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Sachs_Prinz_Heinrich_for_low_1-55

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Michael <strong>Sachs</strong><br />

„Durchlauchtigster <strong>Prinz</strong>,<br />

freundlich Geliebter Neveu“<br />

<strong>Heinrich</strong> <strong>Prinz</strong> von Preußen (1747–1767)<br />

Neffe Friedrichs des Großen<br />

1


2


3<br />

Michael <strong>Sachs</strong><br />

Durchlauchtigster <strong>Prinz</strong>,<br />

freundlich Geliebter Neveu<br />

<strong>Heinrich</strong> <strong>Prinz</strong> von Preußen<br />

(1747–1767)<br />

Neffe Friedrichs des Großen<br />

Sein Leben und tragischer Tod<br />

in Zeitzeugenberichten<br />

alcorde verlag


4<br />

© alcorde Verlag, Essen, 2012<br />

© Prof. Dr. med. Michael <strong>Sachs</strong><br />

Richard-Wagner-Str. 51, 60318 Frankfurt am Main<br />

Lektorat: Hans-Joachim Pagel, Essen<br />

Satz, Layout und Einbandgestaltung: alcorde Verlag, Essen<br />

Gesamtherstellung: Griebsch & Rochol Druck, Hamm<br />

ISBN: 978-3-939973-12-6


5<br />

INHALT<br />

Vorwort<br />

Der König und der Kronprinz bei der Belagerung<br />

von Schweidnitz<br />

Eine historische Momentaufnahme<br />

Die „Éloge du Prince Henri de Prusse“<br />

von Friedrich dem Großen<br />

Der Text der „Éloge“<br />

Die Entstehung der „Éloge“<br />

Das Leben <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>s von Preußen<br />

Frühe Kindheit (1747–1756)<br />

Im Siebenjährigen Krieg (1756–1763)<br />

Jünglingsjahre (1763–1767)<br />

Krankheit und Tod<br />

Die Trauer des Königs<br />

Die Beisetzung <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>s<br />

Exkurs:<br />

Maßnahmen nach <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>s Tod<br />

zur Bekämpfung der Pocken in Preußen<br />

Die Erziehung und Bildung <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>s<br />

Eine königliche Instruktion<br />

Der „Télémaque“ – ein literarisches<br />

Erziehungsprogramm<br />

Die Interessen des <strong>Prinz</strong>en<br />

<strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> und seine Geschwister<br />

<strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> und der Thronfolger<br />

<strong>Prinz</strong> Friedrich Wilhelm<br />

<strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> und seine Schwester<br />

<strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine<br />

Schlusswort<br />

<strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine über ihren Bruder <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong><br />

7<br />

9<br />

13<br />

15<br />

17<br />

26<br />

26<br />

32<br />

54<br />

81<br />

99<br />

102<br />

115<br />

121<br />

121<br />

122<br />

126<br />

130<br />

130<br />

135<br />

140


6<br />

inhalt<br />

Anhang<br />

Friedrich der Große: „Éloge du Prince Henri de Prusse“ –<br />

Das französische Original<br />

Von <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> 1766 gekaufte Bücher<br />

Stammtafel: Die Familie des <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong><br />

Rangliste des Kürassier-Regiments von <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> 1766<br />

Verzeichnis der Abbildungen<br />

Quellen- und Literaturverzeichnis<br />

Anmerkungen<br />

Personenregister<br />

143<br />

156<br />

162<br />

164<br />

165<br />

171<br />

184<br />

232


7<br />

VORWORT<br />

Auf den ersten Blick mag es vermessen erscheinen, den Tausenden<br />

von Publikationen über König Friedrich II. von Preußen, der schon zu<br />

seinen Lebzeiten den Beinamen „der Große“ erhielt, noch eine weitere<br />

hinzufügen zu wollen. In dieser Arbeit soll aber das psychologisch<br />

interessante Verhältnis des preußischen Königs zu seinem Neffen <strong>Prinz</strong><br />

<strong>Heinrich</strong> dem Jüngeren von Preußen untersucht werden, das bisher in<br />

der exorbitanten Friedrich-Literatur nicht oder nur kaum beachtet<br />

wurde. Dieser Neffe war nämlich der einzige Verwandte Friedrichs,<br />

den der zwangsweise verheiratete und kinderlose König „wie einen eigenen<br />

Sohn liebte“ und in den er weit größere Hoffnungen setzte als in<br />

dessen älteren Bruder, den offiziellen „<strong>Prinz</strong>en von Preußen“ und<br />

Thronfolger Friedrich Wilhelm. <strong>Heinrich</strong>s früher Tod (1767) stürzte<br />

den König, der Tausende von Soldaten in seinen Kriegen opferte, in<br />

eine tiefe Depression. Dem gerade Neunzehnjährigen widmete er eine<br />

Gedenkrede („Éloge du Prince Henri de Prusse“), die zu seinen liebevollsten<br />

Schriften gehört und die er öffentlich in der Berliner Akademie<br />

der Wissenschaften vortragen ließ. Grund genug, sich mit dem Leben<br />

dieses jungen <strong>Prinz</strong>en zu beschäftigen, der seinerzeit nach dessen<br />

älterem Bruder (dem späteren König Friedrich Wilhelm II.) Nummer<br />

zwei der preußischen Thronfolge gewesen war. Ein besonderes Interesse<br />

gewinnt diese Gedenkrede auch durch die offensichtliche Identifikation<br />

des Königs mit den Eigenschaften seines Neffen, über den er<br />

schrieb: „Ein Vater kann seinen einzigen Sohn nicht mehr beweinen als ich diesen<br />

liebenswerten Jüngling.“<br />

Mit dieser Arbeit soll versucht werden, das vom König in seiner 1768<br />

publizierten Gedenkrede gezeichnete Bild seines Neffen mit den überlieferten<br />

historischen Quellen zu vergleichen: Briefen und Erinnerungen<br />

von Verwandten und anderen Zeitgenossen, amtlicher Korrespondenz<br />

und persönlichen Dokumenten aus dem Nachlass des <strong>Prinz</strong>en. Besonderes<br />

Augenmerk soll dabei auch auf die recht gut dokumentierte Krankengeschichte<br />

des <strong>Prinz</strong>en gelegt werden, denn sie bietet ein anschauliches<br />

Bild ärztlicher Diagnostik und Behandlung in der zweiten Hälfte des 18.<br />

Jahrhunderts.<br />

Anders als in anderen historisch-biographischen Arbeiten sollen hier die<br />

aufgefundenen Quellen selbst die Zeit beleuchten – auf eigene Wertungen<br />

und Interpretationen, die oft nur Projektionen des jeweiligen Autors


8<br />

vorwort<br />

in die Vergangenheit sind, wird weitgehend verzichtet. Die Rezeption<br />

Friedrichs II. sagt oft mehr über das Zeitalter des Rezipienten (und<br />

über diesen) als über den Rezipierten selbst aus: Von der preußischen<br />

Heldengeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts („Der Alte Fritz“) über<br />

die Hervorhebung des „friderizianischen Beispiels“ im verzweifelten Kampf<br />

des kleinen preußischen Staates gegen eine vielfache feindliche Übermacht<br />

während des Dritten Reiches („Durchhaltefritz“) bis hin zu einer<br />

differenzierteren Darstellung seines sehr widersprüchlichen Denkens,<br />

Fühlens und Handelns in der Friedrich-Literatur Nachkriegsdeutschlands<br />

wandelt sich das Bild dem jeweiligen „Zeitgeist“ entsprechend.<br />

Daher ist dieses Buch keine <strong>for</strong>tlaufend erzählte Biographie. Es zieht<br />

möglichst alle heute noch erreichbaren, oft weit verstreuten und nicht<br />

immer leicht zugänglichen Quellen zum Leben <strong>Heinrich</strong>s von Preußen<br />

heran und präsentiert sie in zahlreichen Zitaten, versehen mit knappen, für<br />

das Verständnis notwendigen historischen Erläuterungen. Geordnet sind<br />

sie teils chronologisch, teils nach einigen wenigen Sachthemen. Das so<br />

entstehende Mosaik, ergänzt durch zeitgenössische Bilder und Abbildungen<br />

wichtiger Dokumente, wird von zwei, das Charakterbild des <strong>Prinz</strong>en<br />

im Ganzen entwerfenden Texten gerahmt: von der schon erwähnten<br />

„Éloge“ Friedrichs und von einer Portraitskizze, die <strong>Heinrich</strong>s Schwester<br />

Wilhelmine Jahre nach seinem Tod geschrieben hat.<br />

Dies zeigt, und das Buch soll es noch deutlicher zeigen: Dem Verfasser<br />

liegt besonders die Sammlung und Sicherung der jederzeit von der Zeit<br />

bedrohten historischen Quellen am Herzen. Sie sind und bleiben die<br />

Grundlage jeder sie deutenden Geschichtsschreibung.<br />

Michael <strong>Sachs</strong><br />

Frankfurt am Main, im Januar 2012


9<br />

Der König und der Kronprinz<br />

bei der Belagerung von Schweidnitz<br />

Eine historische Momentaufnahme<br />

Schweidnitz (Schlesien), im September 1762. Der Siebenjährige Krieg<br />

nähert sich seinem Ende. Nach dem unverhofften Separatfrieden mit<br />

Russland im Mai gelingt es den preußischen Truppen, weite Teile<br />

Schlesiens zurückzugewinnen. Nur die stark ausgebaute Festung<br />

Schweidnitz wird noch von österreichischen Truppen gehalten und<br />

widersetzt sich lange der preußischen Belagerung.<br />

An dieser Belagerung nimmt auch <strong>Prinz</strong> Friedrich Wilhelm teil. Er ist<br />

der älteste Sohn August Wilhelms, des nächstjüngeren Bruders und Thronfolgers<br />

König Friedrichs, und war nach dem frühen Tod seines Vaters 1758,<br />

erst vierzehnjährig, offiziell zum „<strong>Prinz</strong>en von Preußen“ und damit zum<br />

Thronfolger ernannt worden. Diesen Neffen hatte der König schon im<br />

März 1762 in sein Winterlager nach Breslau beordert und dann in sein<br />

Hauptquartier in Peterswalde in der Nähe von Schweidnitz mitgenommen.<br />

Der dem Knabenalter entwachsende <strong>Prinz</strong> – er wird im September<br />

achtzehn Jahre alt – soll unter den Augen des Königs zum Soldaten und<br />

künftigen Heerführer heranreifen. 1<br />

Friedrich betrachtet diesen jungen Mann, der einmal sein Nachfolger<br />

werden soll, mit wachsender Sorge: Besitzt er die dafür notwendigen Eigenschaften?<br />

Sein Verstand, sein Charakter – genügen sie den hohen Forderungen,<br />

die Friedrich an einen künftigen Träger der Krone stellt? Der<br />

<strong>Prinz</strong> betreibt mit Eifer wohl nur sein Violoncello-Spiel, er liebt die Musik,<br />

und kaum in Breslau angekommen, hält er Ausschau nach einem guten<br />

Instrument, nach Noten, nach Mitspielern. Aber sonst? Er liebt das<br />

Theater, Tanz, Zerstreuungen, die heiteren Seiten des Lebens, alles, wobei<br />

er sich nicht anstrengen muss. Und geht etwas nicht nach seinen Wünschen<br />

– wie auch wieder hier in Breslau, wo sein Taschengeld nicht ausreicht,<br />

sich einen Pelz gegen die Frühjahrskälte zu kaufen –, dann lässt er<br />

den Kopf hängen, gibt sich trübseligen Stimmungen hin, sieht sein baldiges<br />

Ende voraus und schreibt seinem „lieben Linchen“ (dem geliebten<br />

Lehrer Béguelin in Magdeburg) wehmütige Abschiedsbriefe.<br />

Diese Trägheit, diese Kopfhängerei, dieser Hang zu melancholischen<br />

Ahnungen und Träumereien – werden sie sich vertreiben lassen? Der König<br />

scheint es zu hoffen. „Mein Neffe beginnt zu erwachen“, schreibt er in einem<br />

Brief vom 4. Juni 1762, „er besitzt viel Sanftmut, es mangelt ihm nicht an


10<br />

der könig und der kronprinz bei schweidnitz<br />

Abb. 2: Plan der Belagerung der Festung Schweidnitz*<br />

Geist; es ist da nur eine große Schüchternheit, die ihn zurückhaltend sein lässt.“ 2<br />

Doch diese Hoffnung trog – und die Entwicklung des Thronfolgers in<br />

den kommenden Jahren wird den König zu der endgültigen Überzeugung<br />

kommen lassen, dass dieser sein Neffe nicht nur unfähig, sondern<br />

auch unwürdig ist, dereinst den preußischen Thron zu besteigen. 1770 –<br />

da sind alle Versuche Friedrichs, ihn zu ernsthafter Arbeit anzuhalten und<br />

in die Staatsgeschäfte einzuführen, gescheitert 3 , die desaströse erste Ehe<br />

Friedrich Wilhelms und seine Scheidung schon Vergangenheit 4 – wird<br />

Friedrich in einem Brief an seine Schwester Ulrike, Königin in Schweden,<br />

ein vernichtendes Urteil fällen: „Nichts hat er von der Erscheinung noch von<br />

* Nähere Erläuterungen zu dieser und den folgenden Abbildungen siehe S. 165 ff.


der könig und der kronprinz bei schweidnitz<br />

11<br />

dem Geiste seines Vaters; linkisch in allem, was er tut, plump, starrköpfig, launenhaft,<br />

liederlich und sittenlos, dumm und unerfreulich – das ist sein naturgetreues Portrait.<br />

Er verursacht mir hundertfältigen Kummer und verbittert meine alten Tage. […] Er<br />

ist der Ausschuß der Familie. Ich spreche darüber nicht und suche seine Fehler nach<br />

Möglichkeit zu bemänteln, aber er ist ein trauriges Geschöpf, und auch in der Öffentlichkeit<br />

weiß man nur allzu gut Bescheid.“ 5<br />

Dieses Urteil stammt, wie gesagt, aus späteren Jahren. Doch schon<br />

1762 zeichnen sich die Konturen dieses Negativbildes des Thronfolgers<br />

ab, und sie treten um so deutlicher in Erscheinung, als ihm ein<br />

positives Bild entgegensteht: das Bild des gut drei Jahre jüngeren Bruders<br />

<strong>Heinrich</strong>. Dieser ist das genaue Gegenteil Friedrich Wilhelms:<br />

hoch begabt, wissbegierig, belesen, liebenswürdig, anmutig – ein<br />

Ebenbild seines Vaters und mit seinen vierzehn Jahren schon ein begeisterter<br />

Soldat. Ihn beseelt, wie einst den König in seinen jungen<br />

Jahren, der Wunsch, einmal Großes zu leisten und sich Ruhm zu erwerben.<br />

Damit hat er alle Eigenschaften, die ein Kronprinz in Friedrichs<br />

Augen haben sollte, und deshalb liebt ihn dieser wie seinen eigenen<br />

Sohn und betrachtet ihn als eine große Hoffnung für das Haus<br />

Brandenburg. Wie gern wäre <strong>Heinrich</strong>, anders als sein Bruder, zum König<br />

nach Schlesien gegangen, um den Krieg mitzuerleben! Doch<br />

Friedrich hatte ihm das untersagt, und der Zurückgewiesene weint tagelang.<br />

Der König hatte sein Nein nicht nur damit begründet, dass <strong>Heinrich</strong><br />

noch zu jung sei, sondern auch damit, dass er, der König, nicht leichtfertig<br />

alle Hoffnungen des Staates auf einmal offenen Gefahren habe aussetzen<br />

dürfen (so in der „Éloge“). Eine „Hoffnung des Staates“ (eine wiederkehrende<br />

Formel für „Thronfolger“) aber durfte und wollte er solchen Gefahren<br />

durchaus aussetzen: Friedrich Wilhelm. In Breslau ist das noch<br />

harmlos: Der König nimmt den Neffen mit auf seinen Ausritten, zu militärischen<br />

Übungen, zu Truppenbesichtigungen, übergibt ihm das Kommando<br />

über ein Regiment, mit dem der <strong>Prinz</strong> exerzieren darf (er macht<br />

das gut und freut sich über das ehrliche Lob Friedrichs). Vor Schweidnitz<br />

aber wird es ernst. Die Belagerten schießen auf alles, was sich ihren Befestigungen<br />

nähert. Doch Friedrich, manchmal tollkühn, reitet durch die<br />

Laufgräben vor der Festung, gerät gelegentlich in die Schusslinie (im Volk<br />

geht die Mär um, er sei kugelfest) und nimmt Friedrich Wilhelm dabei<br />

mit. Will er dem Schicksal einen Wink geben, damit es das ihn quälende<br />

Thronfolgerproblem in seinem Sinne für ihn löst? Die Frage (und jede<br />

Antwort darauf) ist spekulativ.


