein Patient erfüllen muss, um in den Genuss einer Substitutionsbehandlung<br />
zu kommen, aus. Selbstverständlich fi nden aber die<br />
allgemeinen für alle ärztlichen Behandlungen geltenden Regeln<br />
Anwendung, namentlich der Grundsatz der informierten und<br />
freien Zustimmung des Patienten.<br />
Die französische Regelung ist nicht viel ausführlicher. Sie<br />
verlangt einfach die Freiwilligkeit der Behandlung, weil sie den<br />
Erfolg begünstigt, und sieht vor, dass die Substitutionsbehandlung<br />
für stark opiatabhängige PatientInnen vorbehalten ist, die<br />
mindestens 15 Jahre alt sein müssen.<br />
In der Schweiz und in Québec enthalten die entsprechenden<br />
Regelungen wesentlich detailliertere Vorschriften über die Bedingungen,<br />
unter welchen einE PatientIn in den Genuss einer<br />
Substitutionsbehandlung kommen kann.<br />
In der Schweiz muss z. B. der Bundesrat dafür sorgen, dass Diacetylmorphin<br />
nur an betäubungsmittelabhängige Personen verschrieben<br />
wird, bei denen andere Behandlungsformen versagt<br />
haben oder deren Gesundheitszustand andere Behandlungsformen<br />
nicht zulässt (Grundsatz der Subsidiarität der Heroinverschreibung:<br />
Art. 3e Abs. 3 Bst. a BetmG). Die Person muss weiter<br />
(unter Vorbehalt der Ausnahmen gemäss Art. 10 Abs. 2 BetmSV)<br />
mindestens 18 Jahre alt sein, seit mindestens zwei Jahren schwer<br />
heroinabhängig sein, mindestens zwei Behandlungsversuche<br />
mit einer anderen anerkannten ambulanten oder stationären<br />
Therapie abgebrochen oder erfolglos absolviert haben und Defi -<br />
zite im psychischen, körperlichen oder sozialen Bereich aufweisen<br />
(Art. 10 Abs. 1 BetmSV).<br />
Die schweizerischen Kantone haben ihrerseits eine Reihe von<br />
Indikationskriterien für eine Substitutionsbehandlung mit<br />
anderen Substanzen als Diacetylmorphin festgelegt.<br />
Mehrere Schweizer Kantone verlangen genau wie Québec, dass<br />
die PatientInnen einen Behandlungsvertrag unterzeichnen. Die<br />
Richtlinien für die Verschreibung von Methadon bei der Behandlung<br />
von Drogenabhängigen in Québec schreiben z. B. einen von<br />
PatientIn und Arzt/Ärztin zu unterzeichnenden Behandlungsvertrag<br />
vor, der die einzuhaltenden Regeln, die vorzunehmenden<br />
Kontrollen und die Möglichkeiten zum Abbruch der Behandlung<br />
regelt. Ein solcher Vertrag kann natürlich auch in den anderen<br />
Ländern abgeschlossen werden, wo er als sinnvolles therapeutisches<br />
Instrument dienen kann.<br />
Behandlung durch bestimmte Fachpersonen<br />
Die Regelungen der einzelnen Länder legen meist auch fest,<br />
welche Gesundheitsfachpersonen und welche Institutionen<br />
Substitutionsbehandlungen durchführen dürfen.<br />
In Frankreich darf z. B. die Erstverschreibung von Methadon<br />
nur durch Ärzte erfolgen, welche in Gesundheitsinstitutionen<br />
oder CSAPA arbeiten. In Belgien müssen sich alle ÄrztInnen,<br />
die gleichzeitig bei mehr als zwei PatientInnen Substitutionsbehandlungen<br />
durchführen, bei einem zugelassenen Aufnahmezentrum,<br />
einem zugelassenen Netzwerk für die Betreuung<br />
Drogenkonsumierender oder einem zugelassenen Fachzentrum<br />
registrieren lassen (2 § 2 ARTS). In Québec besteht eine Liste von<br />
ÄrztInnen, die Methadon verschreiben dürfen, sowie von ApothekerInnen,<br />
die dieses abgeben. In der Schweiz darf Diacetylmorphin<br />
nur von spezialisierten ÄrztInnen 13 in hierfür geeigneten<br />
Einrichtungen verschrieben werden (Art. 3e Abs. 3 Bst. b BetmG).<br />
Um zur Behandlung berechtigt zu sein, müssen die Institutionen<br />
die in Art. 14 und 15 BetmSV aufgezählten Bedingungen erfüllen.<br />
Die schweizerischen und belgischen Regelungen legen auch<br />
berufl iche Qualifi kationen, welche die verschreibenden Ärzt-<br />
Innen erfüllen müssen, und deren Pfl icht zur Weiterbildung fest.<br />
Behandlung hat nach bestimmten Regeln zu erfolgen<br />
Die zahlreichen nationalen Gesetzgebungen enthalten auch<br />
Anforderungen mit Bezug auf die Behandlung selber, die von<br />
Land zu Land stark abweichen. Dabei geht es namentlich um die<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 21
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Modalitäten der Behandlung und um die Kontrollen, die von den<br />
beteiligten Fachpersonen des Gesundheitswesens durchzuführen<br />
sind.<br />
Die schweizerischen Bestimmungen heben sich dabei auch hier<br />
durch ihre Regelungsdichte ab. Die Verabreichung und Einnahme<br />
des Diacetylmorphins müssen grundsätzlich innerhalb einer<br />
Institution (Art. 16 BetmSV) unter Sichtkontrolle eines Mitglieds<br />
des Behandlungsteams erfolgen (Art. 13 Abs. 1 BetmSV). In indizierten<br />
Ausnahmefällen kann das Diacetylmorphin zu Hause<br />
unter Sichtkontrolle der zuständigen Ärztin oder des zuständigen<br />
Arztes oder einer von ihr oder ihm beauftragten Person<br />
verabreicht werden (Art. 13 Abs. 2 BetmSV). Den PatientInnen<br />
können ausnahmsweise bis zu zwei Tagesdosen mitgegeben<br />
werden, wenn sie für mindestens sechs Monate ununterbrochen<br />
in einer diacetylmorphingestützten Behandlung waren, wenn<br />
sie gesundheitlich und sozial genügend stabilisiert sind, wenn<br />
die beiden letzten Urinproben ausser dem Diacetylmorphin keine<br />
Betäubungsmittel aufweisen und wenn keine Missbrauchsgefahr<br />
besteht (Art. 13 Abs. 3 BetmSV).<br />
Die kantonalen Gesetzgebungen legen ihrerseits die üblichen<br />
Modalitäten für die Verabreichung anderer Produkte und Betäubungsmittel,<br />
namentlich von Methadon und Buprenorphin fest<br />
(im Allgemeinen: Einnahme unter Sichtkontrolle eines Arztes,<br />
eines Apothekers oder einer Hilfsperson dieser Personen). Es<br />
gibt Ausnahmen, die von Kanton zu Kanton variieren, z. B. für<br />
die Verabreichung an Sonn- und Feiertagen und in den Ferien<br />
(Aushändigung mehrerer Dosen an die PatientInnen), oder wenn<br />
sich der Zustand der PatientInnen stabilisiert hat (z. B. Abgabe<br />
von Wochendosen in Zürich und im Tessin).<br />
Auch bezüglich der Urinproben, die von drogenabhängigen Personen<br />
im Rahmen einer Substitutionsbehandlung abgegeben<br />
werden müssen, sind die kantonalen Regelungen nicht einheitlich.<br />
Bern und Zürich (wie auch Québec und Frankreich) verlangen<br />
solche Kontrollen, Neuenburg verzichtet darauf.<br />
Die klinischen Aspekte der Substitutionsbehandlungen mit<br />
Methadon und Buprenorphin sind überdies Gegenstand von<br />
Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin.<br />
14<br />
Die Gesetzgebungen der einzelnen Länder sehen schliesslich<br />
auch verschiedene Gründe für den Abbruch einer Substitutionsbehandlung<br />
vor. Alle lassen es ausdrücklich oder in Anwendung<br />
allgemeiner Behandlungsgrundsätze zu, dass die PatientInnen<br />
jederzeit die Substitutionsbehandlung abbrechen können. Das<br />
schweizerische Recht räumt weiter dem Bundesamt für Gesundheit<br />
die Befugnis ein, den PatientInnen die Bewilligung für die<br />
diacetylmorphingestützte Behandlung zu entziehen, wenn sie<br />
z. B. nicht ärztlich verschriebene Betäubungsmittel in der Institution<br />
konsumieren, die im Rahmen der Therapie abgegebenen<br />
Präparate weitergeben oder verkaufen, Mitglieder des Behandlungspersonals<br />
bedrohen oder gegen diese Gewalt ausüben<br />
(Art. 23 BetmSV).<br />
Schlussfolgerungen<br />
Die Gesetzgebungen der frankophonen Länder verlangen<br />
meistens eine staatliche Bewilligung für die Aufnahme einer<br />
Substitutionsbehandlung und regeln eingehend die Modalitäten<br />
für deren Durchführung. Da es sich um eine Behandlungsform<br />
handelt, die durch Ärzte durchgeführt wird, sind solche Reglementierungen<br />
etwas paradox. Wieso muss sich der Staat unbedingt<br />
in eine ärztliche Entscheidung einmischen?<br />
Der gesetzlich vorgegebene Rahmen bildet natürlich nur eines<br />
von mehreren Elementen der Antwort der Gesellschaft auf die<br />
Probleme des Umgangs mit drogenabhängigen Personen. Wenn<br />
sich aber ein Land für die Umsetzung des 4-Säulen-Modells entscheidet,<br />
anerkennt es damit, dass man Personen, die unter<br />
einer Suchterkrankung leiden, eine angemessene Behandlung<br />
zukommen lassen muss. Aus medizinischer Sicht steht aber<br />
heute ausser Zweifel, dass die Substitutionsbehandlung zwingend<br />
zu den verfügbaren Behandlungsmethoden gehören muss.<br />
Mit einer fl exiblen Regelung auf der Basis des Vertrauens in die<br />
beteiligten Fachpersonen müsste das Recht aber klarer auf eine<br />
gute klinische Praxis hinwirken, die auf wissenschaftlicher Evidenz<br />
beruht und frei von den Ängsten und Fantasmen ist, die der<br />
Konsum sogenannter illegaler Substanzen in der Gesellschaft<br />
auch heute noch hervorruft..<br />
Literatur<br />
BAG – Bundesamt für Gesundheit (2009): Substitutionsgestützte<br />
Behandlungen bei Opioidabhängigkeit. Empfehlungen des<br />
Bundesamtes für Gesundheit (BAG), der Schweizerischen<br />
Gesellschaft für Suchtmedizin (SSAM), der Vereinigung der<br />
Kantonsärztinnen und Kantonsärzte Schweiz (VKS).<br />
www.tinyurl.com/d69sy55, Zugriff 23.01.<strong>2013</strong>.<br />
Clapham, A./Robinson, M. (Hrsg) (2009): Realizing the Right to Health.<br />
Bern: Rüffer & Rub.<br />
SSAM – Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin (2012): Medizinische<br />
Empfehlungen für substitutionsgestützte Behandlungen (SGB) bei<br />
Opioidabhängigkeit 2012.<br />
www.tinyurl.com/<br />
cyyortv, Zugriff 13.12.2012.<br />
Vereinte Nationen (2000): Allgemeine Bemerkung Nr. 14 des Ausschusses<br />
für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Das Recht auf das<br />
erreichbare Höchstmass an Gesundheit. Genf.<br />
Endnoten<br />
1 Der Pakt ist in der Schweiz am 18.09.1992 in Kraft getreten, vgl. www.<br />
admin.ch/ch/d/sr/c0_103_1.html und<br />
www.admin.ch/ch/d/sr/i1/0.103.1.de.pdf, Zugriff 17.01.<strong>2013</strong>.<br />
2 Vgl. Vereinte Nationen 2000, und Clapham et al. 2009.<br />
3 BAG 2009: 7.<br />
4 Vgl. dazu auch den Beitrag von Bachmann in dieser Ausgabe.<br />
5 Vgl. www.admin.ch/ch/d/sr/c812_21.html, Zugriff 17.1.<strong>2013</strong>.<br />
6 Vgl. www.admin.ch/ch/d/sr/c812_121.html, Zugriff 17.1.<strong>2013</strong>.<br />
7 Vgl. www.admin.ch/ch/d/sr/c812_121_6.html, Zugriff 17.1.<strong>2013</strong>.<br />
8 Diacetylmorphin ist pharmazeutisch hergestelltes Heroin; die<br />
Begriffe diacetylmorphingestützte und heroingestützte Behandlung<br />
werden synonym verwendet.<br />
9 Vgl. BAG 2009 und aktualisierte Empfehlungen der SSAM 2012.<br />
10 Gesetz über die Reglementierung bestimmter Drogen und anderer<br />
Substanzen, www.tinyurl.com/ayqdfxa, Zugriff 23.01.<strong>2013</strong>.<br />
11 Gesundheitsgesetzbuch, tinyurl.com/alsgec6, Zugriff 23.01.<strong>2013</strong>.<br />
12 Königliches Dekret zur Reglementierung der<br />
Substitutionsbehandlung, www.tinyurl.com/b446stp; deutsche<br />
Übersetzung, www.tinyurl.com/a2fo6nr, Zugriff 23.01.<strong>2013</strong>.<br />
13 wenn sie über Erfahrung in der Behandlung von schwer<br />
heroinabhängigen Personen verfügen: Art 18, Abs. 1 BetmSV.<br />
14 Vgl. SSAM 2012.<br />
22 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong>
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Substitutionsgestützte<br />
Behandlung in der Grundversorgung<br />
Mit der Erarbeitung von offiziellen medizinischen Empfehlungen für substitutionsgestützte<br />
Behandlungen SGB für Opioidabhängige und der zunehmenden<br />
Vereinheitlichung der kantonalen Rahmenbedingungen verbesserte sich die<br />
Zugänglichkeit und die Qualität der SGB in der Grundversorgung der Schweiz<br />
weiter. Gefährdet wird diese Versorgung aber durch den vorhersehbaren Mangel<br />
an HausärztInnen, die derzeit das zentrale Standbein der Suchtmedizin<br />
darstellen. Gefragt sind neue Konzepte, damit substanzabhängige Menschen<br />
nicht erneut medizinisch marginalisiert werden.<br />
Hans Gammeter<br />
Dr. med. Allgemeine Medizin FMH, Tropen- und Reisemedizin FMH,<br />
Kantonsarzt Stv., Präsident FOSUMOS, Oberer Graben 32, CH-9001 St. Gallen,<br />
www.fosumos.ch, hans.gammeter@sg.ch<br />
Daniel Meili<br />
Dr. med. Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Rämistrasse 33, CH-8001 Zürich,<br />
Vorstandsmitglied Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin SSAM,<br />
www.ssam.ch, dmeili@hispeed.ch<br />
Schlagwörter:<br />
Substitution | Grundversorgung | Opioidabhängigkeit |<br />
Suchtmedizin | Empfehlungen | HausärztIn |<br />
Einleitung<br />
HausärztInnen sind die zentrale Stütze der suchtmedizinischen<br />
Versorgung in der Schweiz. Sie betreuen ca. 60% aller<br />
Opioidabhängigen mittels Substitution, bzw. substitutionsgestützter<br />
Behandlung SGB. Zusätzlich gewährleisten sie deren allgemeinmedizinische<br />
Grundversorgung. Als Substitutionsmittel<br />
wird derzeit vorwiegend Methadon eingesetzt, auch wenn der<br />
breitere Einsatz von anderen Substanzen angezeigt wäre. Spezialisierte<br />
suchtmedizinische Zentren spielen vor allem in den<br />
grösseren Agglomerationszentren und für die Diacetylmorphin-<br />
Substitution (Heroingestützte Behandlung, HeGeBe) eine Rolle.<br />
Die kantonalen Regelungen zur Substitution und deren Anwendung<br />
durch die ÄrztInnen waren über Jahrzehnte sehr unterschiedlich.<br />
Mit der Erarbeitung der medizinischen Empfehlungen für<br />
substitutionsgestützte Behandlungen SGB bei Opioidabhängigkeit<br />
durch die Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin SSAM im<br />
Jahr 2007 wurde schweizweit die Grundlage für wissenschaftlich<br />
begründete rechtliche Rahmenbedingungen und einheitlichere<br />
Behandlungen geschaffen. Die Empfehlungen wurden 2012<br />
vollständig aktualisiert. 1 Für den nicht-medizinischen Bereich<br />
(Soziales und Beratung) fehlen leider entsprechende Leitlinien.<br />
Die baldige Pensionierung vieler substituierender HausärztInnen,<br />
der erwartete Mangel an NachfolgerInnen und die verminderte<br />
Motivation von jüngeren GrundversorgerInnen an der SGB (s. u.)<br />
macht die Entwicklung neuer Behandlungskonzepte nötig, um die<br />
Grundversorgung Opioidabhängiger auch zukünftig zu gewährleisten.<br />
Entwicklung der Empfehlungen für SGB<br />
Trotz vieler fundierter Erkenntnisse zur Substitution (Substanzverschreibung)<br />
und zur SGB (Kombination von Substitution<br />
und somatischen, psychiatrisch/psychotherapeutischen und<br />
sozialen Angeboten) seit der Einführung von Methadon in den<br />
1960er Jahren waren bis zum Beginn dieses Jahrhunderts weltweit<br />
sämtliche Behandlungs-Guidelines ein Gemisch von wissenschaftlichen,<br />
moralisch und politisch motivierten Aussagen und<br />
Anweisungen. Obwohl schon seit vielen Jahren bekannt ist, dass<br />
Opioidabhängigkeit eine chronische Erkrankung darstellt und nur<br />
eine Minderheit der PatientInnen eine langfristige Abstinenz erreicht,<br />
blieb die Substitution weitgehend eine Therapie zweiter<br />
Wahl hinter der abstinenzorientierten Behandlung bzw. das Ziel<br />
der Abstinenz stand auch bei einer SGB hierarchisch an erster<br />
Stelle.<br />
Auch in der Schweiz bestanden lange Zeit viele Ungereimtheiten<br />
in rechtlicher Hinsicht und in der Behandlungspraxis. Die<br />
«Methadonberichte» (1984, 2 1989 3 und 1995 4 ) stellten die Basis<br />
für die kantonalen rechtlich bindenden Rahmenbedingungen dar.<br />
Im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit BAG erarbeitete<br />
die SSAM 2007 erstmals «Medizinische Empfehlungen für substitutionsgestützte<br />
Behandlungen (SGB) bei Opioidabhängigkeit»<br />
nach Kriterien der evidenzbasierten Medizin, d. h. nach wissenschaftlichen<br />
Kriterien und unter Einbezug der breiten praktischen<br />
Behandlungserfahrungen.<br />
2009 wurde ein Meilenstein erreicht, der medizinisch und politisch<br />
wesentlich zur weiteren Koordination und Qualitätsverbesserung<br />
der SGB beitrug: Basierend auf den Empfehlungen der SSAM<br />
einigten sich das BAG, die Vereinigung der Kantonsärztinnen<br />
und Kantonsärzte der Schweiz VKS und die SSAM erstmals auf<br />
gemeinsame Empfehlungen. 5 Sie dienten in der Folge als Basis für<br />
standardisierte Empfehlungen für kantonale Behandlungsrichtlinien<br />
und für die Übernahme der Behandlungskosten durch die<br />
Krankenkassen.<br />
Ausgehend von der Pionierarbeit des Forum Suchtmedizin<br />
Ostschweiz FOSUMOS 6 wurde für die Anwendung bei der täglichen<br />
Arbeit der Grundversorgenden, von der Arbeitsgemeinschaft der<br />
suchtmedizinischen Netzwerke der Schweiz – neben FOSUMOS<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 23
sind dies FOSUMIS, 7 COROMA, 8 ticino addiction 9 – auf der Plattform<br />
www.praxis-suchtmedizin.ch ein dreisprachiges Handbuch für<br />
SGB entwickelt. Seit der Gründung dieser Netzwerke vor etwa<br />
10 Jahren verfolgen diese das Ziel, den Hausarzt/die Hausärztin<br />
in seiner/ihrer suchtmedizinischen Arbeit zu unterstützen. Dabei<br />
wird versucht, für die HausärztInnen relevante Informationen<br />
und Fortbildungsinhalte anzubieten und diese – wenn möglich<br />
– durch suchtmedizinisch aktive HausärztInnen und nichtärztliche<br />
Suchtfachpersonen als ModeratorInnen zu vermitteln<br />
um die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern. Bereits<br />
bestehende Qualitätszirkel der GrundversorgerInnen wie auch die<br />
regelmässigen Fortbildungsveranstaltungen der Spitäler für die<br />
GrundversorgerInnen eignen sich dafür hervorragend.<br />
Seit 2007 erschienen verschiedene internationale Leitlinien, die<br />
die Erkenntnisse der Schweizer Empfehlungen bestätigten und<br />
den zentralen Stellenwert der SGB in der Behandlung Opioidabhängiger<br />
festigten. So z. B. die Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation<br />
WHO, 10 der World Federation of Societies of Biological<br />
Psychiatry WFSBP 11 und dem National Institute for Health and<br />
Clinical Excellence NICE. 12 Methadon und Buprenorphin gehören<br />
heute zu den essentiellen Basismedikamenten, empfohlen durch<br />
die WHO.<br />
2012 wurde eine Aktualisierung der Empfehlungen für die<br />
Schweiz durch die SSAM vorgenommen, welche die grosse Anzahl<br />
neu erschienener Publikationen berücksichtigt, kapitelweise eine<br />
ausführliche wissenschaftliche Referenzierung beinhaltet und der<br />
zukünftigen Entwicklung Rechnung trägt. 13<br />
24 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong><br />
Einige Schwerpunkte der Empfehlungen<br />
Ethik und Menschenrechte<br />
Um der Stigmatisierung und Ausgrenzung der Opioidabhängigen<br />
entgegenzuwirken, deren Krankheit oft nicht als solche anerkannt<br />
wird, wird das Recht auf Behandlung dieser Krankheit<br />
nach Kriterien der international verbindlichen Grundrechte des<br />
Menschen abgehandelt. 14<br />
Chronische Erkrankung<br />
Analog zu anderen chronischen Erkrankungen, wird die SGB<br />
