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HGB_06-2019

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Kultur<br />

99<br />

Ich wünsch<br />

mir was<br />

„Hello, lebst du auch auf der<br />

Seite der Alleingebliebenen?<br />

Wir sollten uns finden“, tippt<br />

meine Freundin Ilse in ihr Handy.<br />

„An wen richtet sich dieser<br />

philosophische Satz?“, frage<br />

ich verwundert. Wir sitzen Ende<br />

August bei 24 Grad unterm<br />

Sonnenschirm und fächeln die<br />

schwüle Luft weg. In kleinen<br />

Glasschälchen schmilzt langsam<br />

das von Ilse selbstgemachte<br />

Sauerampfer-Eis. „Ich suche<br />

nach einem geeigneten Partner,<br />

mit dem ich Weihnachten verbringen<br />

möchte“, verkündet<br />

Ilse spitz. „Der erste Satz muss<br />

knallen. Ich habe diese Familienfeiern<br />

so satt. Diesmal soll<br />

das Fest außergewöhnlich werden.“<br />

Bedächtig lässt sie ihr Eis<br />

im Mund zergehen.<br />

„In der Tat denke ich ebenfalls<br />

darüber nach, dass man sich<br />

für die Feiertage etwas Besonderes<br />

überlegt“, bemerke ich<br />

dazu. „Allerdings käme es mir<br />

nicht in den Sinn, mich für die<br />

paar Tage auf die Suche nach<br />

einem Begleiter zu machen.<br />

Das ist Blödsinn. Ich plane doch<br />

nicht im August, wie, wo und<br />

mit wem ich am Fest der Liebe<br />

jubilieren werde.“<br />

„Man muss rechtzeitig vorbereitet<br />

sein. Bei Edeka gibt<br />

es schon Dominosteine zu<br />

kaufen“, stellt Ilse klar. „Liebe<br />

kennt kein Alter. Was spricht<br />

dagegen, dass ich noch mal<br />

durchgrünen möchte?“, fragt<br />

sie mit essigsaurer Miene. Gegenfrage:<br />

„Wie stellst du dir<br />

deinen Beistand für frohe Tage<br />

vor?“<br />

„Lichtjahre entfernt von all den<br />

Dumpfbacken, die sich auf<br />

Facebook, Tinder und Twitter<br />

tummeln. Aufmerksam und<br />

hellwach, einer, der seine Fehler<br />

kennt und sie auch eingesteht.<br />

Humorvoll, aber keine<br />

doofen Witze erzählt. Einer, der<br />

sensibel ist und zuhört“, einen,<br />

mit dem man reden kann“,<br />

schwärmt sie mit entrücktem<br />

Blick in die Abendsonne.<br />

Meine Augenbrauen ziehen sich<br />

fragend nach oben. „Wo willst<br />

du so ein Prachtexemplar finden?<br />

Den musst du dir in einer<br />

Weihnachtsbäckerei selbst backen.<br />

Vielleicht bietet die Volkshochschule<br />

dazu einen Kursus<br />

an.“ Ich krame die Wochenendausgabe<br />

der Zeitung hervor<br />

und lese Ilse vor, welcher Typ<br />

auf der Resterampe nach wem<br />

sucht: Langstreckenläufer, Hobbygärtner,<br />

Wanderer, Radfahrer,<br />

Abenteurer wünschen sich 30-<br />

bis 70-jährige Gleichgesinnte.<br />

Hör dir das an: Lebendig soll sie<br />

sein. Ja, tot kann man den Garten<br />

nicht umgraben. Möchtest<br />

du wirklich für einen New-York-<br />

Marathon trainieren, Sauerampfer<br />

mit schweißtreibender<br />

Gartenarbeit ernten oder in<br />

einer Jack-Wolfskin-Jacke auf<br />

einem Muli durch die Mongolei<br />

reiten? Die ganze Plackerei nur,<br />

um Weihnachten nicht allein zu<br />

sein? Ich schlage vor, im sozialen<br />

Bereich eine Aufgabe zu erfüllen.<br />

Geradezu glücklich und<br />

beseelt fühle man sich, wenn<br />

man Gutes für seine Mitmenschen<br />

tut.“<br />

„Willst du etwa in der Fußgängerzone<br />

Erbsensuppe verteilen?“,<br />

erwidert Ilse aufgebracht.<br />

„Da mache ich nicht<br />

mit. Jetzt bin ich mal dran und<br />

nicht immer andere. Meine<br />

Schwiegertochter tut mir leid.<br />

Mit dem Weihnachtsessen ist<br />

sie völlig überfordert. Ente oder<br />

Gans kommen nicht auf den<br />

Tisch. Die Hälfte der Familie ist<br />

Vegetarier, Lena und Max sogar<br />

Veganer. Ein Teil der Sippschaft<br />

nimmt ab 18 Uhr keine Nahrung<br />

zu sich. Opa Kalle brummt alle<br />

fünf Minuten, wann es was zu<br />

essen gibt. Nach dem dritten<br />

Schnaps nervt er, ob man für<br />

Oma eine Tafel Schokolade<br />

besorgt habe. Das macht alles<br />

keinen Spaß mehr.“<br />

Liebe Ilse, ich verstehe, dass<br />

du im siebenten Himmel in der<br />

ersten Reihe sitzen möchtest.<br />

Aber hock dich nicht in den<br />

Wartesaal zum großen Glück.<br />

Du könntest bitter enttäuscht<br />

werden. Falls du dennoch jemanden<br />

findest, achte auf<br />

sein Sternzeichen. Das FBI hat<br />

herausgefunden, dass Schütze,<br />

Skorpion und Krebs das<br />

Verbrecher-Gen in sich tragen.<br />

Laut Statistik begehen Krebse<br />

die meisten Morde – aus Eifersucht.<br />

Ich mache mir Sorgen.<br />

Bedenke, dass es wunderbar<br />

ist, in winterkalter Nacht bei<br />

Kerzenschein die Besonderheit<br />

von Weihnachten zu spüren.<br />

Dazu brauchst du dich selbst,<br />

aber keinen Mann, außer einen<br />

aus Lebkuchen, pflegeleicht<br />

und zum Vernaschen süß. Wenn<br />

die Zeit gekommen ist, wo man<br />

Weinschorle gegen Glühwein<br />

austauscht, bereiten wir uns<br />

auf das himmlische Fest vor.“<br />

Ich nehme Ilse in den Arm und<br />

wünsche uns beiden, dass wir<br />

Heiligabend, der Tag, der nicht<br />

ist wie jeder andere, frohgemut,<br />

gesund und bestens gelaunt<br />

erleben.<br />

Angela Dumrath<br />

(Mail bandari@hotmail.de) n

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