Stadt-Land-Gegensatz – die Grundlagen - Andreas Ladner
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Forschungsstelle am<br />
Geographischen Institut<br />
Kapitel 1<br />
Institut für öffentliches Recht, Uni Bern, 3. April 2012<br />
Die politische <strong>Land</strong>schaft der<br />
Schweiz<br />
<strong>Stadt</strong>-<strong>Land</strong>-<strong>Gegensatz</strong> <strong>–</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>Grundlagen</strong>
Zwei Seiten der Urbanisierung<br />
<strong>Gegensatz</strong> zwischen <strong>Stadt</strong> und <strong>Land</strong><br />
Physische Urbanisierung<br />
Veränderung der<br />
Siedlungsstruktur<br />
Soziale und mentale<br />
Urbanisierung<br />
«<strong>Land</strong>» «<strong>Stadt</strong>»<br />
Veränderung von Habitus<br />
und Lebensweisen<br />
Zur Definition und Beschreibung des Urbanen und der<br />
Urbanisierung <strong>die</strong>nt das Ländliche als Kontrastbild.
Zwei Sichtweisen auf das Urbane<br />
Cicero 63 v. Chr., Rede vor<br />
dem römischen Volk<br />
Zwei Sichtweisen auf das Urbane<br />
Oswald Spengler (1880 -1936):<br />
«Der Untergang des Abendlands»<br />
Positiver Urbanitätsdiskurs<br />
Homo urbanus: kultiviert,<br />
artikuliert, vornehm, frei<br />
Homo rusticus: Grob, ungehobelt,<br />
unbeweglich<br />
Die <strong>Stadt</strong> (Rom) als Wiege der<br />
Kultur und der gebildeten<br />
Lebensart. Das Urbane als höhere<br />
Form der Vergesellschaftung.<br />
Negativer Urbanitätsdiskurs<br />
«...ein neuer Nomade, ein Parasit, der<br />
Großstadtbewohner, der reine,<br />
traditionslose, in formlos fluktuierender<br />
Masse auftretende Tatsachenmensch,<br />
irreligiös, intelligent, unfruchtbar, mit einer<br />
tiefen Abneigung gegen das Bauerntum.»
Idealisierung des Ländlichen<br />
Johanna Spyri (1827 -1901):<br />
Autorin der Heidi-Romane<br />
Ländliche Dorfgemeinschaft<br />
• einfach und echt<br />
• natürlich und gesund (Clara)<br />
• Geborgenheit und sozialer Halt<br />
Grossstadt<br />
Idealisierung des Ländlichen in der Schweiz<br />
1. Unspunnenfest 1805 in Interlaken<br />
Heidi-Romane<br />
• anonym und entfremdet<br />
• künstlich und materialistisch<br />
• Von bürgerlichen Zwängen<br />
bestimmt (Frl. Rottenmeier)<br />
Die Hintergründe<br />
• Schweiz ist der einzige europäische<br />
Staat, der sich nicht von einem Zentrum<br />
aus entwickelt hat.<br />
• Pflege der Ur-Schweiz zur Einbindung<br />
der Katholisch-Konservativen nach<br />
1848.<br />
• «Dörflischweiz» und «<strong>Land</strong>igeist» als<br />
Ausdruck der geistigen<br />
<strong>Land</strong>esverteidigung ab 1939.<br />
• Pflege des ländlichen Images für<br />
touristische Zwecke.
Simmels Grossstadtmensch<br />
Georg Simmel (1858 -1916):<br />
Begründer der <strong>Stadt</strong>soziologie<br />
Urbane Freiräume<br />
«[..] so ist heute, in einem<br />
vergeistigten und verfeinerten Sinn,<br />
der Großstädter ‚frei‘ im <strong>Gegensatz</strong> zu<br />
den Kleinlichkeiten und<br />
Präjudizierungen, <strong>die</strong> den Kleinstädter<br />
einengen.»<br />
Die Großstädte und das Geistesleben,<br />
1903<br />
Christopher Street<br />
Day, Zürich<br />
«<strong>Stadt</strong>luft macht frei»
Simmels Grossstadtmensch<br />
Georg Simmel (1858 -1916):<br />
Begründer der <strong>Stadt</strong>soziologie<br />
Wichtige Spannungsfelder<br />
Intellektualität<br />
Die Grossstädter durchdringen alle<br />
Beziehungen mit rationalem Kalkül.<br />
Intellektualität als Schutz.<br />
Blasiertheit<br />
Die Grossstädter wiegen sich in der<br />
Gewissheit, alles schon einmal erlebt zu<br />
haben, nichts kann sie mehr überraschen.<br />
Reserviertheit<br />
Vgl. Ferdinand Tönnies 1887: «Gemeinschaft und Gesellschaft»<br />
Der ständige Kontakt mit einer Vielzahl<br />