nicht mehr als Sonderfall einer Behandlung, sondern als «normale»<br />
medizinische Therapie mit Berücksichtigung aller Begleitumstände<br />
betrachtet. Falls von PatientInnen erwünscht, soll der Weg<br />
in die Abstinenz sinnvoll begleitet, aber keinesfalls erzwungen<br />
oder vorausgesetzt werden.<br />
Diversifi zierung der Substitute<br />
Da Methadon nicht für alle Opioidabhängigen günstig wirkt,<br />
sehr unangenehme oder auch gefährliche Nebenwirkungen verursachen<br />
kann (z. B. Herzrhythmusstörungen), ist in solchen<br />
Fällen der alternative Einsatz anderer Substitutionssubstanzen<br />
sinnvoll. Derzeit zugelassen sind Buprenorphin und Diacetylmorphin<br />
(pharmazeutisch hergestelltes Heroin). Neu wird Morphin<br />
berücksichtigt, das sich im Zulassungsprozess befi ndet und heute<br />
nur limitiert eingesetzt werden kann. Ebenfalls Erwähnung fi ndet<br />
Levomethadon (wirksamer Bestandteil von Methadon), welches<br />
ein günstigeres Nebenwirkungsprofi l aufweist als Methadon und<br />
möglicherweise Zulassung fi nden wird. Für HausärztInnen ist diese<br />
Diversifi zierung oft noch Neuland, da sie über Jahre nur mit<br />
Methadon arbeiteten. Diese Substanzen sollten in der Basisversorgung<br />
einen wichtigeren Stellenwert erhalten, um die SGB zu<br />
optimieren.<br />
Komorbide Störungen<br />
Die meisten komorbiden Störungen, d. h. gleichzeitiges Vorliegen<br />
weiterer Erkrankungen, lassen sich gleich oder sehr ähn-
lich behandeln wie bei Erkrankten ohne Abhängigkeit. Dies bezieht<br />
sich sowohl auf psychische Störungen (z. B. Schizophrenie,<br />
Depression, Angst, Trauma), wie auch auf somatische Erkrankungen,<br />
insbesondere HIV und Hepatitiden, die sich unter SGB<br />
ebenso erfolgreich behandeln lassen, wie bei Nichtabhängigen,<br />
selbst bei komplexen Koinfektionen (z. B. gleichzeitiges Vorliegen<br />
von HIV und Hepatitis). Auf Interaktionen der Medikamente, auch<br />
mit dem Substitutionsmittel und zusätzlichem Substanzkonsum,<br />
ist besonders zu achten.<br />
Alter<br />
Das durchschnittliche Alter der in Substitution stehenden PatientInnengruppe<br />
ist steigend. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts<br />
wird eine beachtliche Gruppe auf die Infrastruktur der Altersmedizin<br />
(SPITEX, Alters- und Pfl egebetreuungseinrichtungen)<br />
angewiesen sein. Hierfür sind heute einzuleitende Massnahmen<br />
erforderlich. 15<br />
SGB im Spital und im Gefängnis<br />
Bei Spitalaufenthalt (somatisch oder psychiatrisch) ist eine<br />
Fortführung oder die Einleitung einer SGB sinnvoll oder gar notwendig,<br />
da ein erzwungener Entzug eine Behandlung gefährdet.<br />
Auch im Gefängnis, wo Insassen dasselbe Recht auf Behandlung<br />
einer Krankheit haben wie in Freiheit, muss die SGB als selbstverständliche<br />
Option der Behandlung Opioidabhängiger zur Verfügung<br />
stehen und fachgerecht durchgeführt werden können. 16<br />
Soziales<br />
Da es sich bei den Empfehlungen um medizinische Empfehlungen<br />
handelt, wird dem wichtigen sozialarbeiterischen/sozialpädagogischen<br />
Aspekt nur so weit Rechnung getragen, wie es für<br />
ÄrztInnen zur interdisziplinären Zusammenarbeit wichtig ist. Die<br />
Erarbeitung schweizweit gültiger Empfehlungen im Umgang mit<br />
Opioidabhängigen im Sozialbereich wäre zu begrüssen.<br />
Demographie der medizinischen Grundversorger<br />
So wie die Kohorte der PatientInnen unter SGB älter wird,<br />
nimmt auch das Alter der substituierenden HausärztInnen zu.<br />
Etliche der jetzt in diesem Bereich engagierten Grundversorger-<br />
Innen begannen als Pioniere per «learning by doing», lange bevor<br />
es fachlich fundierte Empfehlungen gab. Die meisten nutzten<br />
Fortbildungsangebote. Die kontinuierliche, über Jahre dauernde,<br />
bei Bedarf auch niederschwellige Beziehungsarbeit zwischen PatientIn<br />
und Arzt/Ärztin gilt als einer der Erfolgsfaktoren von SGB.<br />
In den letzten Jahren kam es durch erste Pensionierungen zu einer<br />
Konzentration von SGB-PatientInnen bei einzelnen GrundversorgerInnen.<br />
Im Kanton St. Gallen bspw. führen zwar noch 205 PraktikerInnen<br />
die insgesamt 730 SGB durch. Über 50% dieser ÄrztInnen<br />
sind aber über 55-jährig und 10 ÄrztInnen betreuen 247, also etwa<br />
33% aller PatientInnen. Kürzliche Erfahrungen zeigten, dass PraxisnachfolgerInnen<br />
nicht gewillt sind, eine grössere Anzahl von<br />
SGB-PatientInnen zu übernehmen.<br />
Kernkompetenz: chronische Krankheiten<br />
Die in der Grundversorgung Tätigen beschäftigen sich schwergewichtig<br />
mit chronischen Krankheiten, deren Behandlung oft<br />
durch Behandlungsunterbrüche durch die PatientInnen erschwert<br />
werden oder die unheilbar langsam zum Tod führen (Diabetes,<br />
Herzkrankheiten, Tumorleiden). Insofern sind ihnen die Charakteristika<br />
einer SGB grundsätzlich nicht fremd.<br />
Qualität der Behandlung<br />
Die SGB soll dazu beitragen, eine instabile, dekompensierte<br />
Abhängigkeit in eine stabile, kompensierte Abhängigkeit über-<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 25
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
zuführen. Als dekompensiert gilt eine Abhängigkeit, wenn sie<br />
zentrale Lebensbereiche wie Selbstfürsorge, soziale Beziehungen<br />
ausserhalb der Szene von Abhängigen, Erwerbstätigkeit oder<br />
sinngebende Beschäftigung massgeblich einschränkt. Um diese<br />
Einschränkungen zu reduzieren, stehen folgende Zielsetzungen<br />
im Vordergrund: Die Verringerung der Mortalität, die Verbesserung<br />
der Gesundheitssituation, präventiv die Reduktion des Risikos<br />
neuer zusätzlicher Erkrankungen, die Erhöhung sozialer Kompetenzen<br />
und der sozialen Integration und die Steigerung der<br />
Lebensqualität. Die wichtigsten Qualitätskriterien sind das Verbleiben<br />
in der Behandlung und die Reduktion des Zusatzkonsums.<br />
Sowohl die klassischen HausärztInnen als EinzelkämpferInnen<br />
wie «disease management»-Ansätze, d. h. systematische Formen<br />
der Behandlung chronischer Krankheiten in modernen Formen<br />
der Grundversorgung können versuchen, ihre Behandlungen an<br />
diesen Zielsetzungen auszurichten.<br />
Prozess- versus Strukturqualität<br />
Die aktuelle Situation ist paradox. Die Zeit der Grabenkriege<br />
ist vorbei. Noch nie wussten wir so gut, wie SGB im medizinischen<br />
Bereich durchgeführt werden sollte und noch nie gab es so wenig<br />
Differenzen zwischen den involvierten AkteurInnen (suchtmedizinische<br />
Fachgesellschaft, nicht-ärztliche Suchtfachpersonen,<br />
BAG und KantonsärztInnen). Das kochbuchartige internetbasierte<br />
Handbuch, sowie die regelmässigen Fortbildungsangebote der<br />
suchtmedizinischen Netzwerke garantieren eine auf die Gewohnheiten<br />
der GrundversorgerInnen zugeschnittene Wissensvermittlung.<br />
Die KantonsärztInnen haben sich auf einen Richtlinien-<br />
Mustertext geeinigt, worin sie die gesetzlichen Bestimmungen<br />
und Richtlinien auf das administrativ notwendige Minimum beschränken<br />
und den behandelnden ÄrztInnen auf der Grundlage<br />
der SSAM-Empfehlungen möglichst viel therapeutische Freiheit<br />
gewähren (die Kantone sind aber frei, diesen Vorschlag zu übernehmen).<br />
Damit sind viele Voraussetzungen für eine optimale<br />
Prozessqualität gegeben. Und jetzt zeigen sich Schwächen in der<br />
Versorgungsstruktur: zu wenige, zunehmend überlastete GrundversorgerInnen,<br />
welche in Genuss der erwähnten Veränderungen<br />
kommen könnten. Das schlechte Image von SGB-PatientInnen,<br />
oft geprägt von Einzelfällen, macht es schwer, die nachrückende<br />
Ärzteschaft in der Grundversorgung für diese Aufgabe zu gewinnen.<br />
Dabei spielt auch das veränderte Selbstbild der neuen Grundversorgergeneration<br />
(unselbstständige Teilzeitarbeit, geringere<br />
Risikobereitschaft) und deren Sozialisierung (bspw. durch Ausbildung<br />
im Ausland) eine Rolle. Das bewährte Viersäulenmodell mit<br />
den Schwerpunkten Therapie, Prävention, Schadensminderung<br />
oder Harmreduction und Repression ist bei dieser Generation oft<br />
nicht mehr verinnerlicht.<br />
26 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong><br />
Unterwegs zu neuen Strukturen<br />
Die skizzierten Strukturprobleme sind noch nicht allen Kantonen<br />
bewusst, bzw. nehmen in der Prioritätenliste der Lösungsansätze<br />
zukünftiger Versorgungsprobleme in der Grundversorgung<br />
keinen Spitzenplatz ein. Die suchtmedizinischen Netzwerke<br />
(mitfi nanziert durch die Kantone) sollten die KantonsärztInnen<br />
– verantwortlich für die Umsetzung des Betäubungsmittelgesetzes<br />
und damit die korrekte und fl ächendeckende Versorgung<br />
mit SGB – darauf aufmerksam machen und Situationsanalysen<br />
anbieten. Zusammen mit den KantonsärztInnen sollten die Netzwerke<br />
in Zukunft vermehrt gezielt GrundversorgerInnen zu SGB-<br />
Grundkursen einladen, wie dies bspw. in St. Gallen geschieht mit<br />
Veranstaltungen zu «SGB – State of the Art 201x», einem Modell,<br />
das sich sehr bewährt. Um einen minimalen Behandlungsstandard<br />
zu erreichen, kann es auch sinnvoll sein, die Bewilligung zur<br />
Abgabe von Substitutions-Substanzen vom Besuch eines Einführungskurses<br />
abhängig zu machen, wie dies der Kanton Zürich seit<br />
Jahren tut. Dabei soll die korrekte Behandlung der Opioidabhängigkeit<br />
als chronischer Krankheit vermittelt, aber auch auf spezifi<br />
sche Fragestellungen eingegangen werden wie Komedikation<br />
(z. B. Benzodiazepine), Motivierende Gesprächsführung, Umgang<br />
mit störenden Faktoren (Zahlungsmoral, Zuverlässigkeit bezüglich<br />
Terminen), Rolle der medizinischen PraxisassistentInnen,<br />
interdisziplinäre Zusammenarbeit etc.). Jüngere GrundversorgerInnen<br />
erleben es als Entlastung, wenn durch vermehrte Zusammenarbeit<br />
mit Apotheken, Suchtfachstellen und ambulanter<br />
Psychiatrie die Verantwortlichkeit aufgeteilt werden kann. Auch<br />
hier sind die suchtmedizinischen Netzwerke gefordert, die entsprechenden<br />
Prozesse einer integrierten SGB-Versorgung vorzubereiten<br />
und die beteiligten Fachleute darin einzuführen. Wichtig<br />
wäre auch, die fi nanzielle Abgeltung für die SGB durch Hausärzt-<br />
Innen im TARMED dem Aufwand entsprechend festzulegen. Dies<br />
alles wird erleichtert durch zusätzliche Bestrebungen des BAG zur<br />
Steigerung der Attraktivität der Hausarztmedizin. 17 Durch eine<br />
optimale Motivation und Unterstützung sollte es möglich sein,<br />
für GrundversorgerInnen die «undankbare» Aufgabe der Suchtbehandlung<br />
wieder zu einer herausfordernden, attraktiven Behandlung<br />
zu machen..<br />
Literatur<br />
BAG - Bundesamt für Gesundheit (2009): Substitutionsgestützte<br />
Behandlungen bei Opioidabhängigkeit. Empfehlungen des<br />
Bundesamtes für Gesundheit (BAG), der Schweizerischen Gesellschaft<br />
für Suchtmedizin (SSAM), der Vereinigung der Kantonsärztinnen<br />
und Kantonsärzte Schweiz (VKS). www.tinyurl.com/d69sy55, Zugriff<br />
28.12.2012.<br />
Eidgenössische Betäubungsmittelkommission (1984): Methadonbericht,<br />
Suchtmittelersatz in der Behandlung Heroinabhängiger in der Schweiz.<br />
Beilage zum Bulletin des Bundesamt für Gesundheitswesen Nr. 3.<br />
Eidgenössische Betäubungsmittelkommission (1989): Methadonbericht,<br />
Suchtmittelersatz in der Behandlung Heroinabhängiger in der<br />
Schweiz (zweite Aufl age); Herausgegeben vom Bundesamt für<br />
Gesundheitswesen. Bern: Eidgenössische Druck- und Materialzentrale.<br />
Eidgenössische Betäubungsmittelkommission (1995): Methadonbericht,<br />
Suchtmittelersatz in der Behandlung Heroinabhängiger in<br />
der Schweiz (dritte Aufl age); Herausgegeben vom Bundesamt<br />
für Gesundheitswesen. Bern: Eidgenössische Druck- und<br />
Materialzentrale.<br />
NICE - National Institute for Health and Clinical Excellence (2007):<br />
Methadone and buprenorphine for the management of opioid<br />
dependence, www.guidance.nice.org.uk.<br />
Soyka, M./Kranzler, H.R./van den Brink, W./Krystal, J./Moller, H.J./Kasper,<br />
S. (2011): The world federation of societies of biological psychiatry<br />
(WFSBP) guidelines for the biological treatment of substance use<br />
and related disorders. Part 2: Opioid dependence. World Journal of<br />
Biological Psychiatry 12: 160-87.<br />
SSAM - Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin (2012): Medizinische<br />
Empfehlungen für substitutionsgestützte Behandlungen (SGB) bei<br />
Opioidabhängigkeit, www.ssam.ch<br />
WHO - World Health Organization (2009): Guidelines for the psychosocially<br />
assisted pharmacological treatment of opioid dependence.<br />
www.tinyurl.com/dxmpwfz, Zugriff 08.12.2012.<br />
Endnoten<br />
1 Vgl. SSAM 2012.<br />
2 Vgl. Eidgenössische Betäubungsmittelkommission (1984).<br />
3 Vgl. Eidgenössische Betäubungsmittelkommission (1989).<br />
4 Vgl. Eidgenössische Betäubungsmittelkommission (1995).<br />
5 Vgl. BAG 2009.<br />
6 www.fosumos.ch<br />
7 Forum Suchtmedizin Innerschweiz, www.fosumis.ch<br />
8 collège romand de médecine de l’addiction,<br />
www.romandieaddiction.ch<br />
9 ticino(addiction), www.ticinoaddiction.ch<br />
10 Vgl. WHO 2009.<br />
11 Vgl. Soyka et al. 2011.<br />
12 Vgl. NICE 2007.<br />
13 Weiterführende Literatur zum Artikel vgl. Referenzen jeweils am<br />
Kapitelende der Langversion der Empfehlungen zur SGB, SSAM 2012.<br />
14 Vgl. auch den Artikel von Bachmann in dieser Ausgabe.<br />
15 Vgl. auch den Artikel von Hälg & Dürsteler-MacFarland in dieser<br />
Ausgabe.<br />
16 Vgl. auch den Artikel von Chatterjee in dieser Ausgabe.<br />
17 Vgl. auch den «Masterplan Hausarztmedizin und medizinische<br />
Grundversorgung» vom Bundesamt für Gesundheit BAG,<br />
www.tinyurl.com/bcgecrn, Zugriff 12.01.<strong>2013</strong>.
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Substitution in der<br />
Behandlungskette<br />
Auf ihrem Behandlungspfad – sowohl stationär als auch ambulant – sollte<br />
opioidabhängigen Personen jederzeit eine substitutionsgestützte Behandlung<br />
(SGB) zugänglich sein. Die Opioidabhängigkeit geht häufig mit weiteren<br />
psychischen und körperlichen Erkrankungen einher, deren teilweise<br />
anspruchsvolle Behandlung oft erst im Setting einer SGB möglich wird. Bei<br />
mehreren in die Behandlung involvierten SpezialistInnen ist eine Fallkoordination<br />
angezeigt, wobei substituierenden HausärztInnen eine wichtige Rolle<br />
zukommt. Bei Abstinenzphasen sollte die mögliche Wiederaufnahme einer<br />
SGB gut vorbereitet sein.<br />
Thilo Beck<br />
Dr. med., Chefarzt Psychiatrie, Arud Zentren für Suchtmedizin,<br />
Konradstrasse 32, CH-8005 Zürich, t.beck@arud.ch<br />
Schlagwörter:<br />
Substitution | Behandlung | Fallkoordination | Opioidabhängigkeit |<br />
SGB für wen?<br />
In der Schweiz konsumieren etwa 25’000 Personen problematisch<br />
Heroin. 1 Im Gegensatz zu den USA, wo im Zusammenhang<br />
mit dem Konsum nicht verschriebener opioidhaltiger Schmerzmittel<br />
eine zunehmende Zahl von jüngeren Opioidabhängigen festgestellt<br />
wird, 2 sind in der Schweiz kaum NeueinsteigerInnen zu verzeichnen.<br />
3 Hier handelt es sich bei den opioidabhängigen Personen<br />
um eine alternde Gruppe mit einem Durchschnittsalter von aktuell<br />
zirka 42 Jahren. 4<br />
Nach heutigem Erkenntnisstand ist die SGB bei dekompensierter<br />
Opioidabhängigkeit als Behandlung der ersten Wahl zu sehen. SGB<br />
sollte auch nach erreichter Stabilisierung langfristig weitergeführt<br />
werden, angesichts einer im weiteren Verlauf zu erwartenden<br />
Abstinenzrate von nur 2-3% pro Jahr. Die Sterblichkeit Opioidabhängiger<br />
kann unter SGB stark gesenkt werden, Abbrüche einer<br />
laufenden SGB führen damit zu vermeidbaren Todesfällen, psychosozialer<br />
Destabilisierung und einer Erhöhung des Risikos weiterer<br />
Selbstschädigung. Abstinenzorientierte Ansätze sollten nur nach<br />
eingehender Vorbereitung und immer mit der Option einer Wiederaufnahme<br />
der SGB zur Anwendung kommen.<br />
Opioidabhängigkeit als chronische Erkrankung<br />
Die Opioidabhängigkeit ist eine chronische Erkrankung, die Betroffene<br />
in über die Zeit wechselnder und individuell unterschiedlicher<br />
Ausprägung über Jahrzehnte und teilweise das ganze Leben<br />
lang begleitet. 5 Der Verlauf der Erkrankung ist nicht als lineare Entwicklung<br />
zu verstehen, Phasen eines exzessiven, unkontrollierten<br />
Konsums können sich in allen möglichen Reihenfolgen mit Perioden<br />
eines moderaten oder kontrollierten Konsums und mit Phasen<br />
der Abstinenz abwechseln.<br />
Das Modell des «Chronic Care Management»<br />
in der Medizin<br />
Im Bereich der Inneren Medizin fi ndet zur Behandlung des<br />
steigenden Anteils chronischer Erkrankungen wie Diabetes oder<br />
Hypertonie der Ansatz des «Chronic Care Managements» 6 zunehmend<br />
Beachtung. Dabei geht es um eine kontinuierliche und aktive<br />
Einbindung häufi g multimorbider PatientInnen in das Behandlungssystem.<br />
Zusammen mit dem Patienten/der Patientin werden<br />
nach eingehender Information über Krankheitsmechanismen,<br />
Chancen und Risiken der Behandlung die zu verändernden Zielsymptome<br />
defi niert und die zur Zielerreichung notwendigen bzw.<br />
vereinbarten bio-psycho-sozialen Interventionen anhand regelmässiger<br />
Routinekontrollen entweder in der Praxis oder telefonisch/<br />
webbasiert laufend überprüft und angepasst. Diese Begleitung<br />
wird durch den Hausarzt in Zusammenarbeit mit einer speziell ausgebildeten<br />
Pfl egekraft oder PraxisassistentIn gewährleistet, mit<br />
der Möglichkeit des Beizugs weiterer SpezialistInnen bei Bedarf.<br />
Ziel dieses Ansatzes ist es, die PatientInnen aktiv über eine koordinierende<br />
Anlaufstelle in eine oft multimodale und interdisziplinäre<br />
Behandlung einzubeziehen und zu einer langfristigen, informierten<br />
Mitarbeit zu motivieren. Damit sollen mögliche Probleme im Behandlungsverlauf<br />
frühzeitig erkannt oder gar vermieden werden.<br />
Episodisch orientiertes Behandlungsverständnis im<br />
Suchtbereich<br />
Das im Bereich der Inneren Medizin erprobte «Chronic Care<br />
Management» eignet sich in hohem Masse für die Anwendung bei<br />
PatientInnen mit Substanzstörungen, da es eine pragmatische,<br />
längerfristige Zusammenarbeit mit ihnen unterstützt und durch<br />
seinen koordiniert interdisziplinären Ansatz die Behandlung der<br />
auch bei Substanzstörungen häufi gen komorbiden Erkrankungen<br />
einbezieht. Ein solcher langfristig und präventiv ausgerichteter,<br />
umfassender Ansatz wird im Suchtbereich aber noch kaum angewendet.<br />
Nur ein kleiner Teil der Betroffenen befi ndet sich überhaupt<br />
in Behandlung (im Alkoholbereich z. B. nur 10-20% der problematisch<br />
Konsumierenden 7 ) und wird typischerweise episodisch,<br />
anlässlich akuter Krisen behandelt – mit häufi gem Kontaktverlust<br />
