Neue Menschen bereichern unsere Gemeinschaft - Ledder ...
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lewe aktuell<br />
Im Fokus:<br />
Ein Stück Normalität<br />
für Emina Petrovic<br />
Aktuelles:<br />
Was wir tun: Tag der Begegnung<br />
Wachs, aber sicher: unser LUKEO®<br />
Werkstatt gestern: Hermann Höhn<br />
Das Hausmagazin der<br />
Nummer 14 | Ausgabe 4.2012
Im Überblick<br />
Profis zu Gast<br />
Redakteurin und<br />
Fotografin der Fachzeitschrift<br />
Deutsches<br />
Bienen-Journal haben<br />
beim Gießen<br />
der Wachs-Mittelwände<br />
zugeschaut.<br />
Wir waren dabei.<br />
Seite 13<br />
<strong>Menschen</strong> in<br />
der Werkstatt<br />
Susanne Haarz (Betriebsstätte<br />
Dierkes):<br />
was ihr die Arbeit bedeutet<br />
und wie vielfältig<br />
sie in ihrer Freizeit<br />
unterwegs ist.<br />
Seite 19<br />
2<br />
Im Fokus<br />
Seit über einem Jahr ist<br />
Emina Petrovic bei uns.<br />
Wir haben die körperlich<br />
stark eingeschränkte<br />
junge Frau begleitet.<br />
ab Seite 4<br />
MüBo im Trend<br />
Tausende Münsterland-<br />
Botschaften haben <strong>unsere</strong><br />
Beschäftigten seit vergangenem<br />
Jahr gepackt.<br />
Landrat Thomas Kubendorff<br />
hat das MüBo-Team<br />
in Ledde besucht.<br />
Seite 18<br />
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
<strong>Ledder</strong> Werkstätten<br />
des Diakonischen Werkes im<br />
Kirchenkreis Tecklenburg<br />
gemeinnützige GmbH<br />
<strong>Ledder</strong> Dorfstraße 65<br />
49545 Tecklenburg<br />
Telefon 05482 72-0<br />
Fax 05482 72-138<br />
info@ledderwerkstaetten.de<br />
www.ledderwerkstaetten.de<br />
Verantwortlich für den Inhalt:<br />
Ralf Hagemeier<br />
Geschäftsführung<br />
Redaktion und Fotos:<br />
Jörg Birgoleit<br />
Telefon 05482 72-234<br />
j.birgoleit@ledderwerkstaetten.de<br />
Regenbogen-Schule Münster,<br />
Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
Werkstätten für behinderte<br />
<strong>Menschen</strong><br />
Gestaltung:<br />
Melanie Kother<br />
Telefon 05482 72-124<br />
m.kother@ledderwerkstaetten.de<br />
Erscheinungsweise:<br />
vier Ausgaben pro Jahr<br />
Auflage:<br />
2.900 Exemplare<br />
Konto:<br />
Kreissparkasse Steinfurt<br />
Konto 31 000 599<br />
BLZ 403 510 60<br />
Unser Titelfoto zeigt<br />
den Beschäftigten Markus<br />
Weinberg beim Tag der<br />
Begegnung.<br />
Das Editorialfoto zeigt<br />
die Beschäftigte Hertha Ebel<br />
mit Geschäftsführer Ralf<br />
Hagemeier.<br />
lewe aktuell 4.2012
Editorial<br />
<strong>Neue</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>bereichern</strong><br />
<strong>unsere</strong> <strong>Gemeinschaft</strong><br />
Viele Freunde haben, mit ihnen was unternehmen,<br />
shoppen, chatten, einen Filmstar anhimmeln, im<br />
Hier und Jetzt leben, sich nicht dauernd Gedanken<br />
über morgen machen: Junge Leute sind so. Die<br />
probieren Sachen aus, lassen sich nicht mehr alles<br />
sagen, sind dauernd unterwegs. Erwachsen werden<br />
ist bunt, Zickzacklinie und ziemlich spannend.<br />
Bei jungen <strong>Menschen</strong> mit Behinderungen ist das<br />
natürlich genau so. Jedes Jahr kommen sie in<br />
<strong>unsere</strong>n Berufsbildungsbereich. Die Fachleute dort<br />
schauen genau hin: Was bringen sie mit? Wo sind<br />
Fähigkeiten, Neigungen und Talente? Was brauchen<br />
sie an Assistenzen? Wo sind Grenzen? Und was<br />
interessiert sie im Leben?<br />
Emina Petrovic ist eine aufgeweckte junge Frau.<br />
Seit über einem Jahr kommt sie zu uns und fühlt<br />
sich längst sehr wohl. Für sie gibt es eine drastische<br />
Grenze: Die 19-Jährige ist seit einem Unfall<br />
halsabwärts gelähmt, wird künstlich beatmet und<br />
wenn man mit ihr spricht, gibt das Beatmungsgerät<br />
ihren Redetakt vor. Die <strong>Ledder</strong> Werkstätten werden<br />
im Mai 45 Jahre alt. Die fachliche Aufgabe, wie<br />
Emina Petrovic sie stellt, gab es nie zuvor.<br />
Wie geht die junge Frau damit um, in einer Werkstatt<br />
für <strong>Menschen</strong> mit Behinderungen zu sein? Was<br />
bedeutet es für sie, hier zu arbeiten? Was können<br />
wir ihr überhaupt anbieten? Wir haben viele<br />
Gespräche mit ihr geführt, sie zuhause, bei ihrer<br />
Familie, besucht, den Lehrer ihrer Förderschule<br />
interviewt, Fotos geschossen (was ihr großen Spaß<br />
gemacht hat). Und nach all dem stellen wir fest:<br />
Eminas Behinderung ist massiv. Aber auch wenn<br />
sie nicht gehen oder greifen kann, macht sie ihren<br />
eigenen Weg und dabei können wir ihr auf vielerlei<br />
Weise helfen. Wir sind froh, dass sie bei uns ist. Sie<br />
bereichert <strong>unsere</strong> <strong>Gemeinschaft</strong>.<br />
<strong>Gemeinschaft</strong> ist auch das Stichwort, das man<br />
lewe aktuell 4.2012<br />
über <strong>unsere</strong>n 30. „Tag der Begegnung“ schreiben<br />
könnte. Eine Riesen-Mannschaft aus Beschäftigten,<br />
Ehrenamtlichen, tollen jungen Leuten (da sind<br />
sie wieder!) und Mitarbeitern hat <strong>unsere</strong>n Auftrag<br />
„Teilhabe durch Arbeit“ gezeigt. Schauen Sie sich<br />
die Bilder an, sie sprechen für sich.<br />
Lesen Sie von Landrat Thomas Kubendorff, der uns<br />
zum ersten Mal besucht hat. lewe aktuell war dabei,<br />
als das nette Redaktionsteam vom Deutschen<br />
Bienen-Journal unser Mittelwände-Team am<br />
Heckenweg interviewte. Passend zum Jahresende,<br />
wenn man gerne zurückblickt: Wir blättern in der<br />
Werkstattgeschichte, denn Mitbegründer Pfarrer<br />
Hermann Höhn wäre Ende dieses Monats 100 Jahre<br />
alt geworden.<br />
Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich jetzt<br />
eine spannende Lektüre, eine schöne Weihnachtszeit<br />
und ein gesundes, glückliches neues Jahr!<br />
Herzlichst,<br />
Ihr<br />
Ralf Hagemeier<br />
Geschäftsführung<br />
3
Im Fokus<br />
Emina Petrovic: Eine junge Frau<br />
macht sich mit uns auf ihren Weg<br />
Der 15. Mai 1999 war ein schöner Frühlingstag.<br />
Milka Petrovic und ihre Familie steckten in den<br />
Hochzeitsvorbereitungen ihres Cousins. Familie<br />
Petrovic wohnte am Grevener Damm in Emsdetten<br />
und ihre jüngste Tochter Emina spielte mit den anderen<br />
vor dem Haus. Da war dieser Kaugummiautomat<br />
auf der anderen Straßenseite. Große, bunte, süße<br />
Kugeln konnte man daraus ziehen und alle Kinder<br />
liebten sie. Emina war an diesem Tag die letzte, die<br />
über die Umgehungsstraße lief. Ein Auto erfasste das<br />
Mädchen, das gerade sechs Jahre alt geworden war.<br />
Es wurde noch am Unfallort mehrfach reanimiert.<br />
Die Autofahrerin hatte man angehalten.<br />
Der 15. Mai 1999 veränderte Eminas Leben und<br />
das Leben der ganzen Familie rigoros. Sie hatte<br />
einen so genannten hohen Querschnitt, eine<br />
Verletzung des Rückmarks, erlitten, war dadurch<br />
halsabwärts gelähmt und musste fortan künstlich<br />
beatmet werden. Das ist selten in Deutschland und<br />
