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Schwarzweisse Heiratswünsche im Juristen-Dschungel - Golf Dornseif

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<strong>Schwarzweisse</strong> <strong>Heiratswünsche</strong> <strong>im</strong> <strong>Juristen</strong>-<strong>Dschungel</strong><br />

Wie Kirche und Reich Kolonialmoral predigten<br />

von <strong>Golf</strong> <strong>Dornseif</strong><br />

Um 1900 wurde die Frage der Mischehen zwischen weissen Männern und eingeborenen Mädchen<br />

(unterschiedlicher Hautfarben und Rassen) <strong>im</strong>mer brisanter in den deutschen Schutzgebieten und<br />

Kolonien. 1903 gab es in DSWA ungefähr 700 weisse Frauen, durchweg verheiratet mit Europäern.<br />

Von 1898 bis 1909 organisierte und finanzierte die Deutsche Kolonialgesellschaft zu Berlin die<br />

Übersiedlung von 806 Personen nach Deutsch-Südwestafrika, davon 166 Ehefrauen, 122<br />

Heiratswillige (Frauen) und 212 weibliche "Dienstboten", die nach dem Landgang rasch passenden<br />

Anschluss fanden.<br />

Als die beiden ersten grösseren "Transporte heiratswilliger Damen" kurz vor Weihnachten 1898 in<br />

DSWA eintrafen, sprach man <strong>im</strong> Schutzgebiet amüsiert von der "Weihnachtskiste" frei Haus und<br />

jubilierte. Nach und nach kam es aber auch zu Annäherungen zwischen weissen Männern und nichtweissen<br />

Frauen mit dem Wunsch zur Legalisierung in Form einer standesamtlich fundierten und<br />

kirchlich gesegneten Eheschliessung gut bürgerlicher Natur.<br />

Die offizielle Statistik in den Denkschriften für die deutschen Schutzgebiete weist für 1907/1908 genau<br />

166 Ehebündnisse zwischen nicht eingeborenen Männern und eingeborenen Frauen aus.<br />

34 in Deutsch-Neuguinea, 90 in Deutsch-Samoa und 42 in Deutsch-Südwestafrika. Jedoch waren<br />

sogenannte Reichsangehörige kaum betroffen, weil die Männer jeweils als "Ausländer" von der<br />

Bürokratie registriert wurden (in den meisten Fällen). DSWA zählte 20 Eheschliessungen zwischen<br />

Reichsangehörigen und eingeborenen Frauen.<br />

NAMIB CHAMELEON<br />

1905 beantragten zwei Soldaten der Schutztruppe kurz vor Ablauf ihrer Dienstzeit be<strong>im</strong> Distrikt-Chef<br />

von Rehoboth, einem Offizier, die Erlaubnis zur standesamtlichen Heirat mit Mädchen des Baster-<br />

Volks. Eine Entscheidung grundsätzlicher Art sollte der Gouverneur fällen, was in Windhoek als lästig<br />

empfunden wurde. Also reichte man den Fall auf dem Dienstweg an das Auswärtige Amt<br />

(Kolonialabteilung) nach Berlin weiter. Dort erregte die Angelegenheit einiges Unbehagen, und die<br />

Akte ging zurück nach Windhoek "zur gefälligen Direktentscheidung vor Ort ..."<br />

CHAMELEO NAMAQUENSIS


Rechtsordnung nach zweierlei Mass<br />

Die Rechtsverhältnisse der Bevölkerung in den deutschen Kolonien und Schutzgebieten wurden<br />

seinerzeit durch das Schutzgebiet-Gesetz nach rassischen Merkmalen geordnet, und man teilte ein in<br />

"Eingeborene" sowie "Nicht-Eingeborene" (mit getrennter Rechtspraxis). Ein Eingeborener war – nach<br />

deutscher Auffassung – eine Person, die nicht zu den Weissen oder Angehörigen europäischzivilisierter<br />

Staaten zählte oder die nicht aus politischen Gründen ... mit solchen Personen gleich<br />

behandelt werden musste <strong>im</strong> Fall einer besonderen gesetzlichen Regelung ...<br />

Diese verschachtelte Ausdrucksweise hatte ohne Zweifel massive aussenpolitische Gründe: Auf<br />

Wunsch Kaiser Wilhelms II. durften zum Beispiel Japaner laut Anordnung vom 9.November 1900 nicht<br />

als Eingeborene behandelt werden, ebensowenig die (indischen) Parsen der Zoroaster-Religion und<br />

christliche (indische) Bewohner Goas sowie Syrer. In der Schutzgebiet-Region Deutsch-Samoa waren<br />

die Chinesen ebenfalls "Weisse ehrenhalber". Anordnungen oder Best<strong>im</strong>mungen darüber, wer als<br />

Mischling zu gelten hat, existierten jedoch nicht.<br />

Erstaunlicherweise regten ausgerechnet viele Missionare in den Pionierjahren der deutschen Schutzherrschaft<br />

über Südwestafrika an, Rassenmischehen "zur Verbreitung des Christentums, zur<br />

Förderung des Deutschtums und zur Hebung tiefer stehender Volksstämme" ... durch allerlei<br />

Massnahmen zu erleichtern.<br />

Hans Tecklenburg, stellvertretender Gouverneur von DSWA, verschickte am 23. September 1905 eine<br />

Weisung an sämtliche Standesämter innerhalb des Schutzgebietes, dass ab sofort keine<br />

standesamtlichen Trauungen mehr zwischen Weissen und Nicht-Weissen vorgenommen werden<br />

sollten bis zur Entscheidung in Berlin "wegen erheblicher Zweifel an der Zulässigkeit solcher<br />

Trauungen ... und weil neben den rechtlichen, politischen und sozialen Folgen ... solche<br />

Eheschliessungen als durchaus unerwünscht erachtet werden".<br />

Am 17. März 1906 entschloss sich Gouverneur Gustav Adolf Graf von Götzen (1901 bis 1906) in<br />

Deutsch-Ostafrika zu einer gleichartigen Massnahme.<br />

Zara Schmelen selig (1793 - 1831)<br />

In der historischen Aufarbeitung von Eheschliessungen zwischen Weissen und Schwarzen auf<br />

afrikanischem Boden ist kaum bekannt, dass sich nicht nur Buren aus der Kap-Region zu kirchlichen<br />

Trauungen mit eingeborenen Mädchen entschlossen sondern auch europäische protestantische<br />

Missionare (fast <strong>im</strong>mer gegen den Willen ihrer Vorgesetzten). Die Motive beider sozialer Schichten<br />

waren unterschiedlich:<br />

Die sogenannten Treckburen (Wanderherdenbesitzer) des 17. und 18. Jahrhunderts hatten selten<br />

Gelegenheit, ein weisses Burenmädchen kennen zu lernen und fanden die kirchlich fundierte<br />

Verbindung mit fleissigen Hottentottinen sowohl wirtschaftlich als auch sexuell reizvoll, obwohl viele<br />

Glaubensbrüder darüber die Nasen rümpften. In der Abgeschiedenheit jener Epoche spielte<br />

gesellschaftliche Anerkennung keine wesentliche Rolle während des Existenzkampfs.