nach Abschluss einer Nachsorge/Entwöhnungsbehandlung.<br />
Günstigere Ausgangslage für Opioidabhängige<br />
Etwas anders präsentiert sich die Ausgangslage bei der Gruppe<br />
der opioidabhängigen Personen. In der Schweiz befi nden sich 60%<br />
der problematisch Konsumierenden in einer Substitutionsbehandlung,<br />
8 etwa 90% haben sich schon mindestens einmal einer SGB<br />
unterzogen. Die SGB bietet damit durch ihre Verbreitung und ihr<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 27
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
strukturiertes Setting (regelmässige Kontakte bei Substanzbezug)<br />
ausgezeichnete Voraussetzungen und Rahmenbedingungen als<br />
Zugangspforte zu den Betroffenen und für die Umsetzung umfassender<br />
Behandlungsangebote im Sinne eines Chronic Care Management.<br />
Durch die im Rahmen der SGB gegebenen längerfristigen und<br />
regelmässigen Kontakte mit der Behandlungsstelle eröffnet sich<br />
die Möglichkeit der Herstellung einer nachhaltigen, intrinsischen<br />
Therapiemotivation und einer entsprechenden Therapietreue. Die<br />
im Bereich der Suchttherapie entwickelte und zunehmend auch bei<br />
der Behandlung anderer chronischer Erkrankungen in der Inneren<br />
Medizin und der Infektiologie angewendete Methode der motivierenden<br />
Gesprächsführung (MI) nach Miller & Rollnick 9 hat sich zu<br />
diesem Zweck sehr bewährt.<br />
Herausforderungen<br />
Eine Herausforderung bezüglich der Aufrechterhaltung der<br />
Kontinuität der Behandlung und der Gewährleistung des notwendigen<br />
Informationsfl usses zwischen den BehandlerInnen stellen<br />
die bei einem Teil der PatientInnen in der SGB immer wieder zu<br />
beobachtenden unangekündigten Behandlungsabbrüche dar. 10 Die<br />
SGB wird in der Regel nach einem gewissen Intervall und oft verbunden<br />
mit einem BehandlerInnenwechsel wieder aufgenommen.<br />
Die Abbrüche sind wohl am ehesten mit ungenügend geklärten<br />
konfl iktiven Erwartungen zwischen PatientIn und BehandlerIn zu<br />
erklären. Hier muss zur Verbesserung der Therapietreue der Fokus<br />
wohl noch stärker auf eine transparente Zusammenarbeit mit den<br />
PatientInnen und auf eine Klärung der für sie relevanten Zielsetzungen<br />
der SGB gesetzt werden. Dies bedarf einer empathischen,<br />
wertschätzenden und unterstützenden therapeutischen Haltung<br />
zur Förderung der intrinsischen Motivation, wie sie über die Anwendung<br />
von MI sehr gut vermittelt werden kann.<br />
Eine weitere Herausforderung liegt in der Breite des potentiell<br />
zur Verfügung zu stellenden therapeutischen Angebots, das ja<br />
über die sucht- und substitutionsspezifi schen Aspekte hinaus<br />
auch weitere psychotherapeutisch/psychiatrische, somatische<br />
und soziale Problemstellungen abdecken sollte. Spezialisierte<br />
Einrichtungen können ein derartiges interdisziplinäres Angebot<br />
unter einem Dach realisieren. Andere Institutionen sind hier auf<br />
eine gute und strukturierte Zusammenarbeit mit SpezialistInnen<br />
aus den jeweiligen Fachgebieten angewiesen, wobei die Frage der<br />
Fallführung bei dieser Form der Kooperation jeweils besonders<br />
zu beachten und zu klären ist. Vor allem für Hausärzte, die im<br />
Schweizer Versorgungsmodell einen unverzichtbaren Beitrag zur<br />
Gewährleistung fl ächendeckend und niederschwellig verfügbarer<br />
Substitutionsangebote leisten, stellt sich angesichts der zunehmenden<br />
Komplexität der Behandlungen das Problem des Zugangs<br />
zu entsprechendem fachspezifi schem Wissen aus den Bereichen<br />
Psychiatrie, Infektiologie und Soziale Arbeit. Hier müssen zur<br />
Förderung des für den Grundversorger notwendigen Fachwissens<br />
und zum Aufbau weiterführender, interdisziplinärer Informationsund<br />
Behandlungsnetzwerke entsprechende Kooperationsmodelle<br />
mit suchtmedizinischen Facheinrichtungen sowie die Informationsvermittlung<br />
und Vernetzung über geeignete internetbasierte<br />
Plattformen dringend ausgebaut werden.<br />
Individualisierte Behandlungsansätze<br />
Angesichts der oft komplexen Problemstellungen mit psychischen,<br />
somatischen und sozialen komorbiden Erkrankungen und<br />
Störungen in unterschiedlichen Kombinationen und wechselnden<br />
zeitlichen Ausprägungen sollten therapeutische Angebote nach<br />
individueller Abklärung bedarfs- und ressourcengerecht zusammengestellt<br />
werden. Dabei ist auch bei jedem Wechsel des Behandlungssettings<br />
die Frage zu klären, ob und in welcher Form<br />
eine Substitutionsbehandlung angezeigt ist. Bei der Wahl der Substitutionsbehandlung<br />
selbst sollten unbedingt die Möglichkeiten<br />
der verschiedenen zur Ersatzbehandlung zur Verfügung stehenden<br />
28 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong><br />
Substanzen für eine möglichst nebenwirkungsarme und gut verträgliche<br />
Einstellung berücksichtigt werden. Einmal erarbeitete<br />
Therapiekonzepte sollten im Verlauf immer wieder überprüft und<br />
angepasst werden.<br />
Die Bedeutung eines tragfähigen Behandlungsnetzes<br />
Über die Jahre beschreiten Substitutions-PatientInnen vielfältige<br />
Behandlungswege mit meist kurzfristigen stationären oder<br />
teilstationären Kriseninterventionen und Behandlungen in psychiatrischen<br />
Kliniken, längerfristigen stationären Drogentherapien<br />
mit rehabilitativem Charakter, stationären medizinischen Interventionen,<br />
Gefängnisaufenthalten, begleitetem Wohnen und ambulanten<br />
psychiatrischen/psychotherapeutischen und/oder medizinischen<br />
Behandlungsabschnitten. Hier kann von regelrechten<br />
Netzen gesprochen werden, mit den entsprechend zu pfl egenden<br />
Schnittstellen zwischen den verschiedenen zeitgleich oder aufeinanderfolgend<br />
zum Einsatz kommenden BehandlerInnen. Dazu<br />
bedarf es eines gemeinsamen Grundverständnisses des therapeutischen<br />
Vorgehens und eines genügenden Informationsfl usses,<br />
um bei Überweisungen die individuellen Problemsituationen der<br />
PatientInnen und die daraus abgeleiteten therapeutischen Massnahmen<br />
adäquat zu erfassen. Die Prinzipien der Anwendung der<br />
SGB müssen von allen AkteurInnen des Netzwerkes verstanden<br />
werden, und sowohl im ambulanten wie auch im stationären Bereich<br />
muss eine den heutigen Standards entsprechende SGB stets<br />
verfügbar sein.<br />
SGB als Grundlage für die Behandlung weiterer psychischer<br />
und körperlicher Erkrankungen und sozialer<br />
Problemstellungen<br />
Das Setting der SGB eignet sich aufgrund der durch den Substanzbezug<br />
gegebenen regelmässigen Kontakte in idealer Weise<br />
als Grundlage für die ansonsten bei dieser Klientel im ambulanten<br />
Bereich oft schwierig zu realisierende Behandlung komorbider psychischer<br />
und somatischer Erkrankungen. Abklärung, Behandlung<br />
und Verlaufskontrollen lassen sich zwanglos im strukturierten<br />
SGB-Setting integrieren. So können z. B. auch anspruchsvolle infektiologische<br />
Behandlungen (HIV, HCV) im Setting der SGB mit<br />
vergleichbaren Erfolgsraten wie in der Behandlung von Personen<br />
ohne Substanzstörung realisiert werden. 11<br />
Alterung der Patientengruppe<br />
Das zunehmende Alter der Opioidabhängigen in der Schweiz<br />
stellt eine grosse Herausforderung an das Behandlungssystem dar,<br />
indem mit einer zunehmenden Zahl behandlungsbedürftiger Erkrankungen<br />
zusätzlich zur Suchtstörung gerechnet werden muss. 12<br />
Auch hier bietet das Setting der SGB eine solide Grundlage für die<br />
Behandlung weiterer psychischer und körperlicher Erkrankungen. 13<br />
Andererseits muss im Zuge einer adäquaten Integration der SGB<br />
für AlterspatientInnen neu zu defi nierenden Behandlungsangeboten<br />
(ambulante Spitex-Betreuung, Pfl egeheime) besondere Beachtung<br />
geschenkt werden. 14<br />
SGB in Gefangenschaft<br />
Personen in Haft haben den gleichen Anspruch auf eine umfassende<br />
medizinische Versorgung wie die restliche Bevölkerung. Die<br />
Indikationskriterien für die Aufnahme oder Weiterführung einer<br />
SGB gelten also auch unter Haftbedingungen. In Haft werden illegale<br />
Drogen zwar seltener aber oft risikoreicher konsumiert. Zudem<br />
ist das Risiko beträchtlich, dass es nach der Abstinenz unter<br />
Haftbedingungen bei einer Wiederaufnahme des Heroinkonsums<br />
nach der Haftentlassung zu einer tödlichen Intoxikation kommt. 15<br />
Deshalb ist der schützende Effekt der SGB für Personen, die eine<br />
Haftstrafe zu verbüssen haben, als besonders hoch einzuschätzen,<br />
und zwar für den Zeitraum während der Haftverbüssung wie auch<br />
nach der Entlassung. 16
Ausblick<br />
Angesichts des chronischen Verlaufs der Opioidabhängigkeit,<br />
des hohen Anteils dauerhaft Substituierter und des zunehmenden<br />
Alters der Opioidabhängigen in der Schweiz kommt der SGB zur<br />
Stabilisierung und Optimierung der Behandlungsverläufe dieser<br />
oft multimorbiden Personen im ambulanten und stationären Setting<br />
eine wichtige und im Hinblick auf die Alterung immer grössere<br />
Bedeutung zu. Eine hoch individualisierte, bedarfsgerechte SGB<br />
sollte in allen Settings als Grundpfeiler eines interdisziplinären Angebots<br />
zur Verfügung stehen. HausärztInnen, die bei Bedarf durch<br />
spezialisierte Einrichtungen und Informationsplattformen unterstützt<br />
werden, kommt im Hinblick auf eine möglichst umfassende<br />
und fl ächendeckende Versorgung eine grosse Bedeutung zu. Die<br />
interdisziplinäre Zusammenarbeit, Koordination und Vernetzung<br />
muss in allen Settings über die Schnittstellen hinweg weiterentwickelt<br />
und ausgebaut werden..<br />
Literatur<br />
BAG - Bundesamt für Gesundheit (2010): Die Nationale Methadon-Statistik.<br />
www.tinyurl.com/dyzkrjy, Zugriff 26.01.<strong>2013</strong>.<br />
Fareed, A. et al. (2009): Benefi ts of retention in methadone maintenance and<br />
chronic medical conditions as risk factors for premature death among<br />
older heroin addicts. Journal of Psychiatric Practice 15 (3): 227-234.<br />
Hellard, M. et al. (2009): Hepatitis C treatment for injection of drug users: a<br />
review of the available evidence. Oxford Journals 49 (4): 561-573.<br />
Holmes, D. (2012): Prescription drug addiction: the treatment challenge.<br />
Lancet 379(9810): 17-8.<br />
Keppler, K et al. (2010): Prison Health is Public Health! Angleichungs- und<br />
Umsetzungsprobleme in der gesundheitlichen Versorgung Gefangener<br />
im deutschen Justizvollzug Bundesgesundheitsblatt 53: 233–244.<br />
Maffl i, E./Delgrande, Jordan, M. (2012): Altersentwicklung in der Suchthilfe:<br />
neue Herausforderungen für die Praxis? <strong>SuchtMagazin</strong> 3/2010: 16-19.<br />
McKenzie, M. et al. (2012): A randomized trial of methadone initiation prior to<br />
release from incarceration. Substance Abuse: 33 (1): 19-29.<br />
Nordt, C./Stohler, R. (2011): Heroinabhängigkeit. Ein Update zur Problemlage<br />
und Versorgung im Kanton Zürich. Methadonevaluation des Kantons<br />
Zürichs. Bericht der Begleitevaluation Nr. 17.<br />
Nordt, C. et al. (2009): Estimating incidence trends in regular heroin use in<br />
26 regions of Switzerland using methadone treatment data. Substance<br />
Abuse Treatment Prevention, Policy: 4-14. www.tinyurl.com/aq9nyw6,<br />
Zugriff 26.01.<strong>2013</strong>.<br />
Nordt, C. et al. (2004): Gründe für die Beendigung von<br />
Methadonbehandlungen. Methadonevaluation des Kantons Zürichs.<br />
Bericht der Begleitevaluation Nr. 11.<br />
Rollnick, S./William, R. (2009): Motivierende Gesprächsführung. Freiburg:<br />
Lambertus.<br />
Rosen, D. et al. (2008): The prevalence of mental and physical health<br />
disorders among older methadone patients. American Journal of<br />
Geriatric Psychiatry 16 (6): 488-497.<br />
Rumpf, H.J./Meyer, C. (2000): Inanspruchnahme suchtspezifi scher Hilfen<br />
von Alkoholabhängigen und -Missbrauchern: Ergebnisse der TACOS<br />
Bevölkerungsstudie. Sucht 46: 9–17.<br />
Wagner, E.H. et al. (1996): Improving outcomes in chronic illness. Managed<br />
Care Quarterly 4 (2): 12-25.<br />
WHO - World Health Organization (2009): Guidelines for the psychosocially<br />
assisted pharmacological treatment of opioid dependence. www.<br />
tinyurl.com/dxmpwfz, Zugriff 26.01.<strong>2013</strong>.<br />
Endnoten<br />
1 Vgl. BAG 2010.<br />
2 Vgl. Holmes 2012.<br />
3 Vgl. Nordt 2009.<br />
4 Vgl. Maffl i/Delgrande et al. 2012; Jordan 2010. Vgl. auch den Beitrag von<br />
Hälg/Dürsteler-MacFarland in dieser Ausgabe.<br />
5 Vgl. WHO 2009.<br />
6 Vgl. Wagner et al. 1996.<br />
7 Vgl. Rumpf/Meyer 2000.<br />
8 Vgl. Nordt 2011.<br />
9 Vgl. Rollnick/William 2009.<br />
10 Vgl. Nordt et al. 2004.<br />
11 Vgl. Hellard et al. 2009.<br />
12 Vgl. Rosen et al. 2008.<br />
13 Vgl. Fareed et al. 2009.<br />
14 Vgl. auch den Beitrag von Hälg/Dürsteler-MacFarland in dieser<br />
Ausgabe.<br />
15 Vgl. Keppler 2010.<br />
16 Vgl. McKenzie et al. 2012. Vgl. auch den Beitrag von Chatterjee in dieser<br />
Ausgabe.
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Substitution im Alter<br />
Personen in substitutionsgestützter Behandlung werden zunehmend älter.<br />
Mit dem Alter nehmen komorbide Störungen und soziale Defizite zu und haben<br />
u. a. Einschränkungen der Mobilität zur Folge. Dies erfordert einen Ausbau an<br />
altersgerechten Wohnformen, welche den spezifischen Bedürfnissen dieser<br />
Gruppe von Personen gerecht werden.<br />
Regula Hälg<br />
Lic. phil., wissenschaftliche Mitarbeiterin Infodrog, Eigerplatz 5,<br />
Postfach 460, CH-3000 Bern 14, r.haelg@infodrog.ch, www.infodrog.ch<br />
Kenneth M. Dürsteler-MacFarland<br />
Dr. des. phil., Klinischer Psychologe, Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen,<br />
UPK Basel, Wilhelm Klein-Str. 27, CH-4012 Basel, kenneth.duersteler@upkbs.ch<br />
Schlagwörter:<br />
Substitution | Behandlung | Alter | Wohnform | Komorbidität | Pharmakologie |<br />
Durchschnittsalter substituierter Personen steigt<br />
In der Schweiz befi nden sich rund 19‘000 Personen in einer<br />
substitutionsgestützten Behandlung. 1 Als solche wird die<br />
Kombination der Substitution mit den derzeit registrierten<br />
Medikamenten Methadon, Buprenorphin und Diacetylmorphin<br />
als Basisbehandlung mit medizinischen Behandlungen sowie<br />
Unterstützung im Sozialbereich verstanden. 2 Ende 2011 waren<br />
1’392 Personen in heroingestützter Behandlung (Substitution<br />
mit Diacetylmorphin). 3 Das Durchschnittsalter der PatientInnen<br />
betrug 2011 41.6 Jahre, die Spannweite reicht von 21 bis<br />
74 Jahren. Die folgende Abbildung zeigt die Altersverteilung der<br />
PatientInnen in heroingestützter Behandlung für die Jahre 1994<br />
bis 2011. Im Jahr 1994 waren lediglich 1.6% der PatientInnen über<br />
45 Jahre alt; dieser Anteil betrug 2011 bereits 36.2%.<br />
Die Zahl der Neueintritte in die heroingestützte Behandlung<br />
ist seit 2005 konstant und beträgt zwischen 100 und 150 Personen.<br />
Abb. 2 zeigt, dass das Alter bei Neueintritt ebenfalls angestiegen<br />
ist: Seit 2005 ist jede zweite Person, die neu eintritt,<br />
über 35 Jahre alt und rund 10% der neu Eingetretenen sind über<br />
45 Jahre alt.<br />
Der Anstieg des Alters bei den neu eintretenden Personen<br />
wirft die Frage auf, ob Heroinabhängigkeit ein Kohortenphänomen<br />
ist, also ein Phänomen, das sich auf altersgleiche Personengruppen<br />
mit vergleichbaren Sozialisationsbedingungen<br />
bezieht. Wäre dies der Fall, müsste allerdings das durchschnittliche<br />
Alter der Ersteintritte jedes Jahr um ein Jahr höher sein.<br />
Andererseits lässt sich die Heroinabhängigkeit nicht als reines<br />
Altersphänomen (als in den gleichen Lebensjahren entstehend)<br />
sehen, denn dann wäre das durchschnittliche Alter bei den Neueintritten<br />
konstant, was aber durchaus nicht der Fall ist. Bei der<br />
Inanspruchnahme einer heroingestützten Behandlung spielen<br />
sowohl Kohorten- wie auch Alterseffekte eine Rolle. 6<br />
Dieselbe Entwicklung zeigt sich auch bei der substitutionsgestützten<br />
Behandlung mit Methadon und Buprenorphin. Per<br />
Ende 2011 befanden sich rund 18‘000 Personen in Behandlung. 7<br />
In der nationalen Methadonstatistik erfolgt allerdings keine<br />
Ausdifferenzierung der Alterskategorien ab 40. 8 Der Anteil der<br />
MethadonbezügerInnen über 40 Jahre beträgt jedoch in den<br />
meisten Kantonen rund 50%.<br />
Exemplarisch sei hier die Altersverteilung der Personen in<br />
Methadonbehandlung (Abb. 4) und die Entwicklung des Anteils<br />
der über 40 jährigen Personen in Methadonbehandlung über die<br />
letzten 4 Jahre hinweg (Abb. 5) für den Kanton Bern dargestellt.<br />
Dabei wird ersichtlich, dass der Anteil dieser Gruppe um gut 10%<br />
(von 43.1% auf 53.6%) angestiegen ist.<br />
Gesundheitliche Probleme der älter werdenden<br />
Personen in substitutionsgestützter Behandlung<br />
Dank der deutlich gestiegenen Lebenserwartung nehmen<br />
– analog zur nicht abhängigen Allgemeinbevölkerung – altersbedingte<br />
Begleiterkrankungen bei substituierten PatientInnen<br />
stetig zu. 11 Körperliche Erkrankungen setzen bei den häufi g vorgealtert<br />
wirkenden PatientInnen allerdings meist früher und<br />
z. T. ausgeprägter ein als bei nicht abhängigen Personen, 12 was<br />
möglicherweise einer chronischen Aktivierung des Immunsy-<br />
100%<br />
unter 25 26 bis 34 35 bis 44 45 bis 54 über 54<br />
80%<br />
60%<br />
40%<br />
20%<br />
0%<br />
1994<br />
1995<br />
1996<br />
1997<br />
1998<br />
1999<br />
2000<br />
2001<br />
2002<br />
2003<br />
2004<br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
2008<br />
2009<br />
2010<br />
2011<br />
Abb. 1: Verteilung des Alters aller<br />
HeGeBe-PatientInnen, Schweiz. 4<br />
30 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong>
stems geschuldet ist, z. B. bei bronchialen, oralen oder dermatologischen<br />
Infektionsherden. 13 Generell scheinen Gesundheitsprobleme,<br />
die vom jahrelangen illegalen Substanzkonsum und<br />
den damit verbundenen Risiken herrühren, die «normalen» altersbedingten<br />
körperlichen und psychischen Funktionseinbussen<br />
zu verschärfen. 14<br />
Somatische Komorbidität<br />
Gegenüber jüngeren mit vergleichbarer Situation, was<br />
Konsum und Lebensführung angeht, weisen ältere SubstitutionspatientInnen<br />
denn auch häufi ger einen schlechteren Allgemeinzustand<br />
auf. 15 Auch bei den Todesursachen unterscheiden<br />
sich ältere erheblich von jüngeren PatientInnen, wie eine<br />
englische Studie zeigt. 16 So hingen die Todesursachen bei in<br />
Behandlung stehenden unter 40-jährigen PatientInnen zu etwa<br />
50% direkt mit dem Drogenkonsum zusammen, während dies<br />
bei den über 40-jährigen nur für etwa einen Viertel galt. Auch in<br />
den nicht direkt drogenassoziierten Todesursachen fanden sich<br />
deutliche Unterschiede. Während bei jüngeren PatientInnen Erkrankungen<br />
