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"Kompass Europa: Nordlichter" ist das Motto für den Kultursommer Rheinland-Pfalz 2020. 50 ausgewählte Projekte sind zusammen mit Texten und Illustrationen zu den verschiedenen Ländern in dieser Publikation „Nordlichter“ zu finden. Mehr unter www.kultursommer.de
"Kompass Europa: Nordlichter" ist das Motto für den Kultursommer Rheinland-Pfalz 2020. 50 ausgewählte Projekte sind zusammen mit Texten und Illustrationen zu den verschiedenen Ländern in dieser Publikation „Nordlichter“ zu finden. Mehr unter www.kultursommer.de
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NORDLICHTER
ESTLAND
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übertraf im Januar das Bruttosozialprodukt der Schweiz. Seit
einiger Zeit lässt sich außerdem beobachten, wie Konzerne der
Industrie 4.0 in der physischen Welt Aufgaben übernehmen, die
klassischerweise vom Gemeinwesen geleistet werden. So baut
Airbnb in Japan Gemeindezentren, Google modernisiert in den
USA die Verkehrsinfrastruktur. (…) Wenn aber IT-Firmen die Rolle
von Staaten übernehmen, sollten Staaten sich dann nicht umgekehrt
an den erfolgreichen Geschäftspraktiken der IT-Firmen
orientieren?
Die estnische Antwort lautet eindeutig ja. CAAS, Country
As A Service, heißt das Konzept, mit dem Estland sich als Plattform
anpreist und seine Bürger wie auch e-Bürger unverhohlen
als Kunden anspricht. „We run this country like a start-up“, heißt
es auf einer offiziellen Website der Regierung. (...) Ebenso wie
die estnische Erfindung Skype das globale Telefongeschäft revolutioniert
hat, soll e-Government das klassische Regierungsgeschäft
ablösen. Klassische Regierungen sind nämlich weder
effizient noch user friendly. Country As A Service macht dagegen
den Kunden zum König. Je nach Bedarf und Präferenz soll der
globale Bürger künftig seinen Staat „so einfach wie seinen
Mobilfunkanbieter wechseln“ können. Immer schön virtuell, versteht
sich. Wären die Esten nicht so wahnsinnig sympathische
Menschen, man würde denken, sie wollten die Demokratie abschaffen.
In Estland sieht man das selbstredend anders. Nach
einer Jahrhunderte währenden Unterdrückung des Volkes durch
Russen und Deutsche steht die Neuerfindung der Nation als
benutzerfreundliches Dienstleistungsunternehmen am Anfang
der erfolgreichen Selbstbestimmung des kleinen Landes. Der
Staat begreift sich als digital by default: 99 Prozent aller staatlichen
Services sind online, 900 Institutionen samt Datenbanken
vernetzt, jeder Este hat eine e-ID, es gibt e-Health-Care, e-Schools
und es wird online gewählt. Internetzugang ist in Estland ein
verbrieftes „soziales Recht“, in allen öffentlichen Gebäuden
und an vielen Landbushaltestellen gratis. Tatsächlich gibt es
in keinem europäischen Land pro Kopf so viele Start-ups wie
hier, und Firmen wie Skype und TransferWise haben dem Land
seit der Unabhängigkeit 1991 durchaus bescheidenen Reichtum
gebracht. Mit e-Residents ließe sich dieser exponentiell
steigern. (…)