KuS 2020-5
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BILDHAUEREI-<br />
GESCHICHTEN<br />
05 | <strong>2020</strong>
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UNSERE AUFGABE
Inhalt<br />
Editorial<br />
BILDHAUEREIGESCHICHTEN<br />
4 Selbstbehauptung und Selbstbefragung<br />
10 Eine andere Geschichte des Lernens<br />
14 Hitlers Liebling<br />
OBJEKTE UND PROJEKTE<br />
18 Die Alchemisten von Sur En<br />
EIN BUNTER HAUFEN<br />
22 Versteinerter Schwartenmagen<br />
MARKETING<br />
26 Erfolgreich mit neuer Online-Strategie<br />
VARIA / BRANCHEN-INFO<br />
28 «machs na»-Skulpturenwettbewerb<br />
29 Eriz-Kurs <strong>2020</strong><br />
29 Projekt «Überfälle»<br />
30 SwissSkills Championships <strong>2020</strong><br />
TITELBILD<br />
Selbstbildnis (1496, Sandstein) des deutschen<br />
Steinbildhauers, Steinmetzen und Baumeisters<br />
Adam Kraft am Sakramentshaus der Lorenzkirche<br />
zu Nürnberg. Beitrag S. 4-9.<br />
Foto: Tilman2007, Wikimedia Commons<br />
LIEBE LESERIN<br />
LIEBER LESER<br />
Das Können von Bildhauer/innen und Steinmetz/innen<br />
baut auf einem allgemeingültigen Repertoire von<br />
Techniken auf. Jede/r Bildhauer/in und Steinmetz/in<br />
ist aber auch durch lokal und zeitlich begrenzte Gepflogenheiten<br />
und Vorlieben geprägt. Anders gesagt:<br />
Die Geschichte dieser<br />
beiden Berufe besteht<br />
aus vielen einzelnen<br />
Geschichten. Drei davon<br />
sollen in diesem<br />
Heft nacherzählt werden.<br />
Jedes Handwerk hat eine Geschichte der Selbstbehauptung<br />
und Selbstdarstellung. Wie haben sich Bildhauer<br />
und Steinmetze im Laufe der Geschichte selbst<br />
dargestellt? Und wie wurden sie von anderen gesehen?<br />
Ein knapper Abriss der Geschichte des Bildhauer-<br />
und Steinmetzportraits zeigt auf, welche Zwecke<br />
das Selbst- und das Fremdbildnis erfüllt haben.<br />
Wie ein einzelner Bildhauer aus dem Nichts zum Akteur<br />
der Weltgeschichte werden kann, demonstriert<br />
die Biografie des willigen Opportunisten Arno Breker,<br />
der Hitlers «Hofbildhauer» war, nach dem Krieg nichts<br />
bereute und weitgehend unbehelligt blieb.<br />
Viele Geschichten im Kleinen ergeben sich aus dem<br />
Verhältnis von Lehrmeister/innen und ihren Lernenden.<br />
Jede Beziehung ist anders, für jeden und jede<br />
Steinbildhauer/in oder Steinmetz/ in ergibt sich daraus<br />
ein ganz spezifischer Rucksack an Erfahrungen,<br />
Fähigkeiten und Werten, die er/sie ins Berufsleben<br />
mitnimmt. Eine intensive und gegenseitig fordernde<br />
Meister-Lehrling-Beziehung gab es zwischen Steinbildhauer<br />
Christian Aubry und Florian Fuchs in Ilanz.<br />
Wir haben sie besucht.<br />
Jens Steiner, Redaktor «Kunst und Stein»<br />
05/20<br />
3
Bildhauereigeschichten<br />
SELBSTBEHAUPTUNG<br />
UND SELBSTBEFRAGUNG<br />
DIE STEINBILDHAUEREI BLICKT AUF EINE WECHSELVOLLE GESCHICHTE DES BILDHAUER-<br />
(SELBST-)PORTRAITS ZURÜCK. JE NACH ROLLE, DIE DIE KUNST IN IHRER GESELLSCHAFT<br />
SPIELTE, STELLTEN SICH DIE KÜNSTLERINNEN UND KÜNSTLER GANZ UNTERSCHIEDLICH<br />
DAR.<br />
Jens Steiner<br />
Oben: Selbstbildnis von<br />
Anton Pilgram (zw. 1511 und<br />
1513), Stephansdom, Wien.<br />
Foto: CEPhoto/Uwe Aranas,<br />
Wikimedia Commons<br />
Das Künstler-Selbstbildnis gilt als Erfindung der<br />
Renaissance. Erst im 15. Jahrhundert erblickte das<br />
künstlerische Ich, wie wir es heute kennen, das<br />
Licht der Welt. Freilich haben sich auch davor die<br />
Erschaffer in ihren eigenen Werken verewigt. Da<br />
sind zum Beispiel die Baumeister und Steinmetze<br />
mittelalterlicher – meist sakraler – Bauwerke.<br />
Doch wenn diese sich selbst darstellten, dann stets<br />
als Handwerker und meist als Teil eines grösseren<br />
Ensembles oder etwa als Konsolenfigur. In vielen<br />
Fällen kann nur spekuliert werden, ob es sich<br />
wirklich um ein Selbstportrait des Baumeisters<br />
oder Steinmetzen handelt, da eine entsprechende<br />
Inschrift oder eine dokumentierte Selbstaussage<br />
oft fehlt.<br />
MITTELALTER: STOLZE BAUMEISTER<br />
Unbestritten ist die lebensgrosse Sandsteinbüste<br />
des Steinmetzen und Baumeisters Peter Parler<br />
(1330/1333-1399) im Prager Veitsdom – das Wappen<br />
auf der Brust und die Inschrift lassen keinen<br />
Zweifel an der Identität der dargestellten Figur.<br />
Der Spross einer Steinmetzfamilie aus Schwäbisch<br />
Gmünd war nicht nur Dombaumeister auf St. Veit<br />
4 05/20
Bildhauereigeschichten<br />
zu Prag, sondern auch am Bau der bereits damals<br />
als technisches Meisterwerk geltenden Karlsbrücke<br />
beteiligt. Das zwischen 1374 und 1385 entstandene<br />
Selbstportrait wirkt schlicht und demütig,<br />
durch das Wappen auf der Brust und die (heute fast<br />
unleserliche) Inschrift, in der seine wichtigsten Arbeiten<br />
aufgezählt werden, bringt Meister Parler<br />
jedoch auch Selbstbewusstsein zum Ausdruck.<br />
Ausserdem ist sein Eigenbildnis Teil einer Reihe<br />
von Büsten im Triforium, die Könige, Erzbischöfe<br />
und andere Mitglieder der höheren Gesellschaft<br />
darstellen. Parler weiss also ganz genau, wie er von<br />
der Nachwelt gesehen werden will – als einfacher<br />
Mann des Handwerks und zugleich als Mann, der<br />
Bedeutsames geleistet hat.<br />
Sechzig Jahre nach Parlers Tod kam in der unweit<br />
gelegenen Stadt Brünn ein gewisser Anton<br />
Pilgram (1460-1515) zur Welt. Pilgram leitete ab<br />
1511 für einige Jahre die Bauhütte am Wiener<br />
Stephansdom, wo er an mindestens einem Ort<br />
ein Selbstbildnis anfertigte: man sieht ihn noch<br />
heute als Konsolenfigur (s. Bild links), die unter<br />
dem Orgelfuss an der Nordwand des Langhauses<br />
aus einem Fensterrahmen blickt (der Orgelfuss<br />
trägt übrigens seit mehr als 200 Jahren keine Orgel<br />
mehr). An Richtmass und Zirkel, die die Figur in<br />
den Händen hält, erkennt man sie als Baumeister.<br />
Gleichzeitig trägt sie auch einen Hut und so etwas<br />
wie einen Talar: Attribute, die sie als Gelehrten auszeichnen.<br />
Damit stellt Pilgram klar, dass er sich vor<br />
allem als planenden, weniger als ausführenden<br />
Steinmetz betrachtet. Unterhalb der Kanzel im<br />
Stephansdom gibt es übrigens ein weiteres Bildnis<br />
eines Baumeisters («der Fenstergucker» genannt,<br />
s. Bild rechts), es ist jedoch umstritten, ob es sich<br />
um ein Portrait Pilgrams handelt.<br />
Eines der schönsten Steinbildhauer-Selbstbildnisse<br />
des Mittelalters findet sich in der Nürnberger<br />
Lorenzkirche. Es stellt den fränkischen Bildhauer<br />
Adam Kraft (1455/1460-1509) dar und findet sich<br />
am Fuss des filigranen Sakramentshäuschens, das<br />
als Krafts Hauptwerk gilt (s. Heftcover). Dem bis<br />
heute erhaltenen Vertrag mit dem Auftraggeber,<br />
dem Kaufmann Hans Imhoff, ist zu entnehmen,<br />
dass Kraft das Werk zusammen mit drei Gesellen<br />
geschaffen hat. Es ist also davon auszugehen, dass<br />
er es nicht nur geplant, sondern auch eigenhändig<br />
ausgeführt hat. Sein um 1500 entstandenes<br />
Selbstbildnis aus Sandstein hat er als gewissermassen<br />
tragende Figur gehauen, halb kniend,<br />
sehr dynamisch und kraftvoll. Links und rechts<br />
von ihm sind seine Gesellen dargestellt. Kraft<br />
präsentiert sich mit Knüpfel, Eisen und typischer<br />
Kopfbe deckung, sieht sich also als Handwerker,<br />
im Gegensatz zu anderen bildenden Künstlern<br />
jener Zeit (im selben Jahr hat der ebenfalls aus<br />
Nürnberg stammende Albrecht Dürer sich selbst<br />
in Öl verewigt – in königlicher Zentralperspektive<br />
und im edlen Wams mit Pelzkragen). Kraft und<br />
seine Gesellen scheinen den fast zwanzig Meter<br />
hohen Turm auf den Schultern zu tragen. Auch<br />
dies kann man als Botschaft verstehen: Der Portraitierte<br />
«schultert» die ihm aufgetragene Arbeit<br />
ohne Probleme, zugleich kniet er, nimmt also eine<br />
Demutshaltung ein.<br />
Selbstbildnis (zw. 1374<br />
und 1384, Sandstein) von<br />
Peter Parler, Prager Dom,<br />
Triforium galerie.<br />
Foto: Wikimedia Commons<br />
Selbstbildnis (?) von Anton<br />
Pilgram (zw. 1511 und 1513),<br />
Domkanzel, Stephansdom,<br />
Wien.<br />
Foto: Wikimedia Commons<br />
05/20<br />
5
Bildhauereigeschichten<br />
Oben: Büste «Anima dannata»<br />
(1619, Giallo Antico)<br />
von Gianlorenzo Bernini,<br />
Palazzo di Spagna, Rom.<br />
Foto: Sailko, Wikimedia<br />
Commons<br />
Rechte Spalte: Büste «Die<br />
Einfalt im höchsten Grad»<br />
(1770, Alabaster) aus der<br />
Serie «Charakterköpfe» von<br />
Franz Xaver Messerschmidt,<br />
Wien Museum, Wien.<br />
Foto: Wikimedia Commons<br />
RENAISSANCE UND BAROCK: MODERNER<br />
FORSCHERDRANG<br />
Mit der Renaissance verändert sich das Selbstbild<br />
der Künstler. Zu diesem Wandel beigetragen haben<br />
nicht zuletzt Giorgio Vasaris bis heute beliebte,<br />
um 1550 entstandene Künstlerbiographien.<br />
Gian Lorenzo Bernini (1598-1680), der berühmte<br />
Bildhauer des Barock, schuf 1619 in Rom zwei Arbeiten,<br />
die diesen Wandel exemplarisch aufzeigen.<br />
Es handelt sich dabei um das Büstenpaar<br />
«Anima beata» und «Anima dannata». Die aus<br />
Giallo Antico-Marmor gefertigten Arbeiten stellen<br />
zwei menschliche Seelen dar – der einen hat Gott<br />
ewige Glückseligkeit geschenkt, die andere ist zu<br />
ewiger Verdammnis verurteilt (nach neuesten Erkenntnissen<br />
sollen es eher Darstellungen von zwei<br />
mythologischen Figuren sein: Nymphe und Satyr).<br />
Bernini ist damals einundzwanzig Jahre alt und gilt<br />
als vielversprechendes Talent (zwei Jahre später<br />
arbeitet er an einer Figurengruppe, die zu seinen<br />
bekanntesten gehört, dem «Raub der Proserpina»,<br />
heute in der Galleria Borghese).<br />
Mit Bernini entfaltet sich der italienische Barock<br />
in der Bildhauerei zu seiner vollen Blüte: intensive<br />
Dramatik, stark ausgearbeitete Lichteffekte,<br />
Betonung der Bewegung. Das trifft ganz offensichtlich<br />
auch auf die Büste «Anima dannata» zu,<br />
die heute im Palazzo di Spagna, der spanischen<br />
Botschaft in Rom, zu besichtigen ist. Doch Bernini<br />
zielt hier nicht nur auf Effekt ab, er scheint auch<br />
die Möglichkeiten der menschlichen Mimik zu erforschen.<br />
Tatsächlich heisst es, dass Bernini sich<br />
beim Arbeiten vor einen Spiegel gestellt und sich<br />
absichtlich Schmerz zugefügt habe. Die «Anima<br />
dannata» ist kein deklariertes Selbstbildnis, aber<br />
man erkennt Berninis Züge relativ gut. Die Arbeit<br />
ist eine Erkundung des grossen Renaissance-Themas<br />
«Mensch», und sie beruht auf Beobachtung<br />
der eigenen Physiognomie. Das macht sie sehr<br />
modern und unterscheidet sie von den Selbstbildnissen<br />
des Mittelalters.<br />
Ein ähnliches Vorhaben muss rund hundertfünfzig<br />
Jahre später der deutsche Bildhauer Franz<br />
Xaver Messerschmidt (1736-1783) im Sinne gehabt<br />
haben. In seinen 69 teils aus Alabaster gearbeiteten,<br />
teils gegossenen Charakterköpfen – er selber<br />
nannte sie «Köpf-Stückhe» – dekliniert er ein weites<br />
Spektrum mimischer Ausdrucksmöglichkeiten<br />
durch. Auch er habe vor dem Spiegel gestanden<br />
und die Kontraktionen seiner Gesichtsmuskulatur<br />
studiert, berichten Zeitzeugen, aber offenbar ging<br />
er auch drastischer vor: er soll Passanten auf der<br />
Strasse eine Pistole vor die Nase gehalten und<br />
ihre Mimik beobachtet haben. Physiognomische<br />
Studien waren damals schwer in Mode, man denke<br />
nur an die «Physiognomischen Fragmente zur Be-<br />
6 05/20
Linke Spalte: Lebensgrosse<br />
Skulptur «Bertel Thorvaldsen<br />
und die Göttin der Hoffnung»<br />
(1859, Marmor), ausgeführt<br />
von Thorvaldsens<br />
Schüler Herman Wilhelm<br />
Bissen, nach einem Entwurf<br />
von Bertel Thorvaldsen.<br />
Foto: Thorvaldsens Museum,<br />
Kopenhagen<br />
Links oben: Rudolf Suhrlandt,<br />
Portrait von Antonio<br />
Canova (1810-1812, Öl auf<br />
Leinwand).<br />
Foto: Thorvaldsens Museum,<br />
Kopenhagen<br />
förderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe»<br />