der Leber und vorsätzliche Selbstschädigung häufi g<br />
auftraten, waren bei den älteren neben Lebererkrankungen der<br />
Reihe nach vor allem Tumore, Erkrankungen der Lunge sowie<br />
Virushepatitis von Bedeutung.<br />
Die Begleiterkrankungen älterer substituierter PatientInnen<br />
erhöhen nicht nur die Anforderungen an die behandelnden<br />
ÄrztInnen und Institutionen, sondern erfordern meist eine multi-<br />
und interdisziplinäre Zusammenarbeit in einem gut funktionierenden<br />
Versorgungsnetzwerk. Neben den gegenüber der<br />
Allgemeinbevölkerung markant höheren Durchseuchungsraten<br />
mit Infektionskrankheiten wie HCV, HBV und HIV fi nden sich<br />
unter älteren SubstitutionspatientInnen auch gehäuft andere<br />
somatische Leiden, die eine langfristige und regelmässige<br />
medizinische Behandlung erfordern. In einer Studie von Rosen<br />
et al. 17 wurde bei mehr als der Hälfte der über 50-jährigen PatientInnen<br />
eine Arthritis diagnostiziert; bei 45% eine Hypertonie,<br />
bei je über 20% eine chronische Lungenkrankheit, ein Magengeschwür<br />
bzw. ein spastisches Kolon (Reizdarm). Je ein Zehntel<br />
der PatientInnen litt zudem an Herzproblemen, Leberzirrhose<br />
oder Diabetes mellitus. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung<br />
scheinen bei substituierten PatientInnen bestimmte chronische<br />
Leiden häufi g früher aufzutreten. Hierzu zählen u. a. Bluthochdruck,<br />
Gelenkprobleme (Arthrose, Arthritis), Diabetes mellitus,<br />
Osteoporose sowie Leber- und Niereninsuffi zienz. Trotz des klaren<br />
Bedarfs an kontinuierlicher medizinischer Behandlung hat<br />
laut einer US-amerikanischen Studie aber nur ein Bruchteil der<br />
SubstitutionspatientInnen regelmässigen Kontakt zu einem<br />
somatischen Arzt. 18 Für die Schweiz liegen zu dieser Thematik<br />
noch keine verlässlichen Zahlen vor. Bei anhaltendem Substanzkonsum<br />
ist zudem von einer erheblichen Zunahme des im Alter<br />
allgemein erhöhten Sturzrisikos mit der Gefahr von Frakturen<br />
auszugehen. 19 Laut einer grossen dänischen Fall-Kontroll-<br />
Studie scheint dieses Risiko bei einer Medikation mit Morphin<br />
und Methadon vergrössert zu sein, während sich unter den mit<br />
Buprenorphin Behandelten keine Risikoerhöhung fand. 20 Allerdings<br />
beschränkte sich diese bevölkerungsbasierte Studie nicht<br />
auf opioidabhängige PatientInnen. Besonders problematisch<br />
sind in diesem Zusammenhang Befunde einer verminderten<br />
Knochendichte und eines erhöhten Osteoporoserisikos in substituierten<br />
Populationen. 21 Dabei scheint die Knochendichte bei<br />
opiatabhängigen PatientInnen mit fortschreitendem Alter im<br />
Vergleich zur Allgemeinbevölkerung übermässig stark abzunehmen.<br />
22<br />
Psychiatrische Komorbidität<br />
Chronische psychische Störungen, an denen opiatabhängige<br />
Menschen überdurchschnittlich häufi g leiden, 23 klingen nicht<br />
einfach ab, sondern bestehen auch in höherem Lebensalter<br />
fort. 24 Neben Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen<br />
und affektiven Erkrankungen wie Depressionen sind<br />
hier vor allem Persönlichkeitsstörungen und andauernde Persönlichkeitsänderungen,<br />
z. B. nach psychischer Erkrankung zu<br />
nennen, die das Beziehungsverhalten auch im Alter prägen<br />
und zu sozialen Problemen nicht nur im Allgemeinen, sondern<br />
auch in der psychotherapeutischen Beziehung beitragen können.<br />
25 Natürlich treten psychiatrische Störungen wie affektive<br />
Erkrankungen im Alter auch erstmalig auf, in Zusammenhang<br />
mit zunehmenden körperlichen Beschwerden und Verlust der<br />
allgemeinen Leistungsfähigkeit sowie sozialer Ausgrenzung<br />
und Vereinsamung. Eine psychiatrisch-psychotherapeutische<br />
Spezialisierung der behandelnden ÄrztInnen wäre hier sicherlich<br />
wünschenswert, um eine adäquate Behandlung dieser Störungen<br />
zu gewährleisten, insbesondere auch im Hinblick auf die<br />
Erkennung suizidaler Gedanken und Verhaltensweisen. 26<br />
Eine Besonderheit stellt der Alterungsprozess von Patient-<br />
Innen in heroingestützter Behandlung dar. So können der im<br />
Alter zunehmend heiklere Venenstatus aber auch Tremor oder<br />
Sehprobleme die intravenöse Applikation verunmöglichen.<br />
Hier stellt sich die Frage nach der Umstellung auf eine andere<br />
Darreichungsform und/oder auf ein anderes Substitut. Da misslungene<br />
Therapieversuche mit einem peroralen Substitut ein<br />
Kriterium für die Aufnahme von opiatabhängigen Menschen<br />
in die heroingestützte Behandlung darstellen, sollte man jede<br />
Umstellung behutsam angehen, um Rückfälle in den illegalen<br />
Drogenkonsum zu vermeiden.<br />
100%<br />
bis 25 26 bis 30 31 bis 35 36 bis 40 41 bis 45 46 bis 50 über 50<br />
80%<br />
60%<br />
40%<br />
20%<br />
0%<br />
1994<br />
1995<br />
1996<br />
1998<br />
1999<br />
2000<br />
2001<br />
2002<br />
2003<br />
2004<br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
2008<br />
2009<br />
2010<br />
2011<br />
Abb. 2: Alter der Neueintritte<br />
heroingestützte Behandlung,<br />
Schweiz. 5<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 31
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Bern 2010<br />
40 jährig und älter<br />
Männer: 1044 (56.2% aller Männer)<br />
Frauen: 351 (47.2% aller Frauen)<br />
Abb. 3: Methadonbehandlungen<br />
nach Alter und Geschlecht,<br />
N=2602, Kt. BE, 2010. 9<br />
bis 19 jährig<br />
20-24 jährig<br />
25-29 jährig<br />
30-34 jährig<br />
35-39 jährig<br />
40 jährig und älter<br />
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60%<br />
Pharmakologische Aspekte<br />
Die im Alter gehäuft auftretenden Beschwerden und Erkrankungen<br />
bedingen bei älteren SubstitutionspatientInnen<br />
oft eine vielfältige und komplizierte Medikation. Diese ist in<br />
Bezug auf Interaktionen bei medikamentösen Kombinationsbehandlungen,<br />
die auch das Substitut betreffen, zunehmend<br />
schwieriger zu überblicken. Hier empfi ehlt sich die Zuhilfenahme<br />
einer webbasierten Interaktionssoftware (www.mediq.<br />
ch oder www.epocrates.com). 27 Mögliche Wechselwirkungen<br />
wie auch etwaige altersbedingte Veränderungen der Verstoffwechselung<br />
von Medikamenten müssen bei der Substitutionsbehandlung<br />
in jedem Fall berücksichtigt werden. Veränderte<br />
pharmakologische Bedingungen wie verminderte renale und<br />
hepatische Elimination (verminderter First-Pass-Effekt) 28 und<br />
das durch den niedrigeren Wassergehalt des Körpers im Vergleich<br />
zu Jüngeren reduzierte Verteilungsvolumen führen bei<br />
älteren PatientInnen zu einer stärkeren und längeren Wirkung<br />
von einer Reihe von psychoaktiven Medikamenten (u. a. auch<br />
von Methadon), aber auch von Alkohol und wahrscheinlich auch<br />
von anderen psychotropen Substanzen wie Nikotin. Obwohl Methadon<br />
vor allem über die Cytochrom-P450-Enzyme der Leber<br />
metabolisiert wird, kann bei einer schweren Leberzirrhose auch<br />
eine Dosiserhöhung notwendig werden, da die Speicherung und<br />
Freisetzung aus der Leber vermindert sind. 29 Bei Opioiden, die<br />
wie Morphin vor allem renal ausgeschieden werden, kann auch<br />
das reduzierte Gesamtvolumen des gefi lterten Primärharns pro<br />
Zeiteinheit (glomeruläre Filtrationsrate) zu einer Wirkungsverstärkung<br />
führen. 30 Dosissteigerungen des Substituts sollten bei<br />
älteren PatientInnen in aller Regel langsamer und vorsichtiger<br />
erfolgen (start low, go slow). Letztendlich muss aufgrund der<br />
zum Teil widersprüchlichen Befunde gelten, dass die Dosis des<br />
Substituts individuell und behutsam gefunden werden muss,<br />
zumal viele ältere PatientInnen höhere Substitutionsdosen zu<br />
bevorzugen scheinen. 31<br />
Bei manchen PatientInnen kann der Umstand, dass sie neben<br />
dem Substitut noch weitere Medikamente einnehmen müssen,<br />
Kanton Bern, Nationale Methadonstatistik, 40 jährig und älter<br />
Jahr Männer in % Frauen in % Total in %<br />
2007 846 45.0 282 28.2 1128 43.1<br />
2008 950 49.1 325 43.2 1275 47.5<br />
2009 977 50.8 335 45.6 1312 49.4<br />
2010 1044 56.2 351 47.2 1395 53.6<br />
Abb. 4: MethadonbezügerInnen, 40 jährig und älter, im Jahresvergleich<br />
2007-2010, Kt. BE. 10<br />
zu Problemen in der korrekten Handhabung der Medikation<br />
führen. Generell sind einmal tägliche Gaben von Präparaten<br />
anzustreben, die die PatientInnen so wenig wie möglich in ihrer<br />
neurokognitiven Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Gemeinsam<br />
mit ihnen müssen Vor- und Nachteile der Reduktion oder<br />
des Absetzens von kognitiv beeinträchtigenden Medikamenten<br />
erwogen werden. Dies gilt auch für die in der Praxis verbreitete<br />
Substitution einer begleitenden Benzodiazepinabhängigkeit. 32<br />
Die langjährige Einnahme dieser Präparate kann gerade im Alter<br />
neurokognitive Einbussen verursachen und die Sturzneigung<br />
erhöhen. 33 Diese Einschränkungen sind jedoch bei Abstinenz<br />
von Benzodiazepinen zumindest teilweise reversibel. 34 Allerdings<br />
sind die Auswirkungen von anhaltendem Drogenkonsum<br />
auf das alternde Gehirn noch unzureichend untersucht. Es gibt<br />
aber Hinweise darauf, dass neurotoxische Effekte, bspw. durch<br />
Kokain oder Amphetamine, im Alter stärker ausgeprägt sind. 35<br />
Neurokognitive Defizite<br />
Obgleich die Gruppenmittelwerte in den meisten Studien nicht<br />
im defi zitären Bereich liegen, zeigen viele opiatabhängige PatientInnen<br />
bereits frühzeitig neurokognitive Einbussen. Zu den neurokognitiven<br />
Auffälligkeiten, die bei ihnen gehäuft festzustellen<br />
sind, gehören u. a. Einschränkungen der Aufmerksamkeit, der<br />
Merkfähigkeit, Psychomotorik und der exekutiven Funktionen,<br />
die für die Verhaltenssteuerung zuständig sind. 36 Chronische<br />
Infektionskrankheiten wie HIV oder Hepatitis C können sich<br />
negativ auf die Gehirnfunktionen auswirken. 37 Der oftmals langjährige<br />
Konsum von Substanzen wie Alkohol, Benzodiazepinen<br />
oder Kokain trägt ebenfalls zu diesen Beeinträchtigungen bei. 38<br />
Neurokognitive Einbussen können erhebliche Auswirkungen auf<br />
die Behandlungsplanung und -führung haben. So mindern defi -<br />
zitäre Aufmerksamkeits- und Gedächtnisfunktionen bspw. auch<br />
die Erfolgsaussichten von nicht-pharmakologischen Therapien<br />
mit psychoedukativen und kognitiven Schwerpunkten. Nicht<br />
selten steht eine geringe Compliance in Zusammenhang mit<br />
neurokognitiven Funktionsstörungen, was die Behandlung von<br />
opiatabhängigen Menschen erschwert. 39 Auf der Beziehungsebene<br />
können unerkannte neurokognitive Störungen zudem<br />
zu erheblichen Schwierigkeiten und schlimmstenfalls zu Therapieausschlüssen<br />
oder -abbrüchen führen. Bei bestehenden<br />
neurokognitiven Defi ziten stellt sich auch die Frage nach der<br />
Zuverlässigkeit der Medikamenteneinnahme. Eine Abgabe im<br />
Wochendosierer (bei der die Medikamente für die Einnahme<br />
nach Tageszeiten und Wochentagen vorbereitet werden) oder<br />
der tägliche Bezug der Medikation können in solchen Fällen<br />
hilfreich sein. Letzteres bedeutet für viele langjährig stabile<br />
PatientInnen jedoch einen Eingriff in ihre autonome Lebensfüh-<br />
32 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong>
ung und sollte deshalb im Vorfeld mit ihnen eingehend erörtert<br />
werden.<br />
Aufgrund vorbestehender neurokognitiver Defi zite kann die<br />
Identifi kation einer dementiellen Erkrankung erschwert sein.<br />
Allerdings sollte bei neurokognitiver Verschlechterung immer<br />
an eine solche Erkrankung gedacht werden, um eine frühzeitige<br />
Behandlung einleiten zu können. Bislang ist jedoch noch unklar,<br />
welche neuropsychologischen Tests zur Diagnostik bei opiatabhängigen<br />
PatientInnen am besten geeignet sind. 40<br />
Hilfsbedürftigkeit versus Autonomieansprüche<br />
Ein allgemeines Problem in der adäquaten Versorgung älterer<br />
substituierter PatientInnen besteht in der zunehmenden Hilfebedürftigkeit,<br />
die den Autonomieansprüchen der Betroffenen<br />
meist entgegengesetzt ist. Wie in der Allgemeinbevölkerung ist<br />
der Konfl ikt zwischen dem Bedürfnis nach Eigenständigkeit und<br />
steigender Hilfsbedürftigkeit bei SubstitutionspatientInnen<br />
mit zunehmendem Alter regelmässig zu beobachten. Der Konfl<br />
ikt manifestiert sich oft verschärft, z. B. aufgrund des dünnen<br />
sozialen Netzes, und meist auch deutlich früher. Auf der einen<br />
Seite steht der Wunsch, die eigene Autonomie, ohnehin eingeschränkt<br />
durch die teilweise rigiden Regeln der Substitutionsbehandlung,<br />
zu bewahren. Dies kann sich bspw. im Festhalten<br />
an der eigenen Wohnung, an grosszügigen Bezugszeiträumen<br />
oder eigener Finanzverwaltung äussern. Darüber hinaus berichten<br />
viele PatientInnen von negativen Erfahrungen mit dem<br />
Helfersystem, so dass grosse Angst davor besteht, auf andere<br />
Menschen angewiesen zu sein. Die hohe Belastung dieser Population<br />
mit traumatischen Kindheitserfahrungen und Inkonsistenzerleben<br />
im Rahmen der Herkunftsfamilie spielen hierbei<br />
wahrscheinlich auch eine wichtige Rolle. 41 Auf der anderen<br />
Seite stehen zunehmende körperliche und psychisch-kognitive<br />
Veränderungen, die eine Anpassung der Behandlung oder der<br />
gesamten Lebenssituation erfordern. Unter Umständen ist ein<br />
Übertritt in intensiver betreute Wohnformen nicht vermeidbar.<br />
Bei kognitiven Einschränkungen, aber auch bei Verwahrlosung,<br />
drängen sich allenfalls auch Massnahmen des Erwachsenenschutzes<br />
auf, wie z. B. die Errichtung einer Beistandschaft nach<br />
Art. 390 ZGB oder eine fürsorgerische Unterbringung nach Art.<br />
426 ZGB. Das neue Erwachsenenschutzgesetz ist per 01.01.<strong>2013</strong><br />
in Kraft getreten; 42 welche und ob es Auswirkungen auf die Betreuung<br />
von älteren substituierten Personen hat, muss sich erst<br />
noch zeigen.<br />
Altersgerechte Wohnformen<br />
Adäquate Wohnformen für ältere suchtmittelabhängige Personen<br />
sind von zunehmender Bedeutung. 43 Eine zentrale Debatte<br />
kann unter «Integration versus Separation» zusammengefasst<br />
werden: Sollen Suchtmittelabhängige in bestehende<br />
Strukturen (Alters-/Pfl egeheime) integriert oder sollen spezifi<br />
sche Institutionen für diese Personen geschaffen werden? In<br />
der Schweiz sind beide Lösungsansätze zu beobachten. 44 Um<br />
der bestehenden Stigmatisierung sowie einer Ghettoisierung<br />
von suchtmittelabhängigen Personen entgegenzuwirken, ist es<br />
wünschenswert, wenn sich Alters-/Pfl egeheime für diese Klientel<br />
öffnen. Damit eine Integration gelingt, sind verschiedene<br />
Aspekte zu berücksichtigen. Die Erarbeitung und Verankerung<br />
eines Konzepts für die Pfl ege und Betreuung dieser Personen<br />
lohnt sich. Hierzu gehören Schulungen für das Personal zu Themen<br />
wie «Grenzen setzen» oder «eine akzeptierende Grundhaltung<br />
gegenüber Suchtmittelabhängigen einnehmen». Zu<br />
beachten sind zudem die spezifi schen Bedürfnisse von älteren<br />
Personen mit einer Opioidabhängigkeit, wie z. B. die Möglichkeit,<br />
rauchen oder Cannabis konsumieren zu können, Beikonsum<br />
von weiteren illegalen Substanzen, der oftmals veränderte<br />
Tagesrhythmus sowie Respekt und Akzeptanz. 45 Verschiedene<br />
stationäre Einrichtungen schliessen mit den BewohnerInnen<br />
Verträge ab, welche die gegenseitigen Rechte und Pfl ichten –<br />
inkl. Umgang mit Konsum – festlegen. Zu berücksichtigen ist<br />
ebenfalls, dass die übrigen – nicht suchtmittelabhängigen – BewohnerInnen<br />
sowie deren Angehörige entsprechend vorbereitet<br />
und informiert werden. 46 Eng verknüpft mit der Frage nach<br />
altersgerechten Wohnformen ist die Frage der Finanzierung,<br />
die nicht immer geklärt und je nach Kanton unterschiedlich<br />
geregelt ist. 47 Bei Personen in substitutionsgestützter Behandlung,<br />
die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, braucht es verschiedene<br />
Möglichkeiten von Wohnformen. Diese reichen von<br />
selbständigem Wohnen, z. B. unterstützt durch die Spitex, über<br />
betreute Wohnformen bis hin zu den Bedürfnissen dieser Gruppe<br />
angepassten Plätzen in Alters- und Pfl egeheimen..<br />
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Endnoten<br />
1 www.bag.admin.ch/themen/drogen/00042/00629, Zugriff 23.11.2012.<br />
Weitere rund 1‘100 Personen befi nden sich in stationären Therapien.<br />
2 Vgl. SSAM 2012. Siehe dort betreffend Verwendung weiterer<br />
Medikamente für die Substitutionsbehandlung.<br />
3 Vgl. BAG 2012. Die Heroingestützte Behandlung / Behandlung mit<br />
Diacetylmorphin (HeGeBe) im Jahr 2011, Juni 2012.<br />
4 Die nötigen Angaben und die Tabellen wurden durch das Schweizer<br />
Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung ISGF zur Verfügung<br />
gestellt, 2012. Die Zahl der HeGeBe-Fälle liegt seit 2002 stabil bei<br />
etwa 1500.<br />
5 Ebd.<br />
6 Ebd.<br />
7 Die defi nitiven Zahlen per 2011 liegen noch nicht vor, Ende 2010<br />
befanden sich gemäss der Nationalen Methadonstatistik 18‘101<br />
Personen in Behandlung. Rund 90% der PatientInnen werden mit<br />
Methadon substituiert, die restlichen Behandlungen werden mit<br />
Buprenorphin, Morphin oder Codein durchgeführt. Die HeGeBe<br />
machen 8% sämtlicher Substitutionsbehandlungen in der Schweiz<br />
aus. Derzeit erlaubt die nationale Methadonstatistik keine genauen<br />
Angaben darüber, wie häufi g Methadon, Buprenorphin oder weitere<br />
Substitutionsmedikamente verschrieben werden.<br />
8 Die Einführung einer neuen Software zur Erhebung von Daten für<br />
die Methadonstatistik ist geplant; damit soll auch eine bessere<br />
Differenzierung nach Alter erfolgen (persönliche Kommunikation<br />
von Urs Künzi, im Auftrag des BAG zuständig für die nationale<br />
Methadonstatistik, Dezember 2012).<br />
9 Vgl. BAG Die nationale Methadonstatistik (N=2602),<br />
http://tinyurl.com/dyzkrjy<br />
10 Ebd.<br />
11 Vgl. Lofwall et al. 2005; Rajaratnam et al. 2009; Rosen et al. 2008.<br />
12 Vgl. Beynon et al. 2009; Fareed et al 2009; Hser et al 2004.<br />
13 Vgl. Reece 2010.<br />
14 Vg. Ebd.<br />
15 Vgl. Lofwall et al. 2005; Firoz/Carlson 2004.<br />
16 Vgl. Beynon et al. 2010.<br />
17 Vgl. Rosen et al. 2008.<br />
18 Vgl. Rajaratnam et al. 2009.<br />
19 Vgl. Kim et al. 2006; Weiner et al. 1998.<br />
20 Vgl. Vestergaard et al. 2006.<br />
21 Vgl. Dürsteler-MacFarland et al. 2011; Kim et al. 2006.<br />
22 Vgl. Dürsteler-MacFarland et al. 2011.<br />
23 Vgl. Brooner et al. 1997; Callaly et al. 2001.<br />
24 Vgl. Morse/Lynch 2000; Rosen et al. 2008.<br />
25 Vgl. Abrams/Horowitz 1999; Morse/Lynch 2000.<br />
26 Vgl. Soyka et al. 2006.<br />
27 Die Nutzung von webbasierten Interaktionsprogrammen ermöglicht<br />
ÄrztInnen, das Interaktionspotential von medikamentösen<br />
