Menschlich pflegen - Evangelisches Diakoniewerk Gallneukirchen
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tion dramatisch verschärfen.<br />
Wir fordern daher von den im Gesundheitswesen<br />
zuständigen Politikern<br />
und den gesellschaftlichen Gruppen,<br />
den Pflegenden die Möglichkeit<br />
zu geben, Kranke und hilfsbedürftige<br />
Menschen ihrer Würde entsprechend<br />
zu <strong>pflegen</strong>.<br />
„Eine Ethik, die authentisch und<br />
glaubwürdig sein will, muss von<br />
durchlebten Erfahrungen von Menschen<br />
ausgehen, die ihre Verantwortlichkeit<br />
wahrmachen.“ (Arie van der<br />
Arend: Ethik für Pflegende, Bern<br />
1996, S. 36)<br />
Wir Pflegenden müssen alle Möglichkeiten<br />
einsetzen, um unsere ethische<br />
Sensibilität zu bewahren.<br />
Diakonie Fachbeiträge Diakonie<br />
DGKS Marlies Hauschka<br />
Pflegedialog: Von der Ethik<br />
über die Forschung<br />
bis hin zum Personal<br />
Im Oktober 2003 luden Sozialminister<br />
Mag. Herbert Haupt, Gesundheitsministerin<br />
Maria Rauch-Kallat und<br />
Staatssekretärin Ursula Haubner Interessengruppen,LändervertreterInnen<br />
und ExpertInnen zu einem „Pflegedialog“,<br />
um Erfahrungen und Erlebnisse<br />
zum Thema Pflege und<br />
Ausbildung in den Pflegeberufen zu<br />
diskutieren.<br />
Minister Haupt befürwortete in seinem<br />
Eingangsstatement den Entwurf<br />
zum Sozialberufsgesetz. Für Staatssekretär<br />
Reinhart Wanek hängt der<br />
Personalmangel im Pflegebereich unmittelbar<br />
damit zusammen, dass die<br />
Tagsätze derzeit nur ungenügend geleistet<br />
werden und das Pflegegeld<br />
nicht erhöht wird.<br />
Extreme Belastung in den Pflegeberufen<br />
bei gleichzeitiger niedriger Schulausbildung<br />
und hoher Verantwortung<br />
machen diese Berufe langfristig nicht<br />
attraktiv. Der Staatssekretär möchte<br />
die Kurzzeitpflege ausbauen, damit<br />
<strong>pflegen</strong>de Angehörige von Menschen<br />
mit Demenz entlastet werden.<br />
In der Diskussion wird gefordert, dass<br />
die Ausbildung im Gesundheitsbereich<br />
nicht mehr zwingend in den<br />
Krankenanstalten angeboten wird,<br />
vielmehr soll die Ausbildung des gehobenen<br />
Gesundheits- und Krankenpflegedienstes<br />
in die Zuständigkeit<br />
Ethische Sensibilität im Umgang mit<br />
hilfsbedürftigen Menschen muss bewahrt<br />
werden.<br />
des Unterrichtministeriums gehen.<br />
Damit könnte sicher gestellt werden,<br />
dass künftige AbsolventInnen auch<br />
das Pflegeheim als Arbeitsplatz<br />
wählen.<br />
Eine sehr starke Lobby bilden die InteressenvertreterInnen<br />
und die ExpertInnen<br />
für die Etablierung von Pflegewissenschaft<br />
und Pflegeforschung,<br />
welche derzeit laut Generaloberin<br />
Charlotte Staudinger (Wiener Krankenanstaltenverbund)<br />
in Österreich<br />
„im Spannungsfeld zwischen Gebrauchtwerden<br />
und Vergessenwerden“<br />
steht. Festgestellt wird, wer Qualität<br />
in der Pflege will, kommt nicht<br />
länger an Pflegewissenschaft und<br />
Pflegeforschung vorbei.<br />
Seit Jahren ist bekannt, dass in Österreich<br />
ein großer Bedarf an akademisch<br />
ausgebildeten Pflegekräften besteht,<br />