bedeutet: Emina kann ihren gesamten Körper weder<br />
bewegen oder spüren und auch ihr Kopf muss<br />
fixiert werden. Über einen Luftröhrenschnitt und<br />
eine Trachealkanüle pumpt das Beatmungsgerät<br />
in Sekundenabständen kaum hörbar Luft in ihre<br />
Lungen. Für diese überlebenswichtige Technik, für<br />
alle Handreichungen des Alltags und für die Pflege<br />
hat Emina eine permanente Begleitung. 24 Stunden<br />
an jedem Tag des Jahres.<br />
Der 15. Mai 1999 ist für sie sehr lange her. An<br />
die Zeit als gesundes Kind erinnert sie sich nur in<br />
Bruchstücken. Heute ist Emina 19, legt Wert auf ihr<br />
Äußeres, schminkt sich gerne, liebt neue Klamotten,<br />
Begleiterin Janine Georgi muss den Computer lediglich morgens im Gruppenraum elektrisch anschließen.<br />
Alles andere kann Emina selbst. Das Gerät verfügt über eine Augensteuerung, mit der die junge Frau ihre<br />
Programme kontaktlos nutzen kann. Das beansprucht deutlich mehr Zeit als die manuelle Handhabung.<br />
lewe aktuell .2012
Im Fokus<br />
hat Freunde und himmelt den „Twilight“-Helden<br />
Robert Pattinson ein wenig an. Seit über einem<br />
Jahr kommt sie in die <strong>Ledder</strong> Werkstätten. Ein<br />
besonderer Mensch? Eine große Herausforderung?<br />
Und wie geht sie selbst damit um, in einer Werkstatt<br />
für <strong>Menschen</strong> mit Behinderungen zu sein? lewe<br />
aktuell hat Emina Petrovic in der Werkstatt begleitet,<br />
sie zuhause besucht und in Gesprächen eine ganz<br />
normale, junge Frau kennengelernt.<br />
Rolla Saleh schiebt ihren Rolli an den PC. Es gibt<br />
neue Arbeit. Matthias Mennemann hat den einzigen<br />
Liegend-Arbeitsplatz bei uns und tippt mit dem<br />
Finger einer Hand ebenfalls gerade etwas in seine<br />
Spezialtastatur. Matthias Thesing, Marco Niemeier<br />
und die anderen sind Eminas neue Freunde in der<br />
VS 1. „Verpackung und Service“ heißt: Die jungen<br />
Leute stellen zum Beispiel Kataloge zusammen,<br />
falten Kartons. Die Stimmung hier ist prima, alle<br />
arbeiten gerne zusammen und haben viel Spaß. Sie<br />
treffen sich auf Facebook, besuchen sich manchmal<br />
gegenseitig. Das Maß an körperlicher Behinderung<br />
ist fast durchgehend hoch, kognitiv ist die VS 1 eine<br />
der stärkeren Gruppen.<br />
Unsere Mitarbeiter Jenny Bierwirth und Volker<br />
Tigchelaar sorgen darum für die passenden<br />
Arbeiten. Im Team wird die Woche besprochen;<br />
Kommunikation mit Mundstab, Touchscreen und<br />
Freisprecheinrichtung: Zuhause sind Smartphone<br />
und PC Eminas Verbindung zur „Welt“.<br />
lewe aktuell .2012<br />
Vier Zentner Technik: Ihren Elektrorollstuhl lenkt<br />
Emina mit der Mundsteuerung. Sicher und<br />
routiniert bewegt sie sich in der gesamten<br />
Betriebsstätte Ledde - auch weil alles parterre liegt.<br />
Emina ist normaler Teil der Sitzrunde und genau<br />
das genießt sie: Normalität. Davon gibt es in ihrem<br />
Leben nicht so viel. Ihr Zuhause ist in Lengerich, wo<br />
sie mit ihrer Mutter und drei Geschwistern in einem<br />
Einfamilienhaus lebt. Im Parterre befindet sich das<br />
Pflegebad und in ihrem Zimmer wacht eine Batterie<br />
technischer Gerätschaften über ihren Zustand,<br />
während sie schläft.<br />
Tanja Cramer, Janine Georgi, Celina Lübke und ihre<br />
Mutter Milka teilen sich die Begleitung und Pflege<br />
im Zwölf Stunden-Schichtdienst. Angestellt sind sie<br />
bei der Nachbarschaftlichen Hauskrankenpflege<br />
Bochum. Dort hat Emina dreieinhalb Jahre ohne<br />
Unterbrechung in einer Spezialklinik gelegen und<br />
kehrte – inzwischen neun Jahre alt – mit einem
Im Fokus<br />
Hier sieht man, wie Emina Fotobücher macht. Die Bilder bekommt sie per Mail und legt sie in einen<br />
Ordner. Seite für Seite gestaltet sie dann beispielsweise ein Buch zu einer Bildungsfahrt <strong>unsere</strong>s<br />
Berufsbildungsbereiches. Die hochkonzentrierte Augen-Arbeit ist für sie anstrengend.<br />
Karten spielen? Kein Problem: Emina nennt ihre Wahl.<br />
Begleiterin Tanja Cramer zieht von hinten, ohne<br />
die Karte zu sehen. Meist gewinnt Emina ...<br />
Gewicht von zwölf Kilogramm heim.<br />
Weil Sie nur ein sehr vages Durst- und<br />
Sättigungsgefühl hat, muss alles, was sie zu sich<br />
nimmt, protokolliert werden. Ebenso ihre Medikation<br />
und Beatmung. Die dauernde Abhängigkeit von<br />
Maschinen, keine wirkliche Privatsphäre durch die<br />
Dauerbegleitung, kaum Mobilität – was kann eine<br />
Werkstatt da überhaupt tun?<br />
Es klingt banal, aber für Emina ist es von hoher<br />
Bedeutung: Sie verlässt nun täglich das Haus, um<br />
zur Arbeit zu fahren. Abnabelung vom Elternhaus,<br />
Eintritt in ein neues soziales Umfeld, mit neuen<br />
<strong>Menschen</strong> und Herausforderungen. Was junge<br />
<strong>Menschen</strong> eben in der Regel tun. Dieser Prozess<br />
startete mit einem ersten Gespräch mit <strong>unsere</strong>m<br />
Sozialen Dienst und einem zweiwöchigen<br />
Praktikum. Im September 2011 begann sie bei<br />
<strong>unsere</strong>r Mitarbeiterin Dorothee Krasenbrink im<br />
lewe aktuell .2012
Im Fokus<br />
ZUM THEMA: Augensteuerung<br />
Eminas Computer „MyTobii“ ist von einem<br />
schwedischen Hersteller und ermöglicht<br />
durch seine Augensteuerung, Programme<br />
kontaktlos zu nutzen. Ihr PC hat am<br />
Bildschirmrand zwei Infrarotsender und zwei<br />
Infrarotempfänger. Eminas Augen reflektieren<br />
die permament gesendeten, unsichtbaren<br />
Lichtsignale. Die Steuerung erkennt die<br />
Bewegung ihrer Pupillen und löst den Impuls für<br />
die gewählte Bildschirmtaste aus. Emina trifft ihre<br />
Auswahl dabei durch Verweilen oder Lidschlag.<br />
Das Fotobücher-Projekt aus dem BBB wickelt sie<br />
inzwischen von der Gestaltung bis zur Bestellung<br />
selbstständig ab. Geburtstags- und Telefonlisten<br />
erstellen, Rezepte für die Großküche schreiben,<br />
Texte erfassen, Arbeiten mit Excel oder anderen<br />
Programm sind damit kein Problem. Alles dauert<br />
aber viel länger, weil Emina jeden Buchstaben<br />
und jeden Befehl einzeln und nacheinander<br />
fixieren muss. Normale Büroarbeiten sind<br />
möglich, brauchen jedoch sehr viel Zeit.<br />
Berufsbildungsbereich (BBB). Manuelle Arbeiten<br />
gehen nicht, also bekam Emina den Auftrag,<br />
Fotobücher für den BBB zu gestalten. Sie<br />
brachte dazu ihren Spezial-PC „MyTobii“<br />
mit. Ihr E-Rolli wiege 200 Kilogramm, sagt<br />
sie. Aber wenn sie das Monstrum mittels<br />
fein justierbarer Mundsteuerung routiniert<br />
durch die Werkstattflure steuert, sieht das<br />
ganz leicht aus. Mit dem Mundstab kann<br />
sie ihr Smartphone bedienen. In ihrer<br />
Zeit in der Regenbogenschule in Münster<br />
(siehe Interview), erinnert sie sich, habe<br />
sie damit auch ziemlich gut Xylofon<br />
gespielt. Gerne hätte sie ihre Tochter<br />
auf eine normale Regelschule geschickt,<br />
sagt ihre Mutter. Aber das Maß an Pflege<br />