des Zürchers Johann Caspar Lavater. Man<br />
wollte damit die Wechselwirkungen zwischen Leib<br />
und Seele begreifen. In diesem Lichte betrachtet<br />
ist Messerschmidts Arbeit an den Charakterköpfen<br />
keine persönliche Selbstbefragung. Vielmehr<br />
versucht der Bildhauer, sein Gesicht möglichst objektiv<br />
zu erfassen. Damit stellt er sich als Künstler<br />
in den Dienst der Aufklärung, dem damaligen Gemeinschaftsprojekt<br />
der europäischen Eliten.<br />
MODERNE: DER BILDHAUER ALS PROMI<br />
Dennoch blieb auch in der Neuzeit die – zum Teil<br />
pompöse – Repräsentation wichtig. Bildhauer,<br />
die sich einen Status erarbeitet hatten, legten<br />
oft viel Wert darauf, dass auch die Nachwelt über<br />
diesen Status Bescheid wusste. Zu den gefeierten<br />
Bildhauerhelden der Klassik gehörte der Däne<br />
Bertel Thorvaldsen (1770-1844), der in Kopenhagen<br />
als Sohn eines isländischen Holzschnitzers<br />
auf die Welt gekommen und bereits mit elf Jahren<br />
an der Königlichen Kunstakademie aufgenommen<br />
worden war. Im Alter von 26 Jahren ging er<br />
nach Rom, wo er den grössten Teil seines Lebens<br />
verbrachte und sich den Ruf als einer der grössten<br />
Bildhauer seiner Zeit erarbeitete. Seine Denkmäler,<br />
Reliefs und Reiterstandbilder sind heute über<br />
ganz Europa verteilt (für Luzern hat er das Löwendenkmal<br />
beim Gletschergarten entworfen). Der<br />
Umstand, dass Thorvaldsen bereits zu Lebzeiten<br />
zur Legende geworden war, führte dazu, dass sehr<br />
viele Portraits von ihm angefertigt wurden – er<br />
wurde wohl etwa 200 Mal gemalt oder gezeichnet,<br />
dazu ist er in etlichen Büsten oder Skulpturen<br />
verewigt.<br />
Im Gegensatz zum Mittelalter steht die Repräsentation<br />
in den folgenden Jahrhunderten<br />
aber immer weniger im Mittelpunkt. Die Künstler<br />
wollten in ihrer Individualität dargestellt werden.<br />
Dennoch finden sich noch immer viele Konventionen<br />
bzw. Klischees in diesen Abbildungen. So<br />
werden die Bildhauer des 18. und 19. Jahrhunderts<br />
in Ölgemälden sehr oft als Bruststück oder<br />
Halbfigur im Dreiviertel- oder Halbprofil und mit<br />
einer kleinen selbstgeschaffenen Arbeit in der<br />
Hand oder mit der Hand auf einem Büstenkopf<br />
abgebildet.<br />
Links unten: Rudolf Suhrlandt,<br />
Portrait von Bertel<br />
Thorvaldsen (1810, Öl auf<br />
Leinwand). Thorvaldsen<br />
scheint die Büste geradezu<br />
wegzudrücken, um auf den<br />
dänischen Verdienstorden<br />
an seiner Brust – Zeichen<br />
seines sozialen Aufstiegs –<br />
hinzuweisen.<br />
Foto: Thorvaldsens Museum,<br />
Kopenhagen<br />
05/20<br />
7
Bildhauereigeschichten<br />
Rechts: Selbstbildnis (zw.<br />
1926 und 1936, Bronzeguss<br />
vermutlich um 1945) von<br />
Käthe Kollwitz.<br />
Foto: Stiftung Stadtmuseum<br />
Berlin/Michael Setzpfandt,<br />
Berlin<br />
Rechte Spalte: Selbstbildnis<br />
(1925, Gips) von Alberto<br />
Giacometti.<br />
Foto: Kunsthaus Zürich/<br />
Alberto Giacometti-Stiftung<br />
1993<br />
20. JAHRHUNDERT: KRITISCHER BLICK AUF<br />
SICH SELBST<br />
Einen weiterer Entwicklungsschub in Richtung<br />
Moderne fand in der Romantik (erste Hälfte des<br />
19. Jahrhunderts) statt. Das Künstlerideal dieser<br />
Epoche brachte es mit sich, dass Schriftsteller,<br />
Musiker, Maler oder Bildhauer ihre eigene Gefühlswelt<br />
auszudrücken begannen – und sich damit<br />
noch weiter von der Repräsentation und dem würdevollen<br />
Schmuck früherer Epochen entfernten.<br />
Im frühen 20. Jahrhundert ist diese Entwicklung<br />
in der Bildhauerei noch immer deutlich sichtbar.<br />
Eine Künstlerin, die sich selbst immer wieder schonungslos<br />
portraitierte, war die in Königsberg geborene<br />
Malerin, Grafikerin und Bildhauerin Käthe<br />
Kollwitz (1867-1945). Bei ihren Selbstbildnissen<br />
ging es ihr weniger um das Ergebnis als um den<br />
Prozess selbst. Bezeichnend dafür ist ihr einziges<br />
dreidimensionales Selbstportrait, eine Büste, an<br />
der sie ganze zehn Jahre lang, von 1926 bis 1936,<br />
arbeitete. Es war ein quälender Prozess. Am 30.<br />
Dezember 1928 schrieb sie in ihr Tagebuch: «Bin<br />
zur Zeit wieder an meinem plastischen Selbstbild,<br />
fluchend und schimpfend (...) Doch komm ich nicht<br />
los, jeder Tag endet mit neuer Illusion und jeder<br />
nächste Tag beginnt mit wütender Depression.»<br />
Dieses geradezu masochistische Ringen erinnert<br />
an Alberto Giacometti (1901-1966). Auch der<br />
Bergeller Künstler versuchte, in immer wieder<br />
neuen Versuchen, den Wesenskern einer Figur zu<br />
finden, so auch im Selbstportrait aus Gips von<br />
1926. Es entstand in der Zeit, als er sich in Paris<br />
von Antoine Bourdelle ausbilden liess. Die Büste<br />
lässt vermuten, dass Giacometti in dieser Zeit<br />
noch über eine gewisse Gelassenheit und Zufriedenheit<br />
mit sich selbst verfügte. Erst später wuchs<br />
sich das unaufhörliche Suchen und Materialabtragen<br />
zu jener Manie aus, der wir die berühmten<br />
Hungerfiguren zu verdanken haben.<br />
Sowohl Kollwitz' wie auch Giacomettis Selbstbildnis<br />
wirken stark in sich gekehrt. Das ist wohl<br />
kein Zufall, haben doch beide Künstler eine zutiefst<br />
existenzialistische Prägung. Es geht ihnen<br />
um die Auseinandersetzung des Menschen mit<br />
sich selbst, um seine Verlorenheit, seine Suche<br />
nach Sinn. All dies arbeiten diese beiden grossen<br />
Künstler des 20. Jahrhunderts an ihren Selbstbildnissen<br />
ab.<br />
DER BLICK VON KÜNSTLERFREUNDEN<br />
Ging es Künstlern früherer Epochen noch darum,<br />
ihren Status mit einem «Fremdportrait» zu festigen,<br />
diente dieses im 20. Jahrhundert mehr der<br />
Freundschaftspflege und der künstlerischen Inspiration.<br />
Gerade in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts<br />
sind unzählige solcher Freundschaftsportraits<br />
entstanden. Ein schönes Beispiel dafür<br />
ist das Ölbild, das Amedeo Modigliani im Jahr<br />
1917 vom kubistischen Bildhauer Jacques Lipchitz<br />
(1891-1973) und dessen Frau Berthe malte. Der Italiener<br />
machte damals schwere Zeiten durch, überhaupt<br />
kam er zeitlebens auf keinen grünen Zweig.<br />
Lipchitz, der seit einigen Jahren regelmässig in<br />
den Pariser Salons ausstellte, wollte dem Freund<br />
finanziell unter die Arme greifen. Modigliani verlangte<br />
wie immer «zehn Francs pro Sitzung und<br />
8 05/20
Bildhauereigeschichten<br />
Linke Spalte: Amedeo<br />
Modigliani, Portrait von<br />
Jacques und Berthe Lipchitz<br />
(1916, Öl auf Leinwand).<br />
Foto: The Art Institute of<br />
Chicago<br />
ein bisschen Alkohol», nach zwei Tagen war die<br />
Arbeit fertig. Da Lipchitz mehr bezahlen wollte,<br />
verlangte er von seinem Freund, zwei Wochen länger<br />
an dem Bild zu arbeiten. Modigliani, ein Mann<br />
von unübertreffbarer Geschäftsuntüchtigkeit, tat<br />
es nur widerwillig. Er portraitierte in diesen Jahren<br />
übrigens noch viele andere Künstlerfreunde<br />
aus Montmartre: Picasso, Fernand Léger, Juan Gris<br />
oder Chaim Soutine.<br />
Zu den am häufigsten portraitierten Bild hauern<br />
des 20. Jahrhunderts gehörte Auguste Rodin<br />
(1840-1917). Er war eine markante Persönlichkeit,<br />
die man auch weit ausserhalb der Künstlerzirkel<br />
kannte. Die Welt verlangte nach Bildern von diesem<br />
Mann, und etliche Portraitisten lieferten sie:<br />
die Maler Alphonse Legros, William Rothenstein<br />
und Anders Zorn beispielsweise zeichneten und<br />
malten ihn, der Lithograf Eugène Carrière fertigte<br />
Stiche von ihm an, die Portraitfotografin Gertrude<br />
Käsebier sowie die Fotografen Nadar und Dornac<br />
lichteten ihn ab. Es sind allesamt Arbeiten mit<br />
deutlich sichtbaren künstlerischen Absichten.<br />
Doch man kann sie auch als Dokumente eines<br />
damals eher neuen Phänomens lesen: dem Personenkult,<br />
mit dem wir heute bis zum Überdruss<br />
vertraut sind.<br />
Zu grosser Berühmtheit gelangte nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg auch der englische Bildhauer<br />
Henry Moore (1898-1986). Im Gegensatz zu Rodin<br />
galt er als zurückhaltende Persönlichkeit. Dass von<br />
ihm dennoch so viele Portraits angefertigt wurden<br />
(die National Portrait Gallery in London besitzt 99<br />
Bildnisse Moores), ist kein Zufall: Moore mochte<br />
introvertiert wirken, steuerte aber das Bild, das er<br />
in der Öffentlichkeit abgab, sehr bewusst. Das war<br />
einerseits neu (viele Künstler nach Moore wurden<br />
zu ausgefuchsten Medienprofis), andererseits hatten<br />
schon die mittelalterlichen Baumeister Parler,<br />
Pilgram und Kraft gewusst, die Bilder, welche die<br />
Mitwelt von ihnen erhielt, unter eigener Kontrolle<br />
zu halten.<br />
Die Darstellung des Bildhauer-Ichs ist einem<br />
stetigen Wandel unterworfen. Im Mittelalter wird<br />
es pompös ausgeschmückt, in der frühen Neuzeit<br />
steht es im Dienst der Wissenschaft vom Menschen,<br />
in der Moderne dient es der Erkundung<br />
von Individualität und psychischen Abgründen.<br />
Jedes Bildhauer-Portrait ist also eine komplexe<br />
Geschichte, die genauso viel über den Künstler<br />
und die Künstlerin erzählt wie über das Menschenbild<br />
der jeweiligen Epoche.<br />
Links oben: Edward Steichen,<br />
Portrait von Auguste Rodin<br />
(1902, Fotografie). Das Bild<br />
ist Teil einer grösseren<br />
Portraitserie. Die beiden<br />
wurden während dieser<br />
Arbeit enge Freunde. Später<br />
kehrte Steichen immer<br />
wieder nach Paris zurück,<br />
um Rodins Skulpturen zu<br />
fotografieren. 1947, dreissig<br />
Jahre nach Rodins Tod, wurde<br />
Steichen erster Direktor<br />
der neuen Fotografie-Abteilung<br />
im New Yorker Museum<br />
of Modern Art. 1955 schloss<br />
sich dort für ihn ein Kreis: Im<br />
Skulpturengarten des MoMA<br />
wurde ein Abguss von Rodins<br />
berühmter Balzac-Skulptur<br />
aufgestellt, die Steichen<br />
mehr als fünfzig Jahre zuvor<br />
in Paris fotografiert hatte.<br />
Foto: Google Art Project<br />
Links unten: Allan Warren,<br />
Portrait von Henry Moore<br />
in seinem Studio (1975,<br />
Fotografie).<br />
Foto: Wikimedia Commons<br />
Literatur<br />
Ulrich Pfisterer (Hg.): Der<br />
Künstler als Kunstwerk.<br />
Selbstporträts vom Mittelalter<br />
bis zur Gegenwart, Stuttgart<br />
2005.<br />
Annette Kanzenbach: Der<br />
Bildhauer im Porträt. Darstellungstraditionen<br />
im<br />
Künstlerbildnis vom 16. bis<br />
zur Mitte des 19. Jahrhunderts,<br />
München 2007.<br />
05/20<br />
9
Bildhauereigeschichten<br />
EINE ANDERE GESCHICHTE<br />
DES LERNENS<br />
JEDE ZUSAMMENARBEIT VON LEHRER UND LEHRLING HAT IHRE EIGENE GESCHICHTE, DIE DEN WEITEREN<br />
BERUFLICHEN UND PERSÖNLICHEN WEG DES LERNENDEN STARK PRÄGT. SO AUCH DIE VON STEINBILDHAU-<br />
ER CHRISTIAN AUBRY AUS ILANZ UND SEINEM EHEMALIGEN LEHRLING FLORIAN FUCHS.<br />
Jens Steiner<br />
Während es draussen hudelt und stürmt, sitzen wir<br />
im warmen Dachstock eines ehemaligen Eiskellers<br />
in Ilanz. Christian Aubry, der sein Handwerk einst<br />
bei Gottfried Hotz in Weinfelden lernte, danach<br />
bei Ludwig Stocker in Basel arbeitete und vor rund<br />
dreissig Jahren über Umwege und Schlaufen in<br />
Ilanz landete, beginnt zu erzählen. Von seinem<br />
einst gefassten Beschluss, keine Lehrlinge mehr<br />
ausbilden zu wollen, weil es so schwierig sei, jemanden<br />
wirklich Guten zu finden, mit dem man<br />
sich gut verstehe. Dann erzählt er von jenem jungen<br />
Mann, der vor etwas mehr als drei Jahren in<br />
der Tür seiner Werkstatt stand. Von den langen<br />
Gesprächen, die er mit dem jungen Mann führte,<br />
und davon, wie sein damaliger Beschluss nach und<br />
nach zu wanken begann, weil er begriff, wie gut sie<br />
zueinander passten. Am Schluss hatte der junge<br />
Mann drei Tage am Stück in Aubrys Werkstätten<br />
verbracht und vieles ausprobiert. Und Aubry hatte<br />
entschieden, es doch noch einmal zu versuchen<br />
mit einem Lehrling.<br />
Der junge Mann heisst Florian Fuchs. Auch er<br />
