MEH Pause 2018
Das ist das Lehrlingsmagazin des Mathilde Escher Heim - Ausgabe 2018
Das ist das Lehrlingsmagazin des Mathilde Escher Heim - Ausgabe 2018
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DAS LEHRLINGSMAGAZIN <strong>2018</strong><br />
Stolperstein<br />
Kampf<br />
ums stille<br />
Örtchen<br />
SEITE 15<br />
SCHWEIZER<br />
JUGENDFILMTAGE<br />
Auf grosser<br />
Bühne<br />
SEITE 6<br />
STELLENSUCHE<br />
Steiniger<br />
Weg in den<br />
Arbeitsmarkt<br />
SEITE 22<br />
Wer wagt,<br />
gewinnt...<br />
Auf der Ausbildungsreise<br />
lösten sich Bedenken in Luft auf.<br />
SEITE 10
Powerchair Hockey vom Feinsten seit 1989.<br />
www.iron-cats.ch info@iron-cats.ch<br />
EDITORIAL<br />
GESUCHT:<br />
Helfer innen<br />
und Helfer<br />
Erfahre mehr unter:<br />
iron-cats.ch/gesucht<br />
Unterstützt durch das<br />
Nussknacker<br />
Von Driton Avdijaj<br />
Beim Lesen der Texte für die aktuelle <strong>Pause</strong> ist<br />
mir aufgefallen, dass die Autoren oft von<br />
ihren persönlichen Wagnissen berichten und<br />
einige Nüsse zu knacken hatten. Sie zeigen, was<br />
es für sie bedeutet, wenn sie Herausforderungen<br />
selbst meistern. Die Pädagogen unter uns würden<br />
wohl von Selbstwirksamkeit reden.<br />
Der Artikel «Auf grosser Bühne» zu unserem<br />
Filmprojekt bei den Jugendfilmtagen von Stjepan ist<br />
ein gutes Beispiel. Zu Beginn des Projekts waren wir<br />
alle skeptisch, ob wir überhaupt einen brauchbaren<br />
Film hinbekommen würden. Schliesslich waren wir<br />
richtig erfolgreich und erhielten tolle Resonanz zu<br />
unserem Film. Solche Erfolgserlebnisse sind wichtig.<br />
Das nächste Mal würden wir so ein Projekt sicher<br />
mit mehr Selbstvertrauen angehen.<br />
In seinem Text zur Ausbildungsreise «Bonjour la<br />
France» schreibt Pascal über seine Bedenken und<br />
Ängste vor der Reise. Er hat sich trotzdem auf das<br />
Abenteuer eingelassen und seine Schmerzen überwunden.<br />
Dabei hat er wieder die Freude am Essen<br />
entdeckt. Ebenfalls beeindruckt hat mich der Artikel<br />
von Alex «Das Beste daraus machen». Er hat den<br />
grossen Schritt von St. Moritz nach Zürich gewagt.<br />
Alex hat Familie und Freunde zurückge lassen. Dabei<br />
hat er gelernt, selbst Verantwortung zu übernehmen,<br />
und neue Freunde gewonnen. In meinem Artikel<br />
«Mittendrin» schreibe ich über meine Erfahrungen im<br />
Ausgang und warum ich anfangs grosse Bedenken<br />
hatte. Ich habe es zum Glück gewagt. Dabei habe ich<br />
neue Leute kennengelernt und viele tolle Momente<br />
erlebt. Klar kann es nicht immer klappen. Doch dann<br />
habe ich es zu mindest probiert und ich kann es das<br />
nächstes Mal anders machen, ganz nach dem Motto:<br />
«Gott gab uns die Nüsse, aber knacken müssen<br />
wir sie.» «<br />
2<br />
3
Es ist eine<br />
tolle Erfahrung,<br />
zum ersten Mal<br />
Arbeitsluft<br />
zu schnuppern.<br />
INHALT<br />
6 AUF GROSSER<br />
BÜHNE<br />
Der Kurzfilm der Ausbildung<br />
gewinnt bei den<br />
Schweizer Jugendfilmtagen<br />
einen Preis.<br />
Das Beste daraus machen<br />
Alex kann mit seiner Behinderung weder<br />
Automechaniker werden noch boxen oder snowboarden.<br />
Er muss seine Lebensträume anpassen.<br />
18<br />
10 BONJOUR LA<br />
FRANCE<br />
Die Ausbildungsreise<br />
führte nach Metz.<br />
22 AN DIE ARBEIT<br />
Lukas träumt davon,<br />
ausserhalb des <strong>MEH</strong><br />
arbeiten zu können.<br />
30 MITTENDRIN<br />
Am Wochenende den<br />
angesagten Club zu<br />
besuchen, ist für Driton<br />
ein Stück Freiheit.<br />
15 STOLPERSTEIN<br />
21 FOTOSTORY<br />
32 REDAKTIONSTEAM<br />
34 WUSSTEN SIE,<br />
DASS …<br />
Unsere Lernenden zum Praktiker Mediamatik absolvieren in ihrem<br />
zweiten Ausbildungsjahr ein Praktikum (20%). Es ist nicht immer einfach,<br />
Praktikumsplätze zu finden. Unterstützen Sie uns dabei.<br />
Lukas Fischer freut sich auf Ihren Anruf: Telefon 044 389 62 57<br />
4<br />
Winterblues<br />
Die kalte Jahreszeit ist für<br />
Menschen mit Duchenne eine<br />
Herausforderung. Anosan<br />
schildert seine Erfahrungen und<br />
macht sich Luft.<br />
16 26<br />
Am Ball bleiben<br />
Dominik spielt seit elf Jahren<br />
Powerchair Hockey. Der Sport ist<br />
sein Leben. Er träumt davon 2020<br />
mit der Nationalmannschaft in<br />
Tokyo olympisches Gold zu holen.<br />
5<br />
IMPRESSUM<br />
PAUSE – das Lehrlingsmagazin<br />
Ausgabe Nr. 118, 36. Jahrgang<br />
Herausgeber: <strong>MEH</strong>, Lengghalde 1,<br />
8008 Zürich, Telefon 044 389 62 00,<br />
www.meh.ch, l.fischer@meh.ch<br />
Fotos: Michael Groer<br />
Korrektorat: Iris Vettiger<br />
Litho: b+b repro AG<br />
Druck: Druckerei Albisrieden AG<br />
Auflage: 3‘200 Exemplare<br />
Erscheint: 1 x pro Jahr
Driton steht bei der Filmpremiere<br />
dem Moderator Pablo Vögtli<br />
(Radio SRF) Rede und Antwort.<br />
FILMPROJEKT<br />
Auf<br />
grosser<br />
Bühne<br />
George Lucas, Steven Spielberg, Dieter Wedel,<br />
alle taten es. Auch wir haben es getan. Nein, es geht<br />
nicht um die MeToo-Debatte. Wir haben unseren ersten<br />
Kurzfilm bei einem Filmfestival präsentiert.<br />
Von Stjepan Jurcevic<br />
Als Kinostar ganz gross rauszukommen, wer<br />
träumt nicht davon? Über den roten Teppich<br />
wandeln, im Blitzlichtgewitter stehen und<br />
einen Oscar oder zumindest eine Goldene Palme in<br />
Empfang nehmen, das wäre schon was. Mit der Ausbildung<br />
entschieden wir uns, etwas kleiner anzufangen.<br />
Für uns war der Springende Panther das Ziel.<br />
Dieser wird bei den jährlich stattfindenden Jugendfilmtagen<br />
in Zürich verliehen. Letztes Jahr waren wir<br />
als Zuschauer dort. Wir durften einmal Filmkritiker<br />
sein und unsere Stimme für den Publikumspreis<br />
abgeben. Dabei entstand die Idee, beim nächsten<br />
Wettbewerb selbst einen Film einzureichen, und so<br />
meldeten wir uns für <strong>2018</strong> an. In unserer Kategorie<br />
konnten Jugendliche bis 19 Jahre mitmachen. Das<br />
Thema «Druck und Stress» war dabei vorgegeben.<br />
Zuerst wollten wir einen Film über Zeitdruck machen.<br />
Schliesslich haben wir uns Gedanken gemacht, was<br />
bei uns Rollstuhlfahrern speziell Druck und Stress<br />
auslöst. In unserem Kurzfilm ging es schliesslich<br />
um zwei Jugendliche im Rollstuhl, die auf eine Party<br />
gehen wollen. Einer der beiden macht sich Gedanken,<br />
was im Ausgang alles schieflaufen könnte. Er bleibt<br />
schliesslich zuhause. Mit dem Film wollten wir zeigen,<br />
welche Ängste Rollstuhlfahrer haben und warum<br />
viele nicht in den Ausgang gehen.<br />
6<br />
7
FILMPROJEKT<br />
Mit grossem Stolz nehmen<br />
die Auszubildenden den<br />
Publikumspreis entgegen.<br />