will man den heute international<br />
üblichen Standard erreichen.<br />
Neben dem Studium spielt die Forschung<br />
eine immer wichtigere Rolle.<br />
Pflegeforschung beschränkt sich nicht<br />
auf den klinischen Bereich, sondern<br />
befasst sich auch mit der Pflege und<br />
den Lebensbedingungen in Pflegeheimen<br />
sowie der Pflege im häuslichen<br />
Bereich. Gerade dieses Gebiet wird in<br />
den kommenden Jahren immer wichtiger<br />
werden.<br />
Pflegeethik als eigenen Bereich<br />
etablieren<br />
Zur Pflegewissenschaft gehört<br />
schließlich auch eine eigene Pflege-<br />
ethik. Es geht nicht länger an, die<br />
Pflegeethik als Anhang zur Medizinethik<br />
zu betrachten. Pflegende sehen<br />
sich in der täglichen Praxis vor<br />
schwerwiegende ethische Fragen gestellt,<br />
die nicht rein medizinischer<br />
Natur sind und eigenständig beantwortet<br />
werden müssen. In den USA<br />
hat sich neben der Medizinethik und<br />
Pflegeethik ein weiterer Bereich, die<br />
„Klinische Ethik“, etabliert. Sie bearbeitet<br />
interdisziplinär die gemeinsamen<br />
ethischen Probleme von Ärzten<br />
und Pflegenden im Krankenhaus. In<br />
Deutschland hingegen haben die konfessionellen<br />
Krankenhausverbände<br />
schon vor sieben Jahren begonnen,<br />
solche Gremien flächendeckend zu<br />
etablieren. Sie gelten inzwischen als<br />
Qualitätsmerkmal für gut geführte<br />
Krankenhäuser.<br />
Leopold Rosenmayer, Soziologe, emeritierter<br />
Univ.-Professor und Leiter<br />
des Ludwig-Boltzmann-Institutes für<br />
Sozialgerontologie und Lebenslaufforschung<br />
in Wien, fordert einen<br />
Lehrstuhl für Geriatrie mit mehreren<br />
Begleitwissenschaften in Österreich.<br />
Die Hochaltrigkeit der Menschen und<br />
die dazugehörenden Prävalenzen der<br />
verschiedenen Krankheiten erfordern<br />
gerade im gerontopsychiatrischen Bereich<br />
eine vermehrte Zusammenarbeit<br />
zwischen verschiedenen wissenschaftlichen<br />
Disziplinen.<br />
Im Rahmen des Pflegedialogs wird<br />
auch deponiert, dass eine Änderung<br />
der baulichen, der organisatorischen<br />
und der finanziellen Strukturen von<br />
Pflegeheimen notwendig ist. Im Vordergrund<br />
steht das Wohnen und die<br />
Begleitung der Menschen im hohen<br />
Alter. Derzeit gibt es aber ganz unterschiedliche<br />
Qualitätskriterien für Pflegeheime<br />
in den einzelnen Bundesländern.<br />
Generell kann aber festgestellt<br />
werden, dass die Schaffung von normaler<br />
Wohnstruktur und Begleitung<br />
an Stelle von Institutionen für ältere<br />
Menschen unter den vorgegebenen<br />
Rahmenbedingungen der Länder sich<br />
als schwierig erweist.<br />
Die InteressenvertreterInnen und ExpertInnen<br />
wünschen sich eine Harmonisierung<br />
der Gesundheits- und Sozialberufe<br />
bei gleichzeitigem Abbau der<br />
hierarchischen Strukturen. Es bedarf<br />
vieler Anreize für junge Menschen,<br />
um auch tatsächlich einen Sozialoder<br />
Gesundheitsberuf zu ergreifen –<br />
ein durchgängiges Ausbildungssystem<br />
anstelle von berufsspezifischen<br />
<strong>Evangelisches</strong> <strong>Diakoniewerk</strong><br />
<strong>Gallneukirchen</strong><br />