Die ausgesandten Missionare hatten vielfältige und andersartige Probleme zu bewältigen. Erstens<br />

fehlten ihnen Kenntnisse der Eingeborenensprachen zur erfolgreichen Glaubensverbreitung, zweitens<br />

gab es keine weissen Ehe-Kandidatinnen mit europäischem Bildungsniveau und zuletzt schreckten<br />

Missionsgesellschaften in London oder Wuppertal vor jeder Variante von "Int<strong>im</strong>ität mit Wilden"<br />

irgendwo auf dem Globus zurück.<br />

Über das kurze Leben der Missionars-Ehefrau Zara Schmelen, einer schwarzen Missionsgehilfin und<br />

Sprachpionierin <strong>im</strong> südlichen Afrika, berichtet die Wissenschaftlerin Ursula Trüper in ihrer in Buchform<br />

vorliegenden Forschungsarbeit DIE HOTTENTOTTIN (Rüdiger Köppe Verlag, Köln 2000) erstmalig<br />

ebenso gründlich wie umfassend auf 200 Seiten:<br />

Johann Hinrich Schmelen, am 5. Januar 1778 als Sohn eines Kleinbauern <strong>im</strong> Dorf Kassebruch nahe<br />

Bremen geboren, war das achte von zehn Kindern, lernte das Schmiedehandwerk und sah sich<br />

unversehens in der misslichen Lage eines Wehrdienstverweigerers als 1805 das Kurfürstentum<br />

Hannover an Napoleon fiel und lebensgefährliche Rekrutierung drohte. Er floh nach London, freundete<br />

sich mit dem Prediger Steinkopf der deutschen Exilgemeinde an und geriet in den Kreis der<br />

sogenannten Erweckungsbewegung jener Jahre.<br />

Durch den Missionar Kicherer gab es "drei bekehrte Hottentotten" aus Südafrika zu sehen, die auf<br />

Londoner Missionsveranstaltungen vorgeführt wurden. Das weckte wiederum den Wunsch, ebenfalls<br />

Missionar zu werden, Die einflussreiche Londoner Missionsgesellschaft schickte Schmelen zurück<br />

nach Berlin, wo der junge Mann vier Jahre das Jänickesche Missionsinstitut zur Ausbildung<br />

absolvierte. So paukte er – völlig sinnlos – Lateinisch und Griechisch, auch etwas Englisch, aber die<br />

Eingeborenensprachen blieben ihm fremd. Rechnen, Schreiben und Mathematik standen gleichfalls<br />

auf dem missionarischen Lehrplan ... und das war alles zur Vorbereitung auf den schwarzen<br />

Kontinent.<br />

Im September 1811 ging Johann mit anderen frisch gebackenen Missionaren in Kapstadt an Land. Im<br />

April 1814 brach Schmelen zu einer Expedition nach Gross-Namaland auf, heute Namibia, drohte dort<br />

von Löwen und räuberischen Eingeborenen überfallen zu werden. Erst vier Jahre später schrieb<br />

Schmelen nach London über alle Begebenheiten und kommentierte umständlich die Motive seiner<br />

Eheschliessung mit einer schwarzen christlichen Hottentottin.<br />

Der junge Missionar war spontan vom Dienst bei der London Missionary Society "beurlaubt" worden<br />

Man unterstellte Schmelen sowie einigen weiteren Missionaren, die schwarze Frauen geheiratet<br />

hatten, dass sie "<strong>im</strong> Zustand der Sünde" lebten und keineswegs rechtmässig kirchlich getraut worden<br />

seien.


Schmelens Brief, verfasst in Bethanien am 16.November 1818, ist ein denkwürdiges Dokument der<br />

Missionsgeschichte und zeitgenössischen Moral geworden. Hier einige Auszüge (Original in<br />

englischer Sprache):<br />

"Zara, die jetzt meine Frau ist ... sollte ursprünglich auf dem Kutschbock meines Wagens sitzen be<strong>im</strong><br />

Wagenführer, aber der Ochse meines Übersetzers lahmte plötzlich und konnte nicht geritten werden<br />

und der Mann musste deshalb auf dem Kutschbock Platz nehmen und Zara war gezwungen innerhalb<br />

meines Planwagens unterzukommen ...<br />

Wegen der kalten Jahreszeit mussten wir den Wagen geschlossen halten. Zara und ich waren die<br />

einzigen Personen drinnen ... und ich bemerkte jetzt die Gefahr, in der ich mit einer weiblichen<br />

Abhängigen war, jedoch konnte ich sie nicht hinausschicken oder gar in der Wildnis zurücklassen ...<br />

Ich war in der grössten Verlegenheit, mit einer einzelnen Frau <strong>im</strong> Wagen zu sein, nicht um des<br />

Sündigens willen, sondern um jeglichen Verdacht eines schwatzhaften Volkes (von Eingeborenen) zu<br />

vermeiden, dessen Charakter ich so gut kenne ... Was auch <strong>im</strong>mer ich planen würde, ich würde dem<br />

Verdacht (der Sünde) nicht entkommen und so beschloss ich Zara einen Heiratsantrag zu machen<br />

und zu ehelichen ...<br />

Da Zara meine Versammlungen besuchte, hatte ich sie schon früher gesehen und als demütiges und<br />

frommes Gemeinde-Mitglied betrachtet...<br />

Ausschnitt vom<br />

kolorierten Titeleinband<br />

des <strong>im</strong> Jahr 2000<br />

veröffentlichten Buchs<br />

DIE HOTTENTOTTIN<br />

(Ursula Trüper, Rüdiger<br />

Köppe Verlag, Köln) mit<br />

einer verschwommenen<br />

Abbildung des Ehepaars<br />

Johann und Zara<br />

Schmelen auf ihrer<br />

Missionsstation<br />

Komaggas.<br />

Ich glaube jetzt wirklich, dass ich eine bessere Lebenspartnerin in meiner jetzigen Lebenssituation<br />

nicht hätte finden können. Meine sündigen Neigungen einen Augenblick beiseite gesetzt, wage ich vor<br />

Gott zu erklären, dass ich ebenso weit entfernt bin mit ihr oder einer anderen Frau in Afrika eine<br />

Sünde zu begehen wie die Heiligen vor dem Thron Gottes ... Da ich keinen Fehler in meiner Heirat<br />

sehen konnte, hielt ich es nicht für notwendig das Ihnen gegenüber zu erläutern ... Ich werde weiterhin<br />

Missionar bleiben!<br />

Um Christi willen<br />

H. SCHMELEN<br />

Das kurze Leben einer Unbekannten<br />

Am 6. Februar 1814 taufte Schmelen seine ersten Gemeindemitglieder <strong>im</strong> südlichen Afrika, darunter –<br />

wahrscheinlich – eine Frau namens Zara Hendrichs. Zwischen April und Juni 1814 unternahm<br />

Schmelen eine mühselige Erkundungsreise ins Innere des heutigen Staates Namibia, liess sich in<br />

Klipfontein nieder und nannte seinen Sitz BETHANIEN.