Achtung, Aufnahme!<br />
Zum Auftakt bekamen wir im Rahmen von mehreren<br />
Workshops erste Inputs von Antonia Herrsche, einer<br />
Künstlerin, die sich auch mit Videoprojekten befasst.<br />
Dann ging es an die Praxis. Zunächst hatten wir alle<br />
Bedenken, ob wir jemals einen brauchbaren Film<br />
hinbekommen würden. Wir filmten die erste Probeszene,<br />
um zu schauen, ob wir alles verstanden hatten.<br />
Überraschend war, dass nicht das Bild, sondern der<br />
Ton Probleme machte. Die Hintergrundgeräusche<br />
waren viel zu laut und man konnte die Sprecher kaum<br />
hören. Es lief trotzdem besser als befürchtet. Ein<br />
Vorteil beim Filmen im Elektrorollstuhl ist, dass wir<br />
mit der Kamera auch während der Fahrt einigermassen<br />
ruhig filmen können.<br />
*<br />
«Gerne hätten wir<br />
Angelina Jolie in einer<br />
Nebenrolle gehabt.»<br />
*<br />
Das Casting für unsere Hauptrollen was schnell<br />
abgeschlossen, Driton und Dominik meldeten sich<br />
freiwillig. Gerne hätten wir Angelina Jolie in einer<br />
Nebenrolle gehabt, aber leider wurde unsere Anfrage<br />
nicht beantwortet. Schnell wurde deutlich, dass das<br />
Schauspielern nicht so einfach ist. Driton, unser<br />
Hauptdarsteller, hatte Mühe, nicht in die Kamera zu<br />
schauen. Die Kamera zog seinen Blick magisch<br />
an. Für die Darsteller war es auch schwierig, laut<br />
und deutlich zu sprechen. Ursprünglich wollten wir<br />
in einer Disco filmen, das wäre aber zu umständlich<br />
geworden. Also nahmen wir alles im <strong>MEH</strong> auf. Bei<br />
einer Szene ging plötzlich der Feueralarm an. Unsere<br />
Brandmeldeanlage mochte unsere Rauchmaschine<br />
nicht. Die Filmaufnahmen sind eine Sache, einen<br />
Film daraus zu machen, eine andere. Wir waren eine<br />
ganze Woche mit dem Schnitt unseres fünfminütigen<br />
Films beschäftigt.<br />
Vor grossem Publikum<br />
Als unser Film schliesslich bei den Jugendfilmtagen<br />
nominiert wurde, kamen trotz aller Freude gemischte<br />
Gefühle auf. Ein paar von uns ahnten schon, was<br />
uns bevorstand. Bei der Präsentation unseres Films<br />
würden wir bei den Jugendfilmtagen auf der grossen<br />
Bühne interviewt werden. Die Vorführung der Filme<br />
fand in der Gessnerallee statt. Es waren mehrere<br />
hundert Zuschauer anwesend. Die Leinwand war riesig,<br />
die Bühne hatte eine Rampe für Rollstühle und zwei<br />
Couches. Unsere Konkurrenz in der Kategorie B war<br />
stark. Doch unser Film kam beim Publikum sehr<br />
gut an und wir bekamen grossen Applaus. Anschliessend<br />
mussten wir für ein Interview auf die Bühne.<br />
Ich hatte ein bisschen Lampenfieber. Wir hatten uns<br />
aber vorher überlegt, welche Fragen kommen könnten,<br />
was mich etwas beruhigte. Auf der Bühne wurde<br />
ich vom Moderator gefragt, ob ich wieder bei einem<br />
Film mitmachen würde. Meine Antwort war «nein»,<br />
schliesslich war das Filmprojekt doch sehr aufwendig.<br />
Würde Megan Fox die weibliche Hauptrolle spielen,<br />
liesse ich mich wohl nochmals umstimmen.<br />
In jeder Kategorie wurden drei Siegerfilme gekürt<br />
und ein Publikumspreis verliehen. Als die Siegerfilme<br />
genannt wurden, dachten wir schon, wir würden<br />
leer ausgehen. Aber dann wurde unser Film genannt.<br />
Wir hatten den Publikumspreis mit einem Preisgeld<br />
von tausend Franken gewonnen. Wir freuten uns<br />
riesig, dass unsere Arbeit so belohnt wurde. Davon<br />
abgesehen haben wir beim Filmprojekt viel gelernt<br />
und sind auch als Team zusammengewachsen.<br />
Übrigens, unser Film hat einen kleinen Fehler. Wer ihn<br />
findet, gewinnt … na, lasst euch überraschen! «<br />
Unser Kurzfilm von den Jungendfilmtagen<br />
ist auf unserer Facebook-Seite zu finden:<br />
facebook.com/meh.zuerich<br />
Alex, Stjepan, Pascal, Triton und<br />
Dominik geniessen die ausgelassene<br />
Stimmung nach der Preisverleihung.<br />
8<br />
9
Bonjour<br />
la France<br />
Als Metz als Reiseziel feststand, hielt sich meine Freude<br />
in Grenzen. Ich wollte eigentlich nach Madrid, wurde<br />
aber überstimmt. Ich hatte keine Lust auf Schnecken und<br />
Baguette, von der Sprache ganz zu schweigen.<br />
Von Pascal Willi<br />
Das pulsierende Nachtleben in den<br />
Gassen von Metz hat es uns angetan.<br />
10<br />
11
AUSBILDUNGSREISE<br />
Ein Highlight unseres Tagesausflugs<br />
nach Nancy war die Place Stanislav mit<br />
ihren prunkvollen Gebäuden.<br />
Mit meiner Familie gehe ich leider nicht mehr<br />
in die Ferien, weil es für meine Eltern zu<br />
anstrengend ist. Darum ist die Ausbildungsreise<br />
etwas Besonderes für mich. Letztes Jahr ging<br />
es nach Metz. Zuerst wollten wir eigentlich nach<br />
Nancy, was mir bis heute unerklärlich ist. Wahrscheinlich<br />
war es eine manipulierte Abstimmung! Vielleicht<br />
sollten wir Wahlbeobachter beantragen. Nach<br />
neunzehn Absagen von Hotels in Nancy beschlossen<br />
wir, in die Nachbarstadt Metz zu reisen. Das stellte<br />
sich als Glückstreffer heraus.<br />
Die Ereignisse vor der Reise erinnern an ein altes<br />
Kinderlied: Fünf kleine Lernende fuhren schnell<br />
durchs Quartier. Einer brach sich die Füsse, da waren’s<br />
nur noch vier. Vier kleine Lernende wünschten sich<br />
die Reise herbei. Eine hat es umgehauen, da waren’s<br />
nur noch drei. Somit passte das Motto der drei Musketiere:<br />
«Un pour tous, tous pour un».<br />
*<br />
«Alle sind wie<br />
verrückte Hühner<br />
herumgerannt»<br />
*<br />
Backofen auf Rädern<br />
Am Tag der Abreise fuhren wir wie verrückte Hühner<br />
auf der Wohngruppe herum. Als wir endlich in unsere<br />
Busse einsteigen konnten, war es schon zehn Uhr.<br />
Unser Schweiss floss in Strömen. Im Bus war es megaheiss,<br />
es gab keine Klimaanlage. Die Fahrt war für<br />
mich sehr anstrengend. Ich habe zwei Titan-Stangen<br />
im Rücken und wenn es starke Erschütterungen gibt,<br />
schmerzt das sehr. Nach einer gefühlten Ewigkeit<br />
und einem Blasenentleerungsstopp erreichten wir<br />
endlich Metz. Die Zimmer im Hotel hätten wir schnell<br />
bezogen, wären nicht gewisse Betten zu schmal<br />
gewesen. Schnell mussten die Zimmer neu eingeteilt<br />
werden. Nach dieser Aufregung machten wir uns<br />
auf ins Restaurant «O Paradis Ethiopien». Als ich die<br />
Rampe beim Eingang sah, bekam ich den nächsten<br />
Adrenalinstoss. Das Essen war dann aber ausgezeichnet<br />
und mein Linsenbrei «Yetsom» sollte nicht<br />
mein letztes kulinarisches Abenteuer auf dieser Reise<br />
sein. Zurück im Hotel steckte ich mit vollem Magen<br />
die nächste Aufregung easy weg. Wir hatten ein<br />
Ladegerät zuhause vergessen und mussten uns eines<br />
teilen.<br />
Lädierter Zauberlehrling<br />