<strong>Menschlich</strong> <strong>pflegen</strong> – Ethik in der Pflege<br />
Fachbeiträge aus dem <strong>Diakoniewerk</strong><br />
Nr. 2/2004<br />
Der Beitrag von DGKS Marlies Hauschka, Diakonissen-Krankenhaus Salzburg, beschäftigt sich mit<br />
Ethik in der Pflege, insbesondere im Krankenhaus, und fragt nach den Folgen und Problemen, die Einsparungen<br />
in Gesundheit und Sozialbereich bewirken können. DGKS Monika Geck, Kompetenzmanagement<br />
Altenhilfe im <strong>Diakoniewerk</strong>, berichtet vom „Pflegedialog“ der österreichischen Bundesregierung,<br />
wo diese Probleme angesprochen wurden, und zeigt auf, dass Pflegewissenschaft und Pflegeethik<br />
in anderen Ländern zu einem Standard gehören, der in Österreich noch wünschenswert ist.<br />
Ethische Problemsituationen im Gesundheitsbereich<br />
stehen im Mittelpunkt<br />
des öffentlichen Interesses: Die<br />
Rolle der Medizin rund um den Anfang<br />
und das Ende des Lebens, Reproduktionstechnologie,Schwangerschaftsabbruch,<br />
Euthanasie und Organtransplantation<br />
sind nur einige<br />
Themen, die unsere Gesellschaft vor<br />
schwerwiegende Entscheidungen stellen,<br />
welche die Grenzen des technisch<br />
Machbaren ebenso wie die Würde des<br />
Menschen betreffen.<br />
Häufig wird übersehen, dass auch die<br />
Pflegepersonen in derartige Problemsituationen<br />
direkt einbezogen sind.<br />
Das Pflegepersonal wird in zunehmendem<br />
Maße mit ethischen Fragen<br />
und den Folgen von ethischen Entscheidungen<br />
konfrontiert, z. B.:<br />
Was darf ein Patient über seine<br />
Krankheit wissen? Wie lange und wie<br />
intensiv muss man pflegerische Betreuung<br />
gewähren?<br />
Aufgrund der Entwicklung einer professionellen<br />
pflegerischen Identität<br />
wird von den Pflegekräften eine Antwort<br />
auf ethische Fragen erwartet.<br />
Ethik nimmt im pflegerischen Handeln<br />
eine immer wichtigere Stelle ein.<br />
Was ist Ethik?<br />
Der Begriff ist vom griechischen<br />
„Ethos“ abgeleitet, was soviel bedeutet<br />
wie Sitte, Gewohnheit. Ethik<br />
möchte mehr sein als Moral, objektiver,<br />
abstrakter und gültiger. Als praktische<br />
Moral-Philosophie richtet sie<br />
sich auf das gute Handeln des Menschen<br />
und erstellt Normen für ein<br />
sinnvolles Zusammenleben aller.<br />
Ethik nimmt im pflegerischen Handeln eine wichtige Stelle ein.<br />
Nach Aristoteles (384–322 v. Chr.) beleuchtet<br />
Ethik das Handeln des Einzelnen<br />
und die Einstellung der Menschen<br />
zu ihren Mitmenschen.<br />
Ethos des Individuums ist ein Erziehungsprodukt,<br />
denn es entwickelt<br />
sich über Nachahmung zur Gewohnheit<br />
und führt schließlich zur persönlichen<br />
Gesinnung oder Einstellung,<br />
zum eigenen Werteverständnis und<br />
zum verantwortlichen Handeln. Das<br />
Gewissen kann als Richtschnur für<br />
das persönliche moralische Verhalten<br />
bezeichnet werden.<br />
Wichtige Vertreter ethischer Richtungen<br />
waren in der Neuzeit Immanuel<br />
Kant (1724-1804) und John Stuart<br />
Mill (1806-1873).<br />
Kant, der sich als Vertreter einer<br />
Pflichtethik in seinem Werk „Kritik<br />