und Assistenz, lange Fehlzeiten, schnelle<br />
Ermüdung – das hätte den Rahmen<br />
gesprengt und Emina überfordert.<br />
In der Werkstatt ist Emina beliebt, weil sie<br />
gut zuhören kann. In ihrer Gruppe achten<br />
alle gegenseitig auf sich. Die anderen<br />
sagen: „Wenn sie nicht da ist, dann fällt<br />
das richtig auf.“ Emina selbst findet, dass<br />
lewe aktuell 4.2012<br />
sie mit ihrer Behinderung immer besser klar komme.<br />
Früher sei sie beim Gedanken an ihren Unfall fast<br />
in Panik gefallen. Auch die Angst, nicht genug Luft<br />
zu bekommen, sei weniger geworden. Vieles in<br />
ihrem Leben dreht sich um Vertrauen: Emina muss<br />
allen, die ihr helfen, jederzeit und absolut vertrauen<br />
können. Dafür braucht sie ein stabiles Umfeld,<br />
das ihr zugleich Möglichkeiten anbietet, sich zu<br />
entwickeln und neue Dinge zu lernen. Denn das will<br />
sie natürlich.<br />
So ein kleines Novum gab es beim „Tag der<br />
Begegnung“: Da hat sie Kasse gemacht beim klumet-<br />
und LUKEO®-Verkauf, also die Summe bei<br />
mehreren Kartons aufaddiert und das Wechselgeld<br />
errechnet. Begleiterin Janine Georgi übernahm den<br />
manuellen Part. Weihnachtsdisco oder Karneval<br />
bei uns, Kinobesuch in Münster, mit Freunden<br />
zuhause Videos gucken – auch in der Freizeit geht<br />
eine Menge, man muss alles nur ein bisschen mehr<br />
planen.<br />
Dass ihre Behinderung ihr eines Tages große,<br />
vielleicht lebensbedrohliche Probleme bereiten<br />
wird, weiß Emina, aber das ist für sie noch ferne<br />
Zukunft. Jetzt lebt sie ihr zunehmend eigenes,<br />
so weit als möglich selbstständiges Leben. Ein<br />
wichtiger Teil davon ist ihr Arbeitsalltag in den<br />
<strong>Ledder</strong> Werkstätten.<br />
High tech im Schlafzimmer: Mutter Milka und Tanja Cramer<br />
gehören zum vierköpfigen Begleiterinnen-Team.<br />
7
Fünf Fragen an ...<br />
. . . Schulleiter Helmut Hamsen<br />
H elmut Hamsen (58) ist Sonderpädagoge an<br />
der Regenbogenschule in Münster und, wie<br />
er selbst von sich sagt, „gelernter und überzeugter<br />
Sonderschullehrer“. Nach dem Zivildienst an<br />
der LWL-Förderschule (Förderschwerpunkt<br />
körperliche und motorische Entwicklung) und dem<br />
Lehramtsstudium für Grund- und Hauptschule<br />
sattelte er ein viersemestriges Aufbaustudium<br />
der Sonderpädagogik auf und war während<br />
dieser Zeit bereits nebenberuflich als Lehrkraft<br />
an der Schule. Seit 2002 ist der Münsteraner<br />
Leiter der Regenbogenschule.<br />
Frage 1: Herr Hamsen, kurz zu Ihrer Schule: Was<br />
leistet sie? Welche <strong>Menschen</strong> besuchen sie? Gibt es<br />
ähnliche Personen wie Emina Petrovic bei Ihnen?<br />
Die Regenbogenschule Münster, eine LWL-<br />
Förderschule mit dem Schwerpunkt Körperliche<br />
und Motorische Entwicklung, besuchen aktuell<br />
266 Schülerinnen und Schüler, die auf besondere<br />
Förderung angewiesen sind. Neben unterrichtlicher<br />
und erzieherischer Förderung gibt es hier<br />
beispielsweise auch Pflege und Therapie (Physio-<br />
und Ergotherapie, Logopädie) – für Emina und viele<br />
andere enorm wichtig.<br />
Die Regenbogenschule hat sich in ihren<br />
Angeboten stark spezialisiert auf Kinder und<br />
Jugendliche mit hohem Förderbedarf, etwa<br />
komplexe Behinderungen, Kombinationen von<br />
verschiedenen Behinderungen. Eine Schülerin<br />
wie Emina war für uns schon etwas Besonderes,<br />
aber irgendwie sind hier alle ‚besonders‘, haben<br />
sehr eigene Persönlichkeiten, benötigen teils sehr<br />
außergewöhnliche Förderbedingungen. Insofern war<br />
Emina dann wie viele andere. Das so zu erfahren,<br />
war auch gut für sie.<br />
Frage 2: Emina hat die Regenbogenschule seit<br />
2003 besucht. Erinnern Sie sich daran, als sie zu<br />
Ihnen kam? Wie ging es ihr damals?<br />
Ja, ich erinnere mich noch sehr gut an den ersten<br />
Anruf von Eminas Mutter mit der Anfrage, ob<br />
Emina in die Regenbogenschule aufgenommen<br />
werden könne. Dann das erste Telefonat mit<br />
Frau Schunicht, damals Schulleiterin der Ernst-<br />
Klee-Schule in Mettingen. Dort war Emina zu<br />
diesem Zeitpunkt Schülerin. Danach kamen ganz<br />
viele Schriftwechsel mit dem Schulträger, der<br />
Schulaufsicht, da Emina in Lengerich und damit<br />
nicht in <strong>unsere</strong>m Schuleinzugsbereich wohnte und<br />
auch sonst viele Besonderheiten zu regeln waren.<br />
Aber schließlich haben alle zugestimmt: Emina<br />
konnte kommen. Anfangs brauchte sie eine tägliche<br />
Unterrichtszeitverkürzung. Der Unfall lag zwar schon<br />
länger zurück, aber sie war bei weitem noch nicht so<br />
fit und belastbar wie heute. Sie war übrigens auch<br />
noch ein kleines Mädchen. Aber eines mit einem<br />
‚Dickkopf‘.<br />
Frage 3: Bis 2011 war Emina bei Ihnen. Welche<br />
Entwicklung hat sie in dieser Zeit gemacht? Was<br />
haben Sie mit ihr erreichen können? Wo hat ihre<br />
Behinderung klare Grenzen gesetzt?<br />
8 lewe aktuell 4.2012
Fünf Fragen an ...<br />
Nun, die Behinderung setzt klare Grenzen durch<br />
die ganz stark eingeschränkte Motorik. Sie setzt<br />
auch Grenzen in der Belastbarkeit. Emina benötigt<br />
viel an Pflege und pflegerischer Unterstützung. Sie<br />
musste als Zehnjährige viele Dinge neu lernen, die<br />
andere Kinder in der Grundschule lernen. Vor allem<br />
hat Emina lernen müssen, mit der Behinderung<br />
umzugehen, die begrenzten Möglichkeiten<br />
auszuschöpfen. Es ist einfach sehr schwierig für ein<br />
Kind, dann für eine Jugendliche und heute als eine<br />
erwachsene Person, ein selbstbestimmtes Leben<br />
zu führen, wenn gleichzeitig eine hohe Abhängigkeit<br />
von Pflegepersonen und Familienangehörigen<br />
besteht. Um es mal so auszudrücken: Es ist nicht<br />
spaßig und einfach, permanent eine Pflegekraft<br />
‚an der Backe‘ zu haben. Es ist zunächst einmal<br />
eine unglaubliche und für mich eigentlich gar nicht<br />
lewe aktuell 4.2012<br />
‚erfahrbare‘ Einschränkung in der Autonomie. Und<br />
diese Situation ist nicht selbst ausgesucht, sie ist<br />
nicht veränderbar. Es ist eine konstante Bedingung<br />
für das ganze Leben.<br />
Frage 4: Der schwere Unfall mit diesen gravierenden<br />
Folgen geschah Emina mit sechs Jahren. Wie<br />
sehr unterscheidet sich ihr Leben eigentlich vom<br />
Leben „normaler“ junger Leute? Wo funktioniert es<br />
genauso?<br />
Ja, es unterscheidet sich sehr stark. Eine so<br />
hochgradige Querschnittslähmung lässt ein<br />
‚normales‘ Leben gar nicht zu. Es sind enge Grenzen<br />
gesetzt. Es gibt immer wieder akute gesundheitliche<br />
Krisen; es ist einfach sehr anstrengend, mit diesem<br />
Handicap umzugehen. Das ist überhaupt nicht<br />
vergleichbar mit ‚normalen‘ jungen Leuten. Für<br />
Emina ist das aber ihr ‚normales‘ Leben. Sie hat<br />
– das bewundere ich – sich immer wieder psychisch<br />
aufgerappelt, hat sich nicht hängen lassen, eine<br />
unglaubliche Zähigkeit entwickelt. Darin unterscheidet<br />
