BSM 17/2019
Bündnisse schmieden und sich vernetzen – Dana-Sophia Valentiner über Frauen und Karriere
Bündnisse schmieden und sich vernetzen – Dana-Sophia Valentiner über Frauen und Karriere
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Beitrag<br />
BECK Stellenmarkt<br />
Bündnisse schmieden und sich vernetzen –<br />
Dana-Sophia Valentiner über Frauen und Karriere<br />
Beitrag<br />
Im Interview spricht die Trägerin des Hamburger Lehrpreises des Senats der<br />
Freien und Hansestadt Hamburg und Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der<br />
Helmut-Schmidt-Universität Dipl.-Jur. Dana-Sophia Valentiner über den<br />
Mangel von Frauen in Führungspositionen in der Rechtsbranche. Ausgehend<br />
von ihrer Forschung und Erfahrung berichtet sie über die spezielle (männlich<br />
geprägte) Fachkultur. Zudem erklärt sie die Folgen der sogenannten leaky<br />
pipeline in Wirtschaft, Justiz, Wissenschaft und Verwaltung.<br />
GN: Frau Valentiner, Sie haben u.a. Rollenstereotype in juristischen<br />
Ausbildungsfällen wissenschaftlich untersucht. Was sind die Schlussfolgerungen<br />
aus Ihrer Forschung?<br />
DV: Die Sachverhalte, mit denen Jurastudierende auf das erste Staatsexamen<br />
vorbereitet werden, bedienen tradierte Rollenbilder. Es handeln ganz<br />
überwiegend Männer. Die wenigen Frauen werden auf ihre Rolle als Ehefrau<br />
oder Partnerin reduziert. Bei den Berufen zeigt sich eine deutliche<br />
Schieflage. Männer sind Anwälte, Richter und Geschäftsführer, während<br />
Frauen als Verkäuferinnen und Sekretärinnen arbeiten. Solche Geschlechterbilder<br />
bleiben nicht ohne Einfluss auf die Lernenden. Die sogenannte<br />
Stereotypenbedrohung kann sich sogar negativ auf Lernmotivation und<br />
Leistungen auswirken. Deshalb ist eine Schlussfolgerung aus der Studie,<br />
dass wir mehr über die Funktionen und Wirkweisen von Ausbildungsfällen<br />
nachdenken und kreative Lösungen finden müssen, um Lernmaterialien<br />
interessant, motivierend und lehrreich zu gestalten – und dies in einer<br />
diskriminierungsfreien Weise.<br />
GN: Was raten Sie jungen Frauen, die sich im Bewerbungsverfahren, etwa<br />
im Gespräch, entsprechend diskriminierenden Aussagen ausgesetzt sehen?<br />
Gegenhalten oder freundliches Lächeln?<br />
DV: Ich finde die Frage schwierig zu beantworten, weil es doch sehr von<br />
der jeweiligen Situation abhängt und von den Interessen, die verfolgt werden.<br />
Zu bedenken sind auch bestehende Machtverhältnisse und Abhängigkeiten.<br />
Raten würde ich jungen Frauen daher, das zu tun, was ihnen hilft,<br />
um mit der Situation fertig zu werden. Generell sollten wir uns aber lieber<br />
fragen, wie ein Bewusstsein entstehen kann, um derartige Situationen gar<br />
nicht erst zu schaffen.<br />
GN: In vielen Kanzleien sind Partner weit überwiegend Männer. Gleichzeitig<br />
studieren heute so viele Frauen wie noch nie Jura und gehören zu den<br />
Besten. Geklagt wird zum einen über Mangel an geeigneten Absolventen<br />
und zum anderen über gläserne Decken. Hakt es da wirklich nur am Bewusstsein?<br />
DV: Frauen sind nicht nur als Partnerinnen in Großkanzleien unterrepräsentiert,<br />
das Phänomen der sogenannten „leaky pipeline“ zeigt sich auch in<br />
der Justiz, der Wissenschaft und der Verwaltung. Der Frauenanteil bei den<br />
rechtswissenschaftlichen Professuren beträgt 16 Prozent. Auch wenn bei<br />
den Gerichten und Staatsanwaltschaften mittlerweile ähnlich viele Männer<br />
und Frauen arbeiten, nimmt auch dort der Frauenanteil in den höheren<br />
Besoldungsstufen ab. Die Ursachen für diese Effekte sind vielfältig. Das<br />
Fach ist von einer speziellen Kultur und einem System benachteiligender<br />
Strukturen geprägt. Diese gilt es aufzubrechen. Das Bewusstsein für Stereotypisierungen,<br />
Benachteiligungen, Hierarchien und Diskriminierungen ist<br />
dafür essentiell. Darüber hinaus sind Maßnahmen zur Erhöhung des<br />
Frauenanteils in Führungspositionen sowie zur Vereinbarkeit von Familie<br />
und Karriere erforderlich.<br />
GN: Woher kommt diese spezielle Fachkultur und was hat sie mit dem<br />
Geschlecht zu tun?<br />
DV: Recht ist als Macht- und Herrschaftsinstrument von enormer gesellschaftlicher<br />
Bedeutung. Mit dieser Macht ist ein bestimmter Habitus<br />
verbunden. Dieser stabilisiert sich über einen ausgeprägten Objektivitätsmythos,<br />
der eine Rechtsanwendung frei von subjektiven Einflüssen, Vorannahmen<br />
und Erfahrungen verspricht. Recht kennt in dieser Logik kein<br />
Geschlecht. Jura zu studieren bedeutet aber auch heute noch, zumeist auf<br />
männliche weiße Lehrpersonen zu treffen. Sogenannte Arbeiterkinder sind<br />
unter den Studierenden unterrepräsentiert. Der Objektivitätsanspruch<br />
verklärt den Blick für Ungleichheitsdimensionen (z.B. Geschlecht) und<br />
stabilisiert zugleich Ungleichheiten.<br />
GN: Das bedeutet, die Fachkultur wird von diesem Objektivitätsmythos<br />
bestimmt und bekommt gesellschaftliche Veränderungen nicht so schnell<br />
mit? Was raten Sie dann Studentinnen und Referendarinnen, die trotz<br />
dieser Lage eine anspruchsvolle Karriere anstreben?<br />
DV: Sich nicht beirren lassen. Bündnisse schmieden und sich vernetzen,<br />
mit Kommiliton*innen, Kolleg*innen und Vorgesetzten. Verbände wie der<br />
Deutsche Juristinnenbund bietet vielfältige Vernetzungsmöglichkeiten.<br />
Ich habe von Mentoring-Programmen profitiert, während des Studiums<br />
und der Promotionsphase. Einige Kanzleien bieten Women’s Lunches oder<br />
andere Formate an. Es gibt mittlerweile viele tolle Angebote.<br />
GN: Haben Sie vielen Dank für Ihre Antworten!<br />
Über die Interviewpartner:<br />
www.beck-stellenmarkt.de/ratgeber<br />
Ghazzal Novid<br />
schreibt regelmäßig über Karriere und Politik im juristischen<br />
Bereich. Er arbeitet neben seinem Jurastudium an der<br />
Universität Kiel am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und<br />
Zivilprozessrecht und in einer mittelständischen Kanzlei.<br />
Dana-Sophia Valentiner<br />
studierte Jura mit Nebenfach Genderkompetenz.<br />
Derzeit lehrt und forscht sie<br />
an der Helmut-Schmidt-Universität<br />
Hamburg, an der sie auch ein Promotionsstudium<br />
betreibt. Sie engagiert sich<br />
für eine bessere Fachdidaktik, Geschlechtergerechtigkeit<br />
und Chancengleichheit.