Hackbraten à la SP
Hackbraten à la SP
Hackbraten à la SP
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Politik<br />
Zmittag im Elternhaus<br />
Tschümperlin in Schwyz. Vorne: am<br />
Tischeck Cornelia und Andy Tschümperlin.<br />
Weiter im Uhrzeigersinn: Tochter Angelina,<br />
14, Andys Bruder Mathias, Schreiner-<br />
Lehrling Thierry Lüscher, Amelie (Tochter<br />
einer befreundeten Familie), Andys<br />
Kinder Raphae<strong>la</strong>, 22, und Jonas, 20,<br />
sowie die Grosseltern Franz und Anne-<br />
Marie, beide 75.<br />
Egal, ob Familie oder <strong>SP</strong>-Par<strong>la</strong>mentarier – er bringt<br />
sie alle an einen Tisch. Der Schwyzer Nationalrat<br />
Andy TschümpErlin ist neuer Fraktionschef<br />
der <strong>SP</strong>. Der 50-Jährige über seine Talente als<br />
Politiker, Fasnächtler und Rockstar.<br />
38 <strong>Hackbraten</strong> <strong>à</strong> <strong>la</strong> <strong>SP</strong><br />
schweizer illustrierte schweizer illustrierte 39
«Als Sozialdemokrat<br />
ist man in Schwyz<br />
immer ein politischer<br />
Aussenseiter»<br />
Andy TschümpErlin<br />
Grosser Name Andy Tschümperlin auf dem<br />
Dach des Einrichtungsgeschäfts, das sein<br />
Vater gegründet hat, rechts das Elternhaus.<br />
Text mArcEl huwylEr<br />
Fotos kurT rEichEnbAch<br />
Die Adresse klingt wie eine Verheissung<br />
und weckt Heisshunger.<br />
Käskuchengasse 3. Und<br />
dann ist man erst noch zum Zmittag einge<strong>la</strong>den,<br />
im grossen Haus, am grossen<br />
Esstisch bei der Grossfamilie. Das Grosi,<br />
so heisst es, koche für alle, jeden Tag,<br />
guet und gnueg, Punkt zwölf Uhr bitte.<br />
Das Haus, mitten in Schwyz, ist unmöglich<br />
zu verfehlen: ein alter Sichtziegelbau<br />
mit angebauter Schreinerei und<br />
einem WohnformLaden für Möbel und<br />
Innenausbau, an dem das Firmenschild<br />
«Tschümperlin» prangt.<br />
Leider nein, dämpft Andy Tschümperlin<br />
die von der Adresse genährten Erwartungen,<br />
es gebe keinen Käskuchen.<br />
Und bittet ins Haus, sein Elternhaus,<br />
hier hat er auch sein Büro. Das Grosi,<br />
seine Mutter AnneMarie, 75, hat heute<br />
Deftigeres auf dem Herd: <strong>Hackbraten</strong>.<br />
Passt irgendwie ja auch besser zum<br />
Grund unseres Besuchs.<br />
Es wurde drum ziemlich auf<br />
Andy Tschümperlin herumgehackt. Mitte<br />
Februar wählten die 56 <strong>SP</strong>Bundespar<strong>la</strong>mentarier<br />
den Schwyzer Nationalrat<br />
zum neuen Fraktionschef – mit zwei<br />
Stimmen Vorsprung auf Favoritin<br />
Jacqueline Fehr. Eine Riesenüberraschung.<br />
Auch für die Medien, die nicht<br />
etwa Sch<strong>la</strong>gzeilen <strong>à</strong> <strong>la</strong> «Tschümperlin<br />
gewählt» fabrizierten, sondern «Fehr<br />
übergangen» titelten. Auch er sei ob der<br />
Wahl «ziemlich verchlüpft», sagt Tschümperlin<br />
und beschreibt die «minuten <strong>la</strong>nge<br />
Stille im Saal nach meiner Wahl». Den<br />
positiven Schreck hat der Schwyzer Genosse<br />
verdaut – apropos: Jetzt wird erst<br />
mal Grosis Zmittag genossen.<br />
Jeden Tag kocht Grossmutter AnneMarie<br />
für drei Generationen Tschümperlin<br />
und wer sonst noch grad da ist<br />
und Hunger hat. Heute sitzen am Tisch:<br />
Grossvater Franz (Gründer von Wohnform<br />
Tschümperlin), Andy und Cornelia<br />
mit drei ihrer vier Kinder (die Familie<br />
wohnt im Nachbarsort Rickenbach), zudem<br />
Andys Bruder Mathias, Thierry,<br />
Lehrling aus der hauseigenen Schreinerei,<br />
sowie die kleine Amelie, das Kind einer<br />
befreundeten Familie. Neuneinhalb<br />
hungrige Mäuler – das Grosi ist in seinem<br />
Element. Mit ihrer liebenswertwirbligen<br />
Art, dem soziroten Pullover und der<br />
porzel<strong>la</strong>nweissen Schürze gäbe sie eine<br />
famose TVSpotOma ab, die für Back<br />
mischungen wirbt. In Schwyz wird sie<br />
nur «de Strubel» genannt, Frisur und<br />
Charakter seien schon als Kind unzähmbar<br />
gewesen, sagt sie. Das Unzähmbare<br />
hat sie zweifellos weitervererbt …<br />
«Als sozialdemokrat ist man in<br />
