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Menschlich pflegen - Evangelisches Diakoniewerk Gallneukirchen

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Prinzipien im täglichen Handeln<br />

Diakonie<br />

sollte das Handeln sowohl des<br />

Einzelnen wie der Gruppe und<br />

auch der gesamten Menschheit,<br />

vom Gedanken der Nützlichkeit,<br />

des Vorteils und des Wohls geleitet<br />

werden. Bei anstehenden Problemen<br />

sei nach Mill jene Lösung<br />

zu bevorzugen, die das größtmögliche<br />

Glück der größtmöglichen<br />

Zahl verspricht.<br />

In der heutigen Pflege ist – ganz<br />

allgemein gesprochen – der Gedanke<br />

des Nutzens für alle Beteiligten<br />

aktueller als jener einer<br />

einseitigen Pflichterfüllung am<br />

Patienten.<br />

Pflegerische Ethik<br />

Ethik in Medizin und Pflege ist in<br />

erster Linie angewandte Ethik.<br />

Ethische Prinzipien werden angewandt,<br />

um Alltagsentscheidungen<br />

zu treffen. Über die ethischen<br />

Prinzipien, die diesen Entscheidungen<br />

zugrunde liegen, besteht<br />

weitgehend Einigkeit. Ethische<br />

Grundregeln für die Krankenpflege<br />

wurden erstmals beim 10.<br />

Kongress des Weltbundes für<br />

Krankenschwestern (JCN) 1953 in<br />

Sa ~ In den letzten Jahrzehnten hat sich im<br />

Pflegewesen sehr viel verändert. Ich<br />

möchte einige positive und negative<br />

Entwicklungen gegenüberstellen.<br />

Als negativ würde ich folgende Tendenzen<br />

bewerten: Die immer kürzere<br />

Verweildauer der Patienten und das<br />

dicht gedrängte Programm an Untersuchungsabläufen<br />

umd Therapien erlauben<br />

dem Pflegepersonal immer<br />

seltener, persönliche Gespräche mit<br />

den Patienten zu führen. Die Zeit für<br />

die wichtige persönliche Zuwendung<br />

wird immer knapper. Eine Pflegeperson<br />

verbringt einen wesentlichen Teil<br />

der Dienstzeit mit Vorbereitungstätigkeiten,<br />

Verwaltungsaufgaben und mit<br />

der Dokumentation.<br />

Zu den positiven Entwicklungen<br />

zählen folgende: die interdisziplinäre<br />

Zusammenarbeit zwischen verschiedenen<br />

Berufsgruppen, die zunehmende<br />

Bedeutung der Teamarbeit innerhalb<br />

des Pflegepersonals, die<br />

ganzheitliche Pflege des Patienten<br />

und der Stellenwert der Autonomie<br />

des Patienten. Die beiden zuletzt genannten<br />

Punkte möchte ich hier<br />

näher betrachten:<br />

1. Ganzheitlichkeit:<br />

Ganzheitliche Pflege, die den Menschen<br />

als Einheit von Körper, Geist<br />

umd Seele begreift, umfasst mehr als<br />

o Paolo, Brasilien, von dessen<br />

nur die Versorgung seiner Grundbe-<br />

Aufsichtsrat festgelegt. Dort heißt<br />

dürfnisse. Im Jahre 1919 schrieb Al-<br />

es in der Präambel:<br />

bert Schweitzer (1865–1965) folgende<br />

„Pflegende haben vier grundle- Zeilen, die aus dem Nachlass veröfgende<br />

Aufgaben: Gesundheit zufentlicht<br />

wurden:<br />

fördern, Krankheit zu verhüten,<br />

„Alles Helfen und Wirken, zu dem du<br />

Gesundheit wieder herzustellen<br />

im Leben berufen sein kannst, ist ein<br />

und Leiden zu lindern. Untrenn-<br />

materielles und ein geistiges zugleich,<br />

bar von Pflege ist die Achtung<br />

wie in dem, was den Menschen an-<br />

der Menschenrechte, eingeht,<br />

beides immer ineinander geht“<br />

schließlich dem Recht auf Leben,<br />

(Albert Schweitzer: Was sollen wir<br />

auf Würde und auf respektvolle<br />

tun Heidelberg 1986, S. 127).<br />

Behandlung. Pflege wird ohne<br />

Rücksicht auf Alter, BehinderungDie<br />

ganzheitliche Pflege erfordert<br />

oder Krankheit, das Geschlecht, Einfühlungsvermögen und fachliches<br />

den Glauben, die Hautfarbe, dieWissen.<br />

Sie zielt auf das Schaffen von<br />

Kultur, die Nationalität, die poli- menschlichen Beziehungen ab. Die<br />

tische Einstellung, die Rasse oderGabe<br />

zuzuhören, zu trösten, unausge-<br />

den sozialen Status ausgeübt“. sprochene Wünsche zu erkennen,<br />

Zu diesen Prinzipien kommen<br />

gehört zwar im engeren Sinne nicht<br />

weitere hinzu, die in der Bezie-<br />

zum beruflichen Aufgabenfeld, zählt<br />

hung zwischen Pflegekräften,<br />

