MEH Pause 2017
Das ist das Lehrlingsmagazin des Mathilde Escher Heim - Ausgabe 2017
Das ist das Lehrlingsmagazin des Mathilde Escher Heim - Ausgabe 2017
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DAS LEHRLINGSMAGAZIN <strong>2017</strong><br />
Stolperstein<br />
Bissiger<br />
Rollstuhlfahrer<br />
SEITE 13<br />
Rhythmus<br />
im Blut<br />
In einer Projektwoche vom<br />
Musikvirus infiziert.<br />
SEITE 20<br />
ALLTAG<br />
Den<br />
Insekten<br />
ausgeliefert<br />
SEITE 14<br />
ERLEBT<br />
Erdbeben<br />
hautnah<br />
SEITE 18
«Ich bin ein<br />
Schweizer<br />
Meister!»<br />
Powerchair Hockey vom Feinsten seit 1989.<br />
www.iron-cats.ch info@iron-cats.ch<br />
2<br />
Unterstützt durch das<br />
Wir<br />
können's<br />
Von Lukas Frei<br />
EDITORIAL<br />
3<br />
So gut werde ich meinen Artikel nie hinbekommen,<br />
dachte ich beim Lesen vergangener Ausgaben<br />
des Magazins «<strong>Pause</strong>». Ich suchte für<br />
meinen Artikel das Thema «Heimat» aus. Zunächst<br />
wollte ich nur allgemein darüber schreiben. Dann<br />
kam ich bei der Arbeit am Artikel ins Nachdenken. Es<br />
wurde mir bewusster, was meine Eltern und Schwestern<br />
leisten und wie viel mir meine Familie bedeutet.<br />
Mein Leben mit einer Behinderung auf einem Bauernhof<br />
ist nicht immer einfach. Das Grübeln darüber<br />
bringt mich aber nicht weiter. Darum versuche ich,<br />
mich auf das Positive in meinem Leben zu konzentrieren<br />
und mich den Herausforderungen zu stellen.<br />
Immer nach dem Motto: Man findet nur heraus,<br />
was geht, wenn man es versucht.<br />
Auch in der Ausbildung sind wir im vergangenen<br />
Jahr diesem Motto treu geblieben und haben viele<br />
spannende Projekte angepackt. Der Artikel «Wheel<br />
mir's chönd» handelt von unserer Projektwoche mit<br />
Profimusikern. Wir haben fünf Songs geschrieben<br />
und ein Album aufgenommen. Das war nicht einfach<br />
und brauchte eine ganze Menge Mut.<br />
Die jährliche Ausbildungsreise bot neben tollen<br />
Erlebnissen auch allerlei Herausforderungen. Wir<br />
mussten im Voraus sehr viel organisieren und waren<br />
auch während der Reise alle gefordert. Das Ziel unserer<br />
Reise war das Hip-Hop-Festival «splash!».<br />
Nicht nur in der Ausbildung, sondern auch in der<br />
Freizeit gab es spannende Projekte. Pamela berichtet<br />
in ihrem Artikel «Am Schnittpult» von ihrem Hobby.<br />
Sie produziert Videos. Auf ihrem Youtube-Kanal hatte<br />
sie schon über drei Millionen Besucher.<br />
Im vergangenen Jahr wurde mir nicht nur bei der<br />
Arbeit am Magazin «<strong>Pause</strong>» immer wieder klar, dass<br />
Dinge, vor denen man Respekt hat, oft gar nicht so<br />
schlimm sind. Wenn man sich den Herausforderungen<br />
stellt, ist es fast wie beim Musizieren. Irgendwann<br />
findet man den Rhythmus. «
Durst nach Arbeit!<br />
INHALT<br />
10 AM SCHNITTPULT<br />
Pamela produziert<br />
Videos und veröffentlicht<br />
sie auf Youtube.<br />
Das ist ihre grosse<br />
Leidenschaft.<br />
Gesucht<br />
Praktikum für einen<br />
Tag pro Woche<br />
während unserem<br />
2. Ausbildungsjahr.<br />
Daheim<br />
Lukas lebt mit seiner Familie auf<br />
einem Bauernhof im Toggenburg.<br />
Dort fühlt er sich daheim. Aber<br />
es ist nicht immer einfach.<br />
6<br />
Rhythmus<br />
im Blut<br />
20<br />
Im Rahmen einer Projektwoche<br />
haben wir mit Profimusikern<br />
eigene Songs produziert und<br />
unser Al bum «Wheel mir's chönd»<br />
auf ge nommen.<br />
14 PANIK!<br />
Wegen seiner Muskelschwäche<br />
ist Ajeev<br />
Insektenangriffen<br />
wehrlos ausgeliefert.<br />
18 DIE ERDE BEBT<br />
Als Kind hat Pamela<br />
ein starkes Erbeben in<br />
Peru erlebt.<br />
25 AUSBRECHEN<br />
Im Computer-Spiel<br />
wird Pascal zum Superhelden.<br />
13 STOLPERSTEIN<br />
16 REDAKTIONSTEAM<br />
19 FOTOSTORY<br />
30 WUSSTEN SIE,<br />
DASS …<br />
Geben Sie uns die Chance, unseren Durst zu stillen. Wir suchen ein Praktikum,<br />
um erste Berufserfahrungen zu sammeln und unser Computer-Knowhow<br />
auf die Probe zu stellen. Wir sind überzeugt, auch in Ihrem Unternehmen gibt es<br />
Tätigkeiten am Computer, die wir Ihnen abnehmen können.<br />
Fette Bässe<br />
Ein stillgelegter Braunkohletagebau<br />
in Ostdeutschland bildet<br />
die imposante Kulisse eines<br />
der grössten Hip-Hop-Festivals<br />
Europas. Wir waren dabei!<br />
26<br />
IMPRESSUM<br />
PAUSE – das Lehrlingsmagazin<br />
Ausgabe Nr. 117, 35. Jahrgang<br />
Herausgeber: <strong>MEH</strong>, Lengghalde 1,<br />
8008 Zürich, Telefon 044 389 62 00,<br />
www.meh.ch, l.fischer@meh.ch<br />
Fotos: Michael Groer, Steven Deblander<br />
Korrektorat: Iris Vettiger<br />
Litho: b+b repro AG<br />
Druck: Druckerei Albisrieden AG<br />
Auflage: 3‘200 Exemplare<br />
Erscheint: 1 x pro Jahr<br />
Lukas Fischer, Leiter berufliche Ausbildung <strong>MEH</strong>, freut sich auf Ihren Anruf: Tel. 044 389 62 57<br />
4<br />
5
EINBLICK<br />
Daheim<br />
Ich liebe das Leben bei meiner Familie auf<br />
unserem Bauernhof im Toggenburg. Mit dem<br />
Rollstuhl ist das nicht immer einfach. Damit es<br />
klappt, müssen alle zusammenhalten.<br />
Von Lukas Frei<br />
«Unser Original Braunvieh bedeutet für mich ein Stück Heimat»<br />
6<br />
7
EINBLICK<br />
Es gibt viel Arbeit auf dem Hof.<br />