Schwyz immer ein politischer Aussenseiter»,<br />
sagt ihr Sohn Andy. Hier habe er gelernt,<br />
wie man gegen Mehrheiten kämpft,<br />
denn wer im bürgerlichen Schwyz <strong>SP</strong><br />
Politik macht, brauche Biss und Gleichmut,<br />
betont der 50Jährige, der von<br />
Einheimischen schon mal als «extremer<br />
Linker», ja gar als «Kommunist» betitelt<br />
wird. Das mit dem Linken sehen die (für<br />
einmal erstaunlich unsozialen) Jungsozialisten<br />
etwa anders: «Wir sind irritiert<br />
und enttäuscht», zeterte die Juso, die<br />
<strong>SP</strong>Fraktion habe sich gegen Fehr und<br />
für Tschümperlin entschieden, weil «ihr<br />
FAsnächTlEr, FussbAllEr & musikEr<br />
Vielseitig gesellig Andy Tschümperlin ist an der Schwyzer Fasnacht als «Blätz»<br />
unterwegs (links), spielt Fussball im FC Nationalrat (oben rechts mit SVP-Chef Toni Brunner)<br />
und ist Mitglied der Status-Quo-Coverband Stets ä Soo (2. v. l.).<br />
keine starke linke Führung wünscht, um<br />
euch weniger der Partei und mehr euren<br />
eigenen Interessen widmen zu können.»<br />
Tschümperlin, ein führungsschwacher<br />
Linker am rechten Parteirand? Er grinst<br />
und kaut und schluckt. Und kontert mit<br />
dem Besteck als Gestikulierhilfe.<br />
Als ehemaliger reallehrer und<br />
Schulleiter verfügt der Berufspolitiker<br />
sehr wohl über Führungsstärke. Er sei<br />
aber kein «Alle mir nach!»Chef, sondern<br />
überzeuge durch Integrationskraft, «ich<br />
moderiere und vermittle». <strong>SP</strong>Ständerätin<br />
Pascale Bruderer schätzt an ihrem<br />
Parteikollegen, dass er «offen und unvoreingenommen<br />
auf andere Menschen<br />
sowie Ideen zugeht». In Schwyz bleibt<br />
Tschümperlin auch gar nichts anderes<br />
übrig. Er sagt: «Wer hier als Sozialdemokrat<br />
Erfolg haben will, darf nicht<br />
dogmatisch politisieren.» Dass ihm das<br />
gelingt, bestätigt Kantonskollegin, FDP<br />
Nationalrätin Petra Gössi: «Inhaltlich<br />
sind wir zwar so gut wie nie der gleichen<br />
Meinung, aber mit Andy kann man nach<br />
jeder politischen Auseinandersetzung<br />
ohne Streit ‹eins trinken gehen›.»<br />
Stimmt, das Gesellige sei ihm wichtig,<br />
das erde ihn, behalte ihn auf dem<br />
Boden, sagt Tschümperlin, schöpft<br />
sich noch eine Scheibe <strong>Hackbraten</strong> und<br />
einen K<strong>la</strong>cks Polenta. Er tschuttet im<br />
FC Nationalrat, ist Mitglied der Status<br />
Quo Coverband Stets ä Soo (da wird<br />
«The Wanderer» schon mal mit dem<br />
Schwyzerörgeli gerockt) und angefressener<br />
Fasnächtler. Die Fasnacht sei ein guter<br />
Gradmesser für Politiker. «Mir wurde<br />
jedenfalls noch nie so viel auf die Schulter<br />
geklopft wie an dieser Fasnacht.»<br />
Seit bald einem Monat ist der <strong>SP</strong><br />
Fraktionschef im Amt. Die Sanierung<br />
der Sozialwerke bezeichnet er als grösste<br />
Herausforderung in dieser Legis<strong>la</strong>tur.<br />
Und die Migrationsfragen seien wirklich<br />
schwierig. Tschümperlin wird sein ganzes<br />
Vermittlungs und Moderationsgeschick<br />
einsetzen müssen – das ist sein<br />
Erfolgsrezept. Und Rezepte der Familie<br />
Tschümperlin haben schliesslich noch<br />
jeden überzeugt – das weiss niemand<br />
besser als das Grosi: Der <strong>Hackbraten</strong> ist<br />
unverschämt fein. Ihr Geheimnis, verrät<br />
«Strubel» erst beim AdieuSagen, seien<br />
die gehackten Essiggürklistückli und das<br />
sämige Brät, das alles zusammenhalte.<br />
So gesehen ist ihr Sohn Andy das<br />
Brät in der <strong>SP</strong>Bundeshausfraktion.<br />
satt und matt und glücklich verlässt<br />
die Grossfamilie den Zmittagstisch.<br />
Tschüss, Grosi, dein <strong>Hackbraten</strong> – wow,<br />
super, wie immer! Wer weiss, vielleicht<br />
bekommt das TschümperlinHaus in einigen<br />
Jahrzehnten gar eine neue Adresse<br />
und steht dann – Grosis Kochkunst<br />
sei Dank – an der <strong>Hackbraten</strong>gasse 3. �<br />
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Politik<br />
Foto Paolo Foschini, Sabine Wunderlin / Sobli / RDB, HO