Am Freitag unternahmen wir nach einem feinen<br />
Frühstücksbuffet einen Stadtbummel. Wir entdeckten<br />
einen Comicladen und ich stürzte mich sofort auf<br />
die Harry-Potter-Artikel. Ich stehe dazu: Ich bin ein<br />
wahrer Harry-Potter-Anhänger. Ich kam mit einem<br />
T-Shirt, einem Poster und einem Schlüsselanhänger<br />
aus dem Laden. Nach dem Shoppen bekam ich starke<br />
Schmerzen am linken Bein. Zu jener Zeit hatte ich<br />
aufgrund eines eingeklemmten Nervs häufig Schmerzen.<br />
Ich musste zurück ins Hotel und mich hinlegen.<br />
Die Stadtführung sollte somit ohne mich stattfinden,<br />
aber meine Kollegen meinten, ich hätte nichts Grossartiges<br />
verpasst. Am Abend konnte ich zumindest<br />
mit ins japanische Restaurant. Es gab Sushi und<br />
Suppe. Vor allem für Lukas, unseren erklärten Fleisch -<br />
liebhaber, war das eine grosse Herausforderung!<br />
Ein volles Programm<br />
In Nancy erwartete uns erst einmal ein hässlicher<br />
Parkplatz. Das hatte ich mir anders vorgestellt! Zum<br />
Glück zeigte uns unsere Stadtführerin dann aber<br />
viele schöne Gebäude im Jugendstil und die Place<br />
Stanislas. Der grosse Platz mit imposanten Gebäuden<br />
und viel Gold war sehr beeindruckend. Nach der<br />
Stadtführung rauchte mein Kopf. Danach gingen wir<br />
gefühlte vier Stunden in einen Schuhladen. Auch<br />
wenn ich nicht gehen kann, sind stylische Schuhe<br />
für mich sehr wichtig. Damit sehe ich einfach besser<br />
aus. Das grösste Problem ist, dass Schuhe oft nicht<br />
passen. Nach einem leckeren Burgerschmaus gingen<br />
Dank unserer Stadtführerin durften wir einige<br />
verborgene Perlen von Nancy entdecken.<br />
12<br />
13
AUSBILDUNGSREISE<br />
wir bowlen. Ich reservierte die Bahn, was aufgrund<br />
der Sprachschwierigkeiten nicht ganz einfach war.<br />
Sie konnten nicht gut Englisch und ich kein Französisch.<br />
Sie fragen sich jetzt sicher, wie wir im Rollstuhl<br />
bowlen. Wir platzieren die Bowlingkugel vor unserem<br />
Fussbrett, geben Vollgas und schieben so die Kugel<br />
an. Vor der Bahn bremsen wir dann abrupt ab. Der<br />
Rest ist dann Glückssache. Leider hatten wir zu wenig<br />
Zeit fürs Bowlen eingerechnet. Danach hetzten wir<br />
zur Licht- und Tonshow an der Place Stanislas und<br />
mussten uns hupend einen Weg durch die Menschenmenge<br />
bahnen. Bei diesem atemberaubenden<br />
Spektakel wurden Bilder und visuelle Effekte an<br />
die Gebäude um den Platz projiziert. Das war für mich<br />
das Highlight der Reise.<br />
*<br />
«Der Geschmack<br />
hat mich an<br />
Waschmittel erinnert»<br />
*<br />
Waschmittel schlucken<br />
Am nächsten Morgen war ein Konzertbesuch ge -<br />
plant. Leider hatte ich schon wieder Schmerzen und<br />
konnte nicht mitgehen. Ich gebe ehrlich zu, dass<br />
Klassik nicht meine Lieblingsmusik ist. Lukas fand es<br />
schlimm und war froh, als es vorbei war. Am Nachmittag<br />
war ich wieder mit dabei. Wir besuchten das<br />
Centre Pompidou. Nach etwa zwei Stunden in diesem<br />
Museum wurde nicht nur mir langweilig. Eine Treppe<br />
versperrte uns den Weg zum Restaurant und wir<br />
mussten einen anderen Weg suchen. Es war ein<br />
türkisches Restaurant. Normalerweise esse ich nur<br />
wenig, aber dort habe ich für meine Verhältnisse<br />
richtig zugeschlagen. Zum Schluss gab es dann noch<br />
eine üble Überraschung namens Raki. Der Geschmack<br />
hat mich an Waschmittel erinnert. Es war<br />
scheusslich!<br />
Alles andere als Käse<br />
Vor der Reise hatte ich so meine Bedenken. Können<br />
mich die Ausbildner ins Bett bringen? Wie anstrengend<br />
wird die Reise? Wie mühsam wird die Busfahrt,<br />
wenn ich mit meinen Rückenschmerzen so lange<br />
sitzen muss? Ist die Stadt Metz spannend? Im Nachhinein<br />
muss ich sagen, dass die Reise alles andere<br />
als «fromage» war. Auf dieser Reise habe ich wieder<br />
Freude am Essen entdeckt. Jetzt nehme ich nicht<br />
mehr nur Flüssignahrung zu mir, sondern auch wieder<br />
Käse. Ich freue mich schon auf die nächste Ausbildungsreise!<br />
«<br />
Sie kennen das sicher. Sie<br />
sind in der Stadt unterwegs<br />
und plötzlich macht sich<br />
Ihre Blase bemerkbar. Meist ist<br />
das kein Problem, da es öffentliche<br />
Toiletten gibt und man sonst<br />
in ein Café ausweichen kann.<br />
Mit dem Rollstuhl ist das leider<br />
nicht so einfach. Neulich war ich in<br />
der Altstadt unterwegs und hatte<br />
so richtig Druck auf der Leitung.<br />
Ich musste ganz dringend pinkeln.<br />
Kurz vor dem Platzen fand ich<br />
gerade noch ein öffentliches Be -<br />
hinderten-WC. Toll, ich hatte<br />
meinen Eurokey vergessen und<br />
natürlich konnte mir mein Kollege<br />
wie immer auch nicht weiterhelfen.<br />
Der Eurokey ist eigentlich eine tolle<br />
Sache, man kann damit in ganz<br />
Europa in die meisten öffentlichen<br />
rollstuhlgängigen WCs. Nur dabei<br />
haben sollte man ihn! Besonders<br />
nervig ist es dann, wenn man<br />
vor einem geschlossenen WC steht<br />
und ein Schild darauf hinweist,<br />
dass der Schlüssel einen Stock<br />
Stolperstein<br />
Von Dominik Zenhäusern<br />
und Stjepan Jurcevic<br />
höher bei der Kasse abzuholen ist.<br />
Ich war kurz davor die WC-Türe<br />
mit dem Rollstuhl aufzustemmen,<br />
da regte sich etwas im Innern<br />
und ich hörte ein Baby schreien.<br />
*<br />
«Ich war kurz<br />
davor die WC-Türe<br />
mit dem Rollstuhl<br />
aufzustemmen»<br />
*<br />
Na toll, ein Behinderten-WC mit<br />
Wickeltisch. Meist ist es auch ohne<br />
das schon zu eng. Die Türe öffnete<br />
sich und eine genervte Mutter<br />
räumte den Tatort. Ich sah sie vernichtend<br />
an. Das Baby grin ste<br />
schadenfroh zurück. Es hatte gut<br />
lachen, immerhin hatte es Windeln<br />
an. Oft nutzen auch andere Fussgänger<br />
das rollstuhlgängige WC.<br />
Vermutlich sind diese Personen<br />
sehbehindert und können das<br />
entsprechende Schild nicht sehen.<br />
Von wegen, Babys stinken nicht.<br />
Wenigstens war es sauber und<br />
der Boden trocken. Es ist nicht nur<br />
für mich unangenehm, wenn ich<br />
nach meinem WC-Besuch eine<br />
Spur hinter mir herziehe. Als mein<br />
Kollege mir meine Pinkelflasche<br />
aus dem Rucksack holen wollte,<br />
herrschte dort gähnende Leere.<br />
Da hatte ich doch bei dem ganzen<br />
Geläster das Wichtigste vergessen.<br />
Mit schmerzverzerrtem Gesicht<br />
fuhr ich zum nächsten Kiosk und<br />
kaufte mir eine PET-Flasche. Als<br />
ich meinen Eistee gequält leerte,<br />
schob sich ein knutschendes Pärchen<br />
an mir vorbei ins WC. Na toll!<br />
Bei dem ganzen Aufwand verstehe<br />
ich manche meiner Kollegen, die<br />
im Ausgang grundsätzlich nichts<br />