12<br />

der könig und der kronprinz bei schweidnitz<br />

Doch dann geschieht es – an einem Tag im September 1762 (das genaue<br />

Datum ist unbekannt): Wieder sind der König und seine Begleiter,<br />

unter ihnen Friedrich Wilhelm, den Belagerern zu nahe gekommen. Was<br />

sich dann ereignet, beschreibt Carlyle so: „Der König besichtigte die Laufgräben<br />

vor Schweidnitz. Eine Kanonenkugel schlug das Pferd des Pagen von Pirch zu<br />

Boden. Bei Pirchs Unfall schlug auch das Pferd des <strong>Prinz</strong>en von Preußen wild aus<br />

und warf seinen Reiter in die Höhe. Die Leute meinten, der <strong>Prinz</strong> wäre erschossen,<br />

und jedermann war voller Bestürzung. Die Aufregung war groß, nur den König hörte<br />

man mit heller Stimme ausrufen: ‚Pirch, vergiß Er seinen Sattel nicht!‘“ (Seinen<br />

= den Sattel des vermeintlich toten Thronfolgers oder den Pirchs?) 6 Eine<br />

friederizianische Anekdote berichtet dasselbe, gibt nur die Worte des Königs<br />

etwas anders wieder: „Der <strong>Prinz</strong> von Preußen ist gefallen; nehmt seinem<br />

Pferd Zaum und Sattel ab.“ 7 Von Bestürzung also keine Rede. Friedrich<br />

Wilhelm erzählt den Vorfall seinem Lehrer Béguelin erst in einem Brief<br />

vom 17. Oktober 1762 aus Peterswalde, ohne irgendwelche Worte des Königs<br />

mitzuteilen, die er (wenn sie denn so oder so ähnlich wirklich gesprochen<br />

wurden) in dieser Situation auch kaum gehört haben kann:<br />

„Kaum war ich drauf [auf dem Rücken des Pferdes], als ein Kanonenschuß das<br />

Pferd des Königlichen Pagen Pirch neben mir tötete. Schließlich komme ich hinkend<br />

in meine Unterkunft zurück und legte mich hin. Ein Chirurg des Königs rieb und<br />

zupfte mich am Arm, verursachte mir Schmerzen, was ich ihn spüren ließ. Dennoch<br />

machte er Verbände am Bein und die ganze Nacht schlief ich nicht und litt sehr.“ 8<br />

Friedrich Wilhelm überlebt, nur leicht verletzt. Das Schicksal hatte anderes<br />

vor: Knapp fünf Jahre später, am 26. Mai 1767, stirbt <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>,<br />

neunzehn Jahre alt, des Königs große Hoffnung, an einer Pockeninfektion.<br />

Neunzehn Jahre später, am 17. August 1786, wird sein Bruder König<br />

von Preußen: als Friedrich Wilhelm II.


13<br />

Die „Éloge du Prince Henri de Prusse“<br />

von Friedrich dem Großen<br />

Der 1767 im Alter von neunzehn<br />

Jahren an den Pocken<br />

verstorbene <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong><br />

von Preußen 9 wäre heute<br />

bereits völlig vergessen, hätte<br />

sein Onkel König Friedrich<br />

II. von Preußen nicht nach<br />

dessen Tod eine ungewöhnlich<br />

warmherzige Gedenkrede<br />

(„Éloge“) auf seinen Neffen<br />

verfasst und publiziert.<br />

Friedrich hat viele Elogen<br />

geschrieben und in feierlichen<br />

Sonderveranstaltungen<br />

vor der Berliner Akademie der<br />

Wissenschaften und Künste<br />

verlesen lassen. Immer galten<br />

sie Menschen, die in ihrem Abb. 3: Friedrich II. der Große<br />

Leben Bedeutendes geleistet<br />

und sich in den Augen des Königs große Verdienste erworben hatten.<br />

Nur einmal – dieses Mal – galt seine gedenkene Lobrede einem Menschen,<br />

der noch nichts dergleichen vollbracht, wohl aber in seinen Anlagen,<br />

in seinem Charakter und in seiner Entwicklung große Hoffnungen<br />

auf derlei Leistungen geweckt hatte – im König und in vielen, die ihn haben<br />

aufwachsen sehen: <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>, dem jüngeren Sohn seines Bruders<br />

August Wilhelm.<br />

Der Historiker Walter Elze schrieb in der Einleitung zu seiner Übersetzung<br />

der „Éloge“, in der Weltgeschichte sei „von keinem Herrscher […] ein<br />

solches Lob des jugendlichen Menschen“ überliefert. „Es war die Absicht des Königs,<br />

in der Rede ein überdauerndes Denkmal für den früh Verstorbenen zu schaffen,<br />

der ihm der Unsterblichkeit wert schien.“ 10<br />

Wie schon im Vorwort erwähnt, gewinnt diese Gedenkrede aber besonderes<br />

Interesse durch die offensichtliche Identifikation des Königs mit<br />

seinem Neffen, den er „wie einen eigenen Sohn liebte“ und über den er an<br />

seinen Bruder <strong>Heinrich</strong> schrieb: „Ein Vater kann seinen einzigen Sohn nicht


14<br />

die „éloge du prince henri de prusse“<br />

Abb. 4: Szene aus dem Film „Der Große König“<br />

mehr beweinen als ich diesen liebenswerten Jüngling.“ 11 Friedrich II. hat der<br />

Nachwelt damit nicht nur ein Bild des früh verstorbenen <strong>Prinz</strong>en überliefert,<br />

wie er ihn sah, sondern auch indirekt beschrieben, wie er selbst als<br />

jugendlicher <strong>Prinz</strong> gewesen zu sein glaubte. „Das Geheimnis der Gedenkrede<br />

liegt darin, daß Friedrich der Große im Bilde des Neffen zugleich selbst erscheint.“ 12<br />

Außerdem stellte er in dieser Rede dem Thronfolger Friedrich Wilhelm,<br />

der sie bei ihrer Verlesung anhörte, noch einmal ein Vorbild vor Augen.<br />

Ob bei der Beziehung zwischen dem König und seinem anmutigen,<br />

gutaussehenden Neffen auch homoerotische Gefühle eine Rolle spielten,<br />

von denen der König bekanntlich nicht frei war, muss ungeklärt bleiben –<br />

die Quellen sagen darüber nichts. 13<br />

Die Beziehung des Königs zu seinem Neffen <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> hat auch<br />

in dem historisch gut recherierten Historienfilm „Der große König“ aus<br />

dem Jahre 1942 eine große Rolle gespielt. 14 Die Darstellung dieser Beziehung<br />

wird in diesem Film dazu verwendet, die Menschlichkeit des Königs<br />

während eines unmenschlichen Krieges zu zeigen, der das Königreich<br />

Preußen an den Rand der Katastrophe brachte und vom König mit beispielloser<br />

Härte gegen Freund und Feind (Österreich, Frankreich und<br />

Russland) geführt wurde. Dieser fast hoffnungslose Dreifrontenkrieg und<br />

der kompromisslose Durchhaltewille des Königs selbst in verzweifelter Situation<br />

wurde in dem 1942 produzierten Film aus propagandistischen<br />

Gründen natürlich besonders herausgestellt („Durchhaltefritz“).


der text der „éloge“<br />

15<br />

DER TEXT DER „ÉLOGE“ 15<br />

„Meine Herren! Ein verständiger Mensch darf sich gewiß dem Kummer<br />

hingeben, wenn er mit seinem Vaterlande und einem zahlreichen<br />

Volke den Schmerz um einen unersetzlichen Verlust teilt. Es ist nicht<br />

die Aufgabe der Philosophie, das natürliche Gefühl in uns zu ersticken;<br />

sie beschränkt sich darauf, die Ausbrüche der Leidenschaften in die<br />

rechte Bahn zu lenken und zu mäßigen. Sie wappnet das Herz des<br />

Weisen mit so viel Festigkeit, daß er sein Unglück mit Seelengröße<br />

trägt, würde ihn aber tadeln, wenn er Verlust und Unglück seiner Mitbürger<br />

mit dumpfer Gleichgültigkeit und kaltem Blick ansähe. Es muß<br />

mir also vergönnt sein, meine Stimme mit der so vieler tugendhafter<br />

Bürger zur Klage um einen jungen <strong>Prinz</strong>en zu vereinen, den die Götter<br />

der Welt nur gezeigt und wieder genommen haben.<br />

Die hohe Geburt, die <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> dem Thron so nahe stellte, war<br />

nicht die Ursache so allgemeiner Trauer: Hoheit, Glanz und Macht flößen<br />

nur Furcht ein, erzwungene Ergebenheit und Respekt, der<br />

ebenso leer ist wie das Idol, dem man ihn erweist. Stürzt das Idol, so ist<br />

es mit der Achtung vorbei, und die Bosheit schlägt sie in Trümmer.<br />

Nein, meine Herren, was man am <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong> schätzte, ist nicht<br />

das Werk des Schicksals, sondern das Werk der Natur, seine Geistesgaben<br />

und Herzenseigenschaften, das eigenste Verdienst.<br />

Dieser Jüngling, der keine Spur seines Daseins zurückließ, verdient<br />

unsere Trauer, weil er zu den schönsten Hoffnungen berechtigte und<br />

wir nur wenige <strong>Prinz</strong>en zu verlieren haben.<br />

Meine Herren, worauf beruht die Stärke eines Staates? Auf den weiten<br />

Grenzen, die vieler Verteidiger bedürfen? Auf den durch Handel und<br />

Gewerbefleiß angehäuften Reichtümern, deren Nutzen allein in ihrer<br />

guten Anwendung liegt? Auf zahlreichen Völkern, die sich gegenseitig<br />

vernichten würden, wenn ihnen die Führer fehlten? Nein, meine Herren,<br />

das alles ist roher Stoff, der nur so weit Wert und Bedeutung hat,<br />

als Klugheit und Geschicklichkeit ihn zu kneten weiß. Die Stärke der<br />

Staaten beruht auf den großen Männern, die ihnen zur rechten Stunde<br />

geboren werden. Man durchlaufe die Weltgeschichte, und man<br />

wird sehen, daß die Zeiten des Aufstiegs und des Glanzes der Reiche<br />

die waren, wo erhabene Geister, tugendhafte Seelen, Männer von hervorragendem<br />

Talent in ihnen glänzten und die Last der Regierung unter<br />

hochherzigen Anstrengungen trugen.


16<br />

Auf wen hätten wir je festere Hoffnungen gründen können, als auf den<br />

<strong>Prinz</strong>en, dessen geringste Handlungen uns seinen bewunderungswürdigen<br />

Charakter enthüllten, der bereits ahnen ließ, was er eines Tages leisten<br />

könnte? Wir sahen den Keim von Talenten und Tugenden wachsen und<br />

gedeihen, auf einem Felde, das reiche Ernte versprach.<br />

Die aufgeklärtesten und welterfahrensten Leute, die viel in den Herzen<br />

der Menschen ge<strong>for</strong>scht haben, wissen tief in den Seelen zu lesen,<br />

welche Taten man von ihnen erwarten kann. Was fanden sie nicht alles<br />

bei dem jungen <strong>Prinz</strong>en? Eine Seele, die den Stempel der Tugend trug,<br />

ein Herz voll edler Gefühle, einen wißbegierigen Geist, einen Genius<br />

von höchstem Schwunge, ein männliches und vor der Zeit gereiftes<br />

Urteil. Wollen Sie Beispiele dafür, wieviel die Vernunft in einem so zarten<br />

Alter über ihn vermochte? Meine Herren, gedenken Sie an jene<br />

sturmbewegten, unglücksreichen Tage, da das betörte Europa sich verschworen<br />

hatte, unsere Monarchie zu stürzen, da wir rings nur Feinde<br />

sahen und es schwer war, die Freunde herauszufinden. Damals verließ<br />

der <strong>Prinz</strong> von Preußen Magdeburg, dessen Wälle der königlichen Familie<br />

als letzte Zuflucht dienten, um den König in den Feldzug von<br />

1762 zu begleiten. <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> brannte darauf, wie sein Bruder in<br />

den Krieg zu ziehen; aber er begriff nicht nur, daß seine Jugend den<br />

Strapazen nicht gewachsen war, sondern auch, daß der König, sein<br />

Oheim, nicht leichtfertig alle Hoffnungen des Staates auf einmal offenen<br />

Gefahren aussetzen durfte. Diese Erwägungen bestimmten ihn,<br />

sich ganz dem Studium hinzugeben. Er sagte, er wolle jeden freien Augenblick,<br />

den er nicht dem Ruhme weihen könnte, nutzbringend anwenden.<br />

Seine Fortschritte entsprachen seinem Entschluß.<br />

Unser <strong>Prinz</strong> wußte, daß die Natur ihm, wie allen Menschen, nur die<br />

Fähigkeit, sich zu unterrichten, verliehen hätte, daß er daher alles lernen<br />

müßte, was ihm unbekannt wäre. So füllte er denn sein Gedächtdie<br />

„éloge du prince henri de prusse“<br />

Ein unbestimmtes Gefühl durchbebt die Welt, wenn Männer von<br />

hoher Geburt sterben; denn man erwartete wichtige Dienste von ihnen.<br />

Vernichtet ein rauher Winter eine zarte Pflanze kurz vor ihrer Blüte,<br />

so beklagt man das mehr als den Fall eines alten Baumes, dessen<br />

Säfte eingetrocknet sind und dessen Äste verdorren. Ebenso, meine<br />

Herren, empfindet es die Menschheit schmerzlicher, wenn ihre Hoffnungen<br />

ihr kurz vor der Erfüllung geraubt werden, als wenn ein Greis<br />

die Welt verläßt, von dessen gebrechlichem Alter wir nicht mehr so<br />

viel erwarten durften wie von seiner Jugend.


der text der „éloge“<br />

17<br />

Abb. 5: Titelblatt der französischen Erstausgabe der<br />

„Éloge du Prince Henri de Prusse“ von Friedrich dem Großen


18<br />

die „éloge du prince henri de prusse“<br />

nis, diese kostbare Vorratskammer, mit Kenntnissen an, von denen er<br />

sein Leben lang Gebrauch machen konnte. Er war überzeugt, daß die<br />

Einsicht, die man durch das Studium gewinnt, die Erfahrung frühzeitig<br />

reift, und daß eine gründlich durchdachte Theorie die Praxis leicht<br />

macht.<br />

Wollen Sie wissen, welch weites Gebiet von Kenntnissen er umfaßte?<br />

Er beherrschte die Geschichte von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart.<br />

Mit besonderem Fleiße hatte er sich die Charaktere der großen<br />

Männer, die wichtigsten, auffälligsten Ereignisse eingeprägt. Er<br />

wußte, was zum Aufstieg und Untergang der Reiche am meisten beigetragen<br />

hat. Diese kostbare, erlesene Auswahl aus der Geschichte hatte<br />

er sich ganz zu eigen gemacht. Es gab kein militärisches Werk von<br />

einigem Rufe, das er nicht studiert und über das er nicht die Meinung<br />

erfahrener Leute eingeholt hätte. Wollen Sie noch unzweideutigere<br />

Zeugnisse für seinen Eifer, sich gründlich zu unterrichten? Vernehmen<br />

Sie denn, meine Herren: er hatte die verschiedenen Befestigungssysteme<br />

durchgenommen; da er sich aber auf diesem Gebiet noch nicht so<br />

erfahren fühlte, wie er gewünscht hätte, nahm er sechs Monate lang<br />

Unterricht bei Oberst Ricaud, ohne daß ihn jemand dazu angeregt<br />

hätte, ja, ohne Vorwissen seiner Eltern! Mit achtzehn Jahren wußte er<br />

die Systeme von Descartes, Leibniz, Malebranche und Locke darzustellen.<br />

Ja, sein Gedächtnis hatte nicht allein alle diese abstrakten Dinge<br />

erfaßt; seine Urteilskraft hatte sie auch geläutert. Er war erstaunt, in<br />

den Forschungen dieser großen Geister weniger Wahrheiten als geistreiche<br />

Voraussetzungen zu finden, und er war mit Aristoteles zu der<br />

Ansicht gelangt, daß der Zweifel der Vater der Weisheit sei.<br />

Ein guter Kopf ist fähig, sich auf jedem Gebiet zu betätigen. Er gleicht<br />

einem Proteus, der mühelos seine Gestalt wechselt und stets wirklich als<br />

das erscheint, was er darstellt. Mit dieser glücklichen Anlage geboren, bezog<br />

unser <strong>Prinz</strong> auch die Praxis der Kriegskunst in den Kreis seiner<br />

Kenntnisse ein. Für alles, was er unternahm, schien er geschaffen. Sein<br />

Wetteifer und seine militärische Neigung traten besonders bei den jährlichen<br />

Revuereisen hervor, die er im Gefolge des Königs durch alle Provinzen<br />

unternahm. Er kannte die Armee und war ihr bekannt. Er beherrschte<br />

die gefahrvolle Kriegskunst von den geringsten Einzelheiten bis zu den<br />

schwersten Aufgaben.<br />

Dabei war er stets guter Laune, mäßig in seinen Sitten, geschickt in allen<br />

Leibesübungen, beharrlich in seinen Unternehmungen, unermüdlich in<br />

der Arbeit und ein Freund von allem, was nützlich und ehrenvoll ist.