der praktischen Vernunft“ grundlegend<br />
zu ethischen Fragen geäußert<br />
hat, sah moralisches Handeln an das<br />
Gesetz des „kategorischen Imperativs“<br />
gebunden: „Handle so, dass die Maxime<br />
deines Willens jederzeit zugleich<br />
als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung<br />
gelten könne.“ Diese Forderung<br />
entspricht sinngemäß dem Vers<br />
7,12 aus dem Matthäus-Evangelium:<br />
„Alles nun, was ihr wollt, dass euch<br />
die Menschen tun sollen, das tut auch<br />
ihnen!“<br />
John Stuart Mill propagierte eine utilitaristische,<br />
an der Nützlichkeit orientierte<br />
Konsequenzethik. Für ihn
Prinzipien im täglichen Handeln<br />
Diakonie<br />
sollte das Handeln sowohl des<br />
Einzelnen wie der Gruppe und<br />
auch der gesamten Menschheit,<br />
vom Gedanken der Nützlichkeit,<br />
des Vorteils und des Wohls geleitet<br />
werden. Bei anstehenden Problemen<br />
sei nach Mill jene Lösung<br />
zu bevorzugen, die das größtmögliche<br />
Glück der größtmöglichen<br />
Zahl verspricht.<br />
In der heutigen Pflege ist – ganz<br />
allgemein gesprochen – der Gedanke<br />
des Nutzens für alle Beteiligten<br />
aktueller als jener einer<br />
einseitigen Pflichterfüllung am<br />
Patienten.<br />
Pflegerische Ethik<br />
Ethik in Medizin und Pflege ist in<br />
erster Linie angewandte Ethik.<br />
Ethische Prinzipien werden angewandt,<br />
um Alltagsentscheidungen<br />
zu treffen. Über die ethischen<br />
Prinzipien, die diesen Entscheidungen<br />
zugrunde liegen, besteht<br />
weitgehend Einigkeit. Ethische<br />
Grundregeln für die Krankenpflege<br />
wurden erstmals beim 10.<br />
Kongress des Weltbundes für<br />
Krankenschwestern (JCN) 1953 in<br />
Sa ~ In den letzten Jahrzehnten hat sich im<br />
Pflegewesen sehr viel verändert. Ich<br />
möchte einige positive und negative<br />
Entwicklungen gegenüberstellen.<br />
Als negativ würde ich folgende Tendenzen<br />
bewerten: Die immer kürzere<br />
Verweildauer der Patienten und das<br />
dicht gedrängte Programm an Untersuchungsabläufen<br />
umd Therapien erlauben<br />
dem Pflegepersonal immer<br />
seltener, persönliche Gespräche mit<br />
den Patienten zu führen. Die Zeit für<br />
die wichtige persönliche Zuwendung<br />
wird immer knapper. Eine Pflegeperson<br />
verbringt einen wesentlichen Teil<br />
der Dienstzeit mit Vorbereitungstätigkeiten,<br />
Verwaltungsaufgaben und mit<br />
der Dokumentation.<br />
Zu den positiven Entwicklungen<br />
zählen folgende: die interdisziplinäre<br />
Zusammenarbeit zwischen verschiedenen<br />
Berufsgruppen, die zunehmende<br />
Bedeutung der Teamarbeit innerhalb<br />
des Pflegepersonals, die<br />
ganzheitliche Pflege des Patienten<br />
und der Stellenwert der Autonomie<br />
des Patienten. Die beiden zuletzt genannten<br />
Punkte möchte ich hier<br />
näher betrachten:<br />
1. Ganzheitlichkeit:<br />
Ganzheitliche Pflege, die den Menschen<br />
als Einheit von Körper, Geist<br />
umd Seele begreift, umfasst mehr als<br />
o Paolo, Brasilien, von dessen<br />
nur die Versorgung seiner Grundbe-<br />
Aufsichtsrat festgelegt. Dort heißt<br />
dürfnisse. Im Jahre 1919 schrieb Al-<br />
es in der Präambel:<br />