Man findet BETHANIEN als Auto-Tourist nördlich von Goageb über die Teerstrasse B-4 und<br />

Schotterstrasse C-14, etwa 30 km nördlich von Goageb. Wer Lüderitz oder Keetmanshoop besucht,<br />

kann Abstecher nach BETHANIEN machen und sich das kleine Museum mit den übrig gebliebenen<br />

Missionsgebäuden anschauen. Der verwahrloste Platz schaut trostlos aus, weil von einer<br />

Denkmalpflege keine Rede mehr ist.<br />

Die erste Tochter Anna Schmelen (später verheiratete Hartwell) kam am 18.November 1815 zur Welt,<br />

und am 4.August 1817 gebar Zara ihr zweites Kind, Johanna Schmelen (später Kleinschmidt). 1819<br />

ist das nächste Kind registriert als Friederika Schmelen (später Bam). Im gleichen Jahr werden die<br />

"Freistellungen" von Missionaren mit schwarzen Ehefrauen aufgehoben. 1821 kam Nikolaas<br />

Schmelen zur Welt.<br />

Als 1822 Zara Schmelen allein <strong>im</strong> Haus war, weil ihr Ehemann zu längeren Reisen verpflichtet schien,<br />

gab es zur gleichen Zeit zahlreiche Diebstähle von Schafen, die der Missionarsfamilie gehörten, und<br />

Auseinandersetzungen mit einem Häuptling (Chief Kaggaps). Zara wurde von zwei Eingeborenen-<br />

Frauen (Mutter und Tochter) niedergeschlagen und verletzt, sodass man vorsichtshalber zum Oranje<br />

Fluss umsiedelte.<br />

1823 teilt Schmelen mit, dass er (und seine Frau) begonnen hätten Teile der Bibel in die Sprache der<br />

Nama zu übersetzen, eine unfassbar komplizierte Aufgabe: "Manchmal muss meine Frau das Wort<br />

<strong>im</strong>mer und <strong>im</strong>mer wieder sagen, bevor ich den richtigen Ausdruck treffen kann ... " – Ein Jahr später<br />

reist Familie Schmelen nach Kapstadt, um das erste Manuskript der Kapstädtischen Bibelgesellschaft<br />

vorzulegen.<br />

Dazu Schmelen: "Ich bemühte mich zuerst herauszufinden, wie viele unterschiedliche Klicks die Nama<br />

in ihrer Sprache haben und welcher Teil des Mundes bei der Aussprache tätig wird. So nahm ich<br />

einen Spiegel – meine Frau und ich sassen davor – damit sie genau zeigen und mir später sagen<br />

konnte, wo und wie die Klick-Laute geformt werden". Aber wie sollten die Klicklaute als Buchstaben für<br />

den Bleisatz präzise gegossen werden und welcher Schriftgiesser beherrschte diese Kunst?<br />

Im Juni 1814 liess sich Missionar Johann Hinrich Schmelen<br />

mit seiner eingeborenen Ehefrau Zara und einer Gruppe<br />

Gefolgsleute in Bethanien (jetzt Namibia) nieder, um dort eine<br />

Station zu gründen. Zara Schmelen versuchte eine<br />

Hutmacher-Ausbildungsstätte für die einhe<strong>im</strong>ischen Kinder ins<br />

Leben zu rufen.<br />

Töchter Anna, Hanna und Friederika blieben in Kapstadt zurück, zehn, sieben und vier Jahre alt, und<br />

sollten in der Familie des Missionars Miles europäisch erzogen werden. "Und später will ich sie in der<br />

Schule beschäftigen und dort das Nama-Lesen statt des Holländisch-Lesens einführen!" – Schmelens<br />

Missionskollege, der Brite Moffat, urteilte umgekehrt: "Es wäre kein grosser Verlust, wenn diese<br />

Hottentottensprache vernichtet würde, obwohl es bei dem zerstreuten Zustand dieser Bevölkerung<br />

nicht wahrscheinlich ist, dass wir das bald erleben werden ..."


Ende 1830 reisten Zara und Johann Hinrich Schmelen mit den Töchtern wieder nach Kapstadt, um die<br />

übersetzten Bibeltexte in der Nama-Sprache endlich drucken zu lassen. Als die letzten Korrekturen<br />

abgeschlossen waren, sagte Zara: "Nun ist mein Werk auf Erden getan, nun kann ich he<strong>im</strong>gehen".<br />

Zara war unrettbar an Tuberkulose erkrankt, und Schmelen wollte mit ihr nach Komaggas<br />

zurückkehren, doch der Planwagen brachte die Familie nur eine Tagesreise weit bis zu Botmas Hof,<br />

einer alten Missionsherberge nicht weit von Tulbagh. "Dort schlief sie ein, sanft und müde ..."<br />

Missionar Gustav Adolf Zahn von der Rheinischen Missionsgesellschaft notierte zu den Umständen:<br />

"Sie hatte die Auszehrung (Tuberkulose) schon vier Jahre, beherrschte Nama und Niederländisch. Sie<br />

sagte bei ihrem Übersetzungswerk stets, wenn dies fertig ist, so sterbe ich, dann habe ich Feierabend<br />

und so ist es auch geschehen. So war denn ihre Lebenszeit in 35 Jahren schon beendigt..." (Am<br />

5.April 1831).<br />

Es mutet seltsam an, dass über die Situation be<strong>im</strong> Tod von Zara unterschiedliche Aufzeichnungen<br />

überliefert wurden, denn Schmelen gibt in seinem Bericht für die Londoner Missionszeitschrift an,<br />

dass Zara am 3.April aus Kapstadt in Kamaggas eingetroffen und nach drei Tagen schwerer Atemnot<br />

<strong>im</strong> Kreis der Familie verstorben sei. Tochter Hanna wiederum schrieb in ihrem Lebenslauf: "Mutter ist<br />

am 2.April 1831 auf Botmas Hof (Plaats) selig entschlafen ..."<br />

Schmelens Schilderung vom Tod seiner Frau lässt sich – in ihrer quasi "Umdeutung" aus heutiger<br />

Sicht – mit dem streng pietistischen Weltbild des Missionars erklären, denn das "gottselige Ende eines<br />

guten Christen" durfte keinesfalls in einer schäbigen Herberge dokumentiert werden, musste also<br />

"schön gefärbt" sein (für die Nachwelt). Vermutlich hat die Redaktion der Missions-Publikation<br />

ebenfalls Wert auf eine "erbauliche Präsentation" der letzten Atemzüge gelegt, was uns heutzutage<br />

zynisch erscheinen mag.<br />

1989 brachte die Post<br />

in Namibia eine<br />

Sonderbriefmarke mit<br />

dem Portrait Johann<br />

Hinrich Schmelens<br />

heraus, geboren 1777<br />

und verstorben 1848.<br />

Nach dem Tod seiner Frau veröffentlichte Schmelen keine weiteren Übersetzungen in der<br />

