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Online-Ausgabe 8, ET 23.05.2020

Sehnsüchte, welche seid ihr?: Nach den Lockerungen der staatlich verfügten Einschränkungen liegt es nun wieder an jedem einzelnen deutschen Bürger, seine Entscheidungen abzuwägen und dafür eine persönliche Verantwortung zu übernehmen. Schwer! Von Michael Zäh

Sehnsüchte, welche seid ihr?: Nach den Lockerungen der staatlich verfügten Einschränkungen liegt es nun wieder an jedem einzelnen deutschen Bürger,
seine Entscheidungen abzuwägen und dafür eine persönliche Verantwortung zu übernehmen. Schwer! Von Michael Zäh

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Samstag, 23. Mai 2020

Samstag, 23. Mai 2020

Samstag, 23. Mai 2020

Online-Ausgabe 287 am am 4. April 23. Mai 2020 2020

Leben ohne Mops

Samstag, 4. April 2020

Samstag, 4. April 2020

Verschwör dir, Alter!

Publikum

Im Theater, im Kino, bei Konzerten und beim Fußball gehören

Zuschauer einfach dazu, heißt es. Aber das trifft es

nicht wirklich. Denn im Fußball genügt das Spiel eigentlich

sich selbst. Die Inszenierung kommt erst danach und das

Publikum ist ein Teil davon. Seite 2

Erzählungen

Damit keiner merken soll, dass sie im Grunde vor lauter Narzißmus

selbst an die Macht wollen, erzählen die Verschwörungstheoretiker,

dass sie alle einen Maulkorb bekommen hätten.

Das können sie über alle Kanäle verbreiten, eben weil es keinen

Maulkorb gibt. Seite 4

Sehnsüchte, welche seid ihr?

Nach den Lockerungen der staatlich verfügten Einschränkungen liegt es nun wieder an jedem einzelnen deutschen Bürger,

seine Entscheidungen abzuwägen und dafür eine persönliche Verantwortung zu übernehmen. Schwer! Von Michael Zäh

Nach den Lockerungen der

Länder im Kampf gegen die

Corona-Pandemie taucht

nun etwas am Horizont auf. Und

das, was da von Ferne grüßt, sind

die Sehnsüchte. Denn nun sind wir

alle mehr auf das zurück geworfen,

was jeder individuell für sich, sein

Leben, seine Liebsten für richtig

hält.

Wenn in den letzten sechs bis

acht Wochen der Staat den Ton der

Verbote angegeben hat, war das in

gewisser Weise eine Entlastung

der Verantwortung des Einzelnen.

Wir konnten uns über die restriktiven

Maßnahmen von „denen da

oben“ aufregen, oder wir konnten

diese Beschränkungen als noch zu

wenig kritisieren. Sowieso hatten

alle erst einmal damit zu tun, die

bis dahin unvorstellbaren Veränderungen

des öffentlichen und

privaten Lebens zu begreifen. Und

es war in dieser Zeit fast egal, was

man für richtig oder falsch hielt.

Denn Bund und Länder haben es ja

schlicht befohlen.

Nun aber, nach diversen und

sehr sichtbaren Lockerungen – um

dies zu sehen, musste man nur

mal durch die Innenstädte mit

den fast überall geöffneten Cafés

flanieren – nun also muss jeder für

sich selbst entscheiden, wie weit er

gehen will.

Wo sind die Sehnsuchtsorte

und wenn, welche sind es mir wert,

ein Risiko einzugehen? Man darf

ja jetzt wieder verreisen, so nach

und nach. Da könnte die Sehnsucht

groß sein, gerade wegen des Schreckens

der letzten Wochen, sich

zurück in die paradiesische Welt

eines Urlaubs zu beamen. Man

könnte doch da hin, wo man in den

letzten Jahren schon ein paar Mal

war, quasi

ein sanftes

Abtauchen in die

Entspannung.

Und jetzt kommt

das Neue: Die Sehnsucht

muss sich einer

nach Sigmund Freud, dem

Erfinder der Psychoanalyse,

trefflich genannten „Realitätsprüfung“

stellen, und zwar nicht

von „da oben“ vorgegeben, sondern

vom jedem Einzelnen

selbst zu treffen.

Denn die Bedrohung

durch das Corona-Virus

ist nicht weg, nur

weil die Beschränkungen

gelockert wurden. Die meisten

von uns haben begriffen, dass

dieses Problem auch weiter besteht

und wir uns mit den eigenen

Entscheidungen nicht mehr hinter

einer staatlichen Verordnung

verstecken können. Nun ja, nach

Umfragen haben sich jetzt bereits

55 Prozent aller Deutschen dafür

entschieden, in diesem Jahr gar

nicht zu verreisen.

Dies ist auch ein Beispiel dafür,

dass der Mensch Sehnsuchtsorte in

eine neue Wirklichkeit einordnen

kann. Wäre es wirklich so toll, an

die Costa del Sol (Spanien öffnet

ja auch frühestens ab Juli für

Touristen), an den Gardasee oder

nach Nizza zu reisen? Nicht nur,

dass überall mit Masken zu rechnen

wäre und das Shoppen eher

einer Hygiene-Tortur gleichen

könnte, sondern schon gleich am

Anfang jeder

Reise die Behörden

der anderen

Länder mit jedweder

Art von Kontrolle nun

nicht gerade einen Willkommensgruß

senden würden. Motto:

Was wollt ihr hier, und wenn,

wieviele seid ihr?

Ohnehin ist bereits eine ganz

andere Realität in das Leben von

uns eingebrochen. Wer will eine

Reise planen, wenn er nicht

weiß, wo die Reise in seinem Job

hingeht? Es sind Millionen Jobs

in Gefahr, vieles bleibt ungewiss.

Deswegen kauft auch fast keiner

derzeit ein neues Auto. Der Konsum

muss warten, vielleicht weil er

derzeit auch nicht die Sehnsüchte

der Leute bedienen kann. Konsum

ist ein Luxus, den sich derzeit

viele Menschen ersparen. Dazu

hat man in früheren Krisen wohl

„hamstern“ gesagt.

Es gilt umgekehrt ganz andere

Entscheidungen zu treffen: Wenn

dir nach dem Lockdown wieder

die Möglichkeit angeboten wird,

deinen Job erneut zu machen, aber

eben in Kontakt zu vielen Mitmenschen,

zum Beispiel Kindern – was

machst du dann? Was ist, wenn du

außerdem eine hochbetagte Mutter

hast, die dich braucht?

Dieses und millionenfach mehr

sind nun die Entscheidungen, die

der jeweils Einzelne zu treffen

hat. Die Angst und die Sorge vor

dem Virus sind nicht weg. Aber

nun gar nix mehr tun, das geht

auch nicht. Man muss darauf

hoffen, dass die Vernunft

und die Furcht bei

möglichst vielen Menschen

dafür sorgen,

dass es vorwärts

geht, ohne dem

Corona-Virus erneut

Tür und Tor

zu öffnen. Zu

begrüßen ist

auf jeden Fall,

dass dies nun

nicht mehr zuallererst

vom Staat bestimmt wird,

sondern in den Händen (und Köpfen)

der Bürger liegt.

Sehnsucht kann man

auch nach dem Training im

Fitnessstudio, nach Kino

oder Theater haben. Quasi

nach einer Welt ohne Gefahr.

Doch diese gab es nie.

HALLO ZUSAMMEN

Jeden Samstag

die ZaS Online

Liebe Leserinnen und Leser, wir

bieten Ihnen auch weiterhin,

wie nun schon seit 13 Jahren

die gedruckte ZaS an. Die

nächste davon erscheint am 30.

Mai. Wir haben die Zeit der

sogenannten „Corona-Krise“

auch genutzt, um Ihnen ein zusätzliches

Angebot machen zu

können. Wer Lust und Zeit hat,

findet auf unserer Homepage

unter

www.zas-freiburg.de

JEDEN SAMSTAG unsere

Online-Ausgabe der ZaS, also

ein paar aktuelle Essays und

News, was insgesamt ein ganz

spezielles Corona-Tagebuch

der ZaS ergibt. Diese Texte sind

für Sie immer am Samstag nur

einen Klick weit entfernt, und

zwar ebenso frisch geschrieben

und meinungsstark wie sonst

auch immer, selbstverständlich

ohne Bezahlschranke und so,

also gratis. Sagen Sie das auch

gerne weiter, denn wir freuen

uns über jeden Besucher, der

uns online liest. Natürlich gibt

es weiterhin wie gewohnt auch

die gedruckte ZaS, aber an all

den Samstagen dazwischen

jetzt eben unser neues

Angebot, sozusagen

am ZaS-Ball zu

bleiben, wenn sie

es mögen.

Michael Zäh

13


Samstag, 23. Mai 2020

2

KULTUR

GESELLSCHAFT

Samstag, 23

Ausgabe 287 am 4.

Samstag, 4. April 2020

Wo das Leben ohne

Mops Sinn macht

Ohne Publikum. Im Theater, im Kino, bei Konzerten und beim Fußball gehören die Zuschauer

dazu, möchte man meinen. Die Geisterspiele in der Bundesliga zeigen aber, dass dort die

Zuschauer nur als Gefühlskulisse gebraucht werden, um das Produkt besser zu vermarkten.

Von Michael Zäh

Wir wollen uns mal eine Frage

gönnen: Gehören Zuschauer

dazu und wenn, wozu dann?

Im Theater, im Kino, bei Konzerten,

beim Fußball? Vordergründig werden

alle sagen: Ja klar, ohne Zuschauer ist

das alles nix. Interessant wäre aber hier

gerade die Abgrenzung. Und jetzt in

den Zeiten des Ausschlusses von allen

Zuschauern auf allen Bühnen wird halt

besonders deutlich, welche Rolle die

Zuschauer in welchem Kulturbereich

einnehmen, wobei wir den Fußball jetzt

mal als ein Stück Kultur dazu nehmen.

Was ist des Wesens Kern, darf man

da ein bisschen philosophieren. Also

nehmen wir mal das Theater. Dort ist

ja von vornherein alles aufs Publikum

ausgerichtet. Denn schon das Stück

als solches, angefangen in der Antike

bis zur Moderne, ist für das Publikum

geschrieben. Die jeweilige Inszenierung

des Theaterstücks hat die Zuschauer im

Auge, die dann mit ihren Augen eben

auf dieser Inszenierung haften. Das

geht doch bis zu den Kostümen und

den Kulissen – alles für die Zuschauer

„live“, also nicht wie beim Film mit

Computeranimation getrickst. Ja, mitunter

kann der Zuschauer das exzellent

geschneiderte Kostüm als Einzelstück

erkennen, oder das Puder der tanzenden

Schauspieler riechen. Ein Theaterstück

ohne Publikum? Na ja, sagen wir es

mit Loriot: „Ein Leben ohne Mops ist

möglich, aber sinnlos!“

Nach den ersten Geisterspieltagen

in der Fußball-Bundesliga hat sich die

Frage nach dem Mops ebenfalls gestellt.

Natürlich haben sich da gleich etliche

Protagonisten beeilt, den aus den Stadien

ausgeschlossenen Zuschauern zu

versichern, dass sie eigentlich unabdingbar

für das Spiel seien. SC-Trainer

Christian Streich etwa hat sinngemäß

gesagt, dass die Zuschauer zum Spiel

dazu gehören würden „wie die Torpfosten

oder wir Trainer“. Aber auch ohne

Mops auf den Rängen sind dann Tore

gefallen.

Gehören die Zuschauer wirklich

zum Spiel selbst, oder gehören sie „nur“

zur Inszenierung des Spiels? Logo: Dem

Spiel mit dem Ball ist der Mops egal.

Hier erkennt man ja auch sofort den

Unterschied zum Theater. Dieses ist in

irgendeinem Kopf entstanden und folgt

deshalb einem eher intellektuellen, mal

auch emotionalen Skript, während der

Ball so springt wie er will. Das Spiel

selbst funktioniert mit und auch ohne

Zuschauer, wie jeder weiß, der es selbst

mal gespielt hat.

Und dies auf allen Ebenen. Auf den

verstaubten Bolzplätzen in den Elendsvierteln

dieser Welt bis zum Jugendkick

in einem Fußballverein. Es soll sogar

„Calcio-“Teams geben, die sich nur zu

dem Spaß am Spiel treffen

und auch im reiferen Alter eine echte

Attraktion für Zuschauer wären, die

freilich nicht da sind. So hat denn

auch Julian Brandt nach dem Geisterderby

von Dortmund gegen Schalke

angemerkt, dass „wir alle als Kinder ja

auch praktisch ohne Zuschauer gespielt

haben.“

Nun ja, für alle, die noch nie gekickt

haben (oder andere Ballsportarten wie

etwa Tennis ausübten): Die Faszination,

die in dem Spiel selbst liegt, ist eine der

Kontrolle (oder eben Nichtkontrolle)

dieses springlebendigen Dings, das wie

von Geisterfuß gelenkt plötzlich da ist,

wo man es ins Tor knallen kann. Im

Fußball ist das (im Unterschied zu den

Einzelsportarten wie Tennis) dann auch

noch kombiniert mit den Bewegungsmustern

der anderen Spieler, wovon

es wiederum zwei Sorten gibt, nämlich

die Gegenspieler (die ständig im Weg

stehen wollen) sowie die Mitspieler (die


Samstag, 23. Mai 2020

. Mai 2020

GESELLSCHAFT KULTUR 3

April 2020

Samstag, 4. April 2020

ständig den Ball wollen). Es ist also ein

ziemliches Durcheinander, Ball und Fuß

und Fuß zum Ball, also Fußball. Ganz

ehrlich: Zum Kern dieses Spiels gehört

der Zuschauer gar nicht dazu. Man

braucht ihn dafür nicht.

Im Unterschied zum Theater oder

auch zum Konzert, die sich beide von

vornherein als Inszenierung für das

Publikum verstehen, ist das Spiel beim

Fußball zunächst einmal sich selbst

genug. Die Inszenierung dieses Spiels

kommt sozusagen von außen dazu. Hier

folgt sie dann zwar dem allgemein üblichen

Muster, dass es eben umso mehr

Zuschauer anzieht, umso besser die

Akteure spielen (egal ob Musiker oder

Kicker), aber nun ja: diese Inszenierung

ist im Fußball das Drumherum, das halt

gleichzeitig ein Milliardengeschäft ist.

Es sind also zwei ganz unterschiedliche

Dinge: Das Spiel im

Kern als sol- ches und die

Inszenierung dieses Spiels.

Das heißt natürlich nicht, dass das

Publikum dann nicht Einfluss auf das

Spiel hätte. Das ist ja auch bei einem

Live-Auftritt eines Sängers so, wenn

er auf Zurufe des Publikums mit einem

Lächeln reagiert. Aber weil eben beim

Konzert alles sowieso auf Kommunikation

mit dem Publikumm aus ist, wirkt

das ehrlicher als beim Gedöns um den

Fußball herum. Dort kann es zwar sein,

dass es vor großer Kulisse gerne auch

mal eine bewusste Inszenierung eines

Spielers gibt (sei es bei Jubelposen wie

auch bei Schwalben im gegnerischen

Strafraum), aber das ist nur eine Reaktion

auf die Gegebenheiten, weshalb es

bei den Geisterspielen prompt weniger

solcher Inszenierungen gab. Es berührt

nicht den Kern des Kicks.

In der völlig abgedrehten

Welt des Bundeliga-Fußballs fungiert

das Publikum quasi als Teil einer noch

größeren Inszenierung. Diejenigen, die

vor Ort im Stadion sind (als sie es noch

waren) bringen Stimmung in das teure

Produkt „Profifußball“ und dies wird

dann über die Fernsehaufnahmen in

die ganze Welt gesendet. Das ist bei den

Großveranstaltungen wie Fußball-WM

und so überdeutlich: Das Spiel wie die

Zuschauer im Stadion sind beide Teil der

einen großen Inszenierung, an der dann

Milliarden Möpse verdient werden.

Deshalb fiel es jetzt ja auch so auf,

als bei den Geisterspielen der eine Teil

der Inszenierung fehlte. Das Spiel selbst

war da und als solches gut wie immer.

Die Beschallung dieses Spiels und damit

auch die Anreicherung mit Emotionen

von den Rängen jedoch fehlte. Daher

war es auch für TV-Zuschauer ein eher

schaler Genuss, also quasi die teuren

Abo-Gebühren nicht wert. Sprich:

Nicht nur mit dem guten Kick sondern

auch mit den Fans in der ersten Reihe

(die jetzt fehlten) wird Kasse gemacht.

Aus Sicht des Spiels selbst braucht

es die Zuschauer nicht. Das ist ähnlich

wie im Kino, wo der Film selbst ja vom

Publikum unberührt bleibt. Er ist dann,

wenn er es schafft, ein Kunstwerk für

sich. Das Publikum in den Kinos ist

aber halt entscheidend, um den Film am

Ende zu finanzieren.

Aus Sicht der Zuschauer sind diese

so unverzichtbar wie der Mops, weil der

Kick ohne sie zwar möglich ist (wie ja

gerade bewiesen wird), aber ohne Wert.

Doch hier genau liegt der Irrtum. Beim

Theater oder bei Konzerten, selbst im

Kino zahlt der Zuschauer die Künstler.

Beim Fußball sind es die TV-Sender, die

das Publikum hauptsächlich als

eine Gefühlskulisse brauchen.

Und hinter der Bühne wird

dann abgesahnt.


4 Corona-Tagebuch | 16. Mai 2020

Ich verschwör

dir, Alter!

Damit keiner merken soll, dass der Verschwörungstheoretiker im Grunde selbst an die

Macht will, behauptet er, dass ihm ein Maulkorb verpasst würde. Das wiederum verbreitet

er über alle Kanäle, eben weil es keinen Maulkorb gibt. Von Michael Zäh

Man muss schon dumm sein, um zu glauben, dass alle anderen

Menschen dümmer seien als man selbst. Die Krux

an Verschwörungstheorien besteht genau darin, dass

dabei immer die Verbreiter als gescheiter angenommen werden

als der ganze Rest der Menschheit. Und weil man ja soviel weiß,

was anderen völlig verborgen blieb, gibt es da dann doch noch

gefährliche Gegenspieler, nämlich jene, die man hinter der großen

Verschwörung vermutet, derzeit immer gerne Bill Gates, der Gründer

von Microsoft und daher auch Multimilliardär.

Das macht ja insofern auch Sinn, weil es nur dann Aufklärer

bezüglich der Weltverschwörung geben kann, wenn es auch eben

jene „Mächtigen“ gibt, die sich die Welt untertan machen wollen.

Sprich: Der Bill Gates ist so schlau, dass alle Menschen auf der Welt

gar nicht merken, wie er sie manipuliert. Denn die Leute sind ja alle

„Schlafschafe.“ Nur derjenige, der das blickt, ist noch schlauer als

Bill Gates, dessen Verschwörung er ja aufdeckt.