Auch Lukas Schwestern müssen<br />
tüchtig mit anpacken.<br />
18<br />
glückliche Kühe mit Hörnern, 20 Hektar<br />
Wiesen und ein Traktor – manchmal hört<br />
man am Abend ein Alphorn. Ich lebe mit<br />
meiner Familie auf einem Bauernhof im Toggenburg,<br />
mit perfekter Sicht auf den Säntis. Zu uns kommt<br />
man nur über eine kleine kurvenreiche Nebenstrasse.<br />
Wir haben einen riesigen Gemüsegarten und «Original<br />
Braunvieh», das besonders schön ist. Ich mag<br />
unsere Kühe, jeden Morgen gibt es eine Tasse Milch,<br />
direkt von den Kühen. Das ist die beste Milch, die<br />
es gibt. In der Nacht sieht man die Sterne – kein Vergleich<br />
zu Zürich.<br />
Immer voller Einsatz<br />
Das Leben auf dem Land klingt für viele romantisch.<br />
Doch das Leben auf einem Bauernhof ist nicht immer<br />
einfach. Meine Eltern sind mit dem Hof sehr beschäftigt.<br />
Die Arbeit im Stall hört nie auf. Sie kümmern sich<br />
ausserdem um mich und meinen Bruder. Wir haben<br />
eine Muskelkrankheit und sind auf Rollstühle angewiesen.<br />
Ich wünschte mir, dass meine Eltern mehr Zeit<br />
für sich hätten und zur Ruhe kämen. Oft fragen wir<br />
unsere Schwestern, ob sie uns helfen. Meine kleine<br />
Schwester weigert sich manchmal. Ich verstehe das,<br />
denn sie muss viel helfen. Manchmal knallt es auch,<br />
weil sie nicht mehr mag. Meinen Vater sehe ich oft<br />
nur beim Essen oder am Abend nach der Stallarbeit.<br />
Um 21 Uhr bringen unsere Eltern uns ins Bett. Bis wir<br />
endlich liegen, ist es meist schon 22 Uhr. Manchmal<br />
nervt es mich, dass ich so früh ins Bett muss. Ich<br />
habe aber auch Verständnis: In der Nacht muss mein<br />
Vater meinen Bruder und mich mehrmals umlagern.<br />
Morgens um 5 Uhr geht er bereits wieder in den Stall.<br />
Auf dem Abstellgleis<br />
Als Kind fand ich es cool, auf einem Bauernhof aufzuwachsen.<br />
Da konnte ich den Kühen noch Gras zum<br />
Fressen geben, sie streicheln oder mit dem Traktor<br />
mitfahren. Das geht heute leider nicht mehr. Manchmal<br />
schaue ich noch beim Heuen oder Silieren zu.<br />
Wenn das Wetter gut ist, bleibt meinen Eltern nicht<br />
mehr viel Zeit für meinen Bruder und mich. Das heisst,<br />
wenn wir etwas brauchen, müssen wir es ankündigen.<br />
Entweder gehen wir mit hinaus oder bleiben im Haus.<br />
Wenn wir drinnen bleiben, müssen wir warten, z. B.<br />
wenn wir aufs WC müssen. Manchmal langweile ich<br />
mich. Wir unternehmen wenig als Familie, weil die<br />
Zeit dazu einfach fehlt. Wir schauen aber, dass wir<br />
im Herbst gemeinsame Ferien machen können.<br />
Mein zweites Zuhause<br />
Seit vier Jahren lebe ich unter der Woche im <strong>MEH</strong><br />
und mache seit einem Jahr eine Ausbildung. Ich<br />
bin gerne dort, weil ich alles habe, was ich brauche.<br />
Meine Kollegen im <strong>MEH</strong> bedeuten mir sehr viel. Ich<br />
kann mit ihnen über alles reden. Wir sind oft gemeinsam<br />
unterwegs und gehen in die Stadt, ins Kino<br />
oder an den See. Wir hören gemeinsam Musik oder<br />
spielen Streiche. Ausserdem spiele ich Elektrorollstuhl-Hockey.<br />
Ich fühle mich im <strong>MEH</strong> sehr wohl und<br />
habe viele Möglichkeiten. Trotzdem ist das <strong>MEH</strong><br />
für mich nicht wirklich meine Heimat, denn die ist<br />
dort, wo meine Familie lebt. Ich habe das Gefühl,<br />
dass meine Eltern sehr froh sind, wenn mein Bruder<br />
und ich wenigstens am Wochenende nach Hause<br />
kommen. In unserer Familie haben wir einen sehr<br />
engen Zusammenhalt. Jedes Wochenende, wenn<br />
ich und mein Bruder nach Hause gehen, tausche ich<br />
mich mit meiner Mutter aus. Ich erzähle ihr, was im<br />
<strong>MEH</strong> läuft, und sie mir, was zuhause vor sich geht.<br />
Ich bin auch froh, dass ich zuhause mal meine Ruhe<br />
habe. Was uns in unserer Familie Halt gibt, ist unser<br />
Glaube. Er macht mir das Leben einfacher, ich kann<br />
leichter mit meiner Behinderung umgehen. Für<br />
mich gibt es keinen Tod, ich gehe von einer Welt in<br />
eine andere, wie wenn ich «umziehen» würde.<br />
Was bringt die Zukunft?<br />
Ich würde sehr gerne wieder ganz zuhause leben,<br />
meine Eltern würden mir das auch ermöglichen,<br />
aber dafür müsste ich in der Nähe eine Arbeitsstelle<br />
finden. Ich werde wohl auch nach der Ausbildung<br />
unter der Woche im <strong>MEH</strong> leben und am Wochenende<br />
nach Hause gehen. Trotz aller Schwierigkeiten ist<br />
mir mein Zuhause sehr wichtig. Ich denke nicht, dass<br />
ich mein ganzes Leben zuhause verbringen kann.<br />
Meine Eltern werden älter. Meine Geschwister werden<br />
wohl irgendwann ausziehen. Vielleicht übernimmt<br />
meine kleine Schwester einmal den Hof. Es wird sich<br />
vieles ändern. Irgendwann kommt der Zeitpunkt,<br />
an dem unsere Eltern uns nicht mehr zuhause pflegen<br />
können. Dann brauchen wir eine Lösung und ich<br />
werde mich entscheiden müssen. Da ist es gut zu<br />
wissen, dass es das <strong>MEH</strong> gibt. «<br />
Zu Hause findet Lukas<br />
Ruhe und einen Gegenpol zu<br />
seinem Leben im <strong>MEH</strong>.<br />
8<br />
9
PERSÖNLICH<br />
Am<br />
Schnittpult<br />
Ich produziere eigene Videos und lade sie auf Youtube<br />
hoch. Das ist meine grosse Leidenschaft. Mittler -<br />
weile hatte mein Kanal bereits drei Millionen Besucher<br />
