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Download als pdf - Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern

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DDR-interne Gründe bzw. Probleme, wie der eigene Bevölkerungsrückgang<br />

oder der Mangel an einheimischen Arbeitskräften, wurden lediglich<br />

mittels bestimmter Floskeln angesprochen: »In der Tat helfen uns unsere<br />

Freunde bei der Lösung unserer volkswirtschaftlichen Aufgaben und<br />

mehren damit gleichzeitig den Gesamtzuwachs des Sozialismus.« 16<br />

Im Gegensatz dazu wurden in Bezug auf die Gastarbeiter in der BRD<br />

wirtschaftliche Ungleichheit und Arbeitslosigkeit deutlich <strong>als</strong> Ursachen <strong>für</strong><br />

Migration benannt. Ebenso konträr erschienen die Arbeits- und Lebensbedingungen.<br />

Während ausländische Arbeitskräfte im Westen generell <strong>als</strong><br />

ausgebeutet und häufigen Diskriminierungen ausgesetzt beschrieben wurden,<br />

sprach man in der DDR von den »polnischen und ungarischen Freunden«<br />

<strong>als</strong> »geachtete Bürger« und »echte Partner« 17 . Betont wurde, daß die<br />

Ausländerbeschäftigung – im Unterschied zum Kapitalismus – im Sozialismus<br />

den beteiligten Staaten wie den Individuen gleichermaßen nützt.<br />

Ein häufig verwendetes Stichwort in diesem Zusammenhang hieß: sozialistische<br />

Solidarität. Umfragen von 1988 ergaben, daß die wenigsten<br />

DDR-Bürger wußten, welche ökonomischen Werte durch ausländische<br />

Arbeitskräfte geschaffen wurden. Sie nahmen an, der Aufenthalt ausländischer<br />

Vertragsarbeiter würde <strong>als</strong> ein Akt der Solidarität durch die DDR<br />

getragen.<br />

»Solidarität – ein Zauberwort, mit dem die ausschlaggebenden Gründe<br />

und die tatsächlichen Bedingungen der Ausländerbeschäftigung zugedeckt<br />

wurden. Beschrieben wurde Solidarität <strong>für</strong> den RGW-Bereich <strong>als</strong> Solidarität<br />

auf Gegenseitigkeit; bei der Beschäftigung von Arbeitskräften aus<br />

Entwicklungsländern hingegen wurde das entwicklungspolitische Moment<br />

stärker in den Vordergrund gerückt: Ausländerbeschäftigung <strong>als</strong> Form der<br />

sozialistischen Entwicklungshilfe.« 18<br />

Daß die Hilfe <strong>für</strong> die Entwicklungsländer an eigene wirtschaftliche Bedürfnisse<br />

gekoppelt war und zum Teil sogar, sofern es Staaten aus dem »nichtsozialistischen<br />

Währungsgebiet« betraf, der DDR ihre Existenz sichern<br />

helfen sollte, war bis zur Wende 1989 ein Tabuthema. 19 Insofern tauchte<br />

auch die Frage nicht auf, inwieweit mit einer solchen Wirtschafts- und<br />

Außenpolitik postkoloniale Ausbeutung fortgeführt und neue Abhängigkeiten<br />

geschaffen wurden. Dabei wäre es eine gute Chance gewesen, die<br />

eigene Geschichte und die eigenen Ansprüche zu thematisieren, statt darüber<br />

peinlichst zu schweigen und in der Geste des Gebenden zu verharren.<br />

Konkrete Beschreibungen des Aufenthalts von ausländischen Arbeitskräften<br />

ließen das Bild einer staatlich organisierten und abgesicherten<br />

Idylle entstehen: Neben der Möglichkeit einer Ausbildung und dem Recht<br />

auf gleichen Lohn, betonte man die außerordentlich gute Betreuung und<br />

gleichberechtigte Stellung im Betrieb. In der in Westberlin erscheinenden<br />

Zeitung der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW), der damaligen<br />

Stimme des Ostens im Westen, ist in Bezug auf vietnamesische<br />

Vertragsarbeiter in der DDR von einem herzlichen Empfang auf dem Flugplatz<br />

die Rede, davon wie allen geholfen wurde, anfängliche Schwierigkeiten<br />

und das erste Heimweh zu überwinden. Hinsichtlich der deutschen<br />

Kollegen gäbe es keine Unterschiede, in der Freizeit mache man gemeinsame<br />

Ausflüge und habe eine Singegruppe, deren Auftritte sehr gefragt<br />

seien. »Begehrte Gesprächspartner sind die jungen Vietnamesen in Schulen,<br />

wo sie vom Kampf und vom Leben ihres Volkes berichten.« 20<br />

Kam es auf Schwierigkeiten zu sprechen, war immer vorausgesetzt, daß<br />

es sich um menschliche Schwächen handelt, nicht jedoch um solche des<br />

politischen Systems oder der Gesellschaft. So wurde auf Probleme während<br />

der Eingewöhnungsphase, Mentalitätsunterschiede oder allerorts vorhandene<br />

zwischenmenschliche Konflikte verwiesen und ansonsten Verständnis<br />

und Offenheit beschwört:<br />

»Selbstverständlich ist <strong>für</strong> die ausländischen Werktätigen die Eingewöhnung<br />

in eine neue Umwelt nicht leicht. Mitunter gibt es auch Konflikte im<br />

Zusammenleben, sei es um ein Mädchen oder einen Jungen. Doch ist das<br />

nicht typisch. Notwendig sind überall ein kameradschaftliches, vertrauensvolles<br />

Verhältnis, behutsamer Umgang miteinander und Verständnis da<strong>für</strong>,<br />

daß es Probleme mit sich bringt, wenn jemand lange Zeit viele tausend<br />

Kilometer von der Heimat entfernt lebt.« 21<br />

Die DDR-Mehrheitsbevölkerung sollte auf die Schwierigkeiten der Fremden<br />

eingehen, ihnen Vertrauen und Verständnis entgegenbringen. Dem ist<br />

kaum zu widersprechen. Es bleibt jedoch eine unzulässige Reduktion eines<br />

solch vielschichtigen Phänomens wie dem des Rassismus, wenn alles auf<br />

Mentalitätsunterschiede, Klima und Eßgewohnheiten zurückgeführt wird.<br />

Abgesehen davon, daß mit einer solchen Aufforderung sich einmal mehr<br />

bestätigte, daß die Probleme immer nur bei den Anderen liegen. Eine<br />

öffentliche Diskussion über wirtschaftliche Ungleichheiten, Konkurrenzsituationen<br />

und Versorgungsprobleme war in der DDR undenkbar. Das<br />

Eingeständnis eigener Probleme und Fehler paßte nicht in das SED-Partei-<br />

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