Nun ja, ab hier wird es ein bisschen kompliziert. Bisher haben

wir also Schlaui Gates (wahlweise kann das auch Putin sein) und

den Oberschlaui Verschwörungstheoretiker. Der Rest der Menschheit

blökt blöde vor sich hin. Aber nun wendet sich der Oberschlaui an

die schlafenden Schafe, um ihnen die Augen zu öffnen – oder ist

es, um ihnen die Wolle zu scheren?

Warum das? Na ja, das können sogar

Schlafschafe kapieren: Weil halt der Aufklärer

über geheime Mächte und deren

Verschwörung auch ein

bisschen Lob braucht,

quasi den Status des Erlösers,

der die ganze

Menschheit gerettet

hat, sobald

diese das einsieht.

Dann natürlich

wird der Mensch,

der die Menschheit gerettet

hat, zum gefeierten Anführer.

Praktisch: die aufgeweckten

Schlafschafe machen ihn zum

Oberschafskopf. Denn er hat ja den

Wolf im Schafspelz (also Gates oder

so) von der Weide allen Menschseins

vertrieben.

Und das ist ja nun interessant.

Erst fühlt sich einzigartig,

wer eine Meinung hat, die nicht

alle haben, praktisch: voll der Durchblicker, früher auch gerne der

Oberchecker genannt (halt meistens während der Pubertät). Man

fühlt sich dadurch besonders. Man weiß, was eigentlich passiert.

Man weiß ja mehr als alle anderen. Aber dann plötzlich will man

die Anerkennung all dieser Blinden? Man will sie führen. Man will

an die Macht. Man will quasi Bill Gates ersetzen. Merkt ja keiner.

Zwar kennt die Fantasie bei den Verschwörungserzählungen

kaum Grenzen (Merkel wurde längst durch eine Doppelgängerin

ersetzt, Trump ist der Heiland, der dagegen kämpft, dass Kinder unterirdisch

zu Tode gequält werden), aber sie hat ein Ziel: Den eigenen

Ruhm derer, die das alles erzählen.

Das Problem besteht nun darin, dass sich dieser Ruhm partout

nicht einstellen will. Denn die „Schlafschafe“ kapieren es einfach

nicht, die Medien kungeln natürlich mit den Mächtigen (weshalb,

logo, auch dieser Text natürlich nur dazu dient, die Wahrheit zu

verschleiern), und nun sind es auch noch die Ärzte (Schimpfwort:

Virologen) sowie halt die Klimaforscher, die sich alle an der

großen Verschwörung von Gates, Merkels Doppelgängerin und

Co. beteiligen. Ergo: Der geniale Aufdecker der Verschwörung

kommt einfach nicht ans Ziel. Er muss daher weiterhin seinen

Status als Außenseiter pflegen, obwohl er eigentlich das

Gegenteil will.

Damit keiner merken soll, dass der Verschwörungstheoretiker

im Grunde selbst an die Macht will, sagt er,

dass ihm ein Maulkorb verpasst würde. Wir können das

alle zur Kenntnis nehmen, eben weil er jeden Quatsch

über alle möglichen Kanäle ungehindert erzählen

darf. Die Meinungsfreiheit gilt auch hier, und das

ist gut so.

Wir glauben

nicht, dass dies

die Demokratie

gefährden kann.

Und zwar aus dem

einfachen Grund,

dass wir auch nicht

glauben, dass alle Menschen

dümmer sind als

der eine „Aufklärer“. Da

halten wir es eher mit ein

bisschen Jugendsprech-Humor:

„Ich verschwör dir,

Alter!“ Wir glauben an

den „gesunden Menschenverstand“.


Corona-Tagebuch | 9. Mai 2020 5

Der Mann,

der die Maus war

Bund und Länder haben einige Lockerungen beschlossen. Die Hauptbotschaft aber ist,

dass jetzt die Ministerpräsidenten der Länder bestimmen, was wo geschieht. Und Winfried

Kretschmann hat da eine spezielle Ampel-Idee. Von Michael Zäh

Ein Mann denkt, er sei eine Maus. Er kann nicht mehr aus dem

Haus, weil er immer in Panik verfällt, wenn er eine Katze

sieht. Nach langer Behandlung entlässt ihn sein Psychiater

als geheilt: „Sie wissen jetzt, dass sie keine Maus sind!“ „Ja Herr,

Doktor, das weiß ich jetzt. Aber sagen Sie – weiß es die Katze auch?“

Dieser uralte Witz bekommt derzeit eine Neuerung. Wenn es

nach dem Landesvater Winfried Kretschmann geht, soll es ja bald

eine Art Corona-Ampel geben. Das hat er dann auch ausführlich

erklärt: Rot ist das Ampelzeichen etwa bei Großveranstaltungen,

gelb bei den Gastrobetrieben und grün beim Golfen im Freien. Aber

sagen Sie mal, Herr Kretschmann – weiß es das Corona-Virus auch?

Die Ampel ist ja rührend und vorsorglich gemeint. Aber jetzt mal

ehrlich: Wenn es staatlich quasi mit offiziellem Grün gekennzeichnet

ist, wo es angeblich keine Gefahr gibt, wer haftet dann dafür, wenn

es genau dort doch zu einer Ansteckung kommt? Der Corona-Teufel

kann im Detail stecken, sagen wir im Partner beim Golfen.

Und umgekehrt wird es noch schlimmer. Wenn nämlich die

Kretschmann-Ampel, die da vor dem Biergarten steht, plötzlich

von Gelb auf Rot springt, weil so hat es der Landesvater ja erklärt,

dass dies quasi der Sinn von Gelb ist, sowohl auf Grün wie auch auf

Rot springen zu können – heißt das dann, dass Kretschmann eine

Ampel-Koalition anstrebt?

Nun gut, uns entgeht nicht das Fürsorgliche, das der Landesvater

in Baden-Württemberg uns allen zukommen lassen will. Es soll eine

Orietierung sein, für alle, die noch nicht kapiert haben, dass es bei

Großveranstaltungen riskanter ist als zu Hause hinterm Herd.

Die Kretschmann-Ampel lässt sich auch gut mit der Idee

von Jens Spahn kombinieren, der einen Immunitätsausweis

für die Bevölkerung einführen wollte. Und das geht so:

Wer von Corona geheilt ist, hat auf seinem Handy

den Ausweis seiner Immunität gespeichert, quasi

Freibrief! Der darf dann halt mehr machen

als jene bedauernswerten Mitbürger, die Corona noch nicht hatten.

Die Kretschmann-Ampel ist natürlich digital top ausgestattet und

erkennt den Immunen sogleich. Die Ampel springt auf Grün, wo

andere nur rot sehen.

Wir stellen uns die Weiterungen dieser Idee geradezu lässig

vor: Die Profi-Fußballer aller Bundesligisten legen sich gemeinsam

mit nachweislich infizierten Fans gemeinsam ins Entmüdungsbecken.

Bald darauf sind alle Kicker der Liga immun (oder tot) und

man kann auf den ganzen Quatsch mit den Tests und der Hygiene

verzichten und die Spiele durchführen. Das spart Zeit und Geld.

Und na ja, weil die Fans ja auch nicht blöd sind, bestellen jetzt alle

garantiert infizierte Schals im Internet (die Nachfrage macht das

Angebot möglich), um alsbald mit dem Immunitätsausweis an den

Stadiontoren zu stehen.

Okay, Spahn hat seine Idee erstmal auf Eis gelegt und in der

Schalte zwischen den Ministerpräsidenten und Kanzlerin Merkel

wurde eine ganze Reihe von „Lockerungen“ beschlossen. Die Bundesliga

kickt wieder (siehe Seite 16), alle Geschäfte dürfen öffnen,

und auch das Gastro-Gewerbe im Laufe des Mai. Die Hauptbotschaft

war aber, dass es nun erstmal Schluss ist mit den wöchentlichen,

mühsamen Schalt-Konferenzen zwischen Bund und Ländern.

Sprich: Kretschmann und Co. machen es in ihrem Land jeweils so,

wie sie meinen und müssen dafür auch die Verantwortung tragen.

Also: Grüne Ampel für die regionalen Fürsten. Rot hingegen für

Merkels bremsende Strategie.

Natürlich wäre Merkel nicht sie selbst, wenn sie das nicht auch

gut verkaufen könnte: „Wir haben die allererste Phase der Pandemie

hinter uns“, sagte sie. Die Zahlen seien erfreulich, dank der

Bürger, die sich an die Einschränkungen gehalten haben.

Und ein bisschen sind wir wie der Mann, der mal

eine Maus war. Gerne wollen wir wieder raus, wenn da

nur nicht die Corona-Katze wäre.


Samstag, 23. Mai 2020

6

GESELLSCHAFT

DEUTSCHLAND

Corona-Tagebuc

Samstag, 23

Ausgabe 287 am 4.

Geht die Angst weg,

kommt der Trotz

Samstag, 4. April 2020

Präventionsparadox. Es ist ein altbekanntes Phänomen, dass die Vorsorge keinen Preis dafür

gewinnt, wenn sie die Gefahr ausgebremst hat. Doch man sollte den gemeinsam erreichten

Erfolg in sechs entbehrungsreichen Wochen wie Gold behandeln, das man in Händen hält.

Von Michael Zäh

Die Sehnsucht der Menschen,

dass der böse Corona-Spuk

vorbei sein möge, nimmt in

selbem Maße zu, wie die Angst vor

einer Ansteckung abnimmt. Als Ende

März das gesamte gesellschaftliche,

soziale und wirtschaftliche Leben in

Deutschland rapide runtergefahren

wurde, stand auf der anderen Seite ein

fieser Feind, vor dem die Angst groß

war. Man sah damals Horrobilder von

schwerkranken Menschen, die auf

den Fluren der Krankenhäuser ihrem

Schicksal überlassen wurden, weil

die Ärzte nicht mehr mit ihrer Hilfe

nachkamen. Das war in Bergamo, in

Italien. So nah, so gefährlich.

Die Gesellschaft trug daher die

Maßnahmen von Bund und Ländern

mit, natürlich mit ungleich großen

Opfern je nach Gesellschaftsschicht,

wirtschaftlicher Lage, Beruf, Anzahl

der Kinder und vielem mehr. Aber alle

waren verbunden, zumindest in überwältigender

Mehrheit, duch die Angst

vor dem neuartigen Corona-Virus.

Nach sechs Wochen der Disziplin,

der enormen Einschränkung und der

Vernunft sind die großen Schrecken

in Deutschland ausgeblieben. Und die

Infektionszahlen haben sich in dieser

Zeit auf ein niedriges erfreuliches

Niveau gesenkt. Ebenfalls hat sich

die Präsentation der Zahlen geändert.

Während anfangs nur Infektionen

und Verstorbene geschildert wurden,

bieten neuere Darstellungen einen

Dreiklang: Infizierte/ Genesene/ Verstorbene.

Manche Grafiken (wie die

hier abgebildete vom zuständigen

Landratsamt für Freiburg und den

Herausgeber: Michael Zäh und Christopher Kunz

Verlag: Zeitung am Samstag Verlags GmbH, Benzstraße 22, 79232 March.

Tel. 07665/93458-0, Fax -286, e-mail: info@zas-freiburg.de

Geschäftsführer: Christopher Kunz, Rüdiger van der Vliet

Chefredakteur: Michael Zäh (visdp),

Tel.: 0170 / 739 17 87, m.zaeh@zas-freiburg.de

Grafik, Layout & Herstellung:

Viktor Lukanow, @vidocesc;

IMPRESSUM

Anzeigen und Verkauf:

Michael Metzger (Verkaufsleitung),

Tel. 07641 / 967 50 20, anzeigen@zas-freiburg.de

Kreis Breisgau-Hochschwarzwald)

stellen nur noch Infizierte und

Genese dar. Tote sind nicht mehr

verzeichnet. Als hätte es sie gar

nicht gegeben.

So ist es kein Wunder, dass

jetzt das zu erwartende Paradox

in den Köpfen und den Reden

Einzug hält: Der gemeinsam

unter großen Mühen erzielte Erfolg

wird nun zur Basis der

Behauptungen, dass ja wohl

die gesamte Virus-Bedrohung

so groß ja gar nicht gewesen

sein kann. Anstelle der Angst, die

zuvor zu viel Solidarität in der Gesellschaft

führte, kommt nun oftmals

Wut, Trotz und Frust zum Vorschein.

Es ist ein altbekanntes Phänomen,

dass Vorsorge im Nachhinein keinen

Preis gewinnt, weil eben ihr Wirken

in dem Moment nicht mehr zu sehen

ist, in dem sie die Gefahr ausgebremst

hat. Niemand kann dann mehr beweisen,

dass es ohne die getroffene

Vorsorge viel schlimmer gekommen

wäre. Sprich: Wenn die Vorsorge

erfolgreich war, hat sie sich selbst

diskreditiert.

Doch das ist nur ein Zwischenstand.

Wenn nämlich das Wirken

der Vorsorge plötzlich nicht mehr

anerkannt wird, dann führt das

dazu, dass sie nicht mehr praktiziert

wird. Und dies wiederum

führt dann dazu, dass eben

jene Gefahr real wird, von

der man sich zuvor schon

befreit geglaubt hatte und

die man deshalb als doch

nicht allzu groß einstufte.

Neuenburg am Rhein

51/44

Auggen

19/19

Vogtsburg im Kaiserstuhl

42/41

Breisach am Rhein

137/122

Hartheim am Rhein

14/14

Eschbach

8/6

Buggingen

15/14

Müllheim

117/104

Ihringen

26/26

Heitersheim

Merdingen

7/7

Bad Krozingen

119/107

5*/5*

10/18

27/26

5*/5*

24/22

14/14 25/21

29/26

Bötzingen

Eichstetten

Gottenheim

Ballrechten-Dottingen

Badenweiler

Sulzburg

8/6

Schallstadt

Umkirch

32/30

12/12

29/29

March

Freiburg im, Breisgau

967/881

8/8

14/14

15/15

14/14 9/9

Wittnau

5*/5* Horben

12/9

Sölden 5*/5*

11/10

Pfaffenweiler

Ehrenkirchen

Staufen im Breisgau

Ebringen

Merzhausen

Bollschweil

Au

Münstertal/ Schwarzwald


Samstag, 23. Mai 2020

h . Mai | 16. 2020Mai 2020

DEUTSCHLAND GESELLSCHAFT 7

April 2020

Samstag, 4. April 2020

Heuweiler

5*/5*

Gundelfingen

38/35

Im Falle des Corona-Virus lässt

sich dieser Prozess bereits erahnen.

Nachdem die Vorsorge und Vernunft

zu weniger Infektionszahlen führten,

geht es jetzt einigen Leuten gar nicht

schnell genug, alles auf den Kopf zu

stellen. Dabei sind ja bereits etliche

Lockerungen verkündet worden und

werden weitere folgen, wenn eben die

ganz großen Ausbrüche neuer Infektionen

ausbleiben. Gemesssen an den

letzten sechs Wochen völligen Stillstandes

wäre es jetzt ja vernünftig,

Schritt für Schritt und mit Umsicht

dem gesellschaftlichen, sozialen und

Glottertal

11/10

Stegen

8/7

Kirchzarten

23/22

Buchenbach

5*/5*

wirtschaftlichebn Leben wieder zu

seinem Recht zu verhelfen. Ja, es

wäre sozusagen der Lohn aller Mühen

und Verzichte, jetzt den gemeinsam

erzielten Erfolg auch in der Phase

der Neueröffnung des Landes in eben

jener Solidarität zu stemmen wie in

den Wochen der Angst zuvor.

Was dabei aber gar nicht hilft,

sind nun übereilte Vorwürfe, die aus

einem in sechs Wochen aufgestauten

Frust heraus erhoben werden. Es wird

noch Zeit genug sein, in aller Ruhe

über mögliche Fehler in der Politik

zu diskutieren. Wer aber meint, dass

er dies ausgerechnet jetzt

auf den sogenannten

„Hygiene-Demos“ tun

muss, möglichst in

Sankt Peter

5*/5*

Sankt Märgen

6/6

Missachtung alle jener Hygiene-Regeln,

die dem Land in den letzten Wochen

gut getan haben, der wird wohl

eher das Gegenteil dessen bewirken,

was er forderte.

Wenn aufgrund solcher doofen

Übergriffe in den kommenden Tagen

und Wochen nun unkontrollierbare

Hotspots von Corona-Infektionen um

sich greifen, quasi Ischgl hoch zehn,

nach Demos in Stuttgart, Berlin,

München und anderswo, dann würde

das alle Mühen und Kosten der letzten

sechs Wochen konterkarieren. Es

würde sich dann zwar zeigen, dass all

jene Besserwisser Unrecht haben, die

die Corona-Gefahr für klein halten.

Doch ausbaden müssten es dann alle

anderen. Das ist nicht akzeptabel.

Es ist doch wahrhaft ein schönes

Gefühl, auf einer Grafik die durch

gemeinsame Anstrengungen derzeit

erreichten Erfolge zu sehen. Anstatt

dem ollen Präventionsparadox zu

unterliegen und sich geschwurbelte

Eisenbach (Hochschwarzwald)

5*/5*

Gedanken darüber zu machen, dass

es aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen

Opfer doch gar nicht bedurft

hätte, könnte man diesen Erfolg

auch wie Gold behandeln, das man in

Händen hält.

Gerade weil zahlenmäßig eine

gewisse Entwarnung nun stattfindet,

sollte man umso behutsamer auf die

nächsten Schritte achten. Denn die

schwierigste Übung beginnt jetzt

erst: Statt den Verboten und den

Beschränkungen (die ja jetzt schrittweise

aufgehoben werden) muss man

jetzt der eigenen Vernunft folgen.

Um den Erfolg zu retten, der in den

letzten entbehrungsreichen Wochen

erkämpft wurde, muss jetzt eine mündige

Solidarität her.

Und die besteht darin, natürlich

wieder etwas zu wagen, mit weniger

Angst als zuvor, aber mit umso mehr

Vorsicht. Dann könnte der derzeitige

Zwischenerfolg in den nachhaltigen

Triumph verwandelt werden.

Oberried

13/13

Breitnau

5*/5*

Titisee-Neustadt

54/46

Friedenweiler

16/14

Hinterzarten

5*/5*

Löffingen

9/0

Feldberg (Schwarzwald)

5*/5 *

Lenzkirch

60/53

Schluchsee

7/6

5*: Diese Zahl kann 0 bis 5 Fälle umfassen.

Fallzahlen unter 5 werden nicht detailliert

ausgewiesen, damit eine Nachverfolgung

auf Einzelpersonen ausgeschlossen werden

kann.