Namasprache, weil ihm offensichtlich alle Fachkenntnisse hierzu fehlten. 1833 ging Schmelen eine<br />

zweite Ehe ein, diesmal mit der jungen Frau Elisabeth Bam, die in Kapstadt eine Nähschule unterhielt<br />

und zu den Farbigen (Coloured People) zählte. Der Vater war Spediteur, die Brüder arbeiteten als<br />

Schreiner und Schneider. Jan und Christian zogen mit auf die Missionsstation Kamaggas 120 km<br />

südlich vom Oranje. Jan Bam avancierte zum ersten farbigen Missionar, den die Rheinische<br />

Missionsgesellschaft ordinierte. Am 26.Juni 1848 starb Schmelen auf Komaggas und Elisabeth<br />

überlebte ihn nur um einige Monate. Es gibt keine Gedenkstätte für Kamaggas. (Nähe N-7<br />

Fernstrasse, Ort Springbok).


Ein Skandal zieht Kreise<br />

John Phillp, Missions-Superintendent der LMS in Kapstadt, 1820 dazu berufen, setzte sich energisch<br />

für mehr Rechte der farbigen Bevölkerung in der Kap-Kolonie ein, missbilligte aber andererseits Ehen<br />

zwischen weissen Missionaren und Hottentottinen (Khoikhoi).<br />

1809 kritisierte der Londoner Missionar Carl August Pacalt aus Kapstadt seine Vorgesetzten in<br />

Grossbritannien wegen deren Praxis, auch ledige Missionare auszusenden: "Eine Hottentottin zur<br />

Frau zu nehmen, ist ein grosser Skandal unter all den Leuten hier und selbst unter den Farbigen". Am<br />

12.Dezember 1808 schrieb der Londoner Missionar Johann Gottfried Ulbricht aus Bethelsdorp an die<br />

Zentrale in Europa: "Die Brüder werden inzwischen erfahren haben, dass ich mich verheiratet habe<br />

mit einer unserer Hottentotten-Schwestern, Elisabeth Windvogel. Ich glaube fest, dass sie dem Herrn<br />

gehört und hoffe, dass die Brüder (in London) nichts gegen diese Ehe haben. Ich bedauere es<br />

überhaupt nicht ..."<br />

George Thom, LMS-Missionar und zeitweise Superintendent in Kapstadt, berichtete am 16.Februar<br />

1814 nach London: "Drei Missionare haben Hottentotten-Frauen, was ihren Charakter erniedrigte in<br />

den Augen der Kapstädter (weissen) Bevölkerung sowie der ganzen Kolonie, Es kann nicht erwartet<br />

werden, dass die Manieren und die Kleidung einer Hottentottin einem Missionar gesellschaftlich<br />

nutzen , denn er kann sie niemals in irgendeine Familie einführen und vorstellen .... "<br />

"Dr. Theodosius van der Kemps (LMS-Superintendent Kapstadt) Ehe mit einem sechzehnjährigen<br />

Sklavenmädchen war ausserordentlich schändlich (Kemp hatte aus seinem Privatvermögen sieben<br />

Sklaven freigekauft und dann eines der schwarzen Mädchen geheiratet, was Bewunderung wegen<br />

dieser Mildtätigkeit auslöste und zugleich Verachtung wegen der Rassenmischung). LMS-Missionar<br />

Michael W<strong>im</strong>mer meldete 1824 nach London: "Ich habe mich an einem neuen Platz nahe<br />

Silverfountain niedergelassen nach dem Tod meiner ersten Ehefrau. Dieser Ort gehört dem Baster<br />

(Bastard) Gert Buikes. Vor zwei Wochen habe ich eine Beziehung mit Margaretha Buikes befestigt,<br />

einer Tochter von David Gert Buikes, einem der neuen Bekehrten, Um mit ihr getraut zu werden,<br />

werde ich sie nach Kapstadt bringen".<br />

Diskr<strong>im</strong>inierung eines Lektors<br />

In Deutsch-Ostafrika existierten int<strong>im</strong>e Beziehungen zwischen europäischen Männern und<br />

afrikanischen Frauen zunächst in Form der jederzeit lösbaren und von der europäischen Kolonial-<br />

Oberschicht diskret geduldeten Konkubinate. Allerdings gab es <strong>im</strong> Vergleich zur afrikanischen<br />

Bevölkerung von etwa sieben Millionen Menschen nur relativ wenige Europäer: Im Jahr 1901 zählte<br />

man 1243 (zu 90 Prozent Männer).<br />

Plötzlich kam es jedoch zu einem Skandal, der weite Kreise zog sowohl in der Kolonie als auch in<br />

Berlin. Der hoch gebildete ostafrikanische Wissenschaftler Mtoro Bakari schilderte sein groteskes<br />

Schicksal in einem Schreiben an den Direktor der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes in Berlin<br />

folgendermassen:<br />

"Euer Exzellenz bitte ich ganz gehorsamst, den folgenden Darlegungen Gehör schenken und mich<br />

aus meiner unverschuldeten Not retten zu wollen, Ich, Mtoro Bakari, gebürtig aus Dunda bei<br />

Bagamoyo in Deutsch-Ostafrika, bin vom Juni 1900 an als Lektor am Orientalischen Seminar (in<br />

Berlin) angestellt gewesen und habe bis 1904 dort ungehindert unterrichten können. Dann wollte ich<br />

mich mit einem deutschen Mädchen in Berlin verheiraten, Gehe<strong>im</strong>rat Vortisch <strong>im</strong> Auswärtigen Amt<br />

besorgte mir aus Afrika die nötigen Papiere und am 29. Oktober 1904 habe ich vor dem Standesamt<br />

in Charlottenburg die Ehe mit Bertha, geborene Hilske, geschlossen ...<br />

Seit dieser Zeit wurden mir seitens der Zuhörer (Studierenden) des Herrn Professor Velten ständig<br />

Schwierigkeiten bereitet. Die Ungehörigkeiten, die sich die Studierenden gegen mich zuschulden<br />

kommen liessen, wurden schliesslich so stark, dass von einem ordnungsgemässen Studium nicht<br />

mehr die Rede sein konnte und ich mich <strong>im</strong> Sommer gezwungen sah den Herrn Direktor zu bitten,<br />

dass mir entweder die Erlaubnis erteilt würde schon jetzt – also ein halbes Jahr vor Ablauf meines<br />

Vertrages – in meine He<strong>im</strong>at zurück zu kehren, oder dass er mich gegen die Ungehörigkeiten der<br />

Studierenden schützte ...