trinken, damit sie nicht auf die<br />
Toilette müssen. «<br />
14<br />
15
«Manchem geht das Herz schon<br />
beim Gedanken an Schnee auf.<br />
Mir nicht, ich hasse den Winter.»<br />
ALLTAG<br />
Winterblues<br />
Im Winter wird mir schnell kalt. Ich kann meine Arme<br />
nur wenig bewegen und mir die Nase nicht selbst putzen.<br />
Wenn ich dann auch noch mit dem Elektrorollstuhl im<br />
Schnee stecken bleibe, reicht es mir endgültig.<br />
Von Anosan Arunthavarajah<br />
Wenn der Schnee leise rieselt,<br />
geht manchem das<br />
Herz auf. Mir nicht: Ich<br />
hasse den Winter über alles. Ich<br />
habe im Winter viele Probleme. Ich<br />
bin schon mit dem Elektrorollstuhl<br />
im Schnee stecken geblieben. Es<br />
passierte auf dem Weg zum Schulbus.<br />
Auf der Strasse lag eine dicke<br />
Schneeschicht und am Strassenrand<br />
hatte es fette Schneebrocken.<br />
Es war schrecklich! Zum Glück<br />
konnte mir mein Vater helfen. Ich<br />
friere schneller, weil ich mich nicht<br />
bewegen kann wie ein Fussgänger.<br />
Kalte Hände sind für mich ein besonderes<br />
Problem, weil ich damit<br />
die Rollstuhlsteuerung schlechter<br />
bedienen kann. Jemand anderer<br />
muss dann meinen Rollstuhl für<br />
mich steuern. Besonders schlimm<br />
ist es, wenn noch ein kalter Wind<br />
weht.<br />
Zwangsjacke<br />
Was mich im Winter am meisten<br />
stresst, sind die vielen Kleider. Ich<br />
brauche Hilfe beim Anziehen und<br />
es ist immer ein grosser Aufwand.<br />
Ich muss mir immer gut überlegen,<br />
ob es sich überhaupt lohnt. Am<br />
nervigsten ist es, die Arme in die<br />
Ärmel zu bekommen. Manchmal<br />
tut das richtig weh. In dicker<br />
Kleidung fühle ich mich wie in<br />
einer Zwangsjacke. Ich sehe aus wie<br />
ein Michelin-Männchen oder wie<br />
ein aufgeblasener Luftballon. Ich<br />
habe Angst, dass ich krank werde.<br />
Das ist für mich gefährlich. Das<br />
Risiko, eine Lungenentzündung zu<br />
bekommen, ist bei mir viel grösser<br />
als bei einem Fussgänger. Schon<br />
ein kleiner Schnupfen kann bei mir<br />
so schlimm werden, dass ich ins<br />
Krankhaus eingeliefert werde. Es<br />
reicht schon, wenn meine Nase<br />
ständig läuft und ich immer jemanden<br />
bitten muss, mir die Nase<br />
zu putzen.<br />
Oh du fröhliche …<br />
Wir feiern Weihnachten nicht, weil<br />
es diesen Feiertag im Hinduismus<br />
nicht gibt. Mein Vater dekoriert<br />
aber die Terrassen mit Lichtern<br />
und leuchtenden Rentieren. Wenn<br />
draussen im Dunkeln die Lichter<br />
funkeln, finde ich es schön. Es ist<br />
schade, dass ich keine Geschenke<br />
bekomme. Andere Menschen im<br />
Elektrorollstuhl haben Spass am<br />
Winter. Sie driften gerne auf einem<br />
Eisfeld oder im Schnee herum.<br />
Ich drifte wenig. Im Schnee könnte<br />
ich ausrutschen und mich verletzen.<br />
Ich gehöre zu den Menschen,<br />
die gerne zu Hause bleiben, den<br />
Schneefall durchs Fenster beobachten<br />
und Tee trinken.<br />
Sommer, Sonne, Sonnenschein<br />
Ich habe es gern, wenn die Sonne<br />
scheint und es warm ist. Der<br />
Himmel sollte hellblau sein. Ich<br />
freue mich schon auf den Klimawandel.<br />
Dann muss ich mich nicht<br />
mehr so dick einpacken lassen.<br />
Stattdessen, endloser Sommer.<br />
Dann kann ich immer Zeit im<br />
Freien verbringen, durch meinen<br />
Heimatort Wohlen fahren und in<br />
den Inter discount oder ins Shoppi<br />
Tivoli gehen. Wenn ich ehrlich<br />
bin, mag ich aber auch keine allzu<br />
warmen Sommer. Ich schwitze<br />
nicht gerne und hasse Mücken. «<br />
16<br />
17
PERSÖNLICH<br />
Das Beste<br />
daraus<br />
machen<br />
Ohne meine Krankheit sähe mein Leben definitiv<br />
anders aus. Ich würde in St. Moritz eine Ausbildung als<br />
Automechaniker machen und in meiner Freizeit boxen oder<br />
snowboarden und bald die Fahrprüfung machen.<br />
Von Alex Lima Amaral<br />
Alex ist gerne am<br />
Zürichsee. Er erinnert ihn<br />
an seine Heimat St. Moritz.<br />
Bei mir wurde Duchenne diagnostiziert, als ich<br />
fünf Jahre alt war. Am Anfang war das für mich<br />
schwer zu verstehen, weil ich nicht wusste,<br />
welche Konsequenzen die Krankheit für mich haben<br />
wird. Seitdem wurden meine Muskeln immer schwächer.<br />
Ich habe meine Krankheit akzeptiert und kann<br />
offen darüber reden. Für meine Eltern war es schwierig.<br />
Mein Vater hätte mich wohl viel lieber rumgetragen,<br />
als mich in einen Rollstuhl zu setzen.<br />
Kein Rückzug<br />
Als ich neun Jahre alt war, bekam ich meinen ersten<br />
Handrollstuhl. Ich weiss noch genau, dass ich Angst<br />
hatte, in der Schule und von Kollegen nicht akzeptiert<br />
zu werden. Ich bin trotzdem rausgegangen und habe<br />
mich nicht zuhause verschanzt. Ich habe schnell<br />
gemerkt, dass es meinen Freunden egal ist, ob ich im<br />
Rollstuhl bin. Klar konnte ich z. B. nicht mehr Fussball<br />
spielen oder Ski fahren, aber ich war doch noch oft<br />
mit meinen Kollegen unterwegs. Später bekam ich<br />
einen Elektrorollstuhl, weil ich nicht mehr genug Kraft<br />
hatte, um selbst mit dem Handrollstuhl zu fahren.<br />
Ich war sehr froh, wieder mehr Freiheit zu bekommen<br />
und ohne Hilfe überall hinzukommen.<br />
Schule und Mitschüler engagieren sich<br />
Ich ging in die Regelschule in St. Moritz. Der Lift kam<br />
nicht auf alle Etagen. Mir wurden viele Stunden gestrichen,<br />
weil ich nicht in die jeweiligen Schulzimmer<br />
kam. Von der zweiten Klasse an habe ich eine Begleitperson<br />
bekommen. Sie hat mir geholfen, z. B. wenn<br />
ich aufs WC gehen oder Sachen holen musste. Meine<br />
18<br />
19
PERSÖNLICH<br />
FOTOSTORY<br />
Klassenkameraden und Lehrer waren sehr hilfsbereit.<br />
Als wir im Klassenlager waren, übernahmen meine<br />
Kollegen die Betreuung und Lagerung in der Nacht.<br />
Von St. Moritz nach Zürich<br />
In St. Moritz war es sehr schwierig für mich, eine<br />
Ausbildungsstelle zu finden. Darum suchte ich zuerst<br />
eine Lehrstelle in Chur. Ich schnupperte in einer<br />
Grafikagentur, was mir sehr gut gefiel. Leider werden<br />
sie dort erst ab 2019 Lehrlinge einstellen. Später<br />
empfahl mir meine Berufsberaterin das <strong>MEH</strong>. Nach<br />
einem Schnupperaufenthalt entschloss ich mich,<br />
ins <strong>MEH</strong> zu ziehen. Am 19. August 2017 bin ich von<br />
St. Moritz in Graubünden nach Zürich gezogen. Es<br />
war ein sehr grosser Schritt für mich, weil ich meine<br />
Familie und Freunde verlassen musste.<br />
*<br />
«Mein Vater hätte<br />
mich viel lieber rumgetragen,<br />
als mich in einen<br />
Rollstuhl zu setzen.»<br />
*<br />
Neuland<br />
Zuerst fand ich es seltsam, in einer Institution zu sein.<br />
Ich war es gewohnt, mit Leuten ohne Behinderung<br />