Als geheilt gelten Personen, deren Meldung

bis zum 30.04.2020 aufgenommen

wurde.

STAND: 14.05.2020, 07:30 UHR


Samstag, 9. Mai 2020

8

GESELLSCHAFT

DEUTSCHLAND

Corona-Tagebuc

Samstag, 9.

Ausgabe 288 am 9

Samstag, 9. Mai 2020

Wenn die Zeit reif ist

für „ein Stück Mut“

Öffnungsdiskussionsorgien. Nach den ersten zaghaften Lockerungen von Bund und Ländern knirschte es immer lauter.

Denn plötzlich waren die Vergleiche da: Warum dürfen wir nicht, was andere dürfen? Angela Merkel wollte „Kritik und

Widerspruch“. Nun überlässt die Kanzlerin weitgehend den Ländern die neuen Lockerungen. Von Michael Zäh

Der Faktor Zeit ist in vielerlei

Hinsicht ungleich. Es kann

um die Zeit gehen, die Geld

sei, oder um die Zeit, die verschwendet

wird. Es kann um Lebenszeit gehen.

Und „mit der Zeit“ zeigt sich manches,

das anfangs noch verborgen blieb.

Manche meinen ja, dass die Zeit

alle Wunden heile. Das könnte man

auch zynisch verstehen. Andere sagen,

dass sich der Mensch an alles gewöhnt,

also wenn es nur lang genug so

ist, wie es ist. Und es kann ja stimmen,

dass es eine Zeit vor Corona sowie eine

Zeit nach Corona gegeben haben wird.

Im Hier und heute geht es aber um

die Zeit mit Corona. Hier heilen die

Wunden nicht, sondern werden Tag

für Tag größer: In der Gesellschaft, in

der Wirtschaft, in der Kultur, im Sport,

ja überhaupt in allem, was Menschen

in dieser Corona-Zeit durchmachen.

Der Schaden, der momentan für viele

Menschen angerichtet wird, häuft

sich ins Unermessliche. Und das wird

mit der Zeit nicht besser werden,

sondern immer schwerer zu

ertragen.

Die Zeit drängt. Das tut sie ja

immer, aber derzeit umso mehr. Denn

die Menschen in Deutschland (auch

in Europa und der Welt) werden sich

nicht daran gewöhnen können, dass

sie eingesperrt werden. Nicht auf

unbestimmte Zeit. Und wenn alles

von der Verbreitung des Corona-Virus

abhängt, ist die Zeit eben unbestimmt.

Die Menschen werden es mit jedem

Tag, den es länger andauert, umso

weniger akzeptieren können, dass sie

sich nicht mit Verwandten, Freunden,

auch in größeren Gruppen treffen

dürfen. Denn zum Menschsein gehört

es dazu, unter Menschen zu sein. Ja

sogar, auch wenn dies heute wie ein

aussätziger Satz klingt, gehört zum

Menschsein dazu, dass sich Menschen

umarmen, zusammen tanzen und

schunkeln. Körperliche Kontakte, um

es krass zu sagen, fördern ja nunmal

den Fortbestand der Menschheit.

Es mag sein, dass es derzeit nicht

die Zeit ist, dies zu erwähnen. So hat

Angela Merkel am 23. April in ihrer

Regierungserklärung zwar erneut um

größtmögliche Geduld gebeten, aber


Samstag, 9. Mai 2020

h Mai | 2020 9. Mai 2020

DEUTSCHLAND GESELLSCHAFT 9

. Mai 2020

Samstag, 9. Mai 2020

auch gesagt: „Diese Pandemie ist eine

demokratische Zumutung.“ Und eine

solche Situation sei „nur akzeptabel

und erträglich, wenn die Gründe für

die Einschränkungen transparent und

nachvollziehbar sind, wenn Kritik

und Widerspruch nicht nur erlaubt,

sondern eingefordert und angehört

werden, wechselseitig“.

Okay, das war keine Botschaft an

die Ministerpräsidenten des Landes,

denen Kanzlerin Merkel tags zuvor

ja noch „Öffnungsdiskussionsorgien“

vorgeworfen hat (wobei man gerne

wüsste, ob für Merkel die Orgien

schon dort beginnen, wo andere sich

nur mal gerne die Speisekarte bringen

lassen würden). Nein, Merkel meinte

wohl das Volk, und zwar „im Großen

und Ganzen.“

Tja, und tatsächlich knirschte es

immer lauter, nachdem erste eher

zaghafte Lockerungen von Bund und

Ländern eingeführt wurden. Denn

plötzlich waren Vergleiche da. Und

die Frage: Warum dürfen wir nicht,

was andere dürfen? Warum durften

zunächst Gläubige wegen der

Corona-Krise nicht in die Kirche,

aber nebenan standen die Leute am

Baumarkt an? Das war nunmal keine

unberechtigte Frage, da man bei einem

durchschnittlichen Gottesdienst in

einer gottgewollt groß gebauten Kirche

das Abstandsgebot leichter umsetzen

kann als dies beim Friseur um die

Ecke möglich ist. Heißt dies dann, dass

Frisur systemrelevant ist, der Gottesglaube

aber nicht? Nun ja, weil das mit

der Zeit drängender wurde, gab es nun

auch Lockerungen für Gläubige.

Und wieso durfte der Laden mit

bis zu 800 Quadratmeter wieder öffnen,

aber der mit 801 Quadratmetern

sollte dicht bleiben? Mit Beschluss

vom 6. Mai haben Bund und Länder

dies nun geändert: Alle Geschäfte

dürfen wieder öffnen. War es wirklich

gerechtfertigt, dass Kitas noch

Monate geschlossen bleiben sollten,

während ältere Kinder in die Schule

zurückkehren dürfen? Die neuen

Lockerungen sehen nun vor, dass die

Notbetreuung in den Kitas ausgebaut

wird. Und stimmte es wirklich, dass

die Gastronomie potenziell ansteckender

ist als der Blumenladen, der

(zum Glück!) wieder öffnen durfte?

Da gab es doch kreative Bemühungen

in Kneipen und Restaurants, um dann

alle Leute hinter Plexiglas-Scheiben

quasi in durchsichtige Separees zu

schicken. (Man wäre ja neugierig,

welche Orgien sich dahinter abhalten

ließen, also ungefähr das, was man

früher Unterhaltung nannte.) Die Zeit

hat Druck gemacht und deshalb haben

nun einige Bundesländer erlaubt, dass

auch die Gastronomie wieder öffnen

kann.

Es gibt noch viele Bereiche, die

man sozusagen „umgedeutet“ hatte:

Kontaktsperren für Jugendliche sind

eigentlich eine Zumutung, aber wegen

Corona sind es nun die Jugendlichen,

die angeblich die Zumutung für die

Gesellschaft darstellen, weil sie sich

gerne treffen wollen. Vereinsamte

Menschen sind derzeit völlig isoliert,

viele sehr alte Menschen sterben in

Pflegeheimen ohne den Beistand und

die Anwesenheit ihrer Nächsten. Ja

und Millionen Menschen fürchten um

ihren Job und ihre Existenzgrundlage.

Das alles hat mit der Zeit viel

Druck aufgebaut. Viele Fragen wurden

drängender, weil sie nicht dadurch

schon beantwortet sind, dass die Corona-Pandemie

es bestimme. Kanzlerin

Merkel fand noch am 23. April die

Lockerungen in manchen Bundesländern

„zu forsch“. Sie befürchtete, dass

dadurch die bis dahin erzielten Erfolge

im Kampf gegen die Ausbreitung des

Virus in Deutschland schnell zunichte

gemacht werden könnten. Das kaufte

man ihr auch ab.

Doch ihr Credo, dass „Kritik und

Widerspruch nicht nur erlaubt“ seien,

„sondern eingefordert und angehört

werden“ sollen, umfasst eben auch

andere Fragen als jene der Verbreitung

des Virus. Merkel weiß auch das. Nun

gibt sie nach und übertrug am 6. Mai

die Verantwortung weitgehend an die

Länder und deren Minister. Merkel

sagte: „Wir können uns ein Stück Mut

leisten.“

Es war höchste Zeit, dass eine

grundsätzliche Entscheidung kommt.

Und diese Entscheidung betrifft die Zeit

und was man daraus machen will. Denn

es zeichneten sich zwei Varianten ab, im

Kampf gegen Corona. Entweder jetzt,

noch am Anfang der Pandemie länger

strikte Regeln einhalten, um danach

wieder voll öffnen zu können, oder in

ständigen Wellen zwischen Lockerungen

und Lockdowns zu leben, die sich

nach der Corona-Verbreitung richten

werden. Die Beschlüsse für „ein Stück

Mut“ sind die zweite Variante, mit einem

„Notfallmechanismus“, also der Zahl an

Neuinfektionen, die dann wieder alle

Beschränkungen aktiviert.

Die Zeit war wohl reif für „ein

Stück Mut“, weil aktuell der Verlauf

der Pandemie es hergab. Nun tastet

sich Deutschland voran, mit unterschiedlichen

Lockerungs-Szenarien in

den Ländern. Angela Merkel zieht sich

aus der Debatte zurück, ohne Orgie.

Illustrationen: Viktor Lukanow


10

Corona-Tagebuch | 9. Mai 2020

Quasi tröpfchenweise

Anhand der Mundschutzpflicht wird deutlich, dass die Politiker viel Vertrauen verlieren.

Sie spielen sich auf wie autoritäre Eltern von dazumal, halten aber keine klare Linie ein.

Das machen wir Kinderlein nicht lange mit. Von Michael Zäh

Jetzt aber. Es gibt ja das gute alte „Wer nicht hören kann,

muss fühlen.“ Das war so gemeint: Erst sage ich dem

Kind, was es zu tun hat, und wenn es darauf nicht hört,

dann gibt es Schläge. Sprich: autoritäres Erziehungsprinzip.

Und natürlich sagen uns Eltern oder Großeltern von früher:

„Hat doch wohl keinem geschadet!“

Winfried Kretschmann ist ja auch schon etwas älter, aber

bisher wussten wir nicht, dass er deshalb Anhänger der autoritären

Pädagogik von früher ist. Nun ja, außer dass die Grünen

immer ein bisschen dazu neigen, das Volk erziehen zu wollen,

siehe Veggi Day und so, und es zum grünen Aberglauben zu

gehören scheint, dass Deutschland mit einer gewissen Schärfe

erzogen werden müsse. Nur zum Besten aller natürlich.

Nun hat Kretschmann also auch für Baden-Württemberg

die Pflicht zum Tragen einer ordinären Mund-Nasen-Maske

ab Montag, 27. April in bestimmten Situationen eingeführt.

Okay, das machten dann ja alle Länder. Aber Kretschmann

hat dafür als Begründung gesagt: Man habe festgestellt,

dass sich zu wenige Menschen an die an die bislang geltende

„dringende Empfehlung“ zum Tragen von Masken halten.

Genausogut hätte er sagen können: Das dusselige Volk hat

nicht gehört, und nun muss es halt den harten Stoff der staatlichen

Verpflichtung fühlen. Ja, sind wir denn wieder in den

Kinderstuben von dazumal gelandet?

Das Thema der Masken ist auch ganz generell dazu geeignet,

sehr viel Vertrauen in die handelnden Personen der

Politik zu verlieren. Denn dieses Thema führt vor, dass den

Bürgern die Wahrheit nur in Häppchen, quasi tröpfchenweise

präsentiert wird. Zuerst hieß es, dass das Tragen der

einfachen Masken nix bringt, sondern kontraproduktiv sein

könnte, wahrscheinlich weil es einen riesigen Maskenmangel

gab und die Regierung dies „heimlich“ höher bewertete als

den sachlichen Nutzen, den Masken durchaus doch

bringen könnten. Also: Die Bürger nicht völlig

transparent informiert, sondern für Dummerchen

verkauft. Damit die nicht lauter Masken wie Klopapier

hamstern. So steuert man Bürger als seien sie unmündig, sprich:

Ohne Mundschutz.

Inzwischen ist klar, dass die einfachen Masken zwar keinesfalls

vor einer Ansteckung schützen, aber umgekehrt die

Infizierten (die das ja oft nicht wissen) ihre Mitmenschen vor

einer Übertragung des Virus durch die Tröpfchenübertragung

bewahren können. Sprich: Niesen, Husten, aber auch Sprechen

verbreiten durch die Masken womöglich nicht so schnell die

Tröpfchen in der Luft. Und das ist immerhin nicht nichts.

Wie immer macht es am Ende die Summe: Wenn nahezu alle

Leute ihre (meist selbstgenähten) Masken tragen, dann hat

dies statistisch durchaus eine Relevanz, weil jede dadurch verhinderte

Ansteckung natürlich wieder weitere Ansteckungen

verhindert. Damit aus Tröpfchen kein Tröpfchensturm wird.

Warum aber wurde das nicht von Anfang an klar kommuniziert?

Gibt es vielleicht doch neue wissenschaftliche

Erkenntnisse, dass das Corona-Virus nicht nur bei Husten

und Schniefen in groben Tropfen, sondern auch beim ganz

normalen Sprechen, sozusagen wie Feinstaub (ja, das war

vor Corona auch mal ein Thema, sprich: Lungenschutz) das

jeweilige Gegenüber befallen kann? Keiner der Politiker sagt

dies klar. Dabei wäre doch jede Form der Aufklärung besser

als die besserwisserische „Wer nicht hören kann“-Variante.

Auffällig und somit auch sehr unglaubwürdig wird beim

Thema Masken, dass heute nicht mehr gilt, was gestern Sachstand

war. Angeblich soll ja die Maskenpficht laut Kretschmann

so lange bestehen bleiben, bis ein Impfstoff gegen das

Corona-Virus zur Verfügung steht. Okay, nur mal so gefragt:

Heißt das, dass die Gastronomie nur mit Mundschutz öffnen

kann, was ein bisschen hinderlich beim Essen und Trinken

sein könnte? Vielleicht steht die Maske ja auch für eine

politische Maskerade. Quasi das psychologische

Prinzip in Sachen Erziehung: Wer nicht hören

kann, muss in sich gehen.


Corona-Tagebuch | 9. Mai 2020

11

Krise, Krieg,

Katastrophe

Die Begriffe, die in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gerne verwendet werden,

offenbaren schon die Unsicherheit. Da ist eine Unschärfe, die davon abhalten soll,

das wahre Ausmaß der Katastrophe ins Auge zu fassen. Von Michael Zäh

Das Wort „Krise“ impliziert, dass es vorbei gehen könnte.

Man spürt dem Wort an, dass eine Dringlichkeit darin

liegt, und dass es Unsicherheit darüber gibt, wie der richtige

Weg aus der Krise denn aussehen soll. Denn im Grunde ist

die „Krise“ erst im Rückblick als eine solche zu bezeichnen, wenn

es nämlich einen Ausweg gab. Wenn es keinen gab, wurde die

Krise nicht überwunden sondern endete in einer „Katastrophe“.

Insofern ist es vielsagend, dass von der Corona-Pandemie

als der „Corona-Krise“ gesprochen wird. Denn das Wort ist

einerseits geeignet, Hoffnung zu machen, eben darauf, dass es

vorbei gehen wird. Doch es offenbart sich darin auch jedwede

Unsicherheit, weil „Corona-Krise“ sehr unbestimmt bleibt. Was

meint der Begriff eigentlich? Meint er die gesundheitliche Krise

der einzelnen Menschen, die von dem Virus krank wurden?

Meint er die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Folgen, die

nicht direkt durch das Corona-Virus entstehen, sondern durch

die Maßnahmen, die dagegen ergriffen werden (müssen)? Meint

er die Angst der Leute ? Oder meint er alles gleichermaßen?

In seiner Unschärfe scheint der Begriff der „Corona-Krise“

alle zu vereinen. Quasi: Zusammenhalt zur Überwindung der

Krise. Doch ein unscharfer Begriff bringt nunmal keine scharfen

Einblicke. Da ist das Los desjenigen, der sich jahrzehntelang

etwas aufgebaut hat (sei es eine Kneipe oder sonst was) und nun

vielleicht alles verliert, weil der Staat ihm die Bude zuschließt.

Und da ist derjenige, dessen Leben noch gerettet werden konnte,

weil es noch ein Bett mit Beatmungsgerät für ihn gab, und zwar

eben weil der Staat durch herbe Einschnitte in das Recht des

Einzelnen dafür gesorgt hat, dass die Ausbreitung des Virus so

verlangsamt wurde, dass das Gesundheitssystem in Deutschland

(bisher) nicht zusammen brach.

Dies alles und millionenfach noch weitere persönliche

Umstände sind derzeit unter dem Begriff der „Corona-Krise“

miteinander verbunden. Wenn man denn „Krise“ als einen

entscheidenden Wendepunkt versteht, der dann zum Besseren

führt, dann geht es eine Weile gut, weil na klar: die Hoffnung

stirbt zuletzt. Wenn aber später unzählige wirtschaftliche,

existenzielle oder psychische Krisen nicht mehr überwunden

werden konnten, sondern zu lauter persönlichen Katastrophen

führten, wird der Sammelbegriff „Corona-Krise“ millionenfach

auseinander fallen.

Zwischenzeitlich wurde ja auch gerne mal der Begriff

„Krieg“ gebraucht, von Macron in Frankreich und Trump in den

USA, in dem man sich gegen das Virus befinde. Was soll uns das

sagen? Da man ein Virus nicht erschießen, nicht wegsprengen

und auch nicht einschüchtern kann (von wegen psychologische

Kriegsführung), bleibt eigentlich nur der dem Begriff „Krieg“

implizite Gedanke der „Mobilisierung“ übrig. Dies wiederum

ist aber nur eine Steigerung der Unschärfe, die schon im Begriff

„Krise“ steckt. Wenn im „Krieg“ gegen das Corona-Virus alle

Kräfte (also Leute) mobilisiert werden sollen, dann soll das ebenfalls

auf den Zusammenhalt abzielen. Da werden aber natürlich

persönliche Unterschiede der jeweils Betroffenen weggewischt,

in diesem Falle ist sogar der Begriff des „Opfers“ mit integriert,

welche im Krieg ja Einzelne zu erbringen haben.

Wenn Begriffe wie „Krise“ und „Krieg“ einen Zusammenhalt

in der Gesellschaft herstellen sollen, dann sind es andere,

negierende Begriffe, die noch deutlicher werden. So sagte etwa

Markus Söder kürzlich, dass es sich beim Corona-Virus „NICHT

um ein Gewitter“ handele. Damit nahm er folglich der „Krise“

das Optimistische, dass es bald vorbei sein könnte.