fremder Menschen zwingt <strong>die</strong> Grossstädter zu<br />
einer Distanziertheit gegenüber den anderen,<br />
<strong>die</strong> sich bis zu einer leisen Aversion steigern<br />
kann.<br />
Gruppenbildung: Gemeinschaft vs. Gesellschaft<br />
nach Häussermann/Siebel 2004<br />
Gemeinschaft: Der Einzelne als willentlicher Teil des Ganzen<br />
Gesellschaft: Das Ganze als Mittel individueller Zwecke<br />
Soziale Sphären: Öffentlichkeit <strong>–</strong> Privatheit<br />
Privatheit: Intime Sphäre der emotionalen Beziehung<br />
Öffentlichkeit: Ort der distanzieren, stilisierten und rationalisierten<br />
Begegnungen
Wichtige Spannungsfelder<br />
Gruppenbildung<br />
Soziale Sphären<br />
«<strong>Land</strong>» «<strong>Stadt</strong>»<br />
Gemeinschaft Gesellschaft<br />
Überlagerung<br />
öffentlich-privat<br />
Ökonomische und soziokulturelle Urbanität<br />
Ökonomische Urbanität<br />
Polarisierung<br />
öffentlich-privat<br />
Verkehrsknoten<br />
(Autobahn, Flughafen, S-Bahn usw.)<br />
Hoher Tertiarisierungsgrad<br />
(Informatik, F&B, Finanz<strong>die</strong>nstleistungen, HQ)<br />
Shopping<br />
Soziokulturelle Urbanität<br />
Kernstädtische Wohnstrukturen<br />
(Blockrand, Lofts usw.)<br />
Fussläufigkeit<br />
(Boulevard, Fussgängerzonen, Gewerbliche<br />
Parterrenutzung)<br />
Night-Time Economy<br />
(Bars, internationale Gastronomie, Kinos,<br />
Theater, Oper usw.)
Kapitel 2<br />
Der politische Raum<br />
Durchschnittlich neun<br />
Abstimmungen pro Jahr<br />
Der politische <strong>Stadt</strong>-<strong>Land</strong>-<br />
<strong>Gegensatz</strong><br />
links<br />
Modernisierungsachse<br />
liberal<br />
konservativ<br />
rechts<br />
16!<br />
Verteilungsachse
Die politische <strong>Land</strong>karte der Schweiz<br />
Wirtschafts- und sozialgeografischer <strong>Gegensatz</strong><br />
Wirtschaftsgeografischer<br />
<strong>Stadt</strong>-<strong>Land</strong>-<strong>Gegensatz</strong><br />
Sozialgeografischer<br />
<strong>Stadt</strong>-<strong>Land</strong>-<strong>Gegensatz</strong><br />
• Regionalisierung der<br />
Wirtschaft<br />
17!<br />
• <strong>Gegensatz</strong> zwischen<br />
zentralen und<br />
peripherien Regionen<br />
• Regionalisierung des<br />
Wohnens<br />
• <strong>Gegensatz</strong> zwischen<br />
Kernstadt und Agglo-<br />
Gürtel
Politische <strong>Stadt</strong>-<strong>Land</strong>-Gegensätze<br />
Kernstadt vs. Umland Zentrum vs. Peripherie<br />
Grundlage des wirtschaftsgeographischen <strong>Gegensatz</strong>es<br />
20!
Grundlage des sozialgeographischen <strong>Gegensatz</strong>es<br />
Soziokulturelle Spezialisten<br />
Kommunikationsbranche<br />
Sozialgeographischer <strong>Gegensatz</strong><br />
Suburbia<br />
• Wohneigentum<br />
• Privatsphäre / Ruhe<br />
• soziale Homogenität<br />
• Trennung von Wohnen<br />
und Arbeiten<br />
• Privatverkehr<br />
Privatheit<br />
Materialismus<br />
Kommerzielle Dienste<br />
Finanzbranche<br />
Kernstadt<br />
• Mietwohnung<br />
• Immissionen<br />
• Multikulturalität<br />
• Öffentliches Leben<br />
• Nähe von Wohnen,<br />
Arbeiten u. Freizeit<br />
• ÖV<br />
Öffentlichkeit<br />
Postmaterialismus<br />
21!
Nachbarschaftseffekt<br />
Kapitel 3<br />
«we have seen that living in a neighborhood with high<br />
concentrations of people of the same status will accentuate the<br />
effect of that status as a source of political behavior.<br />
For people with a particular status who live among people with<br />
statuses providing counter-forces there is an erosion of the effect of<br />
their own status on their political behavior.»<br />
The Effect of Neighborhood on Voting Behavior<br />
Irving S. Foladare (1968): Political Science Quarterly, Vol. 83, No. 4<br />
Wandel der politisch-<br />
geographischen <strong>Land</strong>schaft<br />
23!