bert Schweitzer (1865–1965) folgende<br />
„Pflegende haben vier grundle- Zeilen, die aus dem Nachlass veröfgende<br />
Aufgaben: Gesundheit zufentlicht<br />
wurden:<br />
fördern, Krankheit zu verhüten,<br />
„Alles Helfen und Wirken, zu dem du<br />
Gesundheit wieder herzustellen<br />
im Leben berufen sein kannst, ist ein<br />
und Leiden zu lindern. Untrenn-<br />
materielles und ein geistiges zugleich,<br />
bar von Pflege ist die Achtung<br />
wie in dem, was den Menschen an-<br />
der Menschenrechte, eingeht,<br />
beides immer ineinander geht“<br />
schließlich dem Recht auf Leben,<br />
(Albert Schweitzer: Was sollen wir<br />
auf Würde und auf respektvolle<br />
tun Heidelberg 1986, S. 127).<br />
Behandlung. Pflege wird ohne<br />
Rücksicht auf Alter, BehinderungDie<br />
ganzheitliche Pflege erfordert<br />
oder Krankheit, das Geschlecht, Einfühlungsvermögen und fachliches<br />
den Glauben, die Hautfarbe, dieWissen.<br />
Sie zielt auf das Schaffen von<br />
Kultur, die Nationalität, die poli- menschlichen Beziehungen ab. Die<br />
tische Einstellung, die Rasse oderGabe<br />
zuzuhören, zu trösten, unausge-<br />
den sozialen Status ausgeübt“. sprochene Wünsche zu erkennen,<br />
Zu diesen Prinzipien kommen<br />
gehört zwar im engeren Sinne nicht<br />
weitere hinzu, die in der Bezie-<br />
zum beruflichen Aufgabenfeld, zählt<br />
hung zwischen Pflegekräften,<br />
aber zu jenen Qualitäten, welche die<br />
Ärzten und Patienten bedeutsam<br />
pflegerische Tätigkeit abwechslungs-<br />
sind:<br />
• wahrhaftig sein,<br />
• verschwiegen sein,<br />
• Verantwortumg tragen,<br />
• Vertrauen herstellen und aufrecht<br />
erhalten.<br />
reich und lebendig machen. Jeder Patient<br />
ist ein Individuum und bringt als<br />
solches seine Lebensgewohnheiten,<br />
Bedürfnisse und Probleme wie einen<br />
Rucksack mit in das Krankenhaus.<br />
Das heißt für den Pflegenden, sich auf<br />
jeden Patienten neu einzustellen.<br />
Für die Qualität der Betreuung spielt<br />
die Erfüllung von Patientenbedürfnissen<br />
eine wichtige Rolle, was Engagement<br />
erfordert und Zeit kostet. Dazu<br />
sind nicht alle im Pflegeberuf tätigen<br />
Personen von ihrer charakterlichen<br />
Einstellung her fähig oder bereit. Obwohl<br />
in der Krankenpflegeausbildung<br />
ethische Werte vermittelt werden,<br />
nehmen diese nicht immer den Stellenwert<br />
ein, der in der Praxis gelebt<br />
werden sollte.<br />
2. Autonomie<br />
Grundsätzlich sollten sowohl der Patient<br />
wie auch die Pflegenden autonom<br />
handeln können. Im Zentrum der<br />
Pflegequalität, die sich am Patienten<br />
orientiert, steht die Autonomie des<br />
Patienten, die das Recht auf Willensund<br />
Entscheidungsfreiheit sowie auf<br />
Selbstbestimmung einschließt. Bis<br />
etwa 1970 war es selbstverständlich,<br />
dass der Arzt wichtige Entscheidungen<br />
über Therapie völlig selbständig<br />
traf, und zwar aufgrund seiner besseren<br />
Einsicht, was in der Situation für<br />
den Patienten das Beste sei. Man bezeichnet<br />
diese Grundhaltung als Paternalismus.<br />
Heute geht man davon aus, dass es<br />
wichtig ist, den Patienten zu informieren<br />