und ich bekomme viele tolle Rückmeldungen.<br />
Von Pamela Kundert<br />
Angefangen hat alles damit, dass<br />
es mir langweilig war. Ich sass<br />
zuhause am PC und klickte durch<br />
verschiedene Videos. Irgendwann<br />
stolperte ich über kurze Videos,<br />
die aus verschiedenen Filmen zusammengeschnitten<br />
waren und so<br />
eine neue Handlung bekamen. Ich<br />
konnte nicht glauben, dass alles<br />
so real aussah. Ich fing an, mich<br />
darüber zu informieren, wie man so<br />
etwas macht, und fand heraus,<br />
dass es eigentlich ganz einfach ist.<br />
Mit Leidenschaft<br />
Zuerst habe ich nur kurze Videos<br />
gemacht und fast keine Effekte benutzt.<br />
Später habe ich aus bestehenden<br />
Disney-Filmen eine eigene<br />
Story entwickelt und bei Youtube<br />
hochgeladen. Es hat mir Spass gemacht,<br />
eine eigene Geschichte zu<br />
kreieren. Das schien den Leuten<br />
zu gefallen. Ich habe nicht erwartet,<br />
dass tatsächlich jemand meinen<br />
Ka nal abonniert und ich so viele<br />
Kommentare bekomme. Es ist im<br />
Grunde einfach, aber auch sehr<br />
zeitaufwändig. Ich nutze über<br />
80 Filme als Ausgangsmaterial<br />
und habe die meisten mehrmals<br />
angeschaut, um zu wissen, wo<br />
sich welche Szene befindet, damit<br />
ich nicht ewig suchen muss,<br />
wenn ich an einem Video arbeite.<br />
Mit der Zeit habe ich aufgehört, mit<br />
Disney-Filmen zu arbeiten, und<br />
verwende nun Anime, aus denen<br />
ich Musikvideos zu bekannten<br />
Songs produziere. Ich orientiere<br />
«Zum Glück ist das Editieren und<br />
Filmeschneiden heute viel einfacher<br />
als noch zu Zeiten der Filmrollen.»<br />
10<br />
11
PERSÖNLICH<br />
mich dabei am Inhalt des gewählten<br />
Songs. Ich editiere jeden Tag<br />
mindestens zwei Stunden, aber<br />
oft bin ich, ohne es zu merken, den<br />
ganzen Tag am Schneiden. Ich<br />
muss aufpassen, weil ich dann<br />
Handschmerzen kriege. Die meisten<br />
meiner Videos wurden min <br />
de stens 7 000 Mal angeschaut,<br />
einige hatten über 300 000 Besucher.<br />
Pro Video bekomme ich 80<br />
bis 200 Kommentare. Eigentlich<br />
könnte ich damit etwas Geld verdienen,<br />
da ich aber fremdes Filmmaterial<br />
nutze, ist das rechtlich<br />
problematisch.<br />
Rückmeldungen<br />
Es ist mir wichtig, meine Besucher<br />
gut zu unterhalten. Deswegen<br />
versuche ich immer, mit etwas<br />
Neuem zu experimentieren, oft<br />
mit Effekten oder spezieller Musik.<br />
Es wird jedoch immer schwieriger,<br />
meine Viewer zu überraschen, weil<br />
die meisten das schon erwarten.<br />
Manchmal mache ich mir grossen<br />
Druck. Ich versuche dann, mich<br />
daran zu erinnern, dass ich die<br />
Videos eigentlich für mich mache.<br />
Gleichzeitig sind die positiven<br />
Rückmeldungen eine grosse Mo ti <br />
vation für mich. Der Stress verschwindet,<br />
wenn ich das Video<br />
hochgeladen habe und die ersten<br />
Kommentare erscheinen. Dann<br />
kommt ein Gefühl der Zufriedenheit<br />
auf, das mehrere Tage lang<br />
anhält. Ich versuche alle Kommentare<br />
zu beantworten. Ich finde es<br />
ist wichtig, Kontakt mit meinen<br />
Subscribers zu haben. Leute, die<br />
meine Videos schauen, sprechen<br />
meistens Englisch, aber ich bekomme<br />
ab und zu auch Kommentare<br />
oder Nachrichten in anderen<br />
Sprachen, die ich mithilfe eines<br />
Übersetzungsdienstes beantworte.<br />
Dank Youtube habe ich viele<br />
Online-Freundschaften geknüpft.<br />
Mit einigen skype ich sogar täglich.<br />
Bei manchen Projekten arbeite<br />
ich auch mit anderen Editoren, die<br />
ich über Youtube kennengelernt<br />
habe, zusammen.<br />
*<br />
«Angefangen<br />
hat alles damit,<br />
dass es mir langweilig<br />
war.»<br />
*<br />
Mein Traumjob<br />
Im Rahmen meiner Ausbildung<br />
im <strong>MEH</strong> mache ich ein Praktikum.<br />
Ich habe eine Stelle bei Dell EMC<br />
gefunden, einem Hersteller von<br />
Hard- und Software. Dort darf ich<br />
manchmal Videos schneiden. Das<br />
finde ich super! Es ist mir sehr<br />
wichtig, einen Job zu finden, bei<br />
dem man auch das einbringen<br />
kann, was man gerne macht. Ich<br />
denke, dass ich keine bessere<br />
Praktikumstelle hätte finden können.<br />
Manchmal überlege ich, wie<br />
ich mich wohl fühlen würde, wenn<br />
ich für eine bekannte Filmproduktion<br />
Videos schneiden dürfte.<br />
Wenn z. B. jemand kommen und<br />
mich fragen würde, ob ich für<br />
Hollywood eine Arbeit machen<br />
kann. Das würde bestimmt sehr<br />
viel Spass machen, mich aber auch<br />
stark unter Druck setzen. Trotzdem<br />
ist es ein schöner Gedanke.<br />
Mein Traumjob wäre es, Videos<br />
und Sound-Effekte zu editieren.<br />
Ich interessiere mich aber auch für<br />
grafische Gestaltung und erstelle<br />
gerne Webseiten. Im Praktikum<br />
habe ich gemerkt, dass ich gut im<br />
Team arbeiten kann. Wenn ich an<br />
mein zukünftiges Berufsleben<br />
denke, wünsche ich mir, dass es<br />
so ist wie bei meinem Praktikum.<br />
Vielleicht stellen sie mich nach<br />
meiner Ausbildung ein. Das wäre<br />
toll! «<br />
Die Videos von Pamela sind<br />
auf Youtube zu finden. Ihr Kanal<br />
heisst «Moonshadow».<br />
www.youtube.com<br />
Kennen Sie das? Sie sind mit<br />
Ihren Freunden in der Stadt<br />