Noch krasser war hier die Wortschöpfung von Österreichs

Kurz, sowie Scholz und Spahn, die sagten, dass man sich an eine

„neue Normalität“ gewöhnen müsse. Fast so, als sei dieser Begriff

ansteckend. Sprich: Tschüss Freiheit. Das hört sich schwer nach

Katastrophe an. Doch wie soll man auch zu einer Sache sagen,

von der nur eines klar ist: Sie ist da! „Krise“ heißt, das es kritisch

wird. Und das ist es auch, was wir alle sein sollten. Denn die

Kritik schaut auch nach vorne. Nach der Krise ist vor der Krise.


Samstag, 2. Mai 2020

12

GESELLSCHAFT

DEUTSCHLAND

Samstag, 2.

Ausgabe 287 am 4.

Samstag, 4. April 2020

Es geht auch um die

Hygiene des Geistes

Live-Kultur. Plötzlich heißt es wie selbstverständlich, dass Jazzklubs, Theater, Kleinkunst,

Klassik-Konzerte und Pop-Events „verzichtbar“ seien. Es ist evident, dass im Kampf gegen die

Verbreitung des Virus alle Live-Acts suspekt sind. Sie stehen aber auch fürs Menschsein.

Von Michael Zäh

Fast unmerklich, so scheint es,

sorgt weltweit die Bekämpfung

des Virus für eine Verschiebung

der Maßstäbe. Und das wird

in jenen Bereichen des Menschseins

besonders deutlich, über die derzeit

in Corona- Zeiten, wie diese genannt

werden, am wenigsten geredet wird.

Und das ist die Kultur, insbeondere

die Live-Kultur. Diese sei nämlich

„verzichtbar“, sagte Jehns Spahn.

Natürlich wissen wir nicht, ob er die

Kultur sowieso nicht so mag, oder ob

er einfach pflichtgemäß als Gesundheitsminister

des Landes spricht. Das

Wort „verzichtbar“ ist aber in jedem

Fall Ausdruck von Ignoranz.

Denn es ist ja so, dass der Widerspruch

auf der Hand liegt. Einerseits

ist es völlig evident, dass in Zeiten

dieser Seuche jedes Live-Event sehr

großen Schaden anrichten kann,

also bezüglich einer „vogelwilden“

Verbreitung des Virus. Andererseits

sollten wir uns trotzdem noch daran

erinnern können, dass die Live-Kultur

eben deshalb eine Gefahr darstellt,

weil sie so beliebt ist. Nur weil

Tausende oder mitunter Hunderttausende

gerne zu den Live-Acts gehen

– und was könnte besser belegen,

dass es hier nicht um „verzichtbare“

Kultur geht? – also nur weil hier die

„Live“-Kultur buchstäblich das „Leben

unter Menschen“ ausmacht, ist

sie nun zur Gefahrenquelle geworden.

Ist es so, dass die Live-Kultur in

Jazzklubs, auf Theaterbühnen, in der

Kleinkunst, bei Klassik-Konzerten

und bei spektakulären Pop-Events

halt nunmal der Luxus des Menschen

ist, solange er keine anderen Probleme

hat? Sobald es aber „ernst“ wird, ist

das süße Kulturleben nebensächlich?

Fast verschwunden, aus den Augen

aus dem Sinn, könnte man da als

Sprichwort bemühen. Wie soll denn

dann die Prioritäten-Hitliste lauten?

Erst die Gesundheit (sprich: Die ist

nicht alles, aber ohne sie ist alles nix),

dann die Wirtschaft, dann der Fußball

(Brot und Spiele, in schwerer Zeit), und

irgendwann später, ganz hinten auf

der Liste: Kultur live, also wie „Life“,

soll heißen: das Leben in gemeinsamen

Momenten. Dieses unwiderruflich

einmalige Gefühl, live und

lebend dabei gewesen zu sein,

statt sich nur aus der Konserve

des Internets zu speisen. Im Überschwang

des Live-Erlebnisses entsteht

ja auch die Frage: Dürfen

wir erstmal noch ein bisschen

leben, bevor wir sterben?

Es nutzt gar nichts, die Gedanken

damit abzutun, dass es ja eh nicht zu

ändern ist. Das stimmt zwar, so klar

und eindeutig wie nirgendwo sonst,

wenn man es aus Sicht der Bekämpfung

des Corona-Virus sieht. Aber

man darf trotzdem darüber nachdenken,

was das denn heißt. Sind wir jetzt

alle dazu verdammt, in der Isolation

zu verharren und der Kultur jenes

„Live“ zu nehmen, das sie so lebendig

gemacht hat? Es ist zwar völlig okay,

wenn viele Kulturschaffende jetzt

von zu Hause ihre Kunst ins Netz

bringen. Die Frage sei aber erlaubt:

Ist das die Zukunft der Menschheit,

jeder für sich mit einem

Medium vor der Birne, ohne

Kontakt zum wahren

Leben?


Samstag, 2. Mai 2020

Mai 2020

DEUTSCHLAND GESELLSCHAFT 13

April 2020

Samstag, 4. April 2020

I‘m a ghost

Living in a ghost town

You can look for me

But I can‘t be found

You can search for me

I had to go under–ground

So lauten ein paar Zeilen eines

neuen Songs der Rolling Stones.

Dieser soll angeblich schon vor

einem Jahr aufgenommen worden

sein, was dann aber wahrhaft Magie

wäre in seiner Weitsicht. Könnte

natürlich Marketing sein,

quasi: Hellseher Jagger.

Aber es passt. Das Feeling

stimmt. Jeder weiß

ja, dass es Hunderttausende

wären, die

bei einer erneuten

Tournee des Stones

dabei sein wollen.

Und ebenso weiß jeder,

dass Mick Jagger und Keith

Richards mit ihren 76 (!) Jahren zur

Risikogruppe gehören (na ja, wobei

Richards wohl nie in seinem Leben

I‘m a ghost

Living in a ghost town

I‘m going nowhere

Shut up all alone

So much time to lose

Just staring at my phone

(Ich bin ein Geist

Der in einer Geisterstadt lebt

Ich gehe nirgendwo hin

Eingesperrt, ganz alleine

So viel Zeit zu verlieren

Nur auf mein Handy starrend)

Tja, das ist der Song, der passt!

Das ist heute und im dazu gehörigen

Video mit Bildern der verlassenen

Städte dieser Welt veranschaulicht.

Es sind aber natürlich nicht die

Rolling Stones, mittlerweile alt und

reich (und trotzdem weiterhin klasse),

um die wir uns jetzt sorgen müssen.

Es sind die unzähligen eher kleinen

I‘m a ghost

Living in a ghost town

I‘m going nowhere

Shut up all alone

So much time to lose

Just staring at my phone

(Ich bin ein Geist

Der in einer Geisterstadt lebt

Ich gehe nirgendwo hin

Eingesperrt, ganz alleine

So viel Zeit zu verlieren

Nur auf mein Handy starrend)

I‘m a ghost

Living in a ghost town

You can look for me

But I can‘t be found

You can search for me

I had to go underground

eine Drogen-Risiko gescheut hat).

Aber dieses : „You can look for me.

But I can‘t be found“ (Du kannst nach

mir Ausschau halte. Aber ich kann

nicht gefunden werden) erinnert an

die großen Hits wie „Street Fighting

Man“ und „Sympathy for the Devil“.

Live-Veranstalter, oft auch Familienbetriebe,

die nicht nur wirtschaftlich

vor dem Nichts stehen, sondern wohl

auch von der Umdeutung konsterniert

sind, die wie selbstverständlich

um sich greift: Live-Kultur ist jetzt

gleich: Seuche!

Daran knüpft sich schon auch die

Frage, ob ein seelenloses Virus nun

das bestimmen darf, was Menschen

denken. Denn was der Mensch denkt,

und wie er es denkt, gibt dem Teufel

Gestalt und Sinn, oder eben trägt zu

dessen Überwindung bei. Da geht es

jetzt mal nicht um Medizin, sondern

um die Hygiene des Geistes.

Pleased to meet you

Hope you guess my name!


Samstag, 25. April 2020

14

POLITIK

AMERIKA

Corona-Tagebuch

Samstag, 25.

Ausgabe 287 am 4.

Samstag, 25. April 2020

Donald Trump findet

sich always great

Amerika und die Corona-Katastrophe. Obwohl der US-Präsident nachweislich die Gefahr

durch das Corona-Virus lange leugnete, wollte er sich mit „allumfassender Macht“ zum

alleinigen Entscheider darüber machen, wann Lockerungen für die Wirtschaft kommen.

Von Michael Zäh

Donald Trump zeigt ja eigentlich

immer sein wahres Gesicht. Man

kann ihm daher nicht anlasten,

dass er ein echt raffinierter Lügner sei.

Jede noch so bescheidene Dumpfbacke

erkennt, dass es Trump stets um ihn

selbst und seine von ihm postulierte

Großartigkeit geht. Er ist also insofern

ehrlich. Man weiß, was man an ihm hat.

„Wir haben es völlig unter Kontrolle.

Es ist nur eine Person, die aus

China kommt, und wir haben es unter

Kontrolle. Es wird alles gut werden“,

sagte Trump am 22. Januar in einem

CNBC-Interview, nachdem am Vortag

der erste Fall einer Corona-Infektion in

den USA bekannt geworden war.

Am 30. Januar dann, als die WHO

die Ausbreitung des Virus zur „gesundheitlichen

Notlage von internationaler

Tragweite“ erklärte, sagte Trump: „Wir

haben in diesem Land im Moment ein

sehr kleines Problem - fünf. Und alle

diese Menschen erholen sich erfolgreich.“

Am 10. Februar sagte Trump: „Sie

wissen, dass es im April angeblich mit

dem heißeren Wetter stirbt. Und das ist

ein wunderbares Datum, auf das man

sich freuen kann.“

Am 26. Februar hieß es von Trump:

„Bei uns geht es ganz erheblich nach

unten, nicht nach oben. Es ist in etwa

wie die normale Grippe, gegen die

wir Impfungen haben. Und im Prinzip

werden wir dafür ziemlich schnell eine

Grippeimpfung bekommen.“

Am 9. März twitterte Trump: „Die

Fake-News-Medien und ihre Partner,

die Demokratische Partei, tun alles in

ihrer halbwegs beachtlichen Macht

(früher war sie größer!), um die Corona-Lage

stärker anzuheizen, als die

Fakten es hergeben.“

Stand 17. April gibt es in den USA

knapp 672.000 Infizierte und 33.288

Tote, stündlich wachsend.

Heutzutage sind ja all die früheren

Sprüche des US-Präsidenten in Ton,

Bild und Twitter gespeichert. Doch jetzt

kommt das Erstaunliche: Trump schert

es nicht, dass mit all diesen digital gespeicherten

Aussagen von ihm selbst

ja auch schon bewiesen ist, dass er das

Corona-Virus lange Zeit verharmlost

hat. Er setzt offenbar darauf, dass in

der schnellebigen Welt der sozialen

Netzwerke kein Mensch mehr die Aufnahmen

von gestern (gefühlt: vor einer

Ewigkeit) anschaut.

Kürzlich hat nun die „New York

Times“ detailliert nachgezeichnet, wie

Trump es in den wohl entscheidenden

Wochen zwischen Ende Januar und

Mitte März versäumt hatte, die USA

auf die Corona-Krise vorzubereiten.

Während einige seiner Berater und die

Gesundheitsexperten in der Regierung

schon früh vor einer Pandemie gewarnt

hatten, hatte Trump es versäumt, Ausgangssperren,

Schulschließungen und

andere Maßnahmen abzusegnen, um

die Ausbreitung des Virus möglichst zu

verlangsamen.

Trump sprach - wie immer - von

„Fake News“ und sagte gleich dazu,

dass auch die „New York Times“ selbst,

quasi als ganze Zeitung eine einzige

Fake-News sei. Dummerweise hat dann

aber ein Mann dem Präsidenten indirekt

widersprochen, den das Magazin „The

New Yorker“ erst kürzlich zum „vertrauenswürdigsten

Mann Amerikas“ gekürt

hat: Der Immunologe Anthony Fauci, 79

Jahre alt, der bereits sechs US-Präsidenten

als oberster Berater zur Seite stand.

Bei Trump ist dies in letzter Zeit

ziemlich buchstäblich zu verstehen


Samstag, 25. April 2020

| 18. April 2020

April 2020

AMERIKA POLITIK 15

April 2020

Samstag, 25. April 2020

gewesen: In den täglichen Presseauftritten

von Trump steht Fauci seitlich

hinter Trump, während dieser von

Dingen prahlt, die er nicht versteht. Wie

etwa am 5. April, als er vor Millionen

Zuschauern die Einnahme eines Malaria-Mittels

anpries. „Take it“ und „Try

it“ rief Trump der Nation zu. Er hatte

davon schon am 6. März in einer Rede

in Atlanta geschwärmt: „Ich mag dieses

Zeug. Ich verstehe es wirklich. Die Leute

sind überrascht, dass ich es verstehe.

Jeder dieser Ärzte sagte: ‚Woher wissen

Sie so viel darüber?‘ Vielleicht bin ich

ein Naturtalent.“ Noch Fragen?

Doch dann kommt Anthony Fauci

als Fachmann zu Wort, der somit von

seitlich hinter Trump ganz nach vorne

gebeten wird. Und der sagte in diesem

Fall: Die Wirksamkeit des

soeben vom Präsidenten

angepriesenen Mittels sei

nicht durch Studien belegt,

die nämlich allenfalls eine

„anekdotische Evidenz“ hätten

(ein kleiner Seitenhieb nach Marseille,

wo Frankreichs führender Seuchenbekämpfer

eine Mini-Studie mit 26 (!)

Teilnehmern machte). Die Belege, sagte

Fauci nun dem Millionen-Publikum,

reichten nicht für eine Empfehlung.

So ging das schon seit einer Weile

zwischen Trump und Fauci, der dabei

stets betonte, dass er sich nicht gegen

den Präsidenten aufspielen will. Nun

aber hat Fauci in einem Interview mit

CNN (auf den New-York-Times-Artikel

angesprochen), bestätigt, dass wohl

weniger Amerikaner gestorben wären,

wenn man das Land früher dicht

gemacht hätte. Prompt ließ Trump

in einem Tweet durchblicken, dass

er Fauci feuern will. Es ist so: Jeden

Morgen steht Trump auf, schaut in den

Spiegel und sagt sich: „Make

Trump great again!“

Und als er es gemerkt hat,

dass seine Verharmlosung

des Corona-Virus ihm noch schaden

könnte, hat er schamlos die verbale

Kehrtwende gemacht: „Ich habe immer

gewusst, dass das eine Pandemie

ist. Ich hatte das Gefühl, dass es eine

Pandemie ist, lange bevor es als Pandemie

bezeichnet wurde.“ Oder, na

klar, einen Schuldigen benannt: „Die

WHO hat es wirklich vermasselt.“ Der

Organisation mit Sitz in Genf fror er

die US-Zahlungen ein.

Besonder dreist ist der Gegensatz

späterer Äußerungen zu den früheren:

„Wenn wir es so eindämmen können,

dass wir zwischen 100.000 und 200.000

Tote haben, dann haben wir alle zusammen

einen guten Job gemacht“, so

Trump im April.

Es könnte sein, dass sich in den USA

ein Drama abspielt, wie es bisher kaum

vorstellbar war. Nämlich dass Trump

trotz täglich steigender Todeszahlen

(die ja längst die höchsten in der Welt

sind) den Lockdown öffnen will, weil er

um seine Wiederwahl fürchtet, wenn

es der Wirtschaft schlecht geht. Trump

meint, dass er allein über die Lockerung

der Corona-Auflagen entscheiden

kann. „Wenn jemand Präsident der

Vereinigten Staaten ist, ist die Macht

allumfassend“, so Trump in geradezu

verräterischer Offenheit. Gouverneure

aus den einzelnen US-Staaten wiesen

das umgehend mit der Argumentation

zurück, die Verantwortung für

die öffentliche Sicherheit liege gemäß

dem föderalen System der USA bei ihnen.

Das wiederum ist prima für

Trump: Geht es schief, dann

sind die Gouverneure schuld.

Layout: Viktor Lukanow


Samstag, 18. April 2020

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GESELLSCHAFT

DEUTSCHLAND

Corona-Tagebuch

Samstag, 18.

Ausgabe 287 am 4.

Samstag, 18. April 2020

Da ist der Mensch

wie der Hund

Verbote. Wenn es verboten ist, in München auf einer Parkbank ein Buch zu lesen, dann fragt

sich der Mensch schon, was hier der Hintergedanke ist. Der Weiße Schäferhund oder der Tibet

Terrier befolgen Befehle auch nur, wenn sie deren Sinn einsehen. Von Michael Zäh

Wenn Sie einen Hund suchen,

der ohne zu zucken auf Ihre

Befehle hört, dann ist der

Weiße Schäferhund nicht der richtige

für sie. Denn er befolgt einen Befehl

nur, wenn er auch den Sinn des Befehls

einsieht. So steht es geschrieben in

einem einschlägigen Ratgeber.

Nun ist der Mensch natürlich

nicht in jeder Hinsicht wie der Hund.

Es könnte aber sein, dass auch der

Mensch sich eher jenen Befehlen

beugt, deren Sinn er einsehen kann.

Und umgekehrt: Je strikter der Mensch

die Befehle befolgen soll, die derzeit

überall in der Welt sind, desto eher

neigt er zum Ausbrechen. Und wenn

der Weiße Schäferhund nicht will,

dann will er nicht. Da kann Herrchen

zehnmal „du sturer Hund“ rufen. Nutzt

dann gar nix.

Doch heute ist ja auch ein Mensch

nicht nur „der Mensch“, sondern er ist

womöglich ein Franzose anstatt ein

Deutscher, ein Amerikaner gar, oder

als Deutscher vielleicht ein Bayer.

Die Unterschiede sind derzeit riesig,

jetzt mal rein vom erzieherischen

Ansatz her gesehen. Es ist insgesamt

zu loben (siehe Titel), dass in Deutschland

mit den deutlich sinnvolleren

Kontakverboten anstatt den schwer

nachvollziehbaren Ausgangssperren

wie etwa in Frankreich und anderswo

operiert wird.

Wer dort nur eine Stunde am

Tag aus der Wohnung darf und dies

dann auch nur im Umkreis von einem

Kilometer um den Wohnsitz, selbst

wenn er völlig allein spaziert und den

Mindestabstand von zwei Metern zu

anderen Personen einhält, dem kann

als Mensch und Franzose schon die

Sinnkrise kommen, weil hinter dem

strikten Ausgehverbot einfach nur

Drohung (und die Vollstreckung der

Strafe) steckt und keine nachvollziehbare

Erklärung.