der text der „éloge“<br />

19<br />

So viele hervorragende Talente, mit denen die Natur <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong><br />

begabt hatte, würden jedoch kein vollkommenes Lob ausmachen,<br />

ohne die Eigenschaften des Herzens, die für alle Menschen, besonders<br />

aber für die Großen so wichtig sind. Sie setzten seinem Charakter erst<br />

die Krone auf.<br />

Wer will mich Lügen strafen, wenn ich sage, daß <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>, der<br />

mit feurigem Gemüt geboren war, seine Lebhaftigkeit durch Klugheit<br />

zu zügeln wußte? Wer immer die Ehre hatte, ihm näherzutreten, wußte,<br />

daß man ihm ruhig sein Herz ausschütten konnte, ohne befürchten<br />

zu müssen, daß er ein ihm anvertrautes Geheimnis verriete. Sein Herz<br />

war das Schönste und Edelste an ihm. Er war sanftmütig gegen alle,<br />

die ihm nahten, mitleidig gegen die Unglücklichen, zärtlich gegen die<br />

Leidenden, menschlich gegen jedermann. Er teilte den Gram der Betrübten,<br />

trocknete die Tränen der vom Schicksal Verfolgten und überschüttete<br />

die Dürftigen mit Wohltaten. Die Herzensgüte war ihm angeboren.<br />

Es kostete ihm so wenig, sie zu betätigen, daß man deutlich<br />

erkannte: sie floß aus einer lauteren, unerschöpflichen Quelle. Warum<br />

ließ ein feindliches Geschick sie so bald versiegen?<br />

Soll ich die kurze Zeit vergessen, die er bei seinem Regiment zugebracht<br />

hat? Ihr, seine Offiziere, und Ihr, tapfere Kürassiere, die stolz waren,<br />

unter ihm zu dienen: wird einer unter Euch mir widersprechen,<br />

wenn ich sage: Ihr habt ihn nur durch seine Wohltaten kennen gelernt,<br />

und dieser junge <strong>Prinz</strong> konnte Euch allen Führer und Vorbild sein?<br />

Sie wissen es selbst, meine Herren, daß völlige Uneigennützigkeit<br />

die Quelle ist, aus der alle Tugenden fließen. Der Selbstlose zieht Ehre<br />

und Ruf den Vorteilen des Reichtums vor, Billigkeit und Gerechtigkeit<br />

den Trieben zügelloser Begehrlichkeit, die Wohlfahrt von Staat und<br />

Gesellschaft dem Eigennutz und dem Vorteil der Familie, das Heil und<br />

die Erhaltung des Vaterlandes der Selbsterhaltung, den Gütern, der Gesundheit,<br />

dem Leben. Kurz, sie erhebt den Menschen über das<br />

Menschliche und macht ihn fast zum Bürger des Himmels. Diese edle,<br />

hochherzige Gesinnung äußerte sich in allen Handlungen des <strong>Prinz</strong>en.<br />

Wie sehr wünschte er seinem Bruder, dem <strong>Prinz</strong>en von Preußen, eine<br />

fruchtbare Ehe! Obwohl er sich nicht verhehlen konnte, daß die Kinderlosigkeit<br />

dieser Ehe ihm die Anwartschaft auf den Thron brächte,<br />

war er aufrichtig erfreut, als er die Entbindung der <strong>Prinz</strong>essin Elisabeth,<br />

seiner Schwägerin, erfuhr, und bedauerte allein, daß sie keinem<br />

<strong>Prinz</strong>en das Leben geschenkt hatte! Es fiele mir nicht schwer, Ihnen<br />

noch ähnliche Züge anzuführen, die Sie mit Liebe erfüllen und zur


20<br />

die „éloge du prince henri de prusse“<br />

Bewunderung hinreißen würden. Aber gestatten Sie mir, daß ich<br />

hierbei stehen bleibe und den Schleier nicht lüfte, der den ungeweihten<br />

Blicken verbirgt, was im Innern des Königshauses vorgeht.<br />

Wer sollte nach allem, was Sie vom <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong> vernommen haben,<br />

nicht befürchten, daß die außerordentliche Selbstzufriedenheit aller<br />

Menschen, die Bedeutung, die sie ihren geringsten Handlungen zuschreiben,<br />

die schmeichlerische Neigung, sich selbst Beifall zu zollen, das<br />

Herz eines Jünglings mit einer stets abstoßenden, wenn auch nicht ganz<br />

unbegründeten Eitelkeit geschwellt hätte! Welche Klippe für die Eigenliebe<br />

bilden so zahlreiche Talente, ja selbst so viele Tugenden! Zum<br />

Glück hatten wir für ihn nichts zu befürchten. Etwas Höheres bewahrte<br />

ihn vor dieser gefährlichen Klippe. Sie wissen, seine schöne Seele war<br />

die einzige, die mit sich selbst nicht zufrieden war. Die Eigenschaften,<br />

die er besaß, genügten ihm nicht; er machte sich einen höheren Begriff<br />

von denen, die er zu erwerben hoffte. Das war es, was seinen Eifer entflammte,<br />

sich die ihm fehlenden Kenntnisse anzueignen. Er wollte auf<br />

allen Gebieten der Vollendung so nahe kommen, wie es der menschlichen<br />

Schwachheit verstattet ist.<br />

Aber wenn auch Eitelkeit ihm eine lächerliche Schwäche deuchte,<br />

so war er doch gegen die Lockungen des Ruhmes nicht fühllos. Welcher<br />

tugendhafte Mensch hat den Ruhm je verschmäht? Er ist die<br />

letzte Leidenschaft des Weisen; die strengsten Philosophen haben ihn<br />

nicht auszurotten vermocht. Gestehen wir es offen: das Streben nach<br />

dauerndem Ruhme ist die mächtigste und hauptsächlichste Triebfeder<br />

der Seele, ist die Quelle und ewige Grundlage der Tugend. Aus ihr<br />

entstehen alle Taten, durch die sich die Menschen unsterblich machen.<br />

<strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> wollte seinen Ruf nicht der niedrigen Gefälligkeit des<br />

Pöbels verdanken, des verächtlichen Anbeters des Glücks, der seine<br />

Abgötter knechtisch beweihräuchert, auch wenn sie verdienstlos sind.<br />

Er strebte nach einem Ruhme, der von seiner Person unzertrennlich<br />

war und den kein Neid anzweifeln konnte. Er wollte keinen erborgten<br />

Namen, sondern echten, von einem unveränderlichen Charakter<br />

getragenen Ruhm.<br />

Wir sahen den <strong>Prinz</strong>en in die Welt treten, die Bahn des Ruhmes tat sich<br />

vor ihm auf. Wir glaubten einen Wettläufer zu sehen, der seinen Lauf glorreich<br />

vollenden würde. Seine blühende Jugend schwellte unser Hoffen.<br />

Schon im voraus genossen wir alle seine Verdienste. Ach! Wir wußten<br />

nicht, daß ein düsteres Verhängnis ihn uns so bald rauben würde!


der text der „éloge“<br />

21<br />

Plötzlich wurde er von einer ebenso heftigen wie furchtbaren Krankheit<br />

ergriffen. Der <strong>Prinz</strong>, der keine Furcht kannte, scheute sich auch<br />

nicht vor den Blattern, obwohl sie im letzten Winter so große Verheerungen<br />

angerichtet hatten und fast jedermann mit Schrecken erfüllten.<br />

Bewundern Sie seine Menschlichkeit! Als die Ärzte ihm seine Krankheit<br />

nannten, verbot er den Zutritt allen seinen Dienern, die bisher<br />

von den Blattern verschont geblieben waren. Der <strong>Prinz</strong> sagte, wenn<br />

man ihm seine Ruhe nicht rauben wolle, müsse man ihn allein die Gefahr<br />

bestehen lassen und ihn nicht dem aussetzen, andere anzustecken.<br />

Ein Flügeladjutant des Königs, der keine Blattern gehabt hatte, erbot<br />

sich, bei ihm zu wachen, aber der <strong>Prinz</strong> ließ es nicht zu. Er fürchtete,<br />

das Leben seiner Umgebung in Gefahr zu bringen, und trotzte selbst<br />

der Gefahr. Diese Herzensgüte und edle Gesinnung, diese hochherzige<br />

Denkweise, diese Menschlichkeit, die Krone aller Tugenden, kennzeichneten<br />

ihn bis zum letzten Augenblick. Geduldig ertrug er sein<br />

Leiden, blickte dem Tod furchtlos entgegen und starb wie ein Held.<br />

Gedenken Sie, meine Herren, des Schicksalstages, da das schnell sich<br />

verbreitende Gerücht uns plötzlich die traurigen Worte verkündete:<br />

»<strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> ist tot!« Welche Bestürzung! Welch aufrichtige, wenn<br />

auch vergebliche Klagen!<br />

Das, meine Herren, ist das Vorrecht der Tugend, wenn sie in ihrer ganzen<br />

Reinheit erstrahlt: So sehr die Menschen auch zum Laster neigen, sie<br />

müssen doch zu ihrem eigenen Besten die Tugend lieben und ihr Gerechtigkeit<br />

widerfahren lassen. Der aufrichtige Beifall des ganzen Volkes,<br />

das allgemeine Zeugnis der öffentlichen Hochachtung, das Lob, das <strong>Prinz</strong><br />

<strong>Heinrich</strong> nach seinem Tode gezollt ward, also zu einer Zeit, wo er jeder<br />

Schmeichelei entrückt war –, gehört das alles nicht zu jenen einmütigen<br />

Kundgebungen, worin die Stimme Gottes sich durch die Stimme eines<br />

ganzen Volkes zu offenbaren scheint? Messen wir also das Leben der<br />

Menschen nicht nach seiner längeren oder kürzeren Dauer, sondern nach<br />

dem Gebrauche, den sie von der Zeit ihres Daseins gemacht haben. O liebenswerter<br />

<strong>Prinz</strong>! Deine Weisheit ließ Dich diese Wahrheit einsehen. Dein<br />

Lebenslauf war kurz, aber Deine Tage waren inhaltsreich.<br />

Ach! meine Herren, diese traurigen Betrachtungen vermögen unseren<br />

Gram nicht zu lindern. Aber achten wir die Beschlüsse der Vorsehung und<br />

bedenken wir, daß wir als Menschen dem Leid unterworfen sind. Der<br />

Feige erliegt unter seiner Last, doch der Beherzte erträgt es standhaft.<br />

Könnte dieser liebenswerte und geliebte <strong>Prinz</strong> unsere Klagen und die


22<br />

O Ihr, erlauchte Jünglinge, die Ihr Euch dem Waffenberufe widmet<br />

und nur für den Ruhm lebt, tretet an sein Grab! Erweist die letzte<br />

Pflicht dem <strong>Prinz</strong>en, der mit Euch wetteiferte und Euch ein Vorbild<br />

war! Seht, was uns von ihm bleibt: ein entstellter Leichnam, Gebeine,<br />

Asche, Staub – das gemeinsame Schicksal aller, die des Todes Sense<br />

weggemäht hat! Doch bedenkt zugleich, was ihn unvergänglich überlebt,<br />

das Andenken an seine hohen Eigenschaften, das Beispiel seines<br />

Lebens, das Vorbild seiner Tugenden. Mir ist, als sähe ich seine erloschene<br />

Asche sich aufs neue beleben, aus dem Grab auferstehen, in<br />

dem seine kalten Überreste ruhen, und also zu Euch sprechen: »Euer<br />

Leben ist eng begrenzt, wie lange es auch währe. Eines Tages werdet<br />

Ihr alle die sterbliche Hülle ablegen. Benutzt die Frist zur Tätigkeit.<br />

Seht, wie rasch meine Tage entschwanden. Soll Euer Andenken Euch<br />

überleben, so beherzigt, daß Euer Name nur durch edle Taten und Tugenden<br />

der zerstörenden Zeit und dem Dunkel der Vergessenheit entgeht.«<br />

Auch Ihr, tapfere Verteidiger des Vaterlandes, die Ihr mit beispielloser Anstrengung<br />

dem Ansturm ganz Europas Trotz botet, Ihr, höchste Diener des<br />

Staates, die Ihr in Euren verschiedenen Ämtern für das öffentliche Wohl<br />

wirkt, tretet an das Grab dieses Jünglings! Möge er, den wir wegen seiner<br />

Talente und seltenen Tugenden betrauern, Euch in dem Glauben befestigen,<br />

daß nicht hohe Würden noch äußere Ehrenzeichen, noch selbst die<br />

erlauchteste Geburt denen Achtung erwirbt, die an der Spitze der Völker<br />

stehen. Nur ihre Verdienste, ihr Eifer, ihre Arbeit, ihre treue Hingabe an<br />

das Vaterland können ihnen den Beifall des Volkes, der Weisen und der<br />

Nachwelt erwerben.<br />

Da ich Euch alle an das Grab geführt habe, wie könnte ich allein nicht<br />

herantreten? Mein <strong>Prinz</strong>! Du wußtest, wie teuer Du mir warst, wie wert<br />

ich Dich hielt! Kann die Stimme der Lebenden zu den Toten dringen, so<br />

leihe Dein Ohr einer Stimme, die Dir nicht fremd war, und erlaube, daß<br />

ich Dir dies vergängliche Denkmal errichte, das einzige, ach, das ich Dir<br />

setzen kann! Versage es einem an Dir hängenden Herzen nicht, von Deinem<br />

Schiffbruch so viel Trümmer zu retten, als es vermag, um sie im Temdie<br />

„éloge du prince henri de prusse“<br />

Schmerzenslaute so vieler Leidtragenden hören, er mißbilligte diese traurigen<br />

Zeugnisse unseres ohnmächtigen, fruchtlosen Schmerzes. Er würde<br />

denken: da er uns in der kurzen Frist seines Lebens nicht so nützlich sein<br />

konnte, wie es in seiner edlen Absicht lag, so sollten wir zum mindesten<br />

aus seinem Tode eine Lehre ziehen.


die entstehung der „éloge“<br />

23<br />

pel der Unsterblichkeit niederzulegen. Ach! Solltest Du mich lehren, wie<br />

sehr der Mensch mit den wenigen ihm beschiedenen Tagen haushalten<br />

muß? Sollte ich von Dir lernen, dem herannahenden Tode zu trotzen, ich,<br />

den Alter und Hinfälligkeit jeden Tag mahnen, daß er dicht am Ziel seines<br />

Lebens steht? Nie wird Dein herrlicher Charakter aus meinem Gedächtnis<br />

entschwinden. Ewig wird mir das Bild Deiner Tugenden gegenwärtig<br />

sein. Ewig wirst Du in meinem Herzen leben. Dein Name wird sich in<br />

alle meine Gespräche mischen, und Dein Andenken wird erst mit dem<br />

letzten Atemzuge in mir erlöschen. Schon sehe ich das Ende meiner Laufbahn<br />

und den Augenblick, teurer <strong>Prinz</strong>, wo das höchste Wesen unser beider<br />

Asche auf immer vereinen wird.<br />

Der Tod, meine Herren, ist uns allen beschieden. Wohl denen, die mit<br />

dem tröstlichen Bewußtsein sterben, daß sie die Tränen der Überlebenden<br />

verdienen!“<br />

DIE ENTSTEHUNG DER „ÉLOGE“<br />

Ende des Jahres 1767 – wenige Monate nach dem Tode des <strong>Prinz</strong>en –<br />

beauftragte Friedrich der Große den aus Frankreich stammenden Lehrer<br />

an der „Académie Militaire“ in Berlin, seinen Vorleser Dieudonné<br />

Thiébault, die von ihm verfasste „Éloge“ zu überarbeiten und auf einer<br />

Sitzung der Berliner Akademie der Wissenschaften vorzulesen. In seinen<br />

Erinnerungen berichtet Thiébault über dieses Gespräch mit dem<br />

König; dabei zitiert er zunächst dessen an ihn gerichtete Worte:<br />

„,Sie wissen, mein Herr, von dem großen Verlust, den der Staat und ich durch<br />

den Tod eines hoffnungsvollen jungen <strong>Prinz</strong>en erlitten haben. Das Unglück hat<br />

besonders mich tief betroffen, aber ich habe mich nicht darauf beschränken wollen, ihm<br />

nutzlose Thränen nachzuweinen. Ich habe geglaubt, daß das Leben des prächtigen<br />

Jünglings anderen Fürstensöhnen und gewiß auch allen anderen, die einem edlen<br />

Ehrgeiz zugänglich sind, als Vorbild dienen könnte. Um also meinen Schmerz der<br />

Gesellschaft dienstbar zu machen, habe ich eine Lobrede auf meinen geliebten, tiefbetrauerten<br />

Neffen niedergeschrieben. Ich wünsche, mein Herr, daß diese Rede in einer<br />

öffentlichen Sitzung meiner Akademie verlesen wird und ich habe Sie dazu ausersehen,<br />

diese Vorlesung zu halten. Indessen betrachte ich meinen Aufsatz als noch nicht<br />

ganz fertig; an mehreren Stellen wird noch die Feile anzulegen sein. Zudem wünsche


24 die „éloge du prince henri de prusse“<br />

ich, daß Sie eine Abschrift machen, da, wie Sie sehen, die Schrift überall durch Ausstreichungen<br />

und Aenderungen fast unleserlich gemacht ist. Doch Sie kennen meine<br />

Handschrift oder vielmehr mein Gekritzel nicht, deshalb werde ich Ihnen die Rede,<br />

so wie sie ist, selbst vorlesen, damit Sie nachher leichter herausbringen können, was<br />

ich habe sagen wollen. Außerdem erwarte ich noch von Ihnen, daß Sie mir etwaige<br />

