DGB Bildungswerk Länderprofil Indonesien - Nord-Süd-Netz
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Einleitung<br />
Die jüngste deutsche Berichterstattung zu <strong>Indonesien</strong><br />
lässt sich im Groben unter zwei große<br />
„T“ zusammenfassen: Terror und Tsunami.<br />
Obwohl Deutschland und <strong>Indonesien</strong> auf lange,<br />
intensive Verbindungen zurückblicken<br />
können, macht das Inselreich kaum Schlagzeilen<br />
in den deutschen Medien, es sei denn, als<br />
Schauplatz von Katastrophen, seien sie nun<br />
natürlicher Art oder Menschen gemacht.<br />
So gerät die beeindruckende Geschichte und<br />
Gegenwart <strong>Indonesien</strong>s in den Hintergrund.<br />
Eines Landes, das, auf die europäische Landkarte<br />
übertragen, von Irland bis nach Zentralrussland<br />
reichen würde. Eines Landes, dessen<br />
natürliche Schönheit einem ebenso die Sprache<br />
verschlägt wie das Tempo und die Ignoranz,<br />
mit der dieser Reichtum ausgebeutet<br />
wird. Eines Landes, das mehr als 300 verschiedene<br />
Völker und Sprachen kennt, mit einer<br />
Kulturlandschaft, die in ihrem Facettenreichtum<br />
noch jeden Besucher in ihren Bann gezogen<br />
hat. Eines Landes, dessen heutige Form<br />
ein koloniales Konstrukt ist und das Generationen<br />
von Wissenschaftlern mit der Forschungsfrage<br />
versorgt, welcher „Kitt“ es eigentlich<br />
als nationale Einheit zusammenhält.<br />
<strong>Indonesien</strong> befindet sich in einem rasanten<br />
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruch.<br />
Zehn Jahre ist es her, dass die Asienkrise<br />
den Unmut der Massen schürte und Diktator<br />
Suharto, der das Land 32 Jahre lang mit<br />
eiserner Faust regiert hatte, nach wochenlangen<br />
Demonstrationen schließlich abdankte.<br />
Herrscht nun in <strong>Indonesien</strong> die Demokratie?<br />
Profitieren die Menschen vom neuerlichen<br />
Wirtschaftsaufschwung? Haben sich Armut<br />
und soziale Ungleichheit verringert? Wie steht<br />
es um die viel beschworene „Einheit in Vielfalt“<br />
in <strong>Indonesien</strong>? Wie groß ist die Gefahr<br />
der Radikalisierung des Islam im Land mit der<br />
größten muslimischen Bevölkerung der Welt?<br />
Und schließlich: Wie sehen Möglichkeiten und<br />
Strategien der internationalen Gewerkschaftskooperation<br />
und Entwicklungszusammenarbeit<br />
zur Gestaltung des Wandels in Wirtschaft<br />
und Gesellschaft aus?<br />
Mit dieser Broschüre wollen wir die vielschichtigen<br />
Entwicklungen in <strong>Indonesien</strong> nachzeichnen.<br />
Den engagierten Autorinnen und<br />
Autoren – allesamt langjährige Kenner des<br />
Landes – sei an dieser Stelle herzlich gedankt.<br />
Beginnend mit der kolonialen Vergangenheit,<br />
den ersten Jahren der Unabhängigkeit bis zur<br />
jüngsten Geschichte skizzieren sie die Lebenswelten<br />
und politischen Kämpfe im südostasiatischen<br />
Inselreich. Die Demokratiebewegung<br />
habe zwar Suharto gestürzt, aber keine langfristige<br />
Alternative geboten, ist beispielsweise<br />
Alexander Flor überzeugt. Vieles, was im Westen<br />
als Demokratisierung gefeiert werde, bleibe<br />
als Freiheit einer kleinen Elite vorbehalten.<br />
Auch in der nach dem Tiefschlag der Asienkrise<br />
wieder wachsenden Wirtschaft nehmen neben<br />
internationalen Akteuren die alten Eliten<br />