aber zu jenen Qualitäten, welche die<br />

Ärzten und Patienten bedeutsam<br />

pflegerische Tätigkeit abwechslungs-<br />

sind:<br />

• wahrhaftig sein,<br />

• verschwiegen sein,<br />

• Verantwortumg tragen,<br />

• Vertrauen herstellen und aufrecht<br />

erhalten.<br />

reich und lebendig machen. Jeder Patient<br />

ist ein Individuum und bringt als<br />

solches seine Lebensgewohnheiten,<br />

Bedürfnisse und Probleme wie einen<br />

Rucksack mit in das Krankenhaus.<br />

Das heißt für den Pflegenden, sich auf<br />

jeden Patienten neu einzustellen.<br />

Für die Qualität der Betreuung spielt<br />

die Erfüllung von Patientenbedürfnissen<br />

eine wichtige Rolle, was Engagement<br />

erfordert und Zeit kostet. Dazu<br />

sind nicht alle im Pflegeberuf tätigen<br />

Personen von ihrer charakterlichen<br />

Einstellung her fähig oder bereit. Obwohl<br />

in der Krankenpflegeausbildung<br />

ethische Werte vermittelt werden,<br />

nehmen diese nicht immer den Stellenwert<br />

ein, der in der Praxis gelebt<br />

werden sollte.<br />

2. Autonomie<br />

Grundsätzlich sollten sowohl der Patient<br />

wie auch die Pflegenden autonom<br />

handeln können. Im Zentrum der<br />

Pflegequalität, die sich am Patienten<br />

orientiert, steht die Autonomie des<br />

Patienten, die das Recht auf Willensund<br />

Entscheidungsfreiheit sowie auf<br />

Selbstbestimmung einschließt. Bis<br />

etwa 1970 war es selbstverständlich,<br />

dass der Arzt wichtige Entscheidungen<br />

über Therapie völlig selbständig<br />

traf, und zwar aufgrund seiner besseren<br />

Einsicht, was in der Situation für<br />

den Patienten das Beste sei. Man bezeichnet<br />

diese Grundhaltung als Paternalismus.<br />

Heute geht man davon aus, dass es<br />

wichtig ist, den Patienten zu informieren<br />

und sein Einverständnis einzuholen.<br />

Häufig stellt sich allerdings<br />

die Frage, ob er nicht überfordert<br />

wird, wenn er über die Anwendung<br />

von Maßnahmen entscheiden soll,<br />

deren Voraussetzungen und Konsequenzen<br />

er nicht überblickt.<br />

Die Pflegeperson kann die Situation,<br />

in der sich der Patient befindet, oft<br />

besser als der Arzt einschätzen. Da<br />

sich die Pflegepersonen nicht der<br />

Fachsprache der Ärzte bedienen,<br />

äußern sich Patienten ihnen gegenüber<br />

oft unbefangener, zumal sie insgesamt<br />

mehr Zeit am Krankenbett<br />

verbringen als die Ärzte. Andererseits<br />

geben Pflegepersonen dem Patienten<br />

die Informationen des Arztes weiter<br />

und begleiten ihn so bei der Entscheidungsfindung.<br />

Von gelungener Autonomie spricht<br />

man, wenn Schwerkranke bei guter<br />

Begleitung ihre Wünsche formulieren<br />

können. Wenn die Kräfte abnehmen,<br />

tritt häufig das Tun und Habenwollen<br />

in den Hintergrund. Das Sein wird bedeutender.<br />

Hoffnung und Zuversicht<br />

im letzten Lebensabschnitt bedeutet,<br />

den Zustand und das Leben anzunehmen.<br />

Bis zuletzt können Ziele erreicht<br />

werden. Um die letzte Lebensphase<br />

soweit wie möglich autonom zu gestalten,<br />

brauchen die Patienten ein<br />

Gegenüber, eine Person, die sie als<br />

Gesprächspartner in den Ängsten vor<br />

dem Sterben und dem Tod begleitet,<br />

und in der Umsetzung der Bedürfnisse<br />

unterstützt. Dabei soll dem Patienten<br />

auch die Möglichkeit gegeben werden,<br />

sich zu äußern, wie er sterben<br />

möchte. Obwohl in der letzten Lebensphase<br />

die Fähigkeit abnimmt,<br />

selbständig zu leben, ist Autonomie<br />

auch in dieser Lebensphase wichtig.<br />

Zwar steht am Ende der Tod, und<br />

damit zugleich das Ende aller Lebensautonomie;<br />

doch auf dieser Wegstrecke<br />

ist Selbstbestimmtheit ein wesentliches<br />

Merkmal patientenorientierter<br />

Qualität.<br />

Voraussetzung für die Autonomie bis<br />

zuletzt ist auch, dass die Patienten<br />

von Personen betreut werden, die<br />

selbst autonom handeln und aus dieser<br />

Position heraus die Wünsche der<br />

Patienten wahrnehmen und zu ihrer<br />

Umsetzung beitragen können.<br />

Wohl kaum einer hat so scharfsinnig<br />