Hinzu kann dann noch kommen,

je nach Lebenssituation, dass die so

auferlegten Verbote aller Wahrscheinlichkeit

nach mehr Schaden anrichten

als Gutes zu bewirken. Etwa wenn der

Mensch in einem Hochhaus in einem

Vorort von Paris lebt, und dort auf

45 Quadratmetern mit weiteren acht

Leuten in einem Haushalt. Jetzt, selbst

wenn er da nicht wahnsinnig wird,

weil er nur eine Stunde am Tag raus

darf, ist es doch so, dass es für alle

besser wäre, wenn er fünf Stunden an

der frischen Luft spaziert wäre.

Auch in Deutschland gibt es einige

Beispiele, bei denen sich die Sinnfrage

stellt. „Nein, ein Buch auf einer Bank

lesen ist nicht erlaubt“, lautet etwa

ein Tweet der Müncher Polizei. Es gab

entsprechend auch Fernsehbilder von

Park- bzw. Uferbänken am Bodensee,

die allesamt mit rotweißem Plastikband

umwickelt sind, damit sich da

bloß keiner drauf setzt.

Jetzt warum? Angenommen man

würde sagen, dass halt derzeit immer

nur eine Person auf eine Bank sitzen

darf, möglicherweise mit dem Appell

verbunden, dass der lesend Sitzende

auch an jene denken soll, denen er

nicht zu lange den Platz wegnehmen

soll, sprich: Kurzgedicht und dann im

Gehen weiter denken. Dann wäre doch

im Sinne der Gesundheit aller logisch,

dass dies kaum gefährlich wäre, aber

förderlich für Geist und Seele.

Wenn ein Buch auf einer Bank zu

lesen in München nicht erlaubt ist,

dann kommt der Mensch ins Grübeln.

Denn er fragt sich prompt nach dem

Grund dafür. Da ist der Mensch ganz

ähnlich wie der Tibet Terrier, der laut

Ratgeber „über ein großes Maß an

Unabhängigkeit und Sebstsicherheit

verfügt.“ Ergo: „Unterwürfigkeit oder

gar bedingungslose Unterwerfung

können wir beim Tibet Terrier also

niemals erwarten.“

Doch weil der Mensch sich etwas

denken kann, kann er sich schon auch

denken, dass hinter solchen Verboten

wie dem von der Müncher Parkbank

ein weiterer Gedanke der Behörden

steckt. Nämlich derselbe, weshalb das

Sonnenbaden (trotz allem Abstand

zu anderen Leuten) in Parks und auf

Wiesen nicht erlaubt sein soll.

Achtung, die Beörden denken sich:

Wenn einer auf die Parkbank darf,

dann wollen das alle anderen auch.

Und dann ist jeder Abstand schnell dahin

und womöglich finden dann sogar

Gespräche zwischen Leuten statt, die

sich erzählen, was sie jeweils lesen.

Auch das Sonnenbaden hat ja quasi

einen Sogeffekt, weil die Sonne ist ja

für alle da. Warum aber Leute nicht

aus Berlin raus in ihre Zweitwohnung

aufs Land dürfen, kann dann doch

wieder keiner erklären.

Solche Hintergedanken, die nicht

wirklich mitgeteilt oder gar diskutiert

werden, haben einen groben Fehler.

Und der besteht darin, dass sowieso

alle Maßnahmen zur Eindämmung

des Corona-Virus nur funktionieren

können, wenn halt möglichst viele

Menschen aus eigener Überzeugung

auch mitmachen. Und dies scheint ja

in Deutschland auch recht gut zu klappen.

Deshalb sollte es nicht von dem

Gedanken der Unmündigkeit der Bürger

(schwer erziehbare Kinder) untergraben

werden, wo es doch gerade die

Mündigkeit ist, die derzeit alles trägt.

Deshalb nochmal zurück: Weshalb soll

es den Bürgern nicht zuzutrauen sein,

sich an sonnigen Tagen an der frischen

Luft, auf Parkbänken oder Wiesen so

verantwortungsvoll zu verhalten wie

sie es schon die ganze Zeit über tun?

Ohne die Einsicht und Disziplin der

Gesellschaft geht eh gar nix. Da ist der

Mensch wie der Hund: „Naturgemäß

verfügt der Tibet Terrier über eine

gewisse Zielstrebigkeit, wenn es ihm

darum geht, seinen Willen durchzusetzen.

Anweisungen, die er nicht für

geeignet hält, kann er auch einmal

schlicht ignorieren.“


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GESELLSCHAFT

EXPERTISE

Corona-Tagebuch

Samstag, 18.

Ausgabe 287 am 4.

„Jeder einzelne

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Mensch erlebt dies

seelisch anders“

Interview. Die Psychologin Dr. Andrea Zäh trägt einen anderen Blick zur

aktuellen Pandemie bei. Was vorher schon war, wird durch die Corona-

Krise nicht verschwinden, sondern nur anders sein.

Interview von Michael Zäh

Dr. Andrea Zäh erklärt im Interview

mit ihrem Bruder, weshalb

es auch noch einen anderen

Blick auf das Geschehen rund um die

Ausbreitung des Corona-Virus geben

kann. Nämlich den der Einzigartigkeit

jedes einzelnen Menschen und den Umstand,

dass deshalb auch jeder einzelene

Mensch die momentane Corona-Krise

seelisch anders erlebt.

ZaS: Was versteht man unter Gesundheit

?

Andrea Zäh: In der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation

heißt es: „Gesundheit

ist ein Zustand des vollständigen

körperlichen, geistigen und sozialen

Wohlergehens und nicht nur das Fehlen

von Krankheit oder Gebrechen. »

ZaS: Was heißt dies bezüglich der psychischen

Gesundheit?

Andrea Zäh: Psychische Gesundheit ist

die Möglichkeit zum seelischem individuellem

Wohlbefinden. Ein Mensch,

der sich seiner selbst bewusst ist, der

einerseits genug widersprüchliche Fixierungen

in sich trägt, um so krank

zu sein wie viele Patienten, der andererseits

aber auf seinem Weg nicht

auf zu viele oder zu große interne und

externe Schwierigkeiten gestoßen ist,

hinsichtlich seiner erblichen und seiner

erworbenen affektiven Ausrüstung,

hinsichtlich seiner defensiven und anpassungsfähigen

persönlichen Fähigkeiten.

Denn dieselben ermöglichen

ihm seine Bedürfnisse und Triebe, seine

irrationalen und rationalen seelischen

Vorgänge weiterhin so zu steuern, in

Schach zu halten, damit er auf persönlicher

und sozialer Ebene, unter gebührender

Berücksichtigung der Realität,

flexibel bleibt.

ZaS: Was bedeutet dies in Bezug auf die

derzeitige Krisen-Situation wegen des

Corona-Virus, die ja nun tatsächlich

eine Realität ist, die es gebührend zu

berücksichtigen gilt? Es wurden inzwischen

mehr als 3,5 Milliarden Menschen

aufgefordert zu Hause zu bleiben, um

die Ausbreitung der Pandemie einzugrenzen

bzw. zu verzögern.

Andrea Zäh: Ja genau, diese Schutzmaßnahmen

betreffen unglaublich

viele Menschen auf der Welt, in ganz

verschiedenen Ländern, wo die medizinische

Versorgung mehr oder weniger

gelingt. Auch in Europa sind die

sozialen, materiellen und finanziellen

Unterschiede sehr groß, und damit auch

konkret die persönlichen Bedingungen

der Menschen, diese Kontaktsperre

positiv oder negativ zu erleben. Solange

man nicht ins Krankenhaus muss und

da man nicht mehr an seinen Arbeitsplatz

gehen kann, soll ja Jeder zu Hause

bleiben. Entscheidend ist hier aus meiner

Sicht: Jeder einzelne Mensch erlebt

dies seelisch anders!

ZaS: Worauf wollen Sie hinaus? Haben

Sie vielleicht ein paar Beispiele?

Andrea Zäh: Ich will betonen dass jeder

Mensch nicht nur unter ganz verschiedenen

sozialen, beruflichen, materiellen,

auch körperlichen Bedingungen

diese noch nie dagewesene Situation

mehr oder weniger bewältigt. Sondern

dass auch jeder Mensch psychisch

mehr oder weniger unter der Situation

leidet. Ein paar Fallbeispiele sollen das

verständlich machen. Also, es gibt Menschen

welche die derzeitige Ausgangssperre

eher nutzen, um weiterhin zu

schaffen: Worte finden, Gestalt geben,

kreativ sein in verschiedener Weise.

Ich denke an eine 60 jährige Künstlerin,

Madeleine (alle Namen wurden von der

Redaktion geändert, sind also fiktiv),

ZUR SACHE

Die Methode der Psychoanalyse

Die Methode der klinischen Psychologie ist die eingehende Untersuchung von

normalen oder pathologischen Einzelfällen auf der Grundlage von Beobachtungen

und Gesprächen, in denen persönliche lebensgeschichtliche, innere seelische

psychodynamische, sowie familiäre und soziale Elemente gesammelt werden.

Anders ausgedrückt: es geht um individuelles menschliches Verhalten und seine

Bedingungen, also um die Untersuchung einer einzigartigen Persönlichkeit in der

Gesamtheit ihrer momentanen Situation und ihrer Entwicklung.

Klinische Tiefenpsychologie wurde von Sigmund Freud als Psychoanalyse bezeichnet

in der man drei Ebenen unterscheidet: „Psychoanalyse ist der Name

1) eines Verfahrens zur Untersuchung seelischer Vorgänge, welche sonst kaum

zugänglich sind; 2) einer Behandlungsmethode neurotischer Störungen, die sich

auf diese Untersuchung gründet; 3) einer Reihe von psychologischen, auf solchem

Wege gewonnen Einsichten, die allmählich zu einer neuen wissenschaftlichen

Disziplin zusammenwachsen.“ (S.Freud, Gesammelte Werke XIII, Seite 211)

Die psychoanalytische Methode besteht also in der Hervorhebung der unbewussten

Bedeutung von Gesagtem, Handlungen, Träumen, Fantasien oder

Wahnvorstellungen von jedem einzelnen Menschen. Die Methode beruht auf den

freien Assoziationen des sogenannten Patienten einerseits, und auf der Deutung

derselben vom Psychoanalytiker anderseits, welcher seine ganze gleichschwebende

Aufmerksamkeit diesem einen Patienten widmet.

Es handelt sich um eine individuelle Psychotherapie. Diese psychoanalytische Kur

besteht aus regelmäßigen Treffen, wobei der Patient folgende Grundregel einhalten

sollte: „Sagen Sie, was Ihnen spontan einfällt, auch wenn es ihnen unwichtig,

albern, peinlich, nicht dazugehörig oder unlogisch erscheint“. Es handelt sich also

nicht um ein rationales vernünftiges Gespräch!

Währenddessen kommt es zur einer sogenannten Übertragung , das heißt der

Patient überträgt seine unbewussten Wünsche bzw. Ängste auf den Analytiker,

und wiederholt dabei seine üblichen inneren seelischen Konflikte. Sie werden

somit aktualisiert, dann werden ihre unbewussten Bedeutungen freigelegt. Diese

Ursachenforschung ist gleichzeitig die Lösung der seelischen Konflikte wodurch

neurotische Symptome verschwinden, sich geradezu auflösen.

Andrea Zäh


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April 2020

EXPERTISE GESELLSCHAFT 19

April 2020

die weiterhin kreativ zuhause eine

Samstag, neue 18. April Schmuckkollektion 2020 entwirft. Sie

sagte mir sogar, dass sie sich während

dieser Zeit intensiver auf ihr Schaffen

konzentriert.

Auch eine 67 jährige Schriftstellerin,

Ariane, schreibt weiter an ihrem früher

begonnenem Kriminalroman. Sie steht

jeden Morgen auf und setzt sich gleich

an ihren Schreibtisch, das gefällt ihr, ja

das gelingt ihr eher gut.

Auch kenne ich einige liebe Omas die

weiterhin still stricken, zum Beispiel

die 81jährige Clara, die momentan

viele wunderbare tolle Pullis für sich

und ihre Lieben strickt. Und auch die

88jährige Monique bestickt weiterhin

wunderschöne Tischdecken.

Samantha, 45 Jahre alt, hat inzwischen

die tollsten Dekorationen in Macrame

erfunden, in Vorbereitung auf ihre im

Sommer bevorstehende Hochzeit. Das

beruhige sie, selbst wenn die geplante

Heirat wahrscheinlich auf später verschoben

wird.

Und es gibt Menschen, die neue Musik

oder Lieder komponieren und diese

Kreationen sogar veröffentlichen in den

digitalen Medien. Darunter übrigens

eine Menge Komiker, die mehr oder

weniger Lustiges, manchmal Ironisches

veröffentlichen.

ZaS: Sie fangen mit denen an, die nicht

so sehr unter der Situation leiden. Haben

Sie auch Beispiele von Menschen, die

jetzt größere Probleme haben?

Andrea Zäh: Vielleicht riskiert derzeit

so mancher Drogenabhängige, dass

er derzeit zu noch mehr individuellem

Konsum von Alkohol, Cannabis oder

anderem neigt. Der 70jährige Christophe

kümmert sich vor allem darum wo, er

problemlos seine übliche tägliche Dosis

Whisky kaufen wird. Der 50jährige

Pierre, der sich schon jahrelang an Cannabis

gewöhnt hat, weiß inzwischen,

dass bald aus Marokko fast nichts mehr

nach Europa rüberkommen wird, weil

die Grenzen geschlossen sind.

Simon und seine Freunde, Jugendliche

jünger als 20 Jahre alt, zeigen weiterhin

Risikoverhalten, wollen den erlassenen

Verboten entgehen, treffen sich abends

in Gruppen obwohl die Regierung das

inzwischen verbietet!

Alzheimerkranke verstehen durch ihre

neurologische Krankheit vielleicht

gar nicht, warum jeder Mensch sich

unbedingt an die vernünftige Hygiene

halten sollte.

Und so stellen sich viele Fragen: Wie

geht es den Zwangsneurotikern, zum

Beispiel jenen, die sowieso andauernd

ihre Wohnung putzten? Immer wieder

putzen, heute mehr als jemals zuvor?

Wie sieht es aus, wenn jemand schon

etwas länger an einer Angstneurose

leidet, sich lieber in großen Räumen, gar

draußen aufhält als in einer vielleicht zu

engen Wohnung?

Hypochondrische Menschen oder sogenannte

Hysteriker fühlen sich eventuell

in ihren schon da gewesenen inneren

irrationalen Ängsten vor körperlichen

Krankheiten bestätigt.

Werden gewalttätige Männer gegenüber

Frauen sanfter oder noch schlimmer?

Wie begreifen besonders liebenswerte

Autisten überhaupt, worum es eigentlich

momentan geht in der allgemeinen

Realität?

Oder Schizophrene, Paranoiker, Melancholiker:

sind sie gewappnet, unsere

Psychotiker?

Etwa eine 32jährige Schizophrene, die

ihre Therapeutin wiederholt täglich

anruft, um dieselbe zu bitten, ihr nochmal

genau den Prozentsatz zu nennen

zwischen Corona-Risikopatienten, den

Kranken und den Toten.

Mancher empfindet Trennungsangst,

und solche wird je mehr aktiviert als er

jetzt von seinem Partner oder Partnerin

getrennt leben muss, da Reisen derzeit

weitgehend verboten sind.

Ein Anderer kann möglicherweise seine

häufige sexuelle Lust momentan nicht

mehr befriedigen und leidet besonders

unter dieser aktuellen Frustration, seine

Kastrationsangst überkommt ihn.

Schon früher konkret traumatisierte

Menschen durch Attentate – gerade hier

in Nizza – werden an das schrecklich

Erlebte erinnert: ihre Todesangst wird

reaktiviert.

ZaS: Sie wollen also verdeutlichen, dass

die extreme Situation in der sogenannten

Corona-Krise für jeden Menschen

anders ist, je nachdem wie er disponiert

ist?

Andrea Zäh: Es gibt viele Beispiele

dafür. Alberto, ein 40jähriger Mann,

ein eher kontaktscheuer Mensch, fühlt

sich erleichtert durch die offizielle

Ausgangssperre: endlich braucht er

nicht mehr dem sozialen Druck der

üblich flüssigen zwischenmenschlichen

Kommunikation zu entsprechen. Viele

Sportler trainieren weiterhin bei guter

Laune daheim: sie halten sich durchaus

fit, in Form und bei weiterer körperlicher

Gesundheit. Nur wie machen denn das

die Surfer, Schwimmer, Segler: eine

besonders große Anpassung ist also

gefragt!

ZaS: Klar, jeder Mensch empfindet

sein Leben, seine eigene Seele, seine

bisherigen oder momentanen Probleme

und führt seine individuelle

Lebensgeschichte weiter. Könnten

Sie vielleicht etwas klarer ausführen

inwieweit oder inwiefern Ihr psychoanalytischer

individualpsychologischer

Gesichtspunkt in dieser kollektiven

Situation hilfreich sein könnte?

Andrea Zäh: Individualpsychologisch

ausgedrückt geht es um die Besonderheit

jedes Menschen, um seine

Einzigartigkeit. Um sein seelisches

Gleichgewicht

und um seine Anpassungsfähigkeit

in jeglicher und

momentan um

die von außen

angsterregende

Situation. Laut psychoanalytischem

Ansatz hat sowieso jeder Mensch immerzu

mit seinen inneren widersprüchlichen

bewussten und unbewussten

Konflikten zu kämpfen. Kommt eine

tatsächliche äußere Gefahr hinzu, wird

es noch komplizierter! Je nach Lebensalter

– Kleinkinder, Kinder, Jugendliche,

Erwachsene, alte Menschen – wirkt sich

die äußere Gefahrensituation anders auf

ihr seelisches Innenleben aus.

ZaS: Wie lässt sich das näher erklären ?

Andrea Zäh: Jeder Mensch, je nach Alter,

Erfahrung und Lebensgeschichte

empfindet zwar immer wieder seine

eigenen inneren üblichen Ängste, jedoch

wendet jeder Mensch dagegen

individuelle psychische Abwehrmechanismen

an.

ZaS: Was sind Abwehrmechanismen ?

Andrea Zäh: Abwehrmechanismen sind

psychische Prozesse, die im Allgemeinen

dem organisierten Selbst zugeschrieben

werden. Ihre Aufgabe ist

es, optimale psychische Bedingungen

zu organisieren und aufrechtzuerhalten,

die dem Selbst des Individuums

helfen können, sich zu wappnen, zu

stellen und Angstzustände und geistige

Beschwerden zu vermeiden. Sie

beteiligen sich somit an Versuchen, die

psychischen Konflikte zu bewältigen,

können aber durch ihre übermäßige

oder unangemessene Verwendung das

psychische Wachstum beeinträchtigen,

und dann zu durchaus störenden

und beeinträchtigenden Symptomen

führen. Anders gesagt: Gegen innere

sowie äußere Ängste – wie hier die

Angst vor der Ansteckung mit dem

Corona-Virus – wird einer versuchen

sie zu vergessen, indem er sie möglicherweise

verdrängt. Der nächste wird

sie verneinen, sie vielleicht gar nicht

wahrnehmen, indem er seine Angst

von seinem Bewusstsein, seiner Wahrnehmung

abspaltet. Wieder ein anderer

verschiebt oder verdichtet hingegen

seine Ansteckungsangst auf eine bisher

belanglose körperliche Schwäche,

der er plötzlich viel mehr Aufmerksamkeit

widmet. Kreative Menschen

sublimieren.

