Statement von Prof. Dr. Werner Götz, Rheinische Friedrich-Wilhelms ...
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<strong>Statement</strong> <strong>von</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Werner</strong> <strong>Götz</strong>,<br />
<strong>Rheinische</strong> <strong>Friedrich</strong>-<strong>Wilhelms</strong>-Universität Bonn, Poliklinik für Kieferorthopädie,<br />
Labor für Oralbiologische Grundlagenforschung,<br />
anlässlich des Pressegesprächs zum 52. Bayerischen Zahnärztetag<br />
am 21. Oktober 2011 im The Westin Grand München Arabellapark Hotel<br />
– Es gilt das gesprochene Wort –<br />
Kann man Zähne im Labor züchten?<br />
Stammzellen in der Zahnheilkunde<br />
Die Stammzellforschung der letzten Jahre und damit zusammenhängende neue Verfahren des<br />
Tissue Engineerings (Gewebezüchtung) und der Gentechnologie haben die Entwicklungen in<br />
der regenerativen Medizin rasant beschleunigt. Der außerhalb Deutschlands schon weit<br />
fortgeschrittene Forschungsstand in der dentalen Stammzelltechnologie ist aber in der<br />
Zahnheilkunde hierzulande wenig bekannt und für die Praxis noch ohne Bedeutung. Allerdings<br />
haben diese Entwicklungen einerseits zu Befürchtungen über negative Auswirkungen auf<br />
herkömmliche zahnärztliche Behandlungen, wie z.B. in der Prothetik, andererseits zu<br />
übertriebenen Hoffnungen, z.B. auf ein Nachwachsen „dritter Zähne“, geführt. Die dentale<br />
Stammzellforschung in Deutschland leidet vor allem an der mangelnden inhaltlichen und<br />
räumlichen Verbindung zwischen Grundlagenforschung, Zahnkliniken und Dentalindustrie.<br />
In der internationalen dentalen Stammzellforschung spielen embryonale Stammzellen eine<br />
geringe Rolle.<br />
Sog. adulte Stammzellen können aber inzwischen aus fast allen Organen und Geweben der<br />
Mundhöhle des Menschen aus sog. „Stammzellnischen“ isoliert werden. Diese findet man u.a. in<br />
Pulpa, Zahnhalteapparat, Zahnkeimen mit Zahnfollikel, Kieferknochen, Mundschleimhaut,<br />
Kiefergelenk oder Speicheldrüsen. Aus ihnen lassen sich verschiedene Zellarten, wie<br />
Odontoblasten, Osteoblasten oder Epithelzellen, ableiten, deren regenerative Potenz oder deren
<strong>Statement</strong> <strong>von</strong> <strong>Prof</strong>essor <strong>Dr</strong>. <strong>Werner</strong> <strong>Götz</strong><br />
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Verhalten auf Werkstoffen, im Tierversuch oder in ersten klinischen Studien intensiv beforscht<br />
wird. Darüber hinaus können aus diesen Zellen zahlreiche andere Zellarten, wie z.B. Muskel-<br />
oder Nervenzellen, differenziert werden, die ihren Einsatz für regenerative Verfahren außerhalb<br />
der Mundhöhle geeignet erscheinen lassen. Hier sind insbesondere Pulpastammzellen, die im<br />
Jahr 2000 als erste dentale Stammzellpopulation isoliert wurden, im Mittelpunkt des Interesses.<br />
In den USA und einigen europäischen Ländern bieten deshalb erste dentale Stammzellbanken<br />
ihre Dienste an und lagern Pulpastammzellen aus Milchzähnen als Quelle für einen möglichen<br />
Organersatz in der Zukunft ein. Eine zunehmende Bedeutung erlangen auch Stammzellen aus<br />
dem Follikel (Zahnsäckchen), die im Rahmen der Entfernung <strong>von</strong> Weisheitszähnen gewonnen<br />
werden (siehe Abbildung 1).<br />
Aus allen reifen Körperzellen können inzwischen auch Stammzellen „reprogrammiert“ werden<br />