und sein Einverständnis einzuholen.<br />
Häufig stellt sich allerdings<br />
die Frage, ob er nicht überfordert<br />
wird, wenn er über die Anwendung<br />
von Maßnahmen entscheiden soll,<br />
deren Voraussetzungen und Konsequenzen<br />
er nicht überblickt.<br />
Die Pflegeperson kann die Situation,<br />
in der sich der Patient befindet, oft<br />
besser als der Arzt einschätzen. Da<br />
sich die Pflegepersonen nicht der<br />
Fachsprache der Ärzte bedienen,<br />
äußern sich Patienten ihnen gegenüber<br />
oft unbefangener, zumal sie insgesamt<br />
mehr Zeit am Krankenbett<br />
verbringen als die Ärzte. Andererseits<br />
geben Pflegepersonen dem Patienten<br />
die Informationen des Arztes weiter<br />
und begleiten ihn so bei der Entscheidungsfindung.<br />
Von gelungener Autonomie spricht<br />
man, wenn Schwerkranke bei guter<br />
Begleitung ihre Wünsche formulieren<br />
können. Wenn die Kräfte abnehmen,<br />
tritt häufig das Tun und Habenwollen<br />
in den Hintergrund. Das Sein wird bedeutender.<br />
Hoffnung und Zuversicht<br />
im letzten Lebensabschnitt bedeutet,<br />
den Zustand und das Leben anzunehmen.<br />
Bis zuletzt können Ziele erreicht<br />
werden. Um die letzte Lebensphase<br />
soweit wie möglich autonom zu gestalten,<br />
brauchen die Patienten ein<br />
Gegenüber, eine Person, die sie als<br />
Gesprächspartner in den Ängsten vor<br />
dem Sterben und dem Tod begleitet,<br />
und in der Umsetzung der Bedürfnisse<br />
unterstützt. Dabei soll dem Patienten<br />
auch die Möglichkeit gegeben werden,<br />
sich zu äußern, wie er sterben<br />
möchte. Obwohl in der letzten Lebensphase<br />
die Fähigkeit abnimmt,<br />
selbständig zu leben, ist Autonomie<br />
auch in dieser Lebensphase wichtig.<br />
Zwar steht am Ende der Tod, und<br />
damit zugleich das Ende aller Lebensautonomie;<br />
doch auf dieser Wegstrecke<br />
ist Selbstbestimmtheit ein wesentliches<br />
Merkmal patientenorientierter<br />
Qualität.<br />
Voraussetzung für die Autonomie bis<br />
zuletzt ist auch, dass die Patienten<br />
von Personen betreut werden, die<br />
selbst autonom handeln und aus dieser<br />
Position heraus die Wünsche der<br />
Patienten wahrnehmen und zu ihrer<br />
Umsetzung beitragen können.<br />
Wohl kaum einer hat so scharfsinnig<br />
und selbstkritisch über die Kunst des<br />
Helfens geschrieben, wie der dänische<br />
Philosoph Sören Kierkegaard. In seinem<br />
Aufsatz mit dem Titel „Eine einfache<br />
Mitteilung“ aus dem Jahre 1859<br />
beschrieb er die Wertgrundlage für<br />
diese schwierige Aufgabe:<br />
„Wenn wir beabsichtigen, einen Menschen<br />
zu einer bestimmten Stelle hinzufahren,<br />
müssen wir uns zunächst<br />
bemühen, ihn dort anzutreffen, wo er<br />
sich befindet und dort anfangen.<br />
Jeder, der dies nicht kann, unterliegt<br />
einer Selbsttäuschung, wenn er meint,<br />
anderen helfen zu können.<br />
Wenn ich wirklich einem anderen helfen<br />
will, muss ich mehr verstehen als<br />
er, aber zu allererst muss ich begreifen,<br />
was er verstanden hat. Falls mir<br />
dies nicht gelingt, wird mein Mehr-<br />
Verständnis für ihn keine Hilfe sein.<br />
Fachbeiträge<br />