sitzt an diesem verregneten Tag im Dachstock des<br />
Eiskellers, kippt seinen Espresso und erzählt. Von<br />
seiner ersten Lehre als Grafiker an der Fachklasse<br />
für Grafik in St. Gallen. Von der Erkenntnis, dass er<br />
die kreativen Aspekte dieses Berufs zwar schätzte,<br />
aber nicht den ganzen Tag vor einem Bildschirm<br />
verbringen wollte. Vom Handwerklichen, das ihm<br />
fehlte. Von der Bekannten seiner Mutter, die in der<br />
10 05/20
Links: Arbeit mit Steinpigmenten: Christian<br />
Aubry und Florian Fuchs im Dachstock des<br />
ehemaligen Ilanzer Eiskellers.<br />
Foto: Jaromir Kreiliger<br />
Bildhauereigeschichten<br />
Surselva einen Steinbildhauer kannte und Fuchs<br />
riet, sich doch mal bei diesem zu melden. Und von<br />
seinem Besuch in Ilanz vor etwas mehr als drei<br />
Jahren. Wie Aubry ihn mit Klüpfel und Meissel arbeiten<br />
liess und wie er begriff, dass das hier genau<br />
dasjenige sein könnte, was ihm vor dem Bildschirm<br />
gefehlt hatte.<br />
DIE FRAGE NACH DEM SINN<br />
Der ehemalige Eiskeller einer Brauerei befindet<br />
sich am Rand des Städtchens Ilanz, direkt an der<br />
Ausfallstrasse Richtung Val Lumnezia, und ist<br />
heute ein interdisziplinäres Handwerkshaus mit<br />
dem Namen «Baukunst Graubünden». Hier sind<br />
eine Steinbildhauerwerkstatt, eine Zimmerei, eine<br />
Kalkwerkstatt und im Dachstock, wo wir sitzen, ein<br />
Atelier für künstlerische Arbeit und Material-Experimente<br />
untergebracht. Neben Christian Aubry<br />
arbeiten hier dessen Söhne Joel und Lukas Aubry<br />
als Steinbildhauer bzw. Zimmermann sowie<br />
zeitweise weitere Fachleute, mit denen man ein<br />
handwerkliches Netzwerk bildet. Zur Philosophie<br />
dieses Netzwerks gehört nicht nur, mit bewährten<br />
lokalen Baustoffen und in lokalen Techniken zu<br />
arbeiten, sondern auch, immer wieder nach dem<br />
Sinn des eigenen Tuns zu fragen, sich und seine eigene<br />
Arbeit in die Zusammenhänge seiner Umwelt<br />
zu stellen. Christian Aubry ist ein Mann, der der Logik<br />
des Marktes und ihrem Zeitdiktat etwas entgegenhalten<br />
will. Für den Inhaber eines Betriebs, der<br />
sich nie ganz aus diesem Markt heraushalten kann,<br />
ist das kein einfaches Unterfangen. Aubry wird<br />
dennoch nicht müde, von Auftraggebern und Bauherren<br />
Zeit einzufordern für Arbeiten und Projekte,<br />
an denen er beteiligt ist. Zeit wollte er sich auch für<br />
seinen Lehrling nehmen. Denn zur Philosophie des<br />
Hauses gehört selbstverständlich auch, dass ein<br />
Lehrling keine billige Arbeitskraft sein soll.<br />
«Beide müssen sich aufeinander einlassen wollen,<br />
sonst macht eine Lehre keinen Sinn», sagte Aubry<br />
im Jahr 2017, als Fuchs seine Lehre bei ihm antrat.<br />
Aubry wusste sehr wohl, was er dem Lehrling<br />
weitergeben wollte, aber er wollte selber auch etwas<br />
lernen, wollte von seinem Lehrling überrascht<br />
und herausgefordert werden. Es sollte also eine<br />
etwas andere Lehre werden, in deren Mittelpunkt<br />
die künstlerische Auseinandersetzung stehen<br />
würde – Auseinandersetzung mit dem Material,<br />
aber auch mit sich selber und seinem Gegenüber.<br />
Ich frage Florian Fuchs, was er für eine Idee von<br />
der Lehre gehabt habe, damals vor etwas mehr<br />
als drei Jahren. Fuchs denkt eine Weile nach. Was<br />
er dann sagt, klingt ganz klar: «Verwandeln und<br />
Finden. Das wollte ich.» Fuchs betrachtete eine<br />
Lehre als eine Art Forschungsreise, und so einigten<br />
sich die beiden, eine handwerkliche und künstleriche<br />
Forschungsreise zu gestalten. Eine Lehre<br />
mit dem Motto: «Man muss langsam werden, um<br />
etwas erschaffen zu können.» So hatten sie es festgehalten<br />
in einem kleinen Heft, das sie in jenem<br />
Jahr gemeinsam kreierten und das die Haltung<br />
beschreibt, die diese Lehre tragen sollte.<br />
DER ZWISCHENHALT<br />
Drei Jahre später konnte man besichtigen, was<br />
die beiden in dieser Zeit umgetrieben hat, welche<br />
Wege ihre Forschungsreise genommen hat. In der<br />
Laaxer Galerie Cularta durften sie im Sommer<br />
<strong>2020</strong> während fünf Wochen unter dem Titel «re ci<br />
proc | wech sel sei tig» ihre Arbeiten ausstellen.<br />
Im Erdgeschoss gewährte Christian Aubry den<br />
Galeriebesuchern einen Einblick in seine langjäh-<br />
Oben: «Die Bergsteinpigmen<br />
te aus der Surselva<br />
offenbaren sich als Farbsymphonie»,<br />
schreibt<br />
Christian Aubry im Katalog<br />
zur diesjährigen Ausstellung<br />
«re ci proc | wech sel sei tig»<br />
in Laax. Diese Symphonie<br />
gab er als «Tonreihe» in<br />
Messingbechern und an der<br />
Wand als Farbtafeln wieder.<br />
Foto: Valeria Carrabs<br />
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11
Bildhauereigeschichten<br />
Links: «Loslassen» – Florian Fuchs zeigte<br />
in der Laaxer Ausstellung unter anderem<br />
diese Arbeit aus den Jahren 2018 und 2019.<br />
Sie wurde in der Kunstgiesserei Hutter in<br />
Amriswil in Bronze gegossen.<br />
Foto: Valeria Carrabs<br />
Oben: Zwei Nummulitenkalke,<br />
die Christian Aubry<br />
in der Surselva gefunden<br />
und geborgen hat. Links<br />
Florian Fuchs' Arbeit<br />
«Skamandros», inspiriert<br />
von der «Ilias» des griechischen<br />
Dichters Homer.<br />
Foto: Valeria Carrabs<br />
rige Arbeit mit Steinpigmenten aus der Region.<br />
Immer wieder ist er unterwegs in der Surselva,<br />
sammelt charakteristische Steine ein, die er in<br />
der Werkstatt zu feinem Pulver verarbeitet, das<br />
als Pigment für Farben und Putze dient. In kleinen<br />
Messingbechern hat er die Pigmente aufgereiht,<br />
eine der lokalen Geologie abgerungene<br />
«Farbsymphonie», wie Aubry es nennt. Dazu Leinwände,<br />
auf denen die Wirkung der Pigmente als<br />
Malfarbe erfahren werden kann. Im zweiten Stock<br />
zeigte Fuchs skulpturale Arbeiten, unter anderem<br />
klassische Torsi aus Kalkstein oder Marmor mit<br />
aussergewöhnlicher Oberflächenbearbeitung,<br />
schönen Verläufen von grob gespitzt zu fein geschliffen,<br />
aber auch eine Büste aus Terrakotta.<br />
Und dann stehen draussen vor der Galerie noch<br />
drei auf den ersten Blick eher unscheinbare Stei-<br />
ne. Es sind Nummulitenkalke aus dem Tertiär.<br />
Aubry hat sie auf seinen Wanderungen gefunden<br />
und zusammen mit Helfern aus der Landschaft<br />
geholt und in die Werkstatt gebracht.<br />
Mit einem dieser Nummulitenkalke hat Florian<br />
Fuchs gearbeitet. Es ist seine «Individuelle Projektarbeit»,<br />
die er zu seinem Lehrabschluss an der<br />
Schule eingereicht hat. Sie trägt den Titel «Skamandros»<br />
und hat die Form einer sich überschlagenden<br />
Welle. Skamandros ist in der berühmten<br />
«Ilias» des griechischen Dichters Homer der Gott<br />
des gleichnamigen Flusses, der sich an Achilles<br />
rächt. Für Florian Fuchs, der sich schon in seiner<br />
Kindheit für die Sagen der Antike begeisterte, steht<br />
Skamandros sinnbildlich für das Sich-Erheben der<br />
Natur gegen die menschliche Grausamkeit. Über<br />
die Schritte Tonmodell, Gipsabguss und Punktübertragung<br />
auf den Stein arbeitete sich Fuchs<br />
nach und nach an die Konkretisierung seiner<br />
Form idee heran. Auch bei dieser Skulptur arbeitete<br />
er mit unterschiedlichen Bearbeitungen, die<br />
zusammen mit der eigentümlichen Struktur des<br />
Nummulitenkalks eine äusserst reiche Oberfläche<br />
bilden, die viel zu erzählen hat. Die Nummuliten,<br />
die dem Stein den Namen geben, sind tellerartige<br />
Einzeller mit einem Durchmesser von mehreren<br />
Zentimetern. Wird ein Stein gesägt oder gebrochen,<br />
sieht man die Querschnitte der Nummuliten<br />
als egelförmige Kleckse.<br />
GROSSPROJEKT AM ZÜRCHER BELLEVUE<br />
Für Aubry und Fuchs kann diese Ausstellung freilich<br />
nur ein Zwischenhalt gewesen sein. Die Lehre<br />
ist zwar seit Sommer <strong>2020</strong> abgeschlossen, doch<br />
das voneinander Lernen, die Forschungsreise sind<br />
noch lange nicht zu Ende. Die Zusammenarbeit in<br />
Ilanz soll weitergehen, zugleich möchte Fuchs in<br />
der Nähe ein eigenes Atelier haben, um für sich<br />
zu arbeiten. Er will sich aber auch weitere Gebiete<br />
erarbeiten, zum Beispiel in den Kunstguss. Daneben<br />
arbeitet er momentan dran, eine Schrift<br />
zu entwickeln, die in verschiedenen Medien gleichermassen<br />
«funktioniert» – eine Arbeit, bei der<br />
er sein Grafikerwissen und sein Bildhauerwissen<br />
in idealer Weise kombinieren kann.<br />
Ein Projekt, das beide den ganzen Sommer über<br />
in Beschlag nahm, ist ein grosser Terrazzobrunnen,<br />
den Aubry zusammen mit dem Architekten<br />
Timon Reichle und dem Landschaftsarchitekten<br />
Roger Jans gestaltet hat. Gebaut wird er in<br />
der Nähe des Zürcher Bellevues, Anlass ist das<br />
12 05/20
Bildhauereigeschichten<br />
150-Jahr-Jubiläum der Zürcher Wasserversorgung.<br />
Mit dem Namen «Sardonabrunnen» wird auf<br />
das Ursprungsgebiet des Zürcher Wassers und zugleich<br />
auf die Surselva verwiesen, die sich auf der<br />
«Rückseite» des Sardonamassivs befindet. Dort<br />
hat Aubry unterschiedliche Sorten von Hartgesteinen<br />
gesammelt, die er dann in der Werkstatt<br />
auf die notwendige Grösse brach und nach Zürich<br />
transportierte.<br />
Dort wurde der bereits fertige Betonsockel in<br />
aufwendiger Massarbeit in die richtige Form gebracht.<br />
Danach stockte man seine Oberfläche,<br />
um einen idealen «Grip» für die feine Basismörtelmischung<br />
zu schaffen. War diese aufgetragen, wurden<br />
die Steine in einem ganz bestimmten Muster<br />
gesetzt, in der Mitte feinere Stücke, gegen den<br />
Rand hin immer grössere. Dann folgte ein weiterer<br />
Mörtel. So entstand ein Belag mit einer Dicke<br />
von rund 5 Zentimetern. Als letzte Arbeitsschritte<br />
kamen ein Feinschliff, das Ausbessern von Luftlöchern<br />
und daraufhin nochmals ein Feinschliff<br />
dran. Ein Zentimeter des Belags wurde so abgetragen,<br />
um das charakteristische Steinmuster sichtbar<br />
zu machen.<br />
Aubry hat langjährige Erfahrung mit Terrazzo.<br />
Seit 2013, als er gemeinsam mit dem Natursteinwerk<br />
von Urs Schmitt in Herisau eine Altarinsel<br />
für die Stiftskirche St. Gallen schuf, hat er zahlreiche<br />
Aufträge für Ausführungen in dieser Technik<br />
bekommen. Die Erfahrung hilft ihm, ein solches<br />
Grossprojekt – einen Terrazzobrunnen dieser Dimension<br />
hat er noch nie geschaffen – zu meistern.<br />
Christian Aubry wäre nicht Christian Aubry, wenn<br />
er sein praktisches Wissen in der Terrazzotechnik<br />
nicht teilen und weitergeben würde. So arbeiteten<br />
auf der Baustelle am Zürcher Bellevue immer<br />
wieder vor allem junge Berufskollegen für ein paar<br />
Tage oder Wochen mit, aber auch Landschaftsgärtner<br />
waren mit von der Partie. Für Tobias Deuber<br />
und Kaspar Klaus, die im Sommer ihre Lehre<br />
als Steinmetz bzw. Steinbildhauer abgeschlossen<br />
haben und im September zeitweilig mitarbeiteten,<br />
war das eine gute Gelegenheit, Erfahrungen<br />
zu sammeln und sich auszutauschen, und auch<br />
Florian Fuchs freute sich selbstverständlich, die<br />
Kollegen, die er von der Berufsschule kannte, für<br />
eine Weile im Projekt dabeizuhaben.<br />
Das Schöne und auch Zukunftsträchtige an dieser<br />
etwas anderen Lehre, die Aubry und Fuchs gemeinsam<br />
gestalteten, ist, dass Fuchs diese Kultur<br />
weitertragen kann. Es ist eine Kultur des behutsamen<br />
und nachhaltigen Lernens, das auch Umwege<br />
nehmen darf. Eine Kultur, die die durchformalisierte<br />
und standardisierte Berufsausbildung, wie<br />
sie heutzutage vorherrscht, meist nur begrenzt<br />
bietet.<br />
Oben: Arbeit am Terrazzo-<br />
Brunnen in der Nähe des<br />
Zürcher Bellevues: Erst<br />
musste der Betonsockel so<br />
abgetragen werden, dass<br />
am Ende der Wasserspiegel<br />
richtig in der Senke<br />
liegt (links unten), danach<br />
wurden ein Basismörtel<br />
aufgetragen und die Steine<br />
gesetzt (links oben und<br />
