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Verhütun<br />
MARIO LARS<br />
Wissens-<br />
In den letzten Wochen begann<br />
in den einzelnen Bundesländern<br />
wieder nach und nach<br />
die Schule. Für viele war der Beginn<br />
ein Schock. »Kinder, Kinder,<br />
alles voller Kinder«, sagt Hildegard<br />
S. »So was hast du noch nicht gesehen.<br />
Die waren überall!« Hildegard<br />
S. ist Rektorin an der Christoph-<br />
Metzelder-Grund schule in Dortmund<br />
und möchte in diesem Artikel<br />
anonym bleiben, obwohl ihre<br />
Schule über eine Homepage verfügt,<br />
auf der selbstverständlich ihr<br />
Name zu finden ist. Hildegard S.<br />
zittert, wenn sie vom ersten Schultag<br />
und von den wie aus dem<br />
Nichts auftauchenden Kindern erzählt.<br />
Was sie vor wenigen Wochen<br />
erlebt hat, sprengt jegliche Vorstellungskraft.<br />
»Da kamen plötzlich<br />
Kinder, viele, viele Kinder in die<br />
Schule, die teilweise das Jahr zuvor<br />
gar nicht hier gewesen waren. Und<br />
jetzt kommt’s: Die wollten alle –<br />
ausnahmslos alle! – beschult werden.<br />
Das heißt, wir sollten die unterrichten.<br />
Zu viert. Dreihundert<br />
Kinder!« Sie tat in diesem Moment<br />
das einzig Vernünftige: Sie schickte<br />
alle auf der Stelle nach Hause,<br />
schloss das Schulgebäude ab und<br />
beantragte eine achtwöchige Kur<br />
an der Nordsee.<br />
Experten bezweifeln, dass vorgeschobenes<br />
Burn-out die Lösung für<br />
den plötzlich aufgetretenen Lehrermangel<br />
sein kann. Doch Hilfe naht,<br />
denn mittlerweile hat sich sogar bis<br />
in die zuständigen Kultusministerien<br />
herumgesprochen, dass hier<br />
und da ein paar Lehrer fehlen. Wie<br />
viele genau, lässt sich leider nicht<br />
sagen, da außer dem Statistischen<br />
Bundesamt niemand die Anzahl<br />
der schulpflichtigen Kinder in<br />
Deutschland kennt. Die Schätzungen,<br />
wie viele Lehrer allein an den<br />
Grundschulen fehlen, reichen deshalb<br />
von »sieben oder acht« (Hildegard<br />
S.) bis 26 300 (Bertelsmann-<br />
Stiftung). »Die Wahrheit liegt sicher<br />
irgendwo dazwischen«, sagt<br />
Bundesbildungsministerin Anja<br />
Karliczek und nennt als Beispiele<br />
die Zahlen 15 208 und 777.<br />
Karliczek hat an diesem Tag ihre<br />
Länderkollegen zu einer dringlichen<br />
Konferenz nach Bonn geladen.<br />
Hochkonzentriert sitzen die<br />
Minister in einem kleinen Saal und<br />
lauschen den Ausführungen von<br />
Biologielehrer Rainer Schmitt, der<br />
gerade zu einem der Kernpunkte in<br />
seinem Vortrag kommt: »… und<br />
mit dem erigierten Penis dringt der<br />
Mann in die Scheide der Frau ein.<br />
He, Ruhe da hinten! Alexander, bitte!<br />
Ja, ich weiß, das findet ihr lustig,<br />
aber das ist wichtig, wenn ihr wissen<br />
wollt, wo plötzlich die vielen<br />
Kinder herkommen.«<br />
Als Schmitt seinen Vortrag zehn<br />
Minuten später beendet hat, wirken<br />
die Zuhörer aufgekratzt. Manche<br />
tuscheln, einige der weiblichen<br />
Minister haben rote Wangen. Der<br />
junge Grant Hendrik Tonne aus<br />
Niedersachsen scheint von den für<br />
ihn neuen Tatsachen am stärksten<br />
mitgenommen zu sein. »Ach so ist<br />
das, ach so ist das!«, sagt er immer<br />
wieder und zieht seine Bremer Kollegin<br />
neckisch an den Haaren, bevor<br />
er sich seinen Rucksack<br />
schnappt und, seine Jacke hinter<br />
sich her schleifend, nach draußen<br />
zur Bushaltestelle rennt.<br />
Dieses Wissen hätte<br />
man vor sechs Jahren<br />
haben müssen.<br />
»Wusste ich alles schon«, behauptet<br />
dagegen Sachsen-Anhalts<br />
Bildungsminister Tullner abgeklärt.<br />
»Mir war bisher nur nicht<br />
klar, dass die Kinder circa sechs<br />
Jahre und neun Monate später in<br />
die Schule kommen. Wenn man<br />
das weiß, lässt sich der Lehrerbedarf<br />
ja ganz leicht ausrechnen.<br />
Schade nur, dass die Kultusministerkonferenz<br />
dieses Wissen vor<br />
sechs Jahren noch nicht hatte. Von<br />
daher war diese Aufklärung jetzt<br />
schon auch hilfreich.«<br />
Wie die Minister ihr neues Wissen<br />
konkret anwenden werden, ist<br />
offen, noch stehen verschiedene<br />
Konzepte im Raum. Bundesministerin<br />
Karliczek hat dabei einen klaren<br />
Favoriten. »Vor allem von Seiten<br />
der Eltern hört man immer wieder<br />
die Behauptung, es gebe zu wenige<br />
Lehrer«, sagt Karliczek. »Dabei<br />
sind die Lehrer gar nicht das<br />
Problem. Man sollte das Pferd mal<br />
von hinten aufzäumen, oder von<br />
vorne, je nachdem, was richtig ist,<br />
ich kenne mich mit Pferden nicht<br />
aus, ich habe nur eine Katze. Nein,<br />
warten Sie – zwei. Zwei Katzen. In<br />
Mathe war ich nie sonderlich gut.<br />
Fakt jedenfalls ist: Es gibt nicht zu<br />
wenige Lehrer, es gibt zu viele Kinder.<br />
Das ist der Punkt, an dem man<br />
ansetzen muss.« Karliczeks Pläne in<br />
dieser Richtung reichen von der<br />
Verteilung kostenloser Verhütungsmittel<br />
bis hin zum Einsatz pensionierter<br />
Lehrerinnen, die überzählige<br />
Kinder in ihre tief im Wald gelegenen<br />
Lebkuchenhäuschen locken,<br />
um ihnen dort Lektionen zu erteilen.<br />
KRIKI<br />
18 10/19