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Die alte Linde

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<strong>Die</strong> <strong>alte</strong> <strong>Linde</strong><br />

Lange schon, sehr lange schon, stand diese <strong>Linde</strong> am Rande des Parkplatzes. Sie hatte da<br />

schon gestanden, als es noch gar keine Parkplätze und noch keine Autos gab.<br />

Manchmal seufzten ihre Zweige mit dem Wind, wenn sie an vergangene Zeiten dachte, an<br />

damals, als dieser Platz noch das Dorfzentrum war. Eine gezimmerte Bank stand um die<br />

<strong>Linde</strong> herum, auf der sich abends immer die Verliebten trafen. Ja, sie war damals Zeuge<br />

vieler Versprechungen und Schwüre geworden, und hatte sich stets darüber gefreut, den<br />

Paaren ihren Segen zu geben mit ihren Zweigen, die mit sanft raschelnden Blättern über<br />

die Köpfe strichen.<br />

Sie war auch Zeuge geworden von herzzerreissenden Abschieden, damals, vor dem großen<br />

Krieg. <strong>Die</strong> Pärchen tragen sich zum Abschied unter der <strong>Linde</strong>, und sie hörte erneut<br />

Schwüre, viel Weinen, und wußte, daß die jungen Männer diesmal einige Schwüre nicht<br />

h<strong>alte</strong>n würden... jedenfalls nicht so wie sie gedacht waren. Sie kamen zurück, später, unter<br />

diese <strong>Linde</strong>, und grüßten durch die segnenden Zweige ihre schwarz gekleideten Mädchen<br />

aus dem fernen Land, mit Bildern, Erinnerungen, und tiefen Gefühlen.<br />

Ja, das waren Zeiten gewesen, wo die <strong>alte</strong> <strong>Linde</strong> teilhaben durfte am Leben der Menschen.<br />

Sie fühlte sich wie ein Ort der Zuflucht für diese Menschen, die unter ihrem Dach so viele<br />

Geheimnisse tauschten. Es war ihr eine Ehre, und gerne tat sie diesen <strong>Die</strong>nst. Ausserdem:<br />

verschwiegen war sie auch. All diese Geheimnisse waren bei ihr gut aufgehoben.<br />

Es störte sie aus diesem Grunde auch nicht allzusehr, wenn die jungen Männer Herzen in<br />

ihre Rinde schnitten, als Zeichen dafür, wie ernst sie es mit ihren Schwüren meinten.<br />

Großzügig lächelnd goß sie darüber ein Siegel aus Harz und half damit, diese Versprechen<br />

zu verewigen.<br />

Es geschah sogar das ein oder andere Mal, daß zwei <strong>alte</strong> Menschen zu ihr kamen, sich<br />

liebend umarmten, und flüsterten "weißt du noch, vor 50 Jahren?", und dann suchte sie das<br />

Herz in ihrer Rinde, fanden es, und lagen sich innig in den Armen. Das waren sehr schöne<br />

Momente im Leben der <strong>alte</strong>n <strong>Linde</strong>. <strong>Die</strong>s waren die Momente, wo sie wußte, warum es<br />

Wesen gab wie sie, die Jahrhundertelang immer an einer Stelle stehen und die Welt<br />

beobachten.<br />

Ja, die Zeiten hatten sich doch sehr verändert. Es gab heute kaum noch Wesen, die ihre


Nähe suchten. Ab und zu mal kam ein Hund. Hund wissen auch um diese Fähigkeit der<br />

<strong>alte</strong>n <strong>Linde</strong>, wie eine Bibliothek <strong>alte</strong> Geschichten zu bewahren. Sie schnüffelten ausgiebig<br />

die neueste Literatur durch, und fügten dann ihre eigene Berichterstattung hinzu. Meist<br />

war es einfacher Tratsch. Über Futter, empfehlenswerte Gassirouten, und manchmal auch<br />

die ein oder andere Neuigkeit über ihre Herrchen und Frauchen- aber die war nicht für<br />

öffentliche Ohren bestimmt und es war gut, daß die Hunde eine Sprache hatten, die ausser<br />

ihnen nur die <strong>alte</strong> <strong>Linde</strong> verstand.<br />

Auf die Menschen achtete sie inzwischen nicht mehr so sehr, und diese achteten auch nicht<br />

merh auf die <strong>alte</strong> <strong>Linde</strong>. Sie begnügte sich mit dem Hundeklatsch und dem Singen der<br />