Sprachfehler und Verstöße gegen die Regeln der Redekunst anzeigen.‘ […] Hierauf<br />

nahm er [Friedrich II.] sein Heft von dem viereckigen Tischchen, das er gewöhnlich<br />

vor sich hatte und worauf meistens einige Bücher, ein Schreibgeschirr, weißes Papier<br />

und mehrere Tabaksdosen lagen. Zuerst las er wie ein Mensch, der sich selbst beherrschen<br />

will; man merkte es am Ton seiner Stimme, der er Festigkeit zu geben sich bemühte,<br />

er sprach langsam und machte häufige und ziemlich lange Pausen. Aber schon<br />

bei der zweiten oder dritten Seite begann seine Stimme zu schwanken. Die Thränen<br />

stiegen ihm in die Augen, er mußte oft innehalten und nach seinem Taschentuch greifen.<br />

Er wischte sich das Gesicht ab, hustete, räusperte sich: trotz alledem kam er nicht<br />

bis zum Ende der vierten Seite, seine Augen schwammen in Thränen und sahen<br />

nicht mehr, seine erloschene und ganz erstickte Stimme konnte kein Wort mehr hervorbringen<br />

und mit einem Schluchzen, dem er nicht mehr widerstehen konnte, streckte<br />

er die Hand nach mir aus und reichte mir stillschweigend das Heft. Ich nahm es<br />

und blickte voll Achtung und Mitgefühl auf diesen großen Mann, der wie alle andern<br />

dem rührendsten und menschlichsten Gefühl nachgab. Als er nach ungefähr einer oder<br />

zwei Minuten wieder imstande war zu sprechen, sagte er zu mir: ,Sie haben begriffen,<br />

was ich von Ihnen erwarte? Gehen Sie, ich wünsche Ihnen guten Abend.‘“ 16<br />

Dass diese Schilderung wohl nicht übertrieben ist, beweist ein offensichtlich<br />

durch Tränen verschmierter eigenhändiger Brief des Königs<br />

an seinen Bruder <strong>Heinrich</strong> vom 27./28. Mai 1767, kurz nachdem dieser<br />

die Nachricht vom Tode seines Neffen erhalten und dem König kondoliert<br />

hatte:<br />

„Mein lieber Bruder. Ich erhielt Deinen traurigen Brief und danke Dir von Herzen<br />

für Deine Anteilnahme an meiner Trübsal. Diese Nachricht hat mich wie ein<br />

Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Ich liebte dieses Kind wie meinen eigenen Sohn.<br />

Für den Staat ist es ein großer Verlust. Meine Klagen sind vergeblich. Gott kann das<br />

Geschehene nicht ungeschehen machen. Wir haben ihn für immer verloren; meine<br />

Hoffnungen sinken mit ihm ins Grab. So ist das Leben! Man hat nichts davon als<br />

den Schmerz, seine teuersten Anverwandten begraben zu müssen. Ich umarme Dich,<br />

lieber Bruder. Gebe der Himmel, daß er der Letzte ist, dem ich diese traurige Pflicht<br />

erweise.“ 17<br />

Der König ist verzweifelt, der Mann, der Tausende Soldaten ohne äußere<br />

Zeichen der Rührung in den Tod geschickt hatte, weint zum fassungs-


die entstehung der „éloge“<br />

25<br />

losen Erstaunen seiner Umgebung um diesen <strong>Prinz</strong>en. Wieder zeigen sich<br />

hier, deutlicher noch als sonst, die beiden unterschiedlichen Seelen in des<br />

Königs Brust: Einerseits führt er einen erbarmungslosen Krieg, andererseits<br />

trauert er in anrührender Weise um einen Menschen; zum einen ist er der<br />

alles beherrschende, das Land seiner Staatsräson unterwerfende absolutistische<br />

König, zum anderen zugleich der feinsinnige und gelehrte „Philosophe<br />

du Sans-Souci“, als den er sich selbst in seinen von ihm herausgegebenen<br />

Gedichtsammlungen von 1750, 1752 und 1760 bezeichnet. Erkennbar<br />

werden diese Gegensätze auch in den beiden völlig verschiedenartigen<br />

Unterschriften des Königs: in einem französischsprachigen persönlichen<br />

Brief das fein geschriebene „Federic“ (siehe Abb. 27: Schreiben vom 28.<br />

Mai 1767) und in einem militärische Belange behandelnden Kanzleischreiben<br />

in deutscher Sprache das schwungvolle, grobe „Fch“ (siehe Abb. 19:<br />

Schreiben vom 27. Februar 1767).<br />

Am 30. Dezember 1767, dem zwanzigsten Geburtstag des <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong>,<br />

wurde dann auf Veranlassung des Königs in der Königlich Preußischen<br />

Akademie der Wissenschaften auf einer außerordentlichen Sitzung<br />

in Berlin die Gedenkrede des Königs auf seinen Neffen verlesen. Thiébault<br />

berichtet in seinen Erinnerungen, dass er diese Rede in der Akademiesitzung<br />

vorgetragen habe: „Der Hof, die Minister und die fremden Gesandten<br />

wohnten dieser Vorlesung bei […]“ 18 Der König war demnach nicht anwesend.<br />

Einer der Kammerherren des Königlich Preußischen Hofes, Reichsgraf<br />

Ahasverus <strong>Heinrich</strong> von Lehndorff, bestätigt das in seinen Tagebüchern:<br />

„An der Akademie wird eine vom König verfaßte Rede über den Tod des seeligen<br />

<strong>Prinz</strong>en verlesen, die sehr rührend ist. Der Zudrang zum Auditorium ist gewaltig,<br />

die <strong>Prinz</strong>en des Königlichen Hauses und die fremden Gesandten wohnen der<br />

Sitzung bei.“ 19<br />

Wenig später erschienen verschiedene gedruckte Ausgaben dieser Gedenkrede:<br />

eine Ausgabe des französischen Originaltextes (siehe Abb. 5)<br />

und eine deutsche Übersetzung, beide bei dem Verleger Christian<br />

Friedrich Voss in Berlin, der auch die offizielle (gekürzte und aus politischen<br />

Gründen überarbeitete) Fassung der Gedichte des Königs 1760<br />

neu herausgebracht hatte, und ein Nachdruck des französischen Textes<br />

in England.


26<br />

Das Leben <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>s von Preußen<br />

Im Folgenden werden aus den zahlreichen archivalischen und gedruckten<br />

Quellen zunächst die Fakten aus dem Leben des <strong>Prinz</strong>en in<br />

Form eines chronologischen Lebenslaufes dargestellt. Nähere Angaben<br />

zu den Personen und Ereignissen enthalten die Anmerkungen. Über<br />

die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb der königlichen Familie, deren<br />

Angehörige nicht selten gleiche oder sehr ähnliche Namen tragen,<br />

orientiert die ebenfalls im Anhang zu findende Stammtafel.<br />

FRÜHE KINDHEIT<br />

(1747–1756)<br />

Die ersten sieben Lebensjahre verbrachte der <strong>Prinz</strong> mit seinen Eltern,<br />

seinem älteren Bruder Friedrich Wilhelm und seiner jüngeren Schwester<br />

Wilhelmine im Sommer in Schloss Oranienburg, der Residenz seines<br />

Vaters, und im Winter im Kronprinzenpalais zu Berlin. Sein Vater<br />

<strong>Prinz</strong> August Wilhelm war der älteste unter den jüngeren Brüdern des<br />

kinderlosen Königs und daher dessen Thronfolger. Die Erziehung des<br />

<strong>Prinz</strong>en erfolgte durch aus Frankreich oder aus der französischen<br />

Schweiz stammende Lehrer (Béguelin und Andrié) in französischer<br />

Sprache. Den Religionsunterricht erteilte der evangelisch-re<strong>for</strong>mierte<br />

Hof- und Domprediger August Friedrich Wilhelm Sack. Die militärische<br />

Ausbildung (in deutscher Sprache) übernahmen preußische Offiziere.<br />

Zur Lektüre des jungen <strong>Prinz</strong>en gehörten in diesen Jahren „Don Quichotte“<br />

und „Télémaque“, außerdem besuchte er französische Theateraufführungen<br />

(Werke von Molière und Destouches). 17<strong>55</strong> siedelte der siebenjährige<br />

<strong>Prinz</strong> mit seiner Schwester in das Königliche Schloss zu Berlin<br />

über, um unter der Aufsicht ihrer Großmutter, der „Königin-Mutter“ (der<br />

Witwe Friedrich Wilhelms I.) weiter erzogen zu werden. Ob der König<br />

Gründe hatte, der Erziehung des <strong>Prinz</strong>en durch seinen Bruder (der ein<br />

langjähriges außereheliches Verhältnis mit der Hofdame Sophie Marie Gräfin<br />

Voss hatte) und dessen Frau zu misstrauen, ist nicht überliefert. Sicher<br />

ist, dass der König als Oberhaupt der ganzen königlichen Familie von seinem<br />

Recht, ja seiner Pflicht Gebrauch machte, auch über die Erziehung<br />

und Ausbildung seiner Neffen zu wachen. 20


frühe kindheit<br />

27<br />

Abb. 6: Schloss Oranienburg<br />

Abb. 7: <strong>Prinz</strong> August Wilhelm, der<br />

Vater des <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong><br />

Abb. 8: <strong>Prinz</strong>essin Luise Amalie, die<br />

Mutter des <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong>


28<br />

das leben prinz heinrichs von preussen<br />

1747–1748<br />

30. Dezember 1747 Friedrich <strong>Heinrich</strong> Carl <strong>Prinz</strong> von Preußen wird<br />

im Kronprinzenpalais („Palais des <strong>Prinz</strong>en von Preußen“; Unter den<br />

Linden zu Berlin) geboren. 21 Er ist der zweite Sohn des Thronfolgers<br />

(„<strong>Prinz</strong> von Preußen“) August Wilhelm von Preußen und dessen<br />

Ehefrau Louise Amalie geb. <strong>Prinz</strong>essin von Braunschweig-Bevern.<br />

<strong>Heinrich</strong> (wie er allgemein genannt wird) ist zu diesem Zeitpunkt<br />

nach seinem<br />

Vater und seinem älteren<br />

Bruder der<br />

Dritte in der königlich<br />

preußischen<br />

Abb.9: Glückwunschschreiben des Königs<br />

Georg II. von Großbritannien und Irland<br />

Thronfolge.<br />

Unter den Gratulanten<br />

befindet sich<br />

auch der König von<br />

England, Georg II. Er<br />

gratuliert aber nicht<br />

den Eltern, sondern<br />

dem Onkel, also<br />

Friedrich II., dem<br />

Familienoberhaupt,<br />

als seinem „Frére et<br />

Cousin“.<br />

16. Januar 1748 <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> wird im Dom zu Berlin durch Hofprediger<br />

August Friedrich Wilhelm Sack nach evangelisch-re<strong>for</strong>miertem<br />

Ritus getauft. Taufpate ist sein Onkel, König Friedrich II.:<br />

„Seine Majestät haben ihn über die Taufe gehalten.“ 22 Am Tag seiner<br />

Taufe wird <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> auch der Königlich Preußische Hohe<br />

Orden vom Schwarzen Adler verliehen. Er ist damit der 181. Ritter<br />

des Schwarzen Adlerordens. 23<br />

Friedrich der Große schreibt am selben Tage aus Berlin an Pierre<br />

Louis Moreau de Maupertuis, den Präsidenten der Akademie der<br />

Wissenschaften in Berlin: „Ich erhalte Ihren Brief bei der Rückkehr von<br />

einem atto di fè. Mein Bruder, meine Schwägerin und ich haben zu dritt ein<br />

Kind gemacht, dessen Pate ich war. Sie sehen, welche Mittel Gott anwendet,<br />

um seine Kirche zu bilden! Wer hätte gedacht, daß ein eifriger Schüler<br />

Epikurs andächtig Wasser auf das Haupt eines Kindes hätte gießen lassen,


frühe kindheit<br />

29<br />

im Namen von drei Personen, die nur eine einzige sind, und daß ich nun<br />

wirklich einen Christen fabriziert habe!“ 24<br />

1754<br />

Abb.10: Oberst <strong>Heinrich</strong> Adrian<br />

Graf von Borcke<br />

12. Juli 1754 Major Graf <strong>Heinrich</strong> Adrian Borcke 25 , seit 1751 Gouverneur<br />

(Erzieher) des <strong>Prinz</strong>en Friedrich Wilhelm, gibt im Schloss<br />

Charlottenburg ein Fest zu<br />

Ehren des „kleinen <strong>Prinz</strong>en<br />

<strong>Heinrich</strong>“. Über das Fest notiert<br />

Graf Lehndorff in seinem<br />

Tagebuch 26 : „Nun begebe<br />

ich mich nach Charlottenburg,<br />

wo Graf Borck ein nettes<br />

Fest gibt, das er für den kleinen<br />

<strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong> sehr hübsch<br />

arrangiert hat. Die Lästerzungen<br />

behaupten, er nehme den<br />

kleinen <strong>Heinrich</strong> nur zum Vorwand,<br />

alle H. flammten vielmehr<br />

der Henriette Bredow zu<br />

Ehren, in die unser guter Graf<br />

verliebt sei.“ 27<br />

19. August 1754 Der ältere Bruder <strong>Prinz</strong> Friedrich Wilhelm, knapp<br />

zehn Jahre alt, siedelt mit seinem Gouverneur Graf Borcke nach<br />

Potsdam über, um unter den Augen des königlichen Onkels erzogen<br />

zu werden. Die örtliche Trennung zwischen den Brüdern hat<br />

einen Briefwechsel über alltägliche Dinge in französischer Sprache<br />

zur Folge, der am 4. September 1754 beginnt und bis zum Sommer<br />

1756 erhalten ist. 28<br />

20. August 1754 <strong>Prinz</strong> August Wilhelm schreibt an seinen Bruder<br />

Friedrich II., dass er es nicht versäumen werde, „die wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse meines zweiten Sohnes nach Deinen Absichten zu regeln und<br />

Dich nach dem Manöver an die Ernennung eines Gouverneurs zu erinnern“.<br />

29<br />

4. September 1754 Brief des sechsjährigen <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong> aus<br />

Berlin an seinen Bruder. Er bedankt sich darin für die Melonen,<br />

die dieser ihm aus Potsdam geschickt hat. 30


30<br />

das leben prinz heinrichs von preussen<br />

17<strong>55</strong><br />

Februar 17<strong>55</strong> <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> und seine Schwester <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine<br />

siedeln mit ihren Eltern in das Königliche Schloss nach Berlin<br />

über, um unter Aufsicht der Königin-Mutter Sophie Dorothea,<br />

der Witwe Friedrich Wilhelms I., erzogen zu werden. 31<br />

März 17<strong>55</strong> Der <strong>Prinz</strong> besucht in Berlin verschiedene Theatervorstellungen:<br />

„Timon, der Menschenfeind“; „L’école des maris“, „Georges<br />

Dandin“ (Molière), „Le Glorieux“ (Philippe Néricault Destouches).<br />

32<br />

22. Juli 17<strong>55</strong> Brief des siebenjährigen <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong> aus Berlin an<br />

seinen Bruder. Er lese gerade den dritten Band von „Don Quichotte“<br />

von Michel de Cervantes über die Hochzeit von Gamache. 33<br />

Außerdem bittet er seinen Bruder, seine Glückwünsche an Graf<br />

Borcke zu dessen „Avancement“ (Beförderung zum Obrist-Lieutenant)<br />

auszurichten. Auch berichtet er, dass die Äbtissin von Quedlinburg<br />

gestorben sei und seine Tante <strong>Prinz</strong>essin Amalie [eine unverheiratete<br />

Schwester des Königs] deren Nachfolgerin werde. Im<br />

Theater spiele man gerade „Georges Dandin“. <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> befindet<br />

sich offenbar bei der Königin-Mutter, da er deren Grüße an<br />

seinen Bruder ausrichtet. 34<br />

Juli 17<strong>55</strong> Der <strong>Prinz</strong> liest den „Télémaque“ von François de Salignac de<br />

la Motte-Fénelon, den dieser als Erzieher für den französischen<br />

Kronprinzen geschrieben hatte (siehe unten S. 122 ff.). 35<br />

November 17<strong>55</strong> <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> erhält Exerzierunterricht mit Gewehr,<br />

Säbel und Koppel. Zu diesem Zweck bittet er seinen Bruder in<br />

seinem Schreiben vom 21. November 17<strong>55</strong>: „Schicke mir ein Gewehr,<br />

ein bißchen kleiner als das, was Du hier hattest, mit dem Bajonett, einen Säbel<br />

und ein Koppel, weil ich anfange zu exerzieren.“ Am 10. Dezember<br />

17<strong>55</strong> bedankt sich <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> bei seinem Bruder für Gewehr<br />

und Säbel und findet beide „sehr schön“. 36 – <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>s Ausbilder<br />

war vermutlich Hauptmann von Zitzewitz. 37<br />

November 17<strong>55</strong> Über das Verhältnis des <strong>Prinz</strong>en August Wilhelm zu<br />

seinen Kindern schreibt Graf Lehndorff in sein Tagebuch: „Es gibt<br />

nichts Zärtlicheres als diesen biederen <strong>Prinz</strong>en gegenüber seinen Kindern,<br />

wenn er mit ihnen allein ist. In der Öffentlichkeit ist es anders, da hält ihn<br />

wohl ein wenig falsche Scham zurück. Man muß aber auch diesen königlichen<br />

Kindern gerecht werden, die wirklich himmlisch sind. Der ältere besitzt<br />

neben viel Schüchternheit viel gesunden Menschenverstand, der jüngere ist


frühe kindheit<br />

31<br />

von entzückender Anmut, und bei der <strong>Prinz</strong>essin deuten alle Anzeichen<br />

darauf hin, daß sie eines Tages recht liebenswert sein wird.“ 38<br />

30. Dezember 17<strong>55</strong> Geburtstagsfeier für <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>, organisiert<br />

durch das Hofpersonal der Königin Elisabeth in der Wohnung eines<br />

Fräulein Cocceji. Über diese Geburtstagsfeier schreibt Graf<br />

Lehndorff am 31. Dezember 17<strong>55</strong> in sein Tagebuch: „Nach dem Diner<br />

bei der Königin geben wir dem kleinen <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong> aus Anlaß seines<br />