unterwegs und plötzlich<br />
fragt ein Fremder Ihre Freunde über<br />
sie aus. Sie stehen daneben, werden<br />
aber nicht angesprochen.<br />
Nein? Dann sitzen Sie vermutlich<br />
nicht im Rollstuhl!<br />
Neulich war ich mit meiner<br />
Familie an einem Anlass. Da hat<br />
mir tatsächlich jemand ins Gesicht<br />
gefasst und dann noch meine<br />
Mut ter gefragt, ob ich sprechen<br />
kann. Ich dachte nur, das kann ja<br />
wohl nicht Ihr Ernst sein! Erstens,<br />
ja, ich kann sprechen, und zweitens,<br />
nein, ich habe die Dame nicht<br />
darauf angesprochen, weil ich<br />
glaube, das hätte nichts gebracht.<br />
Auf so was habe ich echt keinen<br />
Bock. Ich bin kein Hündchen, das<br />
neben seinem Herrchen sitzt. Ich<br />
bin weder stumm noch dumm.<br />
Und vor allem bin ich kein Tier im<br />
Streichelzoo!<br />
Was denken diese Leute über<br />
Menschen mit einer Behinderung?<br />
Dass wir zu dumm sind, ein normales<br />
Gespräch zu führen. Ein<br />
guter Freund von mir erzählte mir,<br />
Stolperstein<br />
Von Abi Jeganathan<br />
dass er mit seinem Bruder unterwegs<br />
war und jemand zu ihnen<br />
sagte: «Ist ja schön, dass sie euch<br />
auch rausgelassen haben». Gehts<br />
noch? Sind wir etwa Haustiere,<br />
die auch mal rausgelassen werden?<br />
*<br />
«Steht auf<br />
meiner Stirn<br />
‹Achtung bissiger<br />
Rollstuhlfahrer›?»<br />
*<br />
Mir passiert es auch, dass<br />
mich Menschen im Tram anstarren.<br />
Steht auf meiner Stirn etwa «Achtung,<br />
bissiger Rollstuhlfahrer»?<br />
Klar schauen die Kinder, dagegen<br />
habe ich nichts, aber wenn Erwachsene<br />
mich fünf Minuten lang<br />
anstarren, ist die Grenze überschritten.<br />
Gaffen ist schlimm! Am<br />
liebsten würde ich sagen: Willst<br />
du ein Foto von mir? Leider bin ich<br />
nicht so schlagfertig. Ein Kollege<br />
von mir hat diesen Spruch bereits<br />
einmal platziert. Ich bin in solchen<br />
Momenten meist wie eingefroren<br />
und kann nicht reagieren. Natürlich<br />
ärgert mich das, aber ich<br />
jam mere nicht den ganzen Tag<br />
darüber. Ich schliesse das Thema<br />
einfach ab und fertig.<br />
Ich habe das Gefühl, dass<br />
solche Menschen Angst vor einer<br />
Begegnung mit mir haben. Vielleicht<br />
denken sie, dass ich anfange<br />
zu sabbern oder komische Laute<br />
von mir zu geben, wenn sie mich<br />
ansprechen. Das Extremste ist,<br />
wenn mir Fremde aus Mitleid über<br />
meinem Kopf streicheln. Das<br />
geht überhaupt nicht. Wie würden<br />
Sie reagieren? Ich bin mit diesen<br />
Erfahrungen nicht alleine, viele<br />
meiner Freunde haben Ähnliches<br />
erlebt. Ich wünsche mir, dass mich<br />
fremde Menschen direkt ansprechen,<br />
nicht nur meine Betreuer<br />
oder Eltern. Am besten sollten sie<br />
im Kontakt mit mir einfach locker<br />
bleiben! «<br />
12<br />
13
ALLTAG<br />
Panik!<br />
Sommer, Sonne, endlich raus! Wären da nicht die<br />
Insekten. Ich kann meine Arme nicht bewegen. Wenn es<br />
juckt oder kratzt, dann macht mich das wahnsinnig.<br />
Von Ajeev Arunthavarajah<br />
Ajeev ist wegen seiner Muskelschwäche<br />
Wespenangriffen und anderen Plagegeistern<br />
wehrlos ausgeliefert.<br />
Es ist Sommer. Sie geniessen<br />
die Sonne am See. Plötzlich<br />
hören Sie ein hohes Summen.<br />
Kurz darauf verstummt das<br />
Summen und es juckt auf der<br />
Haut. Das Tierchen ist gelandet.<br />
Eine kleine Handbewegung reicht<br />
und die Mücke ist bereits über<br />
den Jordan oder auf dem Weg zum<br />
nächsten Opfer. Für Menschen, die<br />
wie ich ihre Arme nicht bewegen<br />
können, ist es nicht so leicht, sich<br />
gegen Insekten zur Wehr zu setzen.<br />
Plagegeister<br />
Wenn ein Tierchen bei mir irgendwo<br />
auf dem Kopf oder im Gesicht<br />
herumläuft und es juckt, dann<br />
nervt mich das tierisch. Ich kann<br />
mich selbst nicht kratzen, ausser<br />
wenn mir jemand dabei hilft.<br />
Am liebsten würde ich dem Tierchen<br />
dann so richtig die Meinung<br />
sagen: «Hau ab!» wäre noch das<br />
Freundlichste, was es von mir<br />
zu hören bekäme. Aber leider gibt<br />
es da eine kleine Sprachbarriere.<br />
Ob drinnen im Haus oder draussen<br />
beim Grillieren oder Essen – man<br />
kann den Viechern kaum entkom<br />
men. Am schlimmsten ist es, wenn<br />
sich viele Tierchen an einer Stelle<br />
tummeln. Am nervigsten sind Wespen,<br />
Bienen, Bremsen, Mücken,<br />
Schnaken... Wenn sich ein Insekt<br />
im Sturzflug nähert, gerate ich<br />
manchmal in Panik. Das ist mir<br />
peinlich, vor allem, wenn Fremde<br />
das sehen und mich dann ko misch<br />
ansehen.<br />
Keine Panik<br />
Oder ich bin gerade am Einschlafen<br />
und höre das verdächtige<br />
Surren. Die Mistviecher schwirren<br />
herum und lauern, bis man eingeschlafen<br />
ist. Dann stechen sie<br />
zu. Ich bin sicher, Sie kennen das!<br />
Einem Kollegen von mir erging es<br />
noch schlimmer. Er lag im Bett,<br />
als er eine grosse Spinne auf<br />
sich zukrabbeln sah. Da auch er<br />
sich nicht bewegen kann, schrie<br />
er wie ein Verrückter. Alle bei<br />
ihm fragten sich, was mit ihm los<br />
sei, bis seine Mutter schliesslich<br />
reagierte und ihn vor der nahenden<br />
Gefahr rettete. Manchmal bitte<br />
ich jemanden, den ich kenne, ein<br />