sie sich überhaupt nicht von anderen jungen Leuten<br />
oder sogar in positiver, vorbildlicher Hinsicht. Ich bin<br />
überzeugt davon, dass sich andere <strong>Menschen</strong> mit<br />
schweren Handicaps, die vielleicht noch in der Reha<br />
sind oder einen Motivationsdurchhänger haben, von<br />
Emina einiges abgucken könnten.<br />
Frage 5: Seit einem Jahr ist Emina in <strong>unsere</strong>m<br />
Berufsbildungsbereich, kommt sehr gerne und<br />
arbeitet inzwischen oft am PC. Stichwort Inklusion:<br />
Ist Werkstatt aus Ihrer Sicht die Zukunft für Emina?<br />
Sehen Sie andere realistische Möglichkeiten für<br />
sie?<br />
Eine Werkstatt halte ich für grundsätzlich richtig.<br />
Und ich weiß ja auch, dass die Werkstätten sehr<br />
unterschiedliche Tätigkeitsbereiche haben oder<br />
sehr individuell welche ‚erfinden‘, Unterstützungs-<br />
und Freizeitangebote organisieren, über die Arbeit<br />
hinaus auch eine Tagesstruktur bieten, soziale<br />
Kontakte ermöglichen, ein Teil des alltäglichen<br />
Lebens darstellen. Ganz sicher bin ich, dass Emina<br />
die sozialen Kontakte, die ihr durch die Werkstatt<br />
zugänglich sind, braucht und nutzt. Und sie kann ihre<br />
Kompetenzen und Fertigkeiten nutzen. Emina wird<br />
auch die Verlässlichkeit der Werkstatt benötigen,<br />
den verstehenden Zuspruch, wenn es eine akute<br />
gesundheitliche Krise geben sollte.<br />
9
Aktuelles<br />
Beschäftigte zeigen, was sie können<br />
und das Publikum schaut genau hin<br />
Noch klarer Profil zeigen, noch praxisorientierter<br />
auftreten, noch mehr von <strong>unsere</strong>m Kerngeschäft<br />
„Teilhabe durch Arbeit“ zeigen – klar definierte Ziele<br />
beim „Tag der Begegnung“ 2012. Wie uns das bei der<br />
30. Auflage gelang? Es war gar nicht so schwierig:<br />
Noch mehr Beschäftigte als in den Vorjahren haben<br />
sich und ihre Arbeit vorgestellt. Nie gab es so viel<br />
„live“ zu sehen in Ledde und das nutzten am 17.<br />
und 18. November tausende Besucherinnen und<br />
Besucher.<br />
Zum Beispiel am exemplarischen Arbeitsplatz von<br />
Markus Weinberg, der mit Akribie und Ausdauer<br />
täglich Kabelbäume konfektioniert. Seit bald<br />
fünf Jahren ist der psychisch behinderte Mann in<br />
<strong>unsere</strong>r Ibbenbürener Betriebsstätte Schnieders<br />
beschäftigt. Beim „Tag der Begegnung“ kam er über<br />
seine Tätigkeit permanent ins Gespräch mit den<br />
Gästen.<br />
Unsere Profis sprechen von angepasster Arbeit,<br />
wenn das Fähigkeitsprofil der Beschäftigten mit<br />
10 lewe aktuell 4.2012
Aktuelles<br />
dem Anforderungsprofil der Arbeit idealerweise<br />
deckungsgleich ist. Simon Averkamp, Siegfried<br />
Müller und Carsten Spieker zum Beispiel stellten<br />
beim „Tag der Begegnung“ im Team Anmachholz<br />
mit ihren neuen hydraulischen Spaltern her. Die<br />
Spalter sind eigene, „passende“ Konstruktionen. Mit<br />
Maschinen konnte zuvor keiner der Männer arbeiten.<br />
Jetzt, im Team, ergänzen sie sich hervorragend in<br />
ihren Teilfähigkeiten.<br />
Oder Angelika Hoof und Igor Eisenkrein, beide<br />
geistig behindert und körperlich stark gehandicapt.<br />
Sie verschweißen täglich mit der richtigen<br />
Assistenz Tütchen für Kleinteile oder helfen bei<br />
der Kerzenherstellung. Beim „Tag der Begegnung“<br />
waren die Zuschauer sichtlich beeindruckt, was<br />
möglich ist mit sinnvoller Assistenz.<br />
Wie man <strong>unsere</strong> Kaminanzünder k-lumet mit<br />
dem Hämmerchen stopft oder eine Mittelwand für<br />
Bienenkörbe gießt, versuchten <strong>unsere</strong> Besucher.<br />
Und bemerkten dabei, was die Beschäftigten täglich<br />
leisten können, wenn man ihre Arbeit nur kleinteilig<br />
gestaltet und individuell anpasst.<br />
lewe aktuell 4.2012<br />
11
Aktuelles<br />
„Werkstätten:Tag“ 2012<br />
bringt viele neue Eindrücke<br />
Prima organisiert und fachlich<br />
auf durchgehend hohem Niveau:<br />
Der „Werkstätten:Tag“ der<br />
B u n d e s a r b e i t s g e m e i n s c h a f t<br />
Werkstätten für behinderte<br />
<strong>Menschen</strong> (BAG:WfbM) vom 26.<br />
bis 28. September in Freiburg<br />
war das nationale Forum der<br />
deutschen Werkstatt-Szene.<br />
Meinungen zu bilden in sozial- und<br />
eingliederungspolitischen Fragen,<br />
Erfahrungen auszutauschen,<br />
hochkarätige Workshops zu nutzen<br />
und nicht zuletzt die <strong>Gemeinschaft</strong><br />
Gleichgesinnter zu erleben – diesem<br />
Anspruch wurde auch der zwölfte<br />
Bundeskongress der BAG-Mitglieder<br />
gerecht.<br />
Die <strong>Ledder</strong> Werkstätten haben<br />
den „Werkstätten:Tag“ mit sechs<br />
Beschäftigten und sechs Mitarbeitern<br />
besucht. Geschäftsführer Ralf<br />
Hagemeier war darüber hinaus an allen Tagen in<br />
seiner Funktion als Vorstandsmitglied der BAG:<br />
WfbM präsent und auch selbst als Referent im<br />
Einsatz.<br />
Der „Werkstätten:Tag“ mit rund 2500<br />
Kongressteilnehmern ist die bundesweit größte<br />
Veranstaltung dieser Art und hat als so genanntes<br />
Zukunftsforum stets auch wegweisenden<br />
12<br />
Unsere Beschäftigten und Mitarbeiter haben<br />
den „Werkstätten:Tag“ mit seinen Angeboten<br />
auf ganz unterschiedliche Weise genutzt.<br />
„Werkstätten:Tag“ 2012: 2500 <strong>Menschen</strong> mit und ohne Behinderungen<br />
haben in Freiburg zugehört, diskutiert und sich informiert. Unser Geschäftsführer<br />
Ralf Hagemeier (Bildmitte) saß am BAG-Podium.<br />
Charakter. Das Thema „Arbeit gestalten – für eine<br />
inklusive Gesellschaft“ zog sich durch Workshops<br />
und Vorträge. Die Werkstattrat-Vertreter Susanne<br />
Hielscher und Michael Otte nutzten mit Mitarbeiterin<br />
und Vertrauensperson Ilka Steinigeweg solche<br />
Fachseminare.<br />
„Ihr könnt das noch besser!“ Die Aufnahme-Session<br />
mit den „Soulsneakers“ sei ganz schön anstrengend<br />
gewesen, berichtet Peter Miltrup. Gemeinsam mit<br />
Gesa Flachmann nahm er am Musik-Workshop<br />
mit den Profis, zum Teil Mitglieder der Band<br />
„Söhne Mannheims“, teil. Rund 35 <strong>Menschen</strong> mit<br />
Behinderungen hätten sich mit Gesang eingebracht,<br />
die Percussion zum Song unterstützt oder an der<br />
Fotoreportage des Tages mitgearbeitet. Am Abend,<br />
bei der Festveranstaltung in der Rathaus Arena der<br />
Freiburger Messe mit 1400 Gästen, brachte die<br />
Gruppe ihr Lied auf die Bühne.<br />
Angenehm aufgefallen ist Marc Rogge das<br />
Miteinander von <strong>Menschen</strong> mit und ohne<br />
Behinderung in Freiburg. Auch in den über 100<br />
angebotenen Workshops habe sich alles bunt<br />
gemischt. Beeindruckt hat nicht nur den LeWe-<br />
Mitarbeiter die Qualität der Vorträge am Podium.<br />
Herausgestochen mit provokanten Statements<br />
sei Dr. Heiner Geißler als Redner, berichtet<br />
Geschäftsführer Ralf Hagemeier.<br />
lewe aktuell 4.2012
Aktuelles<br />
Deutsches Bienen-Journal besucht<br />