Ich bekam daraufhin die Erlaubnis zu reisen und die Kaiserliche Regierung bezahlte meine Rückreise.<br />

Als ich per Schiff in Tanga ankam, erschien der Herr Bezirksamtmann an Bord und erklärte mir, dass<br />

ich nicht an Land gehen dürfe. Auch in Daressalam erging es mir so bei der Obrigkeit <strong>im</strong> Hafen. Der<br />

dortige Bezirksamtmann erläuterte, wenn ich das Land (die Kolonie) betreten würde, sollte ich 25<br />

Stockhiebe bekommen ...<br />

Als meine deutsche Ehefrau den Beamten fragte, was denn nun werden solle, antwortete der<br />

Bezirksamtmann, die deutsche Regierung würde unsere Rückreise bezahlen und in Deutschland<br />

könnte ich erneut am Orientalischen Seminar zu Berlin angestellt werden ..."<br />

Wer schwarz heiratet, wird ausgewiesen ...<br />

Schreiben vom 22. Februar 1906 des Missionskaufmanns Werner Thiel aus Tanga<br />

(Deutsch-Ostafrika) an das Gouvernement, vertreten durch Gustav Adolf Graf von<br />

Goetzen:<br />

"Der Unterzeichnete will hiermit ganz ergebenst seinem<br />

Wunsche Ausdruck geben, ein eingeborenes<br />

Christenmädchen der hiesigen evangelischen Missionsstation<br />

heiraten zu wollen und bittet um Ihre allergnädigste<br />

Entscheidung, in welcher gesetzlichen Form dies geschehen<br />

könnte, da das Kaiserliche Bezirksgericht sowie das<br />

Kaiserliche Bezirksamt in Tanga dieser Frage nur mit grossen<br />

Bedenken und der Möglichkeit einer Landesverweisung<br />

entgegengekommen sind ..."<br />

Antwort des deutschen Gouvernements vom 17. März 1906 als Folge der Eingabe:<br />

"Auf die gefällige Anfrage vom 22. Februar 1906 teile ich<br />

Ihnen ergebenst mit, dass zu meinem Bedauern Ihrer<br />

beabsichtigten Eheschliessung mit einer Eingeborenen<br />

erhebliche Bedenken entgegenstehen. Politische Gründe<br />

sprechen dagegen, Ehen zwischen Europäern und<br />

Eingeborenen zuzulassen ...<br />

Die Standesämter werden deshalb ihre zum Abschluss der<br />

Ehe nötige Mitwirkung zu versagen haben. Auch würde ein<br />

Ehepaar, dessen einer Teil europäischer und anderer Teil<br />

aber eingeborener Rasse ist, wenn es sich nach der<br />

Eheschliessung <strong>im</strong> Schutzgebiet niederlässt, stets mit der<br />

Möglichkeit einer Ausweisung zu rechnen haben..."<br />

(Daraufhin verzichtete Missionskaufmann Werner Thiel auf weitere Pläne für eine Heirat)


Tatsächlich musste das schwarzweisse Ehepaar am 12. September 1905 (also am Tag der Ankunft in<br />

Afrika) mit dem Reichspostdampfer KANZLER auf Befehl des Gouverneurs und auf Kosten der<br />

Kolonialkasse zurückreisen und erlebte dann in Berlin eine weitere böse Überraschung, denn<br />

niemand wollte den Lektor dort beschäftigen wie zuvor.<br />

Eine Bittschrift an Kaiser Wilhelm II. blieb erfolglos trotz des Hinweises, dass es keine<br />

Rechtsgrundlage für alle schikanösen Massnahmen gebe und dass das Deutsche Reich doch ein<br />

Rechtsstaat sei. Darauf richtete der Wissenschaftler ein Schreiben an den Direktor der<br />

Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes mit dem folgenden Argument:<br />

"So bin ich, weil ich nach deutschem Gesetz eine rechtsgültige Ehe geschlossen habe, durch die<br />

Organe der deutschen Regierung aus meiner He<strong>im</strong>at Deutsch-Ostafrika verwiesen und hier in<br />

Deutschland brotlos gemacht worden. Deshalb bitte ich, Euer Exzellenz wollten die Güte haben,<br />

entweder mich mit meiner Ehefrau wieder in meine He<strong>im</strong>at zurück zu befördern und mich dort wohnen<br />

zu lassen oder mir hier in Berlin eine Anstellung zu verschaffen, in der ich ehrlich mein Brot verdienen<br />

kann ..." (21.Dezember 1906).<br />

(Anmerkung: Im Winter-Semester 19021903 unterrichtete Mtoro Bakari wöchentlich 17 Stunden<br />

Swaheli und war auch als Ethnograph tätig, wie aus den Akten der Königlichen Friedrich Wilhelm<br />

Universität hervorgeht, Seminar für Orientalische Sprachen).<br />

Die Eheleute Bakari waren somit Opfer der Auffassung des Gouverneurs Graf von Götzen in Deutsch-<br />

Ostafrika geworden, der in seiner Kolonie "aus politischen und moralischen Rücksichten" keine Heirat<br />

zwischen einem Afrikaner und einer deutschen Frau offiziell duldete. Andererseits hatte die gleiche<br />

deutsche Kolonialbehörde zur Vorbereitung der jetzt bekämpften Eheschliessung alle dafür<br />

erforderlichen Dokumente bereitwillig ausgestellt und dem Standesamt in Berlin-Charlottenburg<br />

übermittelt!<br />

In der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes erkannte man inzwischen den Skandal, dessen<br />

humanitäre Aspekte <strong>im</strong>mer mehr Empörung auslösten und sich in der Presse spiegelten. 1909 gelang<br />

es dem Ostafrikaner, mit Unterstützung der Behörde Honoraraufträge als Sprachlehrer zu bekommen<br />

und 1909 eine feste Anstellung als Lektor am Kolonial-Institut zu Hamburg zu erhalten, wo er bis 1914<br />

Swaheli unterrichtete. Es ist überliefert, dass Bakari bis in die zwanziger Jahre in Deutschland umher<br />

reiste und Vorträge über Ostafrika hielt, um davon zu existieren.<br />

Konsequenzen der Rassenmischehen<br />

Der stellvertretende Gouverneur Tecklenburg (Windhoek) schrieb am 23. Oktober 1905 nach Berlin<br />

unter anderem: "Die Konsequenzen der Rassenmischehe sind in hohem Grade bedenklich und<br />

bergen eine grosse Gefahr in sich. Durch sie wird nicht nur die Reinerhaltung deutscher Rasse und<br />

deutscher Gesinnung <strong>im</strong> Schutzgebiet DSWA, sondern auch die Machtstellung des weissen Mannes<br />

gefährdet. Auch in Südafrika, wo der weisse Mann noch <strong>im</strong>mer so sehr in der Minorität ist, muss er<br />

sich der zahlenmässigen Übermacht des farbigen Elements gegenüber mit seiner Rasse behaupten.


Innerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs (in Europa) konnten zur gleichen Zeit sogenannte<br />

Rassenmischehen vor einem Standesbeamten überall rechtsgültig eingegangen werden, da weder<br />

das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) noch das Personenstandsgesetz vom 6.Februar 1875 in der<br />

Hautfarbe, Rasse oder Abstammung ein Ehehindernis sahen und sich die Form einer Ehe, die in<br />

Deutschland geschlossen wurde, ausschliesslich nach den reichsdeutschen Vorschriften richtete.<br />

Europäische Frauen, die <strong>im</strong> Verdacht standen, Beziehungen zu afrikanischen Männern zu<br />

unterhalten, wurden umgehend aus den Kolonien und Schutzgebieten ausgewiesen (während<br />

Europäer männlichen Geschlechts mit Kontakten zu eingeborenen Frauen keinerlei Nachteile oder<br />

Repressalien fürchten mussten). Überliefert ist der Fall Else Kallenbach (Deutsch-Ostafrika) mit<br />

Ausweisungsbefehl vom 6. Januar 1912. In der alten He<strong>im</strong>at forderte ein Staatsanwalt Fuchs sogar<br />

öffentlich, schuldige Männer (Afrikaner) mit Kastration zu strafen ...<br />

(Anmerkung: In den französischen Kolonien billigte man Eheschliessungen ohne Einschränkungen<br />

und in den britischen Kolonien verhielt es sich genau so, abgesehen von gesellschaftlichen<br />

Diskr<strong>im</strong>inierungen. Die spanischen Kolonialherren hatten gleichfalls keine Einwände).<br />

Komplizierter wurde die Rechtslage bei Ehewünschen, Ehescheidungen und Erbangelegenheiten in<br />

den deutschen Kolonien und Schutzgebieten, wenn Mischlinge wie die Rehoboth Baster darin<br />

verwickelt waren. Die zuständigen kolonialdeutschen Amtsjuristen kannten kein Pardon und keinen<br />

Ermessensspielraum wie das Beispiel der Ehescheidung des Frachtfahrers Kaspar Friedrich Leinhos<br />

und seiner Frau Ada Maria demonstriert, einer Tochter des in Kanada geborenen Friedrick Thomas<br />

Green und des "Herero-Weibes Kaipukire".<br />

Bezirksgericht Windhoek, Urteil vom 26.September 1907: "Ob eine Person Eingeborener oder<br />

Angehöriger der weissen Rasse ist, ist eine Tatfrage und keine Frage, die anhand von Rechtssätzen<br />

zu beantworten wäre. Unter Eingeborenen will das Gesetz nach Ansicht des Gerichts die<br />

Blutsangehörigen der in den deutschen Schutzgebieten oder benachbarten Gebieten eingesessenen<br />

oder sesshaft gewesenen Halbkultur- oder Naturvölker verstanden haben, indem es andere Teile der<br />

nicht weissen Bevölkerung als Angehörige fremder farbiger Stämme bezeichnet ...<br />

Eingeborene sind sämtliche Blutsangehörige eines Naturvolks, auch die Abkömmlinge von<br />

eingeborenen Frauen, die sie von Männern der weissen Rasse empfangen haben, selbst wenn<br />

mehrere Geschlechter hindurch nur eine Mischung mit weissen Männern stattgefunden haben sollte."<br />

Herr Baumann wird angeschwärzt<br />

In dem strafrechtlichen Berufungsurteil gegen den Diplom-Ingenieur Hermann Ludwig Baumann vom<br />

12.März 1913 zog das Obergericht Windhoek vernichtende Konsequenzen aus seiner Grundhaltung:<br />

"Die Frage der Zugehörigkeit zu den Eingeborenen kann nur nach der allgemeinen<br />

Verkehrsanschauung beurteilt werden, wie sie sich <strong>im</strong> Lauf der Zeit entwickelt hat. Man versteht<br />

darunter sämtliche Blutsangehörige der in den Kolonien sesshaften oder eingesessen gewesenen<br />

Natur- oder Halbkulturvölker und ihre Nachkommen ...<br />

In DSWA wird die Nation der Baster (Bastarde) dazu gerechnet. Blutsangehörige dieser Stämme<br />

bleiben die Abkömmlinge von Eingeborenen, die aus der Geschlechtsverbindung mit Angehörigen der<br />

weissen Rasse hervorgegangen sind, als Folge der Blutsverwandtschaft. Es muss deshalb jeder,<br />

dessen Stammbaum väter- oder mütterlicherseits auf einen Eingeborenen zurückgeführt werden kann<br />

– also auch jeder Mischling – als Eingeborener betrachtet und behandelt werden ...<br />

Auf den Grad der Blutsverwandtschaft mit dem Eingeborenen kommt es nicht an. Der Angeklagte als<br />

Urenkel einer Eingeborenen ist deshalb als ein Eingeborener anzusehen und muss – so hart ihn dies<br />

nach seinem Bildungsweg und seiner bisherigen Lebensstellung treffen mag – als Eingeborener<br />

hiermit der Eingeborenen-Gerichtsbarkeit unterstellt werden ..."<br />

Mit Berufungsurteil vom 26.Januar 1911 dehnte das Obergericht Windhoek den Grad der<br />

sogenannten Blutmischung ebenfalls sehr weit aus, als es um die Strafsache gegen den Kaufmann<br />

Willy Krabbenhöft ging. Im Urteil ist nachzulesen, dass "auch die Abstammung von einer Afrikanerin


<strong>im</strong> vierten Grad (Urgrossmutter) bei <strong>im</strong> übrigen europäischen Vorfahren genügt, um den Angeklagten<br />

auf den niederen rechtlichen Status eines Eingeborenen umzustufen ..."<br />

Das Bezirksgericht Keetmanshoop entschied in einer Klage des DSWA-Fiskus gegen acht Erben des<br />

verstorbenen Farmers Hill, dass es keine Rolle spielt, ob "ein Mischling auf der Kulturstufe der<br />

Eingeborenen steht oder sich in Bezug auf Kenntnisse, Fähigkeiten und Bildung mit jedem Weissen<br />

messen kann ..."<br />

Kuriositäten der Rassen-Auslegung<br />

Betrachtet man die offizielle und unterschwellige Einstellung zu Rassenfragen <strong>im</strong> Deutschen<br />

Reich und in den Schutzgebieten sowie Kolonien von ungefähr 1880 bis 1945, so ergeben<br />

sich verblüffende Parallelen und Widersprüche je nach Epoche und Reg<strong>im</strong>e.<br />

Dr. Heinrich Göring, erfahrener Jurist und Reichskommissar für Deutsch-Südwestafrika von<br />

1885 bis 1889, respektiert und verehrt von der schwarzen Bevölkerung wegen seines stets<br />

gerechten und verständnisvollen Auftretens, hatte keinerlei Bedenken das reichsdeutsche<br />

Gesetz betreffend "Eheschliessung und Beurkundung des Personenstands vom 4,Mai 1870"<br />

... auch <strong>im</strong> Schutzgebiet anzuwenden (ohne jede rassische Diskr<strong>im</strong>inierung), fand jedoch in<br />

Berlin kein Gehör.<br />

Es mutet wie ein Treppenwitz der Weltgeschichte an, dass viele Jahre später (<strong>im</strong> Dritten<br />