Tierchen zu verscheuchen oder<br />
zu entfernen. Wenn ich alleine in<br />
die Stadt gehe, bin ich auf mich<br />
gestellt. Fremde Leute wage ich<br />
nicht zu fragen, das ist mir unangenehm.<br />
Manchmal gelingt mir die<br />
Flucht mit dem Rollstuhl. Meist<br />
versuche ich, gelassen zu bleiben<br />
*<br />
«Wenn sich mir ein<br />
Insekt im Sturzflug<br />
nähert, gerate<br />
ich in Panik.»<br />
*<br />
und geduldig zu warten, bis das<br />
Tierchen wieder weg ist. Ich bleibe<br />
stehen, atme ruhig durch und<br />
versuche auszuhalten, bis das<br />
Viech das Interesse verliert. Das<br />
ist aber alles andere als einfach.<br />
Probieren Sie es selbst aus.<br />
Einfach abwarten, bis das Jucken<br />
nachlässt, und nicht kratzen! «<br />
14<br />
15
<strong>Pause</strong>!<br />
Das Redaktionsteam<br />
(v.l.n.r) Abi Jeganathan, Michael Groer (sitzend),<br />
Steven Deblander, Pascal Willi, Leslie Weiss (sitzend),<br />
Lukas Fischer, Ajeev Arunthavarajah, Frank Grüninger,<br />
Lukas Frei, Pamela Kundert (an der Kamera).<br />
16<br />
17
ERLEBT<br />
FOTOSTORY<br />
Die Erde bebt<br />
Als Kind erlebte ich mit meiner Familie<br />
in Peru ein Erbeben der Stärke 8. Ich sass<br />
im Handrollstuhl und hatte Angst.<br />
Ich war neun Jahre alt und sass<br />
in meinem Handrollstuhl, als<br />
plötzlich die Erde zu beben be <br />
gann. Zunächst wackelte alles<br />
leicht, dann fing der Boden an,<br />
stark zu beben. Meine Mutter und<br />
ihre Coiffeurin kamen ins Zimmer<br />
gelaufen. Es sah lustig aus, weil<br />
meine Mutter noch die Lockenwickler<br />
auf dem Kopf hatte. Sie packten<br />
meinen Rollstuhl und schoben<br />
mich nach draussen. Zwei Verwandte<br />
hielten meinen Rollstuhl<br />
fest, damit ich nicht umkippte.<br />
Aber auch sie hatten Mühe, aufrecht<br />
zu stehen, weil sich alles so<br />
stark bewegte. Die Häuser wackelten,<br />
unsere Hunde bellten und<br />
rannten im Kreis herum. Plötzlich<br />
sahen wir seltsame Lichter am<br />
Himmel. Bis heute wissen wir nicht,<br />
Von Pamela Kundert<br />
was das war. Das Einzige, was wir<br />
während des Bebens tun konnten,<br />
war in der Mitte unseres Gartens<br />
zu stehen und abzuwarten. Als<br />
ich ein parkiertes Auto neben uns<br />
sah, dass sich vor- und rückwärts<br />
bewegte, ohne dass jemand am<br />
Steuer sass, fing ich an zu weinen.<br />
Als Fussgängerin hätte ich mich<br />
weniger hilflos gefühlt.<br />
Die Erde beruhigt sich.<br />
Das Beben dauerte nur drei Minuten,<br />
obwohl es mir viel länger<br />
vorkam. Als es aufhörte, warteten<br />
wir noch ein bisschen draussen.<br />
Es war kalt um diese Jahreszeit<br />
und wir wollten die Nacht nicht im<br />
Freien verbringen. Schliesslich<br />
gingen wir vorsichtig zurück ins<br />
Haus und blieben – für den Fall<br />
18<br />
weiterer Beben – nahe bei der Tür.<br />
Der Strom war ausgefallen und<br />
wir konnten weder fernsehen<br />
noch mit unseren Verwandten<br />
und Freunden telefonieren. Wir<br />
wussten nicht, wie es dem Rest der<br />
Familie ergangen war. Erst nach<br />
einigen Stunden gab es wieder<br />
Strom und wir konnten endlich<br />
telefonieren. Unsere Region hatte<br />
Glück und es gab keine grossen<br />
Schäden. Andere Regionen traf es<br />
viel schlimmer. Kirchen, Schulen<br />
und andere Gebäude stürzten ein<br />
und es gab 519 Tote.<br />
Was bleibt.<br />
Nach dem Beben kümmerte sich<br />
die ganze Familie um mich. Ich<br />
weinte und dachte, ich würde nie<br />
wieder schlafen können. Es war<br />
eine traurige Zeit, aber wir waren<br />
froh, dass unserer Familie nichts<br />
Schlimmes passiert war. Nach<br />
eini gen Tagen hörten die Nach <br />
be ben auf und wir beruhigten uns<br />
langsam. Auch die Erwachsenen<br />
hatten mit den Erlebnissen zu<br />
kämpfen. Ich erinnere mich, dass<br />
meine Onkel und Cousins mehr<br />
tranken als sonst. Meine Grossmutter<br />
und meine Tanten nahmen<br />
Tabletten, um sich zu beruhigen.<br />
Ich hatte grosse Angst, weil<br />
ich in meinem Handrollstuhl nicht<br />
selbstständig weglaufen und<br />
mich schützen konnte. Mit meinem<br />
Elektrorollstuhl kann ich selbst<br />
fahren und bin weniger auf andere<br />
Personen angewiesen. Seit neun<br />
Jahren lebe ich nun in der Schweiz.<br />
Ich denke nur noch selten an das<br />
Beben. Wenn ich jedoch von einem<br />
Erdbeben in Lima höre, kehrt die<br />
Angst zurück und ich hoffe, dass<br />
es meiner Familie gut geht. «<br />
Lukas in einer Bar.<br />
und leert es in einem Zug runter…<br />
und als ich nach Hause<br />
kam, war meine Freundin<br />
mit meinem Betreuer<br />
unter der Decke.<br />
Also kam ich in diese<br />
Bar, um dem allem<br />
ein Ende zu setzen.<br />
Sanft im Abgang<br />
Von Ajeev Arunthavarajah<br />
Rocker setzt sich zu Lukas …<br />
???<br />
Heulst du!? Ich kann’s nicht ausstehen,<br />
wenn ein Mann weint.<br />
Ich bestelle einen Drink,<br />
kippe das Zyankali rein ...<br />
19<br />
greift zu seinem Glas…<br />
Und? Was willst du<br />
jetzt dagegen machen?<br />
Das ist der schlimmste<br />
Tag meines Lebens!<br />
Mir wurde gekündigt.<br />
Dann habe ich das<br />
Hinterrad meines<br />
Rollstuhls verloren ...<br />
dann tauchst du auf und<br />
trinkst mein Glas leer.<br />
Aber genug über mich,<br />
wie läuft dein ... ehm<br />
?