die Schlüsselrolle ein. Die Schere zwischen Arm<br />
und Reich klafft immer weiter auseinander.<br />
Investoren werden mit Sonderwirtschaftszonen<br />
angelockt, wo Steuererleichterungen geboten<br />
und Arbeitnehmerrechte ausgehebelt<br />
werden. Hier ist internationale Solidarität gefragt,<br />
wie Ingeborg Wick eindrucksvoll am<br />
Beispiel eines Schulungsprojektes für Gewerkschaften<br />
beschreibt. Das <strong>DGB</strong> <strong>Bildungswerk</strong><br />
unterstützt die Stärkung gewerkschaftlicher<br />
Einflussmöglichkeiten in den indonesischen<br />
Arbeitsbeziehungen durch ein mehrjähriges<br />
Projekt zur Verbesserung des Rechtsschutzes<br />
für Gewerkschaftsmitglieder und Arbeitnehmer.<br />
Auch, was die Umwelt angeht, wird das<br />
Wirtschaftswachstum teuer erkauft. Häufig<br />
zahlen indigene Bevölkerungsgruppen den<br />
Preis der Modernisierung. Rücksichtslose Ausbeutung<br />
der natürlichen Ressourcen raubt<br />
ihnen ihren Lebensraum. Deutlich wird das<br />
am von Diaz Gwijangge geschilderten Beispiel<br />
des amerikanischen Minenbetreibers PT Freeport-McMoran<br />
in Westpapua. Auch im Riau-<br />
Archipel werden die dort beheimateten Seenomaden<br />
immer stärker in ihrer materiellen<br />
und kulturellen Existenz bedroht, wie Lioba<br />
Lenhardt berichtet.<br />
Das Potenzial für soziale Unruhen wächst angesichts<br />
der gravierenden Widersprüche. <strong>Indonesien</strong><br />
gilt vielen Beobachtern als tickende<br />
Zeitbombe, was das Entladen von sozialen<br />
Spannungen angeht. Judith Melzer schildert,<br />
wie – auch wenn <strong>Indonesien</strong> noch immer zu<br />
Recht als Land mit hoher religiöser Toleranz<br />
gilt – sich derartige Spannungen auch in einer<br />
Radikalisierung des Islam bemerkbar machen.<br />
Es soll jedoch in diesem Heft nicht nur um die<br />
Betonung der umfassenden Probleme des Landes<br />
gehen. Wir möchten vielmehr diejenigen<br />
würdigen, die sich für eine friedliche und gerechte<br />
Entwicklung in ihrem Land engagierten<br />
und engagieren.<br />
Eindrucksvoll schildert Don K. Marut, wie die<br />
Mitglieder traditioneller Räte auf den Molukken<br />
für die Durchsetzung dörflicher Autonomie<br />
sorgen und damit Konflikten den Nährboden<br />
entziehen.<br />
Das literarische Werk von Pramoedya Ananta<br />
Toer, das Rüdiger Siebert in seinem Beitrag<br />
würdigt, hilft, <strong>Indonesien</strong> in all seiner Widersprüchlichkeit<br />
ein wenig besser zu verstehen.<br />
Einst ein Kämpfer für die Unabhängigkeit, war<br />
seine Stimme den jeweils Mächtigen zu kritisch.<br />
Sowohl unter Sukarno als auch unter<br />
Suharto wurde der Autor inhaftiert, erst nach<br />
1998 durften seine Bücher in <strong>Indonesien</strong> wieder<br />
verlegt werden. Gerade die Schicksale der<br />
„kleinen Leute“, der Protagonisten in Pramoedyas<br />
Werken, zeigen, wie der Schatten<br />
der Vergangenheit in <strong>Indonesien</strong> noch immer<br />
das Handeln in der Gegenwart prägt.<br />
Wir wünschen Ihnen eine anregende und erkenntnisreiche<br />
Lektüre!<br />
Anett Keller, freie Journalistin und <strong>Indonesien</strong>expertin<br />
Andreas Merx, Projektleiter im <strong>Nord</strong>-<strong>Süd</strong>-<strong>Netz</strong><br />
des <strong>DGB</strong>-<strong>Bildungswerk</strong>s<br />
Dezember 2007<br />
<strong>Länderprofil</strong> <strong>Indonesien</strong> | 3