Reich) der Sohn des Reichskommissars, der spätere Preussische Innenminister Hermann<br />

Göring, auf Bitten seiner zweiten Ehefrau, der ehemaligen Schauspielerin Emmy Sonnemann,<br />

verfolgte Juden aus Künstlerkreisen in historisch verbürgten Fällen vor der Verhaftung und<br />

Einweisung in ein Konzentrationslager bewahrte mit der Redewendung "Wer hier Jude ist oder<br />

nicht, das best<strong>im</strong>me <strong>im</strong>mer noch ich allein!"<br />

Während Kaiser Wilhelm II. bis 1918 nach Belieben nicht-weisse Personen (in seinen<br />

Kolonien und auch anderswo) aus Überlegungen der politischen Zweckmässigkeit ebenfalls<br />

"rassisch umgruppierte" (zur Vermeidung diplomatischer Verwicklungen mit befreundeten<br />

Staaten), setzte Adolf Hitler diese seltsame Tradition verblüffend ähnlich fort.<br />

Weder <strong>im</strong> Kaiserreich noch <strong>im</strong> Dritten Reich durften Japaner rassisch diskr<strong>im</strong>iniert werden,<br />

ebenso wenig etwa Inder, was schwieriger zu verstehen ist, weil Inder in der Rassen-Ideologie<br />

zwar zu den Ariern zählten – als höher wertige Rasse – andererseits aber vielfach so<br />

dunkelhäutig sind wie Afrikaner ... und Afrikaner sind Schwarze bzw. Coloureds.<br />

In Deutsch-Ostafrika ordnete man "aus politisch-religiösen Gründen" an, dass die der Religion<br />

der Zoroaster angehörenden Parsen sowie die "christlichen Goanesen und Syrer" bevorzugt<br />

als "Nicht-Eingeborene" und wie Weisse behandelt werden mussten. Die Basls bildete eine<br />

Verordnung vom 9.November 1900 aus Berlin, eine sogenannte Gleichstellungsverordnung,<br />

jeweils ergänzt durch Verordnungen vom 3.Oktober 1904 (Goanesen und Parsen) und vom<br />

10.Juni 1910 (Syrer). Und am 6. Januar 1912 ordnete der Gouverneur von Deutsch-Samoa<br />

plötzlich an, dass auch die Chinesen als Nichteingeborene zu respektieren seien.<br />

Die zuvor erwähnten "politisch-religiösen Motive" zur Gleichbehandlung mit Weissen schienen<br />

einem speziellen Wunsch von Kaiser Wilhelm II. zu entsprechen, der seinerzeit oft mit<br />

bizarren religiösen Wertevorstellungen seine Umgebung überraschte und keinen Widerspruch<br />

duldete. Zuverlässige Hintergrund-Informationen sind historisch nicht verfügbar.


Dubioser Onkel in Görlitzer Mädchenschule<br />

Die Konstruktion der Amtsjuristen, hier ein blutbezogenes Unterscheidungsmerkmal zwischen<br />

Eingeborenen und Nicht-Eingeborenen zu zementieren, führte unter anderem dazu, dass ein Mitglied<br />

des Deutschen Reichstags, Ökonomierat Hoesch, in seiner Eigenschaft als "Präsident der Deutschen<br />

Gesellschaft für Züchtungskunde" dem Reichskolonialamt mit Schreiben vom 21. April 1913 seine<br />

Ansicht über das Urteil <strong>im</strong> Fall Baumann übermittelte:<br />

"Der bestrafte Baumann (Obergericht Windhoek) ist auf Grund seiner Ahnentafel als sieben Achtel<br />

weisser Rasse anzusprechen. Ein solcher Blutmischungsgrad gilt in der Regel – tierzüchterisch<br />

gesprochen – als Übertritt in die reine Rasse. Bei geordnetem Standesamtsregister würde aber noch<br />

nach der Erkenntnis des Obergerichts selbst ein 15/16 Blut oder sogar ein 31/32 Blut und auch noch<br />

unendlich viel weiter gehende Blutverdünnung stets als nicht der weissen Rasse angehörig zu<br />

bezeichnen sein ..."<br />

Und der Bezirksamtmann von Karibib sah sich unter Hinweis auf das Urteil des Obergerichts vom 12.<br />

März 1913 nicht in der Lage, die Eheschliessung zwischen dem Kaufmann Fritz Ewaldt und Mathilde<br />

Kleinschmidt antragsgemäss vorzunehmen, weil die Urgrossmutter der Braut eine Afrikanerin<br />

gewesen war.<br />

Bald nach dieser Entscheidung sprach sich herum, dass ein Onkel der zur Eingeborenen umgestuften<br />

Braut ... Rektor (!!!) einer Mädchenschule in Görlitz gewesen war (ohne Folgen für die deutsche<br />

Rassenreinheit). Dieser (Mischlings-) Mann hatte <strong>im</strong> Deutschen Reich sogar Schulleiter werden<br />

können, obwohl er dem sogenannten Eingeborenen-Ursprung um eine Generation näher stand als die<br />

Verlobte Frau Kleinschmidt <strong>im</strong> Schutzgebiet!<br />

Gouverneur Dr. Theodor Seitz (1910 bis 1915) wies ausdrücklich darauf hin, dass es zwar in<br />

Deutschland angehen mag, juristisch zwischen Schwarzen und Weissen nicht zu unterscheiden, nicht<br />

jedoch in den Schutzgebieten und Kolonien. Eine Begründung für den überdaus seltsamen<br />

südwestafrikanischen Sonderweg gab er nicht ab.<br />

Das musste früher oder später zu internationalen diplomatischen Verwicklungen und Protesten führen.<br />

Theoretisch gab es in DSWA drei Kategorien von Bewohnern:<br />

1. Nicht eingeborene Angehörige des Deutschen Reichs oder europäisch zivilisierter Staaten sowie<br />

ihnen unter Umständen gleichgestellte Personen, die dem Recht der Nicht-Eingeborenen unterlagen.<br />

(Beispiel: Japaner mussten als "Weisse ehrenhalber" respektiert werden, auch christliche Inder)


2. Eingeborene und die ihnen gleichgestellten Personen, für die das Recht der Eingeborenen<br />

angewendet wurde. (Anmerkung: durchweg auch Mischlinge wie die Rehoboth Baster).<br />

3. Angehörige des Deutschen Reichs oder europäisch-zivilisierter Staaten, die wegen ihrer<br />

Abstammung von Eingeborenen gleich welchen Verwandtschaftsgrads rechtlich wie Eingeborene zu<br />

behandeln waren. (siehe: Mischlinge wie Punkt 2).<br />

Weil oft ausländische Staatsangehörige durch diese Rechtsauffassungen in den deutschen Kolonien<br />

und Schutzgebieten betroffen waren, kam es zu Protesten fremder Mächte in Berlin und das<br />

Reichskolonialamt reagierte jeweils schnell mit sogenannten Ausnahme-Entscheidungen, um<br />