die Wachs-Werkstatt am Heckenweg<br />
<strong>Menschen</strong> mit Behinderungen Arbeiten anzubieten,<br />
die ihren Fähigkeitsprofilen entsprechen, sie täglich<br />
fordern und fördern, das ist unser gesetzlicher<br />
Auftrag. Dabei ist es eigentlich sekundär, aber<br />
ein durchaus motivierender Nebeneffekt: Gerade<br />
durch spezielles, bewusst manuelles Arbeitsdesign<br />
besetzen wir erfolgreich wirtschaftliche Nischen.<br />
Bewusst setzen wir dabei auf Qualität, Nachhaltigkeit<br />
und regionale Kreisläufe. Beispiel Mittelwände: Seit<br />
April 2010 fertigen wir diese Bauteile für Bienenkörbe,<br />
aus denen Imker ihren Honig schleudern. Wir haben<br />
Fachleute und Vereine kontaktiert und versprechen<br />
jedem Imker, dass er exakt sein Wachs in Form<br />
goldgelber Mittelwände zurückerhält.<br />
Aus Imkersicht ein Alleinstellungsmerkmal, das<br />
ihm maximale Wachsreinheit gewährleistet. Aus<br />
Werkstattsicht betrachtet: Mittelwände herzustellen<br />
ist eine hochwertige Arbeit, die sich – mit Blick auf<br />
vorhandene Fähigkeiten – in sinnvolle Teilschritte<br />
zergliedern lässt und aktuell bereits vier Personen<br />
beschäftigt.<br />
Auf <strong>unsere</strong>n bundesweiten Service wurde die<br />
Fachpresse aufmerksam: Am 11. Oktober war<br />
das Deutsche Bienen-Journal, Szene-Organ mit<br />
Standort Berlin, in der Betriebsstätte Heckenweg.<br />
Nadine Schmitz, Nicole Jürgensmeier, Wolfgang<br />
Herbig und Patrick Egbert haben sich in die Materie<br />
Nadine Schmitz zeigt, wie die Mittelwände auf das Wunschmaß<br />
des Imkers geschnitten werden. Unsere Mitarbeiter Thorsten Ihlo<br />
(2. von links) und Frank Altevogt geben Hintergrundinfos.<br />
lewe aktuell 4.2012<br />
Patrick Egbert filtert gerade sorgfältig das geschmolzene<br />
Wachs. Redakteurin Xandia Stampe und Fotografin<br />
Sabine Rübensaat fangen O-Töne und Bilder ein.<br />
eingefuchst. Begleitet von <strong>unsere</strong>m Mitarbeiter<br />
Thorsten Ihlo, leisten sie inzwischen alle Arbeiten.<br />
Das Wachs kommt als Paket, muss geschmolzen,<br />
in seine Form gegossen, auf das Wunschmaß<br />
geschnitten und versandfertig gemacht werden.<br />
Längst gibt es persönliche Kontakte zu heimischen<br />
Imkern, wo sich das Produkt dann<br />
ganz direkt erschließt.<br />
Die Redakteurin Xandia Stampe<br />
und ihre Fotografin, Sabine<br />
Rübensaat, nahmen sich die nötige<br />
Zeit und waren erstaunt angesichts<br />
der Mengen: Über eine Tonne<br />
Wachs sind seit Jahresbeginn<br />
verarbeitet worden und 130 Imker<br />
im aktuellen Kundenbestand.<br />
Fünf Gießformen, die selbst<br />
konstruierte Schneidemaschine<br />
für alle gewünschten Maße und<br />
allerlei Zubehör haben eine<br />
kleine Wachswerkstatt entstehen<br />
lassen. Alle Fragen konnten<br />
die Beschäftigten ihren Gästen<br />
detailliert beantworten, denn<br />
Mittelwände sind „ihr“ Produkt.<br />
Das Bienen-Journal plant<br />
nun eine Doppelseite für eine<br />
Winterausgabe.<br />
13
Aktuelles<br />
Kultur für Genießer: schöne<br />
Konzertmatinee des Fördervereins<br />
Kurzweilig, amüsant, niveauvoll: „Miss Coulisse“<br />
hatte „Wohnen-Arbeiten-Leben“ am 28. Oktober<br />
in die Lengericher Akademie Talaue eingeladen.<br />
Einmal im Jahr bittet unser Förderverein im Namen<br />
von <strong>Menschen</strong> mit Behinderungen zu seiner<br />
kulinarischen Konzertmatinee; das Publikum<br />
weiß die Verbindung von hochklassiger Musik<br />
und ausgewähltem Büfett zu schätzen. Rund<br />
100 Zuhörerinnen und Zuhörer ließen sich im<br />
ausverkauften Saal zu einer Reise in die Welt der<br />
imposanten Blechblasinstrumente bitten. Denn<br />
„Miss Coulisse“ sind vier Posaunistinnen, die ihr<br />
Instrument professionell beherrschen.<br />
Reinhard Paul als Vereinsvorsitzender begrüßte<br />
die Gäste und teilte erfreut mit, dass aktuell weitere<br />
vier Mitglieder beigetreten seien – womit die 200er<br />
Marke fast erreicht sei. Über ihn gibt es auch gute<br />
Kontakte zu „Miss Coulisse“: Tenorposaunistin Katrin<br />
Schmitz ist musikalisch „groß“ geworden in der<br />
evangelischen Ibbenbürener Christus-Gemeinde.<br />
Reinhard Paul, heute Pfarrer im Ruhestand, hatte<br />
sie einst getauft, später konfirmiert und vor einiger<br />
Zeit in Hamburg getraut.<br />
Tenorposaunen bedienen auch Inga Kjer und<br />
(vertretungsweise) die Norwegerin Silje Haukeland,<br />
während Britta Nolte mit der Bassposaune das<br />
tiefgründige Fundament fürs Repertoire legt.<br />
Das kam herrlich vielseitig bei <strong>unsere</strong>m beliebten<br />
Posaunenmusik vom Feinsten und ein buntes Büfett: Beschäftigte,<br />
Angehörige und viele weitere Gäste erlebten eine schöne<br />
Konzertmatinee des LeWe-Fördervereins „Wohnen-Arbeiten-Leben“.<br />
14<br />
Silje Haukeland, Inga Kjer, Katrin Schmitz und<br />
Britta Nolte (von links) sind „Miss Coulisse“. Das<br />
Quartett begeisterte bei der Konzertmatinee.<br />
Benefizkonzert daher: Die Damen begannen klassisch<br />
mit Haydn, führten mit wohl dosierten Häppchen<br />
durch Mozarts letzte Oper, „Die Zauberflöte“, und<br />
setzten als ersten phongewaltigen Höhepunkt das<br />
furiose Finale aus Rossinis Ouvertüre zu „Wilhelm<br />
Tell“. Vor der Pause gab es noch Popklassiker der<br />
Beatles.<br />
Bernsteins „Westside Story“ mit<br />
ihren Romeo und Julia-Motiven<br />
servierte „Miss Coulisse“ dann<br />
sozusagen zum Dessert. „Pink<br />
Panther“ durfte nicht fehlen,<br />
wenn solche toll besetzten<br />
Posaunen da waren. Topaktuell<br />
– mit Blick auf den Filmstart für<br />
„Skyfall“ im November – gab es<br />
ein James Bond-Medley.<br />
Mit dem Reinerlös kann<br />
„Wohnen-Arbeiten-Leben“<br />
wieder <strong>Menschen</strong> mit<br />
Behinderungen an vielen Stellen<br />
wertvolle Unterstützung in ihrem<br />
Lebensalltag geben. Auch viele<br />
Beschäftigte haben das Konzert<br />
genossen, weshalb den vier<br />
sympathischen Musikerinnen<br />
ein herzliches Dankeschön gilt.<br />
lewe aktuell 4.2012
Aktuelles<br />
Anzünder LUKEO® bringt neue,<br />
vielfältige Arbeit – ganz sicher<br />
Stefan Heitkamp und Martin Hantke arbeiten<br />
konzentriert. Manfred Maag hat sich heute krank<br />
gemeldet, aber auch zu zweit geht es gut voran.<br />
Unsere Haustechnik hat ein Schienensystem an<br />
der Decke installiert, entlang dessen die beiden<br />
Beschäftigten gerade den eingehakten Gitterkorb<br />
mit 150 LUKEO®s schieben. LUKEO® heißt unser<br />
Kaminanzünder, den wir seit anderthalb Jahren<br />
in der Ibbenbürener Betriebsstätte Gausepohl<br />
herstellen.<br />
Jetzt ist der Gitterkorb auf Position. Stefan Heitkamp<br />
schiebt die wärmeisolierte Abdeckplatte des<br />
Wachskessels über ein spezielles Rollensystem zur<br />
Seite und lässt den Korb mittels „Balancer“ vorsichtig<br />
ins 90 Grad heiße Wachs ab. Der „Balancer“ ist auf<br />
sein Gewicht austariert, niemand muss mehr den<br />
