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Stadtmagazin-Bremen-Juni-2018-web

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LOKALES<br />

Wie<br />

durch<br />

trübes<br />

Glas<br />

Die Zollhausboys: Syrische<br />

Flüchtlinge erarbeiten mit Pago<br />

Balke und Gerhard Stengert ein<br />

Bühnenprogramm<br />

Foto: FR<br />

24<br />

Die Zollhausboys – hinter diesem<br />

Namen, der zunächst nach einer<br />

neuen Pop-Boygroup klingt, stehen<br />

vier Syrer, die als unbegleitete minderjährige<br />

Flüchtlinge in die Hansestadt<br />

kamen und gemeinsam mit dem Künstler<br />

Pago Balke und Musiker Gerhard<br />

Stengert ein Bühnenprogramm erarbeitet<br />

haben.<br />

„Ich sehe meine Heimat wie durch ein<br />

trübes Glas, Syrien zerstört durch Terror,<br />

Krieg und Hass. Vieles existiert nicht mehr<br />

und wenn mit Trauerflor, die Erinnerungen<br />

sind irreal und kommen mir kitschig<br />

vor.“ Zeilen wie diese sind es, welche die<br />

Zollhausboys vortragen und zugleich die<br />

wesentlichen Themen illustrieren, denen<br />

sie sich widmen: Flucht, Heimat und<br />

Fremdheit. Die Realisierung eines bühnenreifen<br />

Konzeptes war jedoch eher eine<br />

spontane Idee, wie Pago Balke den Entstehungsprozess<br />

der Zollhausboys beschreibt.<br />

„Ich lernte 2015 die Chefin des<br />

Zollhauses in der Überseestadt kennen,<br />

das damals von einem Hostel zu einer<br />

Unterkunft für unbegleitete minderjährige<br />

Flüchtlinge umfunktioniert wurde.“ Nach<br />

der Anfrage, ob er Lust hätte, ein wenig<br />

kreativen Wind unter die Bewohner zu<br />

bringen, kristallisierten sich zügig vier Jugendliche<br />

heraus, die besonderen Spaß an<br />

dem Musizieren mit Balke hatten. „Sie<br />

sind quasi an mir kleben geblieben“, lacht<br />

der „Bremer Stadtkomödiant“.<br />

Jedes Gruppenmitglied leistete nach<br />

und nach kreativen Input, sodass bald die<br />

ersten Songs entstanden. Unter ihnen<br />

auch der 18-jährige Azad Kur, der Ende<br />

2015 seine Heimatstand Kobani verließ<br />

und in die Hansestadt kam. Der theaterbegeisterte<br />

Jugendliche erinnert sich noch<br />

gut an die ersten Besuche von Pago Balke.<br />

„Wir hatten unheimlich Spaß, gemeinsam<br />

Musik zu machen.“ Und führt grinsend<br />

fort: „Außerdem hatte Pago immer Kuchen<br />

dabei.“ An einem gemeinsamen<br />

Grillabend im Garten des künstlerischen<br />

Ziehvaters entstand schließlich die Idee,<br />

ein gemeinsames Projekt zu erarbeiten<br />

und auf die Bühne zu bringen. „Es war die<br />

Geburtsstunde der Zollhausboys, wenn<br />

man so will“, reflektiert Balke. Fortan hieß<br />

es somit: proben. Und das regelmäßig.<br />

Sensibilisieren und unterhalten<br />

Poetry, Kabarett und Songs prägen das<br />

vielfältige Programm der Gruppe. Viele<br />

der Arrangements sind autobiografisch<br />

und spiegeln die Erlebnisse und Emotionen<br />

der geflüchteten Jugendlichen wieder.<br />

So zum Beispiel der Prosatext „Regen<br />

am Fenster“, den Azad eigens<br />

verfasst hat. Zu sanften musikalischen<br />

Tönen, die an das rhythmische Prasseln<br />

kleiner Regentropfen an eine Fensterscheibe<br />

erinnern, erzählt der 18-Jährige<br />

von dem Geruch des Regens, der in ihm<br />

Heimatgefühle entflammt. Auch künstlerisch<br />

verpackte Erzählungen von<br />

Kriegssituationen in dem vom IS belagerten<br />

Kobani sowie dem zerbombten<br />

Aleppo sind Teil des Programms. Auf die<br />

Tränendrüse drücken die Zollhausboys<br />

jedoch keineswegs. „Natürlich ist es uns<br />

wichtig, die Tragik deutlich zu machen,<br />

die hinter den Geschichten der Jungs<br />

steht“, erklärt Balke. Allerdings ginge es<br />

auch darum, die Leute zum Lachen zu<br />

bringen und rechtspopulistischen Inhalten<br />

mit Humor und Satire zu begegnen.<br />

Mit den emotionalen Geschichten,<br />

Songs und unterhaltsamen Darbietungen<br />

der Zollhausboys, verfolgt der Kabarettist<br />

vor allem ein Ziel, welches bereits sein<br />

Schaffen in den vergangenen Jahren<br />

prägte. „Mir ist es wichtig, authentischen<br />

Stimmen Gehör zu verschaffen“, macht<br />

der gebürtige Thüringer klar. Schon während<br />

seines vergangenen zwölfjährigen<br />

Engagements im Blaumeier-Atelier habe<br />

er sich bemüht, Menschen, die als Mitglieder<br />

gesellschaftlicher Randgruppen<br />

wahrgenommen werden, auf die Bühne<br />

zu hieven. Auch die individuellen Geschichten<br />

geflüchteter Personen erfahren<br />

Balkes Meinung nach in der Öffentlichkeit<br />

zu wenig Gehör. Dieser Überlegung<br />

stimmt auch Azad zu und ergänzt: „Natürlich<br />

kann ich nicht stellvertretend für<br />

alle Syrer sprechen. Trotzdem ist es mir<br />

wichtig, dass man zumindest einen Bruchteil<br />

unserer Geschichten kennt.“<br />

Handlung mit Fortsetzungspotenzial<br />

Im Zuge der fortschreitenden prekären<br />

Lage in Syrien und gegenwärtigen Präsenz<br />

rechtspopulistischer Parteien hierzulande<br />

sind die Geschichten der Zollhausboys<br />

noch lange nicht zu Ende erzählt.<br />

Eine Fortsetzung des Musikprojektes erscheint<br />

an dieser Stelle logisch und wird<br />

von der Gruppe bereits angepeilt. „Wir<br />

werden unseren Schwerpunkt allerdings<br />

ein wenig verlagern“, verrät Pago Balke<br />

bereits im Vorfeld. Nachdem das erste<br />

Programm vor allem die Vergangenheit<br />

und Erinnerungen der syrischen Jugendlichen<br />

behandelte, setze eine weitere Inszenierung<br />

den Fokus auf das Ankommen<br />

und den neuen Lebensabschnitt in<br />

der Hansestadt, ohne dabei den Blick für<br />

das Kernthema zu verlieren: das Zusammenleben<br />

verschiedener Kulturen. (JF)<br />

Sonntag, 3. <strong>Juni</strong>, Glocke, 19 Uhr. Weitere<br />

Termine unter www.zollhausboys.de.

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