Selbstverstärkende Segregation<br />
2. Verstärkung des<br />
Profils der<br />
Nachbarschaft bzw.<br />
des Standorts<br />
Sozialgeografisches<br />
Milieu<br />
1. Zu-/Abwanderung<br />
Implikationen der politischen Segregation<br />
3. Steigerung der<br />
Anziehungs-/<br />
Abstossungskraft<br />
soziale/ethnische<br />
Gruppe<br />
«as Democrats and Republicans separate geographically,<br />
they become more distrustful of one another»<br />
«as communication between members of the parties<br />
diminishes, the two sides come to see each other as more<br />
extreme or radical. Republicans describe Democrats as<br />
more liberal than Democrats see themselves; and<br />
Democrats paint Republicans mor conservative than<br />
Republicans would describe their political preferences.»<br />
Bill Bishop, The Big Sort 2008, S.73<br />
25!<br />
26!
Entwicklung einer kreativen Klasse<br />
Soziokulturelle Spezialisten<br />
Kommunikationsbranche<br />
Entwicklung 1985 bis 2010<br />
Kommerzielle Dienste<br />
Finanzbranche<br />
Richard Florida (2002):<br />
The Rise of the Creative<br />
Class: And How it’s<br />
transforming work,<br />
leisure, community and<br />
everyday life.<br />
27!<br />
28!
Neue Hauptkonfliktlinie<br />
Von der Verteilungs- zur<br />
Modernisierungsachse<br />
Links-Rechts-Verschiebung der Städte (2007-2011)<br />
Städte auf der Links-Rechts-Skala: Vergleich 2007 und 2011<br />
1. Lausanne<br />
2. Freiburg<br />
3. Neuchâtel<br />
4. Bern<br />
5. Genève<br />
6. Biel/Bienne<br />
7. Basel<br />
8. Zürich<br />
9. Winterthur<br />
10. Luzern<br />
11. St. Gallen<br />
12. Sion<br />
13. Scha�hausen<br />
14. Zug<br />
15. Lugano<br />
16. Chur<br />
Schweiz<br />
Links<br />
Datenbasis: Ergebnisse der Nationalratswahlen<br />
35<br />
40<br />
2007 2011<br />
Mitte Rechts<br />
45 50<br />
30!<br />
29!
Exkurs: Kulturelle Unterschiede<br />
60<br />
40<br />
20<br />
Roman<strong>die</strong> Deutschschweiz<br />
Exkurs: Sozialpolitik in historischer Perspektive<br />
40-Stunden-Woche<br />
Senkung des AHV-Alters<br />
0<br />
1920 1940 1960 1980 2000<br />
Deutschschweiz Roman<strong>die</strong><br />
AHV-Alter 62<br />
Flexibles AHV-Alter<br />
Gegen<br />
Erhöhung AHV-Alter<br />
40-Stunden-Woche
Kapitel 4<br />
Links<br />
Die Parteien im<br />
politgeographischen Kontext<br />
Liberal<br />
Konservativ<br />
Rechts
Kanton Zürich<br />
Wählerstärke<br />
Kanton Zürich<br />
Wählerstärke
Links<br />
Liberal<br />
Konservativ<br />
Kanton Zürich<br />
Wählerstärke<br />
Rechts
Schaffhausen"<br />
SP ! !<br />
Links" Rechts"<br />
Links-Rechts-Index gebildet aus eidg. Volksabstimmungen"<br />
Parteienstärke bei Nationalratswahlen"<br />
Kanton Wallis<br />
Wählerstärke
SPS<br />
GPS<br />
PdA<br />
CSP<br />
Sol.<br />
SGA<br />
usw.<br />
Jura" Schaffhausen"<br />
Links-Rechts-Index gebildet aus eidg. Volksabstimmungen"<br />
Parteienstärke bei Nationalratswahlen"<br />
SP !<br />
Links" Rechts"<br />
Die Entwicklung der politischen Lager<br />
1991 1995 1999 2003 2007<br />
CVP<br />
EVP<br />
glp<br />
LdU.<br />
FDP<br />
LPS<br />
SVP<br />
EDU<br />
Lega<br />
SD<br />
FPS<br />
Vier politische Lager<br />
Durch <strong>die</strong> Gruppierung<br />
werden langfristige<br />
Wählerverlagerungen<br />
zwischen den Lagern sichtbar.
Nationalisierung der Parteienlandschaft<br />
reformierte<br />
Tradition<br />
katholische<br />
Tradition<br />
Ideologische Entmischung<br />
1995 gab es kaum<br />
Unterschiede in der politischen<br />
Orientierung der drei grossen<br />
bürgerlichen Parteien.<br />
Die SVP beendete <strong>die</strong> Phase<br />
der Koexistenz unter den<br />
bürgerlichen Parteien und<br />
profilierte sich als <strong>die</strong><br />
konservative Kraft<br />
2007 dominierte <strong>die</strong> SVP bei<br />
den rechts orientierten Wählern<br />
<strong>–</strong> CVP und FDP sind nur <strong>die</strong><br />
Wähler in der Mitte geblieben<br />
Deutschschweiz lateinische Schweiz<br />
SP<br />
Links Rechts<br />
SP<br />
CVP<br />
Links Rechts<br />
Quelle: selects Wahlstu<strong>die</strong>n 2008<br />
FDP<br />
SVP<br />
SVP<br />
1995<br />
2007