19 Kilo schweren Korb heben. Nach dem Tauchen<br />
wandert die Charge mit dem Elektroflaschenzug<br />
zum Abtropf- und Wendebereich, wo die Holzpellets-<br />
Säckchen die in vielen Versuchen exakt ermittelte<br />
Wachsmenge behalten.<br />
Weiter geht´s entlang des Schienensystems zum<br />
Entnehmen, Formen und Abpacken. Dieser Werktisch<br />
ist höher, die Männer arbeiten aufrecht und stehen<br />
auf speziellen Gummimatten, die Trittsicherheit<br />
geben und die Kälte des Betonbodens abhalten.<br />
Beide tragen ihre persönliche Schutzausrüstung:<br />
Schutzbrillen, Spezialhandschuhe und Kittel;<br />
am Wachskessel sind Warnhinweise installiert.<br />
Auf der Infotafel am Eingang unser „Arbeits-<br />
Check“: Beschäftigte und Mitarbeiter haben das<br />
Produkt und seine Herstellung besprochen, nach<br />
verschiedenen Kriterien beurteilt, die richtigen<br />
Sicherheitsmaßnahmen daraus entwickelt und<br />
nutzen diese Standards jetzt täglich bei der<br />
Herstellung. Dabei hat sie <strong>unsere</strong> Fachkraft für<br />
Arbeitssicherheit, Detlef Leferink, unterstützt.<br />
Es riecht angenehm nach Wachs, als Mitarbeiter<br />
Joachim Walter hereinschaut. Die „Powerpellets“<br />
liefere eine Saerbecker Firma, die Jute komme<br />
aus Emsdetten und das Wachs sei ausschließlich<br />
gespendet. Ein nachhaltiges, regionales Produkt<br />
also, das uns viel kleinteilige, rein manuelle Arbeit<br />
bringt. Denn bevor Stefan Heitkamp und Martin<br />
Hantke den LUKEO® tauchen, hat er schon zehn<br />
Stationen im Herstellungsprozess durchlaufen.<br />
Die (sicherheitstechnische) Optimierung dieser<br />
Arbeitsabläufe spielt dabei eine kontinuierliche<br />
Rolle.<br />
lewe aktuell 4.2012<br />
Stefan Heitkamp taucht den Gitterkorb, der am<br />
„Balancer“ hängt. Mit dem Gerät lässt sich der 19<br />
Kilo schwere Korb kinderleicht weiterbewegen.<br />
Schutzbrille, Handschuhe, Kittel und eine leicht<br />
bewegliche Kesselabdeckung: Sicherheit hat bei<br />
90 Grad heißem Wachs oberste Priorität.<br />
Martin Hantke (links) macht die Abschlusskontrolle.<br />
An der Decke sieht man hier das neue Schienensystem<br />
für den Transport des Gitterkorbes.<br />
15
Aktuelles<br />
Wie alles begann: eine alte Volksschule,<br />
eine brandneue Vision und Pfarrer Höhn<br />
16<br />
Kaufmann, Diakon,<br />
Pfarrer: Herrmann<br />
Höhn, einer der<br />
Werkstattgründer.<br />
Vielleicht war es eine<br />
glückliche Fügung,<br />
vielleicht war die Zeit<br />
einfach reif und die<br />
Konstellation gerade<br />
richtig. Fest steht,<br />
dass es die <strong>Ledder</strong><br />
Werkstätten jedenfalls<br />
nicht in Ledde gäbe,<br />
hätten 1968 nicht einige<br />
<strong>Menschen</strong> an<br />
den richtigen Stellen<br />
gewirkt. Einer von<br />
ihnen war Hermann<br />
Höhn, von 1958 bis<br />
1978 Pfarrer in Ledde.<br />
Daneben sind ganz<br />
sicher Doris Jahnke<br />
oder Alfons Probst von<br />
der Lebenshilfe, Ober-<br />
amtmann und Kirchenrendant Horst Wermeyer oder<br />
Sozialarbeiterin Marianne Ellermann vom damaligen<br />
Kreis Tecklenburg zu nennen. Im Fokus an dieser<br />
Stelle soll Hermann Höhn stehen, denn am 27. Dezember<br />
wäre er 100 Jahre alt geworden.<br />
Gelernter Speditionskaufmann, Diakon, Pfarrer. Aus<br />
Ladbergen kam er 1958 in die noch selbstständige<br />
Gemeinde Ledde und gründete sofort den Posaunenchor.<br />
1962 wurde das Gemeindehaus gebaut,<br />
später die Dorfkirche renoviert. Krönender Abschluss:<br />
die Anschaffung einer neuen Orgel 1969.<br />
Hans-Martin Lagemann, Hermann Höhn und Kurt Habermann<br />
(1980 bis 1984 Aufsichtsratsvorsitzender, von links) bei der<br />
Einweihung des neu aufgebauten Fachwerkhauses in Ledde.<br />
Ab diesem Jahr fand auch die Vorabendmesse von<br />
St. Michael Tecklenburg in Ledde statt – damals ein<br />
außenwirksamer Schritt auf dem noch holprigen<br />
Weg der Ökumene.<br />
Seit Mitte der 1960er Jahre entstanden in Deutschland<br />
so genannte Beschützende Werkstätten.<br />
Nach dem Grauen des Nationalsozialismus und<br />
einer Nachkriegszeit, in der <strong>Menschen</strong> mit Behinderungen<br />
häufig versteckt wurden, eine bahnbrechende<br />
Entwicklung. Maßgeblicher Motor war die<br />
„Lebenshilfe“ des gebürtigen Niederländers Dr. Tom<br />
Mutters. Die Selbsthilfevereinigung, heute Eltern-,<br />
Fach- und Trägerverband für <strong>Menschen</strong> mit geistiger<br />
Behinderung und ihre Familien, wurde 1958 auf<br />
Bundesebene von Eltern und Fachleuten gegründet.<br />
Im Tecklenburger Land gehörten Alfons Probst,<br />
damals Sozialarbeiter beim Kreis Tecklenburg, und<br />
die Erzieherin Doris Jahnke, die in der Tagesbildungsstätte<br />
in Lengerich-Ringel für junge geistig<br />
behinderte <strong>Menschen</strong> arbeitete, zu diesen Fachleuten.<br />
Alfons Probst, Vater eines behinderten Sohnes<br />
und ehrenamtlicher Geschäftsführer der Lebenshilfe,<br />
und Hermann Höhn kannten sich von früher.<br />
Neben seinem neuen Amt in Ledde kümmerte sich<br />
Hermann Höhn weiter um seine Arbeit als Diakon<br />
in den Volmarsteiner Anstalten und hatte dort regelmäßig<br />
Kontakt zu <strong>Menschen</strong> mit Behinderungen.<br />
Dorthin fuhr er häufig mit Konfirmandengruppen.<br />
Vom <strong>Ledder</strong> Pfarrhaus aus blickte der Theologe<br />
auf die leer stehende ehemalige Volksschule gegenüber<br />
und schlug Alfons Probst diesen Werkstatt-Standort<br />
vor. Zu dieser Zeit war<br />
Hermann Höhn auch für die Innere<br />
Mission, heute Diakonie, mit Seelsorgeauftrag<br />
für gehörlose <strong>Menschen</strong><br />
im Kreis Tecklenburg zuständig. Als<br />
praktisch denkender Mann, der Verbindungen<br />
zu nutzen wusste, setzte<br />
er Ledde – zentral im Altkreis liegend<br />
– durch. Denn inzwischen platzte zum<br />
Beispiel die Sonderschule Ringel aus<br />
allen Nähten. Eine neue Generation<br />
junger <strong>Menschen</strong> mit Behinderung<br />
war nach der schrecklichen NS-Zeit<br />
herangewachsen und damit die Zeit<br />
reif für etwas <strong>Neue</strong>s, eine Beschützende<br />
Werkstatt.<br />
Im Februar 1968 habe er einen Anruf<br />
von Pfarrer Höhn bekommen, erinnert<br />
lewe aktuell 4.2012
Aktuelles<br />
Geboren wurde Hermann Höhn in Hagen-<br />
Haspe. Sein Vater, ein Schreiner, fiel<br />
im Ersten Weltkrieg. Nach der Lehre als<br />
Speditionskaufmann begann er 1934 eine<br />
Ausbildung zum Diakon im Martineum, das einige<br />
Jahre zuvor in die damaligen „Orthopädischen<br />
Anstalten Volmarstein“ umgezogen war.<br />
Dort hatte der junge Mann vermutlich auch<br />
erste intensivere Kontakte zu <strong>Menschen</strong> mit<br />
Behinderungen.<br />
1937 holte Hermann Höhn das Abitur nach<br />
und begann das Theologiestudium am<br />
Auslandsseminar der Bekennenden Kirche<br />
in Ilsenburg, das allerdings ein Jahr später<br />
zwangsweise geschlossen wurde. Den<br />