PROJEKTWOCHE<br />
Wheel<br />
mir’s<br />
chönd<br />
Im Herbst 2016 verwandelten sich unsere<br />
Ausbildungsräume für eine Woche in ein Musikstudio.<br />
Im Rahmen einer Projektwoche produzierten wir<br />
als «Wheel Chair Clan» eigene Songs und nahmen<br />
unser Album «WHEEL MIR’S CHÖND» auf.<br />
Von Ajeev Arunthavarajah,<br />
Abi Jeganathan und Pascal Willi<br />
Die Reggae- und Hip-Hop-<br />
Sängerin Nilsa half uns, den<br />
richtigen Ton zu finden.<br />
20<br />
21
Die Musiker Dabu und Sämi<br />
zeigten uns, wie man mit<br />
professionellem Equipment<br />
einen Song einspielt.<br />
PROJEKTWOCHE<br />
Eine Woche lang mit Profimusikern<br />
Songs produzieren<br />
– das klingt nicht nur gut,<br />
sondern ist der Hammer! Im Herbst<br />
hatten wir die einmalige Gelegenheit,<br />
im Rahmen einer Projektwoche<br />
mit vier Profimusikern Songs<br />
zu schreiben und aufzunehmen.<br />
Der Verein Pro Colors ermöglichte<br />
der Ausbildung des <strong>MEH</strong> bereits<br />
zum zweiten Mal, eine solche<br />
Projektwoche durchzuführen. Wir<br />
konnten mit einer «bunten Truppe»<br />
von vier Profimusikern zusammenarbeiten:<br />
Dabu gewann mit<br />
seiner Band Dabu Fantastic bereits<br />
einmal den Swiss Music Award.<br />
Er macht Mundartmusik in den<br />
Genres Hip-Hop und Pop. Nilsa ist<br />
eine Reggae- und Hip-Hop-Sängerin.<br />
Rapper Uğur ist ehemaliger<br />
Moderater vom Fernsehsender<br />
Joiz und Sämi ein professioneller<br />
Beatboxer.<br />
Was reimt sich auf Maus?<br />
Das Texten war gar nicht so einfach.<br />
Wir hatten Reimlehre mit<br />
Uğur und lernten, was man beim<br />
Reimen alles beachten muss.<br />
Zunächst übten wir mit einfachen<br />
Haus-Maus-Reimen wie «Laus»,<br />
«Klaus» und «raus», was uns sehr<br />
viel Spass machte. Lukas wollte<br />
einen Country-Song machen. Den<br />
Text schrieb er gemeinsam mit<br />
Dabu und Pascal. Die Themen, die<br />
er einbringen wollte, waren «Behinderung»,<br />
«Rollstuhl» und «sich<br />
nicht unterkriegen lassen». Im Song<br />
geht es um einen Jungen, der von<br />
seiner Freundin verlassen wird,<br />
weil er im Rollstuhl sitzt. Der Titel<br />
des Songs lautete schliesslich<br />
«UF EIGENE BEI» (Auf eigenen<br />
Beinen). Abi, der grosse Hip-Hop-<br />
Fan, wollte natürlich einen Rap<br />
machen und arbeitete die ganze<br />
Woche vor allem mit Rapper Uğur<br />
zusammen.<br />
Hier kommt der Ton<br />
Nilsa bereitete uns mit Stimmübungen<br />
auf das Singen vor. Bei<br />
einer Übung mussten wir tief Luft<br />
holen und ganz langsam ausatmen.<br />
Das hilft einem, auch ganz<br />
lange Töne auszuhalten. Mit Sämi<br />
übten wir Beatboxen. Dabei imitiert<br />
man mit Mund, Nase und Rachen<br />
verschiedene Geräusche. Da zeigte<br />
vor allem Ajeev, was er kann. Er<br />
setzte sein Beatboxing-Talent in<br />
zwei Songs ein. Vor der Aufnahme<br />
waren wir alle sehr nervös. Wir<br />
brauchten mehrere Versuche, um<br />
VEREIN PRO COLORS<br />
Der Verein Pro Colors führt mit<br />
Jugendlichen Workshops und<br />
Veranstaltungen, z. B. an Schulen,<br />
durch. Das Ziel ist, das kreative<br />
Potential von Jugendlichen mit<br />
musikalischen, tanzenden und<br />
stimmlichen Projekten mit Künstlern<br />
zu fördern und Begegnungsplattformen<br />
zu schaffen. Er bietet<br />
Jugendlichen damit kreative<br />
Alternativen zu Langeweile, Frust,<br />
Drogen und Gewalt.<br />
www.colors-zh.ch<br />
Das Video zur Projektwoche<br />
finden Sie auf der Facebook-Seite<br />
des <strong>MEH</strong>.<br />
Die Gesangsaufnahmen<br />
erforderten viel Ausdauer<br />
und Geduld.<br />
*<br />
«Die Profimusiker<br />
spornten uns zu Höchstleistungen<br />
an.»<br />
*<br />
22<br />
23
PROJEKTWOCHE<br />
FREIZEIT<br />
den richtigen Rhythmus zu finden,<br />
und mussten wie die Profis viele<br />
Aufnahmen wiederholen. Das<br />
nervte zwar ein bisschen, aber am<br />
Ende waren alle Aufnahmen gut.<br />
Die Plattentaufe<br />
Zu Beginn der Woche waren wir<br />
noch etwas zurückhaltend, mit der<br />
Zeit wurden wir immer selbstbewusster.<br />
Die Profimusiker lockten<br />
uns aus der Reserve und spornten<br />
uns zu Höchstleistungen an. Da<br />
wir uns wohl fühlten und viel Spass<br />
hatten, konnten wir uns öffnen.<br />
Wir waren so motiviert, dass wir<br />
immer zu früh waren, um uns<br />
mit den Musikern zu unterhalten.<br />
Abi und Lukas waren so begeistert,<br />
dass sie am Freitagnachmittag<br />
aus dem Nichts einen kleinen Rap<br />
machten. Leider schaffte es dieser<br />
nicht mehr auf unser Album.<br />
Wir gaben unserer Band den<br />
Namen «WHEEL CHAIR CLAN».<br />
Wir nahmen insgesamt fünf Songs<br />
auf und nannten das Album<br />
«WHEEL MIR’S CHÖND» (Weil wir<br />
es können). In unseren Texten<br />
geht es darum, sich nicht unter<br />
kriegen zu lassen. Am Freitagnachmittag<br />
war dann alles bereit<br />
für die Plattentaufe. Wir waren<br />
nervös, weil mehr Leute kamen,<br />
als wir erwartet hatten. So viel Auf <br />
merksamkeit war für uns ungewohnt.<br />
Wir präsentierten dem Pu <br />
blikum unsere Songs. Nicht nur<br />
unsere Eltern, sondern alle Anwesenden<br />
waren begeistert. Das<br />
war ein tolles Gefühl und hat uns<br />
sehr stolz gemacht.<br />
Ein bleibender Eindruck<br />
Die Projektwoche war eine super<br />
Abwechslung. Wir lachten viel und<br />
hatten jede Menge Spass. Jeder<br />
konnte etwas aus der Projektwoche<br />
mitnehmen. Lukas und Pascal<br />
gefiel der Country-Song am besten.<br />
Lukas hört ihn sich manchmal<br />
noch an. Ajeev machte es vor<br />
allem Spass, mit Sämi zu beatboxen,<br />
und Abi fand das Rappen<br />
am coolsten.<br />
An dieser Stelle wollen wir uns<br />