Grossbritannien, Frankreich, Portugal usw. nicht zu verärgern. Gouverneur Seitz folgte solchen<br />

Anweisungen mit grossem Widerstreben in Windhoek, musste aber zähneknirschend Vollzug melden.<br />

Überliefert ist zum Beispiel eine Vorsprache des britischen Botschafters in Berlin bzw. eine Anfrage<br />

vom 11.Oktober 1912 be<strong>im</strong> Auswärtigen Amt. Thema war die Diskr<strong>im</strong>inierung der vormals britischen<br />

Staatsangehörigen Agnes Schubert, geborene Bowe aus rassischen Gründen <strong>im</strong> Schutzgebiet.<br />

Gouverneur Seitz verweigerte zunächst den Gehorsam gegenüber der vorgesetzten Behörde und<br />

ersuchte um eine Entscheidung des Reichskanzlers, musste schliesslich aber doch nachgeben. Es<br />

existierte eine Regierungserklärung aus Berlin, in der ausdrücklich festgelegt war, dass "farbige<br />

Angehörige" fremder Staaten nicht als Eingeborene behandelt werden durften ...<br />

Weder Land noch Grossvieh oder Schnaps<br />

Im allgemeinen weigerten sich die Standesbeamten in den Kolonien und Schutzgebieten des<br />

Kaiserreichs, die aus einer rechtmässigen Ehe (zwischen Weissen und Nicht-Weissen) stammenden<br />

Kinder in das Register für die Nicht-Eingeborenen (Geburten) einzutragen. Bei strenger Auslegung<br />

dieser Rechtspraxis waren diese Kinder wegen ihrer Abstammung von einer eingeborenen Mutter<br />

gleichfalls als Eingeborene anzusehen und somit rechtlich wie Eingeborene zu behandeln.<br />

Der Vater konnte seinen Kindern (aus der Rassenmischehe) weder Grundbesitz noch Grossvieh<br />

schenken oder vererben ... und es war ihm auch untersagt den engsten Familienangehörigen<br />

alkoholische Getränke einzuschenken. Kreditgeschäfte mit den Kindern blieben gleichfalls verboten.<br />

Hielt sich eine solche Familie zu Besuch in Swakopmund auf, durften die Mischlingskinder nicht (wie<br />

der weisse deutsche Vater) den für Weisse reservierten Bürgersteig benutzen und mussten auf den<br />

Fahrweg ausweichen ... (Paragraf 1, Verordnung des Bezirksamtmanns Swakopmund vom 18.Januar<br />

1911 laut Amtsblatt)<br />

Im Reichstag interessierten sich die Abgeordneten <strong>im</strong>mer häufiger für das Mischehenproblem in den<br />

Kolonien und die bestehende Unsicherheit in der Rechtsordnung. Sowohl die Fraktion der<br />

Sozialdemokraten als auch die katholische Zentrumspartei verfassten am 8.Mai 1912 eine Resolution<br />

für den Bundesrat mit dem Ersuchen "zur Einbringung eines Gesetzentwurfs, welcher die Gültigkeit<br />

der Ehen zwischen den Weissen und Eingeborenen in allen deutschen Schutzgebieten und Kolonien<br />

sicherstellt ..."<br />

Die jeweiligen Gouverneure reagierten schroff ablehnend, die Theologen der beiden grossen<br />

christlichen Konfessionen wollten weder ja noch nein sagen und flüchteten in abenteuerliche<br />

Ausreden, um sich nicht festlegen zu müssen, denn in der Bibel gibt es keine Rassenprobleme zur<br />

Orientierung nachzulesen. Der Windhoeker Präfekt Klaegle bemühte das Kanonische Recht zur<br />

Ablehnung von Mischehen am 26.August 1912 und zog als Begründung das aufschiebende<br />

Ehehindernis ecclesiae vetitum heran, das auf der "Befürchtung eines schweren Ärgernisses oder<br />

Unheils aus der zu schliessenden Ehe" beruht! Mit anderen Worten: katholische Geistliche durften<br />

keine "Mischpaare" trauen.<br />

In einer Kommissionssitzung des Deutschen Reichstags vom 20. März 1912 empfahl Staatssekretär<br />

Solf ernsthaft, dass man ... vielleicht durch eine Trennung der bürgerlichen von der kirchlichen<br />

Eheschliessung Lösungsmöglichkeiten finden könne. Es sei nicht nötig, dass man an eine kirchlich<br />

geschlossene Ehe alle üblichen Konsequenzen der bürgerlichen Heirat knüpfe (Erbrecht,<br />

Versorgungsansprüche usw.).


Der protestantische Klerus fern der alten He<strong>im</strong>at wollte zweigleisig fahren: Aus religiösen Gründen<br />

könne man eine kirchliche Trauung von Misch-Paaren zwar nicht verweigern, doch sei es andererseits<br />

angebracht solche Heiratspläne verwaltungsrechtlich so weit wie möglich zu erschweren. Eine<br />

fre<strong>im</strong>ütige Billigung von Mischehen konnte sich keine (weisse) Konfession leisten, weil sonst die<br />

Farmer und Siedler mit wütenden Kirchenaustritten reagiert hätten (wie man fürchtete).<br />

Schliesslich war von Gouverneur Dr. Seitz zu vernehmen, dass man vielleicht "gebildete Nicht-<br />

Weisse" von Fall zu Fall zu "Nicht-Schwarzen" umgruppieren könne, um ihnen Mischehen zu<br />

ermöglichen als eine vorteilhafte Ausnahmeregelung zum Nutzen des Deutschen Reichs ... Der Staat<br />

verleiht dann die Eigenschaften eines Weissen an würdige Personen!<br />

Bald brach der Erste Weltkrieg aus und es gab andere Probleme zu lösen. 25 Jahre später erinnerte<br />

sich das "Kolonialpolitische Amt der NSDAP" und beschloss auf dem Papier eine neue<br />

Rassenordnung zur Rückeroberung der Kolonien. Noch 1940 arbeiteten die Opt<strong>im</strong>isten in Berlin an<br />

Entwürfen zu einem "Kolonialblutschutzgesetz" ... für später nach dem Endsieg.<br />

Quellen:<br />

+++++++<br />

Harald Sippel: Im Interesse des Deutschtums und der weissen Rasse<br />

(Jahrbuch für afrikanisches Recht, 9/1995)<br />

Ursula Trüper: Die Hottentottin<br />

(Köppe Verlag, Köln 2000)<br />

Bundesarchiv Potsdam / Reichskolonialverwaltung<br />

K. Münstermann: Rechtsstellung des deutschen Kaisers in den deutschen Schutzgebieten<br />

(Jena 1911)<br />

G.Braun: Zur Frage der Rechtsgültigkeit der Mischehen in den deutschen Schutzgebieten<br />

(Greifswald 1912)<br />

Stenographische Berichte, Verhandlungen <strong>im</strong> Deutschen Reichstag von 1898 bis 1900<br />

Kolonialfachpresse, Dissertationen, Archive<br />

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