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Proseminar "Platons Apologie des Sokrates"

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<strong>Proseminar</strong> "<strong>Platons</strong> <strong>Apologie</strong> <strong>des</strong> Sokrates"<br />

PD Dr. Peter Trawny<br />

Protokoll zur Sitzung vom Montag, 10.01.2005<br />

Daniel Rixen<br />

Zentrales Thema der Sitzung vom 10.01.2005 war die Fragestellung, warum<br />

die Frage nach dem wahren Philosophieren für Sokrates eine Frage von<br />

Leben und Tod darstellt, und ob sich diese Frage für den Philosophen<br />

generell stellt.<br />

In vorangegangenen Sitzungen war bereits festgestellt worden, dass das<br />

myoptische Philosophieren, das nach der Wahrheit und damit nach dem<br />

Gerechten und Guten fragt, durch seinen Konflikt mit der Dóxa die Polis<br />

stört, bis hierhin gipfelte dieser offensichtliche Gegensatz jedoch nicht<br />

zwingend in einer Entscheidung zwischen Leben und Tod für Sokrates wie<br />

Platon es im Abschnitt 19 der <strong>Apologie</strong> (31c bis 32a) darstellt.<br />

Ein Grund für diese Zwangsläufigkeit liegt bereits im Gegenstand <strong>des</strong><br />

Interesses <strong>des</strong> Philosphen begründet, nämlich dem wahren Wissen. Dieses<br />

Wissen kann kein individuelles Wissen sein, sondern muss aufgrund seiner<br />

absoluten Wahrheit Allgemeingültigkeit für alle Menschen haben; damit lässt<br />

sich auch erklären warum der Philosoph im Höhlengleichnis in <strong>Platons</strong><br />

Politeia, nachdem er die Höhle verlassen, die Ideen und somit die Wahrheit<br />

gesehen hat, wieder in die Höhle zurückkehrt um seine ehemaligen<br />

Mitgefangenen aus der Höhle, dem Reich der Dóxa, zu befreien.<br />

Hier bietet es sich an, erst einmal genauer zu untersuchen, welche Funktion<br />

die Dóxa im Alltag der Polis (und auch heutiger Gesellschaften) überhaupt<br />

hat. Die Dóxa, die Sphäre der Meinung im Gegensatz zum Wissen, ist eben<br />

das dem Alltag und seinen Abläufen zugrundeliegende Organisationsprinzip.<br />

Das Erwerbsleben, der Alltag und die ihn begründenden, sich wiederholenden<br />

Abläufe müssen effizient gestaltet werden und bedürfen daher<br />

Orientierungen, die nicht permanent hinterfragt werden. Es ist nur logisch<br />

dass diese Orientierungen niemals absolute Wahrheiten darstellen, somit aus<br />

der Dóxa stammen und dass ein radikal nach der Wahrheit fragender<br />

Philosoph, der die Grundlagen <strong>des</strong> täglichen Lebens als Halbwahrheiten<br />

entlarvt, nicht nur als störend empfunden wird, sondern dass sein Versuch,<br />

andere Menschen durch das myoptische Philosophieren aus der Dóxa zu<br />

befreien, von den Bürgern der Polis als Angriff auf ihr Selbstversändnis und<br />

ihre Lebensgrundlage gewertet wird.<br />

Es ist nun keinesfalls so, dass die in der Dóxa lebenden Menschen nicht am<br />

Guten und Gerechten teilhaben wollten oder dass Sokrates das alltägliche<br />

Leben in seiner Ganzheit ablehnt, aber genau so wie für die Bürger der Polis<br />

ein vom Wissen (Epistéme) geleitetes Leben die Beraubung ihrer


Existenzgrundlage bedeuten würde, hätte eine Integration <strong>des</strong> Philosophen in<br />

den Alltag der Polis zur Folge, dass er zum Sophisten verkommen und damit<br />

den Funktionszusammenhängen der Dóxa Inhalte liefern würde („den<br />

schwächeren lógos zu einem stärkeren machen“, wenn es dem Alltag dient).<br />

Das myoptische Philosophieren scheint, da es sich auf das Zusammenleben<br />

in der Polis bezieht und störend auswirkt, eine politische Dimension zu<br />

haben; Sokrates widerspricht dieser Annahme jedoch.<br />

Sokrates beruft sich auf ein innere Stimme, das Daimonion, die sich seit<br />

seiner Jugend immer negierend äussert und ihn davon abhält politisch, tätig<br />

zu sein (Politeúein), was dazu führt, dass Sokrates sich an politischen<br />

Angelegenheiten nicht beteiligt (Idioteúein). (Diese innere Stimme hat<br />

durchaus strukturelle Ähnlichkeiten mit der bekannten "Stimme <strong>des</strong><br />

Gewissens", mit dem entscheidenden Unterschied dass das Gewissen eine<br />

allgemeine, jedem Menschen zukommende Instanz ist, wohingegen das<br />

Daimonion individuell Sokrates angehört (wie sich beispielsweise in Homers<br />

Epen eine Zuordnung bestimmter Götter auf bestimmte Individuen findet)).<br />

Sokrates äussert sich zwar in der Öffentlichkeit (Agora), was zu dem Schluss<br />

führen könnte, dass es sich hier sehr wohl um eine politische Tätigkeit<br />

handelt, aber er spricht niemals vor Volksversammlungen, sondern stets mit<br />

einzelnen Bürgern und tritt dabei immer als Privatmann auf, was er als<br />

entscheiden<strong>des</strong> Kriterium benennt, wenn man sich ernsthaft für die<br />

Gerechtigkeit einsetzen und dabei auch noch am Leben bleiben möchte<br />

(32a). Sokrates ist sich sicher, dass er bereits getötet worden wäre, wenn er<br />

dem Daimonion nicht gehorcht hätte und politisch tätig geworden wäre<br />

(31d).<br />

Der Philosoph muss also zwangsläufig als „Dissident“ leben, als jemand der<br />

jenseits <strong>des</strong> öffentlichen Zusammenlebens und damit auch in Armut lebt,<br />

was ihn, wie Sokrates' Schicksal zeigt, keinesfalls davor schützt, in<br />

Lebensgefahr zu geraten insofern er mit seiner myoptischen Philosophie auch<br />

nur an eizelne Mitglieder der Öffentlichkeit heran tritt.<br />

Insofern ist das myoptische Philosophieren <strong>des</strong> Sokrates eben doch politisch,<br />

selbst wenn oder gerade indem es sich als ein idioteúein, d.h. in einzelnen<br />

(privaten) Gesprächen realisiert.<br />

Sokrates untermauert seine These noch, indem er im folgenden Abschnitt 20<br />

(32a-e) zwei Beispiele anführt, in denen er sich beim Eintreten für die<br />

Gerechtigkeit auf gelten<strong>des</strong> Recht in der Polis berufen hatte und trotzdem<br />

dem Tode nur dadurch entkam, dass das damalige Regime gestürzt wurde.<br />

Hier, und in durch Sokrates' spätere Akzeptanz <strong>des</strong> eigenen To<strong>des</strong>urteils,<br />

zeigt sich Sokrates' Einstellung, die Gesetze (Nomoi) der Polis anzuerkennen<br />

und dass ein konsequentes Eintreten für die Gerechtigkeit, selbst im Einklang


mit geltendem Recht und als Privatmann, für den Philosophen stets den Tod<br />

bedeuten kann.

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