rechts unten). Der Basismörtel<br />
musste daraufhin<br />
mit dem Spitzeisen aufgeraut<br />
werden, damit die<br />
nächste Mörtelschicht gut<br />
greift (rechts oben).<br />
Fotos: Lucia Degonda<br />
05/20<br />
13
Bildhauereigeschichten<br />
Wie viele andere Prominente<br />
der Nazizeit liess sich der<br />
Schriftsteller Gerhart Hauptmann<br />
von Arno Breker mit<br />
einer Büste portraitieren.<br />
Hier in einer Sitzung vom 26.<br />
Oktober 1942.<br />
Foto: Art Media/Heritage<br />
Images/Alamy Stock Foto<br />
HITLERS LIEBLING<br />
DIE LEBENSGESCHICHTE DES BILDHAUERS ARNO BREKER TRÄGT DIE SCHRECKEN<br />
DES NATIONALSOZIALISMUS WIE EIN DUNKLES HERZ IN SICH. WIE KAM ES, DASS EIN<br />
WELTOFFENER KÜNSTLER ZU HITLERS LIEBLINGSBILDHAUER WURDE UND EHEMALS<br />
BESTE FREUNDE IM STICH LIESS? EINE REKONSTRUKTION.<br />
Jens Steiner<br />
Arno Breker kommt im Jahr 1900 im heutigen Wuppertal<br />
als Sohn eines Steinmetzen zur Welt. Seine<br />
Lehre macht er im väterlichen, auf Grabmäler spezialisierten<br />
Betrieb, doch bald zeigt sich: Der junge<br />
Mann will mehr. Breker tritt ein Studium an der<br />
Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf an. Obwohl<br />
die Düsseldorfer Akademie in jenen Jahren<br />
eher konservativ geprägt ist, kommt Breker hier in<br />
Kontakt zu modernistischen Künstlern, angeregt<br />
vor allem durch einen Mann: Alfred Flechtheim, einem<br />
jüdischen Kaufmann, seit den frühen 1920er<br />
Jahren einer der wichtigsten Galeristen in Europa.<br />
Flechtheim gehört zu den Förderern der französischen<br />
Avantgarde (u.a. Braque, Gauguin, Picasso),<br />
der Künstler des Blauen Reiters (u.a. Kandinsky,<br />
Jawlenski, Klee) und vieler deutscher Modernisten<br />
(u.a. Ernst, Grosz, Beckmann).<br />
Brekers Karriere ist kaum in Fahrt gekommen,<br />
als Flechtheim ihn unter Vertrag nimmt. Da Breker<br />
eher klassisch arbeitet, scheint Flechtheims Engagement<br />
ungewöhnlich, aber offenbar hat er in<br />
dem jungen Mann aus dem Bergischen Land ein aussergewöhnliches<br />
Talent erkannt. Breker profitiert<br />
enorm von Flechtheims Netzwerk, lernt auf Vernissagen<br />
zentrale Figuren des europäischen Kunstbetriebs<br />
kennen. Ausserdem verschafft Flechtheim<br />
ihm 1925 einen ersten wichtigen Auftrag: Breker<br />
darf den damaligen deutschen Bundespräsidenten<br />
Friedrich Ebert mit einer Büste porträtieren.<br />
AUF IN DIE HAUPTSTADT DER KUNST<br />
Spätestens mit dem Siegeszug des Impressionismus<br />
war Paris zur Hauptstadt der Kunst geworden.<br />
Wenig erstaunlich, dass auch Breker den Wunsch<br />
verspürte, hier zu leben und zu arbeiten. Ein weiterer<br />
lukrativer Auftrag bescherte ihm 1926 die notwendigen<br />
finanziellen Mittel. In Paris angekommen,<br />
taucht Breker Hals über Kopf in das pralle<br />
Leben ein, besucht die Künstlertreffpunkte Café<br />
du Dôme, Closerie des Lilas oder La Coupole, lässt<br />
14 05/20
Bildhauereigeschichten<br />
sich von Kollegen inspirieren. Später wird er in<br />
seinen Memoiren über jene Zeit schreiben: «Paris<br />
unterschied sich gravierend von dem zurückgelassenen<br />
Düsseldorf, wo ich studiert hatte. Das<br />
Pariser Klima war ein völlig internationales. Man<br />
war tolerant gegenüber allen Nationen, Kunstschöpfungen<br />
und Meinungen. Man fühlte sich in<br />
vollkommener Freiheit, was für die Entwicklung<br />
der Kunst von essentieller Bedeutung ist.»<br />
Breker freundet sich mit dem Maler und Dichter<br />
Jean Cocteau sowie den Bildhauern Constantin<br />
Brâncuşi und Charles Despiau an und beginnt,<br />
seinen eigenen Stil weiterzuentwickeln. Obwohl er<br />
von den Modernisten stark beeindruckt ist, bleibt<br />
er in seinen Arbeiten meist figürlich und bei den<br />
klassisch-antikischen Formen. Ausserdem werden<br />
seine Skulpturen immer glatter. Später beschreibt<br />
er diesen Entwicklungsprozess: «In Paris war ich<br />
noch stark von Rodin beeinflusst. Aber ich habe<br />
dann in der Arbeit erfahren, dass die Plastiken von<br />
Rodin das Volumenhafte nicht hatten. Die Oberfläche<br />
war aufgelöst. Das hatte nicht die Wirkung von<br />
Licht und Schatten, auf die es mir ankam.»<br />
1928 macht er eine weitere folgenreiche Bekanntschaft:<br />
er trifft auf die Griechin Demetria<br />
Piet, von allen nur Mimina genannt, ein allseits<br />
bekanntes Modell der Pariser Kunstwelt. Die beiden<br />
werden ein Paar, Breker ist in jeder Hinsicht<br />
angekommen und geniesst das Leben. So lebt er<br />
mehr als vier Jahre in Paris. 1932 tritt er einen<br />
Stipendiumsaufenthalt in der Villa Massimo in<br />
Rom an. Mehrere deutsche Künstler halten sich<br />
hier gleichzeitig auf, man versteht sich blendend,<br />
bildet eine Arbeits- und Lebensgemeinschaft. Bis<br />
zum 30. Januar 1933. Es ist der Tag, an dem Adolf<br />
Hitler zum deutschen Reichskanzler ernannt wird.<br />
DIE WENDE<br />
Der Mensch ist ein rätselhaftes Tier. Er ist zu Freundschaft,<br />
Mitgefühl und Toleranz fähig. Und er ist<br />
imstande, sämtliche Werte, zu denen er steht, von<br />
einem Tag auf den anderen über Bord zu werfen.<br />
In der eben noch friedfertigen und gemäss Brekers<br />
Aussage nicht besonders politischen Römer<br />
Künstlergemeinschaft fangen die Gifteleien schon<br />
bald an. Zwischen den national gesinnten und den<br />
jüdischen Künstlern bauen sich Spannungen auf.<br />
Der jüdische Maler Felix Nussbaum fühlt sich von<br />
den anderen angefeindet, gemobbt, bespitzelt<br />
und zieht sich in sein Zimmer zurück. «Vielleicht<br />
ahnte Nussbaum, was auf ihn zukommen würde»,<br />
schreibt Breker später in seinen Memoiren. In der<br />
Villa Massimo aber schaut er nur zu, steht Nussbaum,<br />
mit dem er sich gut versteht, nicht zur Seite.<br />
Brekers Rom-Stipendium wird bald verlängert,<br />
Nussbaums nicht. Nussbaum reist nach Paris, lebt<br />
später jahrelang versteckt in Brüssel, malt Bilder,<br />
die von Grauen, Wahn und Todesangst erzählen.<br />
Im Juli 1944 werden er und seine Frau, die polnische<br />
Malerin Felka Platek, denunziert und mit<br />
einem der letzten Deportationszüge nach Auschwitz<br />
gebracht. Dort sterben sie kurz vor Kriegsende.<br />
Nichts ist in Brekers Memoiren davon zu lesen.<br />
Kein einziges Wort.<br />
Der Mensch ist ein rätselhaftes Tier. Im Mai 1933,<br />
während Brekers verlängerten Rom-Aufenthalts,<br />
besucht Joseph Goebbels die Stadt und schaut in<br />
die Ateliers der Villa Massimo rein. Wenig später<br />
reist Breker aus Rom ab. Nicht nach Paris, sondern<br />
nach München. In die Stadt, die Hitler eben zur<br />
«Hauptstadt der deutschen Kunst» gekürt hat. Dort<br />
sieht Breker zum ersten Mal eine marschierende<br />
SA-Kolonne. In seinen Memoiren schreibt er: «Die<br />
Wucht der in strenger Ordnung marschierenden<br />
Masse hatte etwas beängstigend Eindrucksvolles.<br />
Eine unheimliche, unsichtbare Macht schien sie zu<br />
führen. Eine neue Welt brach auf, deren Herkunft,<br />
Zielsetzung, Umfang mein Aufnahmevermögen<br />
überstieg.» Und so nimmt diese Geschichte ihren<br />
dämonischen Lauf. Spült den jungen Bildhauer in<br />
wenigen Jahren an die Seite Adolf Hitlers und macht<br />
ihn, neben dem Österreicher Josef Thorak, zu dessen<br />
wichtigstem Bildhauer. Als ob es den Förderer<br />
Flechtheim – der 1937 verarmt in London starb –<br />
und die Pariser Bekanntschaften nie gegeben hätte.<br />
DIE FRAGE NACH DEM «WAHREN ICH»<br />
Hatte man die Zeichen in Brekers Leben falsch<br />
gedeutet? Fand er mit dem Nationalsozialismus<br />
erst zu seinem «wahren Ich»? Oder war alles ein<br />
Missverständnis? Fragen über Fragen, auf die es<br />
bis heute keine klaren Antworten gibt. In seinen<br />
Memoiren behauptete Breker, dass Freunde ihn<br />
Die Skulptur «Aurora» (1926,<br />
Muschelkalk) auf dem Dach<br />
des Düsseldorfer Kunstpalasts.<br />
Breker schuf sie noch<br />
während seiner Studienzeit.<br />
Foto: Raimond Spekking,<br />
Wikimedia Commons<br />
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15
Bildhauereigeschichten<br />
Arno Breker und seine<br />
Skulptur «Bereitschaft»<br />
(1939), mit der er die ästhetischen<br />
Ideale der Nationalsozialisten<br />
aufs Perfekteste<br />
umgesetzt hat.<br />
Foto: Interfoto/History/<br />
Alamy Stock Foto<br />
damals zur Rückkehr nach Deutschland gedrängt<br />
hätten. Er allein sei derjenige, der für die Kunst<br />
in Deutschland retten könne, was noch zu retten<br />
sei, hätten sie ihm beschieden. Jürgen Trimborn,<br />
Autor einer kritischen Breker-Biografie, hält dies<br />
für ziemlich unwahrscheinlich, denn Breker sei<br />
damals in Deutschland noch relativ unbekannt<br />
gewesen. Trimborn zufolge trifft es viel eher zu,<br />
dass Breker im nationalsozialistischen Deutschland<br />
Karrierechancen witterte. Ob er auch ein<br />
überzeugter Verfechter der Rassen-Ideologie der<br />
Nationalsozialisten war, ist unklar. Vieles deutet<br />
darauf hin, dass er als klassischer Opportunist<br />
betrachtet werden kann.<br />
Breker ging 1933 also nach Deutschland, wo Hitler<br />
alles «undeutsche, marxistisch-anarchistische,<br />
jüdische und überhaupt artfremde» im Kulturbetrieb<br />
ausmerzte. Propagandaminister Goebbels<br />
half ihm dabei, wenn auch anfänglich eher zögerlich.<br />
Viele der Künstler, die Breker in Düsseldorf,<br />
Paris und Rom kennen und schätzen gelernt hatte,<br />
galten nun als «entartet»: Dix, Picasso, Gauguin,<br />
Klee, Grosz, um nur ein paar zu nennen. Ihre Werke<br />
wurden aus den Museen entfernt.<br />
Breker stösst nicht direkt in den Dunstkreis des<br />
nationalsozialistischem Machtzirkels vor, scheint<br />
aber jede Gelegenheit zu nutzen, um dorthin zu<br />
kommen. Als Erstes nimmt er einen auf den ersten<br />
Blick erstaunlichen Umweg: Er erneuert seine<br />
Bande zu Max Liebermann, dem Meister des<br />
deutschen Impressionismus, den er bereits in<br />
den Zwanzigerjahren kennengelernt hatte. Dies<br />
erstaunt deshalb, weil Liebermann Jude ist. Aber<br />
so lange dessen Netzwerk funktioniert, ist Breker<br />
offenbar auch dieser Kontakt recht. Auch andere<br />
einflussreiche Juden lernt er kennen. Jedoch,<br />
diese Netzwerke bröckeln bereits, und sobald<br />
Breker genug Bekanntheit erlangt hat, wendet er<br />
sich von seinen jüdischen Freunden ab. Als Liebermann<br />
1935 stirbt, taucht Breker, eben noch treuer<br />
Freund, nicht auf dessen Beerdigung auf.<br />
Andere, neu geknüpfte Kontakte beginnen schon<br />
bald Gewinn abzuwerfen: 1934 wird Breker Juror<br />
der «Grossen Berliner Kunstausstellung», einer<br />
reinen Nazi-Veranstaltung, 1936 gewinnt er einen<br />
Kunstwettbewerb im Zusammenhang mit den<br />
Olympischen Spielen, danach bekommt er immer<br />
grössere Aufträge. Ab 1937 sind keine Missverständnisse<br />
mehr möglich: Breker tritt der NSDAP bei und<br />
kappt alle Verbindungen zu früheren Bekannten.<br />
Für Goebbels schafft er die acht Meter hohe Plastik<br />
«Prometheus», eine bombastisch pathetische<br />
Figur mit arischem Idealkörper. Das Motiv kann<br />
kein Zufall sein – Hitler hatte den arischen Mann in<br />
«Mein Kampf» den «Prometheus der Menschheit»<br />
genannt. Mit diesem Werk ist Breker an seinem Ziel<br />
angekommen. Hitler, der sich gerne mit Künstlern<br />
umgibt, lädt ihn nun öfters zum Frühstück ein. 1938<br />
bekommt er von Selbigem persönlich den Auftrag,<br />
den Skulpturenschmuck für die geplante neue<br />
Hauptstadt Germania zu entwerfen. Ein Jahr später<br />
marschieren Hitlers Truppen in Polen ein.<br />
VOM MITLÄUFER ZU HITLERS LIEBLING<br />
Am Morgen des 23. Juni 1940, wenige Tage nach<br />
der Besetzung der Stadt durch die Deutschen, geschah<br />
in Paris etwas Unheimliches. Um fünf Uhr in<br />
der Früh landete Hitler auf einem nahen Flughafen<br />
und liess sich in einer kurzen Stippvisite von<br />
«seinen Künstlern» die französische Hauptstadt<br />
zeigen. Er sagte: «Paris hat mich immer fasziniert.<br />
Ein Besuch ist seit Jahren mein leidenschaftlicher<br />