zu leben. Es ist auch nicht einfach, mit meinen<br />
Freunden darüber zu reden, wie ich jetzt wohne und<br />
wie meine Ausbildung aussieht. Ich vergleiche mich<br />
dann immer mit den anderen und damit, was sie<br />
machen. Ich finde es blöd, dass ich in der Ausbildung<br />
im Moment noch nichts verdiene. Meine Kollegen<br />
verdienen Geld. Da bin ich schon neidisch. In einer<br />
Institution wie dem <strong>MEH</strong> zu wohnen, ist definitiv<br />
anders. Ich muss mit mehr Menschen klarkommen<br />
und die anderen bekommen viel von mir mit. Ich fühle<br />
mich im <strong>MEH</strong> mehr überwacht, habe aber auch mehr<br />
Möglichkeiten als bei uns in St. Moritz. Ich kann hier<br />
z. B. ohne Probleme ins Kino oder einfach mal in<br />
die Stadt gehen. Zuhause hingegen kann ich spontaner<br />
agieren. Im <strong>MEH</strong> muss ich am Montag schon wissen,<br />
ob ich in dieser Woche weggehe, damit jemand da ist,<br />
der mich später ins Bett bringen kann. Andererseits<br />
ist im <strong>MEH</strong> immer jemand da, wenn ich etwas brauche.<br />
Ich hätte nie gedacht, dass die Mitarbeiter und<br />
die Bewohner so offen sind. Ich kann mit den meisten<br />
über alles reden und fühle mich sehr wohl dabei.<br />
Bevor ich ins <strong>MEH</strong> kam, dachte ich, ich wäre viel<br />
eingeschränkter und müsste mich an strenge Regeln<br />
halten. Ich habe aber schnell gemerkt, dass ich damit<br />
falsch liege.<br />
Lebensträume<br />
Ich habe mich für eine Ausbildung im <strong>MEH</strong> entschieden,<br />
weil ich nur am Computer arbeiten kann. Hätte<br />
ich keine Muskelkrankheit, würde ich eine Ausbildung<br />
als Automechaniker machen. Ich habe eine<br />
sehr grosse Leidenschaft für Autos und ihre Technik.<br />
Schrauben bleibt trotzdem nur ein Traum. Es war<br />
schwierig, das zu akzeptieren. Bis vor kurzem war ich<br />
auf der Suche nach einem Praktikum im Büro in einer<br />
Autogarage, damit ich trotz allem im Automobilbereich<br />
arbeiten kann. Nun mache ich ein Praktikum bei<br />
Balgrist Tec in Zürich. Meine Krankheit hält mich nicht<br />
auf, meine Träume zu erfüllen. Ich kann wegen der<br />
Krankheit natürlich nicht alles erreichen, passe meine<br />
Träume aber der Realität an. Einer meiner Träume<br />
ist es, einmal im Leben mit meinem Vater in die USA<br />
zu reisen. Ich würde sogar auf meinen Elektrorollstuhl<br />
verzichten, wenn es sein müsste. Wir würden uns<br />
einen grossen Camper mieten und das Land bereisen.<br />
Momentan fehlt nur die Finanzierung. Mit etwas<br />
Glück finde ich einen Sponsor, der mich unterstützt.<br />
Meine Familie<br />
Ich bin sehr stolz auf die Hilfe und Unterstützung<br />
meiner Eltern. In der Nacht müssen sie drei- bis fünfmal<br />
aufstehen, um mich zu lagern. Teilweise arbeitete<br />
meine Mutter als Hauswartin bei uns im Haus, damit<br />
sie in meiner Nähe sein konnte, wenn ich zuhause<br />
war. Meine Schwester hilft mir auch sehr viel. Meine<br />
Eltern halten mir den Rücken frei. Ich bin optimistisch,<br />
was meine Zukunft betrifft. Ich hoffe, dass<br />
meine Krankheit nicht viel schlimmer wird. Die Diagnose<br />
sagt leider etwas Anderes. Ich werde weiterhin<br />
meine Träume und Ziele verfolgen und das Beste<br />
aus meinem Leben machen. «<br />
Dominik am Zeitung lesen.<br />
?<br />
Hilfe, Hilfe!<br />
Rettet mich …<br />
In der Badi<br />
Von Lukas Frei<br />
… ich kann nicht<br />
Schwimmen!<br />
Ich kann auch nicht laufen –<br />
schrei ich hier deshalb so rum?!<br />
???<br />
Hilfe!<br />
Mach nicht so<br />
ein Theater!<br />
20<br />
21
ARBEIT<br />
An die Arbeit<br />
Die wenigen im <strong>MEH</strong>, die trotz Behinderung<br />
im ersten Arbeitsmarkt arbeiten, sind für mich echte<br />
Helden. Auch ich möchte ausserhalb des <strong>MEH</strong><br />
eine Stelle finden, doch das ist nicht einfach.<br />
Von Lukas Frei<br />
Trotz Rollstuhl auf Augenhöhe:<br />
Lukas wird in seinem Praktikum bei<br />
der Immopro AG ernst genommen.<br />
Als kleiner Junge wollte ich Pilot oder Lokomotivführer<br />
werden, halt diese typischen Bubenträume.<br />
Wegen meiner Krankheit Muskeldystrophie<br />
Typ Duchenne bleibt das leider ein Traum.<br />
Zurzeit mache ich eine Praktische Ausbildung nach<br />
INSOS (PrA) Mediamatik im <strong>MEH</strong>. Ich habe mich<br />
für diese Ausbildung entschieden, weil fast alle Arbeiten<br />
am Computer durchführbar sind und ich dabei<br />
auch kreativ sein kann. Ich schliesse dieses Jahr<br />
meine Ausbildung ab und mache mir Gedanken, was<br />
danach kommen soll.<br />
Bewährungsprobe<br />
Im Rahmen meiner Ausbildung absolviere ich ein<br />
Praktikum bei der Bau- und Immobilienberatungsfirma<br />
Immopro AG, wo es mir sehr gefällt. Die Immopro<br />
AG bietet den Auszubildenden im <strong>MEH</strong> schon<br />
seit fünf Jahren Praktikumsstellen. Ich bin bereits<br />
der vierte Praktikant und mein Nachfolger steht auch<br />
schon fest. Im Praktikum erledige ich Aufgaben wie<br />
z.B. Kassenbuch führen, kleinere Aufgaben an der<br />
Webseite vornehmen oder Adresslisten überarbeiten.<br />
Auch bei der Organisation eines Büroausflugs konnte<br />
ich helfen. Meine Lieblingsfächer in der Ausbildung<br />
sind Grafik, Web und EDV. In Grafik gestalten wir mit<br />
der Hilfe unseres Grafikers Logos, Flyer und Magazine.<br />
Fotos zu bearbeiten, macht mir sehr viel Spass.<br />
Ich denke, dass in fast jeder Firma Tätigkeiten an-<br />
fallen, die ich übernehmen kann. Im Praktikum habe<br />
ich schon bewiesen, dass ich gute Arbeit leisten kann.<br />
Integration statt Separation<br />
Ich möchte nach der Ausbildung eine Stelle im ersten<br />
Arbeitsmarkt finden. Im <strong>MEH</strong> gibt es sehr wenige, die<br />
das geschafft haben. Sie sind bei uns die wahren<br />
Helden. Ich will das auch erreichen, damit ich stolz<br />
auf mich sein kann. Ich möchte meinen Kollegen<br />
beweisen, dass man auch als Rollstuhlfahrer im ersten<br />
Arbeitsmarkt arbeiten kann. Eine Alternative wäre<br />
für mich eine Stelle in der Werkstätte des <strong>MEH</strong>. Bei<br />
einer Schnupperwoche durfte ich feststellen, dass<br />
die Arbeit dort abwechslungsreicher ist, als ich es<br />
mir vorgestellt hatte. Für mich ist es jedoch eine<br />
Sepa ra tion, nicht im ersten Arbeitsmarkt tätig zu sein.<br />
Ausserdem hoffe ich, dass ich im ersten Arbeits -<br />
markt mehr Lohn erhalte. Am liebsten würde ich<br />
eine Stelle im Toggenburg finden, damit ich wieder in<br />
meine Heimat ziehen und bei meiner Familie leben<br />
kann. Mir ist bewusst, dass der erste Arbeitsmarkt<br />
auch Nachteile für mich hat. Ich denke, bei vielen<br />