Krieg erlebte Hermann Höhn als Soldat in<br />
Frankreich und Russland und wurde nach einer<br />
Verwundung ausgemustert. Seine Zeit in US-<br />
Kriegsgefangenschaft in Frankreich konnte<br />
er zur Fortsetzung seines Theologiestudiums<br />
nutzen.<br />
Nach dem Krieg war er zunächst Gemeindediakon<br />
in Neubeckum, ab 1953 in Ladbergen, von wo er<br />
sein Studium abschloss. 1958 kamen Hermann<br />
Höhn und seine Frau Margarete mit ihren vier<br />
Kindern nach Ledde. Gehörlosenseelsorge im<br />
Kirchenkreis, der weiter enge Kontakt zu den<br />
Volmarsteiner Anstalten, <strong>Ledder</strong> Werkstätten:<br />
<strong>Menschen</strong> mit Behinderungen kamen vielfach in<br />
seiner Vita vor.<br />
sich Hans-Martin Lagemann. In Amelsbüren war<br />
der spätere LeWe-Geschäftsführer damals Diakon.<br />
Beide Männer hatten sich während ihrer Diakonenausbildung<br />
in Volmarstein kennengelernt. Hans-<br />
Martin Lagemann rief Hermann Höhn nach einer<br />
Woche Bedenkzeit zurück, wollte eigentlich absagen<br />
– doch ließ sich vom Pfarrer überzeugen mit<br />
den Worten: „Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er<br />
auch die Kraft dazu!“<br />
70 <strong>Menschen</strong> mit Behinderungen kamen laut einer<br />
Liste des Kreises für eine Werkstatt infrage. Am 2.<br />
Mai 1968 begann der damals 28-jährige Lagemann<br />
mit sechs Beschäftigten in der ehemaligen Volksschule,<br />
wo bis heute Gruppenräume sind. Es gab<br />
Rückschläge wie den ersten Elternabend, bei dem<br />
der Vertreter des Landschaftsverbandes, Hermann<br />
lewe aktuell 4.2012<br />
Höhn und Hans-Martin Lagemann allein blieben,<br />
aber auch erste Erfolge wie den Großauftrag des<br />
Süßwarenfabrikanten Heemann aus Ladbergen:<br />
Fünf Tonnen Bonbons waren zu zehnt in Tütchen<br />
abzupacken. Pfarrer Höhn habe diese Anfänge<br />
natürlich begleitet, sich aber nicht zu sehr ins Tagesgeschäft<br />
eingemischt, erinnert sich Hans-Martin<br />
Lagemann. Hermann Höhn wurde Vorsitzender<br />
des im Dezember 1971 konstituierten „Kuratoriums<br />
der Werkstatt für Behinderte Ledde“ und war nach<br />
seiner Pensionierung 1978 noch lange Mitglied des<br />
Aufsichtsrates. Seine Söhne Wilhelm und Hermann<br />
wurden Mitarbeiter der <strong>Ledder</strong> Werkstätten.<br />
Wie kam es aber zu dem Namen „<strong>Ledder</strong> Werkstätten“?<br />
Noch vor dem Mai 1968 wurden bereits bestehende<br />
Werkstätten besucht, so auch die Praunheimer<br />
Werkstätten bei Frankfurt. Aus der Ferne winkte<br />
schon die Gebietsreform und damit der Abschied<br />
von der Selbstständigkeit Leddes. Hermann Höhn<br />
schlug Leddes Bürgermeister Günter Sundermann<br />
darum den schlichten Namen „<strong>Ledder</strong> Werkstätten“<br />
vor; so würde der Ortsname in der neuen Einrichtung<br />
fortexistieren. Dass die spätere Stadt Tecklenburg<br />
einmal maßgeblich durch diesen Namen bekannt<br />
werden würde, konnte damals niemand ahnen.<br />
Seinen Ruhestand verbrachte der passionierte<br />
Schwimmer und treue Blutspender mit seiner Frau<br />
Margarete im neu gebauten Haus am Steinkamp in<br />
Tecklenburg. Im Alter von 84 Jahren starb der Mitbegründer<br />
<strong>unsere</strong>r Einrichtung am 22. Oktober 1997.<br />
Pfarrer Höhn hatte künstlerisches Talent. Seine<br />
Zeichnung zeigt die ehemalige Volksschule,<br />
räumlicher Ursprung der <strong>Ledder</strong> Werkstätten.<br />
17
Aktuelles<br />
Landrat Kubendorff besucht<br />
das „MüBo“-Team in Ledde<br />
Thomas Kubendorff war beeindruckt. Am<br />
15. November hat uns der Landrat des<br />
Kreises Steinfurt besucht. Hauptgrund:<br />
Wir sind der Logistik-Partner des Kreises<br />
für die „Münsterland Botschaft“. Über<br />
4500 dieser regionalen Präsentkisten<br />
sind seit dem offiziellen Start im Mai<br />
2011 verkauft worden. Inzwischen gibt<br />
es 15 Verkaufsstellen und 25 Lieferanten<br />
„um die Ecke“. Und über ein Dutzend<br />
Beschäftigte, die das Produkt aktuell bei<br />
uns konfektionieren. Die „MüBo“ etabliert<br />
sich. Privatkunden, Firmen und Banken<br />
verschicken sie gerade hundertfach als<br />
Weihnachtsgruß.<br />
Den Großteil der Logistik – von der<br />
Materialverwaltung bis zum Versand<br />
– wickeln wir ab. Übers ganze Jahr und<br />
besonders jetzt, zur Weihnachtssaison,<br />
packen Beschäftigte mit viel Sorgfalt die<br />
aktuell zehn unterschiedlich befüllten<br />
Boxen.<br />
Im Ursprung initiiert hatte dieses Projekt das Agenda<br />
21-Büro des Kreises. Der Landrat weiß die positiv<br />
besetzte „MüBo“ zu schätzen und besuchte unser<br />
Team.<br />
Anderthalb Stunden Zeit nahm er sich Zeit und<br />
schaute zunächst in <strong>unsere</strong>n Arbeitsbereich für<br />
schwerst- und mehrfachbehinderte <strong>Menschen</strong>,<br />
Landrat Kubendorff (links) mit Mitarbeitern und dem Mübo-Team,<br />
das in der Vorweihnachtszeit viel zu tun hat. Zehn unterschiedliche<br />
regionale Präsentkisten werden inzwischen angeboten.<br />
18<br />
Im <strong>Ledder</strong> Arbeitsbereich für schwerst- und mehrfachbehinderte<br />
<strong>Menschen</strong> informierte Mitarbeiterin Insa<br />
Plassonke (2. von rechts) die Gäste aus Steinfurt.<br />
die zwar nicht bei der „MüBo“ helfen, aber täglich<br />
in ihrem Rahmen verschiedene Arbeiten leisten.<br />
Rudolf Schönrock, Geschäftsleitung der Werkstatt<br />
für geistig behinderte <strong>Menschen</strong>, und <strong>unsere</strong><br />
Mitarbeiterinnen führten den Landrat anschließend<br />
durch den „MüBo“-Bereich. Im Startjahr 2011 hatten<br />
<strong>unsere</strong> Beschäftigten über 2100 Boxen gepackt, die<br />
aktuellen Zahlen liegen auf gleichem Niveau.<br />
Die „Münsterland-Botschaft“ sei<br />
„Markenzeichen“ des Kreises<br />
geworden, so Thomas Kubendorff. Zu<br />
bedenken sei, so Rudolf Schönrock,<br />
dass das Projekt im Hintergrund<br />
eine Menge an Personalressourcen<br />
binde. Auftragsverwaltung, Einkauf,<br />
Versand- und Rechnungswesen<br />
lägen bei der LeWe-Verwaltung.<br />
Rudolf Schönrock: „Wir sind da<br />
jetzt im Grenzbereich. Wir müssen<br />
1200 <strong>Menschen</strong> täglich mit Arbeit<br />
versorgen.“<br />
Vereinbart wurde, das Projekt<br />
zunächst gemeinsam fortzusetzen<br />
und Erfahrungen auszutauschen.<br />
Jetzt läuft das Weihnachtsgeschäft<br />
und mit dem „Weihnachtsgruß“<br />
und „Winterzauber“ gibt es wieder<br />
zwei spezielle Kisten mit schönen,<br />
regionalen Produkten zum Fest.<br />
lewe aktuell 4.2012
<strong>Menschen</strong> in der Werkstatt<br />
Susanne Haarz: gute Arbeit, gute<br />
Kollegen und eine gute Zeit daheim<br />
„Wer kocht, braucht nicht zu spülen!“ Wenn Susanne<br />
Haarz aus ihrem Privatleben erzählt, schwingt<br />
Begeisterung für ihre Hobbys mit. Zum Beispiel fürs<br />
Kochen. Seit 1998 ist sie im Bereich für <strong>Menschen</strong><br />
mit psychischen Behinderungen beschäftigt.<br />
Sie und ihr Mann, Edgar Schneider, haben eine<br />