und selbstkritisch über die Kunst des<br />

Helfens geschrieben, wie der dänische<br />

Philosoph Sören Kierkegaard. In seinem<br />

Aufsatz mit dem Titel „Eine einfache<br />

Mitteilung“ aus dem Jahre 1859<br />

beschrieb er die Wertgrundlage für<br />

diese schwierige Aufgabe:<br />

„Wenn wir beabsichtigen, einen Menschen<br />

zu einer bestimmten Stelle hinzufahren,<br />

müssen wir uns zunächst<br />

bemühen, ihn dort anzutreffen, wo er<br />

sich befindet und dort anfangen.<br />

Jeder, der dies nicht kann, unterliegt<br />

einer Selbsttäuschung, wenn er meint,<br />

anderen helfen zu können.<br />

Wenn ich wirklich einem anderen helfen<br />

will, muss ich mehr verstehen als<br />

er, aber zu allererst muss ich begreifen,<br />

was er verstanden hat. Falls mir<br />

dies nicht gelingt, wird mein Mehr-<br />

Verständnis für ihn keine Hilfe sein.<br />

Fachbeiträge<br />

Würde ich trotzdem mein Mehr-Verständnis<br />

durchsetzen, dürfte dieses<br />

wohl in meiner Eitelkeit begründet<br />

sein. Ich möchte meine Unterstützung<br />

durch seine Bewunderung ersetzen.<br />

Aber jede wahre Kunst der Hilfe muss<br />

mit einer Erniedrigung anfangen. Der<br />

Helfer muss zuerst knien vor dem, dem<br />

er helfen möchte. Er muss begreifen,<br />

• dass zu helfen nicht zu herrschen<br />

ist, sondern zu dienen;<br />

• dass Helfen nicht eine Macht, sondern<br />

eine Geduldsausübung ist;<br />

• dass die Absicht zu helfen einem<br />

Willen gleichkommt, bis auf weiteres<br />

zu akeptieren, was der andere<br />

verstanden hat“.<br />

<strong>Menschlich</strong> <strong>pflegen</strong> –<br />

auch in Zukunft möglich?<br />

In den Krankenhäusern, Altenheimen<br />

umd in den Bereichen der ambulanten<br />

Pflege sowie bei der Versorgung von<br />

Menschen mit Behinderung wird zunehmend<br />

gespart – auch am Pflegepersonal!<br />

Es wäre eine schreckliche Vision,<br />

wenn Patienten oder Heimbewohner<br />

nur noch jeden zweiten Tag die notwendige<br />

pflegerische Hilfe bekämen,<br />

um beispielsweise das Bett verlassen<br />

umd am Tisch sitzen zu können. Alte<br />

und schwerstkranke Menschen würden<br />

sich häufig überflüssig und unerwünscht<br />

fühlen.<br />

Wir Pflegende wollen nach bestem<br />

Wissen und Gewissen und unter Wahrung<br />

der Würde die Rechte der Patienten<br />

erfüllen. Pflegende können in-<br />

Diakonie<br />

<strong>Menschlich</strong> <strong>pflegen</strong> muss auch in Zukunft möglich sein!<br />

folge mangelnder Zeitkapazität, Geldumd<br />

Personalressourcen zunehmend<br />

nur noch lebensnotwendige Hilfeleistungen<br />

durchführen. Das entspricht<br />

einem aufgezwungenen Pflegeentzug,<br />

der ebenso schädlich ist wie ein Absetzen<br />

der Therapie.<br />

Es ist deshalb sehr wichtig, die vorhandenen<br />

Mittel zweckmäßig und angemessen<br />

zur Förderung und Wiederherstellung<br />

der Gesundheit oder zur<br />

Linderung von Leiden einzusetzen.<br />

Die Verantwortung für das Durchführen<br />

oder Unterlassen von Pflegehandlungen<br />

muß jede professionell<br />

<strong>pflegen</strong>de Person selbst tragen dürfen.<br />

Sie muss ihre Entscheidung ethisch,<br />

rechtlich und fachlich begründen.<br />

Die Rahmenbedingungen für die individuelle<br />

Pflege sind von gesellschaftlichen<br />

Faktoren abhängig. Unsere Gesellschaft<br />

als Solidargemeinschaft hat<br />

die Pflicht, die Kranken und Schwachen,<br />

die Pflegebedürftigen und alten<br />

Menschen zu schützen und ihre Rechte<br />

und ihre Würde zu wahren. Diesem<br />

Ziel dient eine angemessene Pflege.<br />

Immer häufiger verzweifeln beruflich<br />

Pflegende an der Unvereinbarkeit ihres<br />

fachlichen und ethischen Anspruches.<br />

Pflegeberufe sind erheblichen Belastungen<br />

ausgesetzt, so dass Pflegende<br />

häufig in ihrer Aufgabe überfordert<br />

sind, resignieren oder sogar den Beruf<br />

aufgeben. In der Altenpflege tätige<br />

Personen verbringen im Durchschnitt<br />

nicht mehr als vier Jahre in diesem<br />

Beruf. Die zukünftige Überalterung<br />

unserer Bevölkerung wird die Situa-

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