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Download als pdf - Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern

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Erziehung bekämpft werden sollten, könnten nur außerhalb der DDR,<br />

sprich in kapitalistischen Gesellschaften existieren. Folgerichtig kamen die<br />

Beispiele <strong>für</strong> Rassismus und Rassendiskriminierung aus (Süd-)Afrika oder<br />

den beiden amerikanischen Kontinenten. Dabei ging es nicht ausschließlich<br />

um anschauliche Informationsvermittlung und die Selbstvergewisserung,<br />

»auf der richtigen Seite« zu stehen. Es ging vor allem um eine moralische<br />

Einsicht, die unter anderem Grundlage <strong>für</strong> die in der Verfassung<br />

festgeschriebene internationale Solidarität sein sollte. 5<br />

In Artikel 6 der Verfassung hieß es: »Die Deutsche Demokratische Republik<br />

unterstützt die Staaten und Völker, die gegen den Imperialismus<br />

und sein Kolonialregime, <strong>für</strong> nationale Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen,<br />

in ihrem Ringen um gesellschaftlichen Fortschritt.«<br />

Damit war eine zielgerichtete Erziehung zur Solidarität vorgegeben. In<br />

den Betrieben erwarben die Erwachsenen bei der Beitragszahlung <strong>für</strong> den<br />

FDGB 6 wie selbstverständlich ihre Solidaritätsmarken. Landauf, landab<br />

schrieben Schulkinder Mitte der 70er Jahre Protestbriefe, in denen sie – zumeist<br />

aus tiefer Überzeugung – die Freilassung der in den USA inhaftierten<br />

Afroamerikanerin Angela Davis forderten. In eine ähnliche Richtung<br />

weisende Aktionen und Aktivitäten gehörten <strong>für</strong> jedes Kind zum normalen<br />

Schulalltag. Das innerliche Beteiligtsein bei der Gestaltung von Wandzeitungen,<br />

die sich dem »Kampf der Völker in aller Welt <strong>für</strong> Frieden und<br />

Abrüstung« widmeten, beziehungsweise beim Sammeln von Altstoffen,<br />

Spielsachen oder Geld »<strong>für</strong> notleidende Altersgefährten in verschiedenen<br />

Ländern der Welt« dürfte jedoch von Kind zu Kind verschieden gewesen<br />

sein.<br />

Der Erziehungsauftrag »nach außen« richtete sich darauf »ein tiefes Interesse<br />

und Gefühle der Anteilnahme mit dem Kampf anderer Völker und<br />

Nationen <strong>für</strong> Freiheit und Unabhängigkeit, gesellschaftlichen Fortschritt<br />

und die Lösung ihrer Lebens- und Entwicklungsprobleme zu besitzen und<br />

entsprechend zu handeln.« 7 Ein anderer, quasi ergänzender Teil richtete<br />

sich »nach innen«: auf die Erziehung zur Achtung und Schätzung der Leistungen<br />

und Errungenschaften des eigenen Volkes.<br />

Marianne Potratz-Krüger schreibt: »Diese Trennung von ›außen‹ und ›innen‹<br />

vermittelte den Schülern – explizit wie implizit – die Überzeugung, daß<br />

sie von Rassismus und Antisemitismus, diesen zu verurteilenden ›Eigenschaften‹,<br />

frei seien, und darüber hinaus, daß sie berufen seien, anderen<br />

etwas zu vermitteln, daß sie Gebende seien.« 8<br />

Durch die Kopplung des Solidaritätsgedankens an bestimmte Gruppen<br />

von Menschen – Befreiungskämpfer, Notleidende, Unterdrückte, Opfer<br />

des imperialistischen Systems – wurde die Würde des Menschen meist in<br />

enger Verbindung mit ideologischen Auseinandersetzungen thematisiert.<br />

Ein klares Freund-Feind-Denken bestimmte sowohl die innen- <strong>als</strong> auch<br />

die außenpolitischen Diskussionen. Letztlich bleibt festzuhalten, daß die<br />

zu unterstützenden Völker und Nationen vorrangig <strong>als</strong> hilfsbedürftig,<br />

unterdrückt oder arm in Erscheinung traten. In jedem Fall aber – gemäß<br />

der marxistisch/leninistischen Theorie – auf dem Wege zu einer Gesellschaftsordnung,<br />

die in der DDR selbst schon verwirklicht worden war. Sie<br />

tauchten stets <strong>als</strong> diejenigen auf, die der internationalen Solidarität bedurften.<br />

Einer Solidarität, zu der viele sich nicht nur moralisch und ideologisch<br />

verpflichtet fühlten, sondern ehrlichen Herzens bereit waren. Als gleichberechtigte<br />

Partner wurden sie selten anerkannt: weder auf Wandzeitungen<br />

noch im Bewußtsein der DDR-Bevölkerung.<br />

Eine öffentliche Auseinandersetzung mit historischen Kontinuitäten<br />

bezüglich der Kolonialgeschichte und des Rassismus sowie der nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />

Vergangenheit gab es ausschließlich mit Blick auf das kapitalistische<br />

Ausland. Die DDR verstand sich <strong>als</strong> frei von den Wurzeln solcher<br />

Übel und übernahm stattdessen die Rolle des Freundes und Helfers.<br />

Ein politischer Flüchtling aus dem Irak sagte über seine Aufnahme in<br />

der DDR in den 70er Jahren:<br />

»Zuerst mußte ich am Herder-Institut die deutsche Sprache erlernen, und<br />

dort waren die meisten Lehrkräfte gewohnt, mit Ausländern umzugehen.<br />

Dabei gab es dann eine Art ›Bemutterung‹, die gut gemeint war; aber ich<br />

war schon ein erwachsener Mann. Dieses Gefühl der ›Bemutterung‹ wurde<br />

ich nicht los. Es gab auch eine Vielzahl von Leuten, zu denen man ein sehr<br />

gutes Verhältnis hatte. Also – ich wurde freundlich aufgenommen. (…) Das<br />

einzige Problem war: Der Kontakt zur DDR-Bevölkerung fand nicht statt.<br />

Allenfalls gab es die Möglichkeit, daß wir von deutschen Studenten betreut<br />

werden. Das war aber einfach äußerlich. (…) Die DDR <strong>als</strong> kleines Land,<br />

keine Weltoffenheit, und die Leute können sich nicht vorstellen, wie ein<br />

Ausländer lebt. Konkret erlebt man Abneigung, indem man auf der Straße<br />

angepöbelt wird, Details möchte ich uns ersparen. Daneben gibt es auch<br />

eine Gruppe von Personen, die das nicht artikuliert. Die Leute haben<br />

eigentlich nichts gegen einen, aber gleichzeitig besteht da eine Mauer – ich<br />

kann das nicht genau beschreiben.« 9<br />

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