Wunsch. Jetzt stehen die Tore für mich offen. Nie<br />
war bei mir eine andere Vorstellung vorhanden,<br />
als die Kunstmetropole mit meinen Künstlern zu<br />
16 05/20
Bildhauereigeschichten<br />
DIE GOTTBEGNADETEN<br />
Bereits vor dem Einmarsch in Polen stellte Goebbels für Hitler eine<br />
Liste von «unverzichtbaren Künstlern» zusammen, die vor dem Einzug<br />
in die Wehrmacht verschont werden sollten. 1944, nach Ausrufung des<br />
«totalen Kriegs», wurde diese Liste erneuert, Goebbels nannte sie nun<br />
die «Liste der Gottbegnadeten». Dazu gab es noch die Sonderliste der<br />
«Unersetzlichen», auf der neben Arno Breker auch die drei weiteren<br />
Staatsbildhauer Georg Kolbe, Josef Thorak und Fritz Klimsch figurierten.<br />
Weitere noch heute bekannte Personen auf der Liste waren der<br />
Komponist Richard Strauss, der Dirigent Wilhelm Furtwängler oder<br />
der Schriftsteller Gerhart Hauptmann. Dieser galt damals als eine Art<br />
deutscher Nationaldichter, wenn auch sein Verhältnis zu den Nationalsozialisten<br />
äusserst ambivalent war.<br />
besichtigen.» Die Vorstellung, Paris als normaler<br />
Tourist zu besuchen, war bei Hitler offenbar nicht<br />
vorhanden.<br />
Die genannten Künstler waren die beiden Architekten<br />
Albert Speer und Hermann Giesler sowie<br />
der Bildhauer Arno Breker. Letzterer hatte auf<br />
diesem «Ausflug» eine besondere Rolle, denn er<br />
kannte Paris wie seine Westentasche. Man bestaunte<br />
die Opéra Garnier, den Arc de Triomphe,<br />
die magistrale Champs-Elysées. Breker bestand<br />
darauf, seinem Führer auch den Boulevard du<br />
Montparnasse und dessen Künstlercafés zu zeigen.<br />
Welch masslose Verblendung, dem Diktator<br />
ausgerechnet diese Welt nahebringen zu wollen.<br />
Passanten, die dem Tross über den Weg liefen und<br />
Hitler erkannten, traten entsetzt die Flucht an. Um<br />
neun Uhr war der ganze Spuk vorbei.<br />
Fünf Jahre später war auch der Zweite Weltkrieg<br />
zu Ende. Europa lag in Trümmern, Millionen von<br />
Menschen hatten auf den Schlachtfeldern und<br />
durch Erschiessung oder Vergasung ihr Leben verloren,<br />
Hitler selbst hatte sich in einem Bunker unter<br />
Berlin das Leben genommen. Noch immer da war<br />
der talentierte Opportunist Arno Breker. Im Prozess<br />
der Entnazifizierung wurde er lediglich als Mitläufer<br />
eingestuft. Als solcher hatte er relativ wenig Konsequenzen<br />
aus seinem Handeln in den Kriegsjahren<br />
zu tragen. Doch wie hatte er dies geschafft?<br />
Arno Breker konnte im Spruchkammerverfahren<br />
nachweisen, dass er den während des Kriegs<br />
in Paris lebenden Pablo Picasso vor dem Zugriff<br />
der Gestapo bewahrt hatte. Dies reichte ihm, um<br />
nach dem Krieg «reingewaschen» zu werden. Nicht<br />
nur Picasso, auch viele Steinmetze und Giesser<br />
hatte Breker vor Haft oder Schlimmerem gerettet.<br />
Allerdings hatte ihm oft ein Anruf bei der richtigen<br />
Stelle genügt, und die Geretteten hatte er gleich<br />
in seine Ateliers geschleust, in denen er ohnehin<br />
Dutzende von Mitarbeitern brauchte. Was Breker<br />
im Verfahren als Aufopferung verkaufte, war also<br />
meist sehr eigennütziges Handeln. Und was Picasso<br />
angeht, merkt Biograf Trimborn an, dass dieser<br />
sich selbst in späteren Jahren nie über eine Rettung<br />
durch Breker geäussert habe. Andere wiederum<br />
bestätigten Brekers Intervention zugunsten<br />
des Spaniers. Kurz: Es lässt sich bis heute nicht mit<br />
Sicherheit sagen, ob Breker sich für Picasso eingesetzt<br />
hatte und wie gefährdet Picasso zu jenem<br />
Zeitpunkt war. Hinzu kommt: Brekers dringender<br />
Hilfe bedurft hätten noch viele mehr. So hatten<br />
sich die Witwen Betty Flechtheim und Martha Liebermann<br />
in den Kriegsjahren aus Angst vor dem<br />
Konzentrationslager das Leben genommen – ihr<br />
ehemaliger Freund schien es nicht für nötig gehalten<br />
zu haben, für sie zum Telefonhörer zu greifen.<br />
ALS OB NICHTS GEWESEN WÄRE<br />
Breker zog nach dem Krieg nach Düsseldorf, passte<br />
sich den neuen Verhältnissen an – und machte<br />
weiter, als ob nichts gewesen wäre. Öffentliche<br />
Aufträge bekam er kaum mehr, bei reichen Industriellen<br />
war es allerdings immer noch Mode, sich<br />
von Breker eine Büste anfertigen zu lassen. Zu<br />
ihnen gehörten unter anderem Hugo Henkel, der<br />
Erfinder des Waschmittels Persil, Rudolf-August<br />
Oetker, der Enkel von «Dr. Oetker» oder Gustav<br />
Schickedanz, Gründer des Versandhauses Quelle.<br />
Die meisten von ihnen waren wie Breker selbst<br />
Profiteure des Nazi-Regimes gewesen. Aber auch<br />
Konrad Adenauer und Ludwig Erhard liessen sich<br />
von ihm porträtieren.<br />
Arno Brekers Geschichte nach 1945 ist typisch<br />
für Deutschland in den ersten Jahren nach dem<br />
Krieg. Zahlreiche Stützen von Hitlers Herrschaft<br />
kamen nicht nur praktisch ungeschoren davon,<br />
sondern besetzten weiterhin wichtige Posten in<br />
Politik und Wirtschaft. Erst nach 1968 setzte eine<br />
kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit<br />
ein. Breker aber arbeitete bis zu seinem Tod<br />
1991 ungestört weiter. Wirkliche Reue zeigte er nie.<br />
Links: Arno Breker (rechts)<br />
mit Hitler und Generalbauinspektor<br />
Albert Speer<br />
(links) am 23. Juni 1940 in<br />
Paris.<br />
Foto: Photo12/Ann Ronan<br />
Picture Gallery/Alamy Stock<br />
Foto<br />
Literatur:<br />
Jürgen Trimborn, Arno Breker.<br />
Der Künstler und die<br />
Macht, Berlin 2011.<br />
05/20<br />
17
Objekte und Projekte<br />
DIE ALCHEMISTEN VON SUR EN<br />
KALKBRAND UND DIE NUTZUNG VON NATURKALK ZUM BINDEN VON PUTZEN, MÖRTELN UND FARBEN HAT EINE<br />
LANGE GESCHICHTE. DER NEU GEGRÜNDETE VEREIN «KALKWERK» SETZT SICH FÜR DEN ERHALT DIESER TRADI-<br />
TION IM KANTON GRAUBÜNDEN UND ANDERSWO EIN.<br />
Jens Steiner<br />
Der Kalkofen von Sur En bei<br />
Nacht. Eine Lehmdecke und<br />
Schamottziegel decken ihn<br />
nach oben ab.<br />
Fotos: Christoph Stahel<br />
Vor bald zehn Jahren führte der Unterengadiner<br />
Maurer und Sgraffito-Künstler Joannes Wetzel<br />
in einem restaurierten Ofen mit Unterstützung<br />
der Graubündner Denkmalpflege seinen ersten<br />
Kalkbrand durch. Seit damals ist einiges passiert.<br />
2014 folgte anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums des<br />
Schweizerischen Nationalparks im Val S-charl ein<br />
zweiter Brand, diesmal mit Unterstützung der<br />
Denkmalpflege und der Fundaziun Nairs. 2017 restaurierte<br />
Wetzel einen historischen Kalkofen in Sur<br />
En bei Sent und führte seinen dritten Kalkbrand<br />
durch. Mit jedem Brand verfeinerte er sein Wissen<br />
über die alte Technik und fand mehr Verbündete.<br />
Im Frühjahr <strong>2020</strong> gründete er gemeinsam mit<br />
der Architektin Delphine Schmid, Christof Rösch<br />
von der Fundaziun Nairs und Philipp Kuntze vom<br />
Kurszentrum Ballenberg den Verein «kalkwerk».<br />
Sogleich startete man ein Crowdfunding, um den<br />
vierten Engadiner Kalkbrand – ebenfalls in Sur<br />
En – zu finanzieren. Ausgerechnet zum Start der<br />
Sammelaktion trat das Coronavirus seine Wanderung<br />
durch die Welt an, doch man liess sich nicht<br />
beirren und sammelte trotz aller Erschwernisse<br />
rund 30'000 Franken für die Vereinskasse. Dies bedeutete<br />
den Startschuss für den Kalkbrand <strong>2020</strong>.<br />
KLUGE PLANUNG IST DIE HALBE MIETE<br />
Zusammen mit Helferinnen und Helfern sammelte<br />
man Anfang Juli im Val S-charl lose herumliegende<br />
Dolomitkalksteine (die auf der Südseite des Unterengadins<br />
liegende Sesvenna-Gruppe wird wegen<br />
des hier dominierenden Gesteins auch Engadiner<br />
Dolomiten genannt) unterschiedlicher Grösse ein.<br />
Dabei hatte man auf möglichst homogene Steine<br />
18 05/20
Objekte und Projekte<br />
zu achten: je weniger Einschlüsse und Adern, desto<br />
besser das Endergebnis. Rund 21 Tonnen brachte<br />
man schliesslich zum Ofen am Eingang zum Val<br />
d'Uina. Mehrere Engadiner Gemeinden spendeten<br />
insgesamt 60 Ster Brennholz, doch auch hier galt es,<br />
wählerisch zu sein. Infrage kam nur Fichte, Tanne<br />
und Lärche, das wusste der mittlerweile erfahrene<br />
Kalkbrenner Wetzel, und zwar in möglichst dünnen<br />
Scheiten, mindestens zwei Jahre gelagert. Ab dem<br />
20. Juli ging es ans Füllen des aus einem Gemisch<br />
von Granit, Gneis und Serpentinit gebauten Ofens.<br />
Hier macht der Könner den grössten Unterschied:<br />
Je besser ein Kalkofen gefüllt wird, desto grösser<br />
und qualitativ hochstehender der Ertrag.<br />
Erst wurde ein Lehrgerüst eingebaut, das Platz<br />
für den Feuerraum schafft. Die unterste Schicht<br />
bildeten die grössten Steine mit einem Durchmesser<br />
von 30-40 Zentimetern, darüber kamen etwas<br />
kleinere Steine, die eine eher längliche Form haben,<br />
damit später genug Hohlraum für die Luftzirkulation<br />
vorhanden war. Die oberste Schicht<br />
wurde aus etwa faustgrossen Steinen erstellt, die<br />
den Ofen nach oben hin dicht machten, damit<br />
während des Brands möglichst wenig Hitze verloren<br />
geht. 15 der gesammelten 21 Tonnen Steine<br />
fanden ihren Platz im Ofen. Am 1. August war der<br />
Ofen bereit für den Brand.<br />
EIN FAST MAGISCHER PROZESS<br />
Am 1. August <strong>2020</strong> wird also angefeuert in Sur En. 24<br />
Stunden nach dem Start, wenn sich ein Grossteil der<br />
Feuchtigkeit verflüchtigt hat, wird ein Deckel aus<br />
Lehm und Schamottsteinen installiert. Am vierten<br />
Tag haben die Steine eine Temperatur von rund<br />
1000 º C erreicht. Jetzt ist die Kalzination in vollem<br />
Gang. Besonders nachts ist der Anblick des mitten<br />
im Wald stehenden Ofens faszinierend: das Feuerungsloch<br />
glüht wie eine Sonne, oben aus den Entlüftungslöchern<br />
züngeln die Flammen. Wer dabei<br />
an die Alchemie aus vormodernen Zeiten denken<br />
Linke Spalte: Einsammeln<br />
der Steine (oben), Erstellen<br />
des Lehrgerüsts (Mitte)<br />
und der Lehmdeckel, der<br />
später mit Schamottsteinen<br />
ergänzt wird (unten).<br />
Rechte Spalte: Impressio nen<br />
des Kalkofens bei Nacht.<br />
05/20<br />
19
Objekte und Projekte<br />
DER KALKKREISLAUF<br />
1) Kalzination, die Zersetzung von Calcium carbonat (CaCO 3<br />
). Diese beginnt<br />
ab einer Temperatur von ca. 850 ºC. Die Hitze entsäuert die Steine:<br />
Der in ihnen enthaltene Sauerstoff entweicht und das Calciumcarbonat im<br />
Kalkstein wandelt sich um in Calciumoxid (CaO), oder umgangssprachlich:<br />
Branntkalk. Chemische Reaktionsgleichung: CaCO 3<br />
→ CO 2<br />
+ CaO.<br />
Dolomit (CaMg[CO 3<br />
] 2<br />
) enthält zusätzlich Magnesium, aber auch aus ihm<br />
kann hochwertiger Kalk gebrannt werden. Die Kalzination läuft hier in zwei<br />
Stufen ab: Bei tieferen Temperaturen wird Magnesiumcarbonat (MgCO 3<br />
)<br />
zersetzt, bei höheren dann Calciumcarbonat (CaCO 3<br />
).<br />
2) Löschen des Branntkalks. Dieser Prozess wird mittels Beifügung von<br />
Wasser in Gang gesetzt und ist exotherm, gibt also Hitze ab. Es entsteht<br />
Calciumhydroxid (Ca(OH) 2<br />
), umgangssprachlich: Sumpfkalk. Reaktionsgleichung:<br />
CaO + H 2<br />
O → Ca(OH) 2<br />
.<br />
Foto: Jens Steiner<br />
3) Abbinden des Sumpfkalks. In Reaktion mit Luftsauerstoff gibt der<br />
Kalk Wasser ab und es entsteht wieder Calciumcarbonat, das Ausgangsprodukt.<br />
Reaktionsgleichung: Ca[OH] 2<br />
+ CO 2<br />
→ CaCO 3<br />
+ H 2<br />
O.<br />
muss, liegt richtig – auch die Alchemisten waren mit<br />
der Umwandlung von Stoffen beschäftigt.<br />
Im Kalkofen läuft der Umwandlungsprozess<br />
grundsätzlich von selber ab, dennoch müssen die<br />
Kalkbrenner wachsam sein, das Feuer in Gang halten,<br />
immer wieder an verschiedenen Stellen die<br />
Temperatur messen und diese falls nötig regulieren<br />
(unter anderem durch Öffnen bzw. Schliessen<br />
der Schamottabdeckung). Nun zeigt sich, ob man<br />
die Steine gut ausgewählt und gut geschichtet hat.<br />
Steine mit vielen Adern zersplittern im Brand, das<br />
