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LOKALES<br />
Wie<br />
durch<br />
trübes<br />
Glas<br />
Die Zollhausboys: Syrische<br />
Flüchtlinge erarbeiten mit Pago<br />
Balke und Gerhard Stengert ein<br />
Bühnenprogramm<br />
Foto: FR<br />
24<br />
Die Zollhausboys – hinter diesem<br />
Namen, der zunächst nach einer<br />
neuen Pop-Boygroup klingt, stehen<br />
vier Syrer, die als unbegleitete minderjährige<br />
Flüchtlinge in die Hansestadt<br />
kamen und gemeinsam mit dem Künstler<br />
Pago Balke und Musiker Gerhard<br />
Stengert ein Bühnenprogramm erarbeitet<br />
haben.<br />
„Ich sehe meine Heimat wie durch ein<br />
trübes Glas, Syrien zerstört durch Terror,<br />
Krieg und Hass. Vieles existiert nicht mehr<br />
und wenn mit Trauerflor, die Erinnerungen<br />
sind irreal und kommen mir kitschig<br />
vor.“ Zeilen wie diese sind es, welche die<br />
Zollhausboys vortragen und zugleich die<br />
wesentlichen Themen illustrieren, denen<br />
sie sich widmen: Flucht, Heimat und<br />
Fremdheit. Die Realisierung eines bühnenreifen<br />
Konzeptes war jedoch eher eine<br />
spontane Idee, wie Pago Balke den Entstehungsprozess<br />
der Zollhausboys beschreibt.<br />
„Ich lernte 2015 die Chefin des<br />
Zollhauses in der Überseestadt kennen,<br />
das damals von einem Hostel zu einer<br />
Unterkunft für unbegleitete minderjährige<br />
Flüchtlinge umfunktioniert wurde.“ Nach<br />
der Anfrage, ob er Lust hätte, ein wenig<br />
kreativen Wind unter die Bewohner zu<br />
bringen, kristallisierten sich zügig vier Jugendliche<br />
heraus, die besonderen Spaß an<br />
dem Musizieren mit Balke hatten. „Sie<br />
sind quasi an mir kleben geblieben“, lacht<br />
der „Bremer Stadtkomödiant“.<br />
Jedes Gruppenmitglied leistete nach<br />
und nach kreativen Input, sodass bald die<br />
ersten Songs entstanden. Unter ihnen<br />
auch der 18-jährige Azad Kur, der Ende<br />
2015 seine Heimatstand Kobani verließ<br />
und in die Hansestadt kam. Der theaterbegeisterte<br />
Jugendliche erinnert sich noch<br />
gut an die ersten Besuche von Pago Balke.<br />
„Wir hatten unheimlich Spaß, gemeinsam<br />
Musik zu machen.“ Und führt grinsend<br />
fort: „Außerdem hatte Pago immer Kuchen<br />
dabei.“ An einem gemeinsamen<br />
Grillabend im Garten des künstlerischen<br />
Ziehvaters entstand schließlich die Idee,<br />
ein gemeinsames Projekt zu erarbeiten<br />
und auf die Bühne zu bringen. „Es war die<br />
Geburtsstunde der Zollhausboys, wenn<br />
man so will“, reflektiert Balke. Fortan hieß<br />
es somit: proben. Und das regelmäßig.<br />
Sensibilisieren und unterhalten<br />
Poetry, Kabarett und Songs prägen das<br />
vielfältige Programm der Gruppe. Viele<br />
der Arrangements sind autobiografisch<br />
und spiegeln die Erlebnisse und Emotionen<br />
der geflüchteten Jugendlichen wieder.<br />
So zum Beispiel der Prosatext „Regen<br />
am Fenster“, den Azad eigens<br />
verfasst hat. Zu sanften musikalischen<br />
Tönen, die an das rhythmische Prasseln<br />
kleiner Regentropfen an eine Fensterscheibe<br />
erinnern, erzählt der 18-Jährige<br />
von dem Geruch des Regens, der in ihm<br />
Heimatgefühle entflammt. Auch künstlerisch<br />
verpackte Erzählungen von<br />
Kriegssituationen in dem vom IS belagerten<br />
Kobani sowie dem zerbombten<br />
Aleppo sind Teil des Programms. Auf die<br />
Tränendrüse drücken die Zollhausboys<br />
jedoch keineswegs. „Natürlich ist es uns<br />
wichtig, die Tragik deutlich zu machen,<br />
die hinter den Geschichten der Jungs<br />
steht“, erklärt Balke. Allerdings ginge es<br />
auch darum, die Leute zum Lachen zu<br />
bringen und rechtspopulistischen Inhalten<br />
mit Humor und Satire zu begegnen.<br />
Mit den emotionalen Geschichten,<br />
Songs und unterhaltsamen Darbietungen<br />
der Zollhausboys, verfolgt der Kabarettist<br />
vor allem ein Ziel, welches bereits sein<br />
Schaffen in den vergangenen Jahren<br />
prägte. „Mir ist es wichtig, authentischen<br />
Stimmen Gehör zu verschaffen“, macht<br />
der gebürtige Thüringer klar. Schon während<br />
seines vergangenen zwölfjährigen<br />
Engagements im Blaumeier-Atelier habe<br />
er sich bemüht, Menschen, die als Mitglieder<br />
gesellschaftlicher Randgruppen<br />
wahrgenommen werden, auf die Bühne<br />
zu hieven. Auch die individuellen Geschichten<br />
geflüchteter Personen erfahren<br />
Balkes Meinung nach in der Öffentlichkeit<br />
zu wenig Gehör. Dieser Überlegung<br />
stimmt auch Azad zu und ergänzt: „Natürlich<br />
kann ich nicht stellvertretend für<br />
alle Syrer sprechen. Trotzdem ist es mir<br />
wichtig, dass man zumindest einen Bruchteil<br />
unserer Geschichten kennt.“<br />
Handlung mit Fortsetzungspotenzial<br />
Im Zuge der fortschreitenden prekären<br />
Lage in Syrien und gegenwärtigen Präsenz<br />
rechtspopulistischer Parteien hierzulande<br />
sind die Geschichten der Zollhausboys<br />
noch lange nicht zu Ende erzählt.<br />
Eine Fortsetzung des Musikprojektes erscheint<br />
an dieser Stelle logisch und wird<br />
von der Gruppe bereits angepeilt. „Wir<br />
werden unseren Schwerpunkt allerdings<br />
ein wenig verlagern“, verrät Pago Balke<br />
bereits im Vorfeld. Nachdem das erste<br />
Programm vor allem die Vergangenheit<br />
und Erinnerungen der syrischen Jugendlichen<br />
behandelte, setze eine weitere Inszenierung<br />
den Fokus auf das Ankommen<br />
und den neuen Lebensabschnitt in<br />
der Hansestadt, ohne dabei den Blick für<br />
das Kernthema zu verlieren: das Zusammenleben<br />
verschiedener Kulturen. (JF)<br />
Sonntag, 3. <strong>Juni</strong>, Glocke, 19 Uhr. Weitere<br />
Termine unter www.zollhausboys.de.