ZaS: Was können Sie den Menschen

raten in diesen Zeiten der Bedrohung

durch das Corona-Virus?

Andrea Zäh: Es ist besonders wichtig den

grundsätzlichen Unterschied zwischen

Fantasie und Realität beizubehalten,

d.h. jeden Tag so zu organisieren dass

eigenes Gefühl von Raum und Zeit

weiter gut strukturiert bleibt. Seine

Affekte sollte man versuchen zu erkennen,

wenn möglich in Worte fassen.

Natürlich sollten ein paar persönliche

Träumereien nicht fehlen, einen gewissen

inneren Spielraum sollte man

sich durchaus gewähren, sozusagen als

Übergangsbereich: etwa vorübergehend

Zuflucht in einen guten Film finden,

oder einen schönen Roman lesen, ja

mal öfters die eigene Lieblingsmusik

anhören.

ZUR PERSON

Dr. Andrea Zäh

Die Dipl.-Psych. Dr. Andrea Zäh

arbeitete 40 Jahre im Gesundheits-

und Bildungswesen, in der

Forschung, in psychosozialen Helferinstitutionen

sowie in eigener

Praxis als Psychoanalytikerin. In

Paris an der Universität Paris 10 als

klinische Psychologin durch praxisbezogenes

Hochschuldiplom zum

Master ausgebildet, hat sie an der

Universität Paris 7 als Freud-Expertin

promoviert. Weitergebildet

in Sciences-Po Paris durch ein Executive

Master der gerontologischen

Politikwissenschaften und an der

Universitätsklinik Nizza in der psychiatrischen

Phänomenologie.

Sie war hauptsächlich in Einrichtungen

der Behindertenhilfe, Kindertagesstätten,

in der Jugendund

Familienhilfe sowie Kinderheilkunde

tätig. Als Dozentin wirkte

sie an der Universität Paris 13, in

École Centrale Paris der allgemeinen

Ingenieurwissenschaften, als

Erasmusgastdozentin an der Charité

in Berlin und als leitende Pädagogin

an der Psychopädagogischen

Fachoberschule zur Erzieher-Ausbildung

in Nizza.

Sie lebt weiterhin in Frankreich,

widmet sich heute persönlich in

Nizza besonders der Philosophie,

dem Yoga und der Meditation.

Kontakt:

andreazah@sfr.fr

miz


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GESELLSCHAFT

DEUTSCHLAND

Corona-Tagebuc

Samstag, 18.

Ausgabe 287 am 4.

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Was alles bald

kommen könnte

Coronavirus. Nach dem schrittweise Aufheben der derzeitigen Kontaktverbote wird es eine

neue Strategie geben müssen, da das Coronavirus noch immer da sein wird. Vielleicht hilft da

eine neue App, die sogar aus acht EU-Ländern kommt. Von Michael Zäh

Warum soll nicht jetzt schon

über Exit-Strategien nachgedacht,

geredet und vielleicht

auch gestritten werden? Früh

hat Armin Laschet (Ministerpräsident

von Nordrhein-Westfalen, CDU) eine

Diskussion darüber bereits angeregt.

Markus Söder (Ministerpräsident von

Bayern, CSU) hat sich eine solche

verbeten, da sie „zur Unzeit“ käme. Es

gehört zu einer Demokratie dazu, sich

rechtzeitig und gemeinsam über Dinge

den Kopf zu zerbrechen, die da kommen

sollen. Und in diesen Tagen umso

mehr, weil ja so gut wie jeder Bürger

von den immensen Einschränkungen

betroffen ist, die gegen die ungehinderte

Ausbreitung des Corona-Virus

verfügt wurden. Es geht dabei ja nicht

darum, dass jetzt sofort schon die Kontaktbeschränkungen

aufgehoben werden

sollen. Denn bis nach Ostern wird

das öffentliche, wirtschaftliche wie

gesellschaftliche Leben still stehen,

haben Bund und Länder beschlossen

und verkündet. Doch könnte man in

der Zwischenzeit nicht darüber reden,

was danach sein könnte?

Nun ja, man könnte nicht nur, man

müsste es tun. Es ist doch wohl jedem

klar, dass der momentane Stillstand nur

zeitlich sehr begrenzt durchzuhalten

ist. Deshalb muss man ja genau die Zeit

dieses – derzeit wohl noch nötigen –

Stillstandes nutzen, um Strategien

für danach zu entwerfen. Wann soll

man es denn sonst tun? Wann wäre

es nicht zur „Unzeit“? (Was eh ein

„Unwort“ ist).

Das Ärgerliche an dem Wegwischen

einer Debatte über Exit-Szenarien

ist ja, dass dies wieder einmal

den Eindruck erweckt, als seien die

deutschen Bürger nicht mündig genug,

obwohl diese ja im Moment mit ihrer

überwältigenden Solidarität beweisen,

dass sie es sind. Sollen die Bürger

nicht so viel an das Danach denken,

damit sie das Heute besser durchhalten?

Denn es ist ja klar, dass in den

Krisenstäben des Bundes und der

Länder längst mit Hochdruck darüber

gegrübelt wird, was alles bald kommen

könnte. Warum also diese Diskussionen

über mögliche Szenarien hinter

verschlossenen Türen führen? Die

Leute hätten heuer eine Menge Zeit,

sich daran zu beteiligen.

Man wird weiterhin alle brauchen,

ganz egal, welchen Weg man wählt.

Zum Beispiel, wenn eine neue App gegen

das Corona-Virus eingesetzt werden

würde. Dann käme es am Ende vor

allem darauf an, dass möglichst alle

Leute diese App auch auf ihr Handy laden.

Und um dies zu erreichen, wäre es

doch schön, schon jetzt mehr darüber

zu diskutieren. Denn möglicherweise

gibt es ja nicht nur bei den Viren eine

Inkubationszeit, sondern auch beim


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Anfreunden mit neuen Strategien.

Und das zu Recht. Denn alles, was

schnell-schnell gehen soll, ist eben

auch verdächtig. Deshalb sagen wir

hier schon Mal, wie eine Strategie

gegen die weitere Verbreitung des

Corona-Virus wohl aussehen könnte,

nachdem der Stillstand des öffentlichen

Lebens und der Wirtschgaft

schrittweise wieder aufgehoben wird:

Es wäre grob gesagt nach dem Vorbild

Südkoreas, nämlich nach dem Prinzip,

zielgenau die Infizierten zu finden und

zu isolieren. Das ginge wohl nur über

sehr viel mehr zur Verfügung stehende

Schnelltests in Kombination mit

einer App, die blitzschnelle Dienste

leistet, um potenziell Infizierte zu

informieren.

Hier ist eine europäische Lösung

in der Mache. Forscher/innen aus acht

EU-Ländern haben eine Art Baukasten

vorgestellt, um mit Handy-Apps das

Virus einzudämmen. Unis, Startups,

Forschungsinstitute sind beteiligt.

Nicht jedes Land für sich, ausnahmsweise

mal alle zusammen. Epidemiologen,

Psychologen und IT-Experten

waren an der Entwicklung beteiligt.

Bei der App sollen nur so viele Daten

genutzt werden, wie unbedingt nötig

ist. Man will die Bluetooth-Funktion

von Handys nutzen, nicht die

Standortdaten. Um sagen zu können,

ob jemand gefährdet ist, muss eine

App nicht wissen, wo genau er oder

sie sich aufgehalten hat, und der Staat

sollte das erst recht nicht wissen. Es

reicht, dass die App weiß: Der und der

war in der Nähe - das geht mit Bluetooth.

Und wenn sich später herausstellt,

dass jemand infiziert ist, schickt die

App Kontaktpersonen eine Warnung,

dass sie gefährdet sind.

Diese Technik könnte helfen, viel

schneller als bisher all jene zu testen,

die potenziell infiziert wurden. Natürlich

nur, wenn die Leute mitmachen,

sprich: mündig, auch ohne Mundschutz.

Und auch nur, wenn dann auch

wirklich genügend Tests zur Verfügung

stehen, um sofort alle zu testen,

die sich nach Benachrichtigung durch

die App zum Test melden.

Gleichzeitig ist dies aber nur eine

Seite der Medaille. Denn wie schon

zuletzt immer häufiger zu beobachten

kann auch eine Hysterie (siehe Titel

dieser ZaS) immer weiter gesteigert

werden, die ebenfalls Schaden anrichtet.

Denn natürlich ist die Angst mitten

in der Gesellschaft angekommen. Die

Angst, am Virus schwer zu erkranken.

Die Angst, durch die verfügten Verbote

seine wirtschaftliche Existenz zu

verlieren. Die Angst, dass sogar die EU

an dieser Krise zerbricht. Die Angst vor

jedem, der an einem vorbei geht. Die

Angst, dass es alles noch schlimmer

kommen könne.

Da es unabdingbar ist, dass die

Wirtschaft irgendwann wieder Fahrt

aufnehmen muss, die Kinder irgendwann

wieder in die Schule gehen

sollen, ja sogar irgendwann wieder

Kultur, Sport und Events stattfinden

müssen, gibt es noch ein Szenario,

das auch Angst machen kann. Nämlich

jenes, die „Alten“ zu isolieren,

weil diese ja die „Risikogruppe“ sind.

Stell dir vor: Das Leben tobt wieder in

Deutschland, aber über 60 (wahlweise

70 oder 80) Jahren darfst du nur zu

Hause bleiben. Und der Polizist auf

der Straße erkennt es sofort, wenn du

dagegen verstößt, weil: Du siehst ja

auch so alt aus, wie du bist.

Was könnte sonst noch alles bald

kommen? Wenn die Kontaktverbote

wieder gelockert werden, die Kinos,

Fitnessclubs und sogar die Kneipen

wieder öffnen dürfen, kann es zu Staus

kommen, zum Beispiel beim Friseur/

in, beim Einkauf in zuvor so lange

geschlossenen Fachgeschäften (hoffentlich

in den Blumenläden), beim

Ansturm in den Schwimmbädern.

Die gute Nachricht ist, dass es

irgendwann einen Impfstoff gegen das

Coronavirus geben wird, womöglich

auch wirksame Medikamente. Die

schlechte Nachricht ist, dass es später

noch andere Viren geben kann, die

heute noch keiner kennt.

Illustrationen: Viktor Lukanow


22 Corona-Tagebuch | 4. April 2020

Rauchende Colts

Marshall Matt Dillon hat früher die Banditen gejagt, die ein Halstuch vor Nase

und Mund hatten. Wer damals im Röhren-TV zusah, ist heute in der Risikogruppe.

Wie auch die Ärzte, denen millionenfach Schutzausrüstung fehlt. Von Michael Zäh

Wenn es so käme, dass der deutsche Bürger nur

noch mit Mundschutz durch die Gegend laufen

darf, weckt dies bei manchem Zeitgenossen

ganz klar Erinnerungen: Rauchende Colts, ein gewisser

Marshall Matt Dillon, der all jene gejagt hat, die sich ein

Halstuch vor Nase und Mund gebunden hatten, sprich:

die Banditen. Damals im staubigen Wilden Westen, und

sehr lange vor dem World-Wide-Web. Auch vom Virus

keine Spur, damals.

Die Vorstellung, dass wir alle vom „Gunsmoker“ durch

die Prärie gejagt werden, weil wir schnell zu Pferde eine

Postkutsche ausgeraubt haben, ist durchaus tröstlich. Weil

das ist ja Kindheitserinnerung. Doch die Vorstellung, dass

wir bald alle unser Gesicht banditengleich hinter einer

Maske verstecken müssen, um außer Haus gehen zu dürfen,

hat dafür eher den Hauch des Bösen. Da wüsste der

Marshall Matt Dillon ja gar nicht mehr, welche Schurken

er zur Strecke bringen soll.

Man könnte auch sagen, dass es etwas irre wirkt, wenn

heuer über solche Mundschutzmasken für die gesamte

Bevölkerung gesprochen wird, während ja derzeit genau

solche Masken dort millionenhaft fehlen, wo sie wirklich

dringend gebraucht würden. Laut einer Liste der AOK

fehlen schon allein bei den niedergelassenen Ärzten (also

ohne die Kliniken, Krankenhäuser oder auch Pflegeheime

etc.) rund 115 Millionen Mund-Nasen-Schutzmasken,

außerdem 47 Millionen Masken der FFP2-Qualität sowie

zusätzlich noch mal 7,5 Millionen FFP3-Masken der

noch höheren Qualität. Was außerdem fehlt: 63 Millionen

Schutzkittel, 55 Millionen Packungen Einmalhandschuhe,

sowie 3,7 Millionen Schutzbrillen.

Diese Mängel sind nicht etwa durch das plötzliche

Auftreten des Coronavirus entstanden, sondern werden

dadurch nur sichtbar. Die bittere Wahrheit ist nämlich,

dass es bereits 2005, also vor 15 Jahren (ist ja natürlich

nix sind im Vergleich zu den Hochzeiten von „Rauchende

Colts“) einen Pandemieplan gab, den damals schon das

Robert-Koch-Institut (heute ja in aller Munde) im Auftrag

des Bundesgesundheitsministeriums erstellt hat. Dieser

Plan sieht vor, dass benötigte Materialien „rechtzeitig

vor Eintreten einer Pandemie“ von der Bundesregierung

bevorratet werden müssen. Sprich: All das, was jetzt fehlt,

hätte eigentlich nach dem Pandemieplan auf Vorrat sein

müssen. Das hat der Bund aber nicht so ernst genommen.

Man schlug solche ungeheuren Pläne in den Wind, weshalb

man heute umso entschiedener darüber nachdenkt,

wie eben dieses Ungeheuer mit dem Namen Coronavirus

durch private Initiativen noch gebändigt werden könnte.

Bayerns Ministerpräsident Söder hat doch prompt vorgeschlagen,

dass Bayerns Bürger zehn Millionen Masken

selbst nähen sollen. Wie im Krieg, sozusagen.

Da wir hier schon mal in Bayern sind, hört man den

Kaiser rufen: „Ja ist denn jetzt schon Weihnachten?“

Aber gut, das ist eine ganz andere tragische Geschichte.

Heuer würde es heißen: „Ja ist denn jetzt schon Ostern?“

Denn bis dahin regiert ja Marshall Söder als Gunsmoker

mit unbeirrter Hand. Diskussionen über eine „Exit-Strategie“

hat er sich verbeten. Erst muss der Bandit erlegt

sein. Ein Schuss, ein Treffer, mitten ins Virus, und dann

raucht der Colt.

Und danach also soll es all die selbstgenähten Mundschutzmasken

geben, quasi als Geste der Unterwerfung

des Volkes, wenn es denn wieder raus darf. Lieber als

Bandit auf der Arbeit als nur immer zu Hause im beengten

Homeoffice.

Der praktische Nutzen solcher Masken ist laut WHO

äußerst umstritten. Könnte medizinisch sogar mehr Schaden

anrichten als es Nutzen hätte. Aber darum geht es

offenbar längst nicht mehr. Eher scheint es um den Gleichklang

der Herde zu gehen (hier also: die deutschen Bürger

in Panik), weil die Autorität derer zementiert werden soll,

die zuvor fahrlässig versagt haben, als sie sich nicht an

bestehende Pandemie-Vorsorge hielten.

Na klar schauen jetzt diejenigen in die Röhre, die Matt

Dillon im Röhren-TV sahen. Sprich: Risikogruppe!


Corona-Tagebuch | 28. März 2020

23

Das Ende

der Freiheit

So richtig es ist, dass das Corona-Virus durch den Zusammenhalt aller bekämpft werden

soll, so wenig darf es sein, dass Politiker dies nutzen, um ihr Profil zu stärken.

Das wäre nämlich die Blaupause zum totalitären Regime. Von Michael Zäh

Wäre das, was wir alle derzeit erleben ein Film,

würde dessen Titel wohl lauten: „Das Ende

der Freiheit.“ Doch weil es kein Film ist,

sondern die Realität, muss man sagen: Wir führen jetzt

in echt mal ein Leben, das so gespenstisch ist, wie wir

uns das in Deutschland zuvor nicht vorstellen konnten.

Wir können jetzt fühlen, wie das ist, wenn alle Rechte

blitzschnell kassiert werden, quasi hopplahopp. Wer

hätte je gedacht, dass den Bürgern in Deutschland vom

Staat vorgeschrieben wird, wen und wieviele Leute sie

treffen dürfen? Wer hätte es für möglich gehalten, dass

der Staat die Kirchen schließt, dass der Wirt oder seine

Kneipe nicht mehr öffnen darf, dass überhaupt alle

Dienstleister und Vereine in Gesellschaft, Sport und

Kultur dazu gezwungen werden, ihren Betrieb einzustellen,

dass öffentliche Plätze zugesperrt werden, dass

sogar die Schulen, Kindergärten und Kitas zu sind, dass

nix mehr erlaubt ist, was sonst die Vielfalt des Lebens

und der Wirtschaft ausmacht?

Okay, die Begründung dafür ist ja in ihrer Schrecklichkeit

ebenfalls vom anderen Stern. Das sogenannte

„Corona-Virus“ ist über die Welt hergefallen und wütet

grausam, ja sogar heimtückisch unter den Menschen.

Wenn in Italien dann an einem einzigen Tag 800 Menschen

sterben und die Leichen in Lastern der Armee

abtransportiert werden, ist die Notwendigkeit fast aller

Maßnahmen einzusehen. Erst recht, wenn man die

mathematischen Berechnungen kennt, dass es in sehr

kurzer Zeit zu Millionen Toten allein in Deutschland

kommen könnte, wenn man keine einschneidenden

Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus einleitet.

Und natürlich ist jeder Tote einer zuviel.

Doch unabhängig davon stimmt es trotzdem, dass

wir gerade eine Blaupause dessen durchleben, was es

heißt, wenn der Staat totalitär wird. Na klar, wir vertrauen

bisher den Visagen „da oben“, von Merkel bis Kretschmann,

und können uns nicht wirklich vorstellen, dass

die uns in eine Diktatur führen wollen. Würden wir aber

auch einem Orban in Ungarn nichts unterstellen wollen,

oder Trump in den USA? Von jenen Regimes in China,

Russland, Iran, Saudi-Arabien und anderen mal ganz

abgesehen, die den Kampf gegen das Virus für andere

Zwecke instrumentalisieren.