Gebilde fällt in sich zusammen, Luftlöcher schliessen<br />
sich. Die Folge: Die Temperatur ist ungleich<br />
verteilt, die Qualität des Ertrags leidet.<br />
So arbeiten die Kalkisten Tag und Nacht. Nach<br />
ungefähr einer Woche lassen sie das Feuer ausgehen<br />
und geben dem Ofen einige Tage, um abzukühlen.<br />
Der Deckel wird dabei fest verschlossen, damit<br />
keine Feuchtigkeit eindringen kann. Dann kommt<br />
der grosse Moment: der Ofen wird geöffnet. Kurz<br />
später können Wetzel und seine Leute aufatmen:<br />
Der Kalk ist von bester Qualität. In den nächsten<br />
Tagen werden sie gegen neun Tonnen Kalk aus<br />
dem Ofen heben. Der Kalkbrand <strong>2020</strong> erweist sich<br />
als voller Erfolg<br />
Das ohne jegliche Zusatzstoffe auskommende<br />
Naturprodukt kann als trockener Branntkalk in<br />
luftdichten Fässern über Jahre gelagert werden<br />
– oder man löscht ihn zu Sumpfkalk. Joannes<br />
Wetzel demonstriert vor Ort, was beim Löschen<br />
passiert. Er nimmt ein paar Schaufeln Branntkalk<br />
und rührt sie in einer Mörtelwanne mit Wasser<br />
zusammen. Dann hält er inne. Nach wenigen Minuten<br />
beginnt die Mischung zu kochen (der Umwandlungsprozess<br />
ist exotherm), es blubbert und<br />
dampft, auch die Wanne wird heiss, das Volumen<br />
der Masse wächst und wächst. Sumpfkalk ist, unter<br />
einer Wasserüberdeckung gelagert, über viele<br />
Jahre haltbar. Zu früheren Zeiten gab es in vielen<br />
Engadiner Häusern eine Kalkgrube, in der stets<br />
Sumpfkalk bereitstand, zum Neu-Verputzen der<br />
Mauern oder Vermörteln von Schadstellen.<br />
EIN NACHHALTIGES PRODUKT<br />
Neben dem erwähnten Mauer- und Verputzmörtel<br />
lassen sich aus Branntkalk auch die vor allem<br />
für feuchte Räume geeigneten Feinputze, wasserabweisende<br />
Kalkglätten, Bodenbeläge, Putze für<br />
Sgraffito und Freskomalereien oder Kalkka seinfarben<br />
herstellen. Bis weit ins 20. Jahrhundert<br />
hinein war Kalk die wichtigste Grundlage für Mörtel-,<br />
Putz- und Stuckmassen. Dann wurde er von<br />
industriell hergestellten Produkten abgelöst und<br />
geriet innerhalb wenige Jahrzehnte fast ganz in<br />
Vergessenheit. Diese Entwicklung umzukehren ist<br />
das Ziel des Vereins «kalkwerk».<br />
Holzgebrannter Kalk hat sowohl bauphysikalische<br />
(er ist diffusionsoffen) wie auch ökologische<br />
(er ist Bestandteil von ausgeglichenen CO 2<br />
-Kreisläufen)<br />
und gesundheitliche (er ist luftreinigend)<br />
Vorteile, die nach Ansicht des Vereins unbedingt<br />
stärker ins Bewusstsein treten sollten. Maurer, Malerinnen,<br />
Baumeister, Architektinnen und Denkmalpfleger<br />
davon zu überzeugen ist allerdings nicht<br />
immer so einfach. Dies hat nicht zuletzt mit einem<br />
Phänomen zu tun, das Ökonomen «Pfadabhängigkeit»<br />
nennen. Einmal etablierte Industrieprodukte<br />
sind schwer zu verdrängen, da die Abnehmer Angst<br />
vor finanziellen und zeitlichen Verlusten haben, die<br />
mit einem Wechsel zu einem neuen Produkt einhergehen<br />
könnten. Die Anbieter wissen das und<br />
verstärken die Bindung an ihre Produkte mit at-<br />
20 05/20
Objekte und Projekte<br />
traktiven Angeboten. Im Falle von Bindemitteln beispielsweise<br />
gebe die Industrie eine Garantie, führt<br />
Wetzel aus. Dies ermögliche den Baumeistern, Verantwortung<br />
abzutreten, was diese noch so gerne<br />
täten. Die Beschäftigung mit Naturkalk jedoch sei<br />
das Gegenteil von «Verantwortung abgeben», so<br />
Wetzel. Es gebe keine Standardrezepte, man müsse<br />
sich nach und nach an die richtige Handhabe herantasten,<br />
auch mal scheitern, um besser zu werden.<br />
Das alles brauche Zeit, die man sich in der renditeverliebten<br />
Bauwirtschaft selten nehme.<br />
WEITERE AUFBAUARBEIT<br />
Während des Kalkbrands <strong>2020</strong> haben die Mitglieder<br />
des Vereins «kalkwerk» diverse Workshops<br />
und Veranstaltungen zu Kalkverarbeitung, Sgraffito<br />
und Architektur angeboten. Diese waren zum<br />
Teil weit vor dem jeweiligen Anlass ausgebucht.<br />
In den zwei Kalkverarbeitungs-Workshops konnten<br />
die Teilnehmenden mit verschiedenen Putztechniken<br />
und Zuschlagsstoffen (so zum Beispiel<br />
Hanfspänen, Seife oder Quark) experimentieren.<br />
In den Sgraffito-Workshops liess Wetzel die Teilnehmenden<br />
von seiner reichen Erfahrung in dieser<br />
Technik profitieren und führte vor, wie sich Sgraffito<br />
mit Fresko-Technik kombinieren lässt. Führungen<br />
zu verschiedenen historischen Kalköfen im Val<br />
d'Uina, eine Nationalparkwanderung sowie Architekturführungen<br />
ergänzten das reiche Rahmenprogramm.<br />
Auch die Kantonale Denkmalpflege Graubünden<br />
lud zu einer Führung ein, bei der historische<br />
Kalkanwendungen besichtigt werden konnten. Die<br />
Begeisterung war so gross, dass man die ganze Zeit<br />
über auch immer genug Helfer für den Kalkbrand<br />
hatte. Dennoch sind sich die Initiatoren bewusst,<br />
dass es noch viel Überzeugungsarbeit braucht. Sie<br />
wollen auch in Zukunft im permanenten Dialog mit<br />
Fachleuten und Interessierten bleiben, betont Delphine<br />
Schmid. «Unser Ziel ist, alle zwei Jahre einen<br />
Kalkbrand auf die Beine zu stellen.» Und: 2021 soll<br />
es ein Kalksymposium im Kurszentrum Ballenberg<br />
geben. Darüber hinaus, erklärt Schmid, soll im<br />
Unterengadin mit seinen zahlreichen Kalköfen ein<br />
Kompetenzzentrum entstehen, an dem man sich<br />
nicht nur mit dem Kalkbrand, sondern allgemein<br />
mit nachhaltigem Bauen beschäftigt. Die Kalkisten<br />
wollen aber auch über den Tellerrand ihrer Region<br />
hinausschauen und internationale Kooperationen<br />
anbahnen oder sich zusammen mit Verbündeten<br />
um historische Kalköfen in anderen Schweizer Regionen<br />
kümmern.<br />
DAS BUCH ZUM THEMA<br />
«Chalchera. Kalk in Transformation» ist ein Handwerks-<br />
und Kunstbuch mit Beiträgen von Handwerkern,<br />
Denkerinnen und Künstlern. Christof Rösch,<br />
künstlerischer Leiter des Künstlerhauses Fundazin<br />
Nairs in Tarasp, berichtet von Joannes Wetzels Entdeckung<br />
der «Chalchera» in Sur En und dem ersten<br />
Kalkbrand im Jahr 2017. Der Berner Maler und Restaurator<br />
Ueli Fritz und die Kunsthistorikerin Anne<br />
Krauter Kellein erzählen von Erscheinungsweisen<br />
und Vorkommen des Kalks, von dessen Verwendungen<br />
in Vergangenheit und Gegenwart, von Kalktechniken,<br />
die neu entdeckt und gepflegt werden.<br />
Der Kalkspezialist Carlo Vagnières sinniert über das<br />
Verhältnis von Mensch und Natur im traditionellen<br />
Handwerk. Raimund Rodewald, Geschäftsleiter von<br />
Landschaftsschutz Schweiz, philosophiert über<br />
die Natur- und Kulturlandschaft, der Architekt und<br />
Denkmalpflege-Spezialist Nott Caviezel berichtet<br />
von alten Bündner Kalköfen und Flurnamen wie<br />
Chalchera, Chilchera, Caltgera oder Caltgadira, die<br />
von früheren Kalkbränden zeugen.<br />
Ein vielfältiges Buch, das vom Wert des experimentierenden<br />
Handwerks, von der «evolutionären<br />
Vertrautheit» unseres Körpers mit Kalk, von der<br />
Beziehung des Menschen zur Natur und von der<br />
Nachhaltigkeit im Baugewerbe handelt. Begleitet<br />
werden die Texte von vier Bildserien der Künstlerin<br />
Myriam Gallo, die verschiedene Zustände von Kalk<br />
zeigen.<br />
Foto: Jens Steiner<br />
«Chalchera. Kalk in Transformation»<br />
Herausgegeben von der<br />
Fundaziun Nairs<br />
Verlag Scheidegger &<br />
Spiess, <strong>2020</strong><br />
DAS «KALKWERK» UND SEIN<br />
PRODUKT<br />
Wer die Projekte der Engadiner<br />
Kalkisten unterstützen und/oder<br />
dem Verein «kalkwerk» beitreten<br />
möchte, melde sich bei Joannes<br />
Wetzel und Delphine Schmid: Tel.<br />
079 102 02 33, E-Mail: info@kalkwerk.ch.<br />
Die Website kalkwerk.ch berichtet<br />
über vergangene und zukünftige<br />
Projekte.<br />
Das Naturprodukt aus Sur En<br />
kommt in der näheren Umgebung,<br />
aber auch ausserhalb des Engadins<br />
zur Anwendung. Wer das Produkt<br />
nutzen möchte, kann es über<br />
dieselben Kontakte bestellen.<br />
05/20<br />
21
Ein bunter Haufen<br />
Makroaufnahmen von<br />
an geschliffenen Grindelwald-Rosenlaui-Marmoren.<br />
Die Bildbreiten betragen<br />
6-10 cm.<br />
Fotos: Jürg Meyer<br />
VERSTEINERTER<br />
SCHWARTENMAGEN<br />
DIE MARMORE VON GRINDELWALD UND ROSENLAUI WAREN EIN LIEBLINGSGESTEIN FÜR<br />
SCHWEIZER BAROCKBAUTEN. IHRE ENTSTEHUNG IST HÖCHST KOMPLIZIERT UND SPAN-<br />
NEND. DER AUFTAKT ZU EINER NEUEN SERIE ÜBER NUTZGESTEINE IN DER SCHWEIZ.<br />
Jürg Meyer<br />
In der Barockzeit waren bunte und vielfältig<br />
strukturierte Gesteine beliebt. Kein Wunder,<br />
standen chaotische, vielfarbige sedimentäre<br />
Brekzien mit unterschiedlichen Komponenten,<br />
möglichst noch durchsetzt von Adern, hoch im<br />
Kurs. Ganz grosse Renner in Europa waren die<br />
«Macchia Vecchia» und der «Brocatello» aus dem<br />
Südtessin und der Lombardei, die in einer späteren<br />
Folge vorgestellt werden. In dieser ersten<br />
Folge wird ein höchst spezielles und historisch<br />
interessantes Gestein aus dieser Klasse der Brekzien<br />
präsentiert: die Marmore von Grindelwald<br />
bzw. Rosenlaui im Berner Oberland (in der Folge<br />
G-R-M genannt). Beide sind sich sehr ähnlich<br />
und stammen aus der gleichen geologischen<br />
Zone; die unterschiedlichen Namen stehen für<br />
die Fundorte westlich (Grindelwald) und östlich<br />
(Rosenlaui) der Grossen Scheidegg.<br />
22 05/20
Ein bunter Haufen<br />
3)<br />
1)<br />
2)<br />
EIN BUNTER HAUFEN<br />
Die Geologie der Schweiz, insbesondere der<br />
Alpen, ist furchtbar kompliziert, die Vielfalt<br />
an Gesteinen fast unendlich. Dies spiegelt<br />
sich auch in der Vielfalt von nutzbaren Gesteinen<br />
wider. Wie im Falle der Erzvorkommen<br />
gilt auch für diese: Die Schweiz ist reich<br />
an armen Vorkommen. Die Alpenbildung<br />
hat viele an sich attraktive Gesteinslager<br />
auseinandergerissen und zudem in schwer<br />
zugängliche Höhen gehoben. Mit der Serie<br />
«Ein bunter Haufen» erzählt der Geologe und<br />
Bergführer Jürg Meyer Geschichten rund um<br />
einige nutzbare Gesteine der Schweiz. Jürg<br />
Meyer ist Autor der Bücher «Gesteine der<br />
Schweiz» und «Gesteine einfach bestimmen»<br />
und zahlreicher weiterer Buch- und<br />
Zeitschriftentexte sowie Ausbildner und Vortragsredner.<br />
www.rundumberge.ch<br />
1) Universität Bern, Eingangshalle<br />
Hauptgebäude:<br />
Säule aus Grindelwaldner<br />
Marmor. Der «wilde»<br />
Marmor kontrastiert mit<br />
den ruhi gen Tönen des<br />
zentralen Aaregranits und<br />
des Berner Sandsteins.<br />
2) Bundeshaus, Wandelhalle:<br />
Türsturz und -rahmen<br />
bestehen aus Grindelwaldner<br />
Marmor, der helle Kamin<br />
aus «Marbre de Saillon».<br />
3) Die Wetterhorngruppe<br />
ob Grindelwald, aufgebaut<br />
im Wesentlichen aus steil<br />
gestelltem Quintner- und<br />
Öhrlikalkstein. Am Fuss der<br />
Felswände zieht die Zone<br />
mit den Marmoren durch.<br />
VON DER KANTONALBANK BIS ZUM<br />
BUNDESHAUS<br />
Man schaue sich das Eingangstableau mit den<br />
sechs Varianten dieser Marmore an – dies ist nur<br />
eine Auswahl aus einer noch grösseren Bandbreite<br />
von Erscheinungsformen. Von dieser wilden Buntvielfalt<br />
wird einem fast schwindlig. Mir persönlich<br />
kommt dabei stets die Vorstellung von Schwartenmagen-Wurst<br />
in den Sinn… Die Marmore von Grindelwald<br />
zeigen eher pastellartige Töne von grau,<br />
weiss, grünlich, rötlich bis gelblich; diejenigen von<br />
Rosenlaui sind meist intensiver gefärbt, es herrschen<br />
Rot-Braun-Töne vor.<br />
Die Marmore wurden im 18./19. Jahrhundert<br />
in erster Linie in Bern in den Möbelwerkstätten<br />
von Matthäus Funk zu Abdeckungsplatten für die<br />
weitherum beliebten Kommoden verarbeitet,<br />
aber auch zu Kaminfassungen; grössere Stücke<br />
auch zu Säulen, die etwa im Hauptgebäude der<br />
Universität Bern zu bewundern sind (Abb. 1). Ein<br />
Höhepunkt in der Verwendung der Gesteine war<br />