Kombinationsbehandlungen einzuschätzen.<br />
28 Vgl. Tegeder et al. 1999.<br />
29 Vgl. Smith/Passik 2008.<br />
30 Vgl. Davies et al. 1996.<br />
31 Vgl. Goldberg/Grabowski 2003.<br />
32 Vgl. Liebrenz et al. 2010.<br />
33 Vgl. Paterniti et al. 2002; Woolcott et al. 2009.<br />
34 Vgl. Stewart 2005.<br />
35 Vgl. Dowling et al. 2008; Ersche et al. <strong>2013</strong>.<br />
36 Vgl. Dürsteler-MacFarland et al. 2005; Yucel et al. 2007.<br />
37 Vgl. Gonzalez/Cherner 2008; Woods et al. 2009.<br />
38 Vgl. Bates/Convit 1999; Ersche et al. 2012.<br />
39 Vgl. Dürsteler-MacFarland et al. 2005; Teichner et al. 2002.<br />
40 Vgl. Copersino et al. 2009.<br />
41 Vgl. Dube et al. 2003.<br />
42 Vgl. hierzu die Ausführungen des Bundesamtes für Justiz zur<br />
Revision des Vormundschaftsrechts www.tinyurl.com/coa6tc6,<br />
sowie die neuen Bestimmungen<br />
www.admin.ch/ch/d/as/2011/725.pdf, Zugriff 06.12.2012.<br />
43 Mehrere Arbeiten haben sich mit der Frage nach adäquaten<br />
Wohnformen für ältere Personen in substitutionsgestützter<br />
Behandlung befasst: Vgl. Vogt 2011; Chalupny 2010. Auch die<br />
«Wohnkonferenz Region Bern» hat anlässlich einer Veranstaltung<br />
ein Papier «WOK-Forum vom 21.03.2012 zum Thema ‹Altern von<br />
Suchtmittelabhängigen›, Pfl egebedürftigkeit, intensive Begleitung,<br />
Platzierungsschwierigkeiten?» erarbeitet.<br />
Vgl. www.tinyurl.com/cpubadu, sowie www.wohnkonferenz.ch,<br />
Zugriff, 06.12.2012.<br />
44 Der Kanton Bern befürwortet bspw. die Integration in bestehende<br />
Strukturen und unterstützt die hierzu notwendigen Anpassungen.<br />
Es gibt jedoch auch einige spezifi sche für diese Klientel<br />
ausgerichtete Strukturen (z. B. Sune-Egge in Zürich). In Deutschland<br />
scheint eher eine Tendenz zur Schaffung von separaten Strukturen<br />
zu bestehen. Vgl. Vogt 2011; Hilckmann 2011.<br />
45 Vgl. Chalupny 2010: 27f.; 31-34.<br />
46 Weitere Aspekte siehe das Papier der «Wohnkonferenz Region Bern».<br />
Vgl. Endnote 43.<br />
47 Die Finanzierung der Substitutionsbehandlung einerseits und<br />
der stationären Unterbringung sowie Pfl ege andererseits ist<br />
unterschiedlich geregelt, ein Überblick fehlt. Teilweise festgelegte<br />
Vollpauschalen für IV-Plätze sind bei PatientInnen mit vielen und/<br />
oder teuren Medikamenten (HIV/Hepatitis, Karzinome etc.) zu tief,<br />
die «Rendite» zu niedrig. Vgl. Papier der Wohnkonferenz Region<br />
Bern, Endnote 43. Auf diesen Punkt wird auch bei Chalupny 2010: 27,<br />
hingewiesen; die stationäre Platzierung von HIV-positiven Personen<br />
sei schwierig, wenn Alters-/Pfl egeheime mit den Krankenkassen<br />
über eine Vollpauschale abrechnen, da die Kosten mit der Pauschale<br />
nicht gedeckt werden können.<br />
34 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong>
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Substitutionsbehandlung<br />
im Gefängnis<br />
Für Personen in Substitutionsbehandlung stellen sich bei einem Gefängnisaufenthalt<br />
besondere Probleme in der Gewährleistung der Behandlungskette.<br />
Deshalb ist es wichtig, dass die Verhältnisse und Abläufe im Gefängnis und<br />
in den Vollzugsanstalten bekannt sind. Insbesondere die Schnittstellen beim<br />
Ein- und Austritt sowie die Betreuung von Personen ohne festen Wohnsitz in<br />
der Schweiz führen vielmals zu schwierigen Situationen.<br />
Bidisha Chatterjee<br />
Dr. med., Fachärztin für Innere Medizin FMH, Amtsärztin (Gefängnisärztin<br />
und Anstaltsärztin), Amt für Freiheitsentzug und Betreuung des Kantons Bern,<br />
Dunantstrasse 7c, CH-3400 Burgdorf. Tel. +41 (0)31 635 60 26,<br />
bidisha.chatterjee@pom.be.ch<br />
Schlagwörter:<br />
Substitution | Gefängnis | Reintegration |<br />
Äquivalenzprin zip<br />
Die Substitutionsbehandlung im Gefängnis sollte eigentlich<br />
kein eigenes Kapitel darstellen, da den GefängnisinsassInnen<br />
die gleiche medizinische Behandlung wie Personen<br />
ausserhalb der Gefängnismauern zustehen müsste. Dieses<br />
Äquivalenzprinzip wird in den Richtlinien des Europarates 1<br />
und in den Richtlinien der SAMW 2 als eine der wichtigsten<br />
Maßnahmen in der Gefängnismedizin genannt. Es gilt hier anzumerken,<br />
dass die Eingewiesenen äquivalent zur Versorgung<br />
in der entsprechenden Region behandelt werden sollten. D. h.<br />
der medizinische Standard in einem Gefängnis im Kongo entspricht<br />
nicht dem eines schweizerischen Gefängnisses.<br />
Auch in der Schweiz wird aber das Äquivalenzprinzip nicht<br />
vollumfänglich umgesetzt, vielerorts fehlen personelle Ressourcen<br />
und auch fi nanzielle Mittel. Die freie Arztwahl ist nicht<br />
umsetzbar. In vielen Institutionen der Schweiz gibt es (noch)<br />
keinen Gesundheitsdienst, das bedeutet, die medizinischen<br />
Probleme der Eingewiesenen können gar nicht erfasst werden.<br />
In vielen Institutionen ist zwar ein Gesundheitsdienst<br />
vorhanden, personell aber nicht ausreichend dotiert, so dass<br />
die Eingewiesenen zwar betreut werden können, aber eine<br />
standardisierte Eintrittsuntersuchung und die kontinuierliche<br />
Medikamentenabgabe durch Pfl egefachpersonal nicht gewährleistet<br />
sind. Die medizinisch-psychiatrische Versorgung ist von<br />
Region zu Region unterschiedlich – von einer Abdeckung über<br />
24 Stunden bis zu einer Sprechstunde einmal in der Woche gibt<br />
es alle Varianten. Häufi g fehlen auch medizinische Unterlagen,<br />
da bei Verlegungen von Personen der Gesundheitsdienst und<br />
die zuständigen Ärzte nicht immer informiert sind und so die<br />
knappen Ressourcen für die Organisation von Unterlagen verwendet<br />
werden müssen.<br />
Finanzielle Probleme stellen sich in vielen Fällen, da Eingewiesene<br />
teilweise keinen Wohnsitz in der Schweiz haben<br />
(demnach nicht unter das Krankenversicherungsgesetz fallen)<br />
oder unregelmässig Prämien einbezahlt haben und bei<br />
Eintritt ins Gefängnis keinen Versicherungsschutz aufweisen.<br />
Häufi g müssen Sozialdienste für die medizinischen Kosten<br />
aufkommen, auch hier gibt es Einschränkungen, sei es in der<br />
ausserkantonalen Behandlung oder bei planbaren (selektiven)<br />
Operationen (welche medizinisch indiziert sind, um Notfallsituationen<br />
zu vermeiden). Das sind medizinische Leistungen,<br />
die im Krankenversicherungsgesetz aufgelistet sind und ärztlich<br />
angeordnet werden und dennoch werden vielfach zusätzlich<br />
Kostengutsprachen angefordert und diese anschliessend<br />
teilweise auch abgelehnt. Für die medizinische Versorgung von<br />
Personen in Ausschaffungshaft ist grundsätzlich nur medizinische<br />
Nothilfe vorgesehen.<br />
Schwierigkeiten im Gefängnis mit<br />
Substitutionsbehandlung<br />
Die Behandlungskette<br />
Wie sich diese Einschränkungen in der Abklärung und Versorgung<br />
im Zusammenhang mit der Substitutionsbehandlung<br />
Das Gefängnis: Begriffsdefinitionen<br />
Im Zusammenhang mit Substitutionsbehandlung ist es wesentlich,<br />
den Begriff Gefängnis differenziert darzustellen.<br />
Im Zuge einer Verhaftung wird eine Person vorläufi g festgenommen<br />
und innerhalb von 24 Stunden entweder entlassen oder bei erhärtetem<br />
Verdacht auf Gefahr vom Haftrichter in Untersuchungshaft gesetzt.<br />
Diese Zeit verbringt sie in einem Untersuchungsgefängnis. Der Alltag<br />
in dieser Institution ist eintönig, 23 Stunden täglich verbringt die Person<br />
in der Zelle, mit einer Stunde Ausgang im Spazierhof. Arbeit und<br />
Besuche von Angehörigen sind selten. Die Dauer der Untersuchungshaft<br />
richtet sich nach den Ermittlungen des Staatsanwaltes, dies<br />
bedeutet auch, dass Personen zur Einvernahme, zu Gegenüberstellungen<br />
mit anderen Personen im Zusammenhang mit Kollusionsgefahr<br />
(Verdunkelungsgefahr) von einem Tag auf den anderen in ein anderes<br />
Gefängnis verlegt werden können. Die medizinische Betreuung und<br />
somit auch die Substitutionstherapie sind hier hintenan gestellt. Eine<br />
bestehende Substitutionstherapie wird nach Überprüfung der Angaben<br />
weitergeführt, aber eine neue Behandlung mit Substitutionsmedikamenten<br />
wird nicht begonnen. Entzugssymptome werden meistens mit<br />
Benzodiazepinen behandelt.<br />
Bereits verurteilte Personen können sich auch im Untersuchungsgefängnis<br />
befi nden – einerseits in Fällen, in denen noch kein geeigneter<br />
Haftplatz gefunden werden konnte oder andererseits in Fällen von<br />
sehr kurzer Haftdauer (einige Tage bis wenige Wochen). Auch hier wird<br />
die bestehende Substitutionstherapie weitergeführt, in wenigen Fällen<br />
sogar modifi ziert.<br />
Anders verhält es sich in Vollzugs- und Massnahmeanstalten. Der<br />
Alltag der eingewiesenen Personen beinhaltet eine Arbeitspfl icht.<br />
Im Vollzugsplan werden Ziele im Hinblick auf den Austritt und die<br />
damit einhergehende Reintegration in die Gesellschaft festgelegt.<br />
In Bezug auf die Substitutionstherapie bieten sich in dieser Phase<br />
mehr Möglichkeiten: die Therapie kann neu angesetzt, weitergeführt<br />
oder gezielt abgebaut werden; insgesamt kann sie mehr im Sinne der<br />
substitutionsgestützten Behandlung SGB 6 durchgeführt werden als im<br />
Untersuchungsgefängnis.<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 35
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
auswirken, soll im Folgenden dargelegt werden. Die Ausführungen<br />
beziehen sich dabei vor allem auf die Gegebenheiten<br />
im Kanton Bern.<br />
Bei der Substitution spielen fi nanzielle Bedingungen glücklicherweise<br />
eine untergeordnete Rolle. Die personellen Ressourcen<br />
haben hingegen einen Einfl uss auch auf die Substitutionsbehandlung:<br />
die Abgabe von bewilligungspfl ichtigen<br />
Medikamenten (inkl. Substitutionsmedikamente) unter Sicht;<br />
die Beaufsichtigung und Verschreibung der Medikation durch<br />
einen Arzt oder eine Ärztin bei Eintritt kann nicht überall<br />
gewährleistet werden. Häufi g muss hier das Gefängnispersonal<br />
die Rolle einer medizinischen Hilfsperson einnehmen.<br />
Fast noch schwieriger als die Regelung innerhalb einer Institution<br />
gestaltet sich die Überbrückung der Schnittstelle zwischen<br />
«draussen» und «drinnen». Die eingewiesene Person<br />
kann zwar in den meisten Fällen Auskunft geben, was sie wann<br />
und wo bezieht, aber die Überprüfung der Angaben ist nicht nur<br />
sehr aufwändig, sondern gelegentlich sogar unmöglich: Die<br />
telefonische Erreichbarkeit der Abgabestellen und Apotheken<br />
ist beschränkt, ebenso die Auskunftsstelle beim Kantonsarzt.<br />
Da die Eintritte in ein Untersuchungsgefängnis zu jeder Tageszeit<br />
erfolgen (auch in der Nacht und am Wochenende), können<br />
diese Angaben nicht immer kurzfristig überprüft werden. Die<br />
Substitutionsbehandlung muss in den ungünstigsten Fällen<br />
ein bis maximal zwei Tage unterbrochen werden.<br />
Grundsätzlich wird eine Substitutionsbehandlung auch im<br />
Gefängnis weitergeführt. Die einzige Einschränkung hierin ist<br />
die heroingestützte Behandlung, die in der Schweiz nur in zwei<br />
Institutionen für Männer (Justizvollzugsanstalt Realta, 7408<br />
Cazis, Strafanstalt Schöngrün, 4501 Solothurn) angeboten<br />
wird, für Frauen gibt es diesbezüglich keine Möglichkeit. Im<br />
Unterschied zur Substitutionsbehandlung «draussen», gibt es<br />
«drinnen» keine Möglichkeit zur Mitgabe und Selbstverwaltung.<br />
Die Medikamente werden zu festgelegten Abgabezeiten<br />
unter Sicht verabreicht. Insbesondere bei Substitutionsbehandlungen<br />
mit Benzodiazepinen führt dies manchmal zu<br />
Unmut und Diskussionen, da die Personen gewohnt sind, ihre<br />
Medikation nur teilweise unter Sicht an der Abgabestelle einzunehmen<br />
und den Rest der Tages- oder Wochendosis nach<br />
ihrem eigenen Rhythmus einzuteilen. Auf der anderen Seite<br />
werden auch Benzodiazepine abgegeben, die bisher nur illegal<br />
konsumiert wurden. Sie werden zur Vorbeugung einer Entzugssymptomatik<br />
verabreicht und bei einer Verlegung in eine<br />
Vollzugsanstalt auch für die bewilligte Substitution beim Kantonsarzt<br />
(für die Dauer des Gefängnisaufenthaltes) beantragt.<br />
Die Schnittstelle von «drinnen» nach «draussen» kann<br />
besser gepfl egt werden, weil bei Kurzstrafen im Gefängnis<br />
oder längeren Strafen in einer Vollzugsanstalt das Austrittsdatum<br />
bekannt ist und die Weiterbehandlung insbesondere<br />
am Austrittstag und auch in den folgenden Tagen durch das<br />
Gesundheitspersonal organisiert werden kann. Bei Personen<br />
in Untersuchungshaft oder bei vorläufi gen Festnahmen bleibt<br />
der Austritt häufi g unberechenbar und damit kann auch die<br />
lückenlose Weiterbehandlung nicht immer gewährleistet werden.<br />
Vollzugsauftrag: Stabilisation und<br />
Rückfallverminderung<br />
In den Vollzugsanstalten wird die Substitution weitergeführt<br />
und kann auch neu angefangen werden. Der Vollzugsauftrag<br />
beinhaltet als oberste Ziele die Rückfallminimierung und<br />
die Vorbereitung der Reintegration der eingewiesenen Person.<br />
Bei Personen mit Suchterkrankungen sind Substitutionsprogramme,<br />
die erwiesenermassen 3 die Infektionsgefahr und die<br />
Kriminalität senken, ein wichtiger Baustein im Hinblick auf die<br />
Entlassung. Den illegalen Konsum von Drogen einzudämmen<br />
ist sowohl für den Alltag in der Vollzugsanstalt wie auch für die<br />
Zeit nach der Verbüssung der Strafe unabdingbar.<br />
Nebst der Stabilisierung wird in Absprache mit der eingewiesenen<br />
Person versucht, während des Strafvollzugs die Benzodiazepindosierung<br />
zu reduzieren. Auch Themen wie Prävention<br />
und Abklärung von Infektionskrankheiten werden angegangen.<br />
Leider gibt es bisher im Kanton Bern nur in einer Anstalt<br />
eine für die Prävention von Infektionskrankheiten zuständige<br />
Fachperson. In den meisten Anstalten übernehmen MitarbeiterInnen<br />
des Gesundheitsdienstes diese Aufgabe mithilfe<br />
von Broschüren und weiteren Informationsunterlagen, die in<br />
vielen Sprachen erhältlich sind. 4<br />
Im Unterschied zu einem Substitutionsprogramm «draussen»<br />
stehen innerhalb der Mauern die Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit<br />
nicht im Vordergrund. Die Abgabe der Substitutionsmedikamente<br />
unter Sicht erfolgt gezielt und soll den<br />
ganzen Beschaffungsstress ausschalten. Die Medikamente<br />
werden gemörsert und das Methadon in Sirup aufgelöst, dies<br />
ermöglicht auch eine «blinde» Reduktion, wenn dies von der<br />
Person gewünscht ist.<br />
Im Unterschied zu Vollzugsanstalten ist die oben erwähnte<br />
Praxis im Gefängnis nur in Situationen möglich, die am ehesten<br />
den Gegebenheiten in der Vollzugsanstalt entsprechen (Gesundheitsdienst<br />
vor Ort, Austrittsdatum klar, Aufenthaltsdauer<br />
mindestens ein Monat) – meistens ist die Aufenthaltsdauer<br />
unklar, es erfolgen viele Verlegungen, so dass eine gute Betreuung<br />
und Einstellung auf eine Substitution häufi g nicht möglich<br />
ist oder erschwert wird. Auch ist die Motivation der eingewiesenen<br />
Person nicht die gleiche: bei kurzen Strafen von einigen<br />
Tagen bis ein paar Wochen ist der Wille für den Beginn eines<br />
Substitutionsprogrammes häufi g nicht vorhanden.<br />
Eingewiesene Personen mit ausgedehntem Konsum von illegalen<br />
Substanzen aber ohne Substitutionsbewilligung durch den<br />
Kantonsarzt stellen für das Personal eine grosse Herausforderung<br />
dar: illegal konsumierte Substanzen können im Gefängnis<br />
nicht abgegeben werden. Für die Bewältigung des Alltags<br />
im Gefängnis muss die Entzugssymptomatik aber behandelt<br />
werden können, d. h. es werden bestimmte Präparate für die<br />
Dauer des Entzuges ärztlich verordnet. Hierbei werden Benzodiazepine<br />
abgegeben, aber teilweise nicht die von den eingewiesenen<br />
Personen normalerweise konsumierten Präparate.<br />
Eine allfällige Entzugssymptomatik, die vorgegebenen fi xen<br />
Abgabezeiten und die psychische Stresssituation durch die<br />
Inhaftierung machen die medizinische Betreuung anspruchsvoll.<br />
Die eingewiesenen Personen sind häufi g nicht zu einer<br />
Zusammenarbeit bereit und eine gute und ausreichende Medikation<br />
ist schwierig einzustellen. Sind nur ein paar Tage Haft<br />
zu verbüssen, ist die Zeit im Gefängnis geradezu gefährlich:<br />
Viele Personen «verlieren» die Gewöhnung an ihre «Dosis».<br />
Wenn sie nach dem Austritt die gleichen Mengen wie vor dem<br />
Eintritt konsumieren, kann dies nach dem Aufenthalt in Haft in<br />
einer Überdosis und lebensbedrohlichen Situationen enden. 5<br />
Spezielle Gegebenheiten in der Ausschaffungshaft<br />
Schwierig ist die Situation auch bei Personen in Ausschaffungshaft.<br />
Die wenigsten von ihnen befi nden sich in einem<br />
Substitutionsprogramm, viele konsumieren illegal Benzodiazepine<br />
und zeigen bei Eintritt ins Gefängnis eine Entzugssymptomatik.<br />
Während dem Aufenthalt können – wie weiter oben<br />
erwähnt – der Entzug behandelt und für die Zeit der Inhaftierung<br />
Benzodiazepine verabreicht werden. Im Hinblick auf den<br />
Austritt verkomplizieren sich die Verhältnisse: häufi g bleibt<br />
unklar, ob die Person weggewiesen wird, selbst ausreisen soll<br />
oder untertauchen wird und schlussendlich in der Schweiz<br />
36 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong>
leibt, oder ob sie direkt vom Gefängnis an den Flughafen und<br />
in das Heimatland oder den Schengenraum gebracht wird. Unklar<br />
bleibt dann auch die rechtliche Situation im Ankunftsland<br />
– häufi g weiss niemand ganz genau, ob die Person in Freiheit<br />
leben oder erneut inhaftiert wird. Es ist grundsätzlich möglich<br />
für eine Person, die in ein anderes Land ausreisen muss und<br />
in einem Substitutionsprogramm ist, beim Kantonsarzt eine<br />
bestimmte Menge Methadon wie auch Benzodiazepine für die<br />
Rückreise und die Übergangszeit zu beantragen. Wenn eine<br />
Bewilligung erteilt wird, erhält die Person zusätzlich zu den<br />
Medikamenten auch eine Bestätigung für die Zollbehörden.<br />
Allerdings wird eine solche Bewilligung nur sehr selten beantragt<br />
– zu unsicher und unklar sind der Aufenthaltsstatus<br />
und die Zustände bezüglich der Substitutionsprogramme im<br />
entsprechenden Land..<br />
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www.tinyurl.com/bfz3uuz, Zugriff 19. Januar <strong>2013</strong>.<br />
SAMW - Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften<br />
(2012): Anhang zu den medizinisch-ethischen Richtlinien<br />
«Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen.»<br />
Hinweise zur praktischen Umsetzung der Richtlinien «Ausübung<br />
der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen.».<br />
www.tinyurl.com/bzku2eu, Zugriff 19. Januar <strong>2013</strong>.<br />
SSAM - Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin (2012): Medizinische<br />