Würde ich trotzdem mein Mehr-Verständnis<br />
durchsetzen, dürfte dieses<br />
wohl in meiner Eitelkeit begründet<br />
sein. Ich möchte meine Unterstützung<br />
durch seine Bewunderung ersetzen.<br />
Aber jede wahre Kunst der Hilfe muss<br />
mit einer Erniedrigung anfangen. Der<br />
Helfer muss zuerst knien vor dem, dem<br />
er helfen möchte. Er muss begreifen,<br />
• dass zu helfen nicht zu herrschen<br />
ist, sondern zu dienen;<br />
• dass Helfen nicht eine Macht, sondern<br />
eine Geduldsausübung ist;<br />
• dass die Absicht zu helfen einem<br />
Willen gleichkommt, bis auf weiteres<br />
zu akeptieren, was der andere<br />
verstanden hat“.<br />
<strong>Menschlich</strong> <strong>pflegen</strong> –<br />
auch in Zukunft möglich?<br />
In den Krankenhäusern, Altenheimen<br />
umd in den Bereichen der ambulanten<br />
Pflege sowie bei der Versorgung von<br />
Menschen mit Behinderung wird zunehmend<br />
gespart – auch am Pflegepersonal!<br />
Es wäre eine schreckliche Vision,<br />
wenn Patienten oder Heimbewohner<br />
nur noch jeden zweiten Tag die notwendige<br />
pflegerische Hilfe bekämen,<br />
um beispielsweise das Bett verlassen<br />
umd am Tisch sitzen zu können. Alte<br />
und schwerstkranke Menschen würden<br />
sich häufig überflüssig und unerwünscht<br />
fühlen.<br />
Wir Pflegende wollen nach bestem<br />
Wissen und Gewissen und unter Wahrung<br />
der Würde die Rechte der Patienten<br />
erfüllen. Pflegende können in-<br />
Diakonie<br />
<strong>Menschlich</strong> <strong>pflegen</strong> muss auch in Zukunft möglich sein!<br />
folge mangelnder Zeitkapazität, Geldumd<br />
Personalressourcen zunehmend<br />
nur noch lebensnotwendige Hilfeleistungen<br />
durchführen. Das entspricht<br />
einem aufgezwungenen Pflegeentzug,<br />
der ebenso schädlich ist wie ein Absetzen<br />
der Therapie.<br />
Es ist deshalb sehr wichtig, die vorhandenen<br />
Mittel zweckmäßig und angemessen<br />
zur Förderung und Wiederherstellung<br />
der Gesundheit oder zur<br />
Linderung von Leiden einzusetzen.<br />
Die Verantwortung für das Durchführen<br />
oder Unterlassen von Pflegehandlungen<br />
muß jede professionell<br />
<strong>pflegen</strong>de Person selbst tragen dürfen.<br />
Sie muss ihre Entscheidung ethisch,<br />
rechtlich und fachlich begründen.<br />
Die Rahmenbedingungen für die individuelle<br />
Pflege sind von gesellschaftlichen<br />
Faktoren abhängig. Unsere Gesellschaft<br />
als Solidargemeinschaft hat<br />
die Pflicht, die Kranken und Schwachen,<br />
die Pflegebedürftigen und alten<br />
Menschen zu schützen und ihre Rechte<br />
und ihre Würde zu wahren. Diesem<br />
Ziel dient eine angemessene Pflege.<br />
Immer häufiger verzweifeln beruflich<br />
Pflegende an der Unvereinbarkeit ihres<br />
fachlichen und ethischen Anspruches.<br />
Pflegeberufe sind erheblichen Belastungen<br />
ausgesetzt, so dass Pflegende<br />
häufig in ihrer Aufgabe überfordert<br />
sind, resignieren oder sogar den Beruf<br />
aufgeben. In der Altenpflege tätige<br />
Personen verbringen im Durchschnitt<br />
nicht mehr als vier Jahre in diesem<br />
Beruf. Die zukünftige Überalterung<br />
unserer Bevölkerung wird die Situa-