Geburtstages in der Wohnung des Fräulein Cocceji ein Fest. Es ist ein<br />

liebenswürdiges Kind; er würde noch besser sein, wenn seine Erziehung es<br />

wäre. Man will ihm einen Erzieher geben, und zwar einen Kapitän aus<br />

dem Regiment Meyerinck.“ 39 – Bei diesem Kapitän handelte es sich<br />

vermutlich um den eben erwähnten Hauptmann von Zitzewitz.<br />

1756<br />

Januar 1756 Die beiden <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong> und Friedrich Wilhelm begegnen<br />

in Berlin dem aus Italien stammenden Breslauer Domherrn<br />

Abbé Giovanni Battista Bastiani und bewundern ihn. Bastiani ist<br />

eine der schillerndsten Persönlichkeiten in der Umgebung Friedrichs<br />

II.; der Abbé wird in den Erinnerungen Casanovas ausführlich<br />

erwähnt als ein für beide Geschlechter offener Liebhaber. 40<br />

Über den Umgang<br />

der <strong>Prinz</strong>en notiert Graf<br />

Lehndorff: „Unsere <strong>Prinz</strong>en<br />

haben jeden Winter einen<br />

neuen Freund; jetzt ist<br />

es Herr Bastiani, ein ehmaliger<br />

Lakai, der Sohn eines<br />

Schneiders in Venedig.<br />

Nach ihrer Ansicht ist er<br />

das größte Genie.“ Lehndorff<br />

meint jedoch,<br />

Bastiani gehöre zu denjenigen<br />

Individuen, „die<br />

sich höchstens körperliche<br />

Vorzüge zuschreiben dürfen“.<br />

41<br />

Abb. 11: Brief des achtjährigen <strong>Heinrich</strong>


32<br />

das leben prinz heinrichs von preussen<br />

31. Juli 1756 Brief des achtjährigen <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong> aus Berlin<br />

(Schloss Schönhausen, Residenz der Königin) an seinen Bruder. In<br />

diesem Brief schreibt er: „Man sagt hier, daß wir keinen Krieg haben<br />

werden, sondern daß es einzig ein Lager in Spandau geben wird“; der bevorstehende<br />

– präventive – Einmarsch in <strong>Sachs</strong>en (29. August<br />

1756), mit dem der Siebenjährige Krieg begann, wurde also vom<br />

König auch vor seiner Familie geheim gehalten. 42<br />

Seit Monaten schon beschäftigt sich der <strong>Prinz</strong> mit dem Leben und<br />

Sterben von <strong>Heinrich</strong> von Bourbon, der von 1594 bis zu seiner Ermordung<br />

1610 als <strong>Heinrich</strong> IV. König von Frankreich war. Nachdem<br />

er bereits einen Brief vom 27. Februar mit dem Gruß „votre<br />

très humble et très obéïssant frère Henri IV., tué par Ravaillac 1610“ beschlossen<br />

hat 43 , unterschreibt er auch den Brief vom 31. Juli wiederum<br />

in Anspielung auf <strong>Heinrich</strong> IV. mit „Henri IV Empereur excomunié“.<br />

IM SIEBENJÄHRIGEN KRIEG<br />

(1756–1763)<br />

Hintergründe und Verlauf des Siebenjährigen Krieges brauchen hier<br />

nicht dargestellt zu werden 44 , nur zu einzelnen in den Quellen erwähnten<br />

Ereignissen werden kurze Erläuterungen gegeben. Nur so<br />

viel und sehr verkürzt: Es ging in diesem Krieg wesentlich um die Position,<br />

die sich Preußen im Zusammen- und Widerspiel der europäischen<br />

Großmächte (in der Hauptsache Österreich, Frankreich und<br />

Russland) im 18. Jahrhundert errungen hatte, zuletzt durch die Annektion<br />

Schlesiens im ersten Schlesischen Krieg 1740/41. Das Hauptinteresse<br />

der Gegner Preußens war, dessen Macht wieder auf ein Minimum<br />

zu beschränken (für Österreich gehörte dazu unabdingbar die Rückgewinnung<br />

Schlesiens), das Hauptinteresse Preußens, diese Macht zu<br />

erhalten und zu festigen. Aus diesem Interessenkonflikt entwickelte<br />

sich ein siebenjähriges Ringen, in dem bald die eine, bald die andere<br />

Seite die Oberhand gewann, bis endlich die gänzliche Erschöpfung<br />

der Ressourcen der kriegführenden Parteien und ein Frontwechsel<br />

Russlands auf die Seite Preußens zu einem Friedensschluss führten.<br />

Dies gilt für den Schauplatz Europa. Man muss aber hinzunehmen, dass<br />

gleichzeitig England und Frankreich (und zuletzt auch Spanien) einen er-


im siebenjährigen krieg<br />

33<br />

bitterten Krieg um ihre Kolonien in Nordamerika, Indien und Afrika<br />

führten, der ihr Engagement auf dem europäischen Kontinent wesentlich<br />

mitbestimmte. Berücksichtigt man dies, so kann man den Siebenjährigen<br />

Krieg bereits einen ersten Weltkrieg nennen. Nicht nur für Preußen war<br />

er eine Katastrophe. Hier, in <strong>Sachs</strong>en, in Schlesien und anderenorts, wurden<br />

ganze Landstriche verwüstet, selbst die Hauptstadt Berlin wurde vorübergehend<br />

durch russische Truppen erobert. Etwa 180 000 preußische<br />

Soldaten wurden während dieses Krieges getötet oder starben an den<br />

Folgen der erlittenen Verletzungen oder durch Seuchen. Die kriegsbedingten<br />

Verluste der preußischen Zivilbevölkerung durch Hungersnöte<br />

und Seuchen dürften noch höher gewesen sein – und das bei einer Bevölkerung<br />

von damals nur etwa fünf Millionen Menschen. Die Menschenverluste<br />

Preußens während des Siebenjährigen Krieges lagen damit<br />

prozentual höher als die Bevölkerungsverluste Deutschlands im Ersten<br />

oder Zweiten Weltkrieg! Trotzdem konnte Preußen einen Dreifrontenkrieg<br />

gegen drei mächtige Feinde bestehen und das 1740/45 eroberte<br />

Schlesien behalten. Ein Triumph für den preußischen König – Preußen<br />

war zu einer europäischen Großmacht geworden. 45<br />

Nach dem Beginn des Siebenjährigen Krieges (1756) und besonders<br />

nach dem Tod seines beim König wegen militärischer Misserfolge in Ungnade<br />

gefallenen Vaters (1758) begann ein tiefer Einschnitt in Leben des<br />

jungen <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong>: die kriegsbedingte Flucht der Frauen und Kinder<br />

der königlichen Familie mit ihrem Hofstaat aus Berlin in die Festung<br />

Magdeburg, wohin auch der Staatsschatz und das Staatsarchiv gebracht<br />

worden waren. Die erwachsenen männlichen Mitglieder der königlichen<br />

Familie und des Hofes befanden sich im Kriege. Die Nahrungsmittel waren<br />

knapp, die königliche Familie wohnte in vergleichsweise beengten<br />

Verhältnissen in Bürgerhäusern oder Verwaltungsgebäuden (siehe Abb. 13).<br />

<strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> befand sich zwischen seinem neunten und 16. Lebensjahr<br />

vorwiegend in Gesellschaft seiner Mutter und seiner Tanten (der Ehefrauen<br />

des Königs und dessen Brüder <strong>Heinrich</strong> und Ferdinand). Eine von ihnen<br />

scheint dabei nicht nur für <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> im Vordergrund zu stehen:<br />

<strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine, die Ehefrau <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>s des Älteren, bei Hofe<br />

„<strong>Prinz</strong>essin <strong>Heinrich</strong>“ genannt. Am Krieg teilzunehmen, was sich der Vierzehnjährige<br />

im letzten Kriegsjahr (1762) sehnlichst wünscht, wird ihm von<br />

seinem königlichen Onkel nachdrücklich verboten. Zu dieser Zeit erhält<br />

<strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> auch Tanzunterricht in Magdeburg.


34<br />

das leben prinz heinrichs von preussen<br />

1756<br />

23. Oktober 1756 Der <strong>Prinz</strong> beglückwünscht in einem Schreiben von<br />

Berlin aus seinen Onkel zu dessen Sieg bei der „Bataille de Lowositz“<br />

(Lobositz an der Elbe;<br />

Lovosice, Böhmen). 46<br />

Das war die erste<br />

Schlacht im Siebenjährigen<br />

Krieg. Friedrich<br />

hatte diesen<br />

Krieg am 29. August<br />

1756 begonnen mit<br />

einem Einfall (ohne<br />

Kriegserklärung) in<br />

das neutrale <strong>Sachs</strong>en,<br />

hatte die kleine sächsische<br />

Armee, die<br />

kaum Widerstand leistete<br />

und sich in der<br />

Festung Königstein an<br />

der Elbe verschanzte,<br />

eingeschlossen und<br />

Abb. 12: Brief des <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong> an seinen die Grenze zu Böhmen<br />

überschritten,<br />

Onkel nach dessen Sieg bei Lobositz<br />

um ein bei Lobositz versammeltes Armeekorps der Österreicher anzugreifen,<br />

das sich anschickte, die sächsischen Truppen zu entsetzen. Die<br />

Österreicher unterlagen (am 1. Oktober 1756).<br />

30. Dezember 1756 <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine besucht mit ihrer Schwester,<br />

der Erbprinzessin Karoline von Hessen-Darmstadt (verheiratet<br />

mit dem damaligen preußischen General Erbprinz Ludwig zu<br />

Prenzlau), die Kindergeburtstagsfeier „du petit prince Henri“, die seine<br />

Mutter ausgerichtet hat. 47 1757<br />

16. Januar 1757 <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine „soupiert“ bei <strong>Prinz</strong>essin Amalie<br />

(der Schwester des Königs) gemeinsam mit dem <strong>Prinz</strong>en von Preußen<br />

und seinen beiden kleinen Söhnen. 48


im siebenjährigen krieg<br />

35<br />

Anfang Juli 1757 <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> nimmt an der Beisetzung seiner<br />

Großmutter (der „Königin-Mutter“, der Mutter Friedrichs des<br />

Großen) Sophie Dorothea Königin von Preußen im Berliner Dom<br />

teil. Sie war am 28. Juni gestorben.<br />

In seinem Tagebuch notiert Graf Lehndorff am 4. Juli 1757: „Als alles<br />

versammelt ist, tragen vier andere Kammerherren den Sarg bis an den<br />

Leichenwagen, der mit acht mit schwarzem Sammet bekleideten Pferden bespannt<br />

ist. Voraus schreiten die Lakaien, die Läufer, die Kammerdiener, der<br />

Oberhofmeister und der Hofmarschall der verewigten Königin. Hinter dem<br />

Sarg geht voran <strong>Prinz</strong> Friedrich, begleitet vom Marschall Kalckstein, hinter<br />

diesem sein Hofmeister Graf Borck, dann <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>, geführt von<br />

Herrn v. Viereck 49 , der Markgraf von Schwedt und Herr v. Happe 50 , nun<br />

alle Staatsminister, die Hofchargen und die Hofdamen. Der Zug, begleitet<br />

von zweihundert fackeltragenden Pagen, geht ganz langsam durch ein Spalier<br />

von Gardesoldaten bis zum Dom. Hier nehmen wieder die Kammerherren<br />

[darunter Graf Lehndorff] den Sarg und tragen ihn bis zur Tür<br />

[…] und steigen in die Gruft hinab.“ 51<br />

Die Söhne der verstorbenen Königin-Mutter befinden sich zu dieser<br />

Zeit alle im Krieg, deshalb sind die Söhne des Thronfolgers,<br />

<strong>Prinz</strong> Friedrich Wilhelm und sein Bruder <strong>Heinrich</strong>, die ranghöchsten<br />

Mitglieder des Königshauses in Magdeburg; die „regierende<br />

Königin“, die Ehefrau Friedrichs II., wird hier nicht erwähnt.<br />

19. Juli 1757 Zwischen dem König und dem Thronfolger, seinem<br />

Bruder August Wilhelm, kommt es zu einem schweren Zerwürfnis,<br />

nachdem dieser – aus der Sicht des Königs – als Heerführer versagt<br />

hatte. Beim Rückzug der Armee nach der verlorenen Schlacht bei<br />

Kolin (Mittelböhmen, am 18. Juni 1757) aus Böhmen hatte das von<br />

August Wilhelm geführte Armeekorps schwere Verluste erlitten, für<br />

die der König seinen Bruder verantwortlich macht. In einem Brief<br />

aus Leitmeritz schreibt er ihm:<br />

„Du weißt nicht, was Du willst, noch was Du tust. […] Du wirst immer<br />

ein kläglicher Heerführer sein. Kommandiere doch einen Harem von Hoffräuleins,<br />

wohlan; aber solange ich lebe, vertraue ich Dir keine 10 Mann<br />

mehr an. Wenn ich tot bin, mache soviel Dummheiten, wie Du willst; sie<br />

kommen dann auf Dein Konto; aber solange ich lebe, sollst Du keine mehr<br />

machen, die den Staat schädigen. Das ist alles, was ich Dir zu sagen habe.<br />

Mögen Deine Offiziere jetzt die Schweinerei, die Du angerichtet hast, wieder<br />

gutmachen. Prüfe Dich selbst, was Du leisten kannst, ehe Du um ein<br />

Kommando bittest. Was ich Dir sage, ist hart, aber wahr; Du zwingst mich


36<br />

dazu, indem Du es dahin bringst, daß die Armee und ich ihren Ruf einbüßen<br />

und der Staat zugrunde geht.“ 52 – Der Thronfolger, tief verletzt,<br />

gibt sein Kommando ab, scheidet aus der Armee aus und zieht sich<br />

in sein Schloss Oranienburg zurück, wo er ein Jahr später stirbt –<br />

an gebrochenem Herzen, wie man damals sagte. 53<br />

16.–18. Oktober 1757 Auf Befehl des Königs flieht der Hof unter<br />

deprimierenden Umständen vorübergehend mit den beiden <strong>Prinz</strong>en<br />

aus Berlin in das Gefängnis zu Spandau. Der Kriegsschaupletz<br />

hatte sich nach <strong>Sachs</strong>en und Thüringen verlagert, einem österreichischen<br />

Stoßtrupp der Kavallerie war es sogar gelungen, bis<br />

nach Berlin vorzudringen, er zog sich aber alsbald wieder zurück.<br />

Lehndorff bezeichnet den 16. Oktober 1757 als „den traurigsten Tag<br />

meines Lebens“. „Vier Verbrecher, Eisen an den Füßen und eine kleine<br />

Lampe in der Hand, führen Ihre Majestät und die <strong>Prinz</strong>essin in die Wohnung,<br />

die aus fünf Räumen besteht, in denen die Fenster zerbrochen sind,<br />

keine Tür schließt, kein Stuhl zu erblicken ist […]. Ich muß noch bemerken,<br />

daß sich unter diesen Gemächern das Pulvermagazin befindet und daß<br />

man alle Augenblicke die Warnung erhält, man dürfe nicht zu stark heizen,<br />

wolle man nicht ein furchtbares Unglück anrichten. Man muß also zwischen<br />

Erfrieren und Indieluftfliegen wählen […]“ 54<br />

23. Oktober 1757 Angesichts der Gefährdung der Hauptstadt verlässt<br />

der Hof mit hundertzwanzig Kutschen und Wagen Berlin und<br />

flieht über Potsdam, Brandenburg, Ziesar und Möckern nach<br />

Madgdeburg, die stärkste preußische Festung. Hier erkrankt <strong>Prinz</strong><br />

<strong>Heinrich</strong> und wird von Frau von Borcke gepflegt. <strong>55</strong><br />

Der Hof richtet sich in den Palaisgebäuden am „Neuen Markt“ (am<br />

heutigen „Domplatz“) ein: die Königin im Haus des Gouverneurs<br />

(ehem. Gouverneursstraße/Ecke Fürstenwallstraße), die Ehefrau<br />

des Thronfolgers <strong>Prinz</strong>essin Amalie mit ihren drei Kindern im Königlichen<br />

Palais (Domplatz 2–3 mit einem Garten, in dem die kleine<br />

Wilhelmine Bohnen anpflanzt [siehe unten S. 61]), die Ehefrau<br />

des <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong>, <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine („<strong>Prinz</strong>essin <strong>Heinrich</strong>“),<br />

in der Domprobstei (ehem. Domplatz 10), die unverheiratete<br />

Schwester des Königs <strong>Prinz</strong>essin Amalie in der Domdechanei (Domplatz<br />