der Bau des Parlamentsgebäudes in Bern (1894-<br />
1902), wo bewusst die ganze Vielfalt der damaligen<br />
Schweizer Nutzgesteine eingesetzt wurde – insgesamt<br />
30 Gesteinsarten aus 13 Kantonen. Darunter<br />
eben auch die G-R-M, die man für einen Teil der<br />
Säulen in der Wandelhalle verwendete (Abb. 2).<br />
METAMORPHISIERTE KARSTBREKZIEN<br />
In grossem Stil durchsetzen konnten sich die<br />
G-R-M nicht, und das liegt an ihrer geologischen<br />
Entstehung, welche räumlich sehr begrenzte,<br />
kleine Vorkommen schuf, die sich dem Fuss der<br />
Nordwände von Wetterhorn bis Wellhorn entlang-<br />
05/20<br />
23
Ein bunter Haufen<br />
4) Rezente Karstbrekzie in<br />
den Kalksteinen von Finale<br />
Ligure (I), Aufschluss bei<br />
Varigotti an der Küstenstrasse<br />
östlich von Finale.<br />
5) Ausschnitt aus einer sehr<br />
grobblockigen Karstbrekzie<br />
am Breitlaui-Aufschluss<br />
(Bildbreite ca. 1 m).<br />
4)<br />
5)<br />
ziehen (Abb. 3). Brekzien können in verschiedenen<br />
geologischen Situationen entstehen – etwa an<br />
submarinen Bruchzonen, in tektonischen Störungen,<br />
durch Vulkanausbrüche, oder durch Karstbildung<br />
in Kalksteinen – Letzteres die Erklärung für<br />
die G-R-M. In der oberen Jura- / unteren Kreidezeit<br />
(vor rund 150-110 Mio. J.) lag das zukünftige Gebiet<br />
von Grindelwald in einem tropischen Meer; darin<br />
wurden die mächtigen Kalksteinschichten des<br />
Quintnerkalks, des Öhrlikalks und dann des helvetischen<br />
Kieselkalks abgelagert. Im Verlauf der<br />
späteren Kreidezeit wurde das Gebiet über Meeresniveau<br />
angehoben, Vorbote der sich abzeichnenden<br />
Alpenbildung. Damit begann auch sofort<br />
die Abtragung der über Meeresnivau angehobenen<br />
Schichten. In der älteren Tertiärzeit erreichte<br />
diese die oben erwähnten Kalksteinschichten.<br />
Kalke verwittern infolge Lösung durch Regenwasser,<br />
und es bilden sich Karstlandschaften. Man<br />
muss sich das in etwa so vorstellen wie die heute<br />
berühmten Karstlandschaften um das südostchinesische<br />
Guilin herum oder in Thailand. Die Karstverwitterung<br />
schuf tiefe Spalten und Löcher, in<br />
welche gebrochene Stücke der Kalksteine fielen,<br />
gemischt mit Eisen-Aluminium-reichen Tonen und<br />
Quarzkörnern, welche nach der Kalkauflösung<br />
übrigblieben. Es entstanden so genannte Karstbrekzien,<br />
wie man sie in heutigen Karstgebieten<br />
findet (Abb. 4). Die Karstspalten im Quintner- und<br />
Öhrlikalk wurden dann vor rund 15 Mio. Jahren in<br />
die Alpenbildung einbezogen; dabei wurden sie<br />
zuerst in der Kollisionszone bis in Tiefen von rund<br />
15 km gezogen und bei Temperaturen gegen 300°C<br />
metamorph überprägt und verformt, bevor sie anschliessend<br />
langsam zur heutigen Lage angehoben<br />
wurden. Durch Redoxvorgänge ergaben sich<br />
dabei noch zusätzliche Farbvarianten. Wegen des<br />
erhöhten Eisengehalts wurde die Formation auch<br />
als «Siderolithikum» bezeichnet (von griechisch<br />
sideros = Eisen). Analoge Bildungen mit eisenreichen<br />
Kügelchen wurden im Jura als «Bohnerz» für<br />
die Eisengewinnung abgebaut.<br />
So finden sich in den G-R-M heute Bruchstücke<br />
von weissen, grauen bis bräunlichen marmorisierten<br />
Quintner-, Öhrli- und Kieselkalken in einer feinkörnigen,<br />
teilweise tonig-schiefrigen Matrix. Die<br />
Komponenten können noch ihre ursprüngliche<br />
Eckigkeit aufweisen oder infolge der plastischen<br />
Deformation geplättet vorliegen. Dazu kommen<br />
verschiedene Generationen von weissen Calcitadern.<br />
ABBAU AB DEM 18. JAHRHUNDERT<br />
Die Hauptvorkommen der G-R-M beschränken sich<br />
auf eine schmale Grenzzone zwischen den steil<br />
gestellten Oberseiten der Öhrli- bzw. Quintnerkalke,<br />
die am Nordrand dem kristallinen Aarmassiv<br />
aufliegen, und den darüber geschobenen Decken<br />
bzw. jüngeren Schichten (Abb. 3). Diese Zone reicht<br />
vom Eiger im Westen über Wetterhorn-Engelhörner,<br />
dann via Wendenstöcke bis zum Titlis. Die einzigen<br />
Vorkommen, die nachweislich für Dekorationssteine<br />
abgebaut wurden, finden sich jedoch ob<br />
24 05/20
Alles für den Stein<br />
Hartmetallwerkzeuge<br />
Stahlwerkzeuge<br />
Grindelwald und Rosenlaui. Das bekannteste Vorkommen<br />
von Grindelwald befindet sich am Ausgang<br />
der unteren Gletscherschlucht direkt beim<br />
Restaurant Marmorbruch. Die Abbauspuren sind<br />
heute noch gut zu erkennen, etwas unterhalb des<br />
Bruchs wurde sogar ein kleiner Stollen angelegt.<br />
Ein erster Abbau begann 1730 und musste 1762,<br />
als der letzte Gletschervorstoss der «Kleinen Eiszeit»<br />
die Abbaustelle überfuhr, beendet werden.<br />
Als sich der Gletscher nach etwa hundert Jahren<br />
wieder zurückzog, wurde der in Vergessenheit geratene<br />
Abbau 1867 wieder aufgenommen; 1896<br />
wurde ein weiterer kleiner Abbaustollen angelegt.<br />
1903 wurde der Abbau wegen Erschöpfung des<br />
Vorkommens eingestellt.<br />
Auf der Rosenlaui-Seite wurde das Gestein in<br />
Sturzblöcken von der Wetterhorn-Wellhorn-Seite<br />
her abgebaut, und noch heute können in diesem<br />
Gebiet schöne Stücke gefunden werden. Alfred<br />
Kandlbauer, ein älterer Herr aus Grindelwald, sammelt<br />
dort seit Jahren und stellt schöne geschliffene<br />
Platten her, die unter anderem im Restaurant<br />
Marmorbruch erworben werden können. Von ihm<br />
stammen auch die meisten Stücke des eingangs<br />
gezeigten Farbtableaus. Yolanda Bernhauser, eine<br />
Spezialistin für Schweizer Schmucksteine, stellt<br />
schöne Schmuck- und Dekostücke aus den Marmoren<br />
her (www.creationyolanda.ch).<br />
Presslufthammer<br />
Diamantschleifteller<br />
Diamantschleifstifte<br />
Diamanttrennscheiben<br />
Klebstoffe/Polyester/ Epoxy, Imprägnierungsmittel,<br />
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WANDERTIPP<br />
Mit dem Ortsbus von Grindelwald zur Gletscherschlucht<br />
(eindrückliche subglaziale<br />
Schlucht, Eintritt; ca. 1 Stunde einrechnen).<br />
Von dort durch den Wald hoch, über die Gletscherschluchtbrücke<br />
zum Restaurant Marmorbruch<br />
(beste Linzertorte); daselbst alte<br />
Abbaustelle mit Infotafel. Weiter hoch zur<br />
Pfingstegg und von dort dem Hangweg nach<br />
zum Chalet Milchbach (Restaurant). Unterwegs<br />
am Ostausgang des Breitaui-Tunnels<br />
50 m nach SW zu schönen Aufschlüssen von<br />
G-R-M als Karstspaltenfüllungen im Öhrli-/<br />
Kieselkalk (Abb. 5). Vom Chalet Milchbach<br />
zum Hotel Wetterhorn, Postauto-Haltestelle.<br />
Man kann auch weiter auf die Grosse<br />
Scheidegg und weiter bis Schwandboden<br />
fahren, von dort aus in den Geröllfeldern<br />
unter dem Wellhorn nach Rosenlauimarmor<br />
suchen.<br />
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05/20<br />
25
Marketing<br />
ERFOLGREICH MIT NEUER<br />
ONLINE-STRATEGIE<br />
DIE 1984 GEGRÜNDETE MARKETINGORGANISATION PRO NATURSTEIN HAT IM VERGAN-<br />
GENEN GESCHÄFTSJAHR IHRE DIGITALE PRÄSENZ STARK AUSGEBAUT. GESCHÄFTS-<br />
FÜHRERIN MELANIE SANER ZIEHT IM GESPRÄCH MIT «KUNST UND STEIN» EINE ERSTE<br />
ZWISCHENBILANZ.<br />
Interview: Robert Stadler<br />
«Kunst und Stein»: Pro Naturstein setzt seit<br />
2019 hauptsächlich auf digitales Marketing.<br />
Bewährt sich dieser Kurswechsel?<br />
Melanie Saner: Ja, wir sind damit sehr zufrieden.<br />
Unsere neue Website pronaturstein.ch<br />
wird inzwischen täglich von bis zu 300 Interessenten<br />
besucht. Besonders gefragt ist der<br />
«Steinfinder», mit dem sich Informationen zu<br />
mehr als 160 marktgängigen Natursteinen<br />
schnell und bequem abrufen lassen. Das Tool<br />
ist bei Architekten und Planern inzwischen<br />
sehr beliebt, insbesondere seitdem wir unsere<br />
Naturstein-Musterbilder mit Anwendungsfotos<br />
verlinkt haben. Auch unsere Blogs mit<br />
allgemeinen Beiträgen über Naturstein sowie<br />
unser Newsletter zu verschiedensten Steinthemen<br />
werden gerne und ausgiebig gelesen.<br />
Die Klick- und Öffnungsraten belegen dies. Die<br />
Website wird ständig aktualisiert, ausgebaut<br />
und verbessert. Sie ist jetzt beispielsweise<br />
auch optimiert für die Spracherkennungen von<br />
Siri und Alexa.<br />
Foto: Robert Stadler<br />
Wer besucht Ihre Website?<br />
Nebst unserer Hauptzielgruppe Architekten<br />
und Planer interessieren sich dafür auch viele<br />
Bauwillige und ebenso Personen, die das<br />
Material Naturstein ganz einfach toll finden<br />
und deshalb mehr darüber erfahren möchten.<br />
Parallel dazu sind wir auf Social Media-Plattformen<br />
wie Facebook und Instagram präsent;<br />
auch platzieren wir Google-Anzeigen. Trotz unserer<br />
Neuausrichtung sind wir aber keineswegs<br />
ausschliesslich online unterwegs. So haben wir<br />
unter dem Titel «Die Natursteinprofis» kürzlich<br />
eine Image-Broschüre mit Kurzporträts<br />
unserer elf Vollmitglieder-Unternehmen mit<br />
diversen Naturstein-Anwendungsbeispielen<br />
publiziert. Diese haben wir an vierzig Architektur-<br />
und archi tekturverwandte Hochschulen<br />
verschickt, ferner in einer Auflage von<br />
8500 Exem plaren als Beilage zur Architekturzeitschrift<br />
«Modulor». In den nächsten Jahren<br />
planen wir weitere solche Publikationen.<br />
Pro Naturstein entstand 1984 im Hinblick auf<br />
die damalige erste Teilnahme an der Swissbau<br />
in Basel. Seither war die Präsenz auf der<br />
grössten Baufachmesse der Schweiz stets ein<br />
Highlight Ihrer Tätigkeit. Nun verzichten Sie<br />
künftig auf dieses Marketinginstrument. Befürchten<br />
Sie nicht, damit in der Baubranche<br />
allmählich in Vergessenheit zu geraten?<br />
Nein, keineswegs. Einerseits sind traditionell<br />
ausgerichtete Fachmessen wie die Swissbau<br />
heute längst nicht mehr so beliebt wie einst<br />
26 05/20
Marketing<br />
und haben aufgrund der digitalen Konkurrenz<br />
schon seit Längerem gegen rückläufige<br />
Aussteller- und Besucherzahlen zu kämpfen<br />
– eine Entwicklung, die sich im Zuge der Covid-19-Krise<br />
noch beschleunigen könnte. Die<br />
mittel- und längerfristige Zukunft mancher<br />
Fachmesse scheint heute zumindest ungewiss.<br />
Für uns standen Aufwand und Ertrag<br />
der Swissbau-Messepräsenz am Schluss<br />
nicht mehr im Gleichgewicht. Der Zeitbedarf<br />
und die Kosten waren für eine relativ kleine<br />
Organisation wie die unsrige immens. Online<br />
lässt sich mit dem gleichen Budget sehr<br />
viel mehr erreichen. Zudem sind wir jetzt<br />
dort präsent, wo unsere Hauptzielgruppe<br />
tagtäglich zu finden ist – nämlich am PC.<br />
Trotzdem verzichten wir aber nicht grundsätzlich<br />
auf Messeteilnahmen. Diesbezüglich<br />
kooperieren wir mit unserem Trägerverband<br />
Jardin Suisse, dem Unternehmerverband der<br />
Schweizer Gartenbaubranche. So wollten wir<br />
im März <strong>2020</strong> in Zusammenarbeit mit Jardin<br />
Suisse erneut an der beliebten Garten- und<br />
Lifestyle-Messe «Giardina» in Zürich teilnehmen.<br />
Diese fiel infolge von Corona dann aber<br />
leider ins Wasser.<br />
Die Mitgliederstruktur von Pro Naturstein<br />
ist ungewöhnlich. Es gibt sogenannte Vollmitglieder<br />
mit Stimmrecht und assoziierte<br />
Mitglieder ohne Stimmrecht. Hat sich diese<br />
Struktur bewährt?<br />
Unsere gegenwärtig elf Vollmitglieder zählen<br />
alle mit zu den grössten und namhaftesten<br />
Natursteinunternehmen unseres Landes;<br />
sie tragen über ihre Mitgliederbeträge einen<br />
Grossteil zu unserem Budget bei. Die gegenwärtig<br />
16 assoziierten Mitglieder unterstützen<br />
uns dabei ideell und mit einem kleineren<br />
finanziellen Beitrag. Nach aussen war dieser<br />
Unterschied bisher kaum sichtbar, so profitierten<br />
von unserer Werbung letztlich alle fast<br />
gleichviel. Wir haben uns nun entschieden,<br />
die Beitragsstruktur anzupassen und den<br />
Grundbeitrag für beide Kategorien zu vereinheitlichen.<br />
Zusätzlich leisten die Vollmitglieder<br />
aber weiterhin einen von der Höhe des<br />