Stellen muss man sehr genau arbeiten und der Zeitdruck<br />
ist höher. Das Hauptproblem wird vermutlich<br />
sein, dass ich weniger Unterstützung bekomme.<br />
Ich brauche Hilfe zum An- und Ausziehen der Jacke,<br />
zum Essen und Trinken und mittlerweile auch zum<br />
Einrichten des Arbeitsplatzes.<br />
22<br />
23
ARBEIT<br />
Alles muss gelernt sein:<br />
Eine Mitarbeiterin der Immopro AG<br />
erklärt Lukas, wie das Verwalten<br />
der Adressliste funktioniert.<br />
Ernüchternd<br />
Schon die Suche nach einer Praktikumsstelle war<br />
alles andere als einfach. Meine erste Idee war, mich<br />
bei einer kirchlichen Organisation zu bewerben. Ich<br />
bin ein gläubiger Mensch und dachte, dass eine<br />
solche Organisation Verständnis für meine Situation<br />
hätte und mich unterstützen würde. Mein Anruf<br />
verlief allerdings anders als geplant. Die Dame am<br />
anderen Ende der Leitung war, glaube ich, ein bisschen<br />
gestresst. Ich war enttäuscht, dass es nicht geklappt<br />
hatte. Anschliessend schrieb ich Bewerbungen an<br />
Firmen, die bereits einen Praktikanten vom <strong>MEH</strong> eingestellt<br />
hatten. Ich schickte meine Bewerbung an die<br />
Hochschule für Heilpädagogik, wo mein Kollege Abi<br />
das Praktikum machte. Ich hatte ein Vorstellungsgespräch<br />
und es lief nicht schlecht. Das Problem<br />
war, dass sie mir zunächst nur ein Praktikum für drei<br />
Monate anbieten konnten. Das war mir zu unsicher.<br />
Schliesslich klappte es dann bei Immopro AG. Ich<br />
bekam auch dort die Möglichkeit, mich persönlich<br />
vorzustellen und mir einen Eindruck zu verschaffen.<br />
Es gefiel mir so gut, dass ich sofort zusagte.<br />
*<br />
«Im Praktikum habe<br />
ich bewiesen, dass ich gute<br />
Arbeit leisten kann.»<br />
*<br />
Flexibilität gesucht<br />
Es ist sehr schwierig, sich als Mensch mit Behinderung<br />
anonym zu bewerben. Oft sind die Arbeitgeber<br />
verunsichert. Meine Ausbildung passt nicht in das<br />
klassische Berufsschema, d.h. es gibt auch keine<br />
Stellenausschreibung, die genau auf mein Profil passt.<br />
Meistens mache ich Blindbewerbungen. Ich bin auf<br />
eine wohlwollende Haltung von Seiten der Arbeitgeber<br />
angewiesen und denke, dass Vitamin B extrem<br />
wichtig ist. Oft steht nur die Barrierefreiheit im Mittelpunkt,<br />
sie ist aber meiner Meinung nach nicht das<br />
Hauptproblem. Ohne eine gewisse Flexibilität von<br />
Seiten der Arbeitgeber geht es nicht. Ich denke, dass<br />
Vieles möglich wäre, wenn man nicht gleich abblocken<br />
würde und es zu einem offenen Austausch<br />
mit den Firmen käme. Es fällt mir nicht so leicht, in<br />
einer Bewerbung offen über meine Behinderung<br />
zu schreiben. Aber irgendwann muss das Thema auf<br />
den Tisch. Manchmal denke ich, dass mein Bewerbungsschreiben<br />
deswegen oft nicht einmal fertiggelesen<br />
wird.<br />
Steiniger Weg<br />
Im Rahmen eines Bewerbungsmoduls in der Aus -<br />
bil dung besuchten wir die Berufsmesse in Zürich.<br />
Wir waren bereits letztes Jahr dort und ich wusste,<br />
dass es nicht einfach werden würde, nützliche Infos<br />
zu bekommen. Es kam so, wie ich vermutet hatte.<br />
Viele Firmen stellen Lernende an ihre Stände, die mit<br />
unseren Fragen oft überfordert sind. Sie haben keine<br />
Ahnung, was sie uns erzählen sollen. Viele verwiesen<br />
uns auch bei diesem Besuch auf ihre Webseite.<br />
Sie wussten aber auch, dass die dort publizierten<br />
Informa tionen uns nicht weiterhelfen. Mit der Zeit regte<br />
es mich auf. Sie versuchten, uns mit allen Mitteln<br />
ab zuschütteln. Es war sehr deprimierend. Mir ist es<br />
klar, dass es sich um eine Messe für Ausbildungen<br />
und Weiterbildungsmöglichkeiten und nicht um eine<br />
Jobbörse handelt. Dennoch hatte ich vor dem Besuch<br />
gehofft, mit einzelnen Firmen in Kontakt zu kommen.<br />
Hoffnungsloser Fall?<br />
Im Moment läuft es nicht so rund bei der Stellensuche.<br />
Bis jetzt habe ich nur Absagen bekommen.<br />
Meist waren es Standardantworten. Nur zweimal habe<br />
ich eine Rückmeldung bekommen, warum es nicht<br />
klappt. In beiden Fällen lag es an der Rollstuhlgängigkeit.<br />
Ich habe es nicht einmal zu einem Vorstellungsgespräch<br />
geschafft. Ich habe das Gefühl, dass ich ein<br />
hoffnungsloser Fall bin. Ich bin dennoch überzeugt,<br />
dass es nicht nur an mir liegt. Für Menschen mit<br />
Behinderung gibt in der Schweiz ein breites Angebot<br />
und viele Möglichkeiten. Leider ist der Arbeitsmarkt<br />
für Menschen mit und ohne Behinderung aus meiner<br />
Sicht zu separiert. Ich denke, es muss sich gesellschaftlich<br />
noch Vieles ändern, damit Menschen wie<br />
ich einen gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt<br />
erhalten. Ich werde mich weiterhin um Möglichkeiten<br />
im ersten Arbeitsmarkt bemühen. «<br />
Auch soziale Kompetenzen<br />
und Umgangsformen sind im<br />
Praktikum gefragt.<br />
24<br />
25
SPORT<br />
Am Ball<br />
bleiben<br />
Ich wollte nie mit anderen körpereingeschränkten<br />
Menschen Sport treiben. Einer meiner besten<br />
Kollegen musste mich sehr lange überzeugen,<br />
bis ich in ein Rollstuhl-Hockey-Probetraining ging.<br />
Heute bin ich ihm sehr dankbar.<br />
Von Dominik Zenhäusern<br />
«Während des Spiels vergesse ich meine Krankeit.» Dominik am<br />
Internationalen Powerchair-Hockey-Turnier in Zürich, <strong>2018</strong>.<br />
26<br />
27
SPORT<br />
Das Offensivspiel gehören<br />
zu Dominiks Stärken.<br />
Eigentlich wollte ich schon immer<br />
Eishockey spielen. Doch<br />
ich habe die Erbkrankheit<br />
Kongenitale Muskeldystrophie.<br />
Als Folge davon bauen sich meine<br />
Muskeln langsam ab, weshalb ich<br />
seit meinem neunten Lebensjahr<br />
auf einen Elektrorollstuhl angewiesen<br />
bin. Mittlerweile spiele ich<br />
seit elf Jahren Powerchair Hockey.<br />
Das ist die einzige Sportart, die ich<br />
mit einem Elektrorollstuhl ausüben<br />
kann. Powerchair Hockey ist mein<br />
Leben und nicht nur ein Hobby.<br />
Dabei fühle ich mich frei und vergesse<br />
meine Krankheit. Ich liebe es,<br />
mich zu bewegen.<br />
Vor dem Spiel<br />
Ich habe vor jedem Spielwochenende<br />
feste Rituale. Ich wechsle<br />
das Griffband am Stock. Ich ziehe<br />
immer zuerst das linke Schweissband<br />
an, dann das rechte. Ich ziehe<br />
mir meine Kopfhörer über und höre<br />
«Remember The Name» von Fort<br />
Minor. Wenn ich diesen Song höre,<br />
kann ich alle schlechten Gedanken<br />
ausblenden. Mein Adrenalinspiegel<br />
steigt bereits auf dem Weg zum<br />
Spiel. Ich freue mich immer auf<br />
diesen Adrenalinschub. Vor dem<br />
Anpfiff bin ich dann meist sehr<br />
ruhig und konzentriere mich nur<br />