5). – Der erste Magdeburger Aufenthalt der königlichen Familie<br />

während des Siebenjährigen Krieges dauert bis Januar 1758. 56<br />

27. November 1757 <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine und <strong>Prinz</strong>essin Luise halten<br />

sich mit den beiden kleinen <strong>Prinz</strong>en bei der Königin und der<br />

<strong>Prinz</strong>essin Amalie von Preußen auf, als die Nachricht von der verdas<br />

leben prinz heinrichs von preussen


im siebenjährigen krieg<br />

37<br />

Abb. 13: Der Marktplatz der preußischen Festung Magdeburg<br />

um 1770. Kolorierter Kupferstich.<br />

lorenen Schlacht bei Breslau (22.–25. November 1757) eintrifft.<br />

Über eine Stunde herrscht entsetztes Schweigen im Saal („Personne<br />

de nous ne dit un mot. Après un long silence …“). 57 Während der König<br />

bei Roßbach (westlich von Leipzig) am 5. November einen glänzenden<br />

Sieg über die Franzosen und die Reichsarmee errungen<br />

hatte, hatte sich die Lage in Schlesien zugespitzt: Die Österreicher<br />

hatten die wichtige Festung Schweidnitz erobert und die Preußen<br />

bei Breslau vernichtend geschlagen.<br />

18. Dezember 1757 <strong>Prinz</strong>essin (Amalie) von Preußen „soupiert“ mit<br />

ihren jungen <strong>Prinz</strong>en bei <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine („<strong>Prinz</strong>essin <strong>Heinrich</strong>“).<br />

58 1758<br />

27. Januar 1758 <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine besucht den erkrankten jungen<br />

<strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong>, den sie „sehr schwach, aber ohne Fieber“ antrifft.<br />

Auch dessen älterer Bruder <strong>Prinz</strong> Friedrich Wilhelm war erkrankt,<br />

konnte aber seine Tante Wilhelmine schon wieder besuchen.<br />

Zwei Tage später erkrankt <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine selbst an<br />

Fieber. 59


38<br />

das leben prinz heinrichs von preussen<br />

Mitte Februar 1758 Die beiden <strong>Prinz</strong>en kehren von Magdeburg<br />

nach Berlin zurück. „Sie sind von allen, die sich im Oktober dorthin geflüchtet<br />

hatten, am längsten dort geblieben“ (Lehndorff) 60 , vermutlich<br />

weil sie erkrankt waren. – <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine war bereits am 30.<br />

Januar über Wustermark nach Berlin zurückgekehrt. 61<br />

23. Februar 1758 Geburtstagsfeier der <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine, zu der<br />

auch <strong>Prinz</strong> August Wilhelm von Preußen, seine Ehefrau und ihre<br />

beiden Söhne erscheinen. 62<br />

12. Juni 1758 <strong>Prinz</strong> August Wilhelm von Preußen stirbt im Schloss zu<br />

Oranienburg. Friedrich der Große gibt den behandelnden Ärzten<br />

(den „Äskulapischen Henkern“) die Schuld am Tod seines „geliebten<br />

Bruders“ (den er noch ein Jahr zuvor nach dem Rückzug der<br />

preußischen Truppen aus Böhmen auf ehrverletzendste Weise abgekanzelt<br />

hatte). Er hält einen „coup des sang“ (Blutsturz, Schlaganfall)<br />

für die Todesursache, denn der Kronprinz hatte kurz vor seinem<br />

Tod Nasenbluten. Wundarzt August Wilhelms war der „chirurgien<br />

Puchtert“; er soll „aus eigenem Antriebe“ Aderlässe beim <strong>Prinz</strong>en<br />

durchgeführt haben. 63 Dabei dürfte es sich um denselben Regimentsfeldscher<br />

Johann Friedrich Puchtert im Kürassieregiment zu<br />

Kyritz gehandelt haben, der 1767 <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> behandeln wird<br />

(siehe unten S. 81).<br />

Graf Lehndorff geht in seinen Tagebüchern ausführlich auf den<br />

Tod des von ihm geliebten „anbetungswürdigen <strong>Prinz</strong>en“ ein: „Zu seinem<br />

Stabsarzt Pichler von seinem Kavallerieregiment [Kürassier-Regiment<br />

2 (zu Pferde), dessen Chef der Thronfolger war], den er sehr gerne<br />

hatte, äußerte er: ‚Wenn ich sterbe, so wünsche ich, daß man mich öffne, damit<br />

man sieht, daß du mich nicht vernachlässigt hast.‘ Der <strong>Prinz</strong> schien<br />

über die Ankunft seiner Schwester [Amalie] nicht sehr erfreut zu sein, war<br />

aber erzürnt über das Eintreffen des Arztes Meckel, weil er diesen nicht leiden<br />

konnte und Muzelius gewünscht hatte.“ Nach dem Blutsturz des<br />

Thronfolgers kam es später zu einem offenen Streit zwischen Meckel<br />

und Muzelius über die Notwendigkeit eines Aderlasses (ausgerechnet<br />

bei einem „Blutsturz“!), wobei Mutzel (Muzelius) erneute<br />

Aderlässe dringend empfahl. Der Thronfolger wurde in Oranienburg<br />

seziert, seine Eingeweide wurden in einem speziellen<br />

„Gefäß“ getrennt von der sterblichen Hülle (in einem Eichensarg)<br />

beigesetzt. 64<br />

Der König äußerte später über den Tod seines Bruders zu seinem<br />

Vorleser de Catt: „Man hat ihn wahrhaftig getötet, weil man der Ansicht


im siebenjährigen krieg<br />

39<br />

Mutzels nicht folgen wollte, der für wiederholte Aderlässe gestimmt hatte.“ 65<br />

Über das Ende des Thronfolgers berichtet auch Frau von Kleist<br />

der Gräfin Voss: „Der <strong>Prinz</strong> hat sehr wohl gewußt, daß er dem Tode entgegen<br />

ging, […]. Bereits vier Wochen vor seinem Ende bereitete er seinen alten<br />

Regiments-Chirurgus, den er immer bei sich hatte, darauf vor und sagte<br />

ihm: daß er deshalb Berlin verlasse, um in Oranienburg ruhig sterben zu<br />

können.“ Er sei entschlossen, „weder einen Arzt vorzulassen, noch Heilmittel<br />

zu nehmen; denn eine feste und gewisse Hoffnung sage ihm, daß es<br />

bald mit ihm aus sein werde“. Seine letzten Worte seien gewesen: „Jesus,<br />

erbarme dich meiner.“ 66<br />

Juni 1758 Im Testament des <strong>Prinz</strong>en August Wilhelm geht seine Ehefrau<br />

fast leer aus; die ihr geltenden Bestimmungen sind beleidigend.<br />

Er bittet sogar seine vertraute Schwägerin („<strong>Prinz</strong>essin <strong>Heinrich</strong>“),<br />

die Erziehung seiner Tochter Wilhelmine zu übernehmen.<br />

Seine drei Kinder sollen ausdrücklich nicht bei ihrer Mutter wohnen.<br />

Seinen gesamten Besitz vermacht er seinen Kindern. Sein<br />

handschriftlicher Nachlass wird seinem ältesten Sohn Friedrich<br />

Wilhelm zugesprochen, seine Bücher erhält sein Sohn <strong>Heinrich</strong>.<br />

Der <strong>Prinz</strong> hinterlässt aber vor allem Schulden (insgesamt über<br />

170 000 Taler), außerdem hatte er die Möbel des ihm vom König<br />

auf Lebenszeit überlassenen Schlosses Oranienburg und den ihm<br />

von seiner Frau geschenkten Schmuck verkauft! Ferner bittet er<br />

den König, seinen Söhnen die Führung über seine beiden Regimenter<br />

zu geben mit den Worten: „Das würde mich freuen, aber ich<br />

kann es nicht hoffen.“ 67<br />

18. Juni 1758 <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine („<strong>Prinz</strong>essin <strong>Heinrich</strong>“) sieht zum<br />

ersten Mal nach dem Tode des Thronfolgers dessen Ehefrau und<br />

die beiden jungen <strong>Prinz</strong>en, was ihr einen „fürchterlichen<br />

Schmerz“ bereitet. 68<br />

21. Juni 1758 Friedrich II. dankt in einem Schreiben (in deutscher<br />

Sprache) seinem im Ruhestand befindlichen Generalfeldmarschall<br />

Christoph Wilhelm von Kalckstein für dessen Sorge für die hinterbliebenen<br />

Söhne des verstorbenen Thronfolgers: „[…] so könnet Ihr<br />

versichert sein, dass Ich von solchem sensiblement gerühret worden bin und<br />

es auf das dankbarste erkenne, wenn Ihr Euch Meinem Verlangen confirmiren<br />

und für das Wohlsein und gute Erziehung der von Meines verstorbenen<br />

Bruders, des <strong>Prinz</strong>en von Preußen hinterlassenen Söhne, besonders des ältesten,<br />

mit Sorge tragen wollet. […] Friderich.“ 69<br />

Kalckstein war als Oberst Hofmeister des damaligen Kronprinzen


40<br />

das leben prinz heinrichs von preussen<br />

Friedrich von 1718 bis zu dessen Konfirmation (1729). Somit war<br />

Kalckstein ein enger Vertrauter des Königs während dessen<br />

schwierigster Jugendjahre gewesen, die ein Jahr später in einer Katastrophe<br />

enden sollten: der Inhaftierung Friedrichs in der Festung<br />

Küstrin wegen versuchter Fahnenflucht und der Hinrichtung seines<br />

Freundes Leutnant Hans Hermann von Katte (1704–1730) wegen<br />

Komplizenschaft und Fluchthilfe. 70<br />

28. Juni 1758 Jean-Henri d’Andrié auf Schloss Gorgier im damals<br />

preußischen (heute schweizerischen) Neuchâtel („Johann <strong>Heinrich</strong><br />

Baron von Andrié“) wird als<br />

„assistent tutor“ des jungen<br />

<strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong> von Preußen<br />

erwähnt. 71<br />

Abb. 14: Der Sarg des <strong>Prinz</strong>en<br />

August Wilhelm<br />

6. Juli 1758 <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine<br />

diniert mit den drei<br />

Kindern des verstorbenen<br />

Thronfolgers in Schönhausen,<br />

wo sie den Leichenzug<br />

mit dem Sarg des Verstorbenen<br />

auf dem Wege von Oranienburg<br />

nach Berlin sieht,<br />

was sie „extrêmement touchée“.<br />

72<br />

11. Juli 1758 Beide jungen<br />

<strong>Prinz</strong>en nehmen abends gegen<br />

11 Uhr an der Beisetzung<br />

ihres Vaters in der<br />

Gruft des Berliner Doms teil: „Obersten tragen den Sarg, hinter dem die<br />

beiden jungen <strong>Prinz</strong>en, von denen der ältere heftig weint, mit den Staatsministern<br />

und Generalen folgen. Die ganze Feierlichkeit ist in einer halben<br />

Stunde beendigt.“ Der König ist zu dieser Zeit im Felde bei der Belagerung<br />

von Olmütz in Mähren. 73<br />

13. Juli 1758 Die drei Kinder des verstorbenen Thronfolgers essen gemeinsam<br />

mit der <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine und dem Grafen Friedrich<br />

Paul und der Gräfin Marie Kameke in Charlottenburg. 74<br />

20. August 1758 Die <strong>Prinz</strong>essin von Preußen verlässt mit ihren<br />

drei Kindern und ihrem Hofstaat Berlin und geht nach Potsdam 75 ,<br />

wahrscheinlich aufgrund der unsicheren militärischen Lage<br />

(die russische Hauptarmee war inzwischen bis zur Oder vorge-


im siebenjährigen krieg<br />

41<br />

rückt; Friedrich zwingt sie nach der auf beiden Seiten äußerst<br />

verlustreichen Schlacht bei Zorndorf am 25. August 1758 zum<br />

Rückzug).<br />

27. August 1758 <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> schreibt seinem Bruder, dass er den<br />

König um das „Portepee“, das heißt um die Ernennung zum Offizier,<br />

gebeten habe. 76<br />

4. September 1758 Der König wirft Oberst Graf Borcke vor, sich<br />

mit den beiden <strong>Prinz</strong>en zu voreilig vor dem anrückenden Feind<br />

nach Rathenow zurückgezogen zu haben. 77<br />

<strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine (die Schwester der <strong>Prinz</strong>en) schreibt später<br />

über diese Zeit: „Meine Brüder gehen von Potsdam nach Rathenow; es ist<br />

das erste Mal, dass ich mich von meinen Brüdern trennte; es war eine äußerst<br />

ergreifende Szene, die meine Gouvernante zu Tränen rührte. Ich liebe<br />

meine Brüder sehr, mache jedoch einen großen Unterschied zwischen ihnen,<br />

indem ich eine entschiedene Vorliebe für meinen Bruder <strong>Heinrich</strong> hege, dessen<br />

Alter wie auch sein Charakter mir näher sind; wir waren ein Herz und eine<br />

Seele.“ 78<br />

26. September 1758 Die Königin Elisabeth Christine von Preußen<br />

erwähnt in einem Brief an ihren Bruder, den preußischen Generalleutnant<br />

<strong>Prinz</strong> Ferdinand von Braunschweig, dass die <strong>Prinz</strong>essin<br />

von Preußen [August Wilhelmes Witwe Luise Amalie] nach Magdeburg<br />

gehe, um dort „Wochen zu halten“. 79<br />

12. Oktober 1758 Die beiden <strong>Prinz</strong>en befinden sich in Potsdam, weil<br />

Berlin militärisch zu unsicher erscheint. So notiert Graf Lehndorff<br />

in seinem Tagebuch unter dem 12. Oktober: „Als ich auf meiner<br />

Rückreise durch Potsdam kam, fand ich dort unsere jungen <strong>Prinz</strong>en, die<br />

man noch dort ließ, weil man befürchtete, es könnte irgendein feindliches<br />

Streifkorps nach Berlin kommen.“ 80<br />

30. Oktober 1758 <strong>Prinz</strong> Georg Carl Emil, Sohn des <strong>Prinz</strong>en von Preußen,<br />

wird wenige Monate nach dem Tod seines Vaters in Magdeburg<br />

geboren. Er stirbt bereits fünfzehn Wochen später, am 15. Februar<br />

1759. 81<br />

Dezember 1758 Der König trifft die beiden <strong>Prinz</strong>en mit ihrem Gouverneur<br />

Borcke in seinem Winterquartier in Torgau und ernennt<br />

<strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> <strong>for</strong>mal zum Chef des Kürassierregiments (Regiment<br />

zu Pferde) 2, das in Friedenszeiten in der Umgebung von<br />

Kyritz stationiert ist. <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> erhält das im August erbetene<br />

„Portepee“ aus den Händen seines Onkels. 82 Dieser schreibt an<br />

seinen Bruder <strong>Heinrich</strong> am 12. Dezember 1758 aus dem Feldlager


42<br />

5. Januar 1759 Die verwitwete <strong>Prinz</strong>essin von Preußen kommt mit<br />

ihrem neugeborenen Sohn von Magdeburg, wo sie entbunden hat,<br />

nach Berlin. 86<br />

15. Februar 1759 <strong>Prinz</strong> Georg Carl Emil stirbt und wird später im<br />

Berliner Dom beigesetzt. 87 Bereits am 7. Februar erwähnt <strong>Prinz</strong>essin<br />

Wilhelmine in ihrem Kriegstagebuch, dass der kleine <strong>Prinz</strong><br />

Charles Émile krank sei und seit ein paar Tagen öfter an Krämpfen<br />

(„souvent les convulsions“) leide. „Nachdem man ihn geöffnet hatte, fand<br />

man eine beachtliche Ablagerung im Kopf.“ 88 Vielleicht fand man ein<br />

Haematom im Gehirn nach einem Sturz, was die Krämpfe des<br />

Kindes erklären würde.<br />

21. Februar 1759 <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine und ihre Schwägerin <strong>Prinz</strong>essin<br />

Amalie nehmen in Berlin an einer Gehirnsektion („dissection de<br />

la cervelle d’un homme“) unter Leitung des Anatomen und Geburtshelfers<br />

Prof. Dr. med. Johann Friedrich Meckel d. Ä. (1724–1774)<br />

teil. 89 Vielleicht war der unklare Befund im Hirn des gerade verstorbenen<br />

kleinen <strong>Prinz</strong>en Carl Emil die Ursache für das Interesse der<br />

beiden preußischen <strong>Prinz</strong>essinen an der Anatomie des Gehirnes.<br />

23. Februar 1759 Geburtstagsfeier der <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine, zu der<br />

auch die <strong>Prinz</strong>essin Amalie und die beiden kleinen <strong>Prinz</strong>en Friedrich<br />

(Wilhelm) und <strong>Heinrich</strong> erscheinen. 90<br />

10. August 1759 Die beiden jungen <strong>Prinz</strong>en verlassen Berlin in Richtung<br />

Magdeburg, nachdem das Gerücht („on dit“) in Berlin aufgedas<br />

leben prinz heinrichs von preussen<br />

Kottbus nach Dresden, dass er seine beiden Neffen in Torgau am<br />

10. Dezember gesehen habe: „Ich habe den älteren zu seinem Vorteil<br />

verändert gefunden und den jüngeren reizend.“ 83<br />

Der König verleiht <strong>Prinz</strong> Friedrich Wilhelm den Titel „<strong>Prinz</strong> von<br />