(„induzierte pluripotente Stammzellen“), die im Prinzip für die Anwendung in der Mundhöhle<br />
geeignet wären.<br />
Die Neubildung <strong>von</strong> Zähnen im lebenden Organismus wird mit verschiedenen Ansätzen, wie<br />
z.B. Transplantations- oder molekulargenetischen Verfahren, im Tierversuch getestet und hat<br />
2009 erstmalig zur erfolgreichen Zahnkeimbildung mit Eruption eines okklusal belastbaren<br />
Zahns bei der Maus geführt. Die Erforschung <strong>von</strong> Genen, die an der Zahnentwicklung und dem<br />
Zahndurchbruch beteiligt sind, wird zu Verfahren führen, mit denen z.B. durch direkten<br />
Gentransfer eine Zahnbildung beeinflusst werden kann. Andere Methoden basieren auf dem<br />
sog. „stem cell homing“, bei dem durch die Einbringung <strong>von</strong> biologischen Faktoren in einen<br />
lebenden Organismus Stammzellen angelockt oder aktiviert werden. Für regenerative Therapien<br />
am Zahnhalteapparat wäre eine Applikation solcher Faktoren in den Parodontalspalt vorstellbar.<br />
Die Anwendung <strong>von</strong> Knochenstammzellen unterschiedlicher Herkunft für chirurgische Zwecke<br />
steht indes schon an der Schwelle zur Klinik. Präklinische und klinische Studien zeigen jetzt<br />
schon ihre erfolgreiche Anwendung, z.B. bei Knochenaugmentationen, Zystenauffüllung oder in
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der Kieferchirurgie. Knochenstammzellen können auf unterschiedlichen Trägermaterialien oder<br />
vermischt mit Knochenersatzmaterialien zum Einsatz kommen.<br />
Für die meisten zahnmedizinischen Fächer wird die Stammzellforschung mittel- bis langfristig<br />
eher zu einer „Biologisierung“ regenerativer Techniken und Implantatversorgungen mit<br />
herkömmlichen Werkstoffen führen, die auch für die Zahntechnik neue Arbeitsfelder eröffnen<br />
könnte („zahntechnisches Bioengineering“). Vorstellbar sind z.B. die stammzellbasierte<br />
Herstellung autogener Zahnhartgewebe für die Füllungstherapie, der Einsatz<br />
stammzellbeschichteter Membranen in der Parodontologie oder die Bildung eines<br />
Zahnhalteapparates um Implantate aus Stammzellen. Die Stammzelltechnologie wird deshalb in<br />
der Zukunft eher als ergänzende Therapieform in den meisten zahnmedizinischen Disziplinen<br />
anzusehen sein.<br />
Obwohl im Tierversuch schon möglich, ist es zum jetzigen Zeitpunkt schwierig vorauszusagen,<br />
wann ein vollständiger Ersatz funktionsfähiger Zähne für den Menschen realisierbar sein wird.<br />
Für die Zukunft sollte auf alle Fälle eine engere Verknüpfung zwischen biomedizinischer<br />
Forschung, Zahnmedizin und Dentalindustrie angestrebt werden. Ungeklärt sind aber noch viele<br />
Fragen, wie z.B. zur Akzeptanz dentaler Stammzellen bei den Patienten oder die<br />
Finanzierbarkeit solcher Verfahren. Auch mögliche Nebenwirkungen einer zahnmedizinischen<br />
Stammzellbehandlung, wie z.B. ein Entartungsrisiko, sind bisher nicht untersucht.<br />
Abbildung 1:<br />
Stammzellen aus einem Zahnsäckchen (Follikel) in der Zellkultur, retinierter 3. Molar<br />
Kontakt:<br />
Isolde M. Th. Kohl, Koordination Bayerischer Zahnärztetag, Leiterin Geschäftsbereich Kommunikation der<br />
Bayerischen Landeszahnärztekammer, Fallstr. 34, 81369 München, Tel: 089 72480-211, Fax: 089 72480-444,<br />
E-Mail: presse@blzk.de. Während des Bayerischen Zahnärztetags mobil unter: 0170 4406813<br />
Das <strong>Statement</strong> finden Sie auch online unter: www.blzk.de/pressemeldungen