auf das Spiel. Wenn ich auf das<br />
Spielfeld fahre, erfüllt es mich mit<br />
Stolz, dass ich für eine Mannschaft<br />
oder eine Nation antreten kann.<br />
Wenn die Nationalhymne ertönt,<br />
kriege ich Gänsehaut.<br />
Als Team<br />
Ich habe gelernt, dass man im<br />
Powerchair Hockey nur als Team<br />
Erfolg haben kann. Kommunikation<br />
ist auf und neben dem Feld entscheidend.<br />
Mir ist es wichtig, dass<br />
ich mich mit meinen Mitspielern<br />
gut verstehe. Ein Zitat des Eishockeyspielers<br />
Garrett Roe, das mir<br />
sehr viel bedeutet, lautet: «Wenn<br />
du mit jemandem spielst, dem<br />
du vertrauen kannst, spielst du<br />
mit mehr Selbstbewusstsein und<br />
Freiheit.» Zusammen erfolgreich zu<br />
sein und auf ein Ziel hinzuarbeiten,<br />
motiviert mich und macht Spass.<br />
Wir gewinnen und verlieren als<br />
Team. Ich bringe vor allem meine<br />
Stärken im Offensiv- und im Zusammenspiel<br />
ein. Ich hatte schon<br />
viele Krisen. Vor allem, wenn ich<br />
das Tor lange nicht getroffen habe.<br />
Die Niederlagen gehen mir immer<br />
durch den Kopf und auch Dinge,<br />
die ich besser machen könnte. Die<br />
schlimmsten Niederlagen sind<br />
jene, bei denen wir das ganze Spiel<br />
besser sind und trotzdem verlieren.<br />
Der Zusammenhalt im Team hilft<br />
mir, mich auf die positiven Dinge<br />
zu konzentrieren.<br />
Voller Einsatz<br />
Viele sehen nur den Sport, aber<br />
nicht, was sonst noch dahintersteckt.<br />
Ich muss selbst planen,<br />
wie ich meine Ausbildung und den<br />
Sport unter einen Hut bekomme.<br />
Ich trainiere mit meiner Mannschaft,<br />
den Iron Cats, einmal in<br />
der Woche und mit der Nationalmannschaft<br />
ein Wochenende im<br />
Monat. Zusätzlich trainiere ich<br />
alleine auf dem Hockey-Feld. In<br />
der Physiotherapie mache ich<br />
Hantel- und Seilzugtraining für<br />
den Kraftaufbau. Dadurch kann<br />
ich meine Zugkraft im Hockey<br />
verbessern. Ausserdem spiele ich<br />
Ping-Pong für meine Augen-Arm-<br />
Koor dination. Das hilft mir auch<br />
bei schnellen Entscheidungen<br />
auf dem Hockey-Feld. Hinzu kommen<br />
verschiedene Übungen für<br />
den Rumpf, wodurch ich stabiler<br />
im Rollstuhl sitze. Gleichzeitig<br />
bleibe ich flexibel und bewahre die<br />
Kraft, um meine Transfers in den<br />
und aus dem Rollstuhl weiter<br />
selbst zu machen. Beim Hockey<br />
nutze ich einen Sportrollstuhl,<br />
auf internationaler Ebene hätte<br />
ich mit meinem keine Chance.<br />
Die Sportrollstühle sind stabiler,<br />
schneller, wendiger und haben<br />
Schutzbügel, damit nichts kaputtgeht.<br />
Träume werden wahr<br />
Ein entscheidender Punkt in<br />
meiner sportlichen Karriere war<br />
der Wechsel zu den Iron Cats. Und<br />
natürlich die Nominierung in die<br />
Schweizer Nationalmannschaft.<br />
Das war ein grosser Traum und<br />
ein riesiger Motivationsschub.<br />
Meine persönlichen Erfolge waren<br />
mein erster Einsatz mit der Nationalmannschaft<br />
und mein erster<br />
Treffer an einer Endrunde. Dreimal<br />
wurde ich bereits an einem Turnier<br />
als wertvollster Spieler (MVP –<br />
Most Valuable Player) ausgezeichnet<br />
und fünfmal war ich Topscorer,<br />
also der Spieler, der die meisten<br />
Tore erzielt hat. Ich hoffe das<br />
Powerchair Hockey im Jahr 2020<br />
bei den Paralympischen Spielen<br />
dabei sein wird. Mein grösster<br />
Traum ist, eines Tages als Captain<br />
mit der Schweizer Nationalmannschaft<br />
Welt- und Europameister zu<br />
werden und 2020 in Tokyo olympisches<br />
Gold zu holen. «<br />
Die Kommunikation ist entscheidend,<br />
um als Team Erfolg zu haben.<br />
28<br />
29
AUSGANG<br />
Mittendrin<br />
Als ich zum ersten Mal mit meinem Kollegen vor<br />
einem Club stand, dachte ich, wir seien fehl am Platz.<br />
Wir waren die einzigen Rollstuhlfahrer.<br />
Von Driton Avidijaj<br />
Ich war mit einem Kollegen «am<br />
Abhängen» und schaute auf<br />
dem Handy, was so läuft. Dabei<br />
stiess ich auf eine interessante<br />
Hip-Hop-Party. Wir entschieden<br />
uns spontan, es zu wagen und<br />
dort hinzugehen. Als wir dort ankamen,<br />
hatten wir plötzlich Zweifel:<br />
«Was machen wir eigentlich hier?<br />
Kommen wir überhaupt hinein?»<br />
Wir waren die einzigen Rollstuhlfahrer.<br />
Die Security liess uns ohne<br />
Probleme rein. Alle waren cool und<br />
haben uns freundlich aufgenommen,<br />
wir wirkten überhaupt nicht<br />
wie Fremdkörper. Die Leute, die<br />
die Party organisierten und Musik<br />
auflegten, freuten sich, dass wir<br />
gekommen waren. Wir waren für<br />
sie die ersten Besucher im Elektrorollstuhl.<br />
Mittlerweile gehe ich<br />
immer an ihre Veranstaltungen<br />
und die DJs begrüssen mich heute<br />
per Handschlag.<br />
Ohne Planung läuft nichts<br />
Auf eine Party zu gehen, ist für<br />
mich Freiheit. Ich hoffe, dass gute<br />
Musik läuft, coole Leute am Start<br />
sind und meine Kollegen dabei<br />
sind. Bei Clubs, in denen ich noch<br />
nie war, informiere ich mich vorher<br />
darüber, ob sie rollstuhlgängig<br />
sind. Ganz schwierig finde ich den<br />
Transport, wenn ich im Winter von<br />
Wollerau aus in den Ausgang nach<br />
Zürich möchte. Vor allem die Rückfahrt<br />
ist ein Problem, weil in der<br />
Nacht kaum Rollstuhltaxis fahren.<br />
Ich muss alles frühzeitig organisieren<br />
und meine Eltern müssen mich<br />
nach dem Ausgang ins Bett bringen.<br />
Manchmal fahre ich auch mit<br />
dem ÖV. Meine Eltern lassen mich<br />
nachts aber nicht gerne den ÖV<br />
benutzen. Sie machen sich Sorgen,<br />
dass mir etwas passieren könnte.<br />
Auf Behinderung reduziert<br />
Ich finde es seltsam, wenn mir ein<br />
völlig Unbekannter plötzlich eine<br />
Frage zu meiner Behinderung<br />
stellt. Weder die Organisatoren der<br />
Partys noch die DJs haben mich<br />
noch nie etwas über meine Krankheit<br />
oder Behinderung gefragt.<br />
So sollte es immer sein. Ich will mit<br />
den Leuten feiern und nicht Gespräche<br />
über meine Krankheit<br />
führen. Ich rede gerne, aber dieses<br />
*<br />
Ich will im<br />
Ausgang keine<br />
Gespräche über<br />
meine Krankheit.<br />
*<br />
Thema hatte ich schon zu oft. Ich<br />
stimme dann meist nur zu, damit<br />
das Thema so schnell wie möglich<br />
durch ist. Ich könnte auch diskutieren,<br />
will meine Energie aber<br />
nicht für so etwas verbrauchen<br />
und mich aufregen. Die Leute<br />
könnten mich stattdessen fragen,<br />
wie ich heisse oder mit etwas<br />
Humorvollem starten.<br />
Manchmal hat es auch Vorteile,<br />
nicht normal behandelt<br />
zu werden. Obwohl ich kein Fan<br />
vom Rollstuhlbonus bin, sage ich<br />
bei gewissen Angeboten nicht<br />