Empfehlungen für substitutionsgestützte Behandlungen (SGB) bei<br />
Opioidabhängigkeit, www.tinyurl.com/az2vuh7,<br />
Zugriff 19. Januar <strong>2013</strong>.<br />
Endnoten<br />
1 Vgl. Council of Europe Committee of Ministers 1998.<br />
2 Vgl. SAMW 2002; SAMW 2012.<br />
3 Vgl. Egli et al. 2009; Masia et al. 2007.<br />
4 Im Zusammenhang mit dem Projekt BiG, Bekämpfung von<br />
Infektionskrankheiten im Gefängnis 2008-12, durchgeführt vom<br />
Bundesamt für Gesundheit und dem Bundesamt für Justiz BJ wurde<br />
eine illustrative und umfassende Broschüre erstellt. Vgl. BAG 2012.<br />
5 Auf der Seite von Praxis Suchtmedizin Schweiz fi nden<br />
HausärztInnen konkrete/praktische Informationen für<br />
PatientInnen in einer substitutionsgestützten Behandlung SGB,<br />
die ins Gefängnis müssen, www.tinyurl.com/bftjez9. Weitere<br />
Informationen für HausärztInnen fi nden sich auch in den<br />
Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin<br />
(Kapitel V10.2), Vgl. SSAM 2012.<br />
6 Siehe Empfehlungen der SSAM, Vgl. SSAM 2012.
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
Methadonabgabe<br />
in den K&A<br />
In den Kontakt- und Anlaufstellen K&A Bern und Zürich wird seit einiger Zeit<br />
Methadon abgegeben. Die anfängliche Skepsis war gross – doch die Erfahrung<br />
zeigt, dass diese Projekte durchaus Sinn machen und die Zielsetzungen in den<br />
meisten Fällen erreicht werden können. In beiden Städten wurden die Projekte<br />
als fester Bestandteil des K&A-Angebotes installiert.<br />
Regine Hoffmann<br />
Leiterin Kontakt- und Anlaufstellen Zürich,<br />
Selnaustrasse 27, CH-8001 Zürich, Tel: +41 (0)44 215 24 81,<br />
Regine.Hoffmann@Zuerich.ch, www.stadt-zuerich.ch/sd<br />
Ines Bürge<br />
Leiterin Kontakt und Anlaufstelle Contact Netz,<br />
Hodlerstrasse 22, CH-3011 Bern, Tel: +41 (0)31 310 06 52,<br />
Ines.Buerge@contactmail.ch, www.contactnetz.ch<br />
Schlagwörter:<br />
Kontakt- und Anlaufstelle | Überlebenshilfe | Substitution | Methadon |<br />
Das Angebot in Bern und Zürich<br />
In den Kontakt- und Anlaufstellen der Städte Bern und<br />
Zürich können drogenabhängige Menschen ab 18 Jahren selbst<br />
mitgebrachte Drogen unter hygienischen Bedingungen in<br />
überwachten Konsumräumen konsumieren. Die KlientInnen<br />
haben Zugang zu Überlebenshilfeleistungen (Spritzentausch,<br />
Aufenthaltsraum, günstige Verpfl egung usw.) und erhalten<br />
soziale und medizinische Beratung und Betreuung. Die Gesundheitsprävention<br />
(Hepatitis C, HIV) wird u. a. im Rahmen<br />
von Aktionswochen betrieben. Es bestehen unterschiedliche<br />
Beschäftigungsmöglichkeiten wie Kochen, Thekendienst, Umgebungspfl<br />
ege, Putzen.<br />
Die Polikliniken Crossline und Lifeline der Stadt Zürich bieten<br />
abhängigen Menschen Substitutionsbehandlungen mit<br />
spritz- oder schluckbaren Medikamenten wie Diaphin, Methadon,<br />
Subutex u. a. an. Ein interdisziplinäres Team aus ÄrztInnen,<br />
Pfl egefachpersonen und Sozialarbeitenden betreut<br />
und begleitet die PatientInnen bei der Therapie und unterstützt<br />
sie bei Problemen.<br />
Das ZAS Bern ist das Zentrum für ambulante Suchtbehandlung<br />
der Stiftung Contact Netz. Das Angebot richtet sich in<br />
erster Linie an opioidabhängige Menschen. Für die Behandlung<br />
werden vorwiegend die Medikamente Methadon und Buprenorphin<br />
eingesetzt. Das Behandlungsteam ist interdisziplinär<br />
zusammengesetzt (ÄrztInnen, SozialarbeiterInnen und<br />
Pfl egefachpersonen).<br />
Ausgangslage<br />
Warum Methadon in der K&A?<br />
Im Rahmen der Überlebenshilfe ist der Umgang mit dem<br />
Drogenkonsum und den entsprechenden Begleiterscheinungen<br />
in allen Kontakt- und Anlaufstellen Alltagsthema. Die<br />
Mitarbeitenden sprechen die KlientInnen regelmässig auf die<br />
Inanspruchnahme einer Substitutionsbehandlung an. Sowohl<br />
in Bern wie in Zürich besteht eine enge Zusammenarbeit mit<br />
entsprechenden Institutionen. In den K&A sind zu bestimmten<br />
Zeiten und in regelmässigen Intervallen Fachleute der<br />
Substitutionsbehandlungen vor Ort. Sie suchen das Gespräch<br />
mit den KlientInnen, erläutern das Behandlungsangebot und<br />
verteilen Informationsmaterial. Trotz der gut ausgebauten<br />
Substitutionseinrichtungen und den erwähnten Massnahmen<br />
nehmen rund 30% der K&A-BenutzerInnen keine Substitutionsbehandlung<br />
in Anspruch. Handelt es sich um individuelle<br />
oder strukturelle Gründe? Geht es um einen bewussten und<br />
eigenverantwortlichen Entscheid? Oder ist der Eintritt in ein<br />
Programm für ein gewisses KlientInnensegment zu hochschwellig?<br />
Besteht eine Informationslücke über die Behandlungsangebote?<br />
Muss die Zusammenarbeit zwischen Substitutionsinstitutionen<br />
und den K&A optimiert werden?<br />
Um Antworten auf diese Fragen zu fi nden, resp. eine allfällige<br />
Versorgungslücke zu schliessen, haben die K&A Bern<br />
und Zürich die Methadonabgabe in Form eines Pilotprojektes<br />
eingeführt. 1 In Zürich wurde die Methadonabgabe nach der<br />
Pilotphase gestoppt und ist im Januar <strong>2013</strong> wieder angelaufen.<br />
Vorgängig wurden Bedarfsabklärungen durchgeführt. Diese<br />
zeigten, dass die Nachfrage bei nicht substituierten Personen<br />
nach einem entsprechenden Angebot durchaus vorhanden<br />
war. So gaben im Jahr 2007 in Zürich 45% der Befragten ohne<br />
Substitution an, sie würden an einem Methadonprogramm<br />
in der K+A teilnehmen. In Bern meldeten im Jahr 2010 31% der<br />
Befragten ohne Substitution Interesse an. Laut Schätzungen<br />
und punktuellen Erhebungen befi nden sich 55-70% der K&A-<br />
KlientInnen 2 in einer substitutionsgestützten Behandlung. Es<br />
ist eine Tatsache, dass auch substituierte Menschen das Angebot<br />
der Kontakt- und Anlaufstellen in Anspruch nehmen. Beikonsum<br />
ist eine Realität, die akzeptiert werden muss. Zudem<br />
bieten die K&A vielen KlientInnen ein Stück Heimat, wo sie<br />
den Tag verbringen, sich beschäftigen und günstig verpfl egen<br />
können. Auch soziale Kontakte können gepfl egt und Beratung<br />
in Anspruch genommen werden.<br />
Völlig übertrieben? – Die Skepsis im Vorfeld<br />
Das Projekt «Methadonabgabe in der K&A» löste zu Beginn<br />
sowohl bei KlientInnen wie Mitarbeitenden kritische Fragen<br />
aus.<br />
– «Jetzt übertreibt ihr’s aber, ihr müsst uns doch das<br />
Methi nicht noch nachtragen... ist doch nicht zuviel<br />
verlangt, in die Abgabestelle zu laufen.»<br />
– «Gehört es tatsächlich zum Auftrag einer Kontakt- und<br />
38 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong>
Anlaufstelle, den KlientInnen auch noch Methadon auf<br />
dem Silbertablett zu servieren?»<br />
– «Wieso müssen wir K&A-MitarbeiterInnen<br />
Dienstleistungen anbieten, die in spezifi schen<br />
Substitutionseinrichtungen mit entsprechendem<br />
Fachpersonal Bestandteil des Angebotes sind?»<br />
Die kritischen Infragestellungen hatten durchaus ihre Berechtigung<br />
und wurden in der Projektphase miteinbezogen.<br />
Ziele<br />
Zwei der wichtigsten Ziele der K&A sind die Erreichbarkeit<br />
der Drogenabhängigen und die Entlastung des öffentlichen<br />
Raums. Der primäre Arbeitsauftrag besteht darin, die Überlebenschancen<br />
der Zielgruppe zu verbessern, ihre physische<br />
und psychische Gesundheit zu stabilisieren und eine soziale<br />
Integration in die Gesellschaft zu fördern. Das Angebot der<br />
Kontakt- und Anlaufstellen ist niederschwellig. Die Niederschwelligkeit<br />
defi niert sich dahingehend, dass die Angebote<br />
der Überlebenshilfe (Konsumräume, Spritzentausch, Waschmöglichkeiten,<br />
Duschen, Aufenthalt) unbürokratisch und ohne<br />
Aufl agen in Anspruch genommen werden können. Die KlientInnen<br />
werden nicht zur Abstinenz verpfl ichtet, sondern erhalten<br />
in jedem Zustand Unterstützung. Zwecks Stabilisation<br />
des physischen und psychischen Gesundheitszustandes ist<br />
die Substitutionsbehandlung ein probates Mittel. Aus diesem<br />
Grund wurde im Sinne eines niederschwelligen Intakes resp.<br />
einer späteren Triagierung in Substitutionseinrichtungen die<br />
Methadonabgabe in den K&A initiiert. Drogen konsumierende<br />
KlientInnen, die sich nicht in einer Substitutionsbehandlung<br />
befi nden, sollen das Methadon in diesem neuen Setting für<br />
eine befristete Zeit in den K&A beziehen können.<br />
Die konkreten und differenzierten Zielsetzungen der<br />
niederschwelligen Methadonabgabe defi nieren sich wie folgt:<br />
– Kurzfristig kann der Konsum von Strassenheroin und<br />
die Gefahr von Opiatüberdosierungen reduziert werden.<br />
Die Risiken und Schäden bei illegalem Drogenkonsum<br />
können somit gesenkt und der gesundheitliche Zustand<br />
verbessert werden.<br />
– Mittelfristig können im Rahmen des<br />
Methadonprogramms physische und psychische<br />
Krankheitsbilder thematisiert und betroffene<br />
KlientInnen an entsprechende Fachstellen triagiert<br />
werden.<br />
– Längerfristig sollen die KlientInnen in eine verbindliche<br />
und etablierte Substitutionsbehandlung eingebunden<br />
werden. Mit der Einbindung in die externen<br />
Behandlungen wird eine der Grundlagen geschaffen,<br />
um die Integrationschancen zu erhöhen. Durch das<br />
entsprechende medizinische Fachwissen im Rahmen<br />
einer substitutionsgestützten Behandlung erhöht<br />
sich die Chance für die Behandlung infektiologischer<br />
(Hepatitis C- und HIV-Infektionen) und physischer/<br />
psychischer Erkrankungen. Dadurch können allenfalls<br />
drogenbedingte und andere Gesundheitskosten gesenkt<br />
werden.<br />
– Grundsätzlich erhöht sich durch Einbindung der<br />
KlientInnen in eine Substitutionsbehandlung<br />
die Chance, dass die KlientInnen sich auch in<br />
Tagesstrukturen integrieren und dadurch der öffentliche<br />
Raum entlastet wird.<br />
Eintrittsphase<br />
Potentielle KandidatInnen für die Methadonabgabe in den<br />
K&A sind in der Regel langjährig bekannte KlientInnen, mit<br />
denen eine Vertrauensbasis erarbeitet worden ist und deren<br />
soziale Integration im Rahmen der Bezugspersonenarbeit gefördert<br />
wird. Die Aufnahmekriterien entsprechen den Zutrittskriterien<br />
der jeweiligen K&A (Mindestalter, Einzugsgebiete).<br />
Die Opiatabhängigkeit muss mittels Urintest bewiesen sein.<br />
Der Versicherungsschutz ist über eine gültige Krankenkassenpolice<br />
gewährleistet. Das Aufnahmeverfahren beinhaltet die<br />
Überprüfung der Personalien sowie ein Indikationsgespräch. 3<br />
Sofern nicht bereits Bezugspersonen der K&A und der kooperierenden<br />
Substitutionseinrichtung festgelegt sind, werden<br />
diese bei Eintritt bestimmt.<br />
Behandlungsphase<br />
Die Abgabe fi ndet in bestimmten Zeitfenstern während der<br />
Öffnungszeiten der K&A statt. Das Methadon wird in Bern in<br />
Flüssigform verabreicht, in Zürich ab Januar <strong>2013</strong> in gemörserter<br />
Tablettenform. An einem Wochentag wird das Methadon<br />
im Crossline resp. ZAS abgegeben, um den Kontakt zur Substitutionseinrichtung<br />
und dem zuständigen Personal zu fördern.<br />
Bei Beginn der Behandlung gilt folgendes Aufdosierungsschema:<br />
Erster Tag = 30 mg, zweiter Tag = 40 mg, dritter Tag = 50<br />
mg. Die MethadonbezügerInnen können ihre Methadondosis<br />
täglich um 10 mg steigern, bis sie die vom Arzt verordnete Maximaldosis<br />
(100 mg) erreicht haben. Zwischen der Abgabe von<br />
Methadon und dem Konsum der selbst mitgebrachten Drogen<br />
in der K&A gibt es keine zeitliche Sperrfrist, da hierbei keine<br />
Gefahr von Überdosierung besteht.<br />
Übertrittsphase<br />
Die Behandlungsdauer in den K&A beträgt maximal drei<br />
Monate. Innerhalb dieser Zeit muss ein Übertritt in eine Substitutionseinrichtung<br />
oder zu einem anderen Anbieter erfolgen.<br />
Ein früherer Übertritt ist jederzeit möglich. Die MethadonbezügerInnen<br />
werden rechtzeitig an den Ablauftermin der<br />
K&A-Methadonabgabe erinnert und bei der Organisation des<br />
Fortsetzungsprogrammes unterstützt. Die Sperrfrist für eine<br />
Wiederaufnahme der Methadonabgabe in den K&A beträgt<br />
drei Monate.<br />
Projekterfahrungen und Fallbeispiele<br />
Die im Pilotprojekt gesammelten Erfahrungen sind in beiden<br />
Städten als grundsätzlich positiv zu bezeichnen. Die Anzahl<br />
der teilnehmenden KlientInnen mag zwar gering erscheinen<br />
(Abb. 1), doch die Nachfrage war gegeben. Grundsätzlich<br />
wurde nicht die Quantität der Personen als Erfolgskriterium<br />
bewertet, sondern die Qualität des Angebotes im Hinblick auf<br />
die oben erwähnten Zielsetzungen.<br />
Erfolge<br />
Einer der wichtigsten Effekte ist die gute Erreichbarkeit von<br />
KlientInnen innerhalb der K&A. Die KlientInnen frequentieren<br />
die K&A oft täglich. Sie können vor Ort über die niederschwellige<br />
Methadonabgabe informiert und beraten werden. Der Bezug<br />
der Substitutionsmedikamente im vertrauten Umfeld der<br />
K&A baut Hemmschwellen ab. Es müssen weder Öffnungszeiten<br />
einer zusätzlichen Institution noch Sprechstundenund<br />
Schaltertermine der regulären Substitutionsprogramme<br />
eingehalten werden. Die Wegstrecke entfällt, was vor allem<br />
älteren KlientInnen mit eingeschränkter Mobilität entgegenkommt.<br />
Bei den Aufnahmeabklärungen werden oft zusätzliche Problemfelder<br />
manifest, die im Rahmen der Bezugspersonenarbeit<br />
oder in Zürich auch mittels Case Management bearbeitet<br />
werden können, bspw. die fällige Beschaffung von Ausweispapieren,<br />
die Klärung allfälliger Ausstände bei der Krankenkasse,<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 39
Dossier: Substitutionsgestützte Behandlung<br />
die Suche nach einem Zimmer usw. Die Ressourcenerschliessung<br />
und die Bearbeitung von mehrdimensionalen Fragestellungen<br />
ist eine häufi ge Folge des Aufnahmegespräches für das<br />
Methadonprogramm.<br />
Auch nach einem Ausland- oder Hafturlaub kann der niederschwellige<br />
Zugang zu einem Methadonprogramm im Sinne<br />
einer unbürokratischen Übergangslösung von Nutzen sein. Die<br />
KlientInnen gewinnen Zeit, um ihre Angelegenheiten zu regeln.<br />
Nebst den positiven Auswirkungen auf Ebene KlientIn haben<br />
sich auch eine Intensivierung und Verbesserung der Zusammenarbeit<br />
zwischen K&A und Substitutionseinrichtungen<br />
ergeben. Der regelmässige betriebsübergreifende Austausch<br />
im Bezugspersonensetting, insbesondere während der Übertrittsphase,<br />
wird wahrgenommen und geschätzt. Die Transparenz<br />
und das Verständnis für das jeweilige Kerngeschäft erhöhen<br />
sich. Wenn einE KlientIn in die Substitutionseinrichtung<br />
übergetreten ist, erfolgt die weitere Zusammenarbeit situativ<br />
und bedarfsorientiert. In der Regel geht es um gesundheitliche<br />
Themenbereiche (Verschlechterung physischer oder psychischer<br />
Gesundheitszustand, Schwangerschaft o. Ä.) Fachliche<br />
Inputs u. a. von ÄrztInnen der Substitutionseinrichtungen<br />
stossen auf grosses Interesse seitens der MitarbeiterInnen<br />
der K&A. Durch die Vertiefung von Fachwissen bezüglich Substitution<br />
gewinnt die Alltagsarbeit an Qualität.<br />
Einige KlientInnen der K&A Bern, welche über die Abgabe in der<br />
K&A in eine Substitutionsbehandlung ausserhalb der K&A aufgenommen<br />
wurden, konnten in bestehende Tagesstrukturen,<br />
wie Arbeitsprogramme, integriert werden. Dadurch wird auch<br />
der öffentliche Raum entlastet.<br />
Beispiel Hugo 4 : 44 Jahre alt, Sozialhilfebezüger, obdachlos,<br />
Polytoxikomane, langjähriger K&A-Benutzer in Zürich. Gemäss<br />
eigener Aussage hat er ab und zu Methadon von der Gasse konsumiert,<br />
das er oft geschenkt bekommen hat. Seine Obdachlosigkeit<br />
erschwerte ihm die Organisation einer geregelten<br />
Tagesstruktur, der Umgang mit Ämtern und Versicherungen<br />
gestaltete sich schwierig. Ob er über eine gültige Krankenkasse<br />
verfügte, wusste er nicht. Hugo äusserte im Oktober<br />
2010 Interesse am Methadonprogramm. Der medizinische<br />
Kurzstatus ergab, dass Hugo sich in einem guten Allgemeinzustand<br />
befand, ein Telefon mit der Krankenkasse bestätigte<br />
eine gültige Police und keine Ausstände. Seine zuständige Sozialarbeiterin<br />
beglich die Prämienrechnungen jeweils direkt.<br />
Bereits nach einer Woche äusserte Hugo, dass er seit der Methadoneinnahme<br />
viel weniger gestresst sei, dass er besser<br />
schlafe und sich allgemein sehr wohl fühle. Anfang November<br />
2010 wurde Hugo ermuntert, mit der Substitutionseinrichtung<br />
Crossline Kontakt aufzunehmen, um eine Aufnahme in die<br />
heroingestützte Behandlung abzuklären. Nach einigen vergeblichen<br />
Anläufen erreichte er die zuständige Mitarbeiterin und<br />
vereinbarte einen Termin für ein Aufnahmegespräch, das er<br />
tatsächlich wahrnahm. Am 01.12.2010 konnte Hugo in die heroingestützte<br />
Behandlung des Crossline übertreten.<br />
Bespiel Manfred: Manfred verdiente sich schon sehr jung<br />
seinen Lebensunterhalt mit Betteln in der Stadt Bern. Er blieb<br />
immer freundlich zu den PassantInnen, die er um Geld anfragte.<br />
Ab und zu verreiste er ins Ausland mit dem Ziel, von<br />
den Drogen loszukommen. Einige Monate später zurück in<br />
Bern dauerte es nur wenige Wochen, bis er wieder regelmässig<br />
konsumierte. In die K&A Bern kam er täglich, verbrachte<br />
jedoch nicht die ganzen 7,5 Stunden dort. Manfred gab es nie<br />
auf, immer und immer wieder zu versuchen, ein Leben ohne<br />
Drogen zu erreichen. Für Manfred war die Kombination zweier<br />
gleichzeitiger Angebote der Schlüssel zum Erfolg: Er trat ins<br />
Zaska (s. Angebotsinformation Kasten) ein und nahm gleichzeitig<br />
am KISS-Programm 5 teil, welches in der K&A für eine<br />
Gruppe angeboten wurde. Er setzte sich in dieser Zeit stark mit<br />
seiner Sucht auseinander. Noch vor Ablauf der drei Monate gelang<br />
es ihm, in eine Entzugsklinik einzutreten und sich für eine<br />
anschliessende stationäre Therapie anzumelden. Die letzte<br />
Meldung, die das K&A-Team erhielt, war sehr positiv: Manfred<br />
war erfolgreich in der Therapie, es gehe ihm gut.<br />
Stolpersteine und Grenzen<br />
Vor dem 01.01.2012 waren Ausstände bei der Krankenkasse<br />
und Leistungssperren häufi ge Stolpersteine, weil aufgrund<br />
mangelnder Kapazität des Personals und unkooperativen Verhaltens<br />
seitens der KlientInnen keine zeitnahe Lösung in Form<br />
einer Krankenkassendeckung erreicht werden konnte – ein<br />
klassisches soziales Integrationsproblem. Dass mittlerweile<br />
keine Leistungssperren mehr erhoben werden, kommt der<br />
Behandlung der Klientel zugute. Wenn zusätzlich zur Krankenkassenproblematik<br />
ungeregelte Meldeverhältnisse und<br />
unklare Zuständigkeiten betreffs wirtschaftlicher Sozialhilfe<br />
vorhanden waren, erreichte die Situation einen hohen Komplexitätsgrad.<br />
Sowohl in Zürich wie in Bern entstanden zeitliche Engpässe,<br />
wenn das Tagesteam der K&A während hektischer Phasen<br />
in der regulären Öffnungszeit Methadon abgeben musste. In<br />
beiden Städten konnte kein zusätzliches Personal für die Abgabe<br />
gestellt werden. Sowohl die Abgabe als auch der logistische<br />
und administrative Aufwand (Transport Methadon, Dokumentation<br />
usw.) mussten kostenneutral umgesetzt werden.<br />
Ebenfalls ist für einige (wenige) KlientInnen selbst nach<br />
einer dreimonatigen «Einstellungs-Zeit» die Schwelle in ein<br />
reguläres Substitutionsprogramm zu hoch. Die Bereitschaft,<br />