Preußen“, den offiziellen Titel des Thronfolgers. Am 11. Dezember<br />

1758 notiert dies <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine in ihrem Kriegstagebuch. 84<br />

21. Dezember 1758 Die Königin erwähnt in einem Brief aus Berlin<br />

an ihren Bruder <strong>Prinz</strong> Ferdinand von Braunschweig, dass der König<br />

mit seinen beiden Neffen (in Torgau) sehr zufrieden gewesen sei.<br />

Er betrachte seine beiden Neffen als seine Kinder und sie sollen<br />

ihn als ihren Vater ansehen: „Aimez-moi, mes chers enfants, répondez à<br />

l’amitié que j’ai pour vous.“ 85 1759


im siebenjährigen krieg<br />

43<br />

kommen war, dass die Österreicher nur drei Stunden von Berlin<br />

entfernt seien. 91 Demnach werden der Thronfolger und dessen<br />

jüngerer Bruder schon vor der Schlacht bei Kunersdorf in Sicherheit<br />

gebracht.<br />

Mitte August 1759 Nach der Schlacht bei Kunersdorf östlich von<br />

Frankfurt/Oder am 12./13. August 1759 befiehlt der König, seine<br />

Familie müsse Berlin verlassen und sich wieder nach Magdeburg<br />

begeben. Russische und österreichische Truppen drohen auf Berlin<br />

zu marschieren. Nach der verheerenden Niederlage schreibt der<br />

König am 12. August 1759 völlig verzweifelt an seinen vertrauten<br />

Minister Graf Finckenstein: „Ich habe keine Reserven mehr und um<br />

nicht zu lügen, halte ich alles für verloren. Ich werde den Untergang meines<br />

Vaterlandes nicht überleben. Für immer adieu.“ 92 Am 13. August <strong>for</strong>dert<br />

der König Graf Finckenstein auf, Berlin zu verlassen und nach<br />

Magdeburg zu gehen; dorthin sind auch die Briefe an den Minister<br />

seit dem 16. August und in den nächsten Monaten adressiert.<br />

Oktober 1759 Die Königin, die <strong>Prinz</strong>essin-Witwe von Preußen und<br />

ihre drei Kinder sind in Magdeburg und speisen mehrfach bei der<br />

<strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine. Ende Oktober üben die <strong>Prinz</strong>en Friedrich<br />

Wilhelm und <strong>Heinrich</strong> auf einer Reitbahn („manège“). 93<br />

20. November 1759 Die beiden jungen <strong>Prinz</strong>en verlassen Magdeburg<br />

und gehen zurück nach Berlin, der übrige Hof folgt einige Tage<br />

später. 94 1760<br />

Januar 1760 Die beiden jungen <strong>Prinz</strong>en speisen mehrfach bei <strong>Prinz</strong>essin<br />

Wilhelmine. 95 An den Essen nehmen gelegentlich auch gefangene<br />

feindliche Offiziere aus dem Hochadel teil, die sich in Magdeburg<br />

– auf ihr Ehrenwort als Offiziere – frei bewegen können.<br />

4. März 1760 Erlass des Königs aus Freiberg an Graf Finckenstein in<br />

Berlin, die königliche Familie, die inzwischen wieder in Berlin ist,<br />

solle sich erneut (also zum dritten Male während des Krieges)<br />

nach Magdeburg begeben. Am 19. März trifft die Familie in Magdeburg<br />

ein und bleibt dort drei Jahre bis zum Ende des Krieges. 96<br />

30. Juni 1760 Die beiden jungen <strong>Prinz</strong>en speisen in Magdeburg bei<br />

der <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine. 97<br />

1. September 1760 Gräfin Voss notiert in Magdeburg in ihrem Tage-


44<br />

das leben prinz heinrichs von preussen<br />

buch, Graf Borcke spiele bei der <strong>Prinz</strong>essin von Preußen Karten<br />

mit ihr und ihrem Mann. – Am 11. September spielt die Gräfin<br />

Voss „Komet“ mit dem jungen <strong>Prinz</strong>en von Preußen; „beim Souper<br />

saß ich zwischen der Henckel und dem <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong>“. – Außerdem<br />

spielt man Tarok, Pharao, Blinde Kuh und führt Theaterstücke auf.<br />

– Am 16. September 1760 notiert sie: „Abends waren wir bei der <strong>Prinz</strong>essin<br />

von Preußen, wo auch die jungen <strong>Prinz</strong>en mit ihren Gouverneuren<br />

waren […] Ich spielte Komet mit dem <strong>Prinz</strong>en von Preußen, dann wurde<br />

Commers gespielt […] Der Herzog von Württemberg führt in Halle Krieg<br />

wie ein Straßenräuber.“ 98<br />

6. November 1760 Der junge <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> beglückwünscht in einem<br />

Schreiben seinen Onkel von Magdeburg aus zu „dem Erfolg<br />

seiner Truppen in Torgau“. 99 Dort, an der Elbe, in <strong>Sachs</strong>en, hatte<br />

Friedrich einmal mehr die Österreicher unter ihrem Oberbefehlshaber<br />

Daun attackiert und die Schlacht (am 3. November 1760),<br />

wenn auch knapp, gewonnen. Die Österreicher wie geplant ganz<br />

aus <strong>Sachs</strong>en zu vertreiben gelang nicht, Daun behauptete sich in<br />

Dresden.<br />

26. November 1760 Der König <strong>for</strong>dert Graf Borcke in einem Handschreiben<br />

(„so die Ueberkunft der beiden <strong>Prinz</strong>en königlichen Neveux<br />

nach Leipzig au préalable anbetrifft“) auf, seine beiden Neffen zu ihm<br />

nach Leipzig ins Winterquartier zu bringen. Auch er selbst plane, in<br />

ca. sechs bis acht Tagen nach Leipzig zu kommen. 100<br />

Dezember 1760 Laut Carlyle befindet sich der König vom 8. Dezember<br />

1760 bis 17. März 1761 im Apelschen Hause in Leipzig. Bis<br />

Mitte Januar hatte er auch seine beiden Neffen Friedrich Wilhelm<br />

und <strong>Heinrich</strong> bei sich. 101<br />

In diesem Zusammenhang notiert Graf Lehndorff am 20. Dezember<br />

1760 in sein Tagebuch:<br />

„Die jungen <strong>Prinz</strong>en von Preußen erhalten vom König den Befehl, nach<br />

Leipzig zu kommen. Sie sind darüber voller Freude, besonders da sie über<br />

Dessau reisen, wo sie den dortigen Hof besuchen und eine Nacht zubringen<br />

werden. Von dem älteren <strong>Prinz</strong>en muß ich sagen, daß er sich sehr zu seinem<br />

Vorteil verändert; er scheint ein gutes Herz zu haben, was bei einem <strong>Prinz</strong>en<br />

eine Hauptsache ist.“<br />

Am 21. Dezember 1760 schreibt er:<br />

„Graf Borck hat seine Frau nach Leipzig nachkommen lassen. Man schließt<br />

daraus, daß die <strong>Prinz</strong>en den ganzen Winter in Leipzig zubringen werden.<br />

Der König, der im allgmeinen in sehr guter Stimmung sein soll, hat zu


im siebenjährigen krieg<br />

45<br />

mehreren Heiraten seine Einwilligung gegeben. Unter anderem hat der zweite<br />

Hofmeister des <strong>Prinz</strong>en von Preußen namens Beguelin, ein Philosoph und<br />

richtiger Stoiker, der an kein Weib zu denken schien, um die Erlaubnis<br />

nachgesucht, Fräulein Peloutier, die Tochter der Frau Kuhn, zu heiraten,<br />

eine heimliche Liebe, die er schon 10 Jahre lang im Herzen hegte und die<br />

nun endlich an den Tag kommt.“ 102<br />

23. Dezember 1760 Die beiden <strong>Prinz</strong>en reisen mit Graf Borcke nach<br />

Leipzig in das Winterquartier des Königs ab. Gräfin Voss berichtet<br />

darüber am 24. Dezember 1760 in ihrem Tagebuch: „Alle <strong>Prinz</strong>en<br />

sind gestern nach Leipzig zum König abgereist“, und am 12. Januar<br />

1761: „Die <strong>Prinz</strong>en waren wieder da und Alle sehr zufrieden und entzückt<br />

von ihrem Besuch beim König.“ 103 – Die Königin berichtet bereits am<br />

17. Dezember 1760 ihrem Bruder <strong>Prinz</strong> Ferdinand von Braunschweig<br />

über die bevorstehende Abreise der jungen <strong>Prinz</strong>en zum<br />

König. 104 1761<br />

12./13. Januar 1761 Rückkehr der <strong>Prinz</strong>en nach Magdeburg. In seinem<br />

Tagebuch notiert Graf Lehndorff am 13. Januar 1761: „Unsere<br />

<strong>Prinz</strong>en kommen von Leipzig zurück. Der König hat sie mit Auszeichnungen<br />

überhäuft. Den älteren behandelt er als einen großen Jungen und den<br />

jüngeren hätschelt er wie ein Kind. Dem Grafen Borck hat Seine Majestät<br />

wegen der guten Erziehung Komplimente gemacht. Die <strong>Prinz</strong>en hatten die<br />

Ehre, alle Tage mit dem König zu dinieren, während sie abends auf ihren<br />

Zimmern soupierten, wozu sie eine Menge Gäste einluden. Der König hat<br />

dem älteren einen Brilliantring und 80 Taler und dem jüngeren eine goldene<br />

Uhr und 50 Taler geschenkt. Das ist wohl sonst nicht vorgekommen, daß<br />

man dem Erben einer Krone 80 Taler zum Geschenk macht; aber bei uns<br />

ist es im Königshause seit drei Generationen so der Brauch.“ 105<br />

7. Februar 1761 <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> und seine Schwester Wilhelmine erhalten<br />

Unterricht bei einem „maître à danser“ (Tanzlehrer) in<br />

Magdeburg. 106<br />

5. März 1761 <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine organisiert in Magdeburg einen<br />

kleinen Maskenball für die drei Kinder des verstorbenen <strong>Prinz</strong>en<br />

von Preußen. 107<br />

30. Juli 1761 Die drei Geschwister tanzen bei der <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine<br />

in Magdeburg „jusqu’à 3 heures après minuit“. 108


46<br />

das leben prinz heinrichs von preussen<br />

3. September 1761 <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> ist einer der Mitspieler bei einer<br />

Aufführung von „Le philosophe marié“, einer Komödie von Philippe<br />

Néricault Destouches. Ferner sind verschiedene Hofdamen und<br />

alle Gesandten („tous conseillers d’ambassade“) an der Aufführung<br />

beteiligt. 109<br />

9. November 1761 <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> wird anläßlich der Taufe einer<br />

Cousine (Tochter des <strong>Prinz</strong>en Ferdinand von Preußen) in Mageburg<br />

erwähnt:<br />

„Frau <strong>Prinz</strong>essin Ferdinand hat eben ihre kleine <strong>Prinz</strong>essin taufen lassen.<br />

Um 4 Uhr versammelten sich alle Herren und Damen in ihrem Vorzimmer.<br />

Sie hatten die Ehre, der Frau <strong>Prinz</strong>essin ihre Glückwünsche darzubringen.<br />

Diese lag schön wie ein Engel in einem Bett von grünem Damast mit Goldlitzen.<br />

[…] Um 5 Uhr kamen die Königin und der ganze Hof an. Herr<br />

Sack nahm die Taufhandlung vor. <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine hielt die junge<br />

<strong>Prinz</strong>essin über die Taufe, geführt von ihrem Bruder, dem <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong>.<br />

Das Kind war sehr hübsch angezogen. […] Es waren über 150 Personen<br />

anwesend. Als alles zu Ende war, wurde ein sehr reichlicher Imbiß gereicht,<br />

und ich hatte mein Vergnügen an den erstaunten Gesichtern dieser Provinzdamen<br />

[in Magdeburg], die noch nie eine derartige Festlichkeit mitgemacht<br />

hatten.“ 110<br />

30. Dezember 1761 <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine erwähnt in ihrem Tagebuch<br />

eine Geburtstagsfeier zu Ehren des jungen <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong><br />

bei der Königin von Preußen. 111 Bei diesem Anlass trägt die bei<br />

den Damen des Hofes wohlgelittene preußische Dichterin Anna<br />

Louisa Karsch[in] 112 ein Gelegenheitsgedicht vor: Ein persischer<br />

<strong>Prinz</strong> („Ben-Ha-Alim“), Neffe des „Schachs“, geht mit dem Großvezier<br />

spazieren, sieht einen armen verkrüppelten Kriegsveteranen<br />

und gibt ihm großzügig aus „frommer Menschlichkeit“ die Hälfte seines<br />

Taschengeldes. Später wird Friedrich der Große in seiner „Éloge“<br />

ebenfalls des <strong>Prinz</strong>en „Freigiebigkeit an den Bedürftigen […], die in<br />

Not waren“ rühmen.<br />

Der Persische <strong>Prinz</strong>,<br />

eine Erzählung, an Ihro Königliche Hoheit den<br />

<strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong> von Preussen.<br />

Ben=Ha=Alim, ein <strong>Prinz</strong> erzogen an dem Thron,<br />

Des grossen Persers Schachs, war seines Bruders Sohn,<br />

Jung, lieblich, angenehm, und in dem ganzen Lande<br />

Ein kleines Wunderwerk von keimendem Verstande.


im siebenjährigen krieg<br />

47<br />

Ben=Ha=Alim gieng einst mit seinem Großvezier<br />

Lustwandeln in breitschattigen Alleen.<br />

Ein armer alter Mann blieb in der Ferne stehen;<br />

Wie ich im schlechten Rock einst an der Kirchenthür<br />

Versteckt, anbethen stand, und schüchtern neben mir<br />

Vorbey sah reiche Leute gehen:<br />

So niederblickend blieb der arme Perser stehen.<br />

„Gegrüsset seyst du mir, o Greiß!<br />

„Dich seegne der Prophet, und Gott, der ihn gesendet!<br />

So spricht Ben=Ha=Alim zum alten Mann gewendet,<br />

Der ihn mit nichts zu danken weiß,<br />

Als nur mit einer stillen Zähre,<br />

Die von der Wang herunter fließt.<br />

Schon froh, daß ihn der <strong>Prinz</strong> gegrüßt,<br />

Vergaß er, daß er nackt und daß er hungrig wäre;<br />

Die Hände faltet er auf seinem Stab, und hebt<br />

Das Auge zu dem Gott, der allem, was da lebt<br />

Auf Erden, Speise giebt. Ach spricht Ben=Ha=Alim,<br />

Der arme Mann! er betet für mein Leben!<br />

Ich wolt ihm ohne dies schon geben.<br />

Mein lieber Großvezier! vernimm,<br />

Du gabst mir heute Zechinen!<br />

Sie sollten auf den Monath mir,<br />

Zu meinen kleinen Kosten dienen;<br />

Der alt gewordne Perser hier<br />

Braucht Geld zu Rock und Brodt, er soll die Hälfte haben.<br />

Der junge <strong>Prinz</strong> sprach so, und seine Finger gaben<br />

Den halben Reichthum in die Hand<br />

Des Mannes, der vor ihm als wie versteinert, stand!<br />

Zu angenehm erschrack er vor so vielem Gelde.<br />

<strong>Prinz</strong>! sprach der Großvezier, dich lohn der Prophet,<br />

Dann dieser Greiß that jung auch tapfer in dem Felde;<br />

Siehst du nicht, wie er hinken geht?<br />

Und welche Narben auf den Wangen<br />

Er von den Wunden hat, die ihm der Feind gemacht?<br />

Sein Leben war ihm feil in mehr als einer Schlacht.<br />

Die Hälfte gabst du ihm, doch hast du nicht bedacht<br />

Wenn nun bald noch ein Armer käme?<br />

O! sprach der allerliebste Sohn


48<br />

14. März 1762 Der Kronprinz reist auf Befehl des Königs zusammen<br />

mit seinem Gouverneur von Magdeburg nach Breslau, um am<br />

Feldzug in Schlesien teilzunehmen. <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> bleibt aber am<br />