Vögel in ihren Zweigen.<br />

Einmal hatte sie auch eine Zeitlang den Kontakt zu einem Ameisenvolk intensiver<br />

betrieben. Aber diese waren meist zu sehr mit sich selbst und ihrer Ameisenwelt<br />

beschäftigt, um eine wirkliche tiefere Kommunikation aufkommen zu lassen. Irgendwie war<br />

das so ähnlich wie mit den heutigen Menschen.<br />

Neulich hielt ein etwas älterer VW Golf in ihrer Nähe. Ein <strong>alte</strong>r Mann saß darin, und schaute<br />

gedankenversunken durch die Windschutzscheibe auf die <strong>Linde</strong>. Sie hörte, wie in seinem<br />

Autoradio gerade ein <strong>alte</strong>s Lied spielte: "Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein<br />

<strong>Linde</strong>nbaum"<br />

Gerührt raschelte sie ein wenig extra mit ihren Zweigen. Offenbar hatte dieser Herr ebenso<br />

wie sie ein Gefühl für diese besondere Art von Kontakt von Mensch zu Baum. Der Mann<br />

hörte sich das Lied an, startete danach den Motor wieder und fuhr weg. Eines ihrer Herzen,<br />

links unter dem dicken Ast, brannte.<br />

Ja, solche Momente waren selten geworden. Sie hörte auch von anderen <strong>Linde</strong>n, daß es<br />

überall ähnlich sei. <strong>Die</strong> Menschen hatten heute offenbar eine andere Methode, ihre<br />

Geheimnisse auszutauschen- man brauchte dazu keine Bäume mehr. Irgendeine <strong>Linde</strong><br />

hatte einmal verbreitet, daß diese neue Mode aus dem fernen Osten käme, wo es keine<br />

<strong>Linde</strong>n gab, und man hatte da eine Erfindung gemacht, mit Kristallen zu kommunizieren.<br />

Sie wußte nicht recht, ob das nur ein Gerücht war, denn sie konnte keine Kristalle sehen bei<br />

den Menschen. Aber vielleicht war irgendwas dran, denn sie schienen tatsächlich zu<br />

kommunizieren... man sah es an ihren Gesichtsausdrücken. Nun- egal, die Zeiten waren<br />

jedenfalls vorbei, wo man dazu <strong>Linde</strong>n aufsuchte.


Neulich erzählte eine Kusine von ihr eine neue Geschichte, die sich wie ein Lauffeuer im<br />

<strong>Linde</strong>nkreis verbreitete. Es war einer der Geschichten, wie sie die <strong>Linde</strong>n liebten, und alle<br />

freuten sich sehr darüber, und sie erzählten sie sich immer und immer wieder noch einmal,<br />

und raschelten dabei vor Freude mit den Zweigen.<br />

Sie handelte davon, wie ein junges Paar sie aufgesucht hatte. Sie hatten ein neugeborenes<br />

Baby dabei, die junge Frau wiegte es in ihrem Armen. Der Mann suchte die Rinde ab, eine<br />

ganze Weile, bis er es fand. Ein <strong>alte</strong>s Herz, dunkel vernarbt und wirklich nur noch zu sehen<br />

für jemanden, der wußte, was er suchte. "hier ist es", rief er, und dann stand das junge Paar<br />

davor und hielt das Baby in die Höhe" "Schaumal, liebe Omi und Opi, hier ist euer<br />

Ururenkelchen!" sagte die junge Frau, und hatte Tränen in den Augen. Sie hatte als kleines<br />

Kind immer sehr die Geschichte geliebt, die ihr der Urgroßvater von der <strong>alte</strong>n <strong>Linde</strong> erzählt<br />

hatte, und mit großen Augen zugesehen, wie er danach immer die Urgroßmama in die<br />

Arme nahm und liebevoll drückte. <strong>Die</strong> <strong>Linde</strong> war zutiefst gerührt von diesem jungen Paar<br />

und dem kleinen Erdenbürger, und liess eines ihrer Blätter fallen, und es landete auf dem<br />

Herz des kleinen Kindes.<br />

© Claudia Komm 22.08.2016

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