Und schließlich können auch in Deutschland die

Gesichter mal andere sein. Nein, wir nennen jetzt keine

Namen, aber der Phantasie sind hier ja keine Grenzen

gesetzt. Es ist in der Krise schon jetzt ärgerlich, wie

manche Töne angeschlagen werden. Da gibt es Politiker,

die stigmatisieren in unerträglicher Weise (ehemals)

freie Bürger dieses Landes, wie dies etwa Thomas Strobl

(Innenminister in Baden-Württemberg) mehrfach tat.

Da ist dann von den „Unverbesserlichen“ die Rede,

meist junge Leute, die sich noch in Gruppen trafen und

den Ernst der Lage nicht erkannt hätten. Dieser Gruppe

wurde von Strobl öffentlichkeitswirksam harte Strafen

(25.000 Euro Bußgeld oder mehrjährige Haftstsrafen)

quasi versprochen. Im Grunde haben jedoch diese „Unverbesserlichen“

nur das gemacht, was Menschen gerne

miteinander machen. Mag sein, dass sie dabei etwas zu

leichtsinnig waren. Aber die Drohgebärden von Strobl,

Söder und Co. sind trotzdem bedenklich. Ja, es sind viele

harte Hunde unterwegs, angeblich als Reaktion auf das

gefährliche Virus. Der Ton macht die Musik!

Und dies wird dann unerträglich, wenn der Staat und

die Politiker argumentieren, dass wegen der Uneinsichtigkeit

weniger Leute halt dann auch die größere Gruppe

der Einsichtigen mit weiteren staatlichen Einschränkungen

bestraft würden, quasi Herdenhaftung. Denn

dieses Denken und eine solche „Argumentation“ ist ein

ganz klares Kennzeichen autoritärer Regimes. Da wird

die Herde blökender, unwissender Bürger mal so richtig

rangenommen, gell? Dabei gerät ganz in Vergessenheit,

dass die so streng drohenden Politiker von genau denen

gewählt wurden, die nun als „Herde“ gelten. In einer

Demokratie ist das Volk der oberste Souverän.

So richtig es ist, dass der Zusammenhalt aller das

Coronavirus bekämpft, so wenig darf es sein, dass dies

Politiker für ihr Profil nutzen.


Samstag, 18. April 2020

24

GESELLSCHAFT

DEUTSCHLAND

Corona-Tagebuch

Samstag, 18.

Ausgabe 287 am 4.

Samstag, 18. April 2020

Bis zum nächsten

Friseurtermin

Coronavirus. Das 750-Milliarden Hilfspaket des Staates gegen die Folgen des Coronavirus ist

schon ein fettes Butterbrot, nachdem zuvor das Knallen der Peitsche dafür gesorgt hat, dass

gesellschaftliche und wirtschaftliche Aktivitäten zum Stillstand kamen. Von Michael Zäh

Wie wird Deutschland in den

kommenden Wochen (oder

gar Monaten) frisiert sein?

Das ist keine kleine Frage, da ja alle

Friseur/innen-Betriebe schließen

mussten. Wird unsere Mutti Merkel

dann plötzlich graue Strähnen im

Haaransatz aufweisen, werden Olaf

Scholz die (bisher nicht vorhandenen)

Haare zu Berge stehen? Und wie wirkt

es sich aus, wenn bei über 80 Millionen

deutschen Bürgern die Matte wächst,

wo sie es gar nicht soll, das Grau und

gar das Weiße sprießt, während das

akkurate Kurzhaar wie auch der schön

gestutzte Bart nur noch eine ferne

Erinnerung sind. Vielmehr sogar eine

Sehnsucht, die unerreichbar in den

Weiten des Seins dahin schwebt.

Nun ja, je länger das deutsche Haar

wird, desto mehr Milliarden Steuergelder

wird das kosten. Weil es

ja so ist: Der Staat nimmt

es, der Staat gibt es –

das ist quasi

ZUR SACHE

Einschneidende

Eingriffe, überall

Die Bundesregierung und die Länder

haben gemeinsam die Schließung

einer Vielzahl von Geschäften

und Institutionen beschlossen. So

sollen „Zusammenkünfte in Kirchen,

Moscheen, Synagogen und

die Zusammenkünfte anderer

Glaubensgemeinschaften“ verboten

werden, auch Gottesdienste

können nicht mehr stattfinden.

Ebenso sind Zusammenkünfte in

Vereinen und sonstigen Sport- und

Freizeiteinrichtungen untersagt,

Angebote in Volkshochschulen,

Musikschulen und sonstigen öffentlichen

und privaten Bildungseinrichtungen

sowie Reisebusreisen

sollen eingestellt, Spielplatzbesuche

unterlassen werden.

Bars, Clubs, Diskotheken sollen

geschlossen bleiben, desgleichen

Theater, Opern, Konzerthäuser,

Museen, Messen, Ausstellungen,

Freizeit- und Tierparks und Anbieter

von Freizeitaktivitäten, Spezialmärkte,

Spielhallen, Spielbanken,

Wettannahmestellen. Auch der

Betrieb öffentlicher und privater

Sportanlagen, Schwimm- und

Spaßbädern sowie Fitnessstudios

muss eingestellt werden. miz


Samstag, 18. April 2020

April | 28. 2020 März 2020

DEUTSCHLAND GESELLSCHAFT 25

April 2020

Samstag, 18. April 2020

ein alter Zopf. Wenn nun also Scholz,

Kretschmann, Söder, Laschet

und Konsorten sich darin übertreffen,

die aufgemotzte Bazooka in Anschlag

zu bringen, dann vergessen staatliche

Kurzhaardackel ja gerne, dass dieses

Geld nicht wie ein Sternenregen vom

Himmel fiel, sondern es sich um genau

jene Kohle handelt, die zuvor der gut

frisierte Steuerzahler (und danach

wirds auch so sein) an den Staat bezahlt

hat. Das ist also ungefähr so, als

ob der Friseur das Trinkgeld spendiert,

das er soeben vom Kunden für die

tolle Tolle bekam. Mit dem kleinen

Unterschied freilich, dass derzeit keine

Frisuren welcher Art auch immer zu

haben sind.

Der Transfer von insgesamt rund

750 Milliarden Euro zurück an die

Wirtschaft und die Steuerzahler ist

ein bisschen ein Ablasshandel dafür,

dass der Staat ja das wirtschaftliche

Leben von oben herab eingestellt hat.

Ja, es ist vielleicht sogar womöglich

so, dass damit auch die Demokratie

geschützt werden kann. Denn der

Staat, der Verbote erlassen hat und

die Freiheit seiner Bürger extrem einschränkt,

gibt so auf der anderen Seite

Millionen Menschen etwas Hoffnung,

dass sie nicht völlig pleite gehen in

den nächsten Wochen. Es ist schon ein

fettes Butterbrot nach der knallenden

Peitsche des Zusperrens allen gesellschaftlichen

Lebens.

Der Bundestag hat also ein großes

Rettungspaket für die deutsche Wirtschaft

beschlossen. Die Abgeordneten

stimmten einem Nachtragshaushalt

in Höhe von 156 Milliarden Euro und

dem Rettungsschirm WSF im Volumen

von 600 Milliarden Euro zu. Die

Schuldenbremse des Grundgesetzes

soll vorübergehend ausgesetzt werden.

Selten einhellig: Es gab gegen das gesamte

Paket nur drei Gegenstimmen.

Weil Bundeskanzlerin Angela

Merkel unter häuslicher Quarantäne

steht (ein Arzt, der sie geimpft hat,

hatte das Coronavirus intus), stellte

der Finanzminister und Vizekanzler

Olaf Scholz die Pläne der Regierung

vor. „Vor uns liegen harte Wochen -

und doch: Wir können sie bewältigen“,

sagte Scholz. Quasi ein bisschen Zuversicht

verbreiten. Um dann fortzufahren:

„Wir erleben eine Krise, die in der Geschichte

der Bundesrepublik ohne Vorbild

ist“, und für die Krisenbewältigung

gebe es „kein Drehbuch“. Und erst recht

nicht die passende Frisur, möchten wir

an dieser Stelle hinzufügen.

CSU-Landesgruppenchef Alexander

Dobrindt (lange nix gehört von ihm)

bezifferte das Volumen des Hilfspakets

der Bundesregierung gar auf etwa 1400

Milliarden Euro. Das sei in etwa die

Gesamtsumme an Krediten, Garantien

und Hilfen. Je länger die Haare wachsen

müssen, desto größer sind die Zahlen.

Oh je, Schwindel, lass nach.

Es lässt sich noch gar nicht bis in jede

Haarspitze darstellen, wer denn nun

welche Gelder erhalten soll. Klar ist aber

schon mal der Löwenanteil (nein, bitte

nicht mit der Löwenmähne verwechseln):

Es wird einen 600 Milliarden Euro

umfassenden Schutzschirm für größere

Firmen geben. Der Staat will in großem

Umfang Garantien geben und notfalls

wichtige Unternehmen auch ganz oder

zum Teil verstaatlichen. Wenn die Krise

vorbei ist, sollen sie wieder privatisiert

werden. Profitieren können nicht alle

Unternehmen, sondern nur solche mit

hohen Umsatzerlösen oder mehr als

250 Mitarbeitern. Unter diesen Schutzschirm

können kleinere Firmen nur im

Einzelfall schlüpfen - wenn sie für die

Infrastruktur besonders wichtig sind.

(Wie Friseure, möchte man rufen).

Aber da wären dann noch die 50

Milliarden, die für kleine und kleinste

Unternehmen ausgegeben werden

sollen, inklusive den sogenannten

Solo-Selbstständigen. So hat etwa das

Ministerium für Wirtschaft, Arbeit

und Wohnungsbau Baden-Württemberg

ein Soforthilfeprogramm aufgelegt:

„Gewerbliche Unternehmen,

Sozialunternehmen und Angehörige

der Freien Berufe, die sich unmittelbar

infolge der Corona-Pandemie in einer

existenzbedrohenden wirtschaftlichen

Lage befinden und massive

Liquiditätsengpässe erleiden, werden

mit einem einmaligen, nicht rückzahlbaren

Zuschuss unterstützt“, heißt es

dort. Ausgezahlt über die Länder (wie

hier BW) sollen kleine Firmen und

Selbstständige, Musiker, Fotografen,

Heilpraktiker oder Pfleger direkte Finanzspritzen

erhalten. Je nach Unternehmensgröße

sind das für drei

Monate 9.000 bis 15.000 Euro. Dies

wären keine Kredite, sondern Zuschüsse,

die nicht zurück gezahlt werden

müssen. Die Anträge hierfür können

bereits digital gestellt werden. Ausgezahlt

werden die Zuschüsse dann

direkt über die Landesbank.

Millionen Menschen in Deutschland,

die sich durch die Maßnahmen

des Staates gegen die Ausbreitung

des Corona-Virus in existenzieller Not

wiederfinden, werden sich über solche

Programme freuen (falls diese dann

auch wirklich so unbürokratisch funktionieren

wie versprochen), und sich

zumindest mal kurz entspannen. Aber

Vorsicht: Experten warnen, dass diese

„Soforthilfen“ hohe Hürden haben

und es sich daher um Augenwischerei

handeln könnte. Es wäre allerdings

skandalös, so laut und unfrisiert die

Hilfe ins Land zu posaunen, riesige

Hoffnungen zu wecken und am Ende

doch für die meisten Kleinen nicht

infrage zu kommen! Es wäre ein staatlicher

und politischer Schwindel, wenn

das Soforthilfeprogramm quasi Hartz IV

ist, nur nicht so heißt.

Ist ja schon verwunderlich genug,

wie schnell über Jahre tragende

Grundsätze wie die „schwarze Null“

oder die im Grundgesetz verankerte

„Schuldenbremse“ von einem Tag

zum anderen plötzlich über Bord sind.

Zack, zack, oder sagen wir: Schnipp

Schnapp!

Ewig kann trotz Milliardenschirm

das komplette Runterfahren des gesellschaftlichen

und wirtschaftlichen

Lebens nicht dauern. Höchstens bis zum

nächsten Friseur-Termin.

ZUR SACHE

Der Streit um die

Deutungshoheit

In Berlin mahnte Gesundheitsminister

Jens Spahn weiterhin die

Einhaltung aller Regeln an. „Noch

ist das die Ruhe vor dem Sturm“,

sagte er. Natürlich werde es „eine

Zeit nach Corona geben“. Das Leben

werde sich aber erst schrittweise

wieder normalisieren müssen. Unter

Medizinern und Politikern gibt

es aber auch welche, die sich öffentlich

dahingehend äußern, dass

das Corona-Virus in Wirklichkeit

gar nicht so schlimm sei. Diesen

Thesen gegenüber hat nun Innenminister

Horst Seehofer Stellung

bezogen: Er lehne die These der

Herdenimmunisierung ab, nach der

möglichst viele Menschen vom Corona-Virus

befallen werden sollen,

um zügig immun zu werden. Das

halte die Kosten der Pandemie zwar

vergleichsweise niedrig, sei aber

nur um den Preis hoher Sterberaten

zu erreichen. „Erstens hat mir

noch kein Wissenschaftler in die

Hand versprochen, dass man dann

wirklich immun ist“, sagte Seehofer.

„Und zweitens heißt das, dass man

Opfer in Kauf nimmt. Das halte ich

für eine unvertretbare Strategie.“

Es gibt Zyniker, die berechnen, was

ein Menschenleben kostet. miz

Montagen: Viktor Lukanow


Samstag, 18. April 2020

26

GESELLSCHAFT

GASTBEITRAG

Corona-Tagebuch

Samstag, 18.

Ausgabe 287 am 4.

Samstag, 18. April 2020

„Menschen

ohne Kontakt

werden krank

oder aggressiv“

Gastbeitrag zum Coronavirus. Die Quarantäne ist keine Dauerlösung. Eine Bettenreserve für

die Notzeiten einer Epidemie ist hingegen unverzichtbar. Die bisherigen Anstrengungen zum

Ausbau der medizinischen Versorgung reichen nicht aus.Von Prof. Dr. Joachim Bauer

Berlin 25. März 2020 - Der

Psychoneuroimmunologe und

Psychosomatiker Joachim Bauer

hält die bisher verordneten Maßnahmen

gegen COVID-19 für richtig, warnt aber

vor einer längerfristigen Aufrechterhaltung.

„Mehr als vier Wochen halten

die meisten Menschen das psychisch

nicht durch“. Die Folgen einer längerfristigen

Kontaktsperre wären nicht nur

politisch, wirtschaftlich und kulturell,

sondern auch sozialpsychologisch verheerend.

„Zwischenmenschliche Nähe

ist, wenn sie einem Menschen nicht

aufgezwungen wird, eine der stärksten

heilsamen Drogen“, so Bauer. Er fordert

einen schnellen und massiven Ausbau

medizinischer Einrichtungen. Ein längerfristiger

Verzicht auf fundamentale

Freiheitrechte, wie er von einigen Virologen

und Epidemiologen avisiert werde,

gleiche einem aus Angst vor dem Tode

vorgenommenen präventiven Suizid.

„Politik muss mehr sein als Virologie

und Epidemiologie. Dass sich diejenigen,

die sich dem angeblich alternativlosen

Rational einiger Epidemiologen und

Virologen nicht beugen, dem Verdacht

aussetzen, mit den Erkrankten nicht

solidarisch sein zu wollen, ist inakzeptabel“,

so Bauer, der auch Facharzt für

Innere Medizin und Psychiatrie ist. Die

bisherigen Anstrengungen zum Ausbau

der medizinischen Versorgung der Gefährdeten

reichten, so Bauer, bei Weitem

nicht aus. Hier sein Gastbeitrag:

An der vom SARS-CoV2 Virus ausgelösten

Erkrankung COVID-19 gibt

es nichts zu beschönigen. Zwar erleiden,

wie bisher vorliegende Studien

zeigen, über 80% der Infizierten nur

leichte bis mittelschwere Symptome

(in der Regel mit Husten und Fieber),

ähnlich einer Grippe. Da aber bei bis

zu 20% der Infizierten der Virus zu

einer schweren Lungenentzündung

führt, handelt es sich um eine überaus

ernst zu nehmende Erkrankung. Etwa

fünf Prozent der Infizierten brauchen

intensivmedizinische Behandlung

mit maschineller Beatmung. Die bisher

gehandelten Prozentzahlen des

Anteils schwer Erkrankter, ebenso

wie die Angaben zum Anteil der an

der Infektion Verstorbenen sind tatsächlich

vermutlich deutlich niederer.

Der Grund dafür ist, dass die bisher

vorliegenden Studien sich nicht

auf die Gesamtheit von Infizierten in

der Bevölkerung bezogen, sondern

auf Menschen, die sich in einer Klinik

vorgestellt hatten. Alle Experten

gehen von einer nicht erfassten hohen

Zahl unerkannt Infizierter aus, die

nur geringe Symptome entwickeln.

Aufgrund dieser „Dunkelziffer“ ist

der tatsächliche prozentuale Anteil

derer, die schwer erkranken oder der

Infektion erliegen, als weit geringer

anzunehmen als bisher vermutet. In

Deutschland liegt der Anteil der Verstorbenen

unter den SARS-CoV2-Infizierten

nach neuesten Zahlen bei

0,4%.

Virologisch und epidemiologisch

unbestritten ist, dass wir alle der

Infektion auf Dauer nicht entkommen

können. Konsens der Fachleute

ist, dass wir einer „Durchseuchung“

(etwas vornehmer ausgedrückt: Herdenimmunität)

entgegengehen: An

deren Ende werden bis zu 70% der

Bevölkerung (das sind in unserem

Land 50-60 Millionen Menschen) den

Virus „durchgemacht“ und dann eine

Immunität erworben haben. Diese

bieten dann ihrerseits den restlichen

30% der Bevölkerung, sozusagen

als Puffer, einen gewissen Schutz.

Die bisherigen, der Reduktion von

Kontakten zwischen den Menschen

dienenden Maßnahmen haben – was

gerne verdrängt wird – nicht das Ziel,

Menschen vor der Infektion zu schützen.

Sie sollen lediglich verhindern,

dass sozusagen „alle auf einmal“

krank werden und unsere medizinischen

Einrichtungen überfordern.

Daher sind die Maßnahmen jetzt erst

einmal richtig. Auf längere Sicht

schützen sie aber niemanden, auch

die besonders Gefährdeten nicht vor

einer Infektion!