beim Verein Pro Colors bedanken,<br />
der uns diese Erfahrung ermög licht<br />
hat, und bei der Bank Vontobel<br />
für die Finanzierung. «<br />
*<br />
«Abi und Lukas waren<br />
so begeistert, dass sie aus<br />
dem Nichts einen kleinen<br />
Rap machten.»<br />
*<br />
Das Resultat der Musik-Projektwoche<br />
ist unser Album «Wheel<br />
mir's chönd» mit fünf Songs. Wollen<br />
Sie reinhören? Gerne senden<br />
wir Ihnen eine CD zu. Mail an:<br />
ausbildung@meh.ch<br />
Ausbrechen<br />
Beim Gamen kann ich Dinge erleben, die mir<br />
im Rollstuhl nicht möglich sind. Ich kann<br />
mich immer schlechter bewegen, was mich<br />
selbst beim Gamen einschränkt.<br />
Nathan Drake streift durch<br />
den Dschungel auf der<br />
Suche nach einem Schatz.<br />
Er hört Geräusche aus einer<br />
Höhle. Nathan schleicht hinein<br />
und findet eine Kiste mit Gold und<br />
Edelsteinen, die von drei Piraten<br />
bewacht wird. Sie bemerken ihn<br />
und greifen an.<br />
Plötzlich kann ich meine Spielfigur<br />
nicht mehr bewegen. Sie<br />
ist dem Angriff wehrlos ausgesetzt.<br />
Ich kann nichts dagegen machen,<br />
meine Hand ist von der Tastatur<br />
ge rutscht und ich kann sie nicht<br />
mehr zurückbewegen. Ich habe<br />
Muskeldystrophie Duchenne.<br />
Von Pascal Willi<br />
Meine Muskeln werden immer<br />
schwächer, deshalb kann ich meine<br />
Hände nur noch wenige Zentimeter<br />
bewegen. Manche Computer-<br />
Games kann ich nicht mehr spie <br />
len, bei anderen bin ich langsamer.<br />
Sie werden denken, das sind<br />
doch nur Computer-Spiele, das<br />
ist doch nicht so schlimm. Doch!<br />
In Video-Games kann ich laufen,<br />
springen, Auto fahren … Das<br />
Gamen ist für mich eine Flucht<br />
aus meiner Welt. Meine Schwester<br />
geht am Abend joggen. Ich kann<br />
das nicht. Was für viele normal ist,<br />
kann ich oft nur in Videospielen<br />
erleben. Ich liebe Action und<br />
Adventure Games. Dort bin ich<br />
der Held und kann zeigen, was ich<br />
draufhabe.<br />
Die Kräfte schwinden<br />
Als Kind konnte ich normal mit<br />
Maus und Tastatur spielen. Ab<br />
sechzehn konnte ich mich immer<br />
schlechter bewegen. Meine Muskeln<br />
wurden schwächer und es<br />
strengte mich an, die Tasta tur zu<br />
bedienen. Mit siebzehn konnte ich<br />
sie gar nicht mehr benutzen. Ich<br />
fühlte mich extrem eingeschränkt,<br />
war innerlich aggressiv und traurig.<br />
Mitleid bekomme ich genug. Ich<br />
ziehe es vor, die Sache mit mir<br />
selbst auszumachen. Mittlerweile<br />
spiele ich Strategie-Games, die<br />
ich mit der Maus steuern kann und<br />
bei denen es nicht drauf ankommt,<br />
wie schnell ich bin.<br />
Wie geht es weiter?<br />
Gamen ist fast das Einzige, was<br />
ich in meiner Freizeit selbstständig<br />
und wirklich aktiv machen kann.<br />
Wenn ich nicht mehr gamen<br />
könnte, würde mich das sehr trau <br />
rig machen. Als ich diesen Artikel<br />
geschrieben habe, bin ich auf<br />
Hilfsmittel gestossen, die mir beim<br />
Gamen helfen könnten. Stefan, ein<br />
Kollege, nutzt eine Mundsteuerung,<br />
mit der ein Joystick imitiert<br />
werden kann. Er kann damit alle<br />
Games spielen, aber es braucht<br />
Übung. Das könnte auch für mich<br />
die Lösung sein. Aber vielleicht<br />
kann ich die Spiele irgendwann mit<br />
meinen Gedanken steuern. Ich<br />
stelle mir vor, wie ich mir ein Brain-<br />
Computer-Interface auf den Kopf<br />
setze und eine Virtual-Reality<br />
Brille trage. Dann würde mein<br />
Nathan Drake wieder zum Leben<br />
erwachen. «<br />
24<br />
25
AUSBILDUNGSREISE<br />
Fette<br />
Bässe<br />
Die Ausbildungsreise 2016 führte uns zu einem der<br />
grössten Hip-Hop-Festivals, dem «splash!». Dafür<br />
nahmen wir sogar eine zehnstündige Carfahrt in den<br />
fernen Osten Deutschlands in Kauf.<br />
Von Abi Jeganathan<br />
26<br />
27
AUSBILDUNGSREISE<br />
Die tolle Stimmung und die fantastische<br />
Kulisse machten das Festival zu einem<br />
unvergesslichen Erlebnis.<br />
Jedes Jahr im Herbst stellt sich die Frage, wohin<br />
die nächste Ausbildungsreise gehen soll. Auf<br />
unserem Wunschzettel standen Berlin, Amsterdam,<br />
Locarno und Turin. Schliesslich landeten wir<br />
in einem ehemaligen ostdeutschen Braunkohle tagebau<br />
in der Nähe von Wittenberg. Nein, nicht zum<br />
Kohleschaufeln. Dort fand das Hip-Hop-Festival<br />
«splash!» statt. Ich sah ein Video vom «splash!» und<br />
war sofort überzeugt. Ich bin Hip-Hop-Fan und viele<br />
Musiker, die ich kenne, würden dort sein. Leider<br />
durfte ich nicht allein entscheiden. Bei unserer Endabstimmung<br />
hatte jeder zwei Stimmen. Das «splash!»<br />
hat sich mit sieben Stimmen gegen Amsterdam mit<br />
fünf Stimmen und Locarno mit vier durchgesetzt.<br />
Nicht alle waren so begeistert wie ich.<br />
Intro<br />
Die Anfahrt mit dem Zug war mit sieben Rollstühlen<br />
nicht möglich. Deshalb entschieden wir uns für<br />
die Reise mit dem Car. Wir hatten für unsere Fahrt ein<br />
gutes Unterhaltungsprogramm zusammengestellt.<br />
Zuerst machte unser Ausbildungsleiter Lukas aber<br />
ein bisschen Musik, d.h. er spielte uns alte Rock-<br />
Songs von seinem iPod vor. Das ist zwar nicht meine<br />
Musik, aber mir war es egal, weil wir bald nur noch<br />
Hip-Hop hören würden. Nach einer sehr langen Fahrt<br />
erreichten wir endlich Wittenberg. Untergebracht<br />
waren wir in einer Jugendherberge. Wir hatten so<br />
unsere Vorurteile, erwarteten harte Betten, lärmende<br />
Gäste und Essen, das zu wünschen übrig liesse –<br />
aber Hauptsache, die Herberge war rollstuhlgängig.<br />
Wir hatten Hunger, liessen unsere Taschen direkt im<br />
Eingangsbereich stehen und stürzten uns gleich aufs<br />