minimale Aufnahmeanforderungen zu erfüllen, fehlt vereinzelt.<br />
In solchen Fällen ist der eigenverantwortliche Entscheid<br />
der Klientel zu akzeptieren. Zudem wollen nicht alle Drogenabhängigen<br />
in eine Substitutionsbehandlung eintreten und sich<br />
behandeln lassen. Dies ist eine Tatsache, die es zu respektieren<br />
gilt.<br />
Dass in Zürich während der Pilotphase (Mai bis September<br />
2010) die Methadondosis auf 30 mg beschränkt war, erwies<br />
sich als grosses Hindernis. 30 mg Methadon sind für langjährig<br />
chronisch Drogen Konsumierende ein Tropfen auf den heissen<br />
Stein. Der Anreiz, mit dieser Maximaldosis in eine Substitution<br />
einzusteigen, war oft zu gering.<br />
Beispiel Martin: Martin ist 44 Jahre alt und konsumiert seit<br />
vielen Jahren Heroin und Kokain. Er verkehrt täglich in der K&A<br />
Bern und bleibt da fast die ganzen 7,5 Stunden, in denen der Betrieb<br />
geöffnet hat. Seit einem schweren traumatischen Erlebnis<br />
ist er meist ruhig und in sich gekehrt. In der K&A ist er sehr<br />
hilfsbereit – wo er Arbeit sieht, packt er mit an. Er bezieht Sozialhilfe<br />
und wohnt in einem Wohnangebot des Contact Netz. Im<br />
Dezember 2011 konnte ihn seine Bezugsperson motivieren, ins<br />
Methadonprojekt Zaska einzusteigen. Da er sowieso täglich<br />
in der K&A war, bezog er seine Dosis regelmässig. Ab und zu<br />
musste ihn das Team daran erinnern, da er nicht immer selber<br />
daran dachte. Es schien, als hätte das Methadon für ihn keinen<br />
grossen Stellenwert – er nahm es einfach. Mit dem wöchentlichen<br />
Bezug im ZAS hatte er Mühe. Er beschwerte sich nicht,<br />
dorthin gehen zu müssen. Er ging einfach nicht. Ermahnungen,<br />
Angebote für Begleitungen ins ZAS blieben mehr oder weniger<br />
erfolglos. Irgendwann waren die drei Monate um. Martin nahm<br />
es zur Kenntnis. Ins ZAS trat er nicht ein, sondern «mischelte»<br />
und organisierte sich wieder, was er brauchte, um nicht Entzugserscheinungen<br />
zu haben. Nach drei Monaten hätte er die<br />
Möglichkeit gehabt, nochmals einen Anlauf zu nehmen und<br />
via Zaska ins ZAS einzusteigen. Stattdessen versuchte er eine<br />
40 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong>
Zeitlang, die Abgabetermine im ZAS einzuhalten, was ihm aber<br />
kaum gelang.<br />
Beispiel Leo: Bei Leo, 33 Jahre, Migrationshintergrund, Polytoxikomane,<br />
IV-Bezüger, obdachlos, offenbarten sich Grenzen<br />
für eine erfolgreiche Einbettung ins Methadonprogramm in<br />
Zürich. Leo trat nach dem Indikationsgespräch und Gesundheitscheck<br />
mit dem K&A-Arzt im Juni 2010 ins Methadonprogramm<br />
der K&A ein. Aufgrund der Problemlage – unklarer<br />
Aufenthaltsstatus, fehlende Krankenkasse – wurde ein Case<br />
Management eingerichtet. Diverse Termine beim Sozialamt,<br />
beim Amt für Zusatzleistungen, beim Case Manager, im Crossline<br />
nahm Leo nur sporadisch wahr. Es entwickelte sich ein<br />
Katz-und-Maus-Spiel mit Versprechungen, Ausweichmanövern,<br />
Fehlinformationen seitens Leos. Die Obdachsuche, die<br />
durch die Schwangerschaft seiner Freundin an Dringlichkeit<br />
gewann, beschäftige Leo sehr. Infolge der schwierigen Situation<br />
konnte er ausnahmsweise trotz ausstehender Krankenkasse<br />
Methadon beziehen. Im Herbst erhielt Leo ein einmonatiges<br />
Hausverbot wegen Beschimpfung und Bedrohung eines K&A-<br />
Mitarbeiters. Während dieser Zeit bezog er das Methadon im<br />
Crossline und konnte anschliessend in die K&A zurückkehren.<br />
Nachdem aber über Wochen keine Verbesserung der Verbindlichkeit<br />
erreicht wurde, musste Leo aus dem Methadonprogramm<br />
ausgeschlossen werden.<br />
Zahlen und Fakten<br />
In Bern und Zürich wurden nicht die gleichen Kennzahlen<br />
erhoben. Bei den vergleichbaren Zahlen zeigen sich Unterschiede<br />
bei den Übertritten. Diese werden hier nicht genauer<br />
untersucht.<br />
Zürich<br />
Auswertung und Kennzahlen, Mai bis September 2010<br />
Standortgespräche bezüglich Status Substitution 46<br />
Notwendige Abklärungen (Krankenkasse, Wohnort usw.) 12<br />
Eintritt Methadonprogramm K&A 10<br />
Übertritt Crossline 6<br />
Übertritt in andere Substitutionseinrichtung 2<br />
Abbruch Methadonprogramm 2<br />
Bern<br />
Auswertung und Kennzahlen, April 2011 bis Oktober 2012<br />
Eintritt Methadonprogramm K&A (Zaska) mit späterem Übertritt<br />
14<br />
ins ZAS<br />
Vermittlungsgespräche in K+A mit direktem Eintritt ins ZAS 11<br />
Abb 1.: Auswertung und Kennzahlen in Zürich und Bern.<br />
Weiteres Vorgehen<br />
Ausblick in Zürich<br />
Im Oktober 2010 wurde die Methadonabgabe in den Dienstleistungskatalog<br />
der K&A in Zürich integriert, doch das Angebot<br />
verlief im Sand. Dies ist in erster Linie auf die bereits<br />
erwähnte niedrige Dosierung von 30 mg zurückzuführen. Andererseits<br />
wurde auch festgestellt, dass seit der repräsentativen<br />
Befragung im Jahr 2007 vermehrt KlientInnen eine Substitutionsbehandlung<br />
in Anspruch nehmen. Die Gründe für die<br />
vermehrte Inanspruchnahme einer Substitutionsbehandlung<br />
sind nicht klar eruierbar. Sicherlich hat sich die Zusammenarbeit<br />
zwischen K&A und Polikliniken in den letzten Jahren und<br />
insbesondere im Laufe des Pilotprojektes intensiviert und verbessert;<br />
das ist eine mögliche Erklärung für den gesteigerten<br />
Bekanntheitsgrad des Substitutionsangebotes und der vermehrten<br />
Triagierung. Trotzdem wird im Januar <strong>2013</strong> auch eine<br />
Reaktivierung des Angebotes sowohl in einer innerstädtischen<br />
Tageseinrichtung wie in einer peripheren Abendeinrichtung<br />
geplant. Die maximale Dosierung wird auf 100 mg erhöht.<br />
Ausblick in Bern<br />
Die Nachfrage nach der Methadonabgabe hat seit Projektstart<br />
in der Tendenz abgenommen. Im letzten Halbjahr ist<br />
nur noch ein Klient ins Zaska eingetreten. Dies kann nicht als<br />
Misserfolg gewertet werden. Diejenigen KlientInnen, welche<br />
diesen Zwischenschritt für den Eintritt in die höherschwellige<br />
Substitutionsbehandlung brauchten, konnten ihn tun. Fast die<br />
Hälfte der angesprochenen KlientInnen konnte direkt ins ZAS<br />
integriert werden, was der Zielsetzung ebenfalls entspricht.<br />
Ende 2012 wird das Zaska als fester Bestandteil der Angebote<br />
ZAS und K&A aufgenommen.<br />
Weitere Städte<br />
Die Stadt Basel prüft zurzeit die Möglichkeit einer Methadonabgabe<br />
in den K&A. Ob weitere Städte den Beispielen von<br />
Bern und Zürich folgen, ist nicht bekannt.<br />
Fazit<br />
Wichtige Erfolgsfaktoren für das Angebot einer Methadonabgabe<br />
in den K&A sind die Dosierung und zentrale Standorte,<br />
aber auch die sorgfältige Schulung der Mitarbeitenden.<br />
Diese müssen «ins Boot» geholt werden, um das Angebot<br />
entsprechend bewerben und umsetzen zu können. Durch Informationsveranstaltungen<br />
in Teamsitzungen, Fragerunden<br />
mit dem zuständigen Arzt und Mitarbeitenden der Substitutionseinrichtungen,<br />
Erfahrungsaustausch mit den Projektverantwortlichen<br />
können Unsicherheiten abgebaut und die Compliance<br />
erhöht werden. Selbstverständlich müssen auch die<br />
KlientInnen umfassend informiert werden, sei es durch Flyer<br />
oder im persönlichen Gespräch mit dem Arzt und den Mitarbeitenden.<br />
Die Implementierung von neuen Angeboten in den<br />
Kontakt- und Anlaufstellen ist erfahrungsgemäss ein langer<br />
Prozess.<br />
Auch wenn weiterhin mit keinem Grossandrang zu rechnen<br />
ist, wird die Dienstleistung im Sinne der Gesundheitsförderung,<br />
der sozialen Integration und der Entlastung des öffentlichen<br />
Raums als wichtig erachtet und in die Angebotspalette<br />
integriert. Nicht die Menge zählt, sondern das Einzelschicksal.<br />
Jeder Klient und jede Klientin, die informiert, abgeholt und<br />
nach Bedarf in eine Substitutionsbehandlung integriert werden<br />
kann, ist ein Erfolg..<br />
Endnoten<br />
1 In Bern wird das Methadonprojekt Zaska genannt, in Zürich IMP<br />
(Interimsmethadonprogramm).<br />
2 BE, Umfrage 2010: 31% ohne Substitutionsprogramm, 61% mit<br />
Substitutionsprogramm (wovon 33% Zentrum für ambulante<br />
Suchtbehandlung ZAS, 10% Heroingestützte Behandlung KODA,<br />
52% Hausarzt/Apotheke, 5% andere Behandlung).<br />
3 ZH: Indikationsgespräch mit dem K&A-Arzt. BE: Indikationsgespräch<br />
mit SozialarbeiterIn und Arzt des ZAS.<br />
4 Die Namen wurden in allen Beispielen geändert.<br />
5 KISS steht für «Kontrolle im selbstbestimmten Substanzkonsum»<br />
und ist ein verhaltenstherapeutisches Selbstmanagementprogramm<br />
zur gezielten Reduktion des Konsums legaler und illegaler<br />
Drogen. Weitere Infos unter: www.kiss-heidelberg.de<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 41
Fotoserie<br />
Ethan Oelman<br />
(Jg. 1964), lebt und arbeitet in Zürich.<br />
www.ethan-oelman.com<br />
Nebst meiner Tätigkeit als frei arbeitender<br />
Fotograf arbeite ich in Teilzeit im Zentrum<br />
Horgen der Arud (die Arud betreibt<br />
vier Zentren für Suchtmedizin in und um<br />
Zürich). In meiner Funktion als Betriebsleiter<br />
habe ich viele Einblicke in eine – zuvor auch für mich<br />
– unbekannte Welt erhalten. Von daher kenne ich den Wert und<br />
die Bedeutung der substitutionsgestützten Behandlung gut.<br />
In der Fotografi e fokussiere ich mich auf die Bereiche<br />
People, Anlässe und Sport. Der Mensch steht dabei klar im<br />
Fokus.<br />
Perspektiven<br />
Für diese Fotoserie wollte ich Ausschnitte aus dem Alltag<br />
von Menschen in einer substitutionsgestützten Behandlung<br />
zeigen. Dazu habe ich die Arche Zürich angefragt. Die Arche<br />
ist ein soziales Unternehmen, welches die berufl iche und soziale<br />
Integration von Erwachsenen bei Problemen mit Sucht,<br />
psychischen Erkrankungen und Arbeitslosigkeit fördert. Zwei<br />
Personen aus dem Methadon-Programm haben sich zur Verfügung<br />
gestellt. Gerne hätte ich mehr Personen porträtiert. Dass<br />
sich lediglich zwei Personen meldeten, zeigt für mich dreierlei:<br />
a) die Menschen erleben häufi g physische und psychische<br />
Schwankungen und in so einem Gemütszustand möchte<br />
man sich nicht fotografi eren lassen<br />
b) Sucht und Substitution sind immer noch ein grosses<br />
Tabu und<br />
c) wer lässt sich schon gerne fotografi eren, resp. stellt sich<br />
unentgeltlich für Porträtaufnahmen zur Verfügung?<br />
Grund a und c sind nachvollziehbar. Dass dagegen in der<br />
heutigen, aufgeklärten Zeit das Thema Sucht und die entsprechenden<br />
Behandlungen immer noch ein Tabu sind, mag<br />
erstaunen und bedrücken. Es scheinen mehrere Generationen<br />
nötig zu sein, bis das Thema gesellschaftlich verstanden und<br />
anerkannt wird.<br />
Das Substitutions-Programm ermöglicht es – neben vielen<br />
anderen positiven Aspekten – ein Leben zu führen, welches nicht<br />
nur um die Substanz kreist. Perspektiven werden geschaffen<br />
und es gibt Raum für Hobbies und Beziehungen. Diesen Aspekt<br />
wollte ich mit den Bildern herausarbeiten und habe daher<br />
den Titel «Perspektiven» gewählt. Weil jeder Mensch höchst<br />
individuell mit dem Programm und dem Leben umgeht, wollte<br />
ich den Individuen ein Gesicht geben. Ein grosses Dankeschön<br />
an dieser Stelle an die beiden Porträtierten.<br />
42 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong>
J<br />
Präsident Expertengruppe Weiterbildung Sucht EWS und Geschäftsleiter<br />
Contact Netz Bern, Monbijoustrasse 70, CH-3000 Bern 23,<br />
Tel. +41 (0)31 378 22 44, jakob.huber@contactmail.ch<br />
Schlagwörter:<br />
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Weiterbildungszentrum FHS St.Gallen PROGRAMM <strong>2013</strong><br />
Management-Weiterbildungen für Public Services<br />
MASTER OF ADVANCED STUDIES (MAS)<br />
MAS in Management of Social Services<br />
www.fhsg.ch/msd<br />
Beginn April oder Oktober <strong>2013</strong><br />
Dauer 600 Lektionen Präsenzunterricht, 250 Stunden<br />
Masterabeit & zusätzliches Selbststudium,<br />
berufsbegleitend<br />
Leitung Elisabeth Sperandio<br />
CERTIFICATE OF ADVANCED STUDIES (CAS)<br />
CAS Gemeindeentwicklung<br />
Beginn 20. März <strong>2013</strong><br />
Dauer<br />
Leitung<br />
18 Tage<br />
Sara Kurmann<br />
CAS Sozialmanagement<br />
Beginn 25. April <strong>2013</strong><br />
Dauer 25 Tage<br />
Leitung Andreas Laib<br />
CAS Leiten von Teams im<br />
Sozial- und Gesundheitswesen<br />
Beginn 22. August <strong>2013</strong><br />
Dauer 25 Tage<br />
Leitung Christa Thorner<br />
CAS Führung im Kontext des psychosozialen Bereichs<br />
Beginn 24. Oktober <strong>2013</strong><br />
Dauer 25 Tage<br />
Leitung Christa Thorner<br />
CAS Sozialpolitik<br />
Beginn 24. April 2014<br />
Dauer 25 Tage<br />
Leitung Annegret Wigger<br />
Weiterbildungen für Berufe der Sozialen Arbeit<br />
MASTER OF ADVANCED STUDIES (MAS)<br />
MAS in Psychosozialer Beratung<br />
www.fhsg.ch/beratung<br />
Beginn Juni <strong>2013</strong><br />
Dauer 600 Lektionen Präsenzunterricht, 250 Stunden<br />
Masterarbeit & zusätzliches Selbststudium,<br />
berufsbegleitend<br />
Leitung Siegfried Mrochen<br />
CERTIFICATE OF ADVANCED STUDIES (CAS)<br />
CAS Sexualberatung<br />
Beginn 8. März <strong>2013</strong><br />
Dauer 28 Tage<br />
Leitung Esther Elisabeth Schütz<br />
CAS Systemorientierte Sozialpädagogik<br />
Beginn 18. April <strong>2013</strong><br />
Dauer 25 Tage<br />
Leitung Astrid Hassler<br />
CAS Schulsozialarbeit<br />
Beginn 3. Mai <strong>2013</strong><br />
Dauer 25 Tage<br />
Leitung Rosmarie Arnold<br />
CAS Kreativ Beraten – Strategien und Methoden<br />
Beginn 6. Juni <strong>2013</strong><br />
Dauer 25 Tage<br />
Leitung Astrid Hassler<br />
CAS Mediation<br />
Beginn 14. Juni <strong>2013</strong><br />
Dauer 30 Tage<br />
Leitung Roland Proksch<br />
CAS Diakonieanimation<br />
Beginn 27. August <strong>2013</strong><br />
Dauer 22 Tage<br />
Leitung Marlise Schiltknecht<br />
CAS Sozialpädagogische Familienbegleitung<br />
Beginn 5. September <strong>2013</strong><br />
Dauer 25 Tage<br />
Leitung Regula Flisch, Christina Fehr Dietsche<br />
CAS Coaching<br />
Beginn 19. September <strong>2013</strong><br />
Dauer 25 Tage<br />
Leitung Veronika Bücheler-Täschler, Elisabeth Sperandio<br />
CAS Brennpunkt Kindesschutz<br />
Beginn 24. Oktober <strong>2013</strong><br />
Dauer 25 Tage<br />
Leitung Claudia Hengstler<br />
CAS Case Management<br />
Beginn 25. Oktober <strong>2013</strong><br />
Dauer 25 Tage<br />
Leitung Horst Uecker<br />
CAS Soziale Arbeit mit gesetzlichem Auftrag<br />
Beginn 27. März 2014<br />
Dauer 27 Tage<br />
Leitung Fredy Morgenthaler<br />
CAS Beratungs-Training<br />
Beginn 3. September 2014<br />
Dauer 25 Tage<br />
Leitung Reto Eugster<br />
CAS Krisenintervention<br />
Beginn Herbst 2015<br />
Dauer 25 Tage<br />
Leitung Peter Bünder<br />
SEMINARE<br />
Personalselektion &<br />
Kompetenzmanagement<br />
Daten 11./12. März <strong>2013</strong><br />
Leitung Christina Fehr Dietsche<br />
Focusing – Intuition &<br />
Professionalität im Dialog<br />
Daten 18./19. März <strong>2013</strong><br />
Leitung Tobias von Schulthess<br />
Die friedliche Macht der Sprache<br />
Daten 28./29. Mai <strong>2013</strong><br />
Leitung Reto Wambach<br />
Case Management<br />
Beginn 11. Juni <strong>2013</strong><br />
Dauer 4 Tage<br />
Leitung Sonya Kuchen, Martin Müller, Reto Eugster<br />
Selbstsorge im beruflichen Alltag<br />
Daten 18./19. Juni <strong>2013</strong><br />
Leitung Reto Wambach<br />
Fachseminar Praxisausbildung<br />
Beginn 12. September <strong>2013</strong><br />
Dauer 17 Tage<br />
Leitung Astrid Hassler<br />
Querdenken<br />
Daten 28./29. Oktober & 4. Dezember <strong>2013</strong><br />
Leitung Ruth Gauch-Mühle, Urs Mühle<br />
Elternaktivierung<br />
Daten 4./5. & 26. November <strong>2013</strong><br />
Leitung Rolf Straub<br />
Trainingswerkstatt Konfliktvermittlung<br />
Daten 18./19. November <strong>2013</strong><br />
Leitung Martin Niederhauser, Nora Brack<br />
Weiterbildungen zu neuen Medien<br />
MASTER OF ADVANCED STUDIES (MAS)<br />
MAS in Social Informatics<br />
www.fhsg.ch/sozialinformatik<br />
Beginn August <strong>2013</strong><br />
Dauer 600 Lektionen Präsenzunterricht, 250 Stunden<br />
Masterarbeit & zusätzliches Selbststudium,<br />
berufsbegleitend<br />
Leitung Selina Ingold, Ueli Hagger, Reto Eugster<br />
CERTIFICATE OF ADVANCED STUDIES (CAS)<br />
CAS Medienpädagogik<br />
Beginn 22. März <strong>2013</strong><br />
Dauer 25 Tage<br />
Leitung Martin Hofmann, Selina Ingold<br />
CAS Informatik-Projektleitung – IT-Lösungen für<br />
den Sozial- und Gesundheitsbereich<br />
Beginn 16. August <strong>2013</strong><br />
Dauer 24 Tage<br />
Leitung Ueli Hagger<br />
CAS Online Services – Online Beratung und<br />
Social Media in NPO’s<br />
Beginn Frühling 2015<br />
Dauer 24 Tage<br />
Leitung Stefan Ribler<br />
SEMINAR<br />
Social Media<br />
Datum 6. Mai <strong>2013</strong><br />
Leitung Hans-Dieter Zimmermann, Reto Eugster<br />
FHS St.Gallen, Weiterbildungszentrum, Rosenbergstrasse 59, Postfach, CH-9001 St.Gallen, Tel. +41 71 226 12 50, weiterbildung@fhsg.ch, www.fhsg.ch/weiterbildung<br />
FHO Fachhochschule Ostschweiz www.fhsg.ch
Neue Bücher<br />
44 <strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong><br />
Suchtmedizin kompakt. Suchtkrankheiten in<br />
Klinik und Praxis<br />
Felix Tretter (Hrsg.)<br />
2012 (2. aktual. Aufl.), Schattauer, 288 S.<br />
Steckt hinter jeder Sucht eine SehnSUCHT? Weshalb<br />
werden manche Menschen süchtig nach Alkohol,<br />
Nikotin, Medikamenten und/oder illegalen Drogen,<br />
manche nicht? Weshalb ist es so schwierig, sie<br />
abzusetzen? Wie sind Suchtkrankheiten nachweisbar?<br />
Wie werden sie optimal therapiert? Wie<br />
erkennt und behandelt man Entzugssymptome?<br />
Das Buch gibt Antworten auf solche Fragen, es stellt<br />
moderne Suchttheorien vor, geht auf Diagnostik<br />
und Therapie stoffgebundener Süchte ein und gibt<br />
Handlungsanleitungen für spezielle Situationen in<br />
der Praxis wie z. B. Überdosierung. Medikamenten-,<br />
Substanz- und Adressverzeichnisse ergänzen den<br />
Text. Das Buch richtet sich an ÄrztInnen in Kliniken<br />
und mit eigener Praxis.<br />
Blumen für Pina. Ein Kinderbuch zum Thema<br />
Heroinabhängigkeit.<br />
Anne-Christine Loschnigg-Barman/Otto<br />
Schmid/Thomas Müller<br />
<strong>2013</strong>, Mabuse, 45 S.<br />
Pina und ihre Mama mögen Blumen, ihr Balkon<br />
blüht in allen Farben. Es ist nicht immer leicht mit<br />
Mama, denn Mama ist heroinabhängig. Manchmal<br />
meckert sie ohne erkennbaren Grund an Pina<br />
herum, manchmal ist sie unzuverlässig und vergisst<br />
ihre Versprechen. Das macht Pina ganz schön zu<br />
schaffen – denn sie hat ihre Mama sehr lieb.<br />
«Blumen für Pina» erklärt das Verhalten von<br />
heroinabhängigen Eltern auf kindgerechte Art und<br />
Weise. Es macht Hoffnung und betont, dass die<br />
Sucht der Eltern nichts an ihrer Liebe zum Kind<br />
ändert. So bietet es Eltern, Grosseltern und anderen<br />
Bezugspersonen eine gute Grundlage für das<br />
Gespräch mit den Kindern.<br />
Resilienz und Risiko. Ressourcenaktivierung und<br />
Ressourcenförderung in der stationären<br />
Suchttherapie<br />
Roland Mahler<br />
2012, Springer, 208 S.<br />
Ressourcenorientierung ist nicht nur ein Schlagwort.<br />
Die vorliegende Monografi e zeigt, gestützt auf<br />
zwei empirische Untersuchungen, die konzeptionelle<br />