Unsere Gesellschaft steht vor einem

Dilemma: Je konsequenter und

länger wir die radikalen Maßnahmen

der Kontaktsperre aufrechterhalten,

desto weniger Menschen werden zu

einem gegebenen Zeitpunkt krank,

desto länger würde es aber auch

dauern, bis die genannten 70% der

Bevölkerung, also rund 50-60 Millionen

Menschen „durchinfiziert“

wären. Virologen und Epidemiologen

wie der Direktor des Robert-Koch-Instituts

haben nur das eine Ziel vor

Augen: der Kurvenverlauf müsse

abgeflacht werden, um unsere medizinischen

Einrichtungen, die als

nur wenig veränderbare, konstante

Größe kalkuliert werden, nicht zu

überlasten. Diese Argumentation ist

zunächst einmal richtig. Dass an


Samstag, 18. April 2020

April | 28. 2020 März 2020

GASTBEITRAG GESELLSCHAFT 27

April 2020

Samstag, 18. April 2020

einer Lungenentzündung erkrankte

Menschen, wenn sie stationäre

Behandlung brauchen (nicht alle

brauchen sie), eine Klinik finden, ist

ein „Muss“. Menschen haben, damit

ihre Gesundheit geschützt bleibt, aber

nicht nur körperliche, sondern auch

psychische, soziale und kulturelle

Bedürfnisse, die ebenso zu beachten

sind, in ihrer Bedeutung aber gerne

unterschätzt oder gering gehandelt

werden. Politik hat das gesamte Spektrum

dieser Bedürfnisse im Auge zu

behalten.

Menschen können ohne sozialen

Kontakt auf Dauer nicht auskommen.

Menschen sind ausweislich ihrer

neurobiologischen Konstruktionsmerkmale

auf sozialen Kontakt angewiesene

Wesen. Zwischenmenschliche

Nähe ist, wenn sie einem Menschen

nicht aufgezwungen wird, eine

der stärksten heilsamen Drogen, die

wir kennen. Psychisches Erleben hat

tiefgreifende, wissenschaftlich nachweisbare

– und tatsächlich unendlich

oft nachgewiesene - Auswirkungen

auf die biologischen Abläufe des

menschlichen Körpers. Das menschliche

Gehirn – US-Kollegen prägten

den Begriff des „social brain“ –

konvertiert psychische und soziale

Erfahrungen in Biologie. Mit

am stärksten davon betroffen ist

das menschliche Immunsystem,

dessen biologische Abwehrkräfte

erlahmen, wenn Menschen Einsamkeit

oder soziale Ausgrenzung

erleben. Dass die moderne Medizin,

auf die wir uneingeschränkt

stolz sein können und selbstverständlich

nicht verzichten wollen,

diesen Aspekt unterbewertet, ist

bedauerlich, macht ihn aber nicht

weniger bedeutsam. Menschen ohne

Kontakt werden krank und

depressiv oder aggressiv.

Gemeinschaft, soziale und kulturelle

Verbundenheit sind unersetzliche,

essentielle Lebensbedürfnisse.

Die analoge, physische

Gemeinschaft mit anderen Menschen

lässt sich durch digitale

Kommunikationsmedien für viele

Menschen gar nicht, für die andere

nur eingeschränkt und jedenfalls

nicht auf Dauer ersetzen. Vielen alten

Menschen, vielen Blinden oder

schwer Behinderten, aber auch vielen

Kleinkindern stehen die digitalen

Kommunikationsmittel gar nicht zur

Verfügung. Aber auch diejenigen, die

in der digitalen Welt zuhause sind,

wissen, dass der physische Kontakt,

der Blick in die Augen eines Anderen,

der Austausch eines Lächelns von Angesicht

zu Angesicht letztlich nicht zu

ersetzen ist. Gemeinsam Ausflüge

zu machen, gemeinsam Konzerte zu

besuchen oder sich anlasslos treffen

zu können sind menschliche Grundbedürfnisse.

Weil sie genau das sind,

haben wir die Grundrechte. Sie sind

kein juristischer Selbstzweck. Sie

sekundieren menschliche Grundbedürfnisse.

Wichtig für künftige Notzeiten:

eine Bettenreserve

Aus diesen Gründen muss Politik

mehr sein als Virologie und

Epidemiologie. Politik muss mehrere

Zielgrößen im Auge haben. Die körperliche

Gesundheit des Menschen ist

eine, ja eine besonders wichtige Zielgröße

- aber nicht einzige. Ich sehe

die Gefahr, dass wir als Gesellschaft

dabei sind, unseren Blick unter der

Drohung der uns bevorstehenden Epidemie

auf die Virologie zu verengen.

Die hier von mir nicht weiter thematisierten

wirtschaftlichen Schäden,

die der Shut-Down vieler gesellschaftlicher

Bereiche anrichtet, sind

derart gewaltig, dass jetzt hunderte

von Milliarden aufgebracht werden

sollen, um die Folgen von Maßnahmen

wiedergutzumachen, die eigentlich

eine Therapie sein sollten. Dies

mag in Ordnung sein. Doch warum

verwenden wir nicht einen guten

Teil dieser „Bazooka“-Gelder dazu,

unsere medizinischen Strukturen

in kürzester Zeit baulich, apparativ

und personell massiv aufzurüsten?

Für eine solche notfallmäßige Hochgeschwindigkeits-Aufrüstung

mit

Schaffung von 50.000 zusätzlichen

Betten nötig wäre ein Betrag in der

Größenordnung von 25 bis 50 Mrd. €.

Die aktuelle Covid-19-Pandemie

ist nicht die erste, die unser Land

heimsucht, und sie wird nicht die

letzte gewesen sein. In Deutschland

liegt die Influenza-bedingte Übersterblichkeit

seit vielen Jahren alljährlich

bei über 20.000 Menschen.

Neue unbekannte Erreger sind auch

in der Zukunft zu erwarten. Daher

ist für ein Land wie das unsere eine

Bettenreserve für die Notzeiten

einer Epidemie unverzichtbar. Sie

kann in „Friedenszeiten“ ruhiggestellt

werden. Zu einer solchen Reserve

zählt auch ein Personalpool

von Menschen, die in Friedenszeiten

hinreichend trainiert wurden und in

Notzeiten kurzfristig aktiviert werden

können. Diese Bettenreserve vorzuhalten,

wäre, wie wir jetzt sehen,

eine weit billigere Angelegenheit

als das, was wir jetzt zur Stützung

der Wirtschaft und zur Abwendung

eines Totalkollaps der Gesellschaft

ausgeben müssen.

ZUM AUTOR

Professor Dr.

Joachim Bauer

Universitäts-Professor Dr. Joachim

Bauer ist Professor für Psychoneuroimmunologe,

Facharzt für

Innere Medizin und für Psychiatrie

und in beiden Fächern auch habilitiert.

Von der Corona-Krise ist

er persönlich wegen einer Bronchial-Allergie

betroffen (was ihn

zu einem Teil der Risikogruppe

macht) sowie auch als Betreuer

seiner 89-jährigen, in einem Berliner

Pflegeheim lebenden erblindeten

Mutter. Bauer forschte am

Mount Sinai Medical Center in

NYC über Immunbotenstoffe und

war lange Jahre am Uniklinikum

Freiburg tätig. Er lebt und arbeitet

in Berlin, wo er eine Gastprofessur

innehat. „Das Gedächtnis

des Körpers – Wie Beziehungen

und Lebensstile unsere Gene steuern“

(Piper Verlag, 11 Euro) und

„ Wie wir werden wer wir sind –

Die Entstehung des menschlichen

Selbst durch Resonanz“ (Blessing

Verlag, 22 Euro) heißen zwei

seiner Best seller.


Samstag, 18. April 2020

28

GESELLSCHAFT

DEUTSCHLAND

Corona-Tagebuch

Samstag, 18.

Ausgabe 287 am 4.

Eine Hand wäscht

die andere,

oder wie?

Samstag, 18. April 2020

Coronavirus. Die drastischen Maßnahmen der deutschen Behörden

gegen die Verbreitung des Virus könnten am Ende zu einer paradoxen

Reaktion führen: Gelingt die Eindämmung auf einige Zehntausend

Fälle mit anschließend flacher Kurve, wird es heißen: Und deswegen

all die Verbote? Gelingt dies trotz aller Maßnahmen nicht, heißt es:

Wofür der ganze Zauber? Hat ja eh nichts genutzt! Von Michael Zäh

Es ist nicht so, wie man denkt, sondern so, wie es

kommt. Das sagte Sigmund Freud, der Begründer

der Psychoanalyse und einer der größten

Denker der Menschheit. Dies ist keinesfalls zu verwechseln

mit dem rheinischen Grundgesetz: „Et kütt

wie et kütt.“ Denn dieses „Es kommt wie es kommt“

ist eher fatalistisch lässig gemeint, bis hin zum unvermeidlichen

Untergang, während Freud sein Leben

lang Wissenschaftler war, der sich Gedanken darüber

machte, was den Menschen helfen könnte.

Niemand von uns hat derzeit die Macht, auch

nur zu wissen, was kommt und wie es kommt. Wohl

auch unsere Wissenschaftler nicht, denen aber in

der derzeitigen Situation zunächst einmal Glauben

geschenkt werden sollte. Und diese haben denn auch

eine recht klare Formel in Umlauf gebracht: Siebzig

Prozent der deutschen Bevölkerung werden sich über

kurz oder lang mit dem Corona-Virus anstecken. Dies

wären rund 58 Millionen Menschen in Deutschland.

Die Frage sei nur, in welchem Zeitraum dies geschehe.

Und genau diese Frage sei entscheidend dafür, wie

schlimm es kommt. Entweder zur Katastrophe und dem

gesellschaftlichen Zusammenbruch, oder zu einer gewaltigen

Aufgabe, die aber bewältigt werden könnte.

Die Wissenschaftler gehen bei ihren Prognosen

von zwei Prämissen aus: Erstens wird sich das Corona-

Virus so lange von Mensch zu Mensch weiter verbreiten,

in Deutschland wie in der Welt, bis es keine neuen

Wirte mehr findet, die nicht schon immun sind. Und

zweitens würde die Kurve der Ansteckungen in kurzer

Zeit steil nach oben gehen, wenn keine einschneidenden

Maßnahmen ergriffen würden. Wenn wie bisher

knapp ein Sechstel der Infizierten einen schweren

Verlauf der Lungenkrankheit bekämen und daher im

Krankenhaus behandelt werden müssten, dann wären

dies also knapp neun Millionen Menschen.

Dieses Szenario ist so, wie Wissenschaftler es

heute denken. Nein, keiner weiß, ob es so kommt.

Weil aber allein die Möglichkeit besteht, dass es –

ohne all die Gegenmaßnahmen, die bereits ergriffen

wurden – zu einem Kollaps in Kliniken führen könnte

(weil natürlich nicht neun Millionen Menschen dort

gleichzeitig behandelt werden könnten) alles rechtfertigt,

was man dagegen tun kann, kommt es im Moment

bei der Gesellschaft – uns allen – ganz gut an, wenn

nun der Ausnahmezustand ausgerufen ist. Noch dazu,

weil die Wissenschaftler ja darauf hinweisen, dass es

hauptsächlich eine bestimmte Gruppe ist, die durch

den Rest der Gesellschaft – uns alle – geschützt werden

müsse: Ältere und bereits erkrankte Menschen, also

unsere Eltern oder Großeltern (insofern wir das nicht

selbst schon sind). Und wer möchte nicht seine eigenen

Eltern schützen? Ohne die Bereitschaft aller käme es

laut Hochrechnungen bis zu 1,8 Millionen Toten in

kürzester Zeit durch das Corona-Virus. Hinzu kämen

vermutlich noch viele weitere Tote, die an ganz anderen

Krankheiten (wie etwa Herzinfarkte, Krebs und

dergleichen) leiden, aber wegen des Zusammenbruchs

des Gesundheitssystems nicht mehr entsprechend versorgt

werden könnten. Dass es nicht so kommen darf,

wie sich das die Wissenschaftler vorsorglich denken,

überzeugt auch jene von uns, die ungern auf all das

verzichten, was unser Leben schon auch ein bisschen

ausmacht: Soziale Kontakte, Kultur, Sport, Kneipen,

die Freiheit, sich dort bewegen zu dürfen, wo man will.

Man übt sich in Solidarität, es fühlt sich ja auch an

wie zwischen den Zeiten (verwandt mit den wenigen

Wochen zwischen den Jahren), ist mal etwas Neues

und schweißt im Abstandhalten sogar zusammen. Eine

Weile geht das gut. Es sind Coronaferien, die man gar

nicht beantragen musste (ja, die man nicht mal auf

die eigene Kappe nehmen muss), eine überraschend

geschenkte Zeit im Kreise seiner Nächsten. Und es

kann sogar sein, dass man dann in neun Monaten den

„Corona-Baby-Boom“ feststellt. Ja, was soll man auch

machen, wenn man mal nicht gestresst ist?

Eine Weile lang ist es ein Test, der seinen Reiz entfaltet.

Das sonstige gesellschaftliche Leben in Deutsch-

ZUR SACHE

Die „Bazooka“ soll

nun also helfen

Es ist eine seltsame Wortwahl, die

Finanzminister Olaf Scholz und

Bundeswirtschaftsminister Peter

Altmaier in Anschlag bringen: Der

Bund werde die „Bazooka“ gegen

die Auswirkungen des Corona-Virus

einsetzen. Nun ja, das ist wohl als

Beruhigung gemeint, obwohl das

„Ofenrohr“ im Zweiten Weltkrieg

als eher grobschlächtige Waffe der

US-Streitkräfte galt, die nicht selten

die Schützen selbst zu Tode verbrannte.

In Übersetzung heißt dies,

dass der Bund in unbegrenzter Höhe

Kredite für Firmen bereitstellen will,

die durch das Corona-Virus in Not

geraten sind. „Das ist ein Schritt,

den es so in der Nachkriegsgeschichte

noch nicht gegeben hat.

An fehlendem Geld und fehlendem

Willen soll es nicht scheitern“, so

Altmaier. Man sitze auf gut gefüllten

Kassen und habe deshalb auch

großes Durchhaltevermögen, sagte

Scholz. „Wir können alles stabilisieren,

was stabilisiert werden muss“,

so der Finanzminister weiter. Dies

soll für kleine wie für große Unternehmen

gelten, so heißt es. Wenn

man dies aber die „Bazooka“ nennt,

rennen viele Firmen gleich davon.

Verbrennungsgefahr! miz


Samstag, 18. April 2020

| 21. März 2020

April 2020

DEUTSCHLAND GESELLSCHAFT 29

April 2020

Samstag, 18. April 2020

land ist ausgeknipst – was können wir an dessen Stelle

rücken? Manche machen vielleicht den Couch-Potato

vor der Glotze, dem Computer oder dem Handy. Ist

bequem und tut nicht weh. Wann hat man das schon,

dass es auch noch ohne schlechtes Gewissen gemacht

werden kann? Ist zum Schutz der Großeltern und ja

auch staatlich verordnet.

Andere nutzen die Auszeit dafür, mal das zu

machen, an das sie sonst gar nicht denken dürfen.

Nachdenken übers eigene Leben und das der Nächsten.

Sogar über Politik und Ethik. Mal ein Buch lesen, das

tausend Seiten hat. Mal raus aus der ewigen Beschleunigung

des sonstigen Alltags, um zu sich selbst zu

finden. Quasi eine Erfrischungskur für Geist und Seele.

Und dann soll es auch jene geben, die ganz konkret

helfen wollen. So gibt es bereits spontan gegründete

Nachbarschaftshilfen für ältere Menschen, damit diese

nicht selbst einkaufen gehen müssen. Oder es gibt

Leute, die vorübergehend arbeitslos geworden sind und

sich als Babysitter anbieten, um jene zur Arbeit gehen

zu lassen, die dringend benötigt werden, vor allem im

Gesundheitssystem.

Wenn wir alle immer schön unsere Hände waschen

und es dann auch noch stimmt, dass offiziell eine Hand

die andere wäscht, weil die Regierung einfach allen

Betroffenen finanziell unter die Arme greift, könnte

am Ende etwas ganz Großartiges stehen. Das wäre fast

wie das deutsche Wirtschaftswunder in der Folge des

Zweiten Weltkriegs.

Die Frage ist allerdings, wie lange diese Solidarität

gutgehen kann. Denn angesichts existenzieller

Nöte von all jenen, die freischaffend tätig sind oder

auf öffentliches Publikum angewiesen sind, wird es

wohl nicht allzu lange dauern, bis es sogar soziale

Unruhen geben wird. Wenn in vier Wochen alles unter

Kontrolle wäre und die rigorosen Beschränkungen mit

Pauken und Trompeten alle wieder aufgehoben werden

könnten, wäre dies noch machbar. Dann würde sich

die Gesellschaft ob ihres Zusammenhalts vielleicht

sogar feiern.

Wenn es nach acht Wochen immer noch heißt,

dass kein Ende absehbar sei, sondern immer noch neue

unzumutbare Restriktionen erlassen würden, rauscht

die gesellschaftliche Depression heran. Wenn es ein

halbes Jahr, gar ein Jahr oder länger dauern sollte, wäre

die Gesellschaft und die Wirtschaft, wie wir sie heute

kennen, nicht mehr wieder zu erkennen. Dann wäre es

nicht so, wie es von heute aus gedacht war, sondern

so, wie es dann gekommen ist. Es wäre der Absturz ins

Bodenlose, mit allen politischen Verwerfungen, die das

mit sich brächte.

Kurzfristig könnte es zu einer paradoxen Reaktion

kommen: Sollte es nämlich gelingen, dass durch die

drastischen Maßnahmen des Staates die Zahl der Infektionen

recht konstant auf einem niedrigen Niveau

gehalten würde und dann flach verläuft, dann würden

die Millionen Menschen, die ihre wirtschaftliche

Existenz verloren haben, sagen: Wie bitte, wegen nur

ein paar zehntausend Infektionen wurde vom Staat

der Ausnahmezustand verfügt und habe ich alles

verloren? Sollte aber umgekehrt eine gesundheitliche

Katastrophe über das Land herein brechen, weil alle

Maßnahmen es nicht verhindern konnten, dann werden

Millionen Menschen sagen, dass man dann diese

wirtschaftlich vernichtenden Verbote auch hätte sein

lassen können, da sie ja nichts bewirkt haben.

Man kann sich das ausdenken wie man will. Derzeit

werden selbst frohgemute Geister verunsichert sein

und daran zweifeln ob ein „Et hätt noch immer jot jejange“

zutrifft. Es stimmt ja außerdem auch nicht, dass

es noch immer gut gegangen ist. Eher könnte sein, dass

das Jahr 2020 ein einschneidendes in der Geschichte

der Menschheit sein wird.

Womöglich kommt es so, dass der Virus irgendwann

kontrolliert wird, aber die Weltordnung und die

globale Wirtschaft sich zwischenzeitlich stark verändert

haben werden. Könnten wir uns denken, wenn wir

nicht wüssten, was Freud gesagt hat.

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