Buffet. Das Essen war... sagen wir mal so, es gäbe<br />
noch Luft nach oben.<br />
Verloren<br />
Freitag, endlich war es soweit! Leider begann der Tag<br />
nicht so toll. Nach dem Frühstück funktionierte<br />
Mateos Rollstuhl nicht mehr und wir hatten keinen<br />
Ersatz. Nun mussten die Betreuer Mateo in seinem<br />
Elektrorollstuhl herumstossen. Als wir auf dem<br />
Festivalgelände eintrafen, war ich sehr aufgeregt. Wir<br />
wussten nicht, wohin wir uns bewegen sollten, das<br />
Gelände war einfach gigantisch. So viele Zelte, Menschen<br />
und Parkplätze. Wir fuhren planlos Kilometer<br />
um Kilometer. Die Leute auf dem Festival konnten uns<br />
zunächst auch nicht helfen. Wir fühlten uns verloren<br />
und irgendwie fehl am Platz. Zum Glück hatten wir<br />
die Telefonnummer von Enno vom Verein «Barrierefreies<br />
Festival» dabei. Dank seiner Unterstützung<br />
konnten alle Fragen geklärt werden. Wir bekamen<br />
sogar einen Parkplatz für unseren Car in der Nähe der<br />
Bühnen. Die Rollstuhlplätze waren super, wir hatten<br />
einen tollen Blick auf die Musiker. Zum Schluss des<br />
Tages kam «Wiz Khalifa» mit der üblichen Superstar-Verspätung,<br />
aber er hat die Bühne zerlegt und<br />
den Freitag super beendet.<br />
Leerlauf<br />
Am Samstag wollten wir eine Stadt-Tour durch Leipzig<br />
machen. Wir hatten gebucht, doch unser Stadtführer<br />
erschien einfach nicht. Leslie hat ihn mehrfach<br />
an gerufen, doch er nahm nicht ab. Wir warteten<br />
bestimmt eineinhalb Stunden, aber er tauchte nicht<br />
auf. Selbst unsere Geduld hatte ein Ende. Schliesslich<br />
trösteten wir uns mit Pizza. Das hat sich gelohnt:<br />
etwa zwei Stunden Car-Fahrt, eineinhalb Stunden<br />
warten und rumstehen … Endlich zurück am Festival<br />
wurden wir schnell entschädigt. Die Leute dort hatten<br />
alle eine super Laune. Am Ende des Tages waren<br />
«The Roots» am Start. Gut gemacht!<br />
Outro<br />
Der Sonntag sollte unser letzter Tag auf dem «splash!»<br />
sein. Doch zunächst wurde uns Kultur verordnet. Das<br />
Bauhaus Dessau, Weltkulturerbe der Unesco, stand<br />
auf dem Programm. Meine Meinung? Es war das<br />
Langweiligste an der ganzen Reise. Für mich sah das<br />
alles so gewöhnlich aus. Vielleicht war es ja in den<br />
1920er-Jahren modern und anders, aber heute ist es<br />
ganz normal. Da war ich froh, wieder am Festival<br />
zu sein. Leider mussten wir dieses schon um 19 Uhr<br />
wieder verlassen, weil einige noch das Fussball-EM-<br />
Finale sehen wollten. Ich war ziemlich enttäuscht.<br />
Obwohl ich eigentlich auch Fussballfan bin, wäre ich<br />
gerne länger am Festival geblieben. Das EM-Finale<br />
zwischen Portugal und Frankreich war die zweite Enttäuschung<br />
des Tages. Portugal gewann 1:0 und wurde<br />
mit langweiligem Fussball Europameister. Die Reise<br />
war dennoch eines meiner besten Erlebnisse. Beim<br />
Festival wummerte ein Brett nach dem anderen durch<br />
die Boxen und liess keinen Fuss stillstehen. Irgendwann<br />
möchte ich wieder einmal ans «splash!». «<br />
28<br />
29
Wussten Sie,<br />
dass…<br />
… von 2011 bis 2016 für<br />
Menschen mit Behinderung<br />
oft nur ein Jahr Ausbildung<br />
finanziert wurde?<br />
Für die Finanzierung des zweiten Ausbildungsjahrs<br />
durch die IV mussten gute Voraussetzungen für<br />
eine künftige Erwerbsfähigkeit im ersten Arbeitsmarkt<br />
bestehen. Nach einem Bundesgerichtsentscheid<br />
hat das Bundesamt für Sozialversicherungen<br />
das IV-Rundschreiben Nr. 299 aufgehoben.<br />
Nun finanziert die IV grundsätzlich wieder zwei<br />
Jahre.<br />
* * *<br />
… bis 2023 alle Schweizer<br />
Bahnhöfe barrierefrei<br />
zugänglich sein müssen?<br />
Grundlage hierfür ist das Gesetz zur Gleichstellung<br />
behinderter Menschen (BehiG). Wenn ein Umbau<br />
nicht möglich ist, kann in Ausnahmefällen darauf<br />
verzichtet werden. Problematisch ist, dass einzelne<br />
Bahnhöfe geschlossen werden, weil die Bahnen<br />
den Umbau als unverhältnismässig einstufen. Von<br />
1 800 Bahnhöfen sind bisher jedoch nur 800 umgebaut<br />
geworden. Es deutet sich an, dass ein fristgerechter<br />
Umbau kaum möglich sein wird.<br />
… das SBB Call Center<br />
Handicap im Jahr 2016 die<br />
zweimillionste Hilfestellung<br />
organisiert hat?<br />
Das SBB Call Center Handicap hilft Reisenden<br />
mit eingeschränkter Mobilität, in den Zug ein- und<br />
auszusteigen. Allein im Jahr 2015 wurden im SBB<br />
Call Center Handicap über 61 000 Reisewünsche<br />
entgegengenommen und dabei über 140 000<br />
Hilfeleistungen koordiniert. Unter der Nummer<br />
0800 007 102 können Sie dieses Angebot täglich<br />
zwischen 6 und 22 Uhr gratis nutzen.<br />
* * *<br />
… an der ETH Zürich<br />
ein Exoskelett<br />
entwickelt wurde?<br />
Das Exoskelett ist ein Gerüst, mit dem Paraplegiker<br />
wieder laufen können. Die leistungsstarken Elektromotoren<br />
des Hightech-Gerätes übernehmen<br />
die Arbeit der Muskeln. Die Benutzer bedienen das<br />
Exoskelett über eine Steuerung an den Krücken.<br />
Mehr dazu unter: www.varileg.ch<br />
Kakteen-Kreationen<br />
und mehr auf<br />
creation-handicap.ch<br />
<strong>MEH</strong> - für Menschen mit Körperbehinderung • Lengghalde 1 • 8008 Zürich • www.meh.ch<br />
30<br />
31
«Dank dem <strong>MEH</strong><br />
kann ich mich<br />
auf das Wesentliche<br />
im Leben<br />
konzentrieren.»<br />
Tomislav, Jahrgang 1995,<br />
Muskeldystrophie Typ<br />
Duchenne<br />
Herzlichen Dank für Ihre Spende<br />
Spendenkonto: 80-3166-8 IBAN: CH45 0900 0000 8000 3166 8<br />
<strong>MEH</strong> Eine Organisation der Mathilde Escher Stiftung<br />
Lengghalde 1 8008 Zürich T 044 389 62 00 www.meh.ch www.creation-handicap.ch