nein. Bei manchen Events komme<br />
ich kostenlos rein, das nehme ich<br />
natürlich dankend an. Bei Warteschlangen<br />
darf ich mich meist<br />
vordrängeln, ohne dass jemand<br />
meckert. Wenn mir jemand ein<br />
Getränk spendieren will, bin ich<br />
schon skeptischer.<br />
Auf der Suche<br />
Klar spielt das Thema Frauen auch<br />
eine Rolle, wenn ich in den Ausgang<br />
gehe. Die Hoffnung, dass sich<br />
etwas entwickelt, ist natürlich da.<br />
Gleichzeitig hüte ich mich davor,<br />
zu viele Hoffnungen zu haben.<br />
Ich frage mich manchmal, ob sich<br />
die Frauen mir gegenüber anders<br />
verhalten würden, wenn ich laufen<br />
könnte. Ich bin mit vielen Bekanntschaften<br />
aus dem Club in Kontakt.<br />
Ich freue mich immer, wenn jemand<br />
mit mir tanzt. Ich hoffe, dass<br />
auch mehr entsteht, das ist klar.<br />
Es lohnt sich<br />
Ich passe im Ausgang sehr auf.<br />
Ich hoffe, dass ich nicht auf Betrunkene<br />
treffe und mir niemand<br />
in die Steuerung greift. Es kann für<br />
alle gefährlich werden, wenn der<br />
Rollstuhl plötzlich unkontrolliert<br />
losfährt. Bei einem Konzert war ich<br />
ganz vorne. Ich wusste, dass es<br />
abgehen würde. Dass es jedoch so<br />
eskalieren würde, hätte ich nie<br />
gedacht. Die Menschenmenge ist<br />
gesprungen und mehrere Personen<br />
sind auf mich gestürzt. Ich musste<br />
weiter nach hinten gehen, weil das<br />
für mich zu gefährlich war.<br />
Manchmal fühle ich mich<br />
bedrängt, z. B. wenn Leute, die<br />
ich noch nie gesehen habe, mich<br />
einfach anfassen. Trotz allem<br />
denke ich, dass es wichtig ist, auch<br />
als Rollstuhlfahrer in den Ausgang<br />
zu gehen. Man lernt neue Leute<br />
kennen. Mein Fazit ist positiv. Ich<br />
habe viele tolle Menschen kennengelernt<br />
und viel erlebt. Das klappt<br />
nur, wenn man es wagt. «<br />
30<br />
31
Das Redaktionsteam<br />
LEHRLING<br />
PRAKTIKANTIN<br />
LEHRLING<br />
LERNCOACH<br />
LEHRLING<br />
LEHRLING<br />
LERNCOACH<br />
Alex Lima Amaral<br />
LERNCOACH<br />
Dominik Zenhäusern<br />
Fahrzeugtyp Turbo Twist «Sport 3»<br />
Topspeed 18 km/h<br />
Leergewicht 100 kg<br />
Kilometerstand 8'726 km<br />
LEHRLING<br />
Menga Bäggli<br />
Fahrzeugtyp Profim «Comfort L»<br />
Topspeed 3 km/h<br />
Leergewicht 16 kg<br />
Kilometerstand keine Angaben<br />
Lukas Frei<br />
Fahrzeugtyp Permobil «M5»<br />
Topspeed 10 km/h<br />
Leergewicht 280 kg<br />
Kilometerstand 885 km<br />
Driton Avidijaj<br />
Fahrzeugtyp Turbo Twist «T4»<br />
Topspeed 10 km/h<br />
Leergewicht 140 kg<br />
Kilometerstand 1'820 km<br />
LEITER AUSBILDUNG<br />
Steven Deblander<br />
Fahrzeugtyp Giroflex «64»<br />
Topspeed 7 km/h<br />
Leergewicht 18 kg<br />
Kilometerstand keine Angaben<br />
Fahrzeugtyp Turbo Twist «T4»<br />
Topspeed 11 km/h<br />
Leergewicht 140 kg<br />
Kilometerstand 1'100 km<br />
LEHRLING<br />
Michael Groer<br />
Fahrzeugtyp Kavo «PHYSIO»<br />
Topspeed 4 km/h<br />
Leergewicht 8 kg<br />
Kilometerstand keine Angaben<br />
LEHRLING<br />
LERNCOACH<br />
Frank Grüninger<br />
Fahrzeugtyp Dauphin «Trendy»<br />
Topspeed 3 km/h<br />
Leergewicht 9 kg<br />
Kilometerstand keine Angaben<br />
Pascal Willi<br />
Fahrzeugtyp Quicki «Jaiv M2»<br />
Topspeed 10 km/h<br />
Leergewicht 190 kg<br />
Kilometerstand 240 km<br />
Anosan Arunthavarajah<br />
Fahrzeugtyp Permobil «F5»<br />
Topspeed 10 km/h<br />
Leergewicht 194 kg<br />
Kilometerstand 980 km<br />
Lukas Fischer<br />
Fahrzeugtyp Eiermann «S197 R»<br />
Topspeed 5 km/h<br />
Leergewicht 9 kg<br />
Kilometerstand keine Angaben<br />
Leslie Weiss<br />
Fahrzeugtyp Dauphin «Trendy»<br />
Topspeed 3 km/h<br />
Leergewicht 9 kg<br />
Kilometerstand keine Angaben<br />
Stjepan Jurcevic<br />
Fahrzeugtyp Turbo Twist «T3»<br />
Topspeed 11 km/h<br />
Leergewicht 140 kg<br />
Kilometerstand 8'340 km<br />
32<br />
33
Wussten Sie,<br />
dass…<br />
… hindernisfreies Wohnen<br />
häufig realisierbar wäre?<br />
Eine Studie der Pro Infirmis hat ergeben, dass<br />
mehr als die Hälfte der Wohnbauten in Basel-Stadt<br />
hindernisfrei gemacht werden könnten. Um Anreize<br />
für die Eigentümer zu schaffen, seien jedoch<br />
weitere gesetzliche Vorgaben notwendig. Zudem<br />
müsse es für das Bauen von hindernisfreien Wohnungen<br />
finanzielle Unterstützung geben. Nicht nur<br />
für Rollstuhlfahrer sind hindernisfreie Wohnungen<br />
wichtig, auch ältere Menschen können davon<br />
profitieren.<br />
* * *<br />
… 50% der Schweizer<br />
denken, eine Behinderung<br />
führe zur Diskriminierung?<br />
Bei einer von Pro Infirmis in Auftrag gegebenen<br />
Studie gaben mehr als die Hälfte der Befragten an,<br />
dass aus ihrer Sicht in der Schweiz zu wenig Rücksicht<br />
auf Menschen mit einer Behinderung genommen<br />
wird. Sie fordern, dass öffentliche Gebäude<br />
barrierefrei gebaut werden. Die Finanzierung solle<br />
dabei nicht zu Lasten der Menschen mit einer<br />
Behinderung gehen, sondern durch die Besitzer,<br />
die öffentliche Hand und gemeinnützige Organisationen<br />
erfolgen.<br />
… es im<br />
Powerchair Hockey<br />
Weltmeisterschaften gibt?<br />
Die letzte WM im Powerchair Hockey fand vom<br />
24.9. bis 1.10.<strong>2018</strong> in Italien statt. Das war die vierte<br />
Weltmeisterschaft. Für die Teilnahme qualifizierten<br />
sich Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland,<br />
Holland, Italien, Kanada und Schweiz. Italien wurde<br />
vor Dänemark und dem Titelverteidiger Holland<br />
Weltmeister. Die Schweizer Nationalmannschaft<br />
landete auf dem fünften Platz.<br />
* * *<br />
… ein erstes<br />
Diskriminierungsurteil<br />
rechtskräftig ist?<br />
Im März 2017 wurde in der Schweiz zum ersten<br />
Mal eine Diskriminierung von Menschen mit einer<br />
Behinderung auf Basis des Behindertengleichstellungsgesetzes<br />
(BehiG) rechtsgültig festgestellt.<br />
Obwohl eine Klasse mit behinderten Menschen<br />
angemeldet war, wurde der Zutritt vom Appenzeller<br />
Heilbad Bad Unterrechstein verweigert. In einer Begründung<br />
argumentierte das Bad, dass Menschen<br />
mit Behinderungen bei Badegästen «auf wenig<br />
Akzeptanz stossen» würden.<br />
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<strong>MEH</strong> – für Menschen mit Körperbehinderung Lengghalde 1 8008 Zürich<br />
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«Mir gefällt es sehr gut<br />
im <strong>MEH</strong>, hier habe ich<br />
viele gute Freunde.»<br />
Richard, Jahrgang 2000,<br />
Muskeldystrophie Typ Duchenne<br />
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<strong>MEH</strong> Eine Organisation der Mathilde Escher Stiftung<br />
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