Umsatzes abhängigen Beitrag. Dafür werden<br />
sie in unserer Werbung stärker ins Zentrum<br />
gerückt. Auf unserer Website ist dies bereits<br />
deutlich erkennbar.<br />
JÜRG DEPIERRAZ ALS PRÄSIDENT BESTÄTIGT<br />
Die diesjährige Generalversammlung von Pro Naturstein am 28. August<br />
in Alpnach Dorf OW hat sämtliche statutarischen Geschäfte diskussionslos<br />
genehmigt. Jürg Depierraz, Bern, wurde als Präsident für eine<br />
weitere Amtszeit von drei Jahren bestätigt.<br />
Die Jahresrechnung 2019/<strong>2020</strong> schliesst bei einem Gesamtaufwand<br />
von 295'930 Franken und Einnahmen von 296'352 Franken praktisch<br />
ausgeglichen ab. Das Eigenkapital am Ende des Geschäftsjahres betrug<br />
40'480 Franken.<br />
Als neues Vollmitglied konnte die Müller Natursteinwerk AG, Neuhaus<br />
SG, gewonnen werden. (sta)<br />
Bleibt der Unterschied beim Stimmrecht?<br />
Ja, dieses bleibt wie bisher ausschliesslich<br />
bei den Vollmitgliedern, was in der Praxis<br />
aber nicht so relevant ist. Bei ProNaturstein<br />
werden gute Ideen gehört – egal wer sie<br />
vorbringt. Das gilt natürlich auch für unsere<br />
Trägerverbände, den Naturstein-Verband<br />
Schweiz NVS, JardinSuisse und den Verband<br />
Schweizer Bildhauer- und Steinmetzmeister<br />
VSBS. Mit diesen Organisationen pflegen wir<br />
seit vielen Jahren intensive und fruchtbare<br />
Beziehungen.<br />
Wie steht Pro Naturstein finanziell da?<br />
Wir stehen auf gesunden Beinen und haben in<br />
den letzten Jahren nie ein Minus erwirtschaftet<br />
– im Gegenteil konnten wir Reserven und<br />
Rückstellungen bilden. Dieses Jahr gehen wir<br />
in die Offensive und werden Rückstellungen<br />
auflösen. Wir können uns in dieser schwierigen<br />
Zeit also antizyklisch verhalten. Dem Pro<br />
Naturstein-Vorstand und selbstverständlich<br />
auch mir ist dabei klar, dass wir nie mehr Geld<br />
ausgeben als wir haben.<br />
Wie wirkt sich die Corona-Krise auf Ihre Tätigkeit<br />
aus?<br />
Wie bereits erwähnt, mussten wir unsere<br />
Vorbereitungen auf unsere geplante Giardina-Teilnahme<br />
absagen. Ansonsten aber halten<br />
sich die kurzfristigen Auswirkungen auf<br />
unsere Organisation und die Geschäftsstelle<br />
bisher in Grenzen. Die Arbeit ging und geht fast<br />
normal weiter. Natürlich hoffen wir, dass die<br />
Baubranche 2021 keinen allzu grossen Knick<br />
erleidet – denn mittelfristig würde das auch<br />
für uns geringere Einnahmen bedeuten.<br />
05/20<br />
27
Varia / Branchen-Info<br />
WER – WO – WAS<br />
«MACHS NA»-<br />
SKULPTURENWETTBEWERB<br />
Im Rahmen von «Meilenstein», dem<br />
700-Jahre-Jubiläum der Berner Zunftgesellschaft<br />
zum Affen, führt diese gemeinsam<br />
mit dem Verband Schweizer Bildhauer-<br />
und Steinmetzmeister VSBS und der<br />
Schule für Gestaltung Bern und Biel einen<br />
Skulpturen-Wettbewerb durch. Steinbildhauer/innen<br />
und Steinmetz/innen<br />
mit Wohnsitz Schweiz oder Liechtenstein<br />
sind eingeladen, bis zum 16. November<br />
<strong>2020</strong> ein Werk einzugeben. 20 ausgewählte<br />
Werke werden im Sommer 2021 am<br />
Standort Bern der Schule für Gestaltung<br />
Bern und Biel ausgestellt.<br />
Die Ausstellung «machs na» will ein breites<br />
Publikum sowie Fachleute und Medien<br />
ansprechen. Sie wirft einen Blick auf die<br />
vielfältigen Aspekte der gestalterischen<br />
Steinberufe und informiert über die innovative<br />
Szene in der Schweiz. Anhand der<br />
ausgewählten Werke wird der professionelle<br />
Umgang mit dem anspruchsvollen<br />
Material Stein aufgezeigt.<br />
Die Aufforderung «machs na» wurde vermutlich<br />
vom Werkmeister und Bildhauer<br />
Erhart Küng im 15. Jahrhundert am Berner<br />
Münster angebracht und steht für das<br />
Berufsverständnis im Spätmittelalter. Die<br />
Devise hat an Aktualität nichts verloren<br />
und gilt als Aufforderung, das gestalterische<br />
Steinhandwerk immer wieder neu<br />
zu interpretieren und damit in die Zukunft<br />
zu tragen.<br />
Alle Informationen zum Wettbewerb<br />
(Teilnahmebedingungen, Gebühren, Termine<br />
etc.) finden sich auf der Website des<br />
VSBS: www.vsbs.ch.<br />
Auskünfte erteilt die Präsidentin des<br />
VSBS Regionalverbands Aare: Lilian H.<br />
Zürcher, zuercher.stein@bluewin.ch, Tel.<br />
034 497 23 21.<br />
Die Anmeldung ist zu richten an: VSBS<br />
Regionalverband Aare, Franziska M. Beck,<br />
Industriestrasse 11b, 2553 Safnern, info@<br />
ff-bildhaueratelier.ch, Tel. 076 386 44 06.<br />
(zVg/red)<br />
KUSTER<br />
J. & A. Kuster Steinbrüche AG Bäch<br />
8807 Freienbach, Telefon 044 787 70 70, Fax 044 787 70 71<br />
Steinbruch Guntliweid, Nuolen, Telefon 055 440 24 13<br />
Steinbruch Lehholz, Bollingen, Telefon 055 212 62 70<br />
www.kuster.biz, E-Mail info@kuster.biz<br />
28 05/20
Varia / Branchen-Info<br />
ERIZ-KURS <strong>2020</strong><br />
Vom 26.-28. November findet im Eriztal<br />
der traditionelle Weiterbildungskurs<br />
des VSBS-Regionalverbands Aare statt.<br />
Thema ist «Figur abstrahieren», geleitet<br />
wird der Kurs von Lucia Strub, Bildhauerin<br />
in Biel. «In diesem Jahr wollen wir<br />
die Bandbreite zwischen dem Abbild der<br />
Natur und dessen vollständiger Abstraktion<br />
ergründen. Beginnend mit Studien<br />
nach dem lebenden Modell begeben wir<br />
uns auf die Suche nach einer uns eigenen<br />
abstrahierenden Formensprache», führt<br />
Lucia Strub aus.<br />
Informationen zum Kursinhalt bei Lucia<br />
Strub: lu.strub@gmx.ch.<br />
Anmeldung bei Sabine Burla: dasa.burla@<br />
bluewin.ch<br />
PROJEKT «ÜBERFÄLLE»<br />
Die gelernte Steinbildhauerin Mélanie<br />
Savelkouls aus Zürich und der gelernte<br />
Steinbildhauer Reto Steiner aus Frutigen<br />
machen sich in den nächsten Wochen<br />
unter dem Titel ÜBERFÄLLE an ein ganz<br />
besonderes Vorhaben: Vom Zufallsprinzip<br />
geleitet, machen sie sich auf, um hier<br />
und dort an Ateliertüren zu klopfen sowie<br />
Baustellen und Steinbrüche zu besuchen.<br />
So wollen sie Bildhauer/innen und<br />
Reto Steiner und Mélanie Savelkouls gehen auf Stör. (Foto: Reto Steiner)<br />
Steinmetz/innen in der Schweiz und im<br />
nahen Ausland treffen, um mit ihnen ins<br />
Gespräch zu kommen und sie zu portraitieren.<br />
Wer will, macht mit und lässt sich<br />
auf ein Experiment mit offenem Ausgang<br />
ein. Savelkouls und Steiner suchen keinen<br />
journalistischen Zugang, vielmehr<br />
wollen sie sich selbst überraschen lassen<br />
und jedem Porträt eine ganz eigene Form<br />
geben. «Uns geht es um ungeschmückte<br />
Wahrheiten und Realitäten. Staub, Stress<br />
oder Kaffeepause. Wenn es erwünscht<br />
ist, helfen wir auch gerne gleich mit, oder<br />
schauen ein bisschen zu», heisst in ihrer<br />
Ankündigung.<br />
Savelkouls und Steiner sehen sich als<br />
Teil der Steinbildhauerszene und stehen<br />
zugleich ausserhalb, da das einst gelernte<br />
Handwerk nur eine von vielen Techniken<br />
ihrer künstlerischen Arbeit ist. Dies<br />
ermöglicht ihnen eine Sicht von innen<br />
und aussen. Auch ihre unterschiedlichen<br />
Herkünfte und Wirkungsorte werden<br />
womöglich zu diversen Sichtweisen<br />
führen. Auf ihrer Überfall-Tour verfolgen<br />
sie kein bestimmtes Ziel, sondern lassen<br />
Wir suchen motivierten<br />
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05/20<br />
29
Varia / Branchen-Info<br />
sich von Ideen und Assoziationen leiten:<br />
«Momentaufnahme – detailorientiert –<br />
vielseitig – fluid – Abbild und Fokus –<br />
bilateral – wachsend und verbindend<br />
– Experiment – wohlwollend – Zauber<br />
des Alltäglichen – identitätsstiftend –<br />
vernetzend».<br />
«Kunst und Stein» hält das für ein spannendes<br />
Projekt und gibt dem Duo Savelkouls/Steiner<br />
in einer der nächsten<br />
Ausgaben eine Carte blanche für ihre<br />
Bildhauerportraits. (jst)<br />
SWISSSKILLS CHAMPIONSHIPS <strong>2020</strong><br />
Wegen Corona wurden die diesjährigen<br />
Berufsmeisterschaften dezentral durchgeführt.<br />
Die Steinmetz/innen haben sich<br />
Mitte September in der Alten Zementi in<br />
Schmerikon getroffen, um ihren Wettbewerb<br />
auszutragen. Michael Egli, neben<br />
August Kuster eine der treibenden Kräfte<br />
hinter dem Anlass, berichtet nach beendeter<br />
Aufgabe: «Nach fast vier Tagen<br />
harter Arbeit ging am 17. September die<br />
Schweizer Meisterschaft der Steinmetze<br />
in Schmerikon zu Ende. Alle Kandidaten<br />
und Kandidatinnen haben ihr Bestes gegeben.<br />
Es muss sehr schwer gewesen<br />
sein, mit dem kühlen See direkt vor Augen<br />
Höchstleistungen zu erbringen. Auf<br />
dem ersten Platz landete vollkommen<br />
verdient Marlena Senne aus Affoltern am<br />
Albis. Sie beendete in diesem Jahr ihre<br />
Lehre bei der J.&A. Kuster Steinbrüche<br />
AG in Bäch. Auf dem zweiten Platz ist der<br />
Drittlehrjahresstift Tobias Hörler von der<br />
Die spätere Gewinnerin Marlena Senne in Aktion. (Foto: Swiss Skills)<br />
Bärlocher Steinbruch und Steinhauerei<br />
AG in Rorschacherberg. Glückwunsch zu<br />
dieser ausgezeichneten Leistung nach<br />
etwas mehr als der Hälfte der Lehrzeit!<br />
Den dritten Platz darf Lena König für sich<br />
in Anspruch nehmen. Die junge Bernerin<br />
hat bei der Von Dach AG in Bern Ihre<br />
Lehre beendet und wohnt im schönen<br />
Kehrsatz.<br />
Nach der Medaillenübergabe wurden<br />
alle Kandidaten und Kandidatinnen gefeiert<br />
und durften das erste Mal seit vier<br />
Tagen richtig durchatmen. Auch die drei<br />
Kandidaten, welche für die EuroSkills<br />
trainierten, können zufrieden nach<br />
Hause gehen – auch wenn bei Ihnen<br />
das Training jetzt erst richtig beginnt.<br />
Die Organisation der SwissSkills Championships<br />
<strong>2020</strong> war ein beträchtlicher<br />
Kraftaufwand. Gerade in der heutigen<br />
Situation, in der jeder Anlass gefährdet<br />
ist, brauchte es viel Mut, einen solchen<br />
in die Wege zu leiten. Besonders zu erwähnen<br />
ist hierbei der in Schmerikon<br />
wohnhafte August Kuster, der als zentrale<br />
Person für die tadellose Durchführung<br />
der diesjährigen Meisterschaft<br />
verantwortlich ist.» (Michael Egli)<br />
IMPRESSUM<br />
OKTOBER <strong>2020</strong> – 65. JAHRGANG<br />
Erscheint 6 Mal jährlich<br />
Herausgegeber: Verband Schweizer<br />
Bildhauer- und Steinmetzmeister VSBS<br />
ISSN 0023-5458<br />
REDAKTION / LAYOUT<br />
Jens Steiner (Redaktion)<br />
Franziska Steiner (Layout)<br />
Dohlenweg 4, 8050 Zürich<br />
Tel. 079 270 56 60<br />
jenssteiner@bluewin.ch<br />
VERLAG<br />
Geschäftsstelle VSBS<br />
Fachzeitschrift «Kunst+Stein»<br />
Birkenweg 38<br />
CH-3123 Belp, Tel. 031 819 08 20<br />
Fax 031 819 08 21, www.vsbs.ch<br />
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CH–3063 Ittigen, Tel. 031 382 11 80,<br />
whulliger@inmedia.ch, www.inmedia.ch<br />
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Adressänderungen, Anfragen über<br />
Abonnemente oder Zustell probleme<br />
bitte an folgene Adresse melden:<br />
Abonnementsdienst Kunst+Stein,<br />
Industriestr. 37, CH-3178 Bösingen,<br />
Tel. 031 740 97 82<br />
DRUCK<br />
Länggass Druck AG Bern, www.ldb.ch<br />
Länggassstrasse 65, CH-3000 Bern 9<br />
Tel. 031 307 75 75, Fax 031 307 75 80<br />
JAHRESABONNEMENT<br />
VSBS-Mitglieder: CHF 85.—<br />
Nichtmitglieder: CHF 91.—<br />
Einzelnummer: CHF 16.—<br />
und Versandkosten<br />
VORSCHAU<br />
Die nächste Ausgabe «Kunst und Stein»<br />
erscheint am 30. November <strong>2020</strong> zum<br />
Thema «Steinbildhauerinnen».<br />
Redaktionsschluss: 13. September <strong>2020</strong><br />
Insertionsschluss: 13. September <strong>2020</strong><br />
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VORSCHAU<br />
Die nächste Ausgabe von «Kunst und Stein» erscheint<br />
am 30. November <strong>2020</strong> zum Thema «Steinbildhauerinnen».<br />
Redaktionsschluss: 13. November <strong>2020</strong><br />
Insertionsschluss: 13. November <strong>2020</strong><br />
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