Bedeutung der Ressourcenorientierung<br />
einerseits und die Einschätzung von Klienten aus 28<br />
Suchtinstitutionen bzgl. der verfügbaren und<br />
förderungswürdigen Ressourcen. Daraus werden<br />
praktische Konsequenzen für eine methodische<br />
Anwendung der Ressourcenorientierung in der<br />
Suchtarbeit gezogen. Möglichkeiten der Diagnostik<br />
und Aktivierung von Ressourcen im stationären<br />
Umfeld werden dargestellt.<br />
Bindung und Sucht<br />
Karl Heinz Brisch (Hrsg.)<br />
2012, Klett-Cotta, 299 S.<br />
Oft beginnt eine Sucht mit dem Versuch, grossen<br />
Stress durch Suchtmittel erträglicher zu machen,<br />
anstatt ihn mit der Hilfe von Bindungspersonen<br />
abzubauen. Chronischer Stress kann so zu<br />
psychischer und körperlicher Abhängigkeit von<br />
Suchtmitteln führen. Die Beiträge des Buches<br />
zeigen, dass es einerseits einen Zusammenhang<br />
zwischen Bindung und Sucht, andererseits zwischen<br />
Suchtmittel und Bindungsfähigkeit gibt, wobei<br />
unterschiedliche Bindungstypen nach unterschiedlichen<br />
Substanzen, also z. B. Opiaten, Ecstasy,<br />
Alkohol, süchtig sein können. In dem Buch werden<br />
die Zusammenhänge deutlich gemacht und<br />
therapeutische und präventive Möglichkeiten<br />
aufgezeigt.<br />
Stuttgart<br />
23. - 24. April <strong>2013</strong><br />
Messe Stuttgart<br />
1 TICKET - 2 MESSEN<br />
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3. Europäische Fachmesse für betriebliche<br />
Gesundheitsförderung und Demografie<br />
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Mit über 2.300 Fachbesuchern &<br />
über 120 Ausstellern aus den Bereichen:<br />
Ambulant und stationäre<br />
Einrichtungen<br />
Gesundheitsorientierte<br />
Büroausstattung &<br />
Arbeitsplatzgestaltung<br />
Betriebsverpflegung &<br />
Ernährung,<br />
Dienstleistungen<br />
Zeitgleich und im Preis inbegriffen<br />
14. Fachmesse für Personalmanagement<br />
mit über 4.500 Geschäftsführern,<br />
Personalentscheidern, Personalreferenten &<br />
280 Ausstellern<br />
Hauptmedienpartner<br />
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Medizinische Produkte &<br />
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www.twitter.com/CHC_Messe<br />
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Veranstaltungen<br />
Schweiz<br />
Nationale Tagung: Öffentlicher<br />
Raum, Suchthilfe, Polizei – eine<br />
Zusammenarbeit im Wandel<br />
13. März <strong>2013</strong>, Kongresshaus Biel<br />
Die Zusammenarbeit zwischen<br />
Polizei und Suchthilfe ist ein<br />
wichtiges Element der Viersäulenpolitik<br />
im Drogenbereich. An der Tagung<br />
werden die beiderseitigen Aufgaben<br />
und erfolgreiche Kooperationsmodelle<br />
vorgestellt und neue Herausforderungen<br />
diskutiert.<br />
Infos: Infodrog, Eigerplatz 5,<br />
CH-3000 Bern 14,<br />
Tel: +41 (0)31 376 04 01,<br />
offi ce@infodrog.ch, www.infodrog.ch<br />
Zürcher Präventionstag <strong>2013</strong>:<br />
«Gesundheitsligen und<br />
Prävention» – Zwischen<br />
öffentlicher Gesundheit und<br />
privater Betroffenheit<br />
22. März <strong>2013</strong>, Zürich<br />
Der Zürcher Präventionstag wird von<br />
Gesundheitsförderung Kanton Zürich<br />
in Zusammenarbeit mit Radix<br />
organisiert.<br />
Infos: Institut für Sozial- und<br />
Präventivmedizin der Universität<br />
Zürich ISPMZ,<br />
Hirschengraben 84, CH-8001 Zürich,<br />
Tel: +41 (0)44 634 46 29,<br />
www.gesundheitsfoerderung-zh.ch<br />
Familien im Fokus der Prävention:<br />
Potenziale und Herausforderungen<br />
– ein Blick über die<br />
Landesgrenzen<br />
25. April <strong>2013</strong>, Biel<br />
Nationaler Kongress von Sucht<br />
Schweiz.<br />
Infos: Sucht Schweiz,<br />
Av. Louis-Ruchonnet 14,<br />
CH-1003 Lausanne, Jennifer Dieter,<br />
Sekretariat Prävention,<br />
Tel. +41 (0)21 321 29 76,<br />
jdieter@suchtschweiz.ch,<br />
www.tinyurl.com/axfonar<br />
16th EASAR Conference<br />
9. - 12. Mai <strong>2013</strong>, Aeschi<br />
Internationale Tagung des Netzwerkes<br />
European Association of<br />
Substance Abuse Research.<br />
Infos:<br />
www.easar.com<br />
8. Basler Frühjahrestagung <strong>2013</strong><br />
24. Mai <strong>2013</strong>, Basel<br />
Alkohol...Missbrauch und<br />
Abhängigkeit.<br />
Infos: Universitäre Psychiatrische<br />
Kliniken Basel, Silvia Bischoff,<br />
Assistentin Zentrumsleitung,<br />
Tel. +41 (0)61 325 51 32,<br />
silvia.bischoff@upkbs.ch<br />
Ankündigung:<br />
www.tinyurl.com/a25zx35<br />
Dialogwoche Alkohol<br />
18. - 26. Mai <strong>2013</strong>, ganze Schweiz<br />
www.tinyurl.com/9xyl7wv<br />
5. Fachtagung Klinische<br />
Sozialarbeit<br />
13. & 14. Juni <strong>2013</strong>, Olten<br />
Workshop-Tagung: «Mit Zielen<br />
arbeiten trotz widriger Umstände.»<br />
Infos: Fachhochschule Nordwestschweiz<br />
FHNW, Hochschule für<br />
Soziale Arbeit, Prof. Dr. Günther<br />
Wüsten, Riggenbachstrasse 16,<br />
CH-4600 Olten, Tel. +41 (0)62 957 21 58,<br />
guenther.wuesten@fhnw.ch,<br />
www.klinischesozialarbeit.ch<br />
6. Kongress für Kinder- und<br />
Jugendförderung<br />
8. - 11. Juli <strong>2013</strong>, Engelberg<br />
Sommerakademie von infoklick.ch<br />
Infos: www.tinyurl.com/as4v5zb<br />
Swiss Public Health<br />
Conference <strong>2013</strong><br />
15. & 16. August <strong>2013</strong>, Zürich<br />
Vorsorgen und Versorgen bei<br />
chronischen Krankheiten: Wer macht<br />
was mit wem?<br />
Infos: Public Health Schweiz,<br />
Effi ngerstrasse 54, CH-3001 Bern,<br />
Tel.+41 (0)31 389 92 86,<br />
info@public-health.ch<br />
www.sph13.organizers-congress.ch<br />
Zukunft der Suchtforschung<br />
9. - 10. September <strong>2013</strong>, Zürich<br />
Internationale Konferenz zum<br />
20-Jahre Jubiläum des Instituts für<br />
Sucht- und Gesundheitsforschung<br />
ISGF.<br />
Infos: ISGF, Konradstrasse 32,<br />
CH-8031 Zürich, Tel. +41 (0)44 448 11 60,<br />
isgfkongress@isgf.uzh.ch<br />
www.isgf.ch<br />
Europa<br />
5. Internationale Konferenz zu<br />
Alcohol and Harm Reduction<br />
7. & 8. März <strong>2013</strong>, Frankfurt a.M.<br />
Veranstalter sind die Fachhochschule<br />
Frankfurt, Bundesverband für<br />
akzeptierende Drogenarbeit und<br />
humane Drogenpolitik akzept e.V.<br />
und zwei weitere Institutionen aus<br />
dem Suchtbereich.<br />
www.akzept.org<br />
Sucht und Spiritualität.<br />
Ein interkultureller Dialog<br />
7. - 9. März <strong>2013</strong>, Graz<br />
Der Grüne Kreis, Verein zur<br />
Rehabilitation und Integration von<br />
suchtkranken Menschen feiert sein<br />
30-jähriges Bestehen mit Symposium.<br />
Infos: Sucht & Spiritualität,<br />
c/o Wiener Medizinische Akademie,<br />
Alser Strasse 4, A-1090 Wien,<br />
Tel. +43 (0)1 405 13 83-10,<br />
suchtkongress<strong>2013</strong>@medacad.org,<br />
www.a-conference.at<br />
99. Wissenschaftliche<br />
Jahrestagung des Bundesverband<br />
für stationäre Suchtkrankenhilfe<br />
e.V. buss<br />
13. & 14. März <strong>2013</strong>, Berlin<br />
Sucht im Generationenwechsel.<br />
Infos: buss, Wilhelmshöher Allee 273,<br />
D-34131 Kassel, Tel. +49 (0)561 77 93 51,<br />
buss@suchthilfe.de,<br />
www.suchthilfe.de<br />
18. Tübinger Suchttherapietage<br />
(Vorankündigung)<br />
10.- 12. April <strong>2013</strong><br />
Infos: Sektion Suchtmedizin und<br />
Suchtforschung, Calwerstrasse 14,<br />
D-72076 Tübingen,<br />
Tel. +49 (0)7071 298 36 66,<br />
www.tinyurl.com/cxmk8rc<br />
Corporate Health Convention <strong>2013</strong><br />
23 & 24. April 13, Stuttgart<br />
3. Europäische Fachmesse für<br />
betriebliche Gesundheitsförderung<br />
und Demografi e.<br />
www.corporate-health-convention.de<br />
36. BundesDrogenKongress<br />
6. & 7. Mai <strong>2013</strong>,<br />
Aschheim-Dornach bei München<br />
Sucht und Gewalt. Fakten, Zusammenhänge<br />
und Best Practice<br />
Infos: Fachverband Drogen- und<br />
Suchthilfe e.V., Odeonstrasse 14,<br />
D-30159 Hannover,<br />
Tel. +49 (0)511 1 83 33,<br />
mail@fdr-online.info,<br />
www.tinyurl.com/b3frnux<br />
18. Suchttherapietage in Hamburg<br />
21. - 24. Mai <strong>2013</strong>, Hamburg<br />
Aktuelle Herausforderungen für<br />
Suchtbehandlung und -prävention.<br />
Infos: Kongressbüro der Suchttherapietage,<br />
Zentrum für Interdisziplinäre<br />
Suchtforschung der Universität<br />
Hamburg ZIS, Martinistr. 52, D-20246<br />
Hamburg, Tel. +49 (0)40 7410 54203,<br />
kontakt@suchttherapietage.de,<br />
www.tinyurl.com/bvxu56z<br />
Deutschland: Aktionswoche<br />
Alkohol <strong>2013</strong><br />
25. Mai - 2. Juni <strong>2013</strong>, ganz<br />
Deutschland<br />
www.aktionswoche-alkohol.de<br />
26. Kongress des Fachverbandes<br />
Sucht e.V<br />
10. - 12. Juni <strong>2013</strong>, Heidelberg<br />
Der Mensch im Mittelpunkt – Was<br />
bedeutet dies für die Suchtbehandlung?<br />
Infos: Fachverband Sucht e.V.<br />
Walramstrasse 3, 53175 Bonn,<br />
Tel. +49 (0)228 261555,<br />
sucht@sucht.de,<br />
www.tinyurl.com/brdwmsw<br />
4. Bayerischer Fachkongress<br />
Glücksspiel <strong>2013</strong><br />
(Vorankündigung)<br />
12. Juni <strong>2013</strong>, München<br />
www.tinyurl.com/afqo8ae<br />
14. Interdisziplinärer Kongress für<br />
Suchtmedizin (Vorankündigung)<br />
4. - 6. Juli <strong>2013</strong>, München<br />
Fachintegrierendes Forum für<br />
Suchttherapie, Suchtfolgekrankheiten<br />
und Akutversorgung<br />
Suchtkranker.<br />
www.tinyurl.com/ce2p5sf<br />
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- die Selbstanwendung<br />
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• Datenbank mit über 600 Suchthilfeangeboten der<br />
Schweiz (Beratung, Therapie, Entzug, niederschwellige<br />
Angebote, betreutes Wohnen, Selbsthilfe, Prävenon)<br />
• Für Fachleute, Betroffene und Angehörige<br />
• Suche nach Kanton, Suchorm, spezifischen Angeboten<br />
für Jugendliche, ältere Menschen, Frauen, Männer,<br />
MigrantInnen<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 45<br />
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Newsflash<br />
Präsentiert von<br />
Das Schweizer Suchtportal<br />
www.infoset.ch<br />
Human Enhancement: Medizin für Gesunde?<br />
Unter dem Stichwort «Human Enhancement» werden<br />
medizinische Behandlungen diskutiert, die auf die Verbesserung<br />
nichtpathologischer Merkmale zielen. Die Akademien der<br />
Wissenschaften Schweiz haben jetzt das Neuroenhancement<br />
untersucht. Der Bericht fasst die Resultate von erstmals für die<br />
Schweiz durchgeführten empirischen Untersuchungen zusammen<br />
und diskutiert zentrale Aspekte wie die Abgrenzung zwischen<br />
Therapie und Enhancement oder die Rolle der Ärzteschaft. Im<br />
letzten Kapitel fi nden sich die Empfehlungen der Arbeitsgruppe<br />
nach Abschluss ihrer vierjährigen Tätigkeit.<br />
www.tinyurl.com/cjtkuaj<br />
Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im<br />
Erwachsenenalter<br />
Die Stärkung von Schutz- und Resilienzfaktoren könnte<br />
die Wirkung von gesundheitsfördernden und präventiven<br />
Massnahmen und auch die Fähigkeit von Menschen, sich für ein<br />
gesundheitsförderliches Lebensumfeld einzusetzen, verbessern.<br />
Ziel der vorliegenden Expertise ist es, die wissenschaftliche<br />
Basis für eine solche Strategie zu verbreitern. Es werden u. a.<br />
folgende Punkte thematisiert: Entstehungshintergrund der<br />
Schutzfaktorenforschung, Stellenwert und die wissenschaftliche<br />
Fundierung der Konzepte, empirische Befunde zu Schutz- und<br />
Resilienzfaktoren sowie Fragen nach dem Stellenwert und Nutzen<br />
der Konzepte für die Prävention und Gesundheitsförderung.<br />
Herausgeberin ist die Deutsche Bundeszentrale für gesundheitliche<br />
Aufklärung (BZgA).<br />
www.tinyurl.com/d84nfl n<br />
Jubiläumsschrift der Alkoholverwaltung<br />
Zum Abschluss des Jubiläums «125 Jahre Eidg. Alkoholverwaltung<br />
EAV» erscheint eine Jubiläumsschrift. Zum einen verschafft<br />
diese Publikation den Lesenden einen kompakten Überblick über<br />
die vielfältige Geschichte der EAV und veranschaulicht diese<br />
mit zahlreichen Bildern. Zum andern erlaubt das Heft auch, das<br />
ereignisreiche Jubiläumsjahr 2012 mit seinen zahlreichen Anlässen<br />
nochmals Revue passieren zu lassen.<br />
www.tinyurl.com/cqzbbl8<br />
Alkoholpolitische Regelungen in Europa<br />
Die europäischen Staaten sind weitgehend autonom in<br />
der Gestaltung ihrer nationalen Alkoholpolitik. Seien es<br />
Promillegrenzen im Strassenverkehr, Alkoholwerbeverbote,<br />
Altersgrenzen für den Verkauf und den Ausschank von<br />
alkoholischen Getränken oder Öffnungszeiten von Restaurants<br />
– die Massnahmen, mit denen die Staaten gegen die negativen<br />
Auswirkungen des Alkoholkonsums vorgehen, sind vielfältig<br />
und von Land zu Land sehr unterschiedlich. Eine Datenbank des<br />
Bundesamtes für Gesundheit (BAG) gibt einen Überblick über die<br />
alkoholpolitische Situation in ausgewählten europäischen Staaten<br />
und ermöglicht einen Ländervergleich.<br />
www.tinyurl.com/cohdquh<br />
Die in der Schweiz geltenden gesetzlichen Regelungen, gegliedert<br />
nach Kantonen: www.tinyurl.com/ncx2ce<br />
Europäischer Aktionsplan zur Verringerung des schädlichen<br />
Alkoholkonsums (2012–2020)<br />
Der Aktionsplan wurde von den 53 Mitgliedstaaten in der<br />
Europäischen Region der WHO angenommen. Er besteht<br />
aus einer Reihe evidenzbasierter Grundsatzoptionen gegen<br />
schädlichen Alkoholkonsum. Der Aktionsplan knüpft eng an<br />
die zehn Handlungsfelder der globalen Strategie an, welche die<br />
Weltgesundheitsversammlung im Mai 2010 zur Reduktion des<br />
schädlichen Alkoholkonsums angenommen hatte.<br />
Europäischer Aktionsplan: www.tinyurl.com/ce23mdr<br />
Globale Alkoholstrategie WHO 2010: www.tinyurl.com/d77axkz<br />
Von der Trinkerfürsorge zur Zürcher Fachstelle für<br />
Alkoholprobleme ZFA<br />
Auch die ZFA feiert ein Jubiläum und veröffentlicht aus diesem<br />
Anlass die Schrift «Einhundert Jahre», in der der Wandel von der<br />
Trinkerfürsorge zur Fachstelle aufgezeichnet wird.<br />
www.tinyurl.com/d56femw<br />
Podiumsveranstaltung: Suchtpolitik Schweiz – wie weiter?<br />
Am 14. November 2012 führten der Fachverband Sucht und die arud<br />
eine Podiumsdiskussion zur Suchtpolitik in der Schweiz durch.<br />
Anlass war die Publikation der Deutschen Übersetzung des zweiten<br />
Berichts der Global Commission on Drug Policy (GCDP) «Der Krieg<br />
gegen Drogen und HIV/AIDS».<br />
Video-Aufzeichnungen der Veranstaltung:<br />
www.tinyurl.com/cknub65<br />
Bericht der GCDP: www.tinyurl.com/crmt7j9<br />
Fonds für nachhaltige Tabakprävention TPF<br />
Der Tabakpräventionsfonds wurde eingerichtet, um<br />
Präventionsmassnahmen zu fi nanzieren, die den Einstieg in<br />
den Tabakkonsum verhindern, den Ausstieg fördern und die<br />
Bevölkerung vor Passivrauch schützen. Organisationen und<br />
Personen, die Tabakpräventionsprojekte durchführen, können<br />
beim Fonds fi nanzielle Unterstützung beantragen. Sie fi nden<br />
hier Angaben über die Zulassungsberechtigung, das Vorgehen<br />
für die Einreichung von Projekten beim TPF und das Verfahren<br />
der Gesuchsbeurteilung. Die nächsten Einreichungstermine für<br />
Projektanträge sind der 22. Mai <strong>2013</strong> und der 13. September <strong>2013</strong>.<br />
www.tinyurl.com/d28laky<br />
Glücksspiel – ein Freizeitvergnügen mit Risikopotenzial<br />
Präventionsmassnahmen gegen Glücksspielsucht müssen<br />
jene Personen erreichen, welche ein besonderes Risiko für die<br />
Entwicklung eines problematischen Spielverhaltens aufweisen.<br />
Und sie müssen Probleme verhindern oder zumindest reduzieren.<br />
Sucht Schweiz hat im Rahmen des Interkantonalen Programms<br />
Glücksspielsuchtprävention Nordwest- und Innerschweiz externen<br />
Forschungsinstituten drei Studien in Auftrag gegeben, die sich<br />
auf betroffene Personengruppen fokussieren. Die Resultate geben<br />
Hinweise, wie zukünftige Präventionsmassnahmen wirksam<br />
ausgestaltet und die genannten Zielgruppen besser erreicht<br />
werden können.<br />
Medienmitteilung von Sucht Schweiz: www.tinyurl.com/bqleb6z<br />
Infoset fi nden Sie auch auf Facebook: www.facebook.com/infosetde<br />
<strong>SuchtMagazin</strong> 1|<strong>2013</strong> 47
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Das <strong>SuchtMagazin</strong> jetzt auch auf<br />
Ausblick auf die kommenden Schwerpunkte<br />
Nr. 2|<strong>2013</strong>: Sucht im Alter<br />
Inserateschluss: 25. März <strong>2013</strong><br />
Erscheinungsdatum: ca. 15. April <strong>2013</strong><br />
Nr. 3|<strong>2013</strong>: Stimulanzien<br />
Inserateschluss: 25. Mai <strong>2013</strong><br />
Erscheinungsdatum: ca. 15. Juni <strong>2013</strong><br />
Nr. 4|<strong>2013</strong>: Selbsthilfe/Selbstheilung<br />
Inserateschluss: 25. Juli <strong>2013</strong><br />
Erscheinungsdatum: ca. 25. August <strong>2013</strong><br />
Nr. 5|<strong>2013</strong>: n.n.<br />
Inserateschluss: 25. September <strong>2013</strong><br />
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Nr. 6|<strong>2013</strong>: n.n.<br />
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<strong>2013</strong> 1 Substitutionsgestützte Behandlung<br />
2012 1<br />
2<br />
Angehörige<br />
Suchtpolitik<br />
3&4 Tabak<br />
5 Adoleszenz<br />
6 Sozialraum<br />
2011 1 Alkoholpolitik<br />
2 Sucht am Arbeitsplatz<br />
3 Verhaltenssüchte<br />
4 Kinder stärken<br />
5 Früherkennung und Frühintervention<br />
6 Social Networks (Web 2.0)<br />
2010 1 Evidenzbasierte Suchtprävention<br />
2 Neuro-Enhancer<br />
3 Sucht im Alter<br />
4 Frühe Förderung<br />
5 Club Health<br />
6 Drogenmärkte und Drogenhandel<br />
2009 1 Suchtarbeit und Prävention in der Bodenseeregion<br />
2 Qualität in der Suchtarbeit<br />
3 Sucht im Alter – stationäre Kontexte und Wohnen<br />
4 Migration und Sucht<br />
5 Jugendgewalt und Sucht<br />
6 Medikamente – Heil- und Suchtmittel<br />
2008 1 Schadensminderung<br />
2 Jugend heute<br />
3 Kontrollierter Konsum<br />
4 Gender Mainstreaming<br />
5 Cannabispolitik<br />
6 Alkohol und Jugendschutz<br />
2007 1 Mobbing – Gefahren und Chancen<br />
2 Früherkennung und Frühintervention<br />
3 Schule – Good Practice<br />
4 Suchtprävention, Jugend und Alkohol<br />
5 Fussball – Fankultur und Fanarbeit<br />
6 «Die Kette» – Drogenmagazin – Suchtmagazin<br />
2006 1 Substitution: Methadon, Heroin, Nikotin<br />
2 Frau, Sucht, Gender<br />
3 Gesundheitsförderung in Stadtteil- und Jugend arbeit;<br />
Heroinabhängige Frauen, Femmestische<br />
4 Gesundheitsförderung im Betrieb<br />
5 Hungern – Schneiden – Essen<br />
6 Rasen, Rausch und Risiko<br />
2005 1 Schnittstelle Schule – Beruf<br />
2 Gesundheit und Prävention in Haft<br />
3 Ritalinbehandlung – Pro und Contra<br />
4 QuaTheDA, Psychoaktiv.ch, Gender Mainstream, HIV-Therapie<br />
5 Prävention mit Peer Groups<br />
6 Gesundheitsförderung in der Gemeinde und im Quartier<br />
2004 1 Surfen, Chatten, Spielen, Wetten<br />
2 Interkulturelle Vermittlung in Suchtprävention und Beratung<br />
3 Akzeptierende Suchtarbeit<br />
4 Stationäre Suchttherapie – Neue Ansprüche und<br />
Herausforderungen<br />
5 Gender berücksichtigen in Schule, Freizeit und Erwerbsleben<br />
2003 1 Gemeinden Handeln, KlientInnenzufriedenheit,<br />
Präventionstheorie, Substitutionpolitik<br />
2 Schule und Soziale Arbeit, Stationäre Alkoholismustherapie<br />
3 Partykultur und Pillentesting<br />
4 Sucht im Alter<br />
5 Suizid<br />
6 Stationäre Drogentherapie