Hof in Magdeburg zurück, „da seine Jugend den Strapazen des Krieges<br />

noch nicht gewachsen war und der König nicht leichtfertig alle Hoffnungen<br />

des Staates auf einmal der Gefahr aussetzen wollte“ [„Éloge“; siehe oben<br />

S. 16] und erhält, da Graf Borcke den älteren Bruder begleitet, einen<br />

neuen Gouverneur. 114<br />

Bereits im Januar hatte Graf Lehndorff über den bevorstehenden<br />

Kriegseinsatz des Kronprinzen in sein Tagebuch geschrieben: „Seine<br />

Majestät schickt an den <strong>Prinz</strong>en von Preußen Befehl, seine Kriegsausrüstung<br />

zu besorgen und sich nach Breslau zu begeben, um den nächsten Feldzug<br />

mitzumachen. Wir sind um diesen <strong>Prinz</strong>en sehr in Sorge, seine Erhaltung<br />

muß allen ehrlichen Menschen am Herzen liegen, umso mehr, als ihn<br />

seine persönlichen Eigenschaften uns so teuer machen. Er ist gut und liebenswürdig<br />

und besitzt viel Geist. Für sein Alter ist er erstaunlich groß, und seine<br />

Gesundheit erscheint besonders kräftig. Sein Bruder, <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>, ist<br />

in Verzweiflung darüber, daß er nicht mitreisen darf. Er weint Tag und<br />

Nacht, besonders, weil er auch den Grafen Borcke verliert, dem er sehr zudas<br />

leben prinz heinrichs von preussen<br />

Der frommen Menschlichkeit, Vezier! dann wüst ich schon<br />

Auch Rath dafür. Mitleidig nähme<br />

Ich meines Reichthums Ueberrest,<br />

Und theilt ihn mit dem Mann, den ganz das Glück verläßt.<br />

Du lehrst mich ja, Vezier! man soll die Menschen lieben.<br />

Ich wollt es thun, und stünde kein Geboth<br />

Dazu im Alcoran geschrieben;<br />

Tief rührte mich des armen Mannes Noth.<br />

Heyl sey dir, guter <strong>Prinz</strong>! sprach der Vezier, und redte<br />

Mit Freudenthränen mehr in seinem Angesicht,<br />

Als Cicero hoch ausgerufen hätte<br />

Zum Lob Ben=Ha=Alim. Sprich, <strong>Heinrich</strong>! würde nicht<br />

Dein ganzes Herz gewogen werden,<br />

Dem Ha=Alim, von dem das Buch der Perser spricht?<br />

Die Menschen=Liebe war sein größt Gesetz auf Erden.<br />

Mich dünkt, du gleichest ihm an Herzen und Gebehrden!“ 113<br />

1762


im siebenjährigen krieg<br />

49<br />

getan ist, und der den älteren Bruder begleiten wird. Ich glaube aber, Graf<br />

Borcke wird die Strapazen eines Feldzuges nicht aushalten. Er ist körperlich<br />

schon so aufgebraucht, daß ihm jedes Lüftchen unbequem ist. Im August<br />

zog er sich eine Kolik zu, als er eines Abends bei der Königin auf der<br />

Rampe soupierte. Obwohl er kaum 40 Jahre zählt, sieht er schon so alt aus,<br />

daß ihm bei seiner Ankunft hier ein Mann aus dem Hause, in dem er<br />

wohnt, aus dem Wagen half und ihm das Kompliment machte, es sei doch<br />

sehr hart, ‚das er bey einem so hohen Alter hätte die Reise unternehmen<br />

müssen‘.“ 115<br />

März 1762 Der König ernennt Freiherr von Buddenbrock zum<br />

Oberhofmeister (Gouverneur) des <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong>. Buddenbrock<br />

ist seit 1758 Gouverneur des Kadettenkorps; wegen einer<br />

1745 erlittenen Kopfverletzung, durch die er fast ganz erblindete,<br />

kann er nicht am Krieg teilnehmen.<br />

Graf Lehndorff notiert dazu am 14. März 1762 in sein Tagebuch:<br />

„Am 12. dieses Monats trafen die letzten Befehle des Königs für die Abreise<br />

des <strong>Prinz</strong>en von Preußen ein. Gestern Abend nahm er zärtlichen Abschied<br />

vom ganzen Königshause, und heute früh reiste er ab. Die ganze hiesige<br />

Bürgerschaft gab ihm das Geleite, und wir alle gaben ihm unsere besten<br />

Wünsche mit auf dem Weg. Bis jetzt scheint er gut geartet und liebenswürdig<br />

seinem Äußeren und Inneren nach. Möge Gott in seiner Gnade ihn vor allem<br />

Übel bewahren! <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>, sein Bruder, hat bereits seinen neuen<br />

Hofmeister bei sich, den General Buddenbrock, dem man allgemein nur Gutes<br />

nachsagt. Allein er ist immer noch blind, und mir scheint, daß die<br />

Haupteigenschaft eines Hofmeisters die ist, gute Augen zu haben.“<br />

Und ebenfalls im März 1762 notiert Graf Lehndorff: „Der König<br />

schickt dem General Buddenbrock eine sehr gnädige Antwort auf dessen<br />

Anfrage bezüglich der Mittel, aus denen der Unterhalt des <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong><br />

nach der Abreise seines Bruders bestritten werden soll. Er soll 6000<br />

Taler bekommen und 60 Taler monatlich zum Spiel. – Der <strong>Prinz</strong> von<br />

Preußen fand die Wege [von Magdeburg nach Breslau] so schlecht, daß<br />

er gezwungen war, über Berlin zu reisen, obwohl der König es ihm verboten<br />

hatte.“ 116<br />

2. April 1762 <strong>Prinz</strong> Friedrich Wilhelm schreibt aus Breslau an seinen<br />

Bruder <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> (in Magdeburg), der unter einer fiebrigen<br />

Erkrankung leidet und von Dr. med. Cothenius [siehe Anm. 221]<br />

im Auftrage des Königs behandelt wird. Ferner wird in dem Brief<br />

ein Essen russischer Generäle beim König erwähnt und dass der<br />

Thronfolger Violoncello spielt. 117


50<br />

6. April 1762 <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> bedankt sich bei seinem königlichen<br />

Onkel für die freundlichen Worte, die dieser über ihn zu seinem<br />

Bruder gesagt und die ihm von seinem Bruder mitgeteilt worden<br />

seien. Außerdem bedankt er sich für die Erhöhung seiner bescheidenen<br />

Einkünfte, die ihm Generalmajor Buddenbrock mitgeteilt<br />

habe. 118<br />

7. April 1762 <strong>Prinz</strong> Friedrich Wilhelm schreibt an seinen Bruder<br />

<strong>Heinrich</strong>, der König habe sich nach ihm und seiner Gesundheit<br />

erkundigt („il est <strong>for</strong>t impatient d’apprendre des nouvelles de votre santé“).<br />

Außerdem schickt er seinem Bruder eine Tafel Schokolade, um<br />

ihn nach dem Fieber zu stärken („C’est une livre de chocolat pour tous<br />

les deux, cela vous redonnera vos <strong>for</strong>ces après la fièvre“). 119<br />

30. Mai 1762 <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> nimmt in Magdeburg an der Feier des<br />

königlichen Hofes anlässlich des Friedensschlusses mit Russland<br />

teil. Über diese Feier schreibt Graf Lehndorff in sein Tagebuch:<br />

„Die Bekanntmachung des Friedens geht unter allem erdenklichen Zeremoniell<br />

vor sich. Um 8 Uhr morgens ist Zusammenkunft beim jungen <strong>Prinz</strong>en<br />

<strong>Heinrich</strong>, alle Kollegien und mehrere Damen haben sich eingefunden, die<br />

ganze Garnison ist angetreten, und unter Zimbel- und Trompetengeschmetter<br />

wird die Bekanntmachung des Friedens zwischen unserem König und dem<br />

anbetungswürdigen Kaiser von Rußland [Zar Peter III.] laut verlesen.<br />

Dann begibt sich die Königin mit sämtlichen <strong>Prinz</strong>essinnen nach dem Dom,<br />

wo das Te Deum gesungen wird. Zum Diner findet bei der Königin ein großes<br />

Festmahl für sämtliche Minister und Generale und Stabsoffiziere statt.<br />

Abends erscheint alles in Gala am Hof.“ 120<br />

Der Jubel gilt einem der „Mirakel des Hauses Brandenburg“ 121 ,<br />

durch die Preußen im Siebenjährigen Krieg mehrmals vor dem<br />

Untergang gerettet wurde: Am 5. Januar 1762 war die Zarin Elisabeth,<br />

eine entschiedene Gegnerin Friedrichs, gestorben, und ihr<br />

Nachfolger, Zar Peter III., ein glühender Verehrer des Preußenkönigs,<br />

stellte so<strong>for</strong>t alle Kampfhandlungen ein, schloss mit Friedrich<br />

unter Verzicht auf jeden Gebietserwerb am 5. Mai 1762 einen Separatfrieden<br />

und am 19. Juni 1762 sogar ein Bündnis gegen den<br />

bisherigen Alliierten Österreich. Das ermöglichte es Friedrich, alle<br />

Kräfte auf die endgültige Rückeroberung Schlesiens zu konzentrieren<br />

und das Ende des Krieges herbeizuführen.<br />

14.–18. Juni 1762 <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> begleitet seine Mutter und seine<br />

Schwester <strong>Prinz</strong>essin Wilhelmine zu einer mehrtägigen Familienfeier<br />

nach Hundisburg bei Magdeburg, wo sie sich mit ihren braundas<br />

leben prinz heinrichs von preussen


im siebenjährigen krieg<br />

51<br />

schweigischen Verwandten treffen. Graf Lehndorff berichtet darüber:<br />

„Ein reizenderes Bild aber als unser <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> und die <strong>Prinz</strong>essin<br />

Wilhelmine mit den braunschweigischen Kindern zusammen läßt sich<br />

kaum denken; es herrscht eine Freundschaft und ein Jubel, als wären sie ihr<br />

ganzes Leben beisammen gewesen. […] Wir warten hier immer auf den Befehl<br />

zur Rückreise nach Berlin. […] Es gibt nichts Lächerlicheres als die<br />

Lebensweise, die man hier jetzt führt. Alles stirbt fast vor Hunger und<br />

schränkt sich ein, so gut es geht; dabei wird aber mit solcher Leidenschaft gespielt<br />

[…]. Man ist einzig damit beschäftigt, sich gegenseitig möglichst viel<br />

Geld aus der Tasche zu ziehen.“ 122<br />

20. Oktober 1762 <strong>Prinz</strong> Friedrich Wilhelm schreibt aus dem Generalquartier<br />

in Peterswalde (Schlesien) an seinen Bruder <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>.<br />

Er beglückwünscht ihn zu seiner geplanten Reise ins Winterquartier<br />

des Königs und bittet ihn, ihm einen Spazierstock („canne“)<br />

zu besorgen. 123<br />

27. November 1762 Der Thronfolger berichtet seinem Bruder aus<br />

Meißen, dass er in Berlin gewesen sei und bald in das Winterquartier<br />

nach Leipzig komme. Der Bruder des Königs (<strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong>)<br />

habe ihm ein Pferd geschenkt. 124<br />

1. Dezember 1762 <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> bedankt sich von Magdeburg aus<br />

in einem Schreiben an seinen Onkel für die Einladung, ihn in seinem<br />

Winterquartier zu besuchen. 125<br />

Dezember 1762 Tagebucheintrag Graf Lehndorff: „Der König hat auch<br />

seinen Neffen, den <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong>, den er so gern hat, nach Leipzig<br />

kommen lassen. Sein Bruder, der <strong>Prinz</strong> von Preußen, soll sowohl an Kraft<br />

wie an Verstand [!] zugenommen haben.“ 126<br />

Kabinetssekretär August Friedrich Eichel schreibt aus Leipzig am 8.<br />

Dezember 1762 an Staatsminister Graf Finck von Finckenstein (in<br />

deutscher Sprache): „Es ist ein Schreiben an des jungen <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong><br />

Hoheit, desgleichen an Herrn Generalmajor von Buddenbrock nach<br />

Magdeburg ergangen, nach welchem beide auf den 15. dieses anherokommen<br />

sollen.“ 127<br />

15. Dezember 1762 <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> trifft mit Generalmajor Buddenbrock<br />

in Leipzig im Winterquartier des Königs ein. Dieser zweite<br />

Aufenthalt von <strong>Prinz</strong> <strong>Heinrich</strong> im königlichen Hauptquartier hat<br />

zur Folge, dass er sich enger an den König anschließt und die Gefühle<br />

der Verehrung und Liebe für seinen Onkel auch auf seine<br />

junge Schwester überträgt. 128


52<br />

das leben prinz heinrichs von preussen<br />

19. Dezember 1762 <strong>Prinz</strong> Ferdinand von Braunschweig sendet als<br />

Anlage zu einem Brief an seine Schwester, Königin Elisabeth<br />

Christine von Preußen, einen Plan von der Belagerung Kassels für<br />

den jungen <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong>. 129<br />

1763<br />

Januar 1763 Der König lebt in stiller Zurückgezogenheit in Leipzig;<br />

nur durch seine Neffen erfährt er, „wie man sich in Leipzig vergnügt“.<br />

Dies schreibt er am 14. Januar 1763 an seinen Bruder <strong>Heinrich</strong><br />

nach Berlin und fährt <strong>for</strong>t: „Ich höre nur von Bällen und Redouten,<br />

und um Dir einen Begriff davon zu machen, eine Frau Friedrich, ehedem<br />

Gärtnerin in Seidlitz [wohl Gross-Sedlitz bei Prina], jetzt die Frau<br />

eines Offiziers bei den Freihusaren, ist eine der Hauptheldinnen auf diesen<br />

Festen […] Laß in den Berliner Kirchen dafür beten, daß der Himmel unsere<br />

jungen Leute vor den Gefahren, die sie dort laufen, behüte. “ 130<br />

Ende Januar 1763 Der König schickt den Thronfolger und <strong>Prinz</strong><br />

<strong>Heinrich</strong> an den Hof in Gotha zur Herzogin Louise Dorothea von<br />

<strong>Sachs</strong>en-Gotha wahrscheinlich zum Zweck der Brautsuche für<br />

den achtzehnjährigen Thronfolger.<br />

Graf Lehndorff notiert dazus am 24. Januar 1763 in sein Tagebuch:<br />

„Alle Nachrichten besagen, daß wir den Frieden in sicherer Aussicht haben;<br />

wir fassen deshalb mit der größten Freude unsere baldige Rückkehr nach<br />

Berlin ins Auge. Der König soll in Leipzig in der besten Stimmung sein.<br />

Er hat unsere beiden jungen <strong>Prinz</strong>en Friedrich und <strong>Heinrich</strong> an die Höfe<br />

von Eisenach und Gotha geschickt. Es gibt Leute, die annehmen, der Zweck<br />

sei, die gothaische <strong>Prinz</strong>essin mit dem älteren <strong>Prinz</strong>en zu verloben. Da sie<br />

indes vier Jahre älter ist als der <strong>Prinz</strong>, so spricht das doch dagegen.“<br />

In einem Brief vom 31. Januar 1763 schreibt der König aus Leipzig<br />

an die Herzogin: „Meine Frau Cousine, Nicht genug, daß Sie meine<br />

dummen Streiche in Güte ertragen, bitte ich Sie auch, teure Herzogin, Ihre<br />

Nachsicht auf meine Neffen auszudehnen. Sie werden die Ehre haben, Ihnen<br />

ihre Aufwartung zu machen. Wenn sie Ihnen von meiner Gesinnung berichten,<br />

werden Sie sich überzeugen, daß ich stets in derselben Weise über Sie<br />

spreche und daß mein übervolles Herz sich unhemmbar in den Gefühlen<br />

der Bewunderung ergießt, die Sie allen einflößen, die Ihnen nähertreten durften.<br />

Ich habe zu meinen Neffen gesagt: Ihr müßt meine ehrwürdige Freundin<br />

besuchen und ihr sagen, daß mein Herz ihr ewig dankbar sein wird. –


im siebenjährigen krieg<br />

53<br />

Hätte ich gekonnt, anbetungswürdige Herzogin, ich wäre mitgereist und hätte<br />

Ihnen persönlich gehuldigt; aber mich hält hier ein Grund zurück, den<br />

Sie gewiß billigen werden: wir schließen nämlich schlecht und recht Frieden!<br />

Unterhandlungen, ein Wust von Schreibereien, Vereitlung von Gaunerkniffen,<br />

Aufklärung von Zweideutigkeiten, Sicherung gegen Ausflüchte – kurz eine<br />

notwendige, aber keineswegs belustigende Arbeit, die fabelhaft anstrengt. […].<br />

Ich verbleibe, Frau Cousine, Euer Hoheit getreuester Freund, Vetter und Diener<br />

Friedrich.“ 131<br />

19. Januar 1763 Königin Elisabeth Christine schreibt aus Magdeburg<br />

ihrem Bruder <strong>Prinz</strong> Ferdinand von Brauschweig, dass sie noch<br />

nichts vom Frieden und auch noch nichts von der Rückkehr des<br />

jungen <strong>Prinz</strong>en <strong>Heinrich</strong> gehört habe. 132<br />

15. Februar 1763 Mit dem Friedensschluss zwischen Preußen, Österreich<br />

und <strong>Sachs</strong>en in<br />

Hubertusburg bei<br />

Leipzig endet der<br />

Siebenjährige Krieg.<br />

Graf Lehndorff notiert:<br />

„Somit hat alle<br />

unsere Not ein Ende.<br />

Wenn man nun einmal<br />

bedenkt, welche unzähligen<br />

Opfer dieser Krieg<br />

ge<strong>for</strong>dert hat, wie viele<br />

Provinzen verwüstet, wie<br />

viele Familien ruiniert<br />

worden sind, und das<br />

alles, um die Herrscher<br />

in dem status quo ante<br />

zu sehen, so möchte man<br />

über den Wahnwitz der<br />

Menschheit laut aufschreien.“<br />

133<br />

Abb.15: Reichsgraf Ernst Ahasverus<br />

<strong>Heinrich</strong> von Lehndorff (1727–1811)

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