Proseminar "Platons Apologie des Sokrates"
Proseminar "Platons Apologie des Sokrates"
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Existenzgrundlage bedeuten würde, hätte eine Integration <strong>des</strong> Philosophen in<br />
den Alltag der Polis zur Folge, dass er zum Sophisten verkommen und damit<br />
den Funktionszusammenhängen der Dóxa Inhalte liefern würde („den<br />
schwächeren lógos zu einem stärkeren machen“, wenn es dem Alltag dient).<br />
Das myoptische Philosophieren scheint, da es sich auf das Zusammenleben<br />
in der Polis bezieht und störend auswirkt, eine politische Dimension zu<br />
haben; Sokrates widerspricht dieser Annahme jedoch.<br />
Sokrates beruft sich auf ein innere Stimme, das Daimonion, die sich seit<br />
seiner Jugend immer negierend äussert und ihn davon abhält politisch, tätig<br />
zu sein (Politeúein), was dazu führt, dass Sokrates sich an politischen<br />
Angelegenheiten nicht beteiligt (Idioteúein). (Diese innere Stimme hat<br />
durchaus strukturelle Ähnlichkeiten mit der bekannten "Stimme <strong>des</strong><br />
Gewissens", mit dem entscheidenden Unterschied dass das Gewissen eine<br />
allgemeine, jedem Menschen zukommende Instanz ist, wohingegen das<br />
Daimonion individuell Sokrates angehört (wie sich beispielsweise in Homers<br />
Epen eine Zuordnung bestimmter Götter auf bestimmte Individuen findet)).<br />
Sokrates äussert sich zwar in der Öffentlichkeit (Agora), was zu dem Schluss<br />
führen könnte, dass es sich hier sehr wohl um eine politische Tätigkeit<br />
handelt, aber er spricht niemals vor Volksversammlungen, sondern stets mit<br />
einzelnen Bürgern und tritt dabei immer als Privatmann auf, was er als<br />
entscheiden<strong>des</strong> Kriterium benennt, wenn man sich ernsthaft für die<br />
Gerechtigkeit einsetzen und dabei auch noch am Leben bleiben möchte<br />
(32a). Sokrates ist sich sicher, dass er bereits getötet worden wäre, wenn er<br />
dem Daimonion nicht gehorcht hätte und politisch tätig geworden wäre<br />
(31d).<br />
Der Philosoph muss also zwangsläufig als „Dissident“ leben, als jemand der<br />
jenseits <strong>des</strong> öffentlichen Zusammenlebens und damit auch in Armut lebt,<br />
was ihn, wie Sokrates' Schicksal zeigt, keinesfalls davor schützt, in<br />
Lebensgefahr zu geraten insofern er mit seiner myoptischen Philosophie auch<br />
nur an eizelne Mitglieder der Öffentlichkeit heran tritt.<br />
Insofern ist das myoptische Philosophieren <strong>des</strong> Sokrates eben doch politisch,<br />
selbst wenn oder gerade indem es sich als ein idioteúein, d.h. in einzelnen<br />
(privaten) Gesprächen realisiert.<br />
Sokrates untermauert seine These noch, indem er im folgenden Abschnitt 20<br />
(32a-e) zwei Beispiele anführt, in denen er sich beim Eintreten für die<br />
Gerechtigkeit auf gelten<strong>des</strong> Recht in der Polis berufen hatte und trotzdem<br />
dem Tode nur dadurch entkam, dass das damalige Regime gestürzt wurde.<br />
Hier, und in durch Sokrates' spätere Akzeptanz <strong>des</strong> eigenen To<strong>des</strong>urteils,<br />
zeigt sich Sokrates' Einstellung, die Gesetze (Nomoi) der Polis anzuerkennen<br />
und dass ein konsequentes Eintreten für die Gerechtigkeit, selbst im Einklang