gemeinsame, private Wohnung in Greven und<br />
werden durch das Ambulant Betreute Wohnen des<br />
Caritas in Greven unterstützt. Gerade freuen sich<br />
beide riesig auf die neue Einbauküche, die Anfang<br />
Dezember geliefert werden soll.<br />
Darin möchte sie ihrem Edgar Rinderrouladen oder<br />
Schweinebraten mit selbstgemachtem<br />
Rotkohl zubereiten. Dafür müsse der<br />
aber auch spülen. Edgar Schneider hat<br />
ebenfalls eine psychische Behinderung<br />
und ist in <strong>unsere</strong>r Betriebsstätte Kipp<br />
in Lengerich beschäftigt. Die beiden<br />
ergänzen sich gut.<br />
Susanne Haarz wurde schwerhörig<br />
in Krefeld geboren und in Osnabrück<br />
groß. Normaler Schulbesuch,<br />
normale Berufsausbildung, das ging<br />
nicht. Stattdessen besuchte sie die<br />
Gehörlosenschule und erlernte hier<br />
von klein auf die Gebährdensprache.<br />
Nach dem Hauptschulabschluss<br />
machte sie bei der IHK in Nürnberg<br />
eine Ausbildung zur Bürokraft. Weg<br />
von zuhause, zusammen mit anderen<br />
Gehörlosen, jeden Tag konfrontiert<br />
mit ihrer Behinderung. 1988 war die<br />
Ausbildung vorbei, drei quälende Jahre<br />
der Arbeitslosigkeit folgten. In einem<br />
Büro hat sie nie gearbeitet. Von 1991<br />
bis 1996 fand sie (Fließband-) Arbeit in<br />
einer Gummifabrik in Melle. In diesem<br />
Zeitraum entwickelte sie eine Depression, die zwei<br />
lange stationäre Klinikaufenthalte zur Folge hatte.<br />
Daraufhin war sie für den ersten Arbeitsmarkt<br />
nicht mehr vermittelbar. Den Tipp, sich an die<br />
<strong>Ledder</strong> Werkstätten zu wenden, habe sie von einer<br />
Sozialarbeiterin in Osnabrück bekommen.<br />
Warum Ledde? „Weil hier viele Gehörlose sind“,<br />
sagt Susanne Haarz mit ihrer etwas verwaschenen,<br />
aber durchaus verständlichen Sprache. Wenn man<br />
mit ihr von Angesicht zu Angesicht spricht, liest<br />
sie perfekt von den Lippen ab und unterstützt die<br />
Unterhaltung mit Gebärden.<br />
lewe aktuell 4.2012<br />
1998 begann sie in der Betriebsstätte Gausepohl,<br />
arbeitete dort lange in der Druckerei, wechselte<br />
dann in die Elektromontage der Betriebsstätte<br />
Schweer. Im Anschluss hieran arbeitete sie in der<br />
Betriebsstätte Zwenger in der Verpackung und<br />
Montage von Sanitärartikeln.<br />
Nach einem erneut notwendig gewordenen<br />
Klinikaufenthalt bietet ihr aktuell die Betriebsstätte<br />
Dierkes, mit nur 25 Beschäftigten, den für sie<br />
kleineren und geschützteren Rahmen. Die<br />
regelmäßige Arbeit, der gute Kontakt zu ihre<br />
Kollegen, das macht ihr Spaß und gibt ihr Stabilität.<br />
Susanne Haarz an ihrem neuen Arbeitsplatz bei Dierkes in<br />
Ibbenbüren. Die Grevenerin kommt immer mit dem Bus und<br />
muss täglich gleich mehrere Male umsteigen.<br />
Ein Mal monatlich trifft sie sich mit neun weiteren<br />
hörgeschädigten Beschäftigten im Rahmen einer<br />
Begleitenden Maßnahme, der „Gehörlosengruppe“.<br />
Dann wird viel (mit den Händen) geredet oder etwas<br />
Schönes unternommen.<br />
In den <strong>Ledder</strong> Werkstätten zu arbeiten, bedeutet<br />
einigen logistischen Aufwand für sie: 5.30 Uhr<br />
aufstehen und auf der Hinfahrt zwei Mal den Bus<br />
wechseln. Nachmittags steigt sie sogar drei Mal um.<br />
Stricken, schöne Dinge zum Fest basteln, kleine<br />
Gedichte schreiben: In ihrer Freizeit ist Susanne<br />
Haarz sehr kreativ.<br />
19
Bioenergiepark Saerbeck entwickelt<br />
sich – <strong>Ledder</strong> Werkstätten sind dabei<br />
„Ich freue mich, dass Sie dabei sind!“ Zum<br />
ersten Spatenstich für die insgesamt sieben<br />
Windkraftanlagen im Bioenergiepark Saerbeck<br />
begrüßte Saerbecks Bürgermeister, Wilfried Roos,<br />
am 9. Oktober neben Landesumweltminister<br />
Johannes Remmel, Landrat Thomas Kubendorff und<br />
vielen weiteren Gästen die <strong>Ledder</strong> Werkstätten als<br />
Partner des Parks. Auf dem 90 Hektar großen Areal,<br />
ein ehemaliges Munitionsdepot der Bundeswehr,<br />
wird (zukünftig) auf vielfältige Weise regenerative<br />
Energie produziert. Es gibt dort viele Grünflächen,<br />
ein umfangreiches Wege- und Straßensystem und<br />
eine über fünf Kilometer lange Einzäunung. Wir<br />
bieten – zunächst im Auftrag der Gemeinde – Pflege<br />
an. Seit Juni schneiden 20 Beschäftigte, begleitet<br />
von zwei Mitarbeitern, die Zaunanlage frei, mähen<br />
Freiflächen, kehren Wege und Straßen und leisten<br />
den Grünschnitt. Unser Team ist permanent vor<br />
Ort und kann auf Anfragen, auch sich ansiedelnder<br />
Unternehmen, reagieren. Auf der anderen Seite<br />
erwerben die Beschäftigten neue Qualifikationen.<br />
Sie erlernen den Umgang mit Geräten und<br />
Maschinen, sind selbstständig in kleinen Teams<br />
unterwegs, können sich entsprechend organisieren.<br />
Und sie haben täglich Teil an der Entwicklung des<br />
Bioenergieparks.<br />
Erster Spatenstich im Bioenergiepark mit Landesminister<br />
Remmel (2. von links). Die LeWe vertraten Horst Dölling<br />
(Kaufmännischer Leiter, r.) und Rudolf Schönrock (Ge-<br />
schäftsleitung Werkstatt für geistig behinderte <strong>Menschen</strong>).<br />
Letzte Meldung<br />
Agentur für Arbeit: Düsseldorferinnen im BBB<br />
Dagmar Lorré-Krupp und Elisabeth Czymoch<br />
von der Bundesagentur für Arbeit waren am 20.<br />
November zu Gast in Ledde. Die Mitarbeiterinnen<br />
der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen sind<br />
Fachleute bei der Anerkennung von Werkstätten.<br />
Aktuell geht es um <strong>unsere</strong>n Berufsbildungsbereich,<br />
der nächstes Jahr in eine eigene Immobilie nach<br />
Ladbergen umziehen soll. Die Gäste nahmen<br />
einen guten Eindruck aus <strong>unsere</strong>m BBB mit.<br />
Ralf Hagemeier: BAG-Vorstand, Kronenkreuz<br />
Am 30. November ist LeWe-Geschäftsführer<br />
Ralf Hagemeier von der 78-köpfigen Dele-<br />
giertenversammlung der Bundesarbeitsgemein-<br />
schaft Werkstätten für behinderten <strong>Menschen</strong><br />
(BAG) in Dresden für weitere vier Jahre in den<br />
Vorstand gewählt worden. Martin Berg löst Günter<br />
Mosen als Vorstandsvorsitzenden ab, der nach<br />
zwölf Jahren im Amt nicht wieder kandidierte. Ralf<br />
Hagemeier engagiert sich seit 1996 ehrenamtlich<br />
im BAG-Präsidium. Schöne Auszeichnung für<br />
<strong>unsere</strong>n Geschäftsführer: Am 7. Dezember<br />
hat ihm Hans Werner Schneider, LeWe-<br />
Aufsichtsratsvorsitzender und Superintendent<br />
i.R., das Goldene Kronenkreuz der Diakonie<br />
für 25 Jahre im Dienst der Diakonie verliehen.<br />
LeWe-Geschäftsführer ist der 56-Jährige seit<br />
Januar 2001. Zuvor war der Diplom-Volkswirt<br />
beim Evangelischen Johannes-Werk in Bielefeld,<br />
sammelte von 1989 bis 1993 Leitungserfahrung<br />
bei den Altenbochumer Werkstätten und ging<br />
dann als Finanzreferent zum Diakonischen Werk<br />
Westfalen (Münster).<